100%ige Haftung eines Ausparkenden bei einem Parkplatzunfall, der mit seinem Fahrzeug gegen ein den Ausparkvorgang Wartenden stößt.

Das Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22) betrifft einen Verkehrsunfall auf einem Parkplatz. Die Klägerin und die Beklagte parkten ihre Fahrzeuge in Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen. Die Klägerin fuhr rückwärts aus ihrer Parkbucht aus und blieb dann stehen, als sie bemerkte, dass die Beklagte ebenfalls rückwärts aus ihrer Parkbucht ausfuhr. Trotz des Hupens der Klägerin fuhr die Beklagte weiter rückwärts und stieß gegen das Fahrzeug der Klägerin.

Das Gericht entschied, dass die Beklagte 100% der Haftung für den Unfall trägt. Es wurde festgestellt, dass die Beklagte gegen § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat, da sie rückwärts fuhr und dabei das Fahrzeug der Klägerin beschädigte. Das Gericht stellte fest, dass es technisch möglich gewesen wäre, für die Beklagte aus ihrer Parkbucht auszuparken und den Parkplatz zu verlassen, ohne das Fahrzeug der Klägerin zu treffen.

Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass der Unfall für sie unvermeidbar war. Allerdings wurde festgestellt, dass sie zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und versucht hatte, durch Hupen die Beklagte zu warnen. Das Gericht entschied, dass die Klägerin den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern konnte.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

gegen

[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigter:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 30.06.2023 eingereicht werden konnten, am 21.07.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] freizustellen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 3.182,12 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 09.11.2021 auf dem Parkplatz […] in Bautzen ereignete.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw, Typ FIAT Tipo […] den Parkplatz. Die Zeugin J[…] M[…] befuhr mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW, Typ Hyundai i20 […] den Parkplatz.

Die Parteien parkten zunächst jeweils in den Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen.

Die Klägerin fuhr sodann rückwärts aus ihrer Parkbucht aus. Im Folgenden kam es zur Kollision des klägerischen Fahrzeugs und des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…], die ebenfalls rückwärts aus der Parklücke ausgefahren war. Das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug und das klägerische Fahrzeug kollidierten am Kotflügel des Fahrzeugs der Klägerin und am Heck des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…].

Am Fahrzeug der Klägerin entstand folgender Sachschaden:

1. Am Pkw der Klägerin entstanden entsprechend dem […] vorgelegten Gutachten vom 07.01.2022 und dem […] vorgelegten Nachtragsgutachten vom 07.03.2022 des Kfz-Sachverständigenbüros […] Beschädigungen an der linken Fahrzeugfront.

Der vordere linke Kotflügel weist eine starke Ausknickung auf. Die linke Stoßfängerwange wurde beschädigt. Der linke Scheinwerfer ist gebrochen. Am Stoßfänger wurden Halterungen abgerissen. Gegenüber den angrenzenden Fahrzeugteilen, Motorhaube, Kotflügel rechts wurden Farbtonunterschiede auffällig, sodass eine Beilackierung des rechten vorderen Kotflügels und der Motorhaube durchgeführt wurde. Die Kosten für die Reparatur des Fahrzeugs betragen ausweislich der Reparaturkostenrechnung […] der Reparaturwerkstatt […] 4.775,93 Euro brutto.

2. Ausweislich dem Gutachten des Kfz-Sachverständigenbüros […] vom 07.01.2022 entstand durch die Beschädigung eine Wertminderung in Höhe von 400,00 Euro.

Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeugs beträgt 18.700,00 Euro und wird somit durch die Höhe des Schadensumfangs nicht erreicht.

3. Die Gutachterkosten betragen gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros Kfz-Sachverständigenbüro […] vom 07.01.2022 und gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros […] vom 07.03.2022 insgesamt 836,09 Euro brutto.

4. Die Klägerin macht ferner restliche Mietwagenkosten gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] der Reparaturwerkstatt […] vom 14.03.2022 geltend. Die Klägerin musste für die Dauer der Reparatur ein Ersatzfahrzeug mieten, da die Fahrt zur Arbeitsstätte, berufliche Fahrten sowie private Fahrten einen PKW erfordern.

5. Ferner beansprucht die Klägerin eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro für Telefonate, Porto und Fahrtkosten.

Die Klägerin mahnte die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten zur Zahlung der Schadensersatzansprüche an und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 17.01.2022. Die Zahlung wurde erneut durch anwaltlichen Schriftsatz am 22.03.2022 angemahnt.

Die Beklagte regulierte den Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %.

Im Ergebnis wird unter Berücksichtigung der Zahlung der Beklagten für den Schaden am Fahrzeug ein verbleibender Betrag:

  • in Höhe von 2.387,96 Euro für die Reparaturkosten
  • in Höhe von 200,00 Euro für die Wertminderung
  • in Höhe von 418,04 Euro für die Schadensgutachten
  • in Höhe von 163,62 Euro für die Mietwagenkosten und
  • in Höhe von 12,50 Euro die restliche Unkostenpauschale für Telefonate, Porto und Fahrtkosten

geltend gemacht.

Die Klägerin behauptet, sie habe am Unfallort aus der Parklücke rückwärts ausgeparkt und habe mit ihrem Fahrzeug gestanden. Bevor die Klägerin mit ihrem Fahrzeug zum Ausgang des Parkplatzes fahren konnte, erkannte sie, dass die Zeugin J[…] M[…] mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug auszuparken begann. Zur Vermeidung einer Gefahrensituation will die Klägerin mit ihrem Fahrzeug stehengeblieben sein, um den Ausparkvorgang des Unfallgegners stehend abzuwarten. Aus der Sicht der Klägerin bestand für die Zeugin J[…] M[…] grundsätzlich ausreichend Platz für den Ausparkvorgang. Die Klägerin behauptet, als das Fahrzeug der Unfallgegnerin rückwärts auf das Fahrzeug der Klägerin dicht zu fuhr und augenscheinlich nicht das hinter ihr stehende Fahrzeug der Klägerin wahrnahm, will die Klägerin versucht haben durch durchgehendes Hupen die Zeugin J[…] M[…] zu warnen. Ungeachtet dessen soll diese die Rückwärtsfahrt fortgesetzt haben und sei gegen den Kotflügel des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Die Klägerin habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern können.

Die Klägerin meint, die Zeugin J[…] M[…] habe den Unfall allein verschuldet. Insbesondere spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Fahrzeugführerin des Fahrzeugs der Beklagtenseite. Für die Klägerin sei der Unfall unvermeidbar gewesen und hätte auch durch die Anwendung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abgewendet werden können, sodass eine Haftung der Klägerin ausgeschlossen sei.

Aufgrund des Zeitablaufs nahm die Klägerin die Vollkaskoversicherung […] zur Zwischenfinanzierung des restlichen Schadens in Anspruch, die unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts der Klägerin am 09.11.2022 eine Gesamtzahlung in Höhe von 3.006,00 Euro, mithin 2.387,96 Euro auf die Reparaturkosten, 200,00 Euro auf die Wertminderung und 418,04 Euro auf die Sachverständigenkosten an die Klägerin leistete. In der Folge ist die Erstattungsforderung der Klägerin in Höhe von 3.006,00 Euro durch den gesetzlichen Forderungsübergang auf die Vollkaskoversicherung übergegangen. Mit Schriftsatz vom 14.11.2022 hat sie ihre Klageanträge […] umgestellt.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 so\wie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] vom 14.03.2022 freizustellen.

Die Beklagte behauptet, der Verkehrsunfall ereignete sich, als die Klägerin mit dem Pkw rückwärts aus ihrer Parkposition auf dem Parkplatz […] in Bautzen ausparkte und da bei gegen den Pkw der Zeugin J[…] M[…] stieß. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden habe. Zudem bestreitet die Beklagte, dass die Zeugin J[…] M[…] ausreichend Platz zum Ausparken gehabt habe.

Die Beklagte bestreitet den geltend gemachten Zinsschaden, soweit die Klägerin begehrt, von geltend gemachten Beträgen freigestellt zu werden, dürfe der Freistellungsanspruch nicht verzinst werden, da es sich hierbei nicht um eine Geldschuld handelt.

Der Verkehrsunfall sei für die Klägerin nicht unvermeidbar gewesen. Es dürfte auch kein Anscheinsbeweis gegen die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs sprechen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin J[…] M[…] und durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Für das Ergebnis der Zeugenvernehmung und der Anhörung der Klägerin wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2022 und auf das Sachverständigengutachten vom 13.04.2023 verwiesen. Insoweit wird auch im Übrigen wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Urteil ergeht mit dem Einverständnis der Parteien ohne Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, § 128 Abs. 2 ZPO.

I.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die Klägerin auch prozessführungsbefugt, soweit Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen der Zahlung ihrer Vollkaskoversicherung im November 2022 auf diese gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangen sind. Dies folgt aus § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Veräußerung oder Abtretung eines Rechts auf den Prozess keinen Einfluss hat. Die Norm gibt dem Zedenten nicht nur bei der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge, sondern auch dem vorliegenden gesetzlichen Forderungsübergang die Möglichkeit, Rechte des Zessionärs in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. Zöller/Greger, ZPO. 33. Aufl. 2020, § 265 ZPO Rn. 5).

II.

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin und die [Vollkasko] haben nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG, §§ 249 ff. BGB aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen die Beklagte in Höhe von 12,50 Euro durch Zahlung an die Klägerin, auf Freistellung der Mietwagenkosten in Höhe von 136,62 Euro und in Höhe von 3.006,00 Euro durch Zahlung an die [Vollkaskoversicherung].

1.

Die [Vollkaskoversicherung] ist hinsichtlich des Klageantrags zu 2 nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG aktivlegitimiert. Zudem ist das Fahrzeug der Klägerin beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, dessen Versicherer die Beklagte im Unfallzeitpunkt war, beschädigt worden, § 7 Abs. 1 StVG.

Der Anwendung des § 7 StVG steht nicht entgegen, dass sich der Unfall auf einem Parkplatz ereignete. Denn öffentlicher Verkehr ist auch bei – wie hier vorliegend – öffentlichen und allgemein zugänglichen Parkplätzen zu bejahen (MüKoStVR/Engel, 1. Aufl. 2017, StVG § 7 Rn. 10).

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten entfällt nicht nach § 7 Abs. 2 StVG. Der Unfall beruhte nicht auf höherer Gewalt.

3.

In welchem Umfang die Parteien als die am Unfall beteiligten Fahrzeughalter und Versicherer

der Fahrzeugführerin einander Ersatz leisten müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, § 17 Abs. 1,2 StVG.

a)

Der Ausgleich ist nicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG ausgeschlossen. Der Zusammenstoß zwischen dem PKW der Klägerin und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug war für keinen Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis.

Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der

Halter als auch der Fahrer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beachtet hat. Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes und geistesgegenwärtiges Handeln über dem Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 13.12.1990 – III ZR 14/90, BGHZ 113, 163). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit

des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommt, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt In eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH Urteil vom 17.03.1992 – VI ZR 62/91, NJW 1992,1684; Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, NJW 2006, 896).

bb)

Keine der Parteien hat darzulegen und zu beweisen vermocht, dass auch ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr nicht hätte abwenden können oder jedenfalls einen weniger schweren Unfall verursacht hätte. Ein über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus sachgemäß und geistesgegenwärtig handelnder Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten hätte den Unfall ebenso abwenden können, wie ein ebenso handelnder Fahrer des PKW der Klägerin. Zwar hat der Sachverständige nach Analyse der Spuren und Schäden bestätigt, dass das Fahrzeug der Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Flanke der Frontpartie des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Des Weiteren stellte der Sachverständige jedoch fest, dass es der Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges technisch möglich gewesen wäre, ohne Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin aus der Parklücke herauszufahren und den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen. Der Verkehrsunfall war für die Zeugin J[…] M[…] vermeidbar, da es für sie aus technischer Sicht möglich gewesen wäre, mit dem Fahrzeug rückwärts aus der Parkbucht auszuparken, ohne mit dem Fahrzeug der Klägerin zu kollidieren und anschließend den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen.

Für den Nachweis der Unvermeidbarkeit des klägerischen Fahrzeugs reicht allein der erwiesene Umstand, dass der Pkw der Klägerin vor der Kollision ausweislich des unfallanalytischen Sachverständigengutachten zum Stillstand gekommen war und sie mit Hupen auf sich Aufmerksam machte, allerdings nicht aus, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein „Idealfahrer“ anstelle der Klägerin das Beklagten-Fahrzeug rechtzeitig unfallvermeidend hätte erkennen können (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 06.06.2019 – 4 U 89/18; NJW-RR2019, 1435).

b)

Unter Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG tritt die Haftung des Fahrzeugs der Klägerin aus der Betriebsgefahrvollständig hinter der Haftung des Fahrzeugs der Beklagtenseite zurück, sodass die Beklagtenseite die alleinige Haftung trifft.

Da keine Seite die Unvermeidbarkeit des Unfalls belegen kann, ist nach den jeweiligen Verursachungsanteil abzuwägen, § 17 Abs. 2 StVG. Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1,2 StVG ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Ver-schulden (BGH Urteil vom 13.12.2016 -VI ZR 32/16). Bei der gebotenen Abwägung dürfen unstreitige, zugestandene oder erwiesene Tatsachen zugrunde gelegt werden, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Im Rahmen der Feststellung der Verursachungsbeiträge muss jeder Seite das Mitverschulden der Gegenseite beweisen.

aa)

Die Fahrzeugführerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs hat gegen § 1 Abs. 1 i. V.

m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen.

Wegen der besonderen Sorgfaltspflicht spricht gegen den Rückwärtsfahrer der Beweis des ersten Anscheins (OLG München N2V 2014, 416; KG NJW-RR 2010, 1116; LG Hagen ZfS 1992, 44). Zwar ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt sie aber über § 1

StVO. Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärts fährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Mitverschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen (BGH, Urt. v. 11. 10.2016 – VI ZR 66/16 = r+s 2017, 93, beck-online; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 27. Aufl. 2022, StVO § 9 Rn. 69). Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat. Denn gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein Fahrer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Ausweislich der Feststellungen im Sachverständigengutachten konnte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts den Beweis führen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision mit ihrem Fahrzeug gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Frontpartie stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Hierdurch hat die Zeugin J[…] M[…] gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen und den Verkehrsunfall verschuldet.

Zudem kommen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung. Das Gericht schließt sich den oben stehenden Ausführungen an. Danach greift zulasten der Beklagtenseite ein Anscheinsbeweis aufgrund der erfolgten Kollision während eines rückwärtigen Fahrvorgangs. Die Feststellungen des Sachverständigen bestätigen, dass sich ein für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises typische Lebenssachverhalt ereignete. Denn es steht nach der Beweisaufnahme fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, die Zeugin J[…] M[…], als Rückwärtsfahrende, zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand. Es gelang der Beklagtenseite nicht, diese zu erschüttern. Zudem wäre das Fahrzeug für die Zeugin J[…] M[…] optisch sowie die Gefahrensituation durch das Hupen auch akustisch erkennbar und der Unfall für diese vermeidbar gewesen. Die Klägerin hatte noch den Versuch unternommen, die Aufmerksamkeit der Zeugin J[…] M[…] zu erreichen und den Unfall zu vermeiden. Dies deckt sich mit den Feststellungen des Sachverständigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand und der Aussagen aus der Zeugenbefragung, in der die

Zeugin J[…] M[…] angab, dass die Klägerin durchgehend hupte.

Die Ausführungen des Sachverständigen Schlütter sind für das Gericht plausibel. Als von der Ingenieurkammer Sachsen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Kraftfahrzeugschäden und -bewertung ist der Sachverständige Schlütter für die Begutachtung kompetent. Seine Ausführungen sind logisch, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei.

Die Beklagte ist nach § 115 Abs. 1 Satz 2, 4 VVG einstandspflichtig.

bb)

Eine Mithaftung der Klägerin ergibt sich hier nicht aus § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO, weil ihr kein wesentliches verkehrswidriges Verhalten zur Last zulegen ist.

Ein Anscheinsbeweis greift nicht zulasten der Klägerin, da diese zum Zeitpunkt der Kollision bereits stand. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass sich die Klägerin mit ihrem Fahrzeug verkehrsgerecht verhalten hat. Der Sachverständige stellte fest, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hat. Schlüssig ist nach den Feststellungen des Sachverständigen auch, dass die Klägerin zur Vermeidung einer Kollision durch Hupen versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen. Nach Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Zeugin J[…] M[…] das Fahrzeug der Klägerin während des Rückwärtsfahrens übersehen hat.

cc)

Vor diesem Hintergrund und des im Übrigen geringen Verursachungsbeitrag der Klägerin an dem Unfallgeschehen haftet die Beklagtenseite zu 100%. Der Unfall war zwar weder für die Zeugin J[…] M[…] noch für die Klägerin unvermeidbar. Der Verursachungsbeitrag der Klägerin ist allerdings als so gering zu bewerten, dass er wegen des überwiegenden Mitverschuldens der Zeugin J[…] M[…] bei der gemäß § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung vollständig zurückzutritt. So liegen die Grenze zwischen dem Verhalten eines Idealfahrers und des tatsächlichen Verhaltens der Klägerin so nah beieinander, dass hinsichtlich der Verursachungsbeiträge keine Quotelung zulasten der Klägerin erfolgt.

Das Klägerfahrzeug stand ausweislich des oben stehenden Ergebnisses der Beweiswürdigung zum Zeitpunkt der Kollision. Zuvor hat sie den Ausparkvorgang zwar bei eingeschränkten Sichtverhältnisses begonnen, kam allerdings noch vor der Kollision für die Zeugin J[…] M[…]

bei gehöriger Rückschau erkennbar und rechtzeitig zum Stehen, sodass die Zeugin J[…] M[…] die Kollision hätte vermeiden können. Diesbezüglich wird auf die obenstehende Beweiswürdigung Bezug genommen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand. Zum anderen hatte die Zeugin J[…] M[…] die Möglichkeit, das eigene Fahrzeug vor der Kollision rechtzeitig anzuhalten, zumal die Klägerin mit dem Hupen noch ein Warnsignal abgegeben hat. Außerdem ist auf Parkplätzen stets mit aus Parklücken fahrenden Fahrzeugen zu rechnen, sodass der Zeugin J[…] M[…] im besonderen Maße eine Sorgfaltspflicht dahingehend oblag, das eigene Fahrzeug jederzeit anhalten zu können und auf ausparkende Fahrzeuge entsprechend reagieren zu können.

4.

Durch die Kollision entstand ein ersatzfähiger Schaden im Sinne von §§ 249 ff. BGB. Mit Ausnahme der beantragten Zinsen für den Freisteilungsanspruch ist der Schaden der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Unter Berücksichtigung der, der Beklagtenseite anzurechnenden Verursachungsquote von 100 %, ergibt sich der noch zu ersetzende Betrag wie folgt:

a) Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der restlichen Unkostenpauschale in Höhe von 12,50 Euro, da es sich hierbei um einen ersatzfähigen Schaden im Sinne von gemäß § 249 BGB handelt (BGH, Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11; NJW 2011,2871).

b) Die Klägerin hat gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls einen Anspruch auf Freistellung in Bezug auf die aufgewendeten Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 257 Satz 1 BGB. Der Anspruch der Klägerin ist auf Freistellung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Autohaus […]. Aus der Rechnung vom 14.03.2022 mit der Rechnungsnummer 920277 und nicht auf Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin gerichtet, weil der Klägerin mangels vermögensmindernder Zahlung kein Schaden entstanden ist.

c) Ferner kann die Klägerin in Folge der Zwischenfinanzierung auf die restlichen Reparaturkosten in Höhe von 2.387,96 Euro, der restlichen Wertminderung in Höhe von 200,00 Euro und auf die restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 418,04 Euro – insgesamt also 3.006,00 Euro an die [Vollkaskoversicherung] verlangen.

Auf Grund der Regulierung der Ersatzansprüche ist die [Vollkaskoversicherung] gemäß § 86 VVG Anspruchsinhaberin geworden.

5.

Der Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 1 und Abs. 3, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 analog, 291 BGB. Die Hauptforderung ist antragsgemäß zu verzinsen.

Die Fälligkeit tritt in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung ein, wenn wegen

einer Verletzung einer Person oder wegen einer Beschädigung einer Sache nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Ersatz zu leisten ist (BGH, Beschluss vom 18.11.2008 – VI ZB 22/08; NJW 2009, 910). Ist die Voraussetzung der Fälligkeit des Schadenersatzanspruchs gegeben und liegt eine Mahnung vor, sind die gesetzlichen Verzugszinsen bereits vor Ablauf der dreimonatigen Bearbeitungsfrist und aufgrund der BGB-Verzugsregelung zu zahlen (OLG Rostock, Beschluss vom 9.1.2001 -1 W 338/98; MDR 2001,935).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1,2 ZPO.

V.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG.“

AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22

„Klassische“ Haftungsquote bei Verkehrsunfall auf einem Parkplatz und Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten.

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Wolfach (AG Wolfach, Urteil vom 8.6.2021 – 1 C 2/21) ist bei einem Verkehrsunfall auf einem Parkplatz zwischen einem Ausparkenden und einem Fahrzeug auf dem Fahrweg zwischen den Parktaschen eine Haftungsverteilung von 50:50 vorzunehmen, wenn sich beide Fahrzeugführer nicht wie ein Idealfahrer verhielten und der Verkehrsunfall für beide nicht unvermeidbar war.

Im weiteren wurde durch das Gericht entschieden, dass im Rahmen einer fiktiven Abrechnung sowohl die Verbringungs- als auch Desinfektionskosten erstattet verlangt werden können.

Darüber hinaus sind nach der Entscheidung des Gerichts die Regeln der Straßenverkehrsordnung auf einen öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten:
LG Stuttgart, Urteil vom 21.07.2021 – 13 S 25/21; LG Coburg, Endurteil vom 28.5.2021 – 32 S 7/21; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 2.9.2022 – 21 C 109/22; AG Wolfach, Urteil vom 8.6.2021 – 1 C 2/21; AG Bautzen, Urteil vom 5.7.2021 – 21 C 129/21; AG Frankenthal, Urteil vom 12.04.2021 – 3a C 253/20; AG Kempten, Urteil vom 12.3.2021 – 1 C 1118/20; AG Siegen, Urteil vom 8.3.2021 – 14 C 1990/20; AG Stuttgart, Urteil vom 15.2.2021 – 47 C 3723/20; AG Weißwasser, Urteil vom 26.1.2021 – 3 C 222/20; AG München, Urteil vom 27.11.2020 – 333 C 17092/20; AG Aachen, Urteil vom 16.11.2020 – 116 C 123/20; AG Heinsberg, Urteil vom 4.9.2020 – 18 C 161/20; so auch AG Bautzen, Hinweisbeschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21.

Urteile zu Fraunhofer-Mietpreisspiegel zzgl. 30% Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten im Rahmen der Schadenregulierung:
LG Görlitz, Urteil vom 28. Februar 2024 – 5 O 502/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; ausführlich: AG Bautzen, Urteil vom 17.9.2021 – 22 C 254/21; AG Bautzen, Beschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 18.6.2021 – 22 C 38/21; AG Bautzen, Urteil vom 23.4.2021 – 20 C 15/20; AG Bautzen, Urteil vom 22.4.2021 – 21 C 729/19; regionale Leitentscheidung: LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19

Abweichend hiervon mit arithmetisches Mittel aus der Schwacke-Liste und dem „Fraunhofer-Mietpreisspiegel“ als Maßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19

Abweichend hiervon Fraunhofer-Mietpreisspiegel ohne Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 23.5.2019 – 22 C 98/19; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 790/17; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 250/17

Aus den Entscheidungsgründen:

„IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Wolfach durch […] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2021 für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.11.2020 zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die […] Bank […] einen Betrag in Höhe von 2.260,79 € zu zahlen.
  3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 327.80 € […] freizustellen.
  4. Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 150,65 € freizustellen.
  5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren, zukünftig
    entstehenden Schäden aus dem Verkehrsunfall am 19.10.2020 in Hausach mit einer Haftungsquote von 50 % zu ersetzen.
  6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  7. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  8. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
    Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger Schadensersatz aus einem Unfallereignis, welches sich am 19.10.2020 in Hausach […] auf dem dortigen Supermarktparkplatz zugetragen hat.

Unfallbeteillgt war der Kläger als Halter und Fahrer des Fahrzeuges Mitsubishi ASX mit amtlichem Kennzeichen […], welches im Sicherungseigentum der […] Bank stand, sowie die Zeugin D[…] als Fahrerin des zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs VW, amtliches Kennzeichen […].

Der Kläger befuhr mit seinem Pkw den benannten Parkplatz, um links von der Fahrgasse in eine dort rechtwinklig zur Fahrgasse angeordnete Parktasche vorwärts einzuparken. Die Zeugin D[…] parkte bereits auf der rechten Seite der Fahrgasse von einer dort rechtwinklig zur Fahrgasse angeordneten Parktasche aus und befand sich Im Ausparkvorgang nach rückwärts links, als es zur Kollision der beiden Fahrzeuge kam. Hierbei stießen das klägerische Fahrzeug mit dem vorderen rechten Eck und das hintere rechte Fahrzeugeck des beklagten Fahrzeuges zusammen.

Der genaue Unfallhergang ist streitig.

Das klägerische Fahrzeug Ist ein Leasingfahrzeug und steht im Sicherungseigentum der Leasinggeberin […] Bank. Die […] Bank hat eine Prozessstandschaftsvollmacht an den Kläger erteilt […].

Der Kläger forderte die Beklagte vorgerichtlich mit Schreiben vom 02.11.2020 zur Zahlung von 4.606,25 € mit Frist bis zum 09.11.2020 auf, welche fruchtlos verstrichen ist.

Der Kläger trägt vor, die Kollision sei für ihn unvermeidbar gewesen, da die Zeugin D[…] für ihn unvorhersehbar rückwärts ausgeparkt habe. Für das Verschulden der Zeugin D[…] spreche ein Anscheinsbeweis. Er ist der Ansicht, dass die Beklagte daher zu 100 % hafte, mache aber im Wege einer Teilklage nur 50 % der Schadenspositionen geltend. Es sei ein Schaden, welchen der Kläger prozessstandschaftlich geltend gemacht i.H.v. 4.406,25 € (netto) (1/2: 2.203,13 €) für fiktiv abgerechnete Reparaturkosten und – von der Gegenseite unbestritten – i.H.v. 200 € (1/2: 100 €) wegen Wertminderung des Fahrzeugs entstanden. Im Übrigen – ebenfalls der Höhe nach unstreitig – stünden ihm 327,80 € (1/2 aus 655,60 € (netto)) für Sachverständigengebühren und eine Unfallkostenpauschale von 12,50 € (1/2 aus 25 €) zu. Aufgrund der bislang noch nicht vorgenommenen Reparatur wird Feststellungsinteresse hinsichtlich der zu erwartenden Nutzungsausfallentschädigung bzw. Vorhaltekosten bzw. der Mehrwertsteuer, soweit der Kläger nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist i.H.v. 585,09 € geltend gemacht. Zudem begehrt der Kläger Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Kläger beantragt daher:

1. Die Beklagte wird verurteilt,

a. an den Kläger 12,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seitdem 12.11.2020 zu zahlen.

b. an die […] Bank […] einen Betrag in Höhe von 2.303,13 € zu zahlen.

c. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 327,80 € […] freizustellen.

d. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 150,65 € freizustellen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers mit einer Haftungsquote von 50 % zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 19.10.2020 in Hausach, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, dass die Zeugin D[…] bereits zu 75 % aus der Parktasche ausgeparkt hatte und angehalten hatte, als der Kläger auf ihr Fahrzeug aufgefahren sei. Die Kollision sei für die Zeugin D[…] daher unvermeidbar gewesen. Reparaturkosten seien nur In Höhe von 3.960,06 € erforderlich, da die Positionen Kleinteilezuschlag (48,36 €), Vorbereitung für Abdeckarbeit Kunststoffteile (36,31 €), Zusatzaufwand Covid-19 (45,20 €), UPE-Aufschläge (219,82 €) und Verbringungskosten (96,50 €) nicht zu ersetzen seien.

Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung nebst Anlagen vom 20.05.2021 verwiesen […].

Das Gericht hat den Kläger informatorisch angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin D[…] sowie durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens […]. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung nebst Anlagen vom 20.05.2021 verwiesen […].

Entscheidungsgründe

I. Die Klagepartei hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung an sich bzw. Freistellung bzw. kann Zahlung verlangen an die […] Bank jeweils Im tenorierten Umfang aus §§ 7 Abs. 1, (17), 18 StVG, § 249Abs. 2 (i.V.m. § 257 BGB) BGB i.V.m. §§ 115 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG.

1. Soweit der Kläger Zahlung an die […] Bank begehrt ist er berechtigt, die Ansprüche des Leasinggebers im eigenen Namen geltend zu machen.

Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat (BGH, Urteile vom 12. Juli 1985 – V ZR 56/84, NJW-RR 1986, 158 und vom 19. März 1987 – III ZR 2/86, BGHZ 100, 217, 218; vom 7. Dezember 2001 – V ZR 65/01, NJW 2002, 1038). Schutzwürdig ist ein Interesse des Klägers nur, wenn der Beklagte durch die gewählte Art der Prozessführung nicht unbillig benachteiligt wird (BGH, Urteile vom 2. Oktober 1987 – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127; vom 24. Oktober 1985 – VII ZR 337/84, BGHZ 96, 151, 155/156). Darüber hinaus muss sich der Prozessführende im Rechtsstreit grundsätzlich auf die ihm erteilte Ermächtigung berufen und zum Ausdruck bringen, wessen Recht er geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1985 – VII ZR 148/83, BGHZ 94, 117, 122). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

a) Eine von dem Leasinggeber erteilte Ermächtigung zur Prozessführung im eigenen Namen liegt in dem Schreiben vom 30.10.2020 […]. Der Kläger hat sich auch ausdrücklich auf dieses Schreiben berufen und deutlich gemacht, teilweise fremde Ansprüche Im eigenen Namen geltend zu machen.

b) Auch von einem schutzwürdigen Interesse des Klägers an der Prozessführung im eigenen Namen ist auszugehen. Ein schutzwürdiges Interesse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat (BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 – III ZR 164/09, NJW 2009, 1213, 1215 mwN). Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden (BGH, Urteil vom 24. August 2016 – VIII ZR 182/15, NJW 2017, 487, 488; BGH, Urteil vom 19. September 1995 – VI ZR 166/94, NJW 1995, 3186; BGH, Urteil vom 23. September 1992 – 1 ZR 251/90, BGHZ 119, 237, 242). Aufgrund der Haltereigenschaft des Klägers und seiner Eigenschaft als Leasingnehmer ist von einem solchen Einfluss auszugehen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 02. Dezember 2013 -1 U 74/13, r+s 2014, 577, 578).

c) Durch das Einrücken des Fahrzeughalters in die Klägerposition entsteht der Beklagten kein Nachteil. Sie stehen wirtschaftlich und prozessual nicht schlechter.

2. Die Voraussetzungen der o.g. Anspruchsgrundlage liegen vor.

a) Es liegt unproblematisch eine Sachbeschädigung des streitgegenständlichen Pkw vor, die bei Betrieb i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG entstanden ist. Ein Ausschluss der Ersatzpflicht wegen Vorliegens höherer Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG kommt nicht in Betracht. Es handelt sich für beide Seiten um einen verkehrsinternen Vorgang und nicht um ein – wie im Rahmen des § 7 Abs. 2 StVG erforderlich – „von außen“ kommendes Ereignis. Bei dem Verkehrsunfall hat sich gerade eine typische Gefahr des motorisierten Verkehrs realisiert.

b) Sind an einem Verkehrsunfall – wie hier – mehrere Kraftfahrzeuge beteiligt, so findet gem. §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG grds. eine anteilige Haftung der einzelnen Fahrzeughalter bzw. -fahrer entsprechend ihrem jeweiligen Verursachungsbeitrag statt. Bei der Abwägung ist das Gewicht der von den Beteiligten gesetzten Schadensursachen entscheidend, so wie sie sich bei dem Unfall konkret ausgewirkt haben. Soweit Kraftfahrzeuge schadensursächlich beteiligt sind, fällt die Betriebsgefahr, ausgenommen bei Entlastung gemäß § 7 Abs. 2 StVG, grundsätzlich zu Lasten des Halters und/oder des Fahrers ins Gewicht. Auch das Verschulden der beteiligten Fahrzeugführer ist einer der abzuwägenden Faktoren. Im Rahmen der durchzuführenden Abwägung sind dabei alle objektiv festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalles zugrunde zu legen, welche sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei hat jede Seite die Umstände zu beweisen, die für sie günstig, für die Gegenseite also ungünstig sind.

c) Eine Abwägungsentscheidung nach § 17 Abs. 2 StVG kommt aber nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 StVG, die sich aufgrund ihrer insoweit „neutralen“ Formulierung auf beide Parteien bezieht, für keinen der beiden Parteien greift. Der Begriff des unabwendbaren Ereignisses ist wertend zu betrachten (BGH, Urteil vom 05. Juli 1988 – VIZR 346/87, NJW 1988, 3019, 3020). Eine absolute Unvermeidbarkeit ist nicht erforderlich. Ebenso wenig genügt allerdings der Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach § 276 Abs. 2 BGB. Geboten ist eine besonders sorgfältige Reaktion. Es muss ein schadenstiftendes Ereignis vorliegen, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Eine Freistellung soll nur erfolgen, wenn sich der Schadenseintritt auch bei vorsichtigem Vorgehen nicht vermeiden lässt. Notwendig ist daher eine über den gewöhnlichen Fahrerdurchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht und ein über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinausreichendes geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln im Augenblick der Gefahr (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, NZV 2005, 305, 306). Der Fahrer muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben. Hierzu gehört ein In der bestimmten Verkehrssituation alle möglichen und naheliegenden Gefahrenmomente sowie fremde Fahrfehler berücksichtigendes Fahrverhalten (BGH, Urteil vom 17. März 1992 – VI ZR 62/91, NJW 1992, 1684, 1685).

Ein Nachweis in diesem Sinne ist vorliegend keiner der Parteien gelungen.

aa) Eine solche Unabwendbarkeit lag für den Kläger nicht vor. Er hat sich nicht wie ein „Idealfahrer“ verhalten.

Der Kläger hat im Rahmen der informatorischen Anhörung zwar angegeben, dass er die Zeugin D[…] vor der Kollision nicht gesehen habe; er habe sich nach links orientiert, um dort links in eine Parktasche einzuparken. Der gerichtliche Sachverständige hat ausgehend von der Unfallendstellung des Beklagtenfahrzeugs die Rückfahrstrecke der Zeugin D[…] mit ca. 2,6-2,7 m vermessen. Sie habe dafür – eine für Parkplätze normale Rückfahrgeschwindigkeit zugrunde gelegt – vom Herausfahren bis zur Kollision eine Zeit im Bereich um 3-4 Sekunden benötigt. Diese 3-4 Sekunden vor der Kollision wäre dann bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h (Kollisionsgeschwindigkeit) des Pkw des Klägers (welche der Sachverständige insbesondere anhand des Schadensbildes errechnet hat) dieser dann noch etwa 8,3-11,1m von der späteren Kollisionsstelle entfernt gewesen. Dies zugrunde gelegt, wäre es dem Kläger im Hinblick auf die ihm zur Verfügung stehende Zeit bei sorgfältiger Verkehrsbeobachtung auch nach vorne jederzeit möglich gewesen noch vor dem vorausfahrenden Fahrzeug der Zeugin D[…] anzuhalten. Denn bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h hätte der Anhalteweg lediglich ca. 3,1 m bei Vollbremsung in Anspruch genommen. Dazu wäre eine Erkennbarkeitsdauer von knapp 1,1-1,2 Sekunden erforderlich gewesen. Tatsächlich war die Ausfahrzeit mindestens 3 Sekunden, sodass für den Kläger ein Abbremsen vor der Kollision immer möglich gewesen wäre. Hätte der Kläger seinen Einparkvorgang zurückgestellt, wäre der Unfall vermieden worden.

bb) Eine Unabwendbarkeit für die Zeugin D[…] lag ebenfalls nicht vor.

Sie hat sich auch nicht wie eine „Idealfahrerin“ verhalten.

Die Zeugin D[…] hat zwar angegeben, dass sie vorsichtig rückwärtsgefahren sei und dann zunächst angehalten habe, um einen Kontrollblick zu machen. Dann sei es zum Unfall gekommen, den Kläger habe sie vor der Kollision nicht gesehen. Aufgrund der bereits oben aufgeführten Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen, steht nach erneut kritischer Würdigung fest, dass der Unfall auch für die Zeugin D[…] zu vermeiden gewesen wäre, indem diese sich während ihrer Rückwärtsfahrt auch nach rechts orientiert hätte. Dann hätte sie nämlich den von rechts her heranfahrenden Kläger erkennen und durch Abbrechen ihres Ausfahrvorgangs die Kollision vermeiden können.

d) Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt vorliegend dazu, dass der Kläger auf Grundlage einer Haftungsverteilung von 50 % zu seinen Lasten, 50 % der Schadenspositionen – soweit erforderlich – von der Beklagten ersetzt verlangen kann.

aa) Die Regeln der Straßenverkehrsordnung sind auf einen öffentlich zugänglichen Parkplatz – wie hier – grundsätzlich anwendbar (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 08. September 2009 – 14 U 45/0, BeckRS 2010, 01841). Da Parkplätze dem sog. ruhenden Verkehr dienen, trifft der dort rückwärts Ausparkende nicht auf fließenden Verkehr, sondern auf Benutzer der Parkplatzfahrbahn. Die gegenseitigen Rücksichtspflichten sind deshalb (verglichen mit den Pflichten aus §§ 9, 10 StVO) erhöht und einander angenähert. Einen Vertrauensgrundsatz zu Gunsten des „fließenden“ Verkehrs gegenüber dem wartepflichtigen Ausfahrenden gibt es nicht (König, in: Hentschel/König/Dauer, StraßenverkehrsR, 46. Aufl. 2021, § 8 StVO Rn. 31 a). Das führt dazu, dass bei Unfällen auf Parkplatzgeländen in der Regel für ein alleiniges Verschulden eines Verkehrsteilnehmers, insbesondere auch ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr, kein Raum sein wird. Vielmehr wird hier – anders als im fließenden Verkehr – regelmäßig ein im Rahmen der Haftungsabwägung zu berücksichtigendes Mitverschulden, jedenfalls aber die Betriebsgefahr zu berücksichtigen sein (s. OLG Hamm, Urteil v. 11. September 2012 – 1-9 U 32/12, NJW-RR 2013, 33).

bb) In die Abwägung ist auf Seiten der Beklagten die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Zeugin D[…] und der gefahrerhöhende Umstand, dass diese, wie die Klägerseite bewiesen hat, schuldhaft gegen die sie nach § 1 Abs. 2 StVO treffende Pflicht verstoßen hat (dazu unter 2 d) bb) (2)).

(1) Die Klägerseite konnte einen schuldhaften Verstoß der Zeugin D[…] gegen die sie nach § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. § 9 Abs. 5 StVO treffende Pflicht nicht beweisen.

Nach § 9 Abs. 5 StVO hat sich ein Fahrzeugführer etwa beim Rückwärtsfahren so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls hat er sich einweisen zu lassen. Zwar ist umstritten, ob diese Vorschrift bei Unfällen auf Parkplätzen anwendbar ist. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – VI ZR 66/16, NJW 2017, 1174) ist diese Vorschrift auf Parkplätzen, welchen der klassische Straßencharakter fehlt und „fließender“ Verkehr nicht stattfindet nicht unmittelbar anwendbar. Allerdings erlange die Vorschrift mittelbare Bedeutung über das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO). Das heißt, derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärtsfährt muss sich so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Mitverschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz da für, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat. (BGH, a.a.O).

Für die Anwendung dieses Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden ist jedoch dann kein Raum, wenn zwar feststeht, dass dieser vor der Kollision rückwärtsgefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand. Dann fehlt nämlich die erforderliche Typizität des Geschehensablaufs. Es gibt nämlich keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach der Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug vor der Kollision auf dem Parkplatz zum Stillstand gebracht hat, die ihn treffenden Sorgfaltspflichten verletzt hat (BGH, a.a.O).

Die Zeugin D[…] hat ausgesagt, dass sie ihr Fahrzeug aus der Parktasche zurückgesetzt hatte und dann zum Stillstand gekommen war, um einen Kontrollblick zu machen als es zur Kollision gekommen sei. Der Kläger konnte insoweit keine Angaben machen, da er das Beklagtenfahrzeug vor der Kollision nicht bemerkt hatte. Der gerichtliche Sachverständige hat ausgehend von dem Schadensbild am Beklagtenfahrzeug an der hinteren rechten Längsseite zwischen dem Hinterrad und dem Fahrzeugheck festgestellt, dass die Zeugin D[…] zum Zeitpunkt der Kollision gestanden sein kann, oder allenfalls noch eine minimalste Restgeschwindigkeit innegehabt haben könnte.

Dem schließt sich das Gericht nach erneut kritischer Würdigung an.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass die Zeugin D[…] vor dem Kollisionszeitpunkt rückwärtsgefahren ist. Es konnte aber nicht festgestellt werden, dass sich das Fahrzeug der Zeugin D[…] im Kollisionszeitpunkt noch in der Rückwärtsfahrt und damit in Bewegung befand.

(2) Gleichwohl konnte ein schuldhafter Verstoß der Zeugin D[…] gegen die sie nach § 1 Abs. 2 StVO treffende Pflicht festgestellt werden.

Nach § 1 Abs. 2 StVO hat sich derjenige, der am Verkehr teilnimmt, so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Durch den darin enthaltenen Grundsatz der doppelten Sicherung soll erreicht werden, dass bei gefährlichen Verkehrsvorgängen jeder zur Verhütung von Schaden beitragen muss, so dass der infolge des Fehlers des einen drohende Unfall noch verhütet wird, wenn der andere die ihm gebotene Vorsicht beachtet. Obwohl es zur Vermeidung eines Unfalles ausreichen würde, wenn nur einer der beiden Beteiligten die ihm möglichen Sicherungsvorkehrungen trifft, sind beide unabhängig voneinander zu solchen Vorkehrungen verpflichtet.

Auch der vorschriftsmäßig Fahrende ist von dem Augenblick an zur Unfallverhütung verpflichtet, in dem er erkennt oder erkennen muss, dass ein anderer durch vorschriftswidrige Fahrweise die Gefahr eines Unfalls herbeiführt. Er darf dann nicht auf sein Recht pochen, sondern muss seinerseits das Möglichste tun, die Gefahr abzuwenden (vgl. Burmann/Fieß/Flühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVO § 1 Rn. 22 f. m.N. aus der Rspr.).

Vorliegend ist das Gericht davon überzeugt, dass die Zeugin D[…] den Einparkvorgang des Klägers rechtzeitig hätte wahrnehmen und darauf reagieren können, wenn sie sich in einem ausreichenden Maße auch nach rechts orientiert hätte.

Die Zeugin hat nämlich ihren Pkw (zu weit) zurückgesetzt und dabei nicht auf den sich nähernden Pkw des Klägers geachtet.

Andernfalls hätte sie ihr Fahrzeug rechtzeitig anhalten können, wie der gerichtliche Sachverständige festgestellt hat (dazu oben). Eine sorgsame Orientierung nach rechts wäre auch von der Zeugin zu verlangen gewesen.

cc) Schließlich ist in die Abwägung ist auf Seiten des Klägers die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs und der gefahrerhöhende Umstand, dass dieser, wie die Beklagtenseite bewiesen hat, ebenfalls schuldhaft gegen die ihn nach § 1 Abs. 2 StVO treffende Pflicht verstoßen hat.

Die Pflicht aus § 1 Abs. 2 StVO (dazu oben) gilt im gleichen Maße auch für den Kläger.

Dabei ist zu beachten, dass auch der sich auf einem Parkplatz in der Fahrgasse befindliche Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen muss, dass rückwärtsfahrende bzw. ein- und ausparkende Fahrzeuge seinen Verkehrsfluss stören. Es gibt keinen Vertrauensgrundsatz derart, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein rückwärtsfahrendes Fahrzeug gestört wird.

Vorliegend ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger den Ausparkvorgang der Zeugin D[…] rechtzeitig hätte wahrnehmen und darauf durch Anhalten hätte reagieren können, wenn er sich in einem ausreichenden Maße auch nach rechts orientiert hätte. Denn die Zeugin hatte nämlich zum Kollisionszeitpunkt bereits eine Rückfahrstrecke von 2,6-2,7 Meter zurückgelegt und wäre dabei nach dem oben gesagten ohne Weiteres für den Kläger erkennbar gewesen. Hätte er sich ausreichend nach rechts orientiert, hätte er das Klägerfahrzeug rechtzeitig anhalten können, wie der gerichtliche Sachverständige festgestellt hat (dazu oben). Eine sorgsame Orientierung nach rechts wäre auch von dem Kläger zu verlangen gewesen.

Die Gesamtabwägung der unstreitigen und bewiesenen beiderseitigen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge ergibt eine Haftungsverteilung von 50 % zu 50 %. Die festgestellten Verstöße der Zeugin D[…] bzw. des Klägers gegen die Vorschrift des § 1 Abs. 2 StVO und deren jeweilige Betriebsgefahr stehen sich gegenüber. Trotz der an sich jedenfalls vor der Kollision erfolgten Rückwärtsfahrt der Zeugin D[…] erachtet das Gericht in Anbetracht der bereits relativ weiten, zurückgelegten Strecke Richtung Fahrgasse eine Haftungsverteilung von 50-50 für angemessen.

Diese Haftungsquote kommt auch zur Anwendung, soweit der Kläger Ansprüche des das Fahrzeug nicht haltenden Sicherungseigentümers (Leasinggebers) prozessstandschaftlich geltend macht. Denn aufgrund des feststehenden Verschuldens des Klägers erfolgt über § 9 StVG, § 254 BGB auch eine Zurechnung des Verschuldens und der Betriebsgefahr des vom Sicherungsgeber (Leasingnehmer) gehaltenen Fahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 07. März 2017 – VI ZR 125/16, NJW 2017, 2354).

3. Die klägerseits geltend gemachten Schadenspositionen i.H.v. 327,80 € für Sachverständigengebühren, i.H.v. 100 € für die Wertminderung des Fahrzeugs sowie die Unfallkostenpauschale i.H.v. 12,50 € sind unstreitig.

4. Hinsichtlich der geltend gemachten Netto-Reparaturkosten kann der Kläger Zahlung von 2.160,79 € (statt geltend gemachter 2.203,13 €) an die […] Bank verlangen.

a) Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, welchen sich das Gericht nach kritischer Würdigung anschließt, sind die Positionen Kleinteilezuschlag (48,36 €) und Vorbereitungsarbeiten zur Abdeckung von Kunststoffteilen (2 AW auf Lohn- und Materialkosten) (36,31 €) nicht erforderlich. Denn zum einen weist die Kalkulation bereits alle Kleinteile, die für die Instandsetzung notwendig sind bereits bei den Teilepreisen aus, sodass ein Zuschlag von 2 % für die Kleinteile nicht mehr anfällt. Zum anderen werden die Kunststoffteile im ausgebauten Zustand lackiert, sodass die Position nicht anfällt.

b) Dementgegen sind die Positionen Zusatzaufwand Covid-19 (45,20 €), UPE-Aufschläge (219,82 €) und Verbringungskosten (96,50 €) erstattungsfähig.

aa) Der Zusatzaufwand für Covid-19 ist ersatzfähig. Denn im Zusammenhang mit der Reparatur anfallende Desinfektionskosten u.ä. sind als erforderlich anzusehen. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind solche Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig halten darf. Den erforderlichen Herstellungsaufwand kann der Geschädigte stets auch fiktiv auf Basis eines Sachverständigengutachtens berechnen. Die genannten Kosten sind im Sachverständigengutachten einkalkuliert. Dabei darf ein Geschädigter auch grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigte Arbeitsmaterial zur Schadensbeseitigung erforderlich sind. Im Übrigen, worauf es vorliegend entscheidungserheblich darauf ankommt, sind die als „Zusatzaufwand für Covid-19″ kalkulierten Kosten in Höhe von 45,20 € aus Sicht des Gerichts erforderlich und damit ersatzfähig. Denn es ist gerichtsbekannt, dass sämtliche Kontaktflächen vor und nach den Arbeiten aus Gründen des Infektionsschutzes desinfiziert werden müssen. Nach den Hinweisen des Robert-Koch-Instituts zur Übertragung durch kontaminierte Oberflächen ist eine sog. Kontaktübertragung nämlich „insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen (…). da vermehrungsfähige SARS-CoV-2-Viren unter laborbedingungen auf Flächen einige Zeit infektiös bleiben können“ (abrufbar unter: https;//www.rki.de/DE/Content/lnfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html:jsessionid=5ADA2265559ECEBE3990A891B52D82AC.internet062?nn=13490888#doc13776792bodyText2, Stand 07.06.2021).

Durch die genannten Maßnahmen entsteht ein erhöhter Personal- und Sachaufwand, welche die Werkstatt in Rechnung stellen kann. Es ist nicht ersichtlich, warum Werkstätten diese Mehraufwendungen tragen sollten. Die Ersatzfähigkeit ist auch im vorliegenden Fall sog. der fiktiven Abrechnung zu bejahen, da bis auf Weiteres (ein Ende der Pandemie ist nicht absehbar) davon auszugehen ist, dass Desinfektionsmaßnahmen weiterhin durchgeführt werden und diese Kosten daher anfallen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Kögel, von dessen Sachkunde das Gericht überzeugt ist, ist der Betrag von 45,20 € angemessen.

bb) Eine Ersatzfähigkeit der geltend gemachten UPE-Aufschläge besteht ebenfalls. Diese sind grundsätzlich, dann ersatzfähig, sofern diese bei den Fachwerkstätten in der relevanten Region anfallen (OLG Düsseldorf, OLG Düsseldorf (1. Zivilsenat), Urteil vom 16. Juni 2008 – 1 U 246/07, BeckRS 2008, 12379 m.w.N.). Dies ist in der hier maßgebenden Region der Fall. Der gerichtliche Sachverständige, von dessen Sachkunde das Gericht überzeugt ist, hat sich hinsichtlich der streitigen UPE-Aufschläge dahingehend geäußert, dass ein Ersatzteilpreisaufschlag von 10 % bis teilweise 15 % ortsüblich sei. Die veranschlagten 10 % sind daher nicht zu beanstanden.

cc) Gleiches gilt für die bestrittenen Verbringungskosten. Auch wenn hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Verbringungskosten unterschiedliche Ansichten in Rechtsprechung und Literatur vertreten werden, so müssen diese jedenfalls dann als „erforderlich“ angesehen werden, wenn für den Geschädigten an seinem Wohnort nicht die Möglichkeit besteht, die Reparatur in einer Fachwerkstatt mit eigener Lackiererei durchführen zu lassen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. Juni 2001 -1 U 126/00, NZV 2002, 87 m.w.N.). So verhält es sich auch hier. So verhält es sich auch hier. Nach den Feststellungen des Sachverständigen verfügen die meisten Werkstätten nicht über eine eigene Lackiererei, sodass Verbringungskosten anfallen und in Rechnung gestellt werden. Da das Autohaus […] – die Sachverständigenkalkulation zugrunde gelegt – über keine eigene Lackiererei verfügt, würden diese auch ganz konkret dort entstehen. Eine konkrete Alternativwerkstatt am Wohnort des Geschädigten, welche über eine eigene Lackerieri verfügt, hat die Beklagte nicht benannt.

5. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Zinsen ergibt sich aus Verzugsgesichts punkten, §§ 288 Abs. 1, 286 BGB.

6. Ein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht aus dem berechtigten Gegenstandswert von insgesamt 2.601,09 € in Höhe von 150,65 € (1,3 Geschäftsgebühr, nach Anrechnung).

II. Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

1. Ein Feststellungsinteresse des Klägers liegt vor. Ein solches ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH, Urteil vom 19. November 2014 – VIII ZR 79/14, NJW 2015, 873 Rn. 29). Dies ist bei einer wie hier vorliegenden positiven Feststellungsklage in der Regel gegeben, wenn der Gegner das Recht des Anspruchstellers ernsthaft bestreitet (BGH, Urteil vom 07. Februar 1986 – V ZR 201/84, NJW 1986, 2507). Dieses Bestreiten ist hier bereits aufgrund der Ablehnung der Beklagten zu sehen, Schadensersatz an den Kläger zu leisten.

2. Zudem ist ein Interesse an der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines Rechtsguts zu bejahen, wenn die Möglichkeit besteht, dass solche Schäden eintreten. Nur wenn aus Sicht des Anspruchsteilers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen, kann das Feststellungsinteresse verneint werden (BGH, Beschluss vom 09. Januar 2007 – Vi ZR 133/06, NJW-RR 2007, 601, Rn. 5; BGH, Beschluss vom 25. August 2015, BeckRS 2016, 16406 Rn. 7).

3. Hier ist davon auszugehen, dass bei Durchführung der Reparatur nicht nur die Mehrwertsteuer anfallen wird, sondern auch zusätzliche Kosten in Form von Mietwagenkosten bzw. Nutzungsausfall entstehen werden. Das klägerseits insoweit angegebene Interesse i.H.v. 585,09 € ist unstreitig.

III. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.“

AG Wolfach, Urteil vom 8.6.2021 – 1 C 2/21

Haftungsverteilung bei Unfall auf Parkplatz mit einem rückwärts ausparkenden Fahrzeug

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 18.12.2013 – 20 C 1011/12) haftet bei einem Verkehrsunfall auf einem Parkplatz mit einem rückwärts ausparkenden Fahrzeug das rückwärts fahrende Fahrzeug zu 80% und das vorbeifahrende Fahrzeug zu 20 %.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

„IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

  1. […] L[…]

– Kläger u. Widerbeklagter –

  1. [V]ersicherung […]

– Drittwiderbeklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, Gz.: […]

gegen

  1. […] Tausend, […]

– Beklagter u. Widerkläger –

  1. […] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen durch

Richter am Amtsgericht […] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2013

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 335,24 € nebst 4 Prozent Jahreszinsen aus 330,24 € vom 15.08.2012 – 24.09.2012 sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 335,24 € ab dem 25.09.2012 und vorgerichtliche nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten i.H.v 48,73 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03.12.2012 zu zahlen.
  2. Der Kläger und die Drittwiderbeklagte werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Beklagten zu 1) 1.414,54 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2013 zu zahlen und den Beklagten zu 1) von der Bezahlung der Rechnung der Firma […] GmbH vom 28.11.2012, Rechnungs-Nr.: 4000801760, i.H.v. 184,03 € freizustellen.
  3. Die weitergehende Klage und die weitergehende Widerklage werden abgewiesen.
  4. Die Gerichtskosten tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zu 47 %, der Kläger allein zu weiteren 15 %, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu weiteren 10 % und der Beklagtezu 1) allein zu weiteren 28 %.

Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die beiden Beklagten als Gesamtschuldner 16 %, der Beklagte zu 1) allein weitere 22%. Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 54 %, der Kläger allein 9 %. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt der Kläger 60%. Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt der Beklagte zu 1) 37 %.

Im Übrigen findet eine Kostenausgleichung nichtstatt.

  1. Das Urteil ist für den Bekl. zu ) gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  2. Der Streitwert der Klage wird mit 838,14 €, der Streitwert der Widerklage mit 2.526,97 €, der Streitwert des Rechtsstreits insgesamt mit 3.365,11 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die haftungsrechtlichen Folgen eines Verkehrsunfalls, der sich am 14.08.2012, gegen 16.15 Uhr, auf dem Parkplatz im Einkaufspark […] ereignet hat. Der Kläger hatte seinen Pkw Audi mit dem amtlichen Kennzeichen […] vor dem Elektronikgeschäft […] abgestellt und wollte rückwärts fahrend wieder ausparken, um das Gelände zu verlassen. Der Beklagte zu 1) befuhr zeitgleich mit dem Pkw Mazda, amtliches Kennzeichen […] auf der Parkstraße, die quer zur Parkfläche angelegt ist, auf der der Kläger seinen Pkw Audi abgestellt hatte. Beim Ausparken kollidierte der Kläger mit dem Pkw Mazda des Beklagten zu 1). An beiden Fahrzeugen entstand durch die Kollision Sachschaden. Der Pkw Audi ist bei der Drittwiderbeklagten, der Pkw Mazda bei der Beklagten zu 2) pflichtversichert.

Vorgerichtlich machte der Kläger gegenüber den Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls Reparaturkosten i.H.v. 1.651,20 € netto nach dem Kostenvoranschlag der Firma […] vom 17.08.2012 und eine Unkostenpauschale i.H.v. 25,00 € erfolglos geltend. Der Beklagte zu 1) machte gegenüber dem Kläger und der Drittwiderbeklagten vorgerichtlich Reparaturkosten gemäß Rechnung der Firma […] vom 04.09.2012 i.H.v. 3.616,48 €, Nutzungsausfall von täglich 43,00 € für 9 Tage, also 387,00 € und eine Unkostenpauschale von 25,00 € geltend und verlangte die Freistellung von den Gutachterkosten der Firma […] vom 21.08.2012 i.H.v. 613,45 €. Die Drittwiderbeklagte zahlte auf die Reparaturkosten 1.808,24 € und weitere 306,73 € an die Firma […]. Weitere Zahlungen lehnte sie ab.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger 50 % des ihm unfallbedingtentstandenen Schadens sowie die ihm vorgerichtlich entstandenen und nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten. Hierzu trägt er vor, dass er bereits zu 2/3 aus der Parktasche herausgefahren sei und gestanden habe, als der Beklagte zu 1) mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Parkstraße gefahren sei, so dass er nicht mehr rechtzeitig habe bremsen können.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerich zu verurteilen, an ihn 838,14 € nebst Zinsen i.H.v. 4 Prozent aus 825,64 € für die Zeit vom 15.08. – 24.09.2012 sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 838,14 € seit dem 25.09.2012 und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 70,39 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 1) beantragt darüber hinaus widerklagend,

den Kläger und die Drittwiderbeklagte zu verurteilen, gesamtschuldnerisch einen Betrag i.H.v. 2.220,24 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an ihn zu zahlen und ihn in Höhe eines Betrages von 306,73 € von der Zahlung der Kosten für die Schadensbegutachtung gemäß Rechnung der Firma […] vom 21.08.2012 freizustellen.

Der Kläger und die Drittwiderbeklagte beantragen,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, dass der Beklagte zu 1) an der Parktasche, in der der Pkw Audi des Klägers gestanden habe, vorbeifahren wollte. Als er sich etwa in Höhe dieser Parktasche befunden habe, sei der Kläger mit dem Pkw Audi unerwartet und plötzlich aus der Parktasche rückwärts herausgefahren. Er, der Beklagte zu 1), habe dabei keinerlei Möglichkeit gehabt, unfallvermeidend zu reagieren. Deswegen verlange er mit der Widerklage den ihm entstandenen Schaden in voller Höhe, und zwar unter Berücksichtigung der vorgerichtlichen Zahlungen der Drittwiderbeklagten einen noch offenen Betrag von 1.808,24 € an noch offenen Reparaturkosten, 387,00 € Nutzungsausfall für 9 Tage und 25,00 € pauschale Unkosten. Ferner verlange er die Freistellung von der Forderung der Firma […] für die Schadensbegutachtung i.H.v. 306,73 €.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätzeverwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens eines technischen Sachverständigen. Auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. […] vom 05.09.2013, Blatt 101 -134 dA, wird Bezug genommen. Den Inhalt und das Er gebnis des Gutachtens hat das Gericht in der Verhandlung vom 04.12.2013 mit den Parteivertretern erörtert.

Entscheidungsgründe:

Klage und Widerklage sind zulässig.

Die Klage ist nur zu einem geringen Anteil begründet. Die Widerklage ist überwiegend begründet. Nach Auffassung des Gerichts sind die Unfallfolgen mit einer Haftungsquote von 80 zu 20 zu Lasten des Klägers zu regulieren (§§ 7, 17 StVG, 823, 249 BGB, 115 WG). Dabei ergibt sich für das Gericht der tatsächliche Hergang des Unfalls vom 14.08.2012 aus dem unfallanalytischen Gutachten des technischen Sachverständigen. Der technische Sachverständige hat dabei festgestellt, dass sich der Beklagte zu 1) mit dem Pkw Mazda dem späteren Unfallort nicht mit überhöhter Geschwindigkeit, sondern mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/h angenähert hat. Zeitgleich ist der Kläger rückwärts aus der Parklücke herausgefahren. Nach den technischen Berechnungen des Sachverständigen befand sich der Pkw Mazda des Beklagten zu 1) in einem Abstand von 1,24 m vor dem Pkw Audi, als dieser aus der Parktasche rückwärts herausfuhr und dabei eine Reaktionsaufforderung für den Beklagten zu 1) darstellte. Nach den Feststellungen des Sachverständigen hätte der Beklagte zu 1) mit einer Geschwindigkeit von 4 – 5 km/h fahren müssen, um die Kollision räumlich noch zu vermeiden. Nicht bestätigt hat der Sachverständige also die Darstellung des Klägers vom Unfallverlauf, der zur Folge der Kläger mit dem Pkw Audi bereits zu 2/3 der Fahrzeuglänge aus der Parktasche herausgefahren sein und gestanden haben soll, als es zur Kollision mit dem Pkw Mazda des Beklagten zu 1) gekommen ist. Nach den Feststellungen des Sachverständigen setzte der Kläger mit dem Pkw Audi vielmehr zum Verlassen der Parktasche an, als sich der Beklagte zu 1) mit dem Pkw Mazda in einem relativ geringen Abstand von 1,24 m vom herausfahren den Pkw Audi befand, wobei der Mazda keineswegs mit einer überhöhten Geschwindigkeit herannahte. Das Gericht folgt den überzeugenden, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten. Die Parteivertreter haben Einwände gegen den Inhalt des Gutachtens auch nicht erhoben.

Nach diesem festgestellten Sachverhalt war für das Gericht aus rechtlicher Sicht nur noch die Frage zu beantworten, ob dem Beklagten zu 1) aufgrund der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr eine Mithaftung trifft. Dies war im Ergebnis zu bejahen. Dabei ist das Gerieht zunächst davon ausgegangen, dass es dem Beklagten zu 1) nicht gelungen ist, den Nachweis der Unabwendbarkeit (§ 7 StVG) zu erbringen. Ein unabwendbares Ereignis setzt nämlich voraus, dass der Unfall auch bei Einhaltung der äußerst möglichen Sorgfalt durch einen Idealfahrer nicht abgewendet werden kann. Als sogenannter Idealfahrer hat sich der Beklagte zu 1) nach des Feststellungen des Sachverständigen indes nicht verhalten. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen wäre der Unfall – wenn auch bei sehr geringer Geschwindigkeit des Pkw Mazda – noch vermeidbar gewesen. Ebenso wenig gelangt das Gericht zu der Beurteilung, dass das Verschulden des Klägers die Betriebsgefahr, die vom Fahrzeug des Beklagten zu 1) ausgeht, verdrängt. Dabei geht das Gericht mit der überwiegenden Meinung davon aus, dass § 9 V StVO auf Parkplätzen jedenfalls unmittelbar keine Anwendung findet, sondern hier vielmehr § 2 StVG anzuwenden ist. Denn § 9 V StVO dient dem Schutz des fließenden Verkehrs. Demgegenüber findet auf Parkplätzen der fließende Verkehr eben nicht statt. Teilweise wird angenommen, dass § 9 V StVO auf solchen Parkplätzen, die“Straßencharakter“ haben, analog anwendbarsei. Dabei wird der „Straßencharakter“ eines Parkplatzes dann angenommen, wenn die Parkstraßen so breit sind, dass 2 Fahrzeuge problemlos nebeneinanderfahren können. Ob dies beim streitgegenständlichen Parkplatz […] der Fall ist, kann dahinstehen. Denn nach Auffassung des Gerichts kann auch die analoge Anwendung des § 9 VStVO nicht zueiner schematischen Übernahme der aus dieser Vorschrift abgeleiteten Haftungsregelung führen. Auch bei breit angelegten Parkplätzen muss der Fahrer auf Parkstraßen innerhalb des Parkplatzes damit rechnen, dass andere Fahrzeuge ein- bzw. ausparken oder rangieren. Von einem fließenden Verkehr kann er nicht ausgehen. Aufgrund dieser Erwägung geht das Gericht daher davon aus, dass ein Zurücktreten der Betriebsgefahr auf Parkplätzen nur ausnahmsweise in Betracht kommt, nämlich dann, wenn das Verschulden des rückwärts aus einer Parktasche ausfahrenden Kraftfahrers durch besondere Umstände erschwert ist (so etwa LG Saarbrücken, Urteil v. 27.05.2011, Az: 13S 25/11). Solche Umstände vermochte das Gericht im vorliegenden Streitfall allerdings nicht festzustellen. Den Kläger traf zwar, weil er rückwärts gefahren ist, eine vergleichsweise höhere Sorgfaltspflicht als den Beklagten zu1), der vorwärts gefahren ist. Deswegen wiegt auch der Verkehrsverstoß des Klägers schwer. Dass das Verschulden des Klägers besonders schwer wiegt, so dass ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) angezeigt wäre, vermochte das Gericht allerdings nicht festzustellen. Es hat daher bei der Abwägung nach §17 StVG eine Mithaftungsquote des Beklagten zu 1) i.H.v. 20 %angenommen.

Der Höhe nach kann derKläger von den geltend gemachten veranschlagten Reparaturkosten i.H.v. 1.651,20 € und der Unkostenpauschale von 25,00 € 20 %, also 335,24 € von den Beklagten verlangen. Dabei hat der Gutachter festgestellt, dass die vom Kläger verlangten Reparaturkosten angemessen und ortsüblich sind und insbesondere den Wiederbeschaffungswert nicht um 130 % überschreiten.

Der Höhe nach kann der Beklagte 80 % der Reparaturkosten von 3.616,48 €, des klägerseits nicht angegriffenen Nutzungsausfalls von 387,00 € und der Unkostenpauschale von 25,00 € verlangen. Dies ergibt 3.222,78 €. Abzüglich vorgerichtlich gezahlter 1.808,24 € kann der Beklagte zu 1) noch 1.414,54 €verlangen. Ferner kann er – ebenfalls unter Berücksichtigung vorgerichtlicher Zahlungen – die Freistellung von den Gutachterkosten i.H.v. noch 184,03 € verlangen ( 80 % von 613,45€ abzgl. 306,73€).

Verzugszinsen können die Parteien nach § 286 [BGB] verlangen. Die vorgerichtlichen, nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten kann der Kläger von den Beklagten ebenfalls nach § 286 BGB verlangen, da Rechtsverfolgungskosten zum Verzugsschaden gehören.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 100 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 713, 709 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 18.12.2013 – 20 C 1011/12