Blinken reicht nicht: Gericht stellt volle Haftung des Abbiegenden fest

Das Landgericht Görlitz Außenkammer Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23) hat in einem Urteil klargestellt, dass ein abbiegender, wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer die volle Haftung für einen Unfall trägt, selbst wenn der vorfahrtsberechtigte Fahrer den Blinker gesetzt hat. Im zugrunde liegenden Fall fuhr der Kläger auf einer Vorfahrtsstraße und signalisierte durch (unbewusstes) Blinken ein Abbiegen, setzte dieses jedoch nicht um. Die Unfallgegnerin, die abbiegen wollte, vertraute auf das Blinken und verursachte einen Unfall. Das Gericht stellte fest, dass das Setzen des Blinkers allein nicht ausreichend ist, um dem Wartepflichtigen das Vertrauen auf eine sichere Abbiegeaktion zu gewähren. Entscheidend ist, dass der Vorfahrtsberechtigte eindeutig abbiegt oder abbremst, um eine entsprechende Vertrauensgrundlage zu schaffen. Der Wartepflichtige bleibt in der Verantwortung, die Vorfahrt zu beachten und darf nicht allein auf den Blinker vertrauen.

Dieses Urteil verdeutlicht, dass das Blinken nur ein Indiz für das Abbiegen ist und keine verbindliche Zusicherung darstellt. Der Wartepflichtige muss weiterhin sicherstellen, dass der Vorfahrtsberechtigte tatsächlich abbiegt, bevor er selbst abbiegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richter am Landgericht […] als Einzelrichter

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19.06.2024 am 24.07.2024

für Recht erkannt:

1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Görlitz – Außenkammern Bautzen – vom 02.11.2023 – Az. 6 O 65/23 – bleibt aufrechterhalten.

2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.

[…]

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 09.12.2022 gegen 9:45 Uhr in Anspruch.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Kia Venga […] in Bautzen die Stieberstraße Richtung Dr.-Peter-Jordan-Straße. Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs Ford Kuga […] befuhr die Goethestraße und wollte nach rechts in die Stieberstraße einbiegen. Beide Fahrzeuge kollidierten im Einmündungsbereich. Die Stieberstraße ist mit dem Verkehrsschild: „Vorfahrtsstraße“ ausgestattet. An der Einmündung der Goethestraße zur Stieberstraße steht das Verkehrsschild „Vorfahrt gewähren“.

Der Kläger behauptet, er sei auf der vorfahrtsberechtigten Straße gefahren. Soweit er aufgrund vorher abknickenden Vorfahrt seinen Blinker noch angehabt hätte, hätte dies die Fahrerin des Ford Kuga erkannt, aber nicht auf die Abbiegeabsicht vertrauen dürfen, da er keine Geschwindigkeitsverzögerung vorgenommen habe.

[…]

Die Beklagte behauptet, die Fahrerin des Ford Kuga habe sich mit dem von ihr gesteuerten
Fahrzeug der Kreuzung Goethestraße/ Stieberstraße genähert und sei bis zur Sichtlinie vorgefahren. In diesem Moment sei von links der Kläger mit seinem Fahrzeug mit eingeschaltetem rechten Fahrtrichtungsanzeiger gekommen. In der Erwartung, der Kläger würde in die Goethestraße einbiegen, sei die Fahrerin des Ford Kuga vorgefahren, um rechts abzubiegen. Völlig überraschend habe das klägerische Fahrzeug den Abbiegevorgang plötzlich abgebrochen, um dann geradeaus weiterzufahren.

Hinsichtlich des weitergehenden Vortrags der Parteien wird auf sämtliche wechselseitig eingereichte Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

[…]

Auf der Grundlage der klägerischen Anträge ist in der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023 ein Versäumnisurteil ergangen, gegen das die Beklagtenseite Einspruch eingelegt hatte.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist erfolglos und die Klage begründet. Das Versäumnisurteil war aufrecht zu erhalten.

[…]

Das Versäumnisurteil war aufrechtzuerhalten und die Klage abzuweisen, da der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe hat (§§ 7, 8, 17 StVG, 249 BGB 115 VVG).

Der Kläger befuhr die bevorrechtigte Straße. Das Vorfahrtsrecht des Klägers hat die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs missachtet. Sie konnte sich dabei nicht auf ein vertrauensbildendes Verhalten der Klägerseite berufen.

Da sich beide Fahrzeugführer nicht ideal verhalten haben, so dass der Unfall für beide Seiten nicht unvermeidbar war, sind die gegenseitigen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen.

Die Abwägung der beidseitigen Verursachungsbeiträge ergibt, dass die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs den Unfall allein verursacht hat und eine mögliche Betriebsgefahr des vorfahrtsberechtigten durch die Vorfahrtsverletzung zurücktritt.

Der Wartepflichtige hat die Vorfahrt des Berechtigten zu gewähren. Er muss sich entsprechend verhalten, so dass für den Vorfahrtsberechtigten klar ist, dass er die Vorfahrt beachten werde (§ 8 Abs. 2 StVO). Der Wartepflichtige darf nur dann in die Vorfahrtstraße einfahren, wenn er übersehen kann, dass er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Den Wartepflichtigen trifft insoweit eine gesteigerte Sorgfalt, die bedingt, dass er auch mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen muss und somit regelmäßig nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf (OLG Dresden, Beschluss vom 24. April 2014 – 7 U 1501/13 –, Rn. 7, m.w.N., juris)

Der Wartepflichtige darf nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt (OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2014 – 7 U 1876/13 –, Rn. 3, juris). Erforderlich ist, dass neben dem Blinken zumindest ein weiteres deutliches Anzeichen dafür gegeben ist, dass der Vorfahrtberechtigte tatsächlich vor dem Wartepflichtigen abbiegt.

Ein solches deutliches weiteres Anzeichen, dass der Kläger vor der Beklagtenseite abbiegen wird, ist nicht ersichtlich. Dies folgt auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, die ein weiteres Anzeichen für einen bevorstehenden Abbiegevorgang nicht behauptet. Die Mitteilung, dass der Abbiegevorgang abgebrochen ist, ist hierfür keine ausreichende Behauptung. Das Gericht sah sich nach der Einlassung des Klägers daher nicht gehalten, eine weitere Beweisaufnahme durchzuführen, da sie lediglich ein Ausforschungsbeweis zugunsten der Beklagtenseite darstellen würde. Eine solche Beweisführung ist unzulässig.

Dieses Ergebnis geht zu Lasten der Klägerseite, da der Wartepflichtige den Anschein der schuldhaften Vorfahrtsverletzung gegen sich hat (vgl. Hentschel/König/Dauer, Rn.: 68 zu § 8 StVO). Wie oben ausgeführt, konnte die Beklagtenseite diesen Anschein durch ihren Vortrag nicht erschüttern.

Über den Hilfsantrag hatte das Gericht nicht zu befinden, da eine Haftung der Beklagtenseite in voller Höhe festgestellt worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last, da sie im Prozess unterliegt. Die Kosten des Rechtsstreits fallen insgesamt der Beklagtenseite zur Last, unabhängig davon, ob sie zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit oder erst nach Rechtshängigkeit gezahlt hat.

In beiden Fällen hat sie die Kosten des Rechtsstreits nach den obigen Erwägungen zu tragen. Es macht insofern auch kein Unterschied, ob die Klage zurückgenommen ist oder für erledigt erklärt hat, da durch das Versäumnisurteil keine Kostenreduzierung durch die Klagerücknahme bzw. eine Erledigungserklärung stattgefunden hätte (§§ 91, 269 Abs. 3, S. 3 ZPO).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 u. 3 ZPO).

Die Wertfestsetzung des Streitgegenstandes ergibt sich aus der Höhe der jeweiligen Klageforderung (§§ 48 Abs. 1, 39 GKG, 3, 4 ZPO).“

LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23

BGH stärkt Geschädigte: Werkstattrisiko auf Sachverständigenkosten übertragen

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. März 2024 (Az. VI ZR 280/22) befasst sich mit der Übertragung der Grundsätze des Werkstattrisikos auf die Kosten von Kfz-Sachverständigen. Der VI. Zivilsenat hat entschieden, dass die Grundsätze, die für überhöhte Reparaturkosten in Werkstätten gelten, auch auf die Kostenansätze von Sachverständigen anwendbar sind, sofern kein Verschulden des Geschädigten vorliegt.

Das Werkstattrisiko besagt, dass überhöhte Kosten, die durch unsachgemäße oder unwirtschaftliche Arbeitsweise einer Werkstatt entstehen, vom Versicherer des Unfallverursachers zu tragen sind, wenn dem Geschädigten kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Diese Grundsätze wurden nun auf die Kosten von Sachverständigen übertragen.

Auch überhöhte Sachverständigenkosten müssen vom Versicherer getragen werden, sofern der Geschädigte kein Verschulden trifft. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Rechnung bereits vollständig bezahlt wurde oder nicht. Der Versicherer kann jedoch eventuelle Regressansprüche gegen den Sachverständigen vom Geschädigten abtreten lassen.

Das Urteil des BGH vom 12. März 2024 stärkt somit die Position der Geschädigten und trägt zur Rechtssicherheit bei, indem es klare Regeln für die Erstattung von Sachverständigenkosten aufstellt. Diese Regelung schützt die Geschädigten vor unberechtigten finanziellen Belastungen durch überhöhte Sachverständigenrechnungen und stellt sicher, dass der Versicherer des Unfallverursachers die Kosten im Verhältnis zum Geschädigten tragen muss. Gleichzeitig wird durch die Abtretung von Regressansprüchen eine Möglichkeit geschaffen, überhöhte Forderungen direkt beim Sachverständigen geltend zu machen. Diese Entscheidung ist besonders wichtig, da Geschädigte die tatsächlichen Kosten und deren Angemessenheit oft nicht ohne weiteres beurteilen können. Insgesamt stellt das Urteil einen wichtigen Beitrag zur Klärung der Haftungsfragen im Zusammenhang mit überhöhten Sachverständigenkosten dar und berücksichtigt sowohl den Schutz der Geschädigten als auch die Interessen der Versicherer.

Falls jedoch der Sachverständige aus abgetretenem Recht des Geschädigten seine Kosten geltend macht, ist eine vollständige Überprüfung der Kostenrechnung möglich.

Kreuzungsräumer: Rechtliche Bewertung von Kreuzungsunfällen: Die Rolle echter und unechter Nachzügler


In dem vom Landgericht Görlitz Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22) entschiedenen Fall ging es um die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall, bei dem die Unterscheidung zwischen einem „echten Nachzügler“ und einem „unechten Nachzügler“ zentral war. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass die Beklagtenseite als unechter Nachzügler agierte und somit nicht berechtigt war, in den Kreuzungsbereich einzufahren.

Ein echter Nachzügler ist ein Fahrzeugführer, der sich bereits im Kreuzungskern befindet, wenn die Ampel für den Querverkehr auf Grün schaltet. Diese Fahrer dürfen den Kreuzungsbereich vorrangig verlassen, um den Verkehrsfluss nicht zu stören. Im Gegensatz dazu befindet sich ein unechter Nachzügler außerhalb des Kreuzungskerns, wenn die Ampel umschaltet. Ein solcher Fahrer muss warten und hat kein Vorrangrecht.

Die Beklagte handelte fahrlässig, indem sie bei Rotlicht in die Kreuzung einfuhr, während die Ampel für die Klägerseite auf Grün geschaltet war. Diese Handlung führte zur Feststellung ihrer Haftung für den entstandenen Schaden. Das Gericht wies damit die Ansprüche der Klägerseite zu, indem es auf die Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten hinwies und entsprechend Schadenersatzforderungen zugunsten der Klägerin entschied.

Urteile zur Haftungsverteilung bei Unfällen mit echten und unechten Nachzüglern im Kreuzungsbereich.

Volle Haftung des unechten Nachzüglers:
 OLG Koblenz, Urteil vom 8.9.1997 – 12 U 1355/96; LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22; AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Haftungsverteilung bei echten Nachzüglern:
OLG Hamm, Urteil vom 26.8.2016 – 7 U 22/16

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch Richter am Landgericht […] als Einzelrichter im schriftlichen Verfahren am 30.04.2024

für Recht erkannt:

I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. an die Klägerin 725 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% aus für die Zeit vom 12.3.2022 bis zum 29.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 30.3.2022 zu zahlen,
2. die Klägerin gegenüber der Reparaturwerkstatt […] von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 3.238,60 € aus der Reparaturkostenrechnung […] freizustellen,
3. die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € aus der Rechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen,
4. an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 6.466,29 Euro auf die erstatteten Reparaturkosten der Reparaturwerkstatt Autohaus […] aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 zu zahlen,
5. an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 1.091,23 Euro auf die erstatteten Sachverständigenkosten des Kfz-Sachverständigenbüros […] aus der Rechnung […] vom 16.3.2022 zu zahlen,
6. die Klägerin gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 550,85 € freizustellen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Geldbetrages.

Streitwert: 12.241,07 EUR.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.

Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin des unfallbeteiligten PKW Kia. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten PKW Fiat.

Am 11.03.2022 gegen 11.25 Uhr kam es auf der Kreuzung Zeppelinstraße/Wilthener-Straße/B96 (Siemensstraße) in Bautzen zu dem Zusammenstoß der benannten Fahrzeuge.

Die Klägerin mit dem PKW Kia kam von der Siemensstraße (B96) und fuhr in Richtung Zeppelinstraße. Sie hielt zunächst an der in ihrer Fahrtrichtung auf „rot“ geschalteten Ampelanlage an. Als diese auf „grün“ umschaltete, fuhr sie weiter geradeaus.

Die Zeugin H[…] führte den PKW Fiat. Sie befuhr die Wilthener Straße stadtauswärts. An der benannten Kreuzung hielt sie bei Lichtzeichenanlage rot zunächst an. Bei grün fuhr sie zunächst über die Haltelinie, wobei zwischen den Parteien umstritten ist, ob und wie weit sie danach in den Kreuzungsbereich einfuhr. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes der Fahrzeuge war die Lichtzeichenanlage, die die Zeugin H[…] überquert hatte, bereits wieder auf rot gestellt.

Die Klägerin trägt vor, sie habe den PKW Fiat wahrgenommen, als dieser auf der Wilthener Straße auf der Fußgängerfurt stand. Danach habe sie den PKW Fiat erst wieder wahrgenommen, als es auf der Kreuzung zur Kollision kam, indem der PKW Fiat in die hintere linke Seite des PKW Kia gefahren sei.

Der Vollkaskoversicherer der Klägerin regulierte die klägerischen Schäden am Fahrzeug im Umfange von 6.466,29 €. Das Fahrzeug der Klägerin wurde begutachtet und inzwischen repariert in der Werkstatt Authohaus […].

Das klägerische Fahrzeug erlitt einen merkantilen Minderwert von 700 €. Die Gutachterkosten belaufen sich auf 1.091,23 €.

Die Klägerin trägt vor, die Kosten für die fachgerechte Reparatur beliefen sich auf 9.704,89 € brutto.

Unstreitig sind Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € angefallen.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt,

a.
an die Klägerin 725 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% aus für die Zeit vom 12.3.2022 bis zum 29.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 30.3.2022 zu zahlen.

b.
die Klägerin gegenüber der Reparaturwerkstatt Autohaus […] von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 3.238,60 € aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen.

c.
die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € aus der Rechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen.

d.
an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 6.466,29 Euro auf die erstatteten Reparaturkosten der Reparaturwerkstatt Autohaus […] aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 zu zahlen.

e.
an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 1.091,23 Euro auf die erstatteten Sachverständigenkosten des Kfz-Sachverständigenbüros […] aus der Rechnung […] vom 16.3.2022 zu zahlen.

f.
die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 550,85 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklage trägt vor, die Zeugin H[…] sei mit dem PKW Fiat bis in die Kreuzungsmitte gefahren, habe dort angehalten, um den Gegenverkehr durchzulassen. Dies habe eine ganze Weile gedauert. Dann sei die Klägerin mit ihrem Fahrzeug in den PKW Fiat hineingefahren.

Als echter Nachzügler habe der PKW Fiat Vorrang gehabt vor dem Fahrzeug der Klägerin, um die Kreuzung ordnungsgemäß räumen zu können. Die Beklagte haftete deshalb nicht für die Schäden der Klägerin.

Der Fahrzeugschaden der Klägerin belaufe sich auf – lediglich – 9.138,74 €. Wegen der Einwendungen im Einzelnen wird [die] Akte verwiesen.

Der Haftpflichtversicherer der Klägerin regulierte seinerseits vorgerichtlich die Schäden an dem PKW Fiat in Höhe von 1/3.

Die Halterin und Eigentümerin des PKW Fiat führte bei dem Amtsgericht Bautzen mit umgekehrten Vorzeichen einen Schadensersatzprozess gegen die hiesige Klägerin und deren Haftpflichtversicherer (Az.: 21 C 279/22). In dem amtsgerichtlichen Verfahren wurden die Unfallbeteiligten und Zeugen vernommen sowie ein unfallanalytisches Gutachten eingeholt. Die Verfahrensakte des Amtsgerichts wurde beigezogen. Nach Abschluss des amtsgerichtlichen Verfahrens erklärten sich die Verfahrensbeteiligten im vorliegenden landgerichtlichen Verfahren mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akte nebst schriftlichem Gutachten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat Anspruch auf materiellen Schadensersatz gegen die Beklagte wie tenoriert (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG, § 115 VVG).

Im Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht Bautzen, mit deren Verwertung sich die Parteien im hiesigen Verfahren (stillschweigend) einverstanden erklärt haben, ist festzustellen, dass die Zeugin H[…], die den PKW Fiat führte, in die Kreuzung einfuhr, obgleich für ihre Fahrtrichtung die Lichtzeichenanlage auf rot geschaltet war und die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün geschaltet war (§ 37 Abs. 2 StVO). Angesichts der unstreitig langen Wartezeit der Zeugin H[…], nachdem sie die Lichtzeichenanlage passierte (als diese noch für sie grün zeigte), um zunächst ihren Gegenverkehr durchzulassen, musste die Zeugin H[…] damit rechnen, dass inzwischen ihre Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben war und für sie die Lichtzeichenanlage wieder auf rot umgeschaltet hat. Hätte die Zeugin H[…] die erforderliche, äußerste Sorgfalt in dieser Verkehrssituation walten lassen, hätte sie erkannt, dass sie weiter hätte stehen bleiben müssen, um den bevorrechtigten Querverkehr durchzulassen. Die Zeugin H[…] trifft ein ganz überwiegendes Verschulden an dem Verkehrsunfall. Dadurch hat sich die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges so deutlich erhöht, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges dahinter völlig zurück tritt. Das hat zur Folge, dass die Beklagte für den gesamten unfallbedingten Schaden der Klägerin haftet.

Ein Mitverschulden der Klägerin, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges wiederum erhöht hätte, sodass auf Seiten der Klägerin ein Mithaftungsbeitrag verbliebe, konnte die Beklagte nicht nachweisen. Sie konnte insbesondere nicht nachweisen, dass die Zeugin H[…] mit dem PKW Fiat sich bereits im Kernbereich der Kreuzung befunden hätte, als die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün umschaltete, sodass die Zeugin H[…] als sogenannte echte Nachzüglerin gegenüber der Klägerin bevorrechtigt gewesen wäre, um die Kreuzung zu räumen.

Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Überlegungen:

Unstreitig ist es zunächst, dass die Klägerin in die Kreuzung einfuhr, als die Lichtzeichenanlage für sie auf grün umgesprungen war.

Mit dem unfallanalytischen Gutachten ist festzustellen, dass die Schilderung der Klägerin technisch nachvollziehbar ist, dass die Zeugin H[…] mit dem PKW Fiat zunächst auf der Fußgängerfurt, die die Wilthener Straße quert, stand und anschließend in den PKW Kia der Klägerin hineinfuhr und zwar in die linke Seite mit dem Schwergewicht auf dem hinteren Fahrzeugteil, als sie ihrerseits die Kreuzung geradeaus überquerte in Richtung Zeppelinstraße.
Mit dem Sachverständigen ist diese Unfallschilderung plausibel und aus technischer Sicht nachvollziehbar. Der Sachverständige konnte sicher feststellen, dass die Zeugin H[…] (entgegen deren Aussage) mit dem Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht stand, sondern dass sich dieses ebenfalls in Bewegung befand zum Zeitpunkt der Kollision. Dies ist zu begründen mit der Charakteristik der Beschädigungen an beiden Fahrzeugen, sowie der daraus ableitbaren Kollisionspositionen der beiden Fahrzeuge zueinander und der weiterhin herzustellenden Beziehung zu dem dokumentierten Splitterfeld auf der Kreuzung. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Mit dem Gutachten ist festzustellen, dass demgegenüber die Aussage der Zeugin H[…], sie habe auf der Mitte der Kreuzung gestanden (die genaue Position, die die Zeugin H[…] angab, ist ersichtlich aus Abbildung 24 des Gutachtens) unzutreffend ist. Vielmehr ist festzustellen, dass die Zeugin H[…] fahrend an dem Unfall beteiligt war.

Ausreichende Anknüpfungstatsachen dafür, mit Hilfe eines unfallanalytischen Gutachtens sicher festzustellen, wo die Zeugin H[…] begann, in die Kreuzung einzufahren bis zur Unfallstelle, liegen nicht vor. Damit kann die Beklagte auch nicht nachweisen, dass sich der PKW Fiat bereits im Kernbereich der Kreuzung befunden hätte, als die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün umschaltete und diese ihrerseits in die Kreuzung einfuhr.

Die geltend gemachten materiellen Schäden sind zwischen den Parteien unstreitig mit Ausnahme der erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten.

Die erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten werden geschätzt auf 9.704,89 €, wie von der Klägerin geltend gemacht (§ 287 Abs.1 ZPO).

Die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten für die Reparatur bei der Autohaus […] sind nur geringfügig höher als die aus dem Privatgutachten des Sachverständigen […] ausgewiesenen Reparaturkosten. Das Werkstattrisiko trägt der Schädiger.

Das heißt, wenn im Ergebnis der tatsächlich durchgeführten Reparatur die Reparaturkosten etwas höher ausfallen als sachverständig eingeschätzt, so ist das ein Umstand, den nicht der Geschädigte, sondern der Schädiger zu tagen hat. Der Kläger hat es auch nicht in der Hand, ob die Werkstatt zum Beispiel einzelne Fahrzeugteile zur Lackierung ausbaut oder ob die Werkstatt diese Wiederherstellung der Fahrzeugfarbe, des Fahrzeuglacks im eingebauten Zustand der Bauteile vornimmt. Gleiches gilt für die Frage, ob eine Werkstatt einen besonderen Desinfektionsaufwand vornimmt oder nicht und in welchem Umfange.
Die in solchem Zusammenhang entstehenden Preisunterschiede von Werkstatt zu Werkstatt liegen im Risikobereich des Schädigers. Im Übrigen wäre die Beweisaufnahme durch Einholung eines weiteren Schadensgutachtens unverhältnismäßig angesichts einer Differenz in der Schadensvorstellung zwischen den Parteien von lediglich rund 550,00 €.

III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO, § 48 Abs.1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.“

LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22

Beitragsbild: fiktives, mit DALL·E 3 erstelltes Bild

Rechtsprechung zum Werkstattrisiko: BGH stärkt Rechte der Unfallgeschädigten

In einer Reihe von Entscheidungen zum sogenannten Werkstattrisiko hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Unfallverursacher grundsätzlich die gesamte Werkstattrechnung nach einem Verkehrsunfall erstatten müssen, auch wenn diese möglicherweise überhöht ist. Der BGH führte hierzu aus, dass der Geschädigte, der in der Regel kein Fachwissen hat, um den Schaden und die dafür anfallenden Kosten zu beurteilen, die gesamten Reparaturkosten von der Versicherung des Unfallverursachers erstattet bekommen kann. Dies gilt selbst dann, wenn Teile der Reparatur möglicherweise nicht durchgeführt wurden, aber auf der Rechnung stehen.

Insoweit verbleibt der Versicherung des Unfallverursachers die Möglichkeit selbst von der Reparaturwerkstatt die Kosten für überhöhte oder nicht erforderliche oder erfolgte Reparaturmaßnahmen zurückzufordern.

Allerdings soll dies nicht zu einer Bereicherung des Geschädigten führen. Daher darf er, falls er die Rechnung noch nicht bezahlt hat, nur Zahlung direkt an die Werkstatt, nicht aber an sich selbst verlangen.

  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 38/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 239/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 253/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 266/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 51/23

Differenzierung zwischen echtem und unechtem Nachzügler bei einem Verkehrsunfall auf einer Kreuzung

In den Entscheidungsgründen des Urteils des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22) wird der Begriff des „echten Nachzüglers“ und des „unechten Nachzüglers“ im Kontext eines Kreuzungsbereichs erläutert. Diese Begriffe sind relevant für die Frage, welche Verkehrsteilnehmer in einer Kreuzung Vorrang haben, insbesondere wenn die Lichtzeichenanlage (Ampel) ihre Phase wechselt.

Ein echter Nachzügler ist ein Fahrer, der sich bereits im eigentlichen Kreuzungskern befindet, wenn der Querverkehr durch die Lichtzeichenanlage freie Fahrt erhält. In solchen Fällen wäre der Verkehrsfluss erheblich gestört, wenn dem echten Nachzügler nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu räumen. Der echte Nachzügler hat also das Recht, den Kreuzungsbereich vor dem Querverkehr zu verlassen.

Im Gegensatz dazu ist ein unechter Nachzügler ein Fahrer, der sich außerhalb des eigentlichen Kreuzungskerns befindet, wenn der Querverkehr grünes Licht erhält. In diesem Fall hat der unechte Nachzügler keine Vorfahrt und ist gegenüber dem Querverkehr wartepflichtig.

Der Unterschied liegt also primär in der Position des Fahrzeugs im Moment des Phasenwechsels der Ampel. Ein echter Nachzügler, der sich bereits im Kreuzungskern befindet, hat das Recht, die Kreuzung vor dem Querverkehr zu räumen. Ein unechter Nachzügler hingegen, der sich außerhalb des Kreuzungskerns befindet, muss dem Querverkehr Vorrang gewähren.

Diese Unterscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die Haftungsfrage im Falle eines Unfalls. In der vorliegenden Entscheidung konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass sie ein echter Nachzügler war, und hat daher ihre Vorfahrtsrechte verwirkt, was zu einer weit überwiegenden Haftung für den Unfall führte.

Urteile zur Haftungsverteilung bei Unfällen mit echten und unechten Nachzüglern im Kreuzungsbereich.

Volle Haftung des unechten Nachzüglers:
 OLG Koblenz, Urteil vom 8.9.1997 – 12 U 1355/96; LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22; AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Haftungsverteilung bei echten Nachzüglern:
OLG Hamm, Urteil vom 26.8.2016 – 7 U 22/16

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

gegen

1. […]

– Beklagte –

2. […] versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 28.09.2023 eingereicht werden konnten, am 19.10.2023

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 4.807,19 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 11.03.2022 gegen 11:25 Uhr in Bautzen, Kreuzung Zeppelinstraße/ Wilthener Straße geltend.

Unfallbeteiligt waren der PKW-Kia Ceed […] und der PKW-Fiat Panda […]. Die Klägerin, welche ein Hauskrankenpflege betreibt, war zum Unfallzeitpunkt Halterin und Eigentümerin des PKW-Fiat, der von der Zeugin H[…] gefahren wurde. Die Beklagte zu 1) war Fahrerin des PKW-Kia, welcher bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Die Zeugin H[…] befuhr zum Unfallzeltpunkt mit dem klägerischen Fahrzeug die Wilthener Straße in stadtauswärtiger Fahrtrichtung. An der Kreuzung wollte sie nach links in die Zeppelinstraße abbiegen. Die Beklagte zu 1) befuhr mit dem Beklagtenfahrzeug die Siemensstraße in Fahrtrichtung Zeppelinstraße und musste zunächst an der dortigen roten Ampel halten. Bei Grünlicht fuhr sie in den Kreuzungsbereich ein, wo es zur Kollision und Beschädigung beider Fahrzeuge kam.

Die Beklagte zu 2 hat die Schäden der Klägerin zu 1/3 ausgehend von einer Verursachungsquote von 2/3 zu Lasten der Klägerin ausgeglichen. Den restlichen Schaden macht die Klägerin mit der vorliegenden Klage geltend.

Sie behauptet, die Zeugin H[…] sie bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren, habe aber dort verkehrsbedingt anhalten müssen, um dem Gegenverkehr den Vorrang einzuräumen. Die Beklagte zu 1 sei ebenfalls bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren, aber ohne auf die sich noch im Kreuzungsbereich befindliche Zeugin H[…] zu achten, wodurch es zur Kollision gekommen sei.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 4.807,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.05.2022 zu zahlen;
sowie die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 439,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.05.2022 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Zeugin H[…] sei der Beklagten schon an der Ampel aufgefallen, weil sie ohne ersichtlichen Grund zum Teil innerhalb der Fußgängerfurt auf der Fahrspur der Klägerin gestanden hätte. Weitere Fahrzeuge hätten nicht davor gestanden. Während die Beklagte zu 1 bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren sei, sei die Zeugin H[…] bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren, wodurch es zum Unfall gekommen sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H[…], L[…] und G[…] sowie durch Einholung eines schriftlichen verkehrsanalytischen Sachverständigengutachtens […]. […]

Das Gericht hat im Einverständnis mit den Parteien gemäß des Beschlusses vom 05.09.2023 […] im schriftlichen Verfahren […] entschieden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG oder einer anderen Anspruchsgrundlage.

1.
Die grundsätzliche Haftung der Parteien hinsichtlich des Verkehrsunfalls ergibt sich für die Klägerin aus der Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG, für die Beklagte zu 1) aus der Fahrerhaftung gem. §§ 18, 7 StVG und für die Beklagte zu 2) aus § 115 VVG. Der Unfall ereignete sich beim Betrieb der Fahrzeuge.

2.
Der Unfall stellte für beide Beteiligten kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. StVG dar. Unabwendbar gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist nur ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt – nämlich durch ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den persönlichen Maßstab hinaus – nicht abgewendet werden kann (vgl. BGH NZV 2005, 305). Dies erfordert die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrmomente einschließlich erheblicher fremder Fehler (vgl. OLG Gelle Urteil vom 28.03.2012 – 14 U 156/11). Weder die Zeugin H[…] als Fahrerin des Klägerfahrzeuges, noch die Beklagte zu 1 als Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges haben sich vorliegend wie ein sog. „Idealfahrer“ verhalten. Sie hätten nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Schneider, denen sich das Gericht nach Inaugenscheinnahme der Lichtbilder von der Unfallkreuzung anschließt, das jeweils andere Fahrzeug vor der Kollision sehen können und hätten vorausschauend handeln müssen.

3.
Steht somit die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Neben der Verursachung ist auch der Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten beider Schadensverteilung zu berücksichtigen. Bei der Abwägung der für den Unfall ursächlichen Umstände können nur die zugestandenen oder nachgewiesenen Tatsachen berücksichtigt werden (vgl. BGH Urteil vom 27.06.2000 – VI ZR 126/99 m.w.N.). Nimmt der Verursachungsanteil oder das Verschulden einer Partei ein derart hohes Maß an, dass dahinter die Mitursächlichkeit der anderen Partei nicht Ins Gewicht fällt, so hat diese den Schaden alleine zu tragen.
Andernfalls ist die Haftung im Rahmen einer umfassenden Abwägung anhand der jeweiligen Beiträge nach § 17 Abs. 1, 2 StVG aufzuteilen.

4.
Die vorzunehmende Abwägung ergibt vorliegend, dass die Klägerin keinen weiteren Schadenersatz verlangen kann. Dies begründet sich damit, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Verkehrsunfall in schuldhafter Weise zumindest weit überwiegend selbst verursacht hat.

Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind.

Der Klägerin ist der Nachweis, dass die Fahrerin ihres Autos als sog. echte Nachzüglerin den Kreuzungsbereich vorrangig vor dem Querverkehr und damit auch vor dem Beklagtenfahrzeug verlassen durfte, nicht gelungen. Als sog. echte Nachzügler werden diejenigen Fahrer bezeichnet, die sich bereits im eigentlichen Kreuzungskern befinden, wenn der Querverkehr durch die Lichtzeichenanlage freie Fahrt erhält, und die dort im Kreuzungsbereich in aller Regel den Verkehrsfluss erheblich stören würden, wenn ihnen nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu räumen (BGH Urteil vom 11.05.1971 -VI ZR 11/70; OLG Koblenz Urteil vom 08.09.1997 – 12 U 1355/96; OLG Hamm Urteil vom 26.08.2016 – 1-7 U 22/16). Unter dem Begriff des Kreuzungskerns ist die von den Fluchtlinien der Fahrbahnränder eingegrenzte Fläche zu verstehen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 11 StVO Rn. 2).

Als außerhalb des Kreuzungskerns befindliche sog. unechte Nachzüglerin war die Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegenüber dem Querverkehr und damit auch gegenüber der Beklagten zu 1 wartepflichtig. Sie musste auch bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt damit rechnen, dass die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr zwischenzeitlich auf Grünlicht geschaltet hat (vgl. OLG Düsseldorf NVZ 1997,481; OLG Hamm Urteil vom 26.08.2016 – i-7 U 22/16 jeweils m. w. N.). Insoweit ist der [Fahrerin des Klägerfahrzeugs] ein schuldhafter Verstoß gegen die ihr gem. gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegende Sorgfaltspflicht vorzuwerfen, da sie dennoch in die Kreuzung einfuhr und ihre Wartepflicht missachtete.

Der Sachverständige hat in seinem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten, dem das Gericht nach eigener Prüfung vollumfänglich folgt, ausgeführt, dass die Behauptung der Klägerseite, die Zeugin H[…] habe zum Unfallzeitpunkt gestanden, technisch nicht nachvollziehbar ist und sich der von der Zeugin H[…] in der mündlichen Verhandlung geschilderte Kollisionsposition nicht mit den örtlichen Gegebenheiten in Einklang bringen lässt, hingegen aber die Darstellung der Beklagten, sie sei bei grün eingefahren, während die Zeugin H[…] bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei und gegen die hintere Fahrzeugseite des Beklagtenautos unter verschiedenen Szenarien technisch darstellbar ist.

Soweit die Beklagte zu 1) im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung sowie die Zeugin L[…] als Beifahrerin im Beklagtenfahrzeug im Rahmen ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 24.11,2022 angegeben haben, die Beklagte zu 1 sei bei grün in den Kreuzungsbereich eingefahren, ist das Gericht aufgrund der übereinstimmenden Angaben aller Seiten davon überzeugt. Auch hält es das Gericht aufgrund der Plausibiltätsbetrachtung des Sachverständigen für sehr wahrscheinlich, dass die Zeugin H[…] noch nicht in den Kreuzungskernbereich eingefahren war, als die Ampel für die Beklagte zu 1 auf grün schaltete. Wo genau und warum die Zeugin gehalten hatte, war nicht aufzuklären und kann für die Entscheidung letztlich offen bleiben, weil – wie zuvor beschrieben – die Klägerin jedenfalls den Nachweis, dass die Zeugin H[…] in der Kreuzung gestanden hatte und vor der Beklagten zu 1 vorrangige Kreuzungsräumerin gewesen war, nicht führen konnte. Die gegenteilige Aussage der Zeugin H[…] war technisch, wie vom Sachverständigen anhand der feststehenden Rahmenbedingungen nachvollziehbar dargestellt, technisch nicht plausibel.

Der Zeuge G[…] kam als Polizeibeamter erst nach dem Unfall, als die Unfallfahrzeuge bereits die Kreuzung geräumt hatten, zum Unfallort und konnte daher aus eigener Wahrnehmung zum Unfallhergang nichts sagen. Dennoch konnten seine Beschreibungen als Polizeibeamter dem Sachverständigen Anhaltspunkte liefern.

Die Zeugin H[…] musste angesichts der gegebenen Umstände bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als sie in den Kreuzungskern fuhr, auch damit rechnen, dass die Schaltung der Lichtzeichenanlagen bereits gewechselt hatte und der Querverkehr Grünlicht bekommen hatte. Sie hätte zudem nach den Ausführungen des Sachverständigen, die das Gericht anhand der mit den Parteien in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der beigezogenen Ermittlungsakte das in den Kreuzungsbereich einfahrende Fahrzeug der Beklagten zu 1 sehen können, wie eben auch die Beklagte zu 1 das von der Zeugin H[…] geführte Fahrzeug hätte sehen können, dass ihr zunächst nach ihrer eigenen Angabe aufgrund der ungewöhnlichen Haltepostion im Fußgängerbereich der Kreuzung aufgefallen war. Der Zeugin H[…] fällt daher ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StVO zur Last. Der Beklagten zu 1 ist dagegen kein Verstoß gegen § 11 Abs. 3 StVO, wohl aber ein leichter Verstoß gegen § 1 Abs.2 StVO anzulasten. Es lässt sich auch nicht erkennen, dass die Beklagte zu 1 trotz erkennbaren Vorfahrtverstoßes der Zeugin H[…] sich ihren Vorrang hatte erzwingen wollen.

Vielmehr durfte sie darauf vertrauen, dass sich die Zeugin H[…] verkehrsgerecht verhalten und bis zur nächsten Grünphase stehen bleiben würde. Allerdings wäre es ihr bei gehöriger Aufmerksamkeit möglich gewesen das klägerische Fahrzeug vor dem Zusammenstoß zu erkennen und, wenn auch vielleicht nicht den Unfall zu vermeiden, so aber dessen Folgen zu mindern.

7.
Bei Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß §§ 17 Abs. 1, 2 StVG ergibt sich vorliegend keine Haftung der Beklagten, die eine Quote von 1/3, nach der der Unfallschaden der Klägerin bereits reguliert ist, übersteigen würde.

Auf Seiten der Beklagten war lediglich die Betriebsgefahr, eventuell um einen leichten Verstoß gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 1 Abs.2 StVO ihres Fahrzeuges erhöht, zu berücksichtigen. Dem steht der schuldhafte Verkehrsverstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs gegen §§ 37, 1 Abs. 2 StVO gegenüber.

Die Beklagte zu 1 durfte darauf vertrauen, dass sie gefahrlos bei grüner Lichtzeichenanlage die Kreuzung passieren kann und auch die Fahrerin des Klägerfahrzeugs das Vorrecht des Querverkehrs infolge des zwischenzeitlichen Phasenwechsels beachten wird. Nach dem sog. Vertrauensgrundsatz darf ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten, solange er sich selbst derart verhält. So muss ein Kraftfahrer, für den durch grünes Licht der Verkehr freigegeben ist gem. § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StVO, grundsätzlich nicht damit rechnen, dass andere Fahrzeuge unerlaubter Weise von der Seite her in die Kreuzung einfahren (BGH Urteil vom 11.05.1971 -VI ZR 11/70). Er darf sich in der Regel vielmehr darauf verlassen, dass er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr abgeschirmt ist (vgl. OLG Düsseldorf NVZ 1997, 481).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Beitragsbild: fiktives, mit DALL·E 3 erstelltes Bild

100%ige Haftung eines Ausparkenden bei einem Parkplatzunfall, der mit seinem Fahrzeug gegen ein den Ausparkvorgang Wartenden stößt.

Das Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22) betrifft einen Verkehrsunfall auf einem Parkplatz. Die Klägerin und die Beklagte parkten ihre Fahrzeuge in Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen. Die Klägerin fuhr rückwärts aus ihrer Parkbucht aus und blieb dann stehen, als sie bemerkte, dass die Beklagte ebenfalls rückwärts aus ihrer Parkbucht ausfuhr. Trotz des Hupens der Klägerin fuhr die Beklagte weiter rückwärts und stieß gegen das Fahrzeug der Klägerin.

Das Gericht entschied, dass die Beklagte 100% der Haftung für den Unfall trägt. Es wurde festgestellt, dass die Beklagte gegen § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat, da sie rückwärts fuhr und dabei das Fahrzeug der Klägerin beschädigte. Das Gericht stellte fest, dass es technisch möglich gewesen wäre, für die Beklagte aus ihrer Parkbucht auszuparken und den Parkplatz zu verlassen, ohne das Fahrzeug der Klägerin zu treffen.

Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass der Unfall für sie unvermeidbar war. Allerdings wurde festgestellt, dass sie zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und versucht hatte, durch Hupen die Beklagte zu warnen. Das Gericht entschied, dass die Klägerin den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern konnte.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

gegen

[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigter:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 30.06.2023 eingereicht werden konnten, am 21.07.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] freizustellen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 3.182,12 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 09.11.2021 auf dem Parkplatz […] in Bautzen ereignete.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw, Typ FIAT Tipo […] den Parkplatz. Die Zeugin J[…] M[…] befuhr mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW, Typ Hyundai i20 […] den Parkplatz.

Die Parteien parkten zunächst jeweils in den Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen.

Die Klägerin fuhr sodann rückwärts aus ihrer Parkbucht aus. Im Folgenden kam es zur Kollision des klägerischen Fahrzeugs und des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…], die ebenfalls rückwärts aus der Parklücke ausgefahren war. Das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug und das klägerische Fahrzeug kollidierten am Kotflügel des Fahrzeugs der Klägerin und am Heck des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…].

Am Fahrzeug der Klägerin entstand folgender Sachschaden:

1. Am Pkw der Klägerin entstanden entsprechend dem […] vorgelegten Gutachten vom 07.01.2022 und dem […] vorgelegten Nachtragsgutachten vom 07.03.2022 des Kfz-Sachverständigenbüros […] Beschädigungen an der linken Fahrzeugfront.

Der vordere linke Kotflügel weist eine starke Ausknickung auf. Die linke Stoßfängerwange wurde beschädigt. Der linke Scheinwerfer ist gebrochen. Am Stoßfänger wurden Halterungen abgerissen. Gegenüber den angrenzenden Fahrzeugteilen, Motorhaube, Kotflügel rechts wurden Farbtonunterschiede auffällig, sodass eine Beilackierung des rechten vorderen Kotflügels und der Motorhaube durchgeführt wurde. Die Kosten für die Reparatur des Fahrzeugs betragen ausweislich der Reparaturkostenrechnung […] der Reparaturwerkstatt […] 4.775,93 Euro brutto.

2. Ausweislich dem Gutachten des Kfz-Sachverständigenbüros […] vom 07.01.2022 entstand durch die Beschädigung eine Wertminderung in Höhe von 400,00 Euro.

Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeugs beträgt 18.700,00 Euro und wird somit durch die Höhe des Schadensumfangs nicht erreicht.

3. Die Gutachterkosten betragen gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros Kfz-Sachverständigenbüro […] vom 07.01.2022 und gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros […] vom 07.03.2022 insgesamt 836,09 Euro brutto.

4. Die Klägerin macht ferner restliche Mietwagenkosten gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] der Reparaturwerkstatt […] vom 14.03.2022 geltend. Die Klägerin musste für die Dauer der Reparatur ein Ersatzfahrzeug mieten, da die Fahrt zur Arbeitsstätte, berufliche Fahrten sowie private Fahrten einen PKW erfordern.

5. Ferner beansprucht die Klägerin eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro für Telefonate, Porto und Fahrtkosten.

Die Klägerin mahnte die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten zur Zahlung der Schadensersatzansprüche an und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 17.01.2022. Die Zahlung wurde erneut durch anwaltlichen Schriftsatz am 22.03.2022 angemahnt.

Die Beklagte regulierte den Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %.

Im Ergebnis wird unter Berücksichtigung der Zahlung der Beklagten für den Schaden am Fahrzeug ein verbleibender Betrag:

  • in Höhe von 2.387,96 Euro für die Reparaturkosten
  • in Höhe von 200,00 Euro für die Wertminderung
  • in Höhe von 418,04 Euro für die Schadensgutachten
  • in Höhe von 163,62 Euro für die Mietwagenkosten und
  • in Höhe von 12,50 Euro die restliche Unkostenpauschale für Telefonate, Porto und Fahrtkosten

geltend gemacht.

Die Klägerin behauptet, sie habe am Unfallort aus der Parklücke rückwärts ausgeparkt und habe mit ihrem Fahrzeug gestanden. Bevor die Klägerin mit ihrem Fahrzeug zum Ausgang des Parkplatzes fahren konnte, erkannte sie, dass die Zeugin J[…] M[…] mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug auszuparken begann. Zur Vermeidung einer Gefahrensituation will die Klägerin mit ihrem Fahrzeug stehengeblieben sein, um den Ausparkvorgang des Unfallgegners stehend abzuwarten. Aus der Sicht der Klägerin bestand für die Zeugin J[…] M[…] grundsätzlich ausreichend Platz für den Ausparkvorgang. Die Klägerin behauptet, als das Fahrzeug der Unfallgegnerin rückwärts auf das Fahrzeug der Klägerin dicht zu fuhr und augenscheinlich nicht das hinter ihr stehende Fahrzeug der Klägerin wahrnahm, will die Klägerin versucht haben durch durchgehendes Hupen die Zeugin J[…] M[…] zu warnen. Ungeachtet dessen soll diese die Rückwärtsfahrt fortgesetzt haben und sei gegen den Kotflügel des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Die Klägerin habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern können.

Die Klägerin meint, die Zeugin J[…] M[…] habe den Unfall allein verschuldet. Insbesondere spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Fahrzeugführerin des Fahrzeugs der Beklagtenseite. Für die Klägerin sei der Unfall unvermeidbar gewesen und hätte auch durch die Anwendung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abgewendet werden können, sodass eine Haftung der Klägerin ausgeschlossen sei.

Aufgrund des Zeitablaufs nahm die Klägerin die Vollkaskoversicherung […] zur Zwischenfinanzierung des restlichen Schadens in Anspruch, die unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts der Klägerin am 09.11.2022 eine Gesamtzahlung in Höhe von 3.006,00 Euro, mithin 2.387,96 Euro auf die Reparaturkosten, 200,00 Euro auf die Wertminderung und 418,04 Euro auf die Sachverständigenkosten an die Klägerin leistete. In der Folge ist die Erstattungsforderung der Klägerin in Höhe von 3.006,00 Euro durch den gesetzlichen Forderungsübergang auf die Vollkaskoversicherung übergegangen. Mit Schriftsatz vom 14.11.2022 hat sie ihre Klageanträge […] umgestellt.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 so\wie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] vom 14.03.2022 freizustellen.

Die Beklagte behauptet, der Verkehrsunfall ereignete sich, als die Klägerin mit dem Pkw rückwärts aus ihrer Parkposition auf dem Parkplatz […] in Bautzen ausparkte und da bei gegen den Pkw der Zeugin J[…] M[…] stieß. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden habe. Zudem bestreitet die Beklagte, dass die Zeugin J[…] M[…] ausreichend Platz zum Ausparken gehabt habe.

Die Beklagte bestreitet den geltend gemachten Zinsschaden, soweit die Klägerin begehrt, von geltend gemachten Beträgen freigestellt zu werden, dürfe der Freistellungsanspruch nicht verzinst werden, da es sich hierbei nicht um eine Geldschuld handelt.

Der Verkehrsunfall sei für die Klägerin nicht unvermeidbar gewesen. Es dürfte auch kein Anscheinsbeweis gegen die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs sprechen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin J[…] M[…] und durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Für das Ergebnis der Zeugenvernehmung und der Anhörung der Klägerin wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2022 und auf das Sachverständigengutachten vom 13.04.2023 verwiesen. Insoweit wird auch im Übrigen wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Urteil ergeht mit dem Einverständnis der Parteien ohne Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, § 128 Abs. 2 ZPO.

I.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die Klägerin auch prozessführungsbefugt, soweit Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen der Zahlung ihrer Vollkaskoversicherung im November 2022 auf diese gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangen sind. Dies folgt aus § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Veräußerung oder Abtretung eines Rechts auf den Prozess keinen Einfluss hat. Die Norm gibt dem Zedenten nicht nur bei der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge, sondern auch dem vorliegenden gesetzlichen Forderungsübergang die Möglichkeit, Rechte des Zessionärs in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. Zöller/Greger, ZPO. 33. Aufl. 2020, § 265 ZPO Rn. 5).

II.

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin und die [Vollkasko] haben nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG, §§ 249 ff. BGB aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen die Beklagte in Höhe von 12,50 Euro durch Zahlung an die Klägerin, auf Freistellung der Mietwagenkosten in Höhe von 136,62 Euro und in Höhe von 3.006,00 Euro durch Zahlung an die [Vollkaskoversicherung].

1.

Die [Vollkaskoversicherung] ist hinsichtlich des Klageantrags zu 2 nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG aktivlegitimiert. Zudem ist das Fahrzeug der Klägerin beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, dessen Versicherer die Beklagte im Unfallzeitpunkt war, beschädigt worden, § 7 Abs. 1 StVG.

Der Anwendung des § 7 StVG steht nicht entgegen, dass sich der Unfall auf einem Parkplatz ereignete. Denn öffentlicher Verkehr ist auch bei – wie hier vorliegend – öffentlichen und allgemein zugänglichen Parkplätzen zu bejahen (MüKoStVR/Engel, 1. Aufl. 2017, StVG § 7 Rn. 10).

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten entfällt nicht nach § 7 Abs. 2 StVG. Der Unfall beruhte nicht auf höherer Gewalt.

3.

In welchem Umfang die Parteien als die am Unfall beteiligten Fahrzeughalter und Versicherer

der Fahrzeugführerin einander Ersatz leisten müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, § 17 Abs. 1,2 StVG.

a)

Der Ausgleich ist nicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG ausgeschlossen. Der Zusammenstoß zwischen dem PKW der Klägerin und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug war für keinen Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis.

Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der

Halter als auch der Fahrer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beachtet hat. Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes und geistesgegenwärtiges Handeln über dem Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 13.12.1990 – III ZR 14/90, BGHZ 113, 163). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit

des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommt, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt In eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH Urteil vom 17.03.1992 – VI ZR 62/91, NJW 1992,1684; Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, NJW 2006, 896).

bb)

Keine der Parteien hat darzulegen und zu beweisen vermocht, dass auch ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr nicht hätte abwenden können oder jedenfalls einen weniger schweren Unfall verursacht hätte. Ein über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus sachgemäß und geistesgegenwärtig handelnder Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten hätte den Unfall ebenso abwenden können, wie ein ebenso handelnder Fahrer des PKW der Klägerin. Zwar hat der Sachverständige nach Analyse der Spuren und Schäden bestätigt, dass das Fahrzeug der Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Flanke der Frontpartie des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Des Weiteren stellte der Sachverständige jedoch fest, dass es der Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges technisch möglich gewesen wäre, ohne Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin aus der Parklücke herauszufahren und den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen. Der Verkehrsunfall war für die Zeugin J[…] M[…] vermeidbar, da es für sie aus technischer Sicht möglich gewesen wäre, mit dem Fahrzeug rückwärts aus der Parkbucht auszuparken, ohne mit dem Fahrzeug der Klägerin zu kollidieren und anschließend den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen.

Für den Nachweis der Unvermeidbarkeit des klägerischen Fahrzeugs reicht allein der erwiesene Umstand, dass der Pkw der Klägerin vor der Kollision ausweislich des unfallanalytischen Sachverständigengutachten zum Stillstand gekommen war und sie mit Hupen auf sich Aufmerksam machte, allerdings nicht aus, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein „Idealfahrer“ anstelle der Klägerin das Beklagten-Fahrzeug rechtzeitig unfallvermeidend hätte erkennen können (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 06.06.2019 – 4 U 89/18; NJW-RR2019, 1435).

b)

Unter Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG tritt die Haftung des Fahrzeugs der Klägerin aus der Betriebsgefahrvollständig hinter der Haftung des Fahrzeugs der Beklagtenseite zurück, sodass die Beklagtenseite die alleinige Haftung trifft.

Da keine Seite die Unvermeidbarkeit des Unfalls belegen kann, ist nach den jeweiligen Verursachungsanteil abzuwägen, § 17 Abs. 2 StVG. Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1,2 StVG ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Ver-schulden (BGH Urteil vom 13.12.2016 -VI ZR 32/16). Bei der gebotenen Abwägung dürfen unstreitige, zugestandene oder erwiesene Tatsachen zugrunde gelegt werden, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Im Rahmen der Feststellung der Verursachungsbeiträge muss jeder Seite das Mitverschulden der Gegenseite beweisen.

aa)

Die Fahrzeugführerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs hat gegen § 1 Abs. 1 i. V.

m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen.

Wegen der besonderen Sorgfaltspflicht spricht gegen den Rückwärtsfahrer der Beweis des ersten Anscheins (OLG München N2V 2014, 416; KG NJW-RR 2010, 1116; LG Hagen ZfS 1992, 44). Zwar ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt sie aber über § 1

StVO. Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärts fährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Mitverschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen (BGH, Urt. v. 11. 10.2016 – VI ZR 66/16 = r+s 2017, 93, beck-online; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 27. Aufl. 2022, StVO § 9 Rn. 69). Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat. Denn gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein Fahrer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Ausweislich der Feststellungen im Sachverständigengutachten konnte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts den Beweis führen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision mit ihrem Fahrzeug gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Frontpartie stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Hierdurch hat die Zeugin J[…] M[…] gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen und den Verkehrsunfall verschuldet.

Zudem kommen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung. Das Gericht schließt sich den oben stehenden Ausführungen an. Danach greift zulasten der Beklagtenseite ein Anscheinsbeweis aufgrund der erfolgten Kollision während eines rückwärtigen Fahrvorgangs. Die Feststellungen des Sachverständigen bestätigen, dass sich ein für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises typische Lebenssachverhalt ereignete. Denn es steht nach der Beweisaufnahme fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, die Zeugin J[…] M[…], als Rückwärtsfahrende, zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand. Es gelang der Beklagtenseite nicht, diese zu erschüttern. Zudem wäre das Fahrzeug für die Zeugin J[…] M[…] optisch sowie die Gefahrensituation durch das Hupen auch akustisch erkennbar und der Unfall für diese vermeidbar gewesen. Die Klägerin hatte noch den Versuch unternommen, die Aufmerksamkeit der Zeugin J[…] M[…] zu erreichen und den Unfall zu vermeiden. Dies deckt sich mit den Feststellungen des Sachverständigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand und der Aussagen aus der Zeugenbefragung, in der die

Zeugin J[…] M[…] angab, dass die Klägerin durchgehend hupte.

Die Ausführungen des Sachverständigen Schlütter sind für das Gericht plausibel. Als von der Ingenieurkammer Sachsen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Kraftfahrzeugschäden und -bewertung ist der Sachverständige Schlütter für die Begutachtung kompetent. Seine Ausführungen sind logisch, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei.

Die Beklagte ist nach § 115 Abs. 1 Satz 2, 4 VVG einstandspflichtig.

bb)

Eine Mithaftung der Klägerin ergibt sich hier nicht aus § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO, weil ihr kein wesentliches verkehrswidriges Verhalten zur Last zulegen ist.

Ein Anscheinsbeweis greift nicht zulasten der Klägerin, da diese zum Zeitpunkt der Kollision bereits stand. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass sich die Klägerin mit ihrem Fahrzeug verkehrsgerecht verhalten hat. Der Sachverständige stellte fest, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hat. Schlüssig ist nach den Feststellungen des Sachverständigen auch, dass die Klägerin zur Vermeidung einer Kollision durch Hupen versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen. Nach Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Zeugin J[…] M[…] das Fahrzeug der Klägerin während des Rückwärtsfahrens übersehen hat.

cc)

Vor diesem Hintergrund und des im Übrigen geringen Verursachungsbeitrag der Klägerin an dem Unfallgeschehen haftet die Beklagtenseite zu 100%. Der Unfall war zwar weder für die Zeugin J[…] M[…] noch für die Klägerin unvermeidbar. Der Verursachungsbeitrag der Klägerin ist allerdings als so gering zu bewerten, dass er wegen des überwiegenden Mitverschuldens der Zeugin J[…] M[…] bei der gemäß § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung vollständig zurückzutritt. So liegen die Grenze zwischen dem Verhalten eines Idealfahrers und des tatsächlichen Verhaltens der Klägerin so nah beieinander, dass hinsichtlich der Verursachungsbeiträge keine Quotelung zulasten der Klägerin erfolgt.

Das Klägerfahrzeug stand ausweislich des oben stehenden Ergebnisses der Beweiswürdigung zum Zeitpunkt der Kollision. Zuvor hat sie den Ausparkvorgang zwar bei eingeschränkten Sichtverhältnisses begonnen, kam allerdings noch vor der Kollision für die Zeugin J[…] M[…]

bei gehöriger Rückschau erkennbar und rechtzeitig zum Stehen, sodass die Zeugin J[…] M[…] die Kollision hätte vermeiden können. Diesbezüglich wird auf die obenstehende Beweiswürdigung Bezug genommen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand. Zum anderen hatte die Zeugin J[…] M[…] die Möglichkeit, das eigene Fahrzeug vor der Kollision rechtzeitig anzuhalten, zumal die Klägerin mit dem Hupen noch ein Warnsignal abgegeben hat. Außerdem ist auf Parkplätzen stets mit aus Parklücken fahrenden Fahrzeugen zu rechnen, sodass der Zeugin J[…] M[…] im besonderen Maße eine Sorgfaltspflicht dahingehend oblag, das eigene Fahrzeug jederzeit anhalten zu können und auf ausparkende Fahrzeuge entsprechend reagieren zu können.

4.

Durch die Kollision entstand ein ersatzfähiger Schaden im Sinne von §§ 249 ff. BGB. Mit Ausnahme der beantragten Zinsen für den Freisteilungsanspruch ist der Schaden der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Unter Berücksichtigung der, der Beklagtenseite anzurechnenden Verursachungsquote von 100 %, ergibt sich der noch zu ersetzende Betrag wie folgt:

a) Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der restlichen Unkostenpauschale in Höhe von 12,50 Euro, da es sich hierbei um einen ersatzfähigen Schaden im Sinne von gemäß § 249 BGB handelt (BGH, Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11; NJW 2011,2871).

b) Die Klägerin hat gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls einen Anspruch auf Freistellung in Bezug auf die aufgewendeten Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 257 Satz 1 BGB. Der Anspruch der Klägerin ist auf Freistellung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Autohaus […]. Aus der Rechnung vom 14.03.2022 mit der Rechnungsnummer 920277 und nicht auf Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin gerichtet, weil der Klägerin mangels vermögensmindernder Zahlung kein Schaden entstanden ist.

c) Ferner kann die Klägerin in Folge der Zwischenfinanzierung auf die restlichen Reparaturkosten in Höhe von 2.387,96 Euro, der restlichen Wertminderung in Höhe von 200,00 Euro und auf die restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 418,04 Euro – insgesamt also 3.006,00 Euro an die [Vollkaskoversicherung] verlangen.

Auf Grund der Regulierung der Ersatzansprüche ist die [Vollkaskoversicherung] gemäß § 86 VVG Anspruchsinhaberin geworden.

5.

Der Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 1 und Abs. 3, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 analog, 291 BGB. Die Hauptforderung ist antragsgemäß zu verzinsen.

Die Fälligkeit tritt in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung ein, wenn wegen

einer Verletzung einer Person oder wegen einer Beschädigung einer Sache nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Ersatz zu leisten ist (BGH, Beschluss vom 18.11.2008 – VI ZB 22/08; NJW 2009, 910). Ist die Voraussetzung der Fälligkeit des Schadenersatzanspruchs gegeben und liegt eine Mahnung vor, sind die gesetzlichen Verzugszinsen bereits vor Ablauf der dreimonatigen Bearbeitungsfrist und aufgrund der BGB-Verzugsregelung zu zahlen (OLG Rostock, Beschluss vom 9.1.2001 -1 W 338/98; MDR 2001,935).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1,2 ZPO.

V.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG.“

AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22

Zum Werkstattrisiko des Schädigers nach einem Verkehrsunfall

Durch das Amtsgericht Leipzig (AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23) wurde entschieden, dass die Beklagte die gesamten Reparaturkosten zu erstatten hat. Die Begründung dafür basiert auf mehreren rechtlichen Grundsätzen und Bestimmungen des deutschen Rechts.

Die Haftung der Beklagten für den durch den Unfall entstandenen Schaden zwischen den Parteien war im vorliegenden Fall unstrittig. Dies bedeutet, dass die Beklagte grundsätzlich verpflichtet ist, den durch den Unfall verursachten Schaden zu ersetzen.

Die entscheidende Frage in diesem Fall war jedoch, in welchem Umfang die Beklagte für die Reparaturkosten aufkommen muss. Hierbei spielt § 249 Abs. 2 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine zentrale Rolle. Nach dieser Vorschrift kann der Geschädigte, wenn eine Sache beschädigt wurde, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte.

In diesem Zusammenhang hat das Gericht festgestellt, dass die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten durfte, da sie keine besseren Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hatte. Insbesondere hat das Gericht berücksichtigt, dass der Geschädigte bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Das sogenannte Werkstattrisiko geht daher zu Lasten des Schädigers.

Darüber hinaus hat das Gericht festgestellt, dass der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel ziehen konnte. Der Bericht ließ nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen und konnte daher nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung haben.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Leipzig […]

im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO am 30.06.2023

für Recht erkannt:

1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 1.096,90 € bis zum 3.2.2023 und auf 856,90 € ab dem 4.2.2023 festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche anlässlich eines Verkehrsunfalls geltend.

Am 28.6.2022 ereignete sich auf der L321 in Meine ein Verkehrsunfall. An diesem waren das Fahrzeug der Klägerin […] und das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug […] beteiligt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach für den entstandenen Schaden ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin hat den oben genannten Pkw bei der Reparaturwerkstatt […] reparieren lassen, diese hat dafür eine Rechnung über 19.103,40 € netto erstellt. Die Beklagte hat vorgerichtlich in Bezug auf die geltend gemachten Reparaturkosten einen Betrag i.H.v. insgesamt 18.006,50 € netto bezahlt. Grundlage war der von der Beklagten eingeholte Prüfbericht […] vom 30.08.2022, welcher eine Neuberechnung vorgenommen hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechnung vom 16.08.2022 […] und den Prüfbericht vom 30.08.2022 […] Bezug genommen. Nach Klageeinreichung am 17.1.2023 und vor Zustellung der Klage zahlte die Beklagte auf die Reparaturkosten am 3.2.2023 einen weiteren Betrag i.H.v. 240,00 €.

Die Klägerin behauptet, ihr sei durch den Unfall ein Reparaturschaden in Höhe von insgesamt 19.103,40 € netto entstanden. Dieser Betrag sei für eine sach- und fachgerechte Instandsetzung des klägerischen Fahrzeugs erforderlich gewesen.

Die Klägerseite beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

Die Beklagtenseite beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, Reparaturkosten seien allenfalls i.H.v. 17.766,50 € netto erforderlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erklärt.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1.)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Form von Reparaturkosten aus dem Verkehrsunfall vom 28.6.2022 i.H.v. 856,90 € netto gemäß §§7Abs. 1,17Abs. 1 StVG.823Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG.

a)
Die Haftung der Beklagten nach einer Haftungsquote von 100 % für die der Klägerin bei dem Unfall vom 28.6.2022 entstandenen Schäden dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

b)
Der Höhe nach hat die Beklagte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Kläger auch die weiteren Reparaturkosten i.H.v. 856,90 € netto zu erstatten.

Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Verursacht also von mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt; denn nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (statt vieler: BGH, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 9, zitiert nach juris).

Allerdings sind unter dem Blickpunkt, dass der Schädiger grundsätzlich für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen hat, an die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt nämlich darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, Rn. 9, zitiert nach juris). Es ist insbesondere Rücksicht auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Diese „subjektbezogene Schadensbetrachtung“ kann sich sowohl zugunsten des Geschädigten als auch zugunsten des Schädigers auswirken (BGH, Urteil vom29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 10, zitiert nach juris).

Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73, Rn. 10, zitiert nach juris). Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 10, jeweils zitiert nach juris).

Dem Geschädigten sind in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen sind, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 12, zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, BeckRS 1995, 01930; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 11, zitiert nach juris). Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Würde nämlich der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, Vl ZR 42/73, Rn. 10; LG Köln, Urteil vom Seite 507.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 12, jeweils zitiert nach juris).

Die Zuweisung des Prognoserisikos bewirkt, dass die für die Schadensschätzung maßgeblichen Feststellungen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Einschätzung der Wiederherstellungskosten erfolgt, der konkrete Schadensersatz sich aber nach den tatsächlichen Kosten richtet (vgl. OLG Zweibrücken, Beschiuss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, zitiert nach juris). Ersatzfähig sind danach auch die Kosten, die ex ante als erforderlich erschienen, ex post jedoch erfolglos oder in Wirklichkeit nicht erforderlich waren (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16).

Dies gilt nur dann nicht, wenn den Geschädigten ein Auswahlverschulden bezüglich des von ihm beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt trifft (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015,14 U 63/15, Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, jeweils zitiert nach juris). Der Unfallgeschädigte darf darauf vertrauen, dass die Werkstatt nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht erbracht wurden oder Reparaturen vornimmt, die nicht erforderlich waren (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 11, zitiert nach juris).

c)
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind vorliegend auch die weiteren Reparaturkosten in Höhe von 856,90 € netto als erforderlich i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen, auch wenn die Reparaturkosten – wie von der Beklagten behauptet – zur Behebung des Unfallschadens nicht notwendig gewesen sein sollten. Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten dürfen.

(1)
Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bezüglich der mit den Reparaturarbeiten beauftragten Reparaturwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Einen Vortrag hierzu hat die Beklagte nicht gehalten.

(2)
Auch vermag der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel zu ziehen. Der von der Beklagten vorgelegte Bericht […] lässt nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen, sodass er nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung hat. Weshalb der namenlose Verfasser in der Lage sein soll, die Kosten für durchgeführte Reparaturarbeiten anzuzweifeln, ohne das Auto gesehen zu haben, wird mit keinem Wort erläutert.

2.)
Die Klägerin hat gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 BGB gegen die Beklagte ferner einen Anspruch auf Ersatz von Zinsen in gesetzlicher Höhe.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23

Anscheinsbeweis bei Unfall während Überholvorgangs und Nutzungsausfallentschädigung bei fiktiver Abrechnung

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22) kann ein Anscheinsbeweis gegen den Überholenden angewendet werden, wenn bestimmte Umstände vorliegen, die auf ein Verschulden des überholenden Fahrers hindeuten. Ein Beispiel dafür ist eine Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr, die der Überholende hätte beachten müssen.

Der Anscheinsbeweis bezieht sich in der Rechtsprechung auf die Annahme, dass ein gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Resultat führendes Verhalten, auch in einem speziellen Fall dieses Resultat verursacht hat. Im Kontext von Verkehrsunfällen wird damit unter bestimmten Bedingungen angenommen, dass der Unfall durch das Verhalten eines bestimmten Fahrers verursacht wurde.

Im speziellen Fall eines Überholmanövers wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Anscheinsbeweis nicht automatisch gegen den überholenden Fahrer angewendet. Ein Anscheinsbeweis bei einem Verkehrsunfall mit einem Überholenden liegt nur vor, wenn spezifische Umstände (bspw. Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr) vorhanden sind, die auf ein Fehlverhalten des überholenden Fahrers hinweisen.

Im Kontext eines Verkehrsunfalls, der mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers zusammenhängt, legt der Anscheinsbeweis nahe, dass der Fahrstreifenwechselnde den Unfall durch Missachtung seiner Pflichten verursacht und verschuldet hat. Diese Pflichten umfassen die Einhaltung höchster Sorgfalt, ausreichende Rückschau und die deutliche Anzeige des Fahrstreifenwechsels durch Fahrtrichtungsanzeiger gemäß § 7 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO). In der Regel haftet der vorausfahrende Fahrer bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel allein für die Unfallschäden. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten ist nur möglich, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweisen kann, die ein Mitverschulden des anderen Fahrers belegen. Die bloße Betriebsgefahr des am Unfall beteiligten Fahrzeugs rechtfertigt jedoch keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers.

Zudem kann ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall eine Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen, auch wenn er sein Fahrzeug nicht reparieren lässt. Dieses Recht besteht, da der gemäß § 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu ersetzende Schaden auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Fahrzeugs umfasst. Unabhängig von der Reparatur des Fahrzeugs kann der Eigentümer eines privat genutzten Autos eine Nutzungsentschädigung verlangen, wenn er infolge eines Unfalls die Nutzung seines Autos verliert. Voraussetzung dafür ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit und eine spürbare Beeinträchtigung der Nutzung, basierend auf dem Willen zur Nutzung und einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit. Hierin liegt auch keine unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, da die unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden nur für die Reparaturkosten des beschädigten Fahrzeugs gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 28.04.2023 eingereicht werden konnten, am 19.05.2023 folgendes

Urteil

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) an die Klägerin 3.126,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten aus 2.972,78 EUR für die Zeit vom 06.11.2021 bis zum 20.01.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.126,78 EUR seit dem 21.01.2022 zu zahlen;
b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 446,55 EUR […] freizustellen.
c) an die Klägerin nicht anrechenbare außergerichtliche Kosten i.H.v. 238,83 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 26. 02.2022 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die weiteren Kosten der Klägerin zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.11.2021 gegen 17:50 Uhr in Großpostwitz/OL., insbesondere der Schadensbehebung, ergeben.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 4.025,19 EUR festgesetzt.

I. Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.11.2021, der sich gegen 17:50 Uhr […] in Großpostwitz/Oberlausitz ereignet hat. Die Beklagte war am Unfalltag Haftpflichtversicherer des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeugs PKW, Typ Dacia „Sandero“ […] am Unfalltag.

Die Klägerin machte im November 2021 gegenüber der Beklagten ihre Schadenersatzansprüche geltend, wobei der Beklagten das Gutachten des von ihr beauftragten Sachverständigenbüros vom 11.11.2021 übersandt wurde. Als bis Januar 2022 keine Zahlung erfolgte, beauftragte die Klägerin Ihren Prozessbevollmächtigten mit der Schadensregulierung.

Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin des am Unfall beteiligten VW Tiguan […]. Sie habe das Fahrzeug innerhalb der Familie am 28.09.2012 von der Verkäuferin P[…] S[…] erworben. Ausweislich der […] vorgelegten Zulassungsbescheinigungen habe die Klägerin aufgrund einer Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch den tatsächlichen Besitz an dem Fahrzeug erlangt.

Der Unfall habe sich ereignet, als der Zeuge J[…] W[…], der Ehemann der Klägerin, mit dem Fahrzeug der Klägerin ordnungsgemäß mit der höchstzulässigen Geschwindigkeit innerorts auf der […]straße in Fahrtrichtung Zentrum des Ortes gefahren sei. Der Unfallgegner habe versucht mit einem erheblichen Geschwindigkeitsüberschuss mehrere Fahrzeuge einer Kolonne, an deren Spitze sich der Zeuge W[…] befand, zu überholen. Als sich der Unfallgegner auf der Höhe des Fahrzeugs der Klägerin befunden habe, habe der Zeuge J[…] W[…] aufgrund des nahenden Gegenverkehrs erkannt, dass ein sicheres Überholen für den Unfallgegner nicht mehr möglich gewesen wäre und sein Fahrzeug abgebremst. Auch das entgegenkommende Fahrzeug habe abgebremst und sei teilweise auf den rechten Fußweg ausgewichen. Das Fahrzeug des Unfallgegners sei mit seiner rechten vorderen Seiten gegen die hintere linke Seite des Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Auch der Unfallgegner habe sein Fahrzeug stark abgebremst und versucht in die Fahrspur des Fahrzeugs der Klägerin zu wechseln, wodurch es zu einem seitlichen Anstoß der Fahrzeuge gekommen sei. Der Zeuge W[…] habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt weder durch Abbremsen noch durch Ausweichen verhindern können. Es spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Fahrzeugführers der gegnerischen Seite.

Durch den Unfall seien am Fahrzeug der Klägerin folgende Teile beschädigt worden: Heckverkleidung, die Rückleuchte links, die Seitenwand links, die Tür hinten links, die Radlaufblende hinten links, die Türverkleidung unterhalb hinten links und das Scheibenrad hinten links verschrammt. Der Reifen hinten links weise Druckspuren auf. Ausweislich des Sachverständigengutachtens fielen hierfür Reparaturkosten i.H.v. 2972,78 € (netto) an. Zum Zeitpunkt des Unfalls hätten keine relevanten Altschäden im Anstoßbereich bestanden. Soweit auf Seite 10 der Ermittlungsakte darauf verwiesen werde, handele sich um eine unzutreffende Wiedergabe der Angaben des Zeugen J[…] W[…] durch die Polizeibeamten. Bei dem gegenüber dem unfallaufnehmenden Polizeibeamten beschriebenen Schaden handele es sich um einen oberflächlichen Bagatellschaden, der keine Auswirkungen auf die Höhe der Reparaturkosten gehabt habe.

Darüber hinaus macht die Klägerin eine Unfallkostenpauschale i.H.v. 25 € geltend.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich die Beklagte mit der Zahlung des Schadensersatzes in Verzug befinde.

Die Kosten für das außergerichtlich eingeholte Gutachten betragen 446,55 €. Sie wurden bislang nicht von der Klägerin bezahlt, weshalb sie Freistellung von diesen Kosten verlangt.

Weiter verlangt die Klägerin entsprechend der voraussichtlichen Reparaturdauer eine Nutzungsausfallentschädigung für drei Tage i.H.v. 129 €, wobei sie nach der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch eine Nutzungsausfallentschädigung von 43 € pro Tag ansetzt.

Zudem stellt die Klägerin einen Feststellungsantrag für mögliche weitere Kosten aufgrund des Unfalls, insbesondere im Hinblick auf die bei erfolgter Reparatur fällig werdende Umsatzsteuer.

Die Klägerin begehrt weiter die Erstattung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten für die Einschaltung ihres Rechtsanwalts zur Schadensregulierung i.H.v. 238,83 €. Sie wurde von ihrer Rechtsschutzversicherung ermächtigt die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Die Klägerin beantragt zuletzt,
a) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.126,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten aus 2.972,78 EUR für die Zeit vom 06.11.2021 bis zum 20.01.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.126,78 EUR seit dem 21.01.2022 zu zahlen;
b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 446,55 EUR […] freizustellen;
c) an die Klägerin nicht anrechenbare außergerichtliche Kosten i.H.v. 238,83 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 26. 02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Zeuge J[…] W[…] sei vor dem Unfallgeschehen nur mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h gefahren trotz der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Dacia, der Zeuge B[…], habe deshalb beabsichtigt, den VW Tiguan nach dem Ausgang der Doppelkurve in Rodewisch/Großpostwitz auf der sich anschließenden geraden und übersichtlichen Oberlausitzer Straße mit der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit zu überholen. Nachdem er bereits zum Überholen angesetzt und vor dem VW Tiguan wieder auf den rechten Fahrstreifen habe einscheren wollen, habe der Fahrer des VW Tiguan beschleunigt. Dieser habe ihn nicht einscheren lassen wollen, sodass es dabei zu einer Berührung zwischen den beiden Pkw gekommen sei. Der Fahrer des Dacias habe selbstverständlich darauf vertraut, dass der Fahrer des VW diesen während des Überholvorgangs nicht beschleunigen würde.

Der Schadenersatzanspruch sei aber auch deshalb abzuweisen, weil die Klägerin mit der Klage versuche, bereits vor dem Unfallereignis an Ihrem Pkw bestandene Vorschäden abzurechnen. In der von der Polizei erstellten Lichtbildmappe seien die Fahrzeugschäden am Kfz der Klägerin dokumentiert worden. So ist zu einem Kratzer am Kotflügel hinten auf der Fahrerseite angemerkt: „Elypse zeigt Schäden, welche nicht ursächlich mit diesem Verkehrsunfall im Zusammenhang stehen.“ In dem von der Klägerin eingeholten Gutachten werde explizit der Heckbereich als anstoßbedingt beschädigt bezeichnet. Ein Vorschaden wird im Gutachten nicht erwähnt.

Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass der Klägerin 25 € für unfallbedingte Auslagen entstanden seien.

Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung stehe der Klägerin im vorliegenden Fall der fiktiven Schadensberechnung nicht zu. Die Klägerin vermische damit unzulässig fiktiven und konkreten Schadenersatz.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen R[…] G[…] sowie durch Einvernahme der Zeugen J[…] W[…], K[…] W[…], M[…] Sch[…] und P[…] B[…]. Zudem wurde die Verkehrsunfallakte des Landratsamtes Bautzen […] beigezogen. Sie war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Nach Eingang des Sachverständigengutachtens ist das Gericht mit Zustimmung der Parteien in das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO übergegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und die durchgeführte Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere das darin befindliche Protokoll, das Sachverständigengutachten und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 VVG, §§ 249 ff. BGB in der ausgeurteilten Höhe zu.

1.

Der VW Tiguan der Klägerin wurde bei dem Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges vom Typ Dada, das der Zeuge B[…] gefahren hat, beschädigt.

Das Gericht ist im Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin Eigentümerin des VW Tiguan ist und auch im Unfallzeitpunkt war.

Der Zeugen J[…] W[…] hat glaubhaft, weil lebensnah und nachvollziehbar, bestätigt, dass das Fahrzeug seiner Frau gehöre und sich noch ein zweites Auto im Familienbesitz befinde, das ihm gehöre. Der Zeuge hat zudem den klägerischen Vortrag bestätigt, dass seine Frau das Auto von ihren Eltern gekauft hat, üblicherweise dürfte dies mit einer Eigentumsübertragung verbunden sein, wofür die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Kaufvertrag und Zulassungsbescheinigungen), die ihren Vortrag zum Kauf und Eigentumserwerb stützen, sprechen.

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht wegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen.

3.

Keine der Parteien hat den ihr jeweils obliegenden Nachweis erbracht, dass der Unfall ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.

3.1

Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinaus (ständige Rechtsprechung; Koenig in Henschel/Koenig/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 17 StVG Rn. 22). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommen, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH, Urteil vom 17. 3. 1992, Az. VI ZR 62/91, NJW 1902 90,1684; Urteil vom 13.12.2005, Az. VI ZR 68/04, NJW 2006,896).

3.2

Nach diesen Maßstäben haben weder die Beklagte noch die Klägerin beweisen können, dass der Unfall unabwendbar war. Nach den Angaben des Sachverständigen G[…] sind beide von den Parteien geschilderten Unfallhergänge technisch möglich.

4.

Somit hängt die gegenseitige Haftung gem. § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG davon ab, in wie weit der Schaden vorliegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, wobei im Rahmen der Abwägung des gegenseitigen Verursachens- und Verschuldensbeitrages nur unstreitige zugestandene oder bewiesene Tatsachen zu berücksichtigen sind, wobei jede Partei dem anderen Teil einen als Verschulden anzurechnenden Umstand oder andere dessen Betriebsgefahr erhöhende Tatsachen zu beweisen hat (BGH Urteil vom 13.02.1996, Az.: VI ZR 126/95, NZV 1996, 231).

4.1

Im Ergebnis der Beweisaufnahme geht das Gericht davon aus, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs während des Überholvorgangs nach rechts in das von dem Zeugen W[…] gesteuerte klägerische Fahrzeug, indem er in die von ihm benutzte Fahrbahn hinein gelenkt hat, verursacht hat.

a)

Die Beklagte muss sich das Verschulden des Fahrers des bei ihr versicherten PKW Dacia zurechnen lassen.

Vorliegend spricht bereits der Beweis des 1. Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs, wonach der Unfall auf der schuldhaften Vernachlässigung der sich aus § 7 Abs. 5 StVO ergebenden erhöhten Sorgfaltspflichten beruht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht im Zusammenhang mit der Durchführung eines Überholmanövers der Beweis des 1. Anscheins zwar nicht ohne weiteres für ein schuldhaft verkehrswidriges Verhalten des hinterherfahrenden/überholenden Fahrzeugführers. Es kann in solchen Situationen nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass der Zusammenstoß stets auf einer Pflichtverletzung beruht, die dem Überholenden verkehrsrechtlich oblag. Die Kollision kann nämlich auch mit nicht wesentlich weniger hoher Wahrscheinlichkeit durch eine versehentliche oder willkürliche Seitwärtsbewegung des überholten Fahrers verursacht worden sein. Der Anscheinsbeweis zulasten des Überholenden kann daher nur dann angewendet werden, wenn besondere Anhaltspunkte vorliegen, die erfahrungsgemäß für ein Verschulden des überholenden Fahrers sprechen, z.B. die etwaige Verengung durch entgegenkommenden Verkehr (Urteil vom 26. 11.1974, Az. VI ZR 10/75, VersR; BGH, Urteil vom 28.04.1987, Az: VI ZR 66/86, NJW-RR 1987, 1048,1049).

Derartige Anhaltspunkte für ein Verschulden des Beklagten liegen im vorliegenden Fall vor.

Unstrittig kam es im Zusammenhang mit dem „Auftauchen“ des Gegenverkehrs auf der Spur, auf der sich der Zeuge während des Überholvorgangs befand, zum Unfall.

Die Beklagte konnte diesen Anscheinsbeweis nicht entkräften, in dem sie einen Sachverhalt dargelegt und bewiesen hätte, aus dem sich die ernsthafte, nicht nur theoretische Möglichkeit eines untypischen Ablaufs ergibt. Die Beklagte hat schon nicht vorgetragen, dass es zu dem Unfall gekommen wäre, weil der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs eine Seitwärtsbewegung ausgeführt hat. Sie hat aber behauptet, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs seine Geschwindigkeit in dem Moment erhöht habe, als das Beklagtenfahrzeug den Überholvorgang schon begonnen hatte und einscheren wollte. Diese Behauptung konnte die Beklagtenseite nicht beweisen.

Nach § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies war schon nach der Unfallschilderung des Zeugen B[…] selbst nicht der Fall. Denn die Kollision belegt, dass der Fahrstreifen nicht frei war und der Fahrzeugführer des bei der Beklagen versicherten Fahrzeugs, der Zeuge B[…], das Fahrzeug der Klägerin übersehen hat. Vielmehr steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Unfall ereignete, als der Führer des Beklagtenfahrzeugs, wie der nach rechts einscheren wollte. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, der Zeuge B[…], hat schon nicht behauptet, sorgfältig das Verhalten des klägerischen Fahrzeugs beobachtetet zu haben, insbesondere sich davon überzeugt zu haben, dass der Einschervorgang problemlos erfolgen könnte. Er sagte vielmehr aus, dass er sich erschrocken habe, weil sich das klägerische Fahrzeug in diesem Moment auf seiner Höhe befunden habe.

Das Gericht ist nach Einvernahme der Zeugen J[…] W[…], K[…] W[…] und M[…] Sch[…] davon überzeugt, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs eine Fahrzeugkolonne überholt hat und das Überholmanöver bei erkennbarem Gegenverkehr nicht rechtzeitig abgebrochen hat. Der Zeuge J[…] W[…] gab glaubhaft an, dass er in dem Moment, als er einen Blick in den Seitenspiegel neben sich geworfen habe, erschrocken das Beklagtenfahrzeug wahrgenommen hab, zumal von vorne im Gegenverkehr ein Fahrzeug kam, welches dann auf den Fußweg ausweichen musste um einen Unfall zu vermeiden. Die Aussage des Zeugen J[…] W[…] wurde mittelbar bestätigt durch die Aussage seines Sohnes, des Zeugen K[…] W[…], der offen eingeräumt hat den Verkehr nicht aktiv verfolgt zu haben, aber aufmerksam geworden zu sein als sein Vati gerufen habe: „Ist denn der bescheuert?!“. Die Wiedergabe des Ausrufs erscheint äußerst lebensnah und spricht für eine plötzliche Gefahrensituation, statt einer Kraftprobe, um den Zeugen B[…] am Überholen zu hindern. K[…] W[…] bestätigte auch, dass ihnen ein Auto entgegengekommen ist, welches wegen des überholenden Beklagtenfahrzeuges ausweichen musste. Ebenso beschrieb der Zeuge Sch[…], dessen Ehefrau noch heute nachhaltig von dem Ereignis betroffen ist, eindrucksvoll, wie der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges „voll Schuss“ direkt auf ihn zugekommen sei, so dass er auf den Bürgersteig habe ausweichen müssen. Die Aussagen der Zeugen W[…] und Sch[…] decken sich im Kern. Die Zeugen waren glaubwürdig, ihre Aussagen waren glaubhaft. Sie sprachen natürlich und räumten Erinnerungs- und Kenntnislücken offen eingeräumt. Dass die Klägerin Ehefrau bzw. Muttter der Zeugen W[…] ist, begründet nicht die Unglaubwürdigkeit der Zeugen, zumal ihre Aussagen keine auffälligen Belastungstendenzen zeigten. Auch die geringe Diskrepanz der Angaben des Zeugen J[…] W[…] zu den Feststellungen der korrespondierenden Schäden begründet diese nicht. Vielmehr hat der Sachverständige G[…] mit dem Unfall korrespondierende Schäden am Auto beschädigt, die auch der Zeuge J[…] W[…] angegeben hat, auch wenn es in Einzelheiten eher geringfügige Unstimmigkeiten gegeben hat. Die Verbindung der Klägerseite zum Zeugen Sch[…] wird beklagtenseits lediglich als irgendwie möglich „ins Blaue hinein“ in den Raum gestellt. Anhaltspunkte für seine Unglaubwürdigkeit sieht das Gericht aber weder aufgrund seines Verhaltens noch aufgrund der wagen Anwürfe.

Die Aussage des Zeugen B[…], dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, überzeugt das Gericht nicht, um eine Beschleunigung des klägerischen Fahrzeugs als beweisen anzusehen. Sie war anders als die Aussage des Zeugen J[…] W[…] von deutlichen Entlastungsbestreben geprägt. Der Zeuge B[…] hat bekundet, dass er sich, als er schon fast am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen sei, so erschrocken habe, als das klägerische Fahrzeug neben ihm noch da war. So gab er anders als die anderen Zeugen an, kein weiteres Fahrzeug als das klägerische überholt zu haben. Das Fahrzeug des Zeugen Sch[…] im Gegenverkehr sei noch sehr weit weg gewesen und wahrscheinlich erst aufgetaucht, als er mit dem Fahrzeug der Klägerin schon auf einer Höhe gewesen sei. Warum der Zeuge Sch[…] dann panisch auf den Fußweg auswich, blieb in seiner Aussage offen. Der Zeuge B[…] war offensichtlich bemüht seinen Anteil an dem Unfall herunterzuspielen. Insgesamt wirkte er sehr fahrig und konfus. Dem Gericht ist nachhaltig in Erinnerung geblieben, dass es durchaus bedenklich ist, dass der Zeuge B[…], mag er vor Gericht auch besonders aufgeregt gewesen sein, noch aktiv am Straßenverkehr teilnimmt. Der Zeuge selbst hat aber auch nicht gesehen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beschleunigt hat, um ihm das Einscheren zu erschweren, er hat es vielmehr nur vermutet. Denn auf Nachfrage erklärte er, er sei schon am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen, habe einscheren wollen, als dieses plötzlich neben ihm gewesen sei, der müsse beschleunigt haben, es könne nicht anders gewesen sein. Während seines Überholvorgangs hatte er nicht bemerkt, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beschleunigt hat. Dies deckt sich auch mit dem hektisch-konfusen Eindruck des Gerichts vom Zeugen B[…].

Nach intensivem schriftlichen Befragen des gerichtlich bestellten Sachverständigen geht das Gericht davon aus, dass der beklagtenseits behauptete Unfallhergang, wonach das klägerische Fahrzeug während des Überholvorgangs nochmals beschleunigt hätte, zwar gemäß seiner Rekonstruktion des Fahrvorgangs technisch möglich ist, aber nicht nachgewiesen werden kann.

Vielmehr hat auch der einvernommene Zeuge Sch[…], der den Verkehrsvorgang sehr genau beobachtet hat, nicht feststellen können, dass das klägerische Fahrzeug beschleunigt habe, sondern vielmehr den Verkehrsvorgang als gleichmäßiges Fahren des klägerischen Fahrers beschrieben.

Mithin hat die Beklagtenseite den gegen sie entsprechenden Beweis des 1. Anscheins nicht entkräften können.

b)

Auf der anderen Seite konnte die Beklagte keinen Verstoß des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs gegen verkehrsrechtliche Vorschriften beweisen, insbesondere auch keinen Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO, wonach ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden muss. Ein solcher Verstoß wurde weder behauptet, noch wäre er sonst ersichtlich. Wie zuvor ausgeführt hat der Sachverständige G[…] auch nicht mit Sicherheit feststellen können, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs während des Überholvorgangs beschleunigt hat. Allein die technische Möglichkeit, dass es so gewesen sein könnte, erbringt den Nachweis nicht. Auch die Aussagen der Zeugen sprechen dagegen.

Der im Gegenverkehr befindliche Zeuge Sch[…] hat eine Beschleunigung des klägerischen Fahrzeugs nicht wahrgenommen. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass der Zeuge Sch[…], der den Gegenverkehr wegen der für ihn drohenden Gefahr genau beobachtet hat, ein solches Fahrmanöver anderenfalls bemerkt hätte.

4.2.

Die Abwägung der haftungsbestimmenden Verursachungsanteile gem. § 17 StVG führt unter diesen Umständen dazu, dass die Beklagte den Schaden ganz zu tragen hat. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt bei der Abwägung zurück.

Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die dessen Mitverschulden belegen; allein die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw rechtfertigt keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers (KG, Urteil vom 12. Juni 2003, 22 U 134/02, juris). Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (höchste Sorgfaltsstufe): er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat. In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für die Unfallschäden allein (Senat, Urteil vom 2. Oktober 2003, 12 U 53/02, VRS 106, 23 = KOR 2004, 106 = VM 2004. 29 Nr. 26 = VersR 2004,621; KG Berlin, Beschluss vom 3. Juli 2008- 12 U 239/07-, Rn. 23 – 24, juris).

Eine ordnungsgemäße Rückschau hat der Zeuge B[…] gerade nicht bestätigt.

5.

Danach hat die Beklagtenseite die bei dem Unfall entstandenen Schäden wie tenoriert gemäß § 249 BGB allein zutragen.

5.1

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 2.972,78 EUR (netto).

Das Gericht ist aufgrund des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen G[…] davon überzeugt, dass der Klägerin an dem PKW jedenfalls Schäden in dieser Flöhe entstanden sind.

a)

Bei unstreitigen Vorschäden und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits zuvor vorhanden waren (vgl. hierzu BGFIZ 71, 339), wofür er bei unstreitigen Vorschäden im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss (BGFl, Beschluss vom 6. Juni 2007, Az.: 12 U 57/06, VRS 113, 421).

Das Gericht hat nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden. Der Geschädigte ist jedoch verpflichtet die tatsächlichen Grundlagen die Anhaltspunkte für eine Einschätzung des Schadens und seiner Flöhe beizubringen und zu beweisen. Dies gilt insbesondere für die Darlegung und den Nachweis, dass der Schaden nach Art und Umfang auf das behauptete Unfallereignis zurückzuführen ist. Im Ergebnis der durch geführten Beweisaufnahme hat die Klägerin den Nachweis erbracht, dass ihr infolge des durch den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs verursachten Unfalls ein Schaden in der geltend gemachten Höhe entstanden ist. Sie hat dabei lediglich Anspruch auf Ersatz derjenigen Kosten, die erforderlich sind, um den Zustand herzustellen, in dem sich das Fahrzeug vor der Beschädigung durch den streitgegenständlichen Unfall befand. Hierzu hat der Zeuge J[…] W[…] erklärt, dass er die vorhandenen Vorschäden bereits vor der Begutachtung hat beseitigen lassen und ein vermeintliches Missverständnis bei der Dokumentation in der „Elypse“ auf den Fotos in der Ermittlungsakte durch den unfallaufnehmenden Polizeibeamten vorliegen müsse. Er hat nachvollziehbar in seiner Aussage angegeben, dass die von der Polizei dokumentierten Vorschäden auf einem Irrtum beruhten. Allerdings haben sich im Ergebnis des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens nicht alle Schäden mit dem Unfallereignis in Einklang bringen lassen. Jedoch hat der gerichtlich bestellte Sachverständige auf Nachfrage durch das Gericht bestätigt, dass die geltend gemachten Kosten für die Reparatur der mit dem Unfall korrespondieren Schäden erforderlich werden würden. Der Sachverständige hat in seinen Gutachten vom 01.11.2022 und 20.11.2022 mit Skizzen anhand der Höhenlagen und Charakteristika der Schäden nachvollziehbar und plausibel ausgeführt, dass sich die Schrammspur am linken Seitenteil der unteren äußeren Heckleuchte des VW sowie die Schadenspuren an der linken hinteren Fahrzeugtür, am linken Seitenteil, der linken hinteren Leichtmetallfelge und dem Stoßfänger hinten links dem streitgegenständlichen Unfall zuordnen lassen, andererseits die eher diffuse Verschrammung am Heckstoßfänger des VW links der Höhenlage des streitgegenständlichen Unfalls nicht zuzuordnen ist. Dies hat der Sachverständige als lediglich geringen Vorschaden eingestuft. Zu den anfallenden Reparaturkosten hat der Sachverständige ausgeführt, dass für die Reparatur die unfallbedingten Schäden Kosten in Höhe von ca. 3.520 -3.570 € anfallen würden. Dies deckt sich insoweit mit den geltend gemachten klägerischen Kosten von 3.200 €.

5.2

Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Unfallkostenpauschale i.H.v. 25 €, die das Gericht in ständiger Rechtsprechung gemäß § 287 ZPO für Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall ohne den Nachweis einzelner Schadenspositionen anerkennt.

5.3

Die Klägerin kann von der Beklagten auch die Zahlung von 129 € Nutzungsschadensausfall beanspruchen.

a)

Der vom Schädiger gemäß § 249 BGB zu ersetzenden Schaden erfasst auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Kraftfahrzeugs.

Es ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung unabhängig davon, ob der Wagen repariert wird, besteht. Der Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der die Möglichkeit zur Nutzung seines Pkw infolge eines Verkehrsunfalls einbüßt, hat auch dann ein Schadensersatzanspruch in Form einer Nutzungsentschädigung, wenn er kein Ersatzfahrzeug mietet. Voraussetzung ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs des Geschädigten und die fühlbare Beeinträchtigung der Nutzung, wobei dies Nutzungswillen und eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit voraussetzt (Grüneberg im Palandt 25. Aufl. 2016 149 und 40).

b)

Der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs der Klägerin ist zwischen den Parteien unstreitig. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht beabsichtigte das Fahrzeug zu nutzen, sind nicht ersichtlich. Das unsubstantiierte Bestreiten der Beklagtenseite hebt vorliegend diese Vermutungswirkung nicht auf. Das Gericht schätzt nach § 287 ZPO im Zusammenhang mit den bestätigten Angaben des Sachverständigen den Ausfall auf drei Tage. Die Höhe der Nutzungsentschädigung bemisst das Gericht nach den Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch mit 43 €/Tag. Diese Tabelle ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt (vergleiche BGH, Urteil vom 23.11.2004, Az. VIZR 357/03, Juris).

C)

Anders als die Beklagtenseite meint, liegt hier auch keine unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden vor. Die in der Rechtsprechung ausgeschlossene Mischung der beiden Schadenspositionen bezieht sich auf die Reparaturkosten an der beschädigten Sache selbst (BGH, Urteil vom 12.10.2021, Az.: VI ZR 513/19, juris).

5.4

Zudem hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die außergerichtliche Begutachtung des Unfallschadens durch die DEKRA Automobil GmbH in Höhe von auf 446,55 €, §§ 249, 257 S. 1 BGB.

Anders als die Beklagte meint, war das außergerichtliche Gutachten der DEKRA auch verwertbar. Die wesentlichen Feststellungen des außergerichtlichen Sachverständigen stimmen zum unfallbedingten Schaden und der Höhe der Reparaturkosten mit denen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen überein.

5.5

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 238,83 €.

Soweit dieser Anspruch gemäß § 86 VVO auf die Rechtsschutzversicherung der Klägerin übergegangen ist, wurde die Klägerin im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft bevollmächtigt diese Kosten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Die Kosten der Rechtsverfolgung ergeben sich aus dem Gegenstandswert der berechtigten Forderung in Höhe von 3.573, 33 € wie folgt.

1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2 300 VV RVG 361,40 €

abzüglich Anrechnung 0,65 Geschäftsgebühr Nr. 2300 W RVG

gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a RVG 180,70 €

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7 002 VV RVG 20 €

Nettobetrag 200,70 €

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7 008 VV RVG 38,13 €

Gesamtbetrag 238,83 €

5.6

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der weiteren ihr aufgrund des Unfalls entstandenen Schäden. Das Feststellungsinteresse beruht darauf, dass die Klägerin hier zunächst nur Reparaturkosten, die voraussichtlich anfallen werden, geltend macht, jedoch die Reparatur noch nicht hat vornehmen lassen.

Für den Fall der Reparatur steht zu erwarten, dass der Klägerin zumindest noch Kosten für die dann anfallende Umsatzsteuer entstehen werden.

6.

Die Beklagte hat der Klägerin die geltend gemachten Schäden gemäß § 849 BGB ab dem Folgetag des Unfallzeitpunkts, mithin ab dem 6.11.2021 mit dem gesetzlichen Zinssatz von 4 Prozentpunkten gemäß § 246 BGB zu verzinsen. Die weiteren Schäden hat die Beklagte der Klägerin ab dem 21. 1. 2022, bzw. dem Zeitpunkt, ab dem sich die Beklagte mit der Begleichung der übrigen Schadenspositionen in Verzug befand, gemäß §§ 247 BGB, 286 Abs. 1,

288 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wie tenoriert zu verzinsen.

7.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Abs.1 ZPO.

Der Streitwert wurde nach §§ 39 Abs.1,43, 45 Abs.1, 48 GKG i.V.m. §§ 3, 5 ZPO bemessen.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22

Haftungsverteilung 1/3 zu 2/3 bei Verkehrsunfall zwischen einem aus einer Ausfahrt Anfahrenden und einem Vorfahrtsberechtigten, der unter Missachtung der durchgezogenen weißen Linie, die der Fahrstreifenbegrenzung dient, wartende Fahrzeuge überholt

Nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz mit Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 14.3.2023 – 5 O 380/20) wurde entschieden, dass die Beklagte für 2/3 der unfallbedingten Schäden haftet. Der Fall betraf zwei Fahrzeuge, bei denen sich jeweils die Betriebsgefahr verwirklicht hatte. Allerdings wurde die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs als höher eingestuft. Der Kläger hatte im Ergebnis der Beweisaufnahme gegen Verkehrsregeln verstoßen, indem er trotz einer durchgezogenen Linie überholte. Im Gegensatz dazu hatte der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs die strengen Anforderungen beim Einfahren und Anfahren gemäß § 10 StVO nicht eingehalten.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz […]

im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 08.03.2023 eingereichten Schriftsätze

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 212,50 € zu zahlen nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB ab dem 27.08.2020 sowie aus einem Betrag von 425,00 € für den Zeitraum vom 11.07.2020 bis 26.08.2020.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 400,00 € zu zahlen nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB seit dem 12.09.2020.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen aus der Rechnung […] für Reparatur und Mietwagenkosten i.H.v. 318,85 € freizustellen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die […]versicherung […] einen Betrag i.H.v. 1.267,51 € zu zahlen […].

5. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Ingenieur- und Sachverständigenbüro […], von Forderungen i.H.v. 549,19 € aus der Rechnung […] freizustellen.

6. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

7. Das Urteil ist für die Beklagten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Geldbetrages.

Streitwert: 14.105,68 € bis 31.08.2020, danach bis 8.000,00 €.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch nach einem Verkehrsunfall.

Am 05.06.2020 gegen 15:45 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw Skoda die […] Straße. Vor der nächsten Kreuzung bildet sich verkehrsbedingt ein Stau. Der Kläger entschied sich, an dem stehenden Fahrzeugen links vorbei zu fahren, um sich an der Kreuzung in der Linksabbiegerspur einordnen zu können.

Der voraus befindliche im Stau stehende Verkehr ließ i.H.d. Ausfahrt vom rechts befindlichen […]markt eine Lücke. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversichernden Pkw Nissan nutzte diese Lücke, um aus dieser Ausfahrt herauszufahren mit dem Ziel, nach links auf die […] Straße aufzufahren.

In Höhe der Ausfahrt des […]marktes kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

In Fahrtrichtung des Klägers gesehen, befand sich in dem Bereich vor der Ausfahrt vom […]markt eine Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295 StVO).

In Folge des Unfalls entstanden dem Kläger Gutachterkosten i.H.v. 1.098,37 € brutto sowie Mietwagenkosten i.H.v. 835,20 €. Die Werkstatt rechnete ihm gegenüber Reparaturkosten am Pkw i.H.v. 10.983,19 € brutto ab. Am Fahrzeug verbleibt ein Minderwert von 400,00 €. Mit Abrechnungsschreiben vom 26.08.2020 regulierte die Beklagte insgesamt materielle Schäden i.H.v. 7.096,88 € […].

Der Kaskoversicherer des Klägers zahlte auf die Reparaturkosten den Betrag von 5.759,20 €.

Der Kläger trägt vor, der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen. Er habe eine Ausgangsgeschwindigkeit von maximal 15 km/h gehabt.

Die vorbenannte Teilregulierung durch die Beklagte erfolgte nach Klageerhebung mit Klageschrift vom 20.08.2020, jedoch vor Rechtshängigkeit der Klage (Zustellung am 12.09.2020).

Mit Schriftsatz vom 31.08.2020 erklärte der Kläger seine Teilklagerücknahme […].

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a. an den Kläger 425 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus€ seit dem 11.7.2020 zu zahlen.
b. an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäߧ 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
c. den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen aus der Rechnung […] für Reparatur- und Mietwagenkosten in Höhe von 11.818,39 € freizustellen.
d. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 1098,37 € aus der Rechnung […] freizustellen.
e. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7 /9, 01097 Dresden von der Forderung Für die Erstattung der Akteneinsichtspauschale in Höhe von 13,92 € (brutto) freizustellen.
f. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7 /9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 536,50 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt vor, der Kläger sei mit seinem Fahrzeug an den stehenden Fahrzeugen bis zur Unfallstelle vorbeigefahren, wobei er die durchgezogene Fahrstreifenbegrenzung überquert habe. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs habe sich aus der Ausfahrt heraus durch die belassene Mitte heraus getastet. Das unfallgegnerische Fahrzeug sei so dicht an den stehenden Fahrzeugen vorbeigefahren oder so schnell, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges den Unfall nicht habe vermeiden können.

Aus der gegebenen Unfallsituation erwachse eine Haftungsquote von maximal 50 %.

Nach Prüfung der Reparaturkostenrechnung bestreitet die Beklagte die Notwendigkeit von Reparaturkosten i.H.v. insgesamt 443,71 € […].

Ferner bestreitet die Beklagte eine unfallbedingte Verletzung des Klägers mithin das Vorliegen eines HWS-Traumas. Ein solches Trauma habe angesichts der geringen Intensität des Unfalls nicht eintreten können.

Es wurde Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Gutachtens. Die Verkehrsunfallakte wurde beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Die Parteien sind sich mittlerweile darüber einig, dass der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 400 € hat.

Entscheidungsgründe:

I.

Aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.06.2020 hat der Kläger Anspruch auf Schadensersatz, wie tenoriert (§ 7 StVG, § 115 VVG).

Die Beklagte haftet für die unfallbedingten Schäden mit einer Haftungsquote von 2/3 zu ihren Lasten. Bei diesem Unfall hat sich die Betriebsgefahr beider unfallbeteiligter Pkw verwirklicht. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges tritt nicht zurück hinter diejenige des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges.

Die Betriebsgefahr des klägerischen Pkw Skoda war dadurch erhöht, weil er unter Missachtung der durchgezogenen weißen Linie, die der Fahrstreifenbegrenzung dient (Zeichen 295) die im voraus befindlichen Fahrzeugstau überholte. Die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges war erhöht, weil der Fahrer dieses Fahrzeuges die strengen Anforderungen beim Einfahren und Anfahren (§ 10 StVO) nicht beachtet hat.

Der Verkehrsverstoß des Klägers lässt sich im Ergebnis der Beweisaufnahme feststellen aufgrund der Ermittlungen und Einschätzungen des Sachverständigen […], die im Einklang stehen mit den Feststellungen der Polizei vor Ort, wie es sich aus der beigezogenen Unfallakte ergibt.

Mit dem schriftlichen unfallanalytischen Gutachten lässt sich außerdem feststellen, dass der Unfall für beide Fahrzeugführer nur dann vermeidbar war, wenn sie auf ihr jeweils eigenes Fahrmanöver verzichtet hätten. Das heißt, wenn der Kläger auf das Überholen oder der Beklagte auf das Auffahren auf die Bundesstraße mit der Absicht nach links abzubiegen verzichtet hätte.

Der Verkehrspflichtenverstoß des Fahrzeugführers des Beklagtenfahrzeugs wiegt deutlich schwerer als derjenige Pflichtenverstoß des Klägers, so dass auch die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges als höher zu bewerten ist.

Wer aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen (§ 10 StVO). Damit sind die strengsten Verhaltensanforderungen aufgestellt. Diese hat der Führer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges letztlich gerade nicht erfüllt.

Der Kläger hat insgesamt materielle Schäden erlitten i.H.v. 13.341,76 € (Reparaturkosten 10.983,19 €, Wertminderung 400,00 €, Gutachterkosten 1.098,37 €, Mietwagenkosten 835,20 €, Pauschale 25,00 €). Hinzu kommen Nebenkosten (Akteneinsichtskosten von 13,92 € und Rechtsanwaltskosten von 536,50 €).

Der Unterzeichner schätzt die Reparaturkosten entsprechend der Reparaturkostenrechnung auf 10.983,19 € (§ 287 Abs. 1 ZPO). Weitere Beweisaufnahme etwa durch Einholung von Gutachten ist mit Blick auf den insoweit streitigen Betrag von 443,71 € sowohl prozessual als auch finanziell unverhältnismäßig. Hinzu kommt, dass eine Werkstatt eine eigenständige Kostenkalkulation vornehmen darf und jedenfalls gegenüber Dritten nicht an Vorgaben von Fahrzeugherstellern gebunden ist. Ferner kommt hinzu, dass ein Geschädigter vor der Beauftragung einer Reparatur keine Marktforschung betreiben muss, um festzustellen, ob bei einer anderen Werkstatt als der, die er ausgewählt hat, die Reparatur um ein paar wenige Hundert Euro günstiger ausfällt, wenn der Schaden ungefähr 10.000,00 € beträgt.

Von dem materiellen Schaden hat die Beklagte die Nebenkosten bereits ausdrücklich reguliert. Dementsprechend hat der Kläger seine diesbezügliche Klage bereits zurückgenommen.

Von den 13.341,76 € Hauptforderung hat die Beklagte 2/3 zu ersetzen, mithin einen Betrag von 8,894,51 €. Von diesem Betrag erstattete die Beklagte bereits 6.546,46 € (7.096,88 € abzüglich 13,92 € abzüglich 536,50 €).

Damit verbleibt eine Restforderung von 2.348,05 €. Aus diesem Betrag sind zunächst die verbliebenen Forderungen des Klägers zu befriedigen (Quotenvorrecht; Klageanträge 1 a., c., e.: 212,50 €; 318,85 €; 549,19 €). Es verbleibt ein Anspruchsrest von 1.267,51 €. Das ist der Betrag, den die Beklagte an den Kaskoversicherer des Klägers zu zahlen hat.

Wegen der unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen steht dem Kläger auch ein Schmerzensgeld i.H.v. 400 € zu. Über diesen Anspruch haben sich die Parteien zuletzt verständigt.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 709 ZPO, § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.“

(LG Görlitz, Urteil vom 14.3.2023 – 5 O 380/20)

Keine Fristsetzung zur Schadensbeseitigung durch den Vermieter erforderlich

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 2.2.2023 – 21 C 160/22) ist bei Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung der Obhutspflichten des Mieters entstanden sind, keine Fristsetzung zur Schadensbeseitigung durch den Vermieter erforderlich (so auch BGH, Urteil vom 27.06.2018 – XII ZR 79/17). Zudem kann ein Vermieter für die Beseitigung von Schäden auch die Kosten der eigenen Mitarbeiter als Eigenleistungen vom früheren Mieter erstattet verlangen.

Die durch die unterlegene Mieterin gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde durch das Landgericht Görlitz Außenkammern Bautzen mit Beschluss vom 28. Februar 2024 (Az. 5 S 10/23) zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]genossenschaft […]

– Klägerin u. Widerklägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…]

– Beklagte u. Widerklägerin –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2023 am 02.02.2023

für Recht erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit bezüglich der Klage erledigt hat.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf […] festgesetzt.

I. Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem beendeten Mietverhältnis.

Die Klägerin vermietete der Beklagten am 04.10.2019 die Wohnung in […] Bautzen […]. Das Nutzungsverhältnis wurde durch ordentliche Kündigung zum 31.08.2021 beendet. Bei Beendigung des Mietverhältnisses wurde am 30.08.2021 ein Abnahmeprotokoll erstellt, das Mängel an der Mietsache ausweist. Hierbei handelte es sich um die steitgegenständlichen Schäden an der Tapete im Wohnzimmer und Flur und am Fußbodenbelag im Wohnzimmer, die die Klägerin auf Kratzspuren eines Haustieres bzw. auch auf eine stumpfe Gewalteinwirkung durch unsachgemäßen Gebrauch zurückführt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21.02.2022 forderte die Beklagte die Rückzahlung ihrer Genossenschaftsanteile im Wert von 1.650,00 € und lehnte den Schadenersatzanspruch der Klägerin ab.

Die Klägerin behauptet, die Schäden durch ihre Mitarbeiter in Eigenleistung beseitigen lassen zu haben, wofür ihr Kosten in Höhe von 539,59 € entstanden seien. Dabei seien auf die Beseitigung der Schäden am Fußbodenbelag (unter Berücksichtigung eines Abzuges neu für alt) 245,59 € und auf die Beseitigung der Schäden an der Tapete 284,00 € entfallen.

Die Klägerin beantragte ursprünglich,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 539,59 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 22.02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragte zunächst:

1. die Klage abzuweisen sowie

2. widerklagend die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € seit dem 26.02.2022 zu zahlen.

Nachdem die Klägerin nach Beendigung der Mitgliedschaft der Beklagten das Geschäftsguthaben der Beklagten auseinandergesetzt hat, erklärte sie mit dem Auseinandersetzungsbetrag in Höhe von 1.650,00 € die Aufrechnung in Höhe von 547,45 €. Dieser ergab sich aus der Hauptforderung in Höhe von 539,59 € zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 7,86 € aus dem vorgenannten Betrag vom 22.02.2022 bis 30.06.2022 bei einem Zinssatz von fünf Prozent über dem Basiszinssatz. Zudem stellte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2020/21 vom 30.06.2022 in Höhe von 25,64 € zur Aufrechnung und überwies den Restbetrag von 1.076,91 € an die Beklagte.

Die Klägerin beantragte daraufhin, nachdem sie diesen Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt hat, festzustellen:

1. dass sich der Rechtsstreit (insoweit) erledigt hat sowie

2. die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragte daraufhin, die Klägerin und Widerbeklagte zu verurteilen,

1. an die Beklagte und Widerklägerin 547,45 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu zahlen;

2. an die Beklagte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.02.2022 zu zahlen.

Die Klägerin beantragte,

auch diese Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, man habe bei Übergabe der Wohnung an sie auf die Protokollierung des Risses im PVC-Belag verzichtet, weil es sich um einen gebrauchten PVC-Belag gehandelt habe. Der Einriss beruhe offensichtlich auf einer Materialermüdung, weshalb die Beklagte den Schaden nicht zu vertreten habe. Auch die Farbabplatzungen an der Tapete beruhten auf einer vertragsgemäßen Abnutzung der Mietsache. Die Beklagte habe einen Kratzbaum gehabt und wesentliche Teile der Wohnung vor der Reviermarkierung der Katze mit Pappe verklebt, weshalb bestritten werde, dass es sich um Kratzspuren der Katze handele. Im Übrigen habe die Klägerin der Aufnahme einer Katze in die Wohnung zugestimmt und damit Begleiterscheinungen wie Klettern und Kratzspuren zugestimmt. Jedenfalls seien die Veränderungen der Mietsache durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt worden.

Die Renovierungsleistungen der Klägerin seien nicht erstattungsfähig, weil die Beklagte ein Recht darauf gehabt hätte, diese selbst durchzuführen. Da eine offensichtliche Vertragspflichtverletzung der Beklagten nicht vorgelegen habe, hätte die Klägerin der Beklagten eine Frist zur Durchführung der Renovierungsleistungen setzen müssen.

Es werde bestritten, dass die Kosten für die Beseitigung der Schäden erforderlich und üblich und angemessen gewesen seien. Der Austausch des Fußbodenbelages im Wohnzimmer wegen eines Kratzers erscheine überzogen. Im Übrigen werde bestritten, dass sieben Arbeitsstunden und ein Eimer Farbe erforderlich gewesen seien, um die Tapete instand zu setzen. Bestritten werde auch, dass die Kratzspuren an der Tapete beseitigt worden seien. Auch sei die Restnutzung des PVC-Fußbodenbelages nicht nachvollziehbar. Dies für die gesamte Wohnzimmerfläche wegen eines Kratzers zu berechnen, erscheine überzogen, im Übrigen werde auch die Wohnzimmerfläche in Abrede gestellt. Es werde auch nicht näher dargelegt, wie die Klägerin auf den Einzelpreis und die Dauer von 49 Monate komme. Zudem werde bestritten, dass der unstreitig gebrauchte Fußbodenbelag 2017 verlegt worden sei. Auch die Kosten in Höhe von 245,59 € für die Beseitigung der Schäden werden bestritten.

Die Beklagte habe die Klägerin zur Rückzahlung der Mietsicherheit – wie schon klägerseits dargestellt – aufgefordert. Darüber hinaus sei der Einbehalt von 300,00 € nicht gerechtfertigt gewesen. Wegen der zu Unrecht erhobenen Forderung von insgesamt 839,59 € habe die Beklagte die Rechtsanwältin beauftragt, wodurch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € entstanden seien.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen K[…] und O[…]. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 29.09.2022 und 12.01.2023 verwiesen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II. Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet (1.). Die zulässige Widerklage hat keinen Erfolg (2.).

1.

Die Erledigung der Hauptsache war festzustellen. Die ursprünglich zulässige und begründete Zahlungsklage hat sich in der Hauptsache nach Eintritt der Rechtshängigkeit erledigt.

1.1

Der Klägerin stand gegen die Beklagte bei Rechtshängigkeit der Klage ein Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 539,59 € gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 BGB zu.

Das Gericht schließt sich der Auffassung des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 27.06.2018, Az.: VII ZR 79/17 (Fundstelle; juris) an, wonach Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung der Obhutspflichten des Mieters entstanden sind, der Mieter dem Vermieter – auch nach Beendigung des Mietverhältnisses – nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB als Schadenersatz neben der Leistung nach Wahl des Vermieters durch Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder durch Geldleistung (§ 249 Abs. 2 BGB) zu ersetzen hat, ohne dass es einer vorherigen Fristsetzung des Vermieters bedarf.

a)

Das Gericht geht im Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass die Mietsache, die von der Klägerin beschriebenen Substanzschäden sowohl hinsichtlich der Kratzer und des Risses im Fußbodenbelag des Wohnzimmers als auch an den Tapeten seitlich der Wohnzimmertür und im Flur während der Mietzeit der Beklagten erlitten hat. Die Beklagte konnte ihr fehlendes Vertretenmüssen nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB weder darlegen noch beweisen.

aa)

Das Gericht ist aufgrund der Einvernahme der Zeugin K[…] und in Anbetracht des vorgelegten Wohnungsübergabeprotokolls, davon überzeugt, dass die Beschädigungen am Fußbodenbelag des Wohnzimmers in der Mietzeit der Beklagten entstanden sind.

Bereits das Übergabeprotokoll der Wohnung von der Klägerin an die Beklagte spricht dafür, dass die Wohnung mangelfrei übergeben worden ist. Die Beklagte selbst hat persönlich in der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2023 erklärt, dass sie nicht mehr genau sagen könne, ob die Stellen im Fußboden bereits vorher da gewesen wären. Angesichts der vorgelegten und in Augenschein genommenen Lichtbilder ist davon auszugehen, dass anderenfalls solche auffälligen Schäden aufgenommen worden wären.

Gleiches bestätigt auch die Zeugin K[…], die für das Gericht sowohl in ihrem Auftreten glaubwürdig als auch in ihrer Aussage glaubhaft war. Sie zeigte keinerlei Belastungstendenzen und hat sich auch im Rahmen der sehr intensiven Befragung durch den Beklagtenvertreter weder aus der Ruhe noch von ihrem in sich konsistenten Aussageverhalten abbringen lassen. Sie ist vielmehr bei ihrer Angabe geblieben, dass die Wohnung jedenfalls mangelfrei war, als sie diese von der Vormieterin übernommen habe, weil sie bei der Wohnungsübergabe an die Beklagte nicht dabei war. Sie konnte zudem gut nachvollziehbar und detailliert die Kratzer und den Riss im Fußbodenbelag im Abnahmetermin von der Beklagten beschreiben. Ihre Aussage, dass die zu den Akten gereichten Fotos von ihr bei der Übernahme der Wohnung gemacht worden sind, war glaubwürdig.

bb)

Die Zeugin K[…] hat auch glaubhaft bestätigt, dass die in Augenschein genommenen, bei der Akte befindlichen Fotos, die bei der Wohnungsübernahme von ihr gemacht worden sind, die vermutlichen Kratzspuren an der Wohnzimmerwand der Tür zum Flur hin und im Flur zeigen.

Diese Schäden hat auch der Zeuge O[…] glaubhaft so bestätigt.

cc)

Sowohl bei den Schäden im Fußbodenbelag als auch an den Tapeten handelt es sich nicht um eine normale Abnutzung im Rahmen des üblichen Mietgebrauchs. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Klägerin der Beklagten die Haltung einer Katze genehmigt hat. Sie hat damit jedenfalls nicht der Zerstörung der Tapete und des Fußbodenbelages zugestimmt.

dd)

Die Beklagte konnte auch nicht darlegen und beweisen, dass die Schäden nicht von ihr zu vertreten sind, § 280 Abs.1 S.2 BGB.

Soweit die Inaugenscheinnahme der zugehörigen Lichtbilder deutlich auf Kratzspuren eines Haustieres hinweist, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 12.01.2023 angegeben, dass sie keinen Einfluss darauf habe, was ihre Katzen machen, wenn sie nicht da sei. Allein der Umstand, dass sie mit Kratzbäumen oder vorsorglicher Anbringung von Pappen versucht hat, dem entgegen zu wirken, genügt für eine Exkulpation nicht.

Gleiches gilt für den großen Riss im Fußbodenbelag. Soweit die Beklagte behauptet, dieser sei auf eine Materialermüdung/einen Materialfehler zurückzuführen, ist dies eine bloße Schutzbehauptung ins Blaue hinein, weil sie durch nichts unterlegt ist. Als solche ist sie unbeachtlich. Es erschließt sich dem Gericht nicht, dass dies nur an einer Stelle aufgetreten ist.

b)

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 245,59 € für die Schäden am Fußbodenbelag des Wohnzimmers und in Höhe von 284,- EUR für die Schäden an den Tapeten, mithin insgesamt in Höhe von 539, 59 EUR.

aa)

Die Klägerin hat hier die Wahl, Schadenersatz in Geld gem. § 249 Abs. 2 BGB zu verlangen, den das Gericht mit dem Maßstab des § 287 ZPO schätzen kann. Für die Schätzung reicht es aus, die entsprechenden Leistungen der Mitarbeiter der Klägerin für konkrete Arbeiten darzulegen. Diese können zu einer Bewertung des eingetretenen Schadens auch dann herangezogen werden, wenn die entsprechenden Arbeitszeiten im Unternehmen des Klägers nicht zusätzlich vergütet worden sind. Bei einem Anspruch nach § 249 BGB kann nämlich der Zeitaufwand im eigenen Unternehmen, der nicht lediglich der Schadensermittlung oder außergerichtlichen Abwicklung des Schadensersatzanspruchs dient, sondern der Schadensbeseitigung selbst, ersatzfähig sein, denn es ist nicht gerechtfertigt, solche besonderen Anstrengungen zur Schadensbehebung, die der Geschädigte durch den Einsatz seiner oder der Arbeitskraft seiner Mitarbeiter unternommen hat, dem Schädiger zugute kommen zu lassen (BGH, Urteil vom 09.12.2008, VI ZR 173/07, juris).

bb)

Ausgehend von diesen Grundsätzen schätzt das Gericht den Aufwand zur Beseitigung der Schäden am Fußbodenbelag in Höhe des geltend gemachten Betrages von 245,59 EUR.

Die Klägerin hat die notwendigen Arbeiten und unter Anrechnung eines näher beschriebenen Abzugs neu für alt nach detaillierter Aufführung der einzelnen Positionen für eine rund 16 m² großen Fußbodenbelag aus Kunststoff in eben dieser Höhe ermittelt.

Zu den aus ihrer Sicht erforderlichen Arbeiten zum Austausch des Bodenbelages des Wohnzimmers trägt die Klägerin vor, dass die gewöhnliche Nutzungszeit von PVC-Fußbodenbelägen 8 Jahre betrage. Der Bodenbelag sei im September 2017 neu verlegt worden, woraus sich eine Restnutzungszeit von 49 Monaten ergebe. Für das Entsorgen und Entfernen des Belages im Wohnzimmer, der 16,49 m² groß gewesen sei. Die ist für das regelmäßig mit Wohnraummietsachen befasste Gericht plausibel.

Das Gericht ist nach den überzeugenden Aussagen der Zeugin K[…] auch davon überzeugt, dass der unstreitig gebrauchte Fußbodenbelag 2017 verlegt worden ist.

Soweit die Beklagte hier bestreitet, dass diese Kosten ortsüblich und angemessen seien, kommt es darauf im Rahmen des § 287 ZPO nicht an. Vielmehr sind die aufgewendeten Kosten angesichts der allgemein- jedenfalls aber gerichtsbekannten Preise für vergleichbare Handwerkerleistungen und Fußbodenbelag nicht überteuert. Die Kenntnis des Gerichts beruht auf der regelmäßigen Befassung mit örtlichen Wohnraummietsachen und Handwerkerarbeiten. Detaillierten Gegenvortrag hierzu hält die Beklagte auch nicht, sondern beschränkt sich auf ein pauschales Bestreiten, das im Rahmen der Schadensschätzung unbeachtlich bleibt.

Die Beklagte kann auch nicht wirksam bestreiten, dass die Wohnzimmerfläche 16 m² betragen hat. Sie hat dort gewohnt und müsste substantiiert erwidern.

Mit der Klägerin hält es auch das Gericht für angemessen, einen zum Zeitpunkt des Austausches fünf Jahre alten Fußbodenbelag angesichts der vorliegenden Schäden komplett auszutauschen. Insbesondere im Wohnzimmer dürfte davon auszugehen sein, dass ein neuer Mieter – unabhängig davon, ob vergleichbare Fußbodenbeläge noch vorhanden sind – einen partiellen Austausch schon im Hinblick auf die Farb- und Qualitätsunterschiede nicht hinnehmen wollen würde. Darauf muss sich die Klägerin im Rahmen des ihr gemäß § 249 BGB zustehenden Schadenersatzes daher auch nicht verweisen lassen.

cc)

Die Klägerin hat darüber hinaus gegenüber der Beklagten auch einen Anspruch auf Schaden ersatz in Höhe von 284,00 € für die Beseitigung der Schäden an der Tapete.

Nach den zuvor dargestellten Maßstäben für die Schadensbemessung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO den geltend gemacht Schadenersatzbetrag als zutreffend ein.

Zur Höhe des entstandenen Schadens hat die Klägerin substantiiert vorgetragen, das ein Zeit aufwand von insgesamt sieben Stunden für Reinigungs- und Abklebearbeiten, Rollen und Weißen der Decke und Ausbesserungen sowie die erforderliche mehrfache Anfahrt sowie ein Eimer Farbe angefallen ist. Dies steht im Einklang mit dem von ihren Mitarbeitern zeitnah gefertigten Tätigkeitsnachweis und wurde vom Zeugen O[…] in der mündlichen Verhandlung für Seite 7das Gericht überzeugend bestätigt. Der Zeuge O[…] ist als Malermeister fachkundiger Zeuge und hatte keinerlei Belastungstendenzen in Richtung der Beklagten. Seine Aussage war glaubhaft, er selbst glaubwürdig. Ihm ging es sogar darum, klarzumachen, dass die Reinigungsarbeiten im Vorfeld normale Tätigkeiten im Rahmen einer üblicherweise vorzufindenden Beschmutzung der Fußbodenleiste und der Wände sind. Er hat detailliert und unaufgeregt „nüchtern“ die einzelnen Arbeitsschritte und die vollständige Beseitigung der Schäden beschrieben. Nachvollziehbar ist insoweit auch, dass die Klägerin im Hinblick auf etwaige Farbunterschiede, was der Zeuge aus seiner fachkundigen Sicht nachvollziehbar dargestellt hat, die Wände vollständig streichen lassen musste. Angesichts der allgemein bekannten Stundensätze für Handwerkerleistungen Ist auch hier das pauschale Bestreiten der Beklagten, dass die hierfür aufgewendeten Preise weder ortsangemessen noch üblich seien, nicht beachtlich. Insoweit kann auf vorstehende Ausführungen zum Fußbodenbelag verwiesen werden. Letztlich hat die Klägerin sogar schadensmindernd davon abgesehen, die betroffenen Wände neu zu tapezieren.

dd)

Auch die Inaugenscheinnahme der von der Zeugin K[…] gefertigten, bei der Akte befindlichen Lichtbilder stützt die Überzeugung des regelmäßig mit Wohnraummietsachen befassten Gerichts, dass es sich bei den streitgegenständlichen Schäden nicht um eine vertragsgemäße Abnutzung handelt. Aus der Inaugenscheinnahme ergibt sich auch, dass die Schilderungen der Zeugen zu den Schäden und deren Beseitigungsaufwand plausibel sind.

1.2

Der Rechtsstreit hat sich nach Rechtshängigkeit erledigt, weil der Zahlungsanspruch der Klägerin durch Aufrechnung mit dem Auseinandersetzungsguthaben, dessen Auszahlung erst nach Rechtshängigkeit fällig wurde, erloschen ist, § 389 BGB.

2.

Die Widerklage ist nicht begründet.

2.1.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung von 547,45 € nebst Zinsen für klägerseits nicht ausgezahlte Genossenschaftsanteile (Auseinandersetzungsguthaben) der Beklagten. Der diesbezügliche Auszahlungsanspruch der Beklagten ist durch Aufrechnung der Klägerin in Höhe eben dieses Betrages gem. § 389 BGB erloschen. Der Klägerin stand, wie unter 1. ausgeführt, ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 539,59 € gegenüber der Beklagten zu. Zudem hatte die Klägerin gegenüber der Beklagten gem. §§ 286 Abs. 1, 288 BGB einen Anspruch auf Verzinsung dieses Betrages in Höhe von 7,86 € für den Zeitraum vom 22.02.2022 bis 30.06.2022, weil sich die Beklagte spätestens ab diesem Zeitpunkt mit der Bezahlung der Schadenersatzforderung in Verzug befunden hat.

2.2.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin weder einen Anspruch auf Ersatz ihr außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten aus §§ 280 Abs. 1, 249 BGB noch aus einer sonstig ersichtlichen Anspruchsgrundlage, denn die Klägerin hat sich bei Beauftragung eines Rechtsanwalts durch die Beklagte nicht mit der Rückzahlung der Genossenschaftsanteile in Verzug befunden. Zum einen war die Rückzahlung des Anspruches zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig, zum anderen wirkt die Aufrechnung mit der berechtigten Schadenersatzforderung gem. § 387 BGB, soweit der Anspruch fällig wäre, wie nicht, zurück.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.

Bei der Festsetzung des Streitwertes waren die Werte von Klage und Widerklage zu addieren, §§ 3, 5 ZPO, § 45 Abs. 1 GKG.“

AG Bautzen, Urteil vom 2.2.2023 – 21 C 160/22