Rechtsprechung zum Werkstattrisiko: BGH stärkt Rechte der Unfallgeschädigten

In einer Reihe von Entscheidungen zum sogenannten Werkstattrisiko hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Unfallverursacher grundsätzlich die gesamte Werkstattrechnung nach einem Verkehrsunfall erstatten müssen, auch wenn diese möglicherweise überhöht ist. Der BGH führte hierzu aus, dass der Geschädigte, der in der Regel kein Fachwissen hat, um den Schaden und die dafür anfallenden Kosten zu beurteilen, die gesamten Reparaturkosten von der Versicherung des Unfallverursachers erstattet bekommen kann. Dies gilt selbst dann, wenn Teile der Reparatur möglicherweise nicht durchgeführt wurden, aber auf der Rechnung stehen.

Insoweit verbleibt der Versicherung des Unfallverursachers die Möglichkeit selbst von der Reparaturwerkstatt die Kosten für überhöhte oder nicht erforderliche oder erfolgte Reparaturmaßnahmen zurückzufordern.

Allerdings soll dies nicht zu einer Bereicherung des Geschädigten führen. Daher darf er, falls er die Rechnung noch nicht bezahlt hat, nur Zahlung direkt an die Werkstatt, nicht aber an sich selbst verlangen.

  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 38/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 239/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 253/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 266/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 51/23

Differenzierung zwischen echtem und unechtem Nachzügler bei einem Verkehrsunfall auf einer Kreuzung

In den Entscheidungsgründen des Urteils des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22) wird der Begriff des „echten Nachzüglers“ und des „unechten Nachzüglers“ im Kontext eines Kreuzungsbereichs erläutert. Diese Begriffe sind relevant für die Frage, welche Verkehrsteilnehmer in einer Kreuzung Vorrang haben, insbesondere wenn die Lichtzeichenanlage (Ampel) ihre Phase wechselt.

Ein echter Nachzügler ist ein Fahrer, der sich bereits im eigentlichen Kreuzungskern befindet, wenn der Querverkehr durch die Lichtzeichenanlage freie Fahrt erhält. In solchen Fällen wäre der Verkehrsfluss erheblich gestört, wenn dem echten Nachzügler nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu räumen. Der echte Nachzügler hat also das Recht, den Kreuzungsbereich vor dem Querverkehr zu verlassen.

Im Gegensatz dazu ist ein unechter Nachzügler ein Fahrer, der sich außerhalb des eigentlichen Kreuzungskerns befindet, wenn der Querverkehr grünes Licht erhält. In diesem Fall hat der unechte Nachzügler keine Vorfahrt und ist gegenüber dem Querverkehr wartepflichtig.

Der Unterschied liegt also primär in der Position des Fahrzeugs im Moment des Phasenwechsels der Ampel. Ein echter Nachzügler, der sich bereits im Kreuzungskern befindet, hat das Recht, die Kreuzung vor dem Querverkehr zu räumen. Ein unechter Nachzügler hingegen, der sich außerhalb des Kreuzungskerns befindet, muss dem Querverkehr Vorrang gewähren.

Diese Unterscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die Haftungsfrage im Falle eines Unfalls. In der vorliegenden Entscheidung konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass sie ein echter Nachzügler war, und hat daher ihre Vorfahrtsrechte verwirkt, was zu einer weit überwiegenden Haftung für den Unfall führte.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

gegen

1. […]

– Beklagte –

2. […] versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 28.09.2023 eingereicht werden konnten, am 19.10.2023

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 4.807,19 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 11.03.2022 gegen 11:25 Uhr in Bautzen, Kreuzung Zeppelinstraße/ Wilthener Straße geltend.

Unfallbeteiligt waren der PKW-Kia Ceed […] und der PKW-Fiat Panda […]. Die Klägerin, welche ein Hauskrankenpflege betreibt, war zum Unfallzeitpunkt Halterin und Eigentümerin des PKW-Fiat, der von der Zeugin H[…] gefahren wurde. Die Beklagte zu 1) war Fahrerin des PKW-Kia, welcher bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Die Zeugin H[…] befuhr zum Unfallzeltpunkt mit dem klägerischen Fahrzeug die Wilthener Straße in stadtauswärtiger Fahrtrichtung. An der Kreuzung wollte sie nach links in die Zeppelinstraße abbiegen. Die Beklagte zu 1) befuhr mit dem Beklagtenfahrzeug die Siemensstraße in Fahrtrichtung Zeppelinstraße und musste zunächst an der dortigen roten Ampel halten. Bei Grünlicht fuhr sie in den Kreuzungsbereich ein, wo es zur Kollision und Beschädigung beider Fahrzeuge kam.

Die Beklagte zu 2 hat die Schäden der Klägerin zu 1/3 ausgehend von einer Verursachungsquote von 2/3 zu Lasten der Klägerin ausgeglichen. Den restlichen Schaden macht die Klägerin mit der vorliegenden Klage geltend.

Sie behauptet, die Zeugin H[…] sie bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren, habe aber dort verkehrsbedingt anhalten müssen, um dem Gegenverkehr den Vorrang einzuräumen. Die Beklagte zu 1 sei ebenfalls bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren, aber ohne auf die sich noch im Kreuzungsbereich befindliche Zeugin H[…] zu achten, wodurch es zur Kollision gekommen sei.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 4.807,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.05.2022 zu zahlen;
sowie die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 439,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.05.2022 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Zeugin H[…] sei der Beklagten schon an der Ampel aufgefallen, weil sie ohne ersichtlichen Grund zum Teil innerhalb der Fußgängerfurt auf der Fahrspur der Klägerin gestanden hätte. Weitere Fahrzeuge hätten nicht davor gestanden. Während die Beklagte zu 1 bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren sei, sei die Zeugin H[…] bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren, wodurch es zum Unfall gekommen sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H[…], L[…] und G[…] sowie durch Einholung eines schriftlichen verkehrsanalytischen Sachverständigengutachtens […]. […]

Das Gericht hat im Einverständnis mit den Parteien gemäß des Beschlusses vom 05.09.2023 […] im schriftlichen Verfahren […] entschieden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG oder einer anderen Anspruchsgrundlage.

1.
Die grundsätzliche Haftung der Parteien hinsichtlich des Verkehrsunfalls ergibt sich für die Klägerin aus der Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG, für die Beklagte zu 1) aus der Fahrerhaftung gem. §§ 18, 7 StVG und für die Beklagte zu 2) aus § 115 VVG. Der Unfall ereignete sich beim Betrieb der Fahrzeuge.

2.
Der Unfall stellte für beide Beteiligten kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. StVG dar. Unabwendbar gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist nur ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt – nämlich durch ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den persönlichen Maßstab hinaus – nicht abgewendet werden kann (vgl. BGH NZV 2005, 305). Dies erfordert die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrmomente einschließlich erheblicher fremder Fehler (vgl. OLG Gelle Urteil vom 28.03.2012 – 14 U 156/11). Weder die Zeugin H[…] als Fahrerin des Klägerfahrzeuges, noch die Beklagte zu 1 als Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges haben sich vorliegend wie ein sog. „Idealfahrer“ verhalten. Sie hätten nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Schneider, denen sich das Gericht nach Inaugenscheinnahme der Lichtbilder von der Unfallkreuzung anschließt, das jeweils andere Fahrzeug vor der Kollision sehen können und hätten vorausschauend handeln müssen.

3.
Steht somit die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Neben der Verursachung ist auch der Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten beider Schadensverteilung zu berücksichtigen. Bei der Abwägung der für den Unfall ursächlichen Umstände können nur die zugestandenen oder nachgewiesenen Tatsachen berücksichtigt werden (vgl. BGH Urteil vom 27.06.2000 – VI ZR 126/99 m.w.N.). Nimmt der Verursachungsanteil oder das Verschulden einer Partei ein derart hohes Maß an, dass dahinter die Mitursächlichkeit der anderen Partei nicht Ins Gewicht fällt, so hat diese den Schaden alleine zu tragen.
Andernfalls ist die Haftung im Rahmen einer umfassenden Abwägung anhand der jeweiligen Beiträge nach § 17 Abs. 1, 2 StVG aufzuteilen.

4.
Die vorzunehmende Abwägung ergibt vorliegend, dass die Klägerin keinen weiteren Schadenersatz verlangen kann. Dies begründet sich damit, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Verkehrsunfall in schuldhafter Weise zumindest weit überwiegend selbst verursacht hat.

Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind.

Der Klägerin ist der Nachweis, dass die Fahrerin ihres Autos als sog. echte Nachzüglerin den Kreuzungsbereich vorrangig vor dem Querverkehr und damit auch vor dem Beklagtenfahrzeug verlassen durfte, nicht gelungen. Als sog. echte Nachzügler werden diejenigen Fahrer bezeichnet, die sich bereits im eigentlichen Kreuzungskern befinden, wenn der Querverkehr durch die Lichtzeichenanlage freie Fahrt erhält, und die dort im Kreuzungsbereich in aller Regel den Verkehrsfluss erheblich stören würden, wenn ihnen nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu räumen (BGH Urteil vom 11.05.1971 -VI ZR 11/70; OLG Koblenz Urteil vom 08.09.1997 – 12 U 1355/96; OLG Hamm Urteil vom 26.08.2016 – 1-7 U 22/16). Unter dem Begriff des Kreuzungskerns ist die von den Fluchtlinien der Fahrbahnränder eingegrenzte Fläche zu verstehen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 11 StVO Rn. 2).

Als außerhalb des Kreuzungskerns befindliche sog. unechte Nachzüglerin war die Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegenüber dem Querverkehr und damit auch gegenüber der Beklagten zu 1 wartepflichtig. Sie musste auch bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt damit rechnen, dass die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr zwischenzeitlich auf Grünlicht geschaltet hat (vgl. OLG Düsseldorf NVZ 1997,481; OLG Hamm Urteil vom 26.08.2016 – i-7 U 22/16 jeweils m. w. N.). Insoweit ist der [Fahrerin des Klägerfahrzeugs] ein schuldhafter Verstoß gegen die ihr gem. gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegende Sorgfaltspflicht vorzuwerfen, da sie dennoch in die Kreuzung einfuhr und ihre Wartepflicht missachtete.

Der Sachverständige hat in seinem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten, dem das Gericht nach eigener Prüfung vollumfänglich folgt, ausgeführt, dass die Behauptung der Klägerseite, die Zeugin H[…] habe zum Unfallzeitpunkt gestanden, technisch nicht nachvollziehbar ist und sich der von der Zeugin H[…] in der mündlichen Verhandlung geschilderte Kollisionsposition nicht mit den örtlichen Gegebenheiten in Einklang bringen lässt, hingegen aber die Darstellung der Beklagten, sie sei bei grün eingefahren, während die Zeugin H[…] bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei und gegen die hintere Fahrzeugseite des Beklagtenautos unter verschiedenen Szenarien technisch darstellbar ist.

Soweit die Beklagte zu 1) im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung sowie die Zeugin L[…] als Beifahrerin im Beklagtenfahrzeug im Rahmen ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 24.11,2022 angegeben haben, die Beklagte zu 1 sei bei grün in den Kreuzungsbereich eingefahren, ist das Gericht aufgrund der übereinstimmenden Angaben aller Seiten davon überzeugt. Auch hält es das Gericht aufgrund der Plausibiltätsbetrachtung des Sachverständigen für sehr wahrscheinlich, dass die Zeugin H[…] noch nicht in den Kreuzungskernbereich eingefahren war, als die Ampel für die Beklagte zu 1 auf grün schaltete. Wo genau und warum die Zeugin gehalten hatte, war nicht aufzuklären und kann für die Entscheidung letztlich offen bleiben, weil – wie zuvor beschrieben – die Klägerin jedenfalls den Nachweis, dass die Zeugin H[…] in der Kreuzung gestanden hatte und vor der Beklagten zu 1 vorrangige Kreuzungsräumerin gewesen war, nicht führen konnte. Die gegenteilige Aussage der Zeugin H[…] war technisch, wie vom Sachverständigen anhand der feststehenden Rahmenbedingungen nachvollziehbar dargestellt, technisch nicht plausibel.

Der Zeuge G[…] kam als Polizeibeamter erst nach dem Unfall, als die Unfallfahrzeuge bereits die Kreuzung geräumt hatten, zum Unfallort und konnte daher aus eigener Wahrnehmung zum Unfallhergang nichts sagen. Dennoch konnten seine Beschreibungen als Polizeibeamter dem Sachverständigen Anhaltspunkte liefern.

Die Zeugin H[…] musste angesichts der gegebenen Umstände bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als sie in den Kreuzungskern fuhr, auch damit rechnen, dass die Schaltung der Lichtzeichenanlagen bereits gewechselt hatte und der Querverkehr Grünlicht bekommen hatte. Sie hätte zudem nach den Ausführungen des Sachverständigen, die das Gericht anhand der mit den Parteien in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der beigezogenen Ermittlungsakte das in den Kreuzungsbereich einfahrende Fahrzeug der Beklagten zu 1 sehen können, wie eben auch die Beklagte zu 1 das von der Zeugin H[…] geführte Fahrzeug hätte sehen können, dass ihr zunächst nach ihrer eigenen Angabe aufgrund der ungewöhnlichen Haltepostion im Fußgängerbereich der Kreuzung aufgefallen war. Der Zeugin H[…] fällt daher ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StVO zur Last. Der Beklagten zu 1 ist dagegen kein Verstoß gegen § 11 Abs. 3 StVO, wohl aber ein leichter Verstoß gegen § 1 Abs.2 StVO anzulasten. Es lässt sich auch nicht erkennen, dass die Beklagte zu 1 trotz erkennbaren Vorfahrtverstoßes der Zeugin H[…] sich ihren Vorrang hatte erzwingen wollen.

Vielmehr durfte sie darauf vertrauen, dass sich die Zeugin H[…] verkehrsgerecht verhalten und bis zur nächsten Grünphase stehen bleiben würde. Allerdings wäre es ihr bei gehöriger Aufmerksamkeit möglich gewesen das klägerische Fahrzeug vor dem Zusammenstoß zu erkennen und, wenn auch vielleicht nicht den Unfall zu vermeiden, so aber dessen Folgen zu mindern.

7.
Bei Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß §§ 17 Abs. 1, 2 StVG ergibt sich vorliegend keine Haftung der Beklagten, die eine Quote von 1/3, nach der der Unfallschaden der Klägerin bereits reguliert ist, übersteigen würde.

Auf Seiten der Beklagten war lediglich die Betriebsgefahr, eventuell um einen leichten Verstoß gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 1 Abs.2 StVO ihres Fahrzeuges erhöht, zu berücksichtigen. Dem steht der schuldhafte Verkehrsverstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs gegen §§ 37, 1 Abs. 2 StVO gegenüber.

Die Beklagte zu 1 durfte darauf vertrauen, dass sie gefahrlos bei grüner Lichtzeichenanlage die Kreuzung passieren kann und auch die Fahrerin des Klägerfahrzeugs das Vorrecht des Querverkehrs infolge des zwischenzeitlichen Phasenwechsels beachten wird. Nach dem sog. Vertrauensgrundsatz darf ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten, solange er sich selbst derart verhält. So muss ein Kraftfahrer, für den durch grünes Licht der Verkehr freigegeben ist gem. § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StVO, grundsätzlich nicht damit rechnen, dass andere Fahrzeuge unerlaubter Weise von der Seite her in die Kreuzung einfahren (BGH Urteil vom 11.05.1971 -VI ZR 11/70). Er darf sich in der Regel vielmehr darauf verlassen, dass er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr abgeschirmt ist (vgl. OLG Düsseldorf NVZ 1997, 481).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

100%ige Haftung eines Ausparkenden bei einem Parkplatzunfall, der mit seinem Fahrzeug gegen ein den Ausparkvorgang Wartenden stößt.

Das Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22) betrifft einen Verkehrsunfall auf einem Parkplatz. Die Klägerin und die Beklagte parkten ihre Fahrzeuge in Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen. Die Klägerin fuhr rückwärts aus ihrer Parkbucht aus und blieb dann stehen, als sie bemerkte, dass die Beklagte ebenfalls rückwärts aus ihrer Parkbucht ausfuhr. Trotz des Hupens der Klägerin fuhr die Beklagte weiter rückwärts und stieß gegen das Fahrzeug der Klägerin.

Das Gericht entschied, dass die Beklagte 100% der Haftung für den Unfall trägt. Es wurde festgestellt, dass die Beklagte gegen § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat, da sie rückwärts fuhr und dabei das Fahrzeug der Klägerin beschädigte. Das Gericht stellte fest, dass es technisch möglich gewesen wäre, für die Beklagte aus ihrer Parkbucht auszuparken und den Parkplatz zu verlassen, ohne das Fahrzeug der Klägerin zu treffen.

Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass der Unfall für sie unvermeidbar war. Allerdings wurde festgestellt, dass sie zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und versucht hatte, durch Hupen die Beklagte zu warnen. Das Gericht entschied, dass die Klägerin den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern konnte.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

gegen

[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigter:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 30.06.2023 eingereicht werden konnten, am 21.07.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] freizustellen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 3.182,12 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 09.11.2021 auf dem Parkplatz […] in Bautzen ereignete.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw, Typ FIAT Tipo […] den Parkplatz. Die Zeugin J[…] M[…] befuhr mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW, Typ Hyundai i20 […] den Parkplatz.

Die Parteien parkten zunächst jeweils in den Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen.

Die Klägerin fuhr sodann rückwärts aus ihrer Parkbucht aus. Im Folgenden kam es zur Kollision des klägerischen Fahrzeugs und des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…], die ebenfalls rückwärts aus der Parklücke ausgefahren war. Das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug und das klägerische Fahrzeug kollidierten am Kotflügel des Fahrzeugs der Klägerin und am Heck des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…].

Am Fahrzeug der Klägerin entstand folgender Sachschaden:

1. Am Pkw der Klägerin entstanden entsprechend dem […] vorgelegten Gutachten vom 07.01.2022 und dem […] vorgelegten Nachtragsgutachten vom 07.03.2022 des Kfz-Sachverständigenbüros […] Beschädigungen an der linken Fahrzeugfront.

Der vordere linke Kotflügel weist eine starke Ausknickung auf. Die linke Stoßfängerwange wurde beschädigt. Der linke Scheinwerfer ist gebrochen. Am Stoßfänger wurden Halterungen abgerissen. Gegenüber den angrenzenden Fahrzeugteilen, Motorhaube, Kotflügel rechts wurden Farbtonunterschiede auffällig, sodass eine Beilackierung des rechten vorderen Kotflügels und der Motorhaube durchgeführt wurde. Die Kosten für die Reparatur des Fahrzeugs betragen ausweislich der Reparaturkostenrechnung […] der Reparaturwerkstatt […] 4.775,93 Euro brutto.

2. Ausweislich dem Gutachten des Kfz-Sachverständigenbüros […] vom 07.01.2022 entstand durch die Beschädigung eine Wertminderung in Höhe von 400,00 Euro.

Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeugs beträgt 18.700,00 Euro und wird somit durch die Höhe des Schadensumfangs nicht erreicht.

3. Die Gutachterkosten betragen gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros Kfz-Sachverständigenbüro […] vom 07.01.2022 und gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros […] vom 07.03.2022 insgesamt 836,09 Euro brutto.

4. Die Klägerin macht ferner restliche Mietwagenkosten gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] der Reparaturwerkstatt […] vom 14.03.2022 geltend. Die Klägerin musste für die Dauer der Reparatur ein Ersatzfahrzeug mieten, da die Fahrt zur Arbeitsstätte, berufliche Fahrten sowie private Fahrten einen PKW erfordern.

5. Ferner beansprucht die Klägerin eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro für Telefonate, Porto und Fahrtkosten.

Die Klägerin mahnte die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten zur Zahlung der Schadensersatzansprüche an und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 17.01.2022. Die Zahlung wurde erneut durch anwaltlichen Schriftsatz am 22.03.2022 angemahnt.

Die Beklagte regulierte den Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %.

Im Ergebnis wird unter Berücksichtigung der Zahlung der Beklagten für den Schaden am Fahrzeug ein verbleibender Betrag:

  • in Höhe von 2.387,96 Euro für die Reparaturkosten
  • in Höhe von 200,00 Euro für die Wertminderung
  • in Höhe von 418,04 Euro für die Schadensgutachten
  • in Höhe von 163,62 Euro für die Mietwagenkosten und
  • in Höhe von 12,50 Euro die restliche Unkostenpauschale für Telefonate, Porto und Fahrtkosten

geltend gemacht.

Die Klägerin behauptet, sie habe am Unfallort aus der Parklücke rückwärts ausgeparkt und habe mit ihrem Fahrzeug gestanden. Bevor die Klägerin mit ihrem Fahrzeug zum Ausgang des Parkplatzes fahren konnte, erkannte sie, dass die Zeugin J[…] M[…] mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug auszuparken begann. Zur Vermeidung einer Gefahrensituation will die Klägerin mit ihrem Fahrzeug stehengeblieben sein, um den Ausparkvorgang des Unfallgegners stehend abzuwarten. Aus der Sicht der Klägerin bestand für die Zeugin J[…] M[…] grundsätzlich ausreichend Platz für den Ausparkvorgang. Die Klägerin behauptet, als das Fahrzeug der Unfallgegnerin rückwärts auf das Fahrzeug der Klägerin dicht zu fuhr und augenscheinlich nicht das hinter ihr stehende Fahrzeug der Klägerin wahrnahm, will die Klägerin versucht haben durch durchgehendes Hupen die Zeugin J[…] M[…] zu warnen. Ungeachtet dessen soll diese die Rückwärtsfahrt fortgesetzt haben und sei gegen den Kotflügel des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Die Klägerin habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern können.

Die Klägerin meint, die Zeugin J[…] M[…] habe den Unfall allein verschuldet. Insbesondere spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Fahrzeugführerin des Fahrzeugs der Beklagtenseite. Für die Klägerin sei der Unfall unvermeidbar gewesen und hätte auch durch die Anwendung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abgewendet werden können, sodass eine Haftung der Klägerin ausgeschlossen sei.

Aufgrund des Zeitablaufs nahm die Klägerin die Vollkaskoversicherung […] zur Zwischenfinanzierung des restlichen Schadens in Anspruch, die unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts der Klägerin am 09.11.2022 eine Gesamtzahlung in Höhe von 3.006,00 Euro, mithin 2.387,96 Euro auf die Reparaturkosten, 200,00 Euro auf die Wertminderung und 418,04 Euro auf die Sachverständigenkosten an die Klägerin leistete. In der Folge ist die Erstattungsforderung der Klägerin in Höhe von 3.006,00 Euro durch den gesetzlichen Forderungsübergang auf die Vollkaskoversicherung übergegangen. Mit Schriftsatz vom 14.11.2022 hat sie ihre Klageanträge […] umgestellt.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 so\wie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] vom 14.03.2022 freizustellen.

Die Beklagte behauptet, der Verkehrsunfall ereignete sich, als die Klägerin mit dem Pkw rückwärts aus ihrer Parkposition auf dem Parkplatz […] in Bautzen ausparkte und da bei gegen den Pkw der Zeugin J[…] M[…] stieß. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden habe. Zudem bestreitet die Beklagte, dass die Zeugin J[…] M[…] ausreichend Platz zum Ausparken gehabt habe.

Die Beklagte bestreitet den geltend gemachten Zinsschaden, soweit die Klägerin begehrt, von geltend gemachten Beträgen freigestellt zu werden, dürfe der Freistellungsanspruch nicht verzinst werden, da es sich hierbei nicht um eine Geldschuld handelt.

Der Verkehrsunfall sei für die Klägerin nicht unvermeidbar gewesen. Es dürfte auch kein Anscheinsbeweis gegen die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs sprechen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin J[…] M[…] und durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Für das Ergebnis der Zeugenvernehmung und der Anhörung der Klägerin wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2022 und auf das Sachverständigengutachten vom 13.04.2023 verwiesen. Insoweit wird auch im Übrigen wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Urteil ergeht mit dem Einverständnis der Parteien ohne Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, § 128 Abs. 2 ZPO.

I.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die Klägerin auch prozessführungsbefugt, soweit Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen der Zahlung ihrer Vollkaskoversicherung im November 2022 auf diese gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangen sind. Dies folgt aus § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Veräußerung oder Abtretung eines Rechts auf den Prozess keinen Einfluss hat. Die Norm gibt dem Zedenten nicht nur bei der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge, sondern auch dem vorliegenden gesetzlichen Forderungsübergang die Möglichkeit, Rechte des Zessionärs in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. Zöller/Greger, ZPO. 33. Aufl. 2020, § 265 ZPO Rn. 5).

II.

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin und die [Vollkasko] haben nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG, §§ 249 ff. BGB aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen die Beklagte in Höhe von 12,50 Euro durch Zahlung an die Klägerin, auf Freistellung der Mietwagenkosten in Höhe von 136,62 Euro und in Höhe von 3.006,00 Euro durch Zahlung an die [Vollkaskoversicherung].

1.

Die [Vollkaskoversicherung] ist hinsichtlich des Klageantrags zu 2 nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG aktivlegitimiert. Zudem ist das Fahrzeug der Klägerin beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, dessen Versicherer die Beklagte im Unfallzeitpunkt war, beschädigt worden, § 7 Abs. 1 StVG.

Der Anwendung des § 7 StVG steht nicht entgegen, dass sich der Unfall auf einem Parkplatz ereignete. Denn öffentlicher Verkehr ist auch bei – wie hier vorliegend – öffentlichen und allgemein zugänglichen Parkplätzen zu bejahen (MüKoStVR/Engel, 1. Aufl. 2017, StVG § 7 Rn. 10).

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten entfällt nicht nach § 7 Abs. 2 StVG. Der Unfall beruhte nicht auf höherer Gewalt.

3.

In welchem Umfang die Parteien als die am Unfall beteiligten Fahrzeughalter und Versicherer

der Fahrzeugführerin einander Ersatz leisten müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, § 17 Abs. 1,2 StVG.

a)

Der Ausgleich ist nicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG ausgeschlossen. Der Zusammenstoß zwischen dem PKW der Klägerin und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug war für keinen Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis.

Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der

Halter als auch der Fahrer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beachtet hat. Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes und geistesgegenwärtiges Handeln über dem Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 13.12.1990 – III ZR 14/90, BGHZ 113, 163). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit

des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommt, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt In eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH Urteil vom 17.03.1992 – VI ZR 62/91, NJW 1992,1684; Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, NJW 2006, 896).

bb)

Keine der Parteien hat darzulegen und zu beweisen vermocht, dass auch ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr nicht hätte abwenden können oder jedenfalls einen weniger schweren Unfall verursacht hätte. Ein über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus sachgemäß und geistesgegenwärtig handelnder Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten hätte den Unfall ebenso abwenden können, wie ein ebenso handelnder Fahrer des PKW der Klägerin. Zwar hat der Sachverständige nach Analyse der Spuren und Schäden bestätigt, dass das Fahrzeug der Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Flanke der Frontpartie des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Des Weiteren stellte der Sachverständige jedoch fest, dass es der Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges technisch möglich gewesen wäre, ohne Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin aus der Parklücke herauszufahren und den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen. Der Verkehrsunfall war für die Zeugin J[…] M[…] vermeidbar, da es für sie aus technischer Sicht möglich gewesen wäre, mit dem Fahrzeug rückwärts aus der Parkbucht auszuparken, ohne mit dem Fahrzeug der Klägerin zu kollidieren und anschließend den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen.

Für den Nachweis der Unvermeidbarkeit des klägerischen Fahrzeugs reicht allein der erwiesene Umstand, dass der Pkw der Klägerin vor der Kollision ausweislich des unfallanalytischen Sachverständigengutachten zum Stillstand gekommen war und sie mit Hupen auf sich Aufmerksam machte, allerdings nicht aus, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein „Idealfahrer“ anstelle der Klägerin das Beklagten-Fahrzeug rechtzeitig unfallvermeidend hätte erkennen können (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 06.06.2019 – 4 U 89/18; NJW-RR2019, 1435).

b)

Unter Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG tritt die Haftung des Fahrzeugs der Klägerin aus der Betriebsgefahrvollständig hinter der Haftung des Fahrzeugs der Beklagtenseite zurück, sodass die Beklagtenseite die alleinige Haftung trifft.

Da keine Seite die Unvermeidbarkeit des Unfalls belegen kann, ist nach den jeweiligen Verursachungsanteil abzuwägen, § 17 Abs. 2 StVG. Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1,2 StVG ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Ver-schulden (BGH Urteil vom 13.12.2016 -VI ZR 32/16). Bei der gebotenen Abwägung dürfen unstreitige, zugestandene oder erwiesene Tatsachen zugrunde gelegt werden, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Im Rahmen der Feststellung der Verursachungsbeiträge muss jeder Seite das Mitverschulden der Gegenseite beweisen.

aa)

Die Fahrzeugführerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs hat gegen § 1 Abs. 1 i. V.

m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen.

Wegen der besonderen Sorgfaltspflicht spricht gegen den Rückwärtsfahrer der Beweis des ersten Anscheins (OLG München N2V 2014, 416; KG NJW-RR 2010, 1116; LG Hagen ZfS 1992, 44). Zwar ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt sie aber über § 1

StVO. Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärts fährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Mitverschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen (BGH, Urt. v. 11. 10.2016 – VI ZR 66/16 = r+s 2017, 93, beck-online; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 27. Aufl. 2022, StVO § 9 Rn. 69). Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat. Denn gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein Fahrer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Ausweislich der Feststellungen im Sachverständigengutachten konnte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts den Beweis führen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision mit ihrem Fahrzeug gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Frontpartie stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Hierdurch hat die Zeugin J[…] M[…] gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen und den Verkehrsunfall verschuldet.

Zudem kommen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung. Das Gericht schließt sich den oben stehenden Ausführungen an. Danach greift zulasten der Beklagtenseite ein Anscheinsbeweis aufgrund der erfolgten Kollision während eines rückwärtigen Fahrvorgangs. Die Feststellungen des Sachverständigen bestätigen, dass sich ein für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises typische Lebenssachverhalt ereignete. Denn es steht nach der Beweisaufnahme fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, die Zeugin J[…] M[…], als Rückwärtsfahrende, zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand. Es gelang der Beklagtenseite nicht, diese zu erschüttern. Zudem wäre das Fahrzeug für die Zeugin J[…] M[…] optisch sowie die Gefahrensituation durch das Hupen auch akustisch erkennbar und der Unfall für diese vermeidbar gewesen. Die Klägerin hatte noch den Versuch unternommen, die Aufmerksamkeit der Zeugin J[…] M[…] zu erreichen und den Unfall zu vermeiden. Dies deckt sich mit den Feststellungen des Sachverständigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand und der Aussagen aus der Zeugenbefragung, in der die

Zeugin J[…] M[…] angab, dass die Klägerin durchgehend hupte.

Die Ausführungen des Sachverständigen Schlütter sind für das Gericht plausibel. Als von der Ingenieurkammer Sachsen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Kraftfahrzeugschäden und -bewertung ist der Sachverständige Schlütter für die Begutachtung kompetent. Seine Ausführungen sind logisch, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei.

Die Beklagte ist nach § 115 Abs. 1 Satz 2, 4 VVG einstandspflichtig.

bb)

Eine Mithaftung der Klägerin ergibt sich hier nicht aus § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO, weil ihr kein wesentliches verkehrswidriges Verhalten zur Last zulegen ist.

Ein Anscheinsbeweis greift nicht zulasten der Klägerin, da diese zum Zeitpunkt der Kollision bereits stand. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass sich die Klägerin mit ihrem Fahrzeug verkehrsgerecht verhalten hat. Der Sachverständige stellte fest, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hat. Schlüssig ist nach den Feststellungen des Sachverständigen auch, dass die Klägerin zur Vermeidung einer Kollision durch Hupen versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen. Nach Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Zeugin J[…] M[…] das Fahrzeug der Klägerin während des Rückwärtsfahrens übersehen hat.

cc)

Vor diesem Hintergrund und des im Übrigen geringen Verursachungsbeitrag der Klägerin an dem Unfallgeschehen haftet die Beklagtenseite zu 100%. Der Unfall war zwar weder für die Zeugin J[…] M[…] noch für die Klägerin unvermeidbar. Der Verursachungsbeitrag der Klägerin ist allerdings als so gering zu bewerten, dass er wegen des überwiegenden Mitverschuldens der Zeugin J[…] M[…] bei der gemäß § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung vollständig zurückzutritt. So liegen die Grenze zwischen dem Verhalten eines Idealfahrers und des tatsächlichen Verhaltens der Klägerin so nah beieinander, dass hinsichtlich der Verursachungsbeiträge keine Quotelung zulasten der Klägerin erfolgt.

Das Klägerfahrzeug stand ausweislich des oben stehenden Ergebnisses der Beweiswürdigung zum Zeitpunkt der Kollision. Zuvor hat sie den Ausparkvorgang zwar bei eingeschränkten Sichtverhältnisses begonnen, kam allerdings noch vor der Kollision für die Zeugin J[…] M[…]

bei gehöriger Rückschau erkennbar und rechtzeitig zum Stehen, sodass die Zeugin J[…] M[…] die Kollision hätte vermeiden können. Diesbezüglich wird auf die obenstehende Beweiswürdigung Bezug genommen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand. Zum anderen hatte die Zeugin J[…] M[…] die Möglichkeit, das eigene Fahrzeug vor der Kollision rechtzeitig anzuhalten, zumal die Klägerin mit dem Hupen noch ein Warnsignal abgegeben hat. Außerdem ist auf Parkplätzen stets mit aus Parklücken fahrenden Fahrzeugen zu rechnen, sodass der Zeugin J[…] M[…] im besonderen Maße eine Sorgfaltspflicht dahingehend oblag, das eigene Fahrzeug jederzeit anhalten zu können und auf ausparkende Fahrzeuge entsprechend reagieren zu können.

4.

Durch die Kollision entstand ein ersatzfähiger Schaden im Sinne von §§ 249 ff. BGB. Mit Ausnahme der beantragten Zinsen für den Freisteilungsanspruch ist der Schaden der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Unter Berücksichtigung der, der Beklagtenseite anzurechnenden Verursachungsquote von 100 %, ergibt sich der noch zu ersetzende Betrag wie folgt:

a) Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der restlichen Unkostenpauschale in Höhe von 12,50 Euro, da es sich hierbei um einen ersatzfähigen Schaden im Sinne von gemäß § 249 BGB handelt (BGH, Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11; NJW 2011,2871).

b) Die Klägerin hat gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls einen Anspruch auf Freistellung in Bezug auf die aufgewendeten Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 257 Satz 1 BGB. Der Anspruch der Klägerin ist auf Freistellung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Autohaus […]. Aus der Rechnung vom 14.03.2022 mit der Rechnungsnummer 920277 und nicht auf Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin gerichtet, weil der Klägerin mangels vermögensmindernder Zahlung kein Schaden entstanden ist.

c) Ferner kann die Klägerin in Folge der Zwischenfinanzierung auf die restlichen Reparaturkosten in Höhe von 2.387,96 Euro, der restlichen Wertminderung in Höhe von 200,00 Euro und auf die restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 418,04 Euro – insgesamt also 3.006,00 Euro an die [Vollkaskoversicherung] verlangen.

Auf Grund der Regulierung der Ersatzansprüche ist die [Vollkaskoversicherung] gemäß § 86 VVG Anspruchsinhaberin geworden.

5.

Der Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 1 und Abs. 3, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 analog, 291 BGB. Die Hauptforderung ist antragsgemäß zu verzinsen.

Die Fälligkeit tritt in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung ein, wenn wegen

einer Verletzung einer Person oder wegen einer Beschädigung einer Sache nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Ersatz zu leisten ist (BGH, Beschluss vom 18.11.2008 – VI ZB 22/08; NJW 2009, 910). Ist die Voraussetzung der Fälligkeit des Schadenersatzanspruchs gegeben und liegt eine Mahnung vor, sind die gesetzlichen Verzugszinsen bereits vor Ablauf der dreimonatigen Bearbeitungsfrist und aufgrund der BGB-Verzugsregelung zu zahlen (OLG Rostock, Beschluss vom 9.1.2001 -1 W 338/98; MDR 2001,935).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1,2 ZPO.

V.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG.“

AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22

Zum Werkstattrisiko des Schädigers nach einem Verkehrsunfall

Durch das Amtsgericht Leipzig (AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23) wurde entschieden, dass die Beklagte die gesamten Reparaturkosten zu erstatten hat. Die Begründung dafür basiert auf mehreren rechtlichen Grundsätzen und Bestimmungen des deutschen Rechts.

Die Haftung der Beklagten für den durch den Unfall entstandenen Schaden zwischen den Parteien war im vorliegenden Fall unstrittig. Dies bedeutet, dass die Beklagte grundsätzlich verpflichtet ist, den durch den Unfall verursachten Schaden zu ersetzen.

Die entscheidende Frage in diesem Fall war jedoch, in welchem Umfang die Beklagte für die Reparaturkosten aufkommen muss. Hierbei spielt § 249 Abs. 2 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine zentrale Rolle. Nach dieser Vorschrift kann der Geschädigte, wenn eine Sache beschädigt wurde, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte.

In diesem Zusammenhang hat das Gericht festgestellt, dass die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten durfte, da sie keine besseren Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hatte. Insbesondere hat das Gericht berücksichtigt, dass der Geschädigte bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Das sogenannte Werkstattrisiko geht daher zu Lasten des Schädigers.

Darüber hinaus hat das Gericht festgestellt, dass der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel ziehen konnte. Der Bericht ließ nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen und konnte daher nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung haben.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Leipzig […]

im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO am 30.06.2023

für Recht erkannt:

1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 1.096,90 € bis zum 3.2.2023 und auf 856,90 € ab dem 4.2.2023 festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche anlässlich eines Verkehrsunfalls geltend.

Am 28.6.2022 ereignete sich auf der L321 in Meine ein Verkehrsunfall. An diesem waren das Fahrzeug der Klägerin […] und das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug […] beteiligt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach für den entstandenen Schaden ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin hat den oben genannten Pkw bei der Reparaturwerkstatt […] reparieren lassen, diese hat dafür eine Rechnung über 19.103,40 € netto erstellt. Die Beklagte hat vorgerichtlich in Bezug auf die geltend gemachten Reparaturkosten einen Betrag i.H.v. insgesamt 18.006,50 € netto bezahlt. Grundlage war der von der Beklagten eingeholte Prüfbericht […] vom 30.08.2022, welcher eine Neuberechnung vorgenommen hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechnung vom 16.08.2022 […] und den Prüfbericht vom 30.08.2022 […] Bezug genommen. Nach Klageeinreichung am 17.1.2023 und vor Zustellung der Klage zahlte die Beklagte auf die Reparaturkosten am 3.2.2023 einen weiteren Betrag i.H.v. 240,00 €.

Die Klägerin behauptet, ihr sei durch den Unfall ein Reparaturschaden in Höhe von insgesamt 19.103,40 € netto entstanden. Dieser Betrag sei für eine sach- und fachgerechte Instandsetzung des klägerischen Fahrzeugs erforderlich gewesen.

Die Klägerseite beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

Die Beklagtenseite beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, Reparaturkosten seien allenfalls i.H.v. 17.766,50 € netto erforderlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erklärt.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1.)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Form von Reparaturkosten aus dem Verkehrsunfall vom 28.6.2022 i.H.v. 856,90 € netto gemäß §§7Abs. 1,17Abs. 1 StVG.823Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG.

a)
Die Haftung der Beklagten nach einer Haftungsquote von 100 % für die der Klägerin bei dem Unfall vom 28.6.2022 entstandenen Schäden dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

b)
Der Höhe nach hat die Beklagte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Kläger auch die weiteren Reparaturkosten i.H.v. 856,90 € netto zu erstatten.

Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Verursacht also von mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt; denn nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (statt vieler: BGH, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 9, zitiert nach juris).

Allerdings sind unter dem Blickpunkt, dass der Schädiger grundsätzlich für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen hat, an die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt nämlich darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, Rn. 9, zitiert nach juris). Es ist insbesondere Rücksicht auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Diese „subjektbezogene Schadensbetrachtung“ kann sich sowohl zugunsten des Geschädigten als auch zugunsten des Schädigers auswirken (BGH, Urteil vom29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 10, zitiert nach juris).

Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73, Rn. 10, zitiert nach juris). Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 10, jeweils zitiert nach juris).

Dem Geschädigten sind in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen sind, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 12, zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, BeckRS 1995, 01930; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 11, zitiert nach juris). Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Würde nämlich der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, Vl ZR 42/73, Rn. 10; LG Köln, Urteil vom Seite 507.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 12, jeweils zitiert nach juris).

Die Zuweisung des Prognoserisikos bewirkt, dass die für die Schadensschätzung maßgeblichen Feststellungen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Einschätzung der Wiederherstellungskosten erfolgt, der konkrete Schadensersatz sich aber nach den tatsächlichen Kosten richtet (vgl. OLG Zweibrücken, Beschiuss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, zitiert nach juris). Ersatzfähig sind danach auch die Kosten, die ex ante als erforderlich erschienen, ex post jedoch erfolglos oder in Wirklichkeit nicht erforderlich waren (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16).

Dies gilt nur dann nicht, wenn den Geschädigten ein Auswahlverschulden bezüglich des von ihm beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt trifft (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015,14 U 63/15, Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, jeweils zitiert nach juris). Der Unfallgeschädigte darf darauf vertrauen, dass die Werkstatt nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht erbracht wurden oder Reparaturen vornimmt, die nicht erforderlich waren (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 11, zitiert nach juris).

c)
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind vorliegend auch die weiteren Reparaturkosten in Höhe von 856,90 € netto als erforderlich i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen, auch wenn die Reparaturkosten – wie von der Beklagten behauptet – zur Behebung des Unfallschadens nicht notwendig gewesen sein sollten. Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten dürfen.

(1)
Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bezüglich der mit den Reparaturarbeiten beauftragten Reparaturwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Einen Vortrag hierzu hat die Beklagte nicht gehalten.

(2)
Auch vermag der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel zu ziehen. Der von der Beklagten vorgelegte Bericht […] lässt nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen, sodass er nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung hat. Weshalb der namenlose Verfasser in der Lage sein soll, die Kosten für durchgeführte Reparaturarbeiten anzuzweifeln, ohne das Auto gesehen zu haben, wird mit keinem Wort erläutert.

2.)
Die Klägerin hat gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 BGB gegen die Beklagte ferner einen Anspruch auf Ersatz von Zinsen in gesetzlicher Höhe.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23

Anscheinsbeweis bei Unfall während Überholvorgangs und Nutzungsausfallentschädigung bei fiktiver Abrechnung

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22) kann ein Anscheinsbeweis gegen den Überholenden angewendet werden, wenn bestimmte Umstände vorliegen, die auf ein Verschulden des überholenden Fahrers hindeuten. Ein Beispiel dafür ist eine Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr, die der Überholende hätte beachten müssen.

Der Anscheinsbeweis bezieht sich in der Rechtsprechung auf die Annahme, dass ein gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Resultat führendes Verhalten, auch in einem speziellen Fall dieses Resultat verursacht hat. Im Kontext von Verkehrsunfällen wird damit unter bestimmten Bedingungen angenommen, dass der Unfall durch das Verhalten eines bestimmten Fahrers verursacht wurde.

Im speziellen Fall eines Überholmanövers wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Anscheinsbeweis nicht automatisch gegen den überholenden Fahrer angewendet. Ein Anscheinsbeweis bei einem Verkehrsunfall mit einem Überholenden liegt nur vor, wenn spezifische Umstände (bspw. Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr) vorhanden sind, die auf ein Fehlverhalten des überholenden Fahrers hinweisen.

Im Kontext eines Verkehrsunfalls, der mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers zusammenhängt, legt der Anscheinsbeweis nahe, dass der Fahrstreifenwechselnde den Unfall durch Missachtung seiner Pflichten verursacht und verschuldet hat. Diese Pflichten umfassen die Einhaltung höchster Sorgfalt, ausreichende Rückschau und die deutliche Anzeige des Fahrstreifenwechsels durch Fahrtrichtungsanzeiger gemäß § 7 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO). In der Regel haftet der vorausfahrende Fahrer bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel allein für die Unfallschäden. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten ist nur möglich, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweisen kann, die ein Mitverschulden des anderen Fahrers belegen. Die bloße Betriebsgefahr des am Unfall beteiligten Fahrzeugs rechtfertigt jedoch keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers.

Zudem kann ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall eine Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen, auch wenn er sein Fahrzeug nicht reparieren lässt. Dieses Recht besteht, da der gemäß § 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu ersetzende Schaden auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Fahrzeugs umfasst. Unabhängig von der Reparatur des Fahrzeugs kann der Eigentümer eines privat genutzten Autos eine Nutzungsentschädigung verlangen, wenn er infolge eines Unfalls die Nutzung seines Autos verliert. Voraussetzung dafür ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit und eine spürbare Beeinträchtigung der Nutzung, basierend auf dem Willen zur Nutzung und einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit. Hierin liegt auch keine unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, da die unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden nur für die Reparaturkosten des beschädigten Fahrzeugs gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 28.04.2023 eingereicht werden konnten, am 19.05.2023 folgendes

Urteil

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) an die Klägerin 3.126,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten aus 2.972,78 EUR für die Zeit vom 06.11.2021 bis zum 20.01.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.126,78 EUR seit dem 21.01.2022 zu zahlen;
b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 446,55 EUR […] freizustellen.
c) an die Klägerin nicht anrechenbare außergerichtliche Kosten i.H.v. 238,83 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 26. 02.2022 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die weiteren Kosten der Klägerin zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.11.2021 gegen 17:50 Uhr in Großpostwitz/OL., insbesondere der Schadensbehebung, ergeben.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 4.025,19 EUR festgesetzt.

I. Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.11.2021, der sich gegen 17:50 Uhr […] in Großpostwitz/Oberlausitz ereignet hat. Die Beklagte war am Unfalltag Haftpflichtversicherer des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeugs PKW, Typ Dacia „Sandero“ […] am Unfalltag.

Die Klägerin machte im November 2021 gegenüber der Beklagten ihre Schadenersatzansprüche geltend, wobei der Beklagten das Gutachten des von ihr beauftragten Sachverständigenbüros vom 11.11.2021 übersandt wurde. Als bis Januar 2022 keine Zahlung erfolgte, beauftragte die Klägerin Ihren Prozessbevollmächtigten mit der Schadensregulierung.

Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin des am Unfall beteiligten VW Tiguan […]. Sie habe das Fahrzeug innerhalb der Familie am 28.09.2012 von der Verkäuferin P[…] S[…] erworben. Ausweislich der […] vorgelegten Zulassungsbescheinigungen habe die Klägerin aufgrund einer Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch den tatsächlichen Besitz an dem Fahrzeug erlangt.

Der Unfall habe sich ereignet, als der Zeuge J[…] W[…], der Ehemann der Klägerin, mit dem Fahrzeug der Klägerin ordnungsgemäß mit der höchstzulässigen Geschwindigkeit innerorts auf der […]straße in Fahrtrichtung Zentrum des Ortes gefahren sei. Der Unfallgegner habe versucht mit einem erheblichen Geschwindigkeitsüberschuss mehrere Fahrzeuge einer Kolonne, an deren Spitze sich der Zeuge W[…] befand, zu überholen. Als sich der Unfallgegner auf der Höhe des Fahrzeugs der Klägerin befunden habe, habe der Zeuge J[…] W[…] aufgrund des nahenden Gegenverkehrs erkannt, dass ein sicheres Überholen für den Unfallgegner nicht mehr möglich gewesen wäre und sein Fahrzeug abgebremst. Auch das entgegenkommende Fahrzeug habe abgebremst und sei teilweise auf den rechten Fußweg ausgewichen. Das Fahrzeug des Unfallgegners sei mit seiner rechten vorderen Seiten gegen die hintere linke Seite des Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Auch der Unfallgegner habe sein Fahrzeug stark abgebremst und versucht in die Fahrspur des Fahrzeugs der Klägerin zu wechseln, wodurch es zu einem seitlichen Anstoß der Fahrzeuge gekommen sei. Der Zeuge W[…] habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt weder durch Abbremsen noch durch Ausweichen verhindern können. Es spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Fahrzeugführers der gegnerischen Seite.

Durch den Unfall seien am Fahrzeug der Klägerin folgende Teile beschädigt worden: Heckverkleidung, die Rückleuchte links, die Seitenwand links, die Tür hinten links, die Radlaufblende hinten links, die Türverkleidung unterhalb hinten links und das Scheibenrad hinten links verschrammt. Der Reifen hinten links weise Druckspuren auf. Ausweislich des Sachverständigengutachtens fielen hierfür Reparaturkosten i.H.v. 2972,78 € (netto) an. Zum Zeitpunkt des Unfalls hätten keine relevanten Altschäden im Anstoßbereich bestanden. Soweit auf Seite 10 der Ermittlungsakte darauf verwiesen werde, handele sich um eine unzutreffende Wiedergabe der Angaben des Zeugen J[…] W[…] durch die Polizeibeamten. Bei dem gegenüber dem unfallaufnehmenden Polizeibeamten beschriebenen Schaden handele es sich um einen oberflächlichen Bagatellschaden, der keine Auswirkungen auf die Höhe der Reparaturkosten gehabt habe.

Darüber hinaus macht die Klägerin eine Unfallkostenpauschale i.H.v. 25 € geltend.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich die Beklagte mit der Zahlung des Schadensersatzes in Verzug befinde.

Die Kosten für das außergerichtlich eingeholte Gutachten betragen 446,55 €. Sie wurden bislang nicht von der Klägerin bezahlt, weshalb sie Freistellung von diesen Kosten verlangt.

Weiter verlangt die Klägerin entsprechend der voraussichtlichen Reparaturdauer eine Nutzungsausfallentschädigung für drei Tage i.H.v. 129 €, wobei sie nach der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch eine Nutzungsausfallentschädigung von 43 € pro Tag ansetzt.

Zudem stellt die Klägerin einen Feststellungsantrag für mögliche weitere Kosten aufgrund des Unfalls, insbesondere im Hinblick auf die bei erfolgter Reparatur fällig werdende Umsatzsteuer.

Die Klägerin begehrt weiter die Erstattung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten für die Einschaltung ihres Rechtsanwalts zur Schadensregulierung i.H.v. 238,83 €. Sie wurde von ihrer Rechtsschutzversicherung ermächtigt die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Die Klägerin beantragt zuletzt,
a) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.126,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten aus 2.972,78 EUR für die Zeit vom 06.11.2021 bis zum 20.01.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.126,78 EUR seit dem 21.01.2022 zu zahlen;
b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 446,55 EUR […] freizustellen;
c) an die Klägerin nicht anrechenbare außergerichtliche Kosten i.H.v. 238,83 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 26. 02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Zeuge J[…] W[…] sei vor dem Unfallgeschehen nur mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h gefahren trotz der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Dacia, der Zeuge B[…], habe deshalb beabsichtigt, den VW Tiguan nach dem Ausgang der Doppelkurve in Rodewisch/Großpostwitz auf der sich anschließenden geraden und übersichtlichen Oberlausitzer Straße mit der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit zu überholen. Nachdem er bereits zum Überholen angesetzt und vor dem VW Tiguan wieder auf den rechten Fahrstreifen habe einscheren wollen, habe der Fahrer des VW Tiguan beschleunigt. Dieser habe ihn nicht einscheren lassen wollen, sodass es dabei zu einer Berührung zwischen den beiden Pkw gekommen sei. Der Fahrer des Dacias habe selbstverständlich darauf vertraut, dass der Fahrer des VW diesen während des Überholvorgangs nicht beschleunigen würde.

Der Schadenersatzanspruch sei aber auch deshalb abzuweisen, weil die Klägerin mit der Klage versuche, bereits vor dem Unfallereignis an Ihrem Pkw bestandene Vorschäden abzurechnen. In der von der Polizei erstellten Lichtbildmappe seien die Fahrzeugschäden am Kfz der Klägerin dokumentiert worden. So ist zu einem Kratzer am Kotflügel hinten auf der Fahrerseite angemerkt: „Elypse zeigt Schäden, welche nicht ursächlich mit diesem Verkehrsunfall im Zusammenhang stehen.“ In dem von der Klägerin eingeholten Gutachten werde explizit der Heckbereich als anstoßbedingt beschädigt bezeichnet. Ein Vorschaden wird im Gutachten nicht erwähnt.

Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass der Klägerin 25 € für unfallbedingte Auslagen entstanden seien.

Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung stehe der Klägerin im vorliegenden Fall der fiktiven Schadensberechnung nicht zu. Die Klägerin vermische damit unzulässig fiktiven und konkreten Schadenersatz.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen R[…] G[…] sowie durch Einvernahme der Zeugen J[…] W[…], K[…] W[…], M[…] Sch[…] und P[…] B[…]. Zudem wurde die Verkehrsunfallakte des Landratsamtes Bautzen […] beigezogen. Sie war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Nach Eingang des Sachverständigengutachtens ist das Gericht mit Zustimmung der Parteien in das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO übergegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und die durchgeführte Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere das darin befindliche Protokoll, das Sachverständigengutachten und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 VVG, §§ 249 ff. BGB in der ausgeurteilten Höhe zu.

1.

Der VW Tiguan der Klägerin wurde bei dem Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges vom Typ Dada, das der Zeuge B[…] gefahren hat, beschädigt.

Das Gericht ist im Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin Eigentümerin des VW Tiguan ist und auch im Unfallzeitpunkt war.

Der Zeugen J[…] W[…] hat glaubhaft, weil lebensnah und nachvollziehbar, bestätigt, dass das Fahrzeug seiner Frau gehöre und sich noch ein zweites Auto im Familienbesitz befinde, das ihm gehöre. Der Zeuge hat zudem den klägerischen Vortrag bestätigt, dass seine Frau das Auto von ihren Eltern gekauft hat, üblicherweise dürfte dies mit einer Eigentumsübertragung verbunden sein, wofür die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Kaufvertrag und Zulassungsbescheinigungen), die ihren Vortrag zum Kauf und Eigentumserwerb stützen, sprechen.

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht wegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen.

3.

Keine der Parteien hat den ihr jeweils obliegenden Nachweis erbracht, dass der Unfall ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.

3.1

Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinaus (ständige Rechtsprechung; Koenig in Henschel/Koenig/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 17 StVG Rn. 22). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommen, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH, Urteil vom 17. 3. 1992, Az. VI ZR 62/91, NJW 1902 90,1684; Urteil vom 13.12.2005, Az. VI ZR 68/04, NJW 2006,896).

3.2

Nach diesen Maßstäben haben weder die Beklagte noch die Klägerin beweisen können, dass der Unfall unabwendbar war. Nach den Angaben des Sachverständigen G[…] sind beide von den Parteien geschilderten Unfallhergänge technisch möglich.

4.

Somit hängt die gegenseitige Haftung gem. § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG davon ab, in wie weit der Schaden vorliegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, wobei im Rahmen der Abwägung des gegenseitigen Verursachens- und Verschuldensbeitrages nur unstreitige zugestandene oder bewiesene Tatsachen zu berücksichtigen sind, wobei jede Partei dem anderen Teil einen als Verschulden anzurechnenden Umstand oder andere dessen Betriebsgefahr erhöhende Tatsachen zu beweisen hat (BGH Urteil vom 13.02.1996, Az.: VI ZR 126/95, NZV 1996, 231).

4.1

Im Ergebnis der Beweisaufnahme geht das Gericht davon aus, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs während des Überholvorgangs nach rechts in das von dem Zeugen W[…] gesteuerte klägerische Fahrzeug, indem er in die von ihm benutzte Fahrbahn hinein gelenkt hat, verursacht hat.

a)

Die Beklagte muss sich das Verschulden des Fahrers des bei ihr versicherten PKW Dacia zurechnen lassen.

Vorliegend spricht bereits der Beweis des 1. Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs, wonach der Unfall auf der schuldhaften Vernachlässigung der sich aus § 7 Abs. 5 StVO ergebenden erhöhten Sorgfaltspflichten beruht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht im Zusammenhang mit der Durchführung eines Überholmanövers der Beweis des 1. Anscheins zwar nicht ohne weiteres für ein schuldhaft verkehrswidriges Verhalten des hinterherfahrenden/überholenden Fahrzeugführers. Es kann in solchen Situationen nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass der Zusammenstoß stets auf einer Pflichtverletzung beruht, die dem Überholenden verkehrsrechtlich oblag. Die Kollision kann nämlich auch mit nicht wesentlich weniger hoher Wahrscheinlichkeit durch eine versehentliche oder willkürliche Seitwärtsbewegung des überholten Fahrers verursacht worden sein. Der Anscheinsbeweis zulasten des Überholenden kann daher nur dann angewendet werden, wenn besondere Anhaltspunkte vorliegen, die erfahrungsgemäß für ein Verschulden des überholenden Fahrers sprechen, z.B. die etwaige Verengung durch entgegenkommenden Verkehr (Urteil vom 26. 11.1974, Az. VI ZR 10/75, VersR; BGH, Urteil vom 28.04.1987, Az: VI ZR 66/86, NJW-RR 1987, 1048,1049).

Derartige Anhaltspunkte für ein Verschulden des Beklagten liegen im vorliegenden Fall vor.

Unstrittig kam es im Zusammenhang mit dem „Auftauchen“ des Gegenverkehrs auf der Spur, auf der sich der Zeuge während des Überholvorgangs befand, zum Unfall.

Die Beklagte konnte diesen Anscheinsbeweis nicht entkräften, in dem sie einen Sachverhalt dargelegt und bewiesen hätte, aus dem sich die ernsthafte, nicht nur theoretische Möglichkeit eines untypischen Ablaufs ergibt. Die Beklagte hat schon nicht vorgetragen, dass es zu dem Unfall gekommen wäre, weil der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs eine Seitwärtsbewegung ausgeführt hat. Sie hat aber behauptet, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs seine Geschwindigkeit in dem Moment erhöht habe, als das Beklagtenfahrzeug den Überholvorgang schon begonnen hatte und einscheren wollte. Diese Behauptung konnte die Beklagtenseite nicht beweisen.

Nach § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies war schon nach der Unfallschilderung des Zeugen B[…] selbst nicht der Fall. Denn die Kollision belegt, dass der Fahrstreifen nicht frei war und der Fahrzeugführer des bei der Beklagen versicherten Fahrzeugs, der Zeuge B[…], das Fahrzeug der Klägerin übersehen hat. Vielmehr steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Unfall ereignete, als der Führer des Beklagtenfahrzeugs, wie der nach rechts einscheren wollte. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, der Zeuge B[…], hat schon nicht behauptet, sorgfältig das Verhalten des klägerischen Fahrzeugs beobachtetet zu haben, insbesondere sich davon überzeugt zu haben, dass der Einschervorgang problemlos erfolgen könnte. Er sagte vielmehr aus, dass er sich erschrocken habe, weil sich das klägerische Fahrzeug in diesem Moment auf seiner Höhe befunden habe.

Das Gericht ist nach Einvernahme der Zeugen J[…] W[…], K[…] W[…] und M[…] Sch[…] davon überzeugt, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs eine Fahrzeugkolonne überholt hat und das Überholmanöver bei erkennbarem Gegenverkehr nicht rechtzeitig abgebrochen hat. Der Zeuge J[…] W[…] gab glaubhaft an, dass er in dem Moment, als er einen Blick in den Seitenspiegel neben sich geworfen habe, erschrocken das Beklagtenfahrzeug wahrgenommen hab, zumal von vorne im Gegenverkehr ein Fahrzeug kam, welches dann auf den Fußweg ausweichen musste um einen Unfall zu vermeiden. Die Aussage des Zeugen J[…] W[…] wurde mittelbar bestätigt durch die Aussage seines Sohnes, des Zeugen K[…] W[…], der offen eingeräumt hat den Verkehr nicht aktiv verfolgt zu haben, aber aufmerksam geworden zu sein als sein Vati gerufen habe: „Ist denn der bescheuert?!“. Die Wiedergabe des Ausrufs erscheint äußerst lebensnah und spricht für eine plötzliche Gefahrensituation, statt einer Kraftprobe, um den Zeugen B[…] am Überholen zu hindern. K[…] W[…] bestätigte auch, dass ihnen ein Auto entgegengekommen ist, welches wegen des überholenden Beklagtenfahrzeuges ausweichen musste. Ebenso beschrieb der Zeuge Sch[…], dessen Ehefrau noch heute nachhaltig von dem Ereignis betroffen ist, eindrucksvoll, wie der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges „voll Schuss“ direkt auf ihn zugekommen sei, so dass er auf den Bürgersteig habe ausweichen müssen. Die Aussagen der Zeugen W[…] und Sch[…] decken sich im Kern. Die Zeugen waren glaubwürdig, ihre Aussagen waren glaubhaft. Sie sprachen natürlich und räumten Erinnerungs- und Kenntnislücken offen eingeräumt. Dass die Klägerin Ehefrau bzw. Muttter der Zeugen W[…] ist, begründet nicht die Unglaubwürdigkeit der Zeugen, zumal ihre Aussagen keine auffälligen Belastungstendenzen zeigten. Auch die geringe Diskrepanz der Angaben des Zeugen J[…] W[…] zu den Feststellungen der korrespondierenden Schäden begründet diese nicht. Vielmehr hat der Sachverständige G[…] mit dem Unfall korrespondierende Schäden am Auto beschädigt, die auch der Zeuge J[…] W[…] angegeben hat, auch wenn es in Einzelheiten eher geringfügige Unstimmigkeiten gegeben hat. Die Verbindung der Klägerseite zum Zeugen Sch[…] wird beklagtenseits lediglich als irgendwie möglich „ins Blaue hinein“ in den Raum gestellt. Anhaltspunkte für seine Unglaubwürdigkeit sieht das Gericht aber weder aufgrund seines Verhaltens noch aufgrund der wagen Anwürfe.

Die Aussage des Zeugen B[…], dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, überzeugt das Gericht nicht, um eine Beschleunigung des klägerischen Fahrzeugs als beweisen anzusehen. Sie war anders als die Aussage des Zeugen J[…] W[…] von deutlichen Entlastungsbestreben geprägt. Der Zeuge B[…] hat bekundet, dass er sich, als er schon fast am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen sei, so erschrocken habe, als das klägerische Fahrzeug neben ihm noch da war. So gab er anders als die anderen Zeugen an, kein weiteres Fahrzeug als das klägerische überholt zu haben. Das Fahrzeug des Zeugen Sch[…] im Gegenverkehr sei noch sehr weit weg gewesen und wahrscheinlich erst aufgetaucht, als er mit dem Fahrzeug der Klägerin schon auf einer Höhe gewesen sei. Warum der Zeuge Sch[…] dann panisch auf den Fußweg auswich, blieb in seiner Aussage offen. Der Zeuge B[…] war offensichtlich bemüht seinen Anteil an dem Unfall herunterzuspielen. Insgesamt wirkte er sehr fahrig und konfus. Dem Gericht ist nachhaltig in Erinnerung geblieben, dass es durchaus bedenklich ist, dass der Zeuge B[…], mag er vor Gericht auch besonders aufgeregt gewesen sein, noch aktiv am Straßenverkehr teilnimmt. Der Zeuge selbst hat aber auch nicht gesehen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beschleunigt hat, um ihm das Einscheren zu erschweren, er hat es vielmehr nur vermutet. Denn auf Nachfrage erklärte er, er sei schon am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen, habe einscheren wollen, als dieses plötzlich neben ihm gewesen sei, der müsse beschleunigt haben, es könne nicht anders gewesen sein. Während seines Überholvorgangs hatte er nicht bemerkt, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beschleunigt hat. Dies deckt sich auch mit dem hektisch-konfusen Eindruck des Gerichts vom Zeugen B[…].

Nach intensivem schriftlichen Befragen des gerichtlich bestellten Sachverständigen geht das Gericht davon aus, dass der beklagtenseits behauptete Unfallhergang, wonach das klägerische Fahrzeug während des Überholvorgangs nochmals beschleunigt hätte, zwar gemäß seiner Rekonstruktion des Fahrvorgangs technisch möglich ist, aber nicht nachgewiesen werden kann.

Vielmehr hat auch der einvernommene Zeuge Sch[…], der den Verkehrsvorgang sehr genau beobachtet hat, nicht feststellen können, dass das klägerische Fahrzeug beschleunigt habe, sondern vielmehr den Verkehrsvorgang als gleichmäßiges Fahren des klägerischen Fahrers beschrieben.

Mithin hat die Beklagtenseite den gegen sie entsprechenden Beweis des 1. Anscheins nicht entkräften können.

b)

Auf der anderen Seite konnte die Beklagte keinen Verstoß des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs gegen verkehrsrechtliche Vorschriften beweisen, insbesondere auch keinen Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO, wonach ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden muss. Ein solcher Verstoß wurde weder behauptet, noch wäre er sonst ersichtlich. Wie zuvor ausgeführt hat der Sachverständige G[…] auch nicht mit Sicherheit feststellen können, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs während des Überholvorgangs beschleunigt hat. Allein die technische Möglichkeit, dass es so gewesen sein könnte, erbringt den Nachweis nicht. Auch die Aussagen der Zeugen sprechen dagegen.

Der im Gegenverkehr befindliche Zeuge Sch[…] hat eine Beschleunigung des klägerischen Fahrzeugs nicht wahrgenommen. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass der Zeuge Sch[…], der den Gegenverkehr wegen der für ihn drohenden Gefahr genau beobachtet hat, ein solches Fahrmanöver anderenfalls bemerkt hätte.

4.2.

Die Abwägung der haftungsbestimmenden Verursachungsanteile gem. § 17 StVG führt unter diesen Umständen dazu, dass die Beklagte den Schaden ganz zu tragen hat. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt bei der Abwägung zurück.

Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die dessen Mitverschulden belegen; allein die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw rechtfertigt keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers (KG, Urteil vom 12. Juni 2003, 22 U 134/02, juris). Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (höchste Sorgfaltsstufe): er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat. In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für die Unfallschäden allein (Senat, Urteil vom 2. Oktober 2003, 12 U 53/02, VRS 106, 23 = KOR 2004, 106 = VM 2004. 29 Nr. 26 = VersR 2004,621; KG Berlin, Beschluss vom 3. Juli 2008- 12 U 239/07-, Rn. 23 – 24, juris).

Eine ordnungsgemäße Rückschau hat der Zeuge B[…] gerade nicht bestätigt.

5.

Danach hat die Beklagtenseite die bei dem Unfall entstandenen Schäden wie tenoriert gemäß § 249 BGB allein zutragen.

5.1

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 2.972,78 EUR (netto).

Das Gericht ist aufgrund des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen G[…] davon überzeugt, dass der Klägerin an dem PKW jedenfalls Schäden in dieser Flöhe entstanden sind.

a)

Bei unstreitigen Vorschäden und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits zuvor vorhanden waren (vgl. hierzu BGFIZ 71, 339), wofür er bei unstreitigen Vorschäden im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss (BGFl, Beschluss vom 6. Juni 2007, Az.: 12 U 57/06, VRS 113, 421).

Das Gericht hat nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden. Der Geschädigte ist jedoch verpflichtet die tatsächlichen Grundlagen die Anhaltspunkte für eine Einschätzung des Schadens und seiner Flöhe beizubringen und zu beweisen. Dies gilt insbesondere für die Darlegung und den Nachweis, dass der Schaden nach Art und Umfang auf das behauptete Unfallereignis zurückzuführen ist. Im Ergebnis der durch geführten Beweisaufnahme hat die Klägerin den Nachweis erbracht, dass ihr infolge des durch den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs verursachten Unfalls ein Schaden in der geltend gemachten Höhe entstanden ist. Sie hat dabei lediglich Anspruch auf Ersatz derjenigen Kosten, die erforderlich sind, um den Zustand herzustellen, in dem sich das Fahrzeug vor der Beschädigung durch den streitgegenständlichen Unfall befand. Hierzu hat der Zeuge J[…] W[…] erklärt, dass er die vorhandenen Vorschäden bereits vor der Begutachtung hat beseitigen lassen und ein vermeintliches Missverständnis bei der Dokumentation in der „Elypse“ auf den Fotos in der Ermittlungsakte durch den unfallaufnehmenden Polizeibeamten vorliegen müsse. Er hat nachvollziehbar in seiner Aussage angegeben, dass die von der Polizei dokumentierten Vorschäden auf einem Irrtum beruhten. Allerdings haben sich im Ergebnis des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens nicht alle Schäden mit dem Unfallereignis in Einklang bringen lassen. Jedoch hat der gerichtlich bestellte Sachverständige auf Nachfrage durch das Gericht bestätigt, dass die geltend gemachten Kosten für die Reparatur der mit dem Unfall korrespondieren Schäden erforderlich werden würden. Der Sachverständige hat in seinen Gutachten vom 01.11.2022 und 20.11.2022 mit Skizzen anhand der Höhenlagen und Charakteristika der Schäden nachvollziehbar und plausibel ausgeführt, dass sich die Schrammspur am linken Seitenteil der unteren äußeren Heckleuchte des VW sowie die Schadenspuren an der linken hinteren Fahrzeugtür, am linken Seitenteil, der linken hinteren Leichtmetallfelge und dem Stoßfänger hinten links dem streitgegenständlichen Unfall zuordnen lassen, andererseits die eher diffuse Verschrammung am Heckstoßfänger des VW links der Höhenlage des streitgegenständlichen Unfalls nicht zuzuordnen ist. Dies hat der Sachverständige als lediglich geringen Vorschaden eingestuft. Zu den anfallenden Reparaturkosten hat der Sachverständige ausgeführt, dass für die Reparatur die unfallbedingten Schäden Kosten in Höhe von ca. 3.520 -3.570 € anfallen würden. Dies deckt sich insoweit mit den geltend gemachten klägerischen Kosten von 3.200 €.

5.2

Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Unfallkostenpauschale i.H.v. 25 €, die das Gericht in ständiger Rechtsprechung gemäß § 287 ZPO für Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall ohne den Nachweis einzelner Schadenspositionen anerkennt.

5.3

Die Klägerin kann von der Beklagten auch die Zahlung von 129 € Nutzungsschadensausfall beanspruchen.

a)

Der vom Schädiger gemäß § 249 BGB zu ersetzenden Schaden erfasst auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Kraftfahrzeugs.

Es ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung unabhängig davon, ob der Wagen repariert wird, besteht. Der Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der die Möglichkeit zur Nutzung seines Pkw infolge eines Verkehrsunfalls einbüßt, hat auch dann ein Schadensersatzanspruch in Form einer Nutzungsentschädigung, wenn er kein Ersatzfahrzeug mietet. Voraussetzung ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs des Geschädigten und die fühlbare Beeinträchtigung der Nutzung, wobei dies Nutzungswillen und eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit voraussetzt (Grüneberg im Palandt 25. Aufl. 2016 149 und 40).

b)

Der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs der Klägerin ist zwischen den Parteien unstreitig. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht beabsichtigte das Fahrzeug zu nutzen, sind nicht ersichtlich. Das unsubstantiierte Bestreiten der Beklagtenseite hebt vorliegend diese Vermutungswirkung nicht auf. Das Gericht schätzt nach § 287 ZPO im Zusammenhang mit den bestätigten Angaben des Sachverständigen den Ausfall auf drei Tage. Die Höhe der Nutzungsentschädigung bemisst das Gericht nach den Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch mit 43 €/Tag. Diese Tabelle ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt (vergleiche BGH, Urteil vom 23.11.2004, Az. VIZR 357/03, Juris).

C)

Anders als die Beklagtenseite meint, liegt hier auch keine unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden vor. Die in der Rechtsprechung ausgeschlossene Mischung der beiden Schadenspositionen bezieht sich auf die Reparaturkosten an der beschädigten Sache selbst (BGH, Urteil vom 12.10.2021, Az.: VI ZR 513/19, juris).

5.4

Zudem hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die außergerichtliche Begutachtung des Unfallschadens durch die DEKRA Automobil GmbH in Höhe von auf 446,55 €, §§ 249, 257 S. 1 BGB.

Anders als die Beklagte meint, war das außergerichtliche Gutachten der DEKRA auch verwertbar. Die wesentlichen Feststellungen des außergerichtlichen Sachverständigen stimmen zum unfallbedingten Schaden und der Höhe der Reparaturkosten mit denen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen überein.

5.5

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 238,83 €.

Soweit dieser Anspruch gemäß § 86 VVO auf die Rechtsschutzversicherung der Klägerin übergegangen ist, wurde die Klägerin im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft bevollmächtigt diese Kosten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Die Kosten der Rechtsverfolgung ergeben sich aus dem Gegenstandswert der berechtigten Forderung in Höhe von 3.573, 33 € wie folgt.

1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2 300 VV RVG 361,40 €

abzüglich Anrechnung 0,65 Geschäftsgebühr Nr. 2300 W RVG

gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a RVG 180,70 €

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7 002 VV RVG 20 €

Nettobetrag 200,70 €

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7 008 VV RVG 38,13 €

Gesamtbetrag 238,83 €

5.6

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der weiteren ihr aufgrund des Unfalls entstandenen Schäden. Das Feststellungsinteresse beruht darauf, dass die Klägerin hier zunächst nur Reparaturkosten, die voraussichtlich anfallen werden, geltend macht, jedoch die Reparatur noch nicht hat vornehmen lassen.

Für den Fall der Reparatur steht zu erwarten, dass der Klägerin zumindest noch Kosten für die dann anfallende Umsatzsteuer entstehen werden.

6.

Die Beklagte hat der Klägerin die geltend gemachten Schäden gemäß § 849 BGB ab dem Folgetag des Unfallzeitpunkts, mithin ab dem 6.11.2021 mit dem gesetzlichen Zinssatz von 4 Prozentpunkten gemäß § 246 BGB zu verzinsen. Die weiteren Schäden hat die Beklagte der Klägerin ab dem 21. 1. 2022, bzw. dem Zeitpunkt, ab dem sich die Beklagte mit der Begleichung der übrigen Schadenspositionen in Verzug befand, gemäß §§ 247 BGB, 286 Abs. 1,

288 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wie tenoriert zu verzinsen.

7.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Abs.1 ZPO.

Der Streitwert wurde nach §§ 39 Abs.1,43, 45 Abs.1, 48 GKG i.V.m. §§ 3, 5 ZPO bemessen.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22

Haftungsverteilung 1/3 zu 2/3 bei Verkehrsunfall zwischen einem aus einer Ausfahrt Anfahrenden und einem Vorfahrtsberechtigten, der unter Missachtung der durchgezogenen weißen Linie, die der Fahrstreifenbegrenzung dient, wartende Fahrzeuge überholt

Nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz mit Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 14.3.2023 – 5 O 380/20) wurde entschieden, dass die Beklagte für 2/3 der unfallbedingten Schäden haftet. Der Fall betraf zwei Fahrzeuge, bei denen sich jeweils die Betriebsgefahr verwirklicht hatte. Allerdings wurde die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs als höher eingestuft. Der Kläger hatte im Ergebnis der Beweisaufnahme gegen Verkehrsregeln verstoßen, indem er trotz einer durchgezogenen Linie überholte. Im Gegensatz dazu hatte der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs die strengen Anforderungen beim Einfahren und Anfahren gemäß § 10 StVO nicht eingehalten.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz […]

im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 08.03.2023 eingereichten Schriftsätze

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 212,50 € zu zahlen nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB ab dem 27.08.2020 sowie aus einem Betrag von 425,00 € für den Zeitraum vom 11.07.2020 bis 26.08.2020.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 400,00 € zu zahlen nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB seit dem 12.09.2020.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen aus der Rechnung […] für Reparatur und Mietwagenkosten i.H.v. 318,85 € freizustellen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die […]versicherung […] einen Betrag i.H.v. 1.267,51 € zu zahlen […].

5. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Ingenieur- und Sachverständigenbüro […], von Forderungen i.H.v. 549,19 € aus der Rechnung […] freizustellen.

6. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

7. Das Urteil ist für die Beklagten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Geldbetrages.

Streitwert: 14.105,68 € bis 31.08.2020, danach bis 8.000,00 €.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch nach einem Verkehrsunfall.

Am 05.06.2020 gegen 15:45 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw Skoda die […] Straße. Vor der nächsten Kreuzung bildet sich verkehrsbedingt ein Stau. Der Kläger entschied sich, an dem stehenden Fahrzeugen links vorbei zu fahren, um sich an der Kreuzung in der Linksabbiegerspur einordnen zu können.

Der voraus befindliche im Stau stehende Verkehr ließ i.H.d. Ausfahrt vom rechts befindlichen […]markt eine Lücke. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversichernden Pkw Nissan nutzte diese Lücke, um aus dieser Ausfahrt herauszufahren mit dem Ziel, nach links auf die […] Straße aufzufahren.

In Höhe der Ausfahrt des […]marktes kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

In Fahrtrichtung des Klägers gesehen, befand sich in dem Bereich vor der Ausfahrt vom […]markt eine Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295 StVO).

In Folge des Unfalls entstanden dem Kläger Gutachterkosten i.H.v. 1.098,37 € brutto sowie Mietwagenkosten i.H.v. 835,20 €. Die Werkstatt rechnete ihm gegenüber Reparaturkosten am Pkw i.H.v. 10.983,19 € brutto ab. Am Fahrzeug verbleibt ein Minderwert von 400,00 €. Mit Abrechnungsschreiben vom 26.08.2020 regulierte die Beklagte insgesamt materielle Schäden i.H.v. 7.096,88 € […].

Der Kaskoversicherer des Klägers zahlte auf die Reparaturkosten den Betrag von 5.759,20 €.

Der Kläger trägt vor, der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen. Er habe eine Ausgangsgeschwindigkeit von maximal 15 km/h gehabt.

Die vorbenannte Teilregulierung durch die Beklagte erfolgte nach Klageerhebung mit Klageschrift vom 20.08.2020, jedoch vor Rechtshängigkeit der Klage (Zustellung am 12.09.2020).

Mit Schriftsatz vom 31.08.2020 erklärte der Kläger seine Teilklagerücknahme […].

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a. an den Kläger 425 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus€ seit dem 11.7.2020 zu zahlen.
b. an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäߧ 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
c. den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen aus der Rechnung […] für Reparatur- und Mietwagenkosten in Höhe von 11.818,39 € freizustellen.
d. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 1098,37 € aus der Rechnung […] freizustellen.
e. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7 /9, 01097 Dresden von der Forderung Für die Erstattung der Akteneinsichtspauschale in Höhe von 13,92 € (brutto) freizustellen.
f. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7 /9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 536,50 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt vor, der Kläger sei mit seinem Fahrzeug an den stehenden Fahrzeugen bis zur Unfallstelle vorbeigefahren, wobei er die durchgezogene Fahrstreifenbegrenzung überquert habe. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs habe sich aus der Ausfahrt heraus durch die belassene Mitte heraus getastet. Das unfallgegnerische Fahrzeug sei so dicht an den stehenden Fahrzeugen vorbeigefahren oder so schnell, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges den Unfall nicht habe vermeiden können.

Aus der gegebenen Unfallsituation erwachse eine Haftungsquote von maximal 50 %.

Nach Prüfung der Reparaturkostenrechnung bestreitet die Beklagte die Notwendigkeit von Reparaturkosten i.H.v. insgesamt 443,71 € […].

Ferner bestreitet die Beklagte eine unfallbedingte Verletzung des Klägers mithin das Vorliegen eines HWS-Traumas. Ein solches Trauma habe angesichts der geringen Intensität des Unfalls nicht eintreten können.

Es wurde Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Gutachtens. Die Verkehrsunfallakte wurde beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Die Parteien sind sich mittlerweile darüber einig, dass der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 400 € hat.

Entscheidungsgründe:

I.

Aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.06.2020 hat der Kläger Anspruch auf Schadensersatz, wie tenoriert (§ 7 StVG, § 115 VVG).

Die Beklagte haftet für die unfallbedingten Schäden mit einer Haftungsquote von 2/3 zu ihren Lasten. Bei diesem Unfall hat sich die Betriebsgefahr beider unfallbeteiligter Pkw verwirklicht. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges tritt nicht zurück hinter diejenige des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges.

Die Betriebsgefahr des klägerischen Pkw Skoda war dadurch erhöht, weil er unter Missachtung der durchgezogenen weißen Linie, die der Fahrstreifenbegrenzung dient (Zeichen 295) die im voraus befindlichen Fahrzeugstau überholte. Die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges war erhöht, weil der Fahrer dieses Fahrzeuges die strengen Anforderungen beim Einfahren und Anfahren (§ 10 StVO) nicht beachtet hat.

Der Verkehrsverstoß des Klägers lässt sich im Ergebnis der Beweisaufnahme feststellen aufgrund der Ermittlungen und Einschätzungen des Sachverständigen […], die im Einklang stehen mit den Feststellungen der Polizei vor Ort, wie es sich aus der beigezogenen Unfallakte ergibt.

Mit dem schriftlichen unfallanalytischen Gutachten lässt sich außerdem feststellen, dass der Unfall für beide Fahrzeugführer nur dann vermeidbar war, wenn sie auf ihr jeweils eigenes Fahrmanöver verzichtet hätten. Das heißt, wenn der Kläger auf das Überholen oder der Beklagte auf das Auffahren auf die Bundesstraße mit der Absicht nach links abzubiegen verzichtet hätte.

Der Verkehrspflichtenverstoß des Fahrzeugführers des Beklagtenfahrzeugs wiegt deutlich schwerer als derjenige Pflichtenverstoß des Klägers, so dass auch die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges als höher zu bewerten ist.

Wer aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen (§ 10 StVO). Damit sind die strengsten Verhaltensanforderungen aufgestellt. Diese hat der Führer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges letztlich gerade nicht erfüllt.

Der Kläger hat insgesamt materielle Schäden erlitten i.H.v. 13.341,76 € (Reparaturkosten 10.983,19 €, Wertminderung 400,00 €, Gutachterkosten 1.098,37 €, Mietwagenkosten 835,20 €, Pauschale 25,00 €). Hinzu kommen Nebenkosten (Akteneinsichtskosten von 13,92 € und Rechtsanwaltskosten von 536,50 €).

Der Unterzeichner schätzt die Reparaturkosten entsprechend der Reparaturkostenrechnung auf 10.983,19 € (§ 287 Abs. 1 ZPO). Weitere Beweisaufnahme etwa durch Einholung von Gutachten ist mit Blick auf den insoweit streitigen Betrag von 443,71 € sowohl prozessual als auch finanziell unverhältnismäßig. Hinzu kommt, dass eine Werkstatt eine eigenständige Kostenkalkulation vornehmen darf und jedenfalls gegenüber Dritten nicht an Vorgaben von Fahrzeugherstellern gebunden ist. Ferner kommt hinzu, dass ein Geschädigter vor der Beauftragung einer Reparatur keine Marktforschung betreiben muss, um festzustellen, ob bei einer anderen Werkstatt als der, die er ausgewählt hat, die Reparatur um ein paar wenige Hundert Euro günstiger ausfällt, wenn der Schaden ungefähr 10.000,00 € beträgt.

Von dem materiellen Schaden hat die Beklagte die Nebenkosten bereits ausdrücklich reguliert. Dementsprechend hat der Kläger seine diesbezügliche Klage bereits zurückgenommen.

Von den 13.341,76 € Hauptforderung hat die Beklagte 2/3 zu ersetzen, mithin einen Betrag von 8,894,51 €. Von diesem Betrag erstattete die Beklagte bereits 6.546,46 € (7.096,88 € abzüglich 13,92 € abzüglich 536,50 €).

Damit verbleibt eine Restforderung von 2.348,05 €. Aus diesem Betrag sind zunächst die verbliebenen Forderungen des Klägers zu befriedigen (Quotenvorrecht; Klageanträge 1 a., c., e.: 212,50 €; 318,85 €; 549,19 €). Es verbleibt ein Anspruchsrest von 1.267,51 €. Das ist der Betrag, den die Beklagte an den Kaskoversicherer des Klägers zu zahlen hat.

Wegen der unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen steht dem Kläger auch ein Schmerzensgeld i.H.v. 400 € zu. Über diesen Anspruch haben sich die Parteien zuletzt verständigt.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 709 ZPO, § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.“

(LG Görlitz, Urteil vom 14.3.2023 – 5 O 380/20)

Keine Fristsetzung zur Schadensbeseitigung durch den Vermieter erforderlich

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 2.2.2023 – 21 C 160/22) ist bei Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung der Obhutspflichten des Mieters entstanden sind, keine Fristsetzung zur Schadensbeseitigung durch den Vermieter erforderlich (so auch BGH, Urteil vom 27.06.2018 – XII ZR 79/17). Zudem kann ein Vermieter für die Beseitigung von Schäden auch die Kosten der eigenen Mitarbeiter als Eigenleistungen vom früheren Mieter erstattet verlangen.

Die durch die unterlegene Mieterin gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde durch das Landgericht Görlitz Außenkammern Bautzen mit Beschluss vom 28. Februar 2024 (Az. 5 S 10/23) zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]genossenschaft […]

– Klägerin u. Widerklägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…]

– Beklagte u. Widerklägerin –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2023 am 02.02.2023

für Recht erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit bezüglich der Klage erledigt hat.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf […] festgesetzt.

I. Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem beendeten Mietverhältnis.

Die Klägerin vermietete der Beklagten am 04.10.2019 die Wohnung in […] Bautzen […]. Das Nutzungsverhältnis wurde durch ordentliche Kündigung zum 31.08.2021 beendet. Bei Beendigung des Mietverhältnisses wurde am 30.08.2021 ein Abnahmeprotokoll erstellt, das Mängel an der Mietsache ausweist. Hierbei handelte es sich um die steitgegenständlichen Schäden an der Tapete im Wohnzimmer und Flur und am Fußbodenbelag im Wohnzimmer, die die Klägerin auf Kratzspuren eines Haustieres bzw. auch auf eine stumpfe Gewalteinwirkung durch unsachgemäßen Gebrauch zurückführt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21.02.2022 forderte die Beklagte die Rückzahlung ihrer Genossenschaftsanteile im Wert von 1.650,00 € und lehnte den Schadenersatzanspruch der Klägerin ab.

Die Klägerin behauptet, die Schäden durch ihre Mitarbeiter in Eigenleistung beseitigen lassen zu haben, wofür ihr Kosten in Höhe von 539,59 € entstanden seien. Dabei seien auf die Beseitigung der Schäden am Fußbodenbelag (unter Berücksichtigung eines Abzuges neu für alt) 245,59 € und auf die Beseitigung der Schäden an der Tapete 284,00 € entfallen.

Die Klägerin beantragte ursprünglich,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 539,59 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 22.02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragte zunächst:

1. die Klage abzuweisen sowie

2. widerklagend die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € seit dem 26.02.2022 zu zahlen.

Nachdem die Klägerin nach Beendigung der Mitgliedschaft der Beklagten das Geschäftsguthaben der Beklagten auseinandergesetzt hat, erklärte sie mit dem Auseinandersetzungsbetrag in Höhe von 1.650,00 € die Aufrechnung in Höhe von 547,45 €. Dieser ergab sich aus der Hauptforderung in Höhe von 539,59 € zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 7,86 € aus dem vorgenannten Betrag vom 22.02.2022 bis 30.06.2022 bei einem Zinssatz von fünf Prozent über dem Basiszinssatz. Zudem stellte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2020/21 vom 30.06.2022 in Höhe von 25,64 € zur Aufrechnung und überwies den Restbetrag von 1.076,91 € an die Beklagte.

Die Klägerin beantragte daraufhin, nachdem sie diesen Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt hat, festzustellen:

1. dass sich der Rechtsstreit (insoweit) erledigt hat sowie

2. die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragte daraufhin, die Klägerin und Widerbeklagte zu verurteilen,

1. an die Beklagte und Widerklägerin 547,45 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu zahlen;

2. an die Beklagte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.02.2022 zu zahlen.

Die Klägerin beantragte,

auch diese Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, man habe bei Übergabe der Wohnung an sie auf die Protokollierung des Risses im PVC-Belag verzichtet, weil es sich um einen gebrauchten PVC-Belag gehandelt habe. Der Einriss beruhe offensichtlich auf einer Materialermüdung, weshalb die Beklagte den Schaden nicht zu vertreten habe. Auch die Farbabplatzungen an der Tapete beruhten auf einer vertragsgemäßen Abnutzung der Mietsache. Die Beklagte habe einen Kratzbaum gehabt und wesentliche Teile der Wohnung vor der Reviermarkierung der Katze mit Pappe verklebt, weshalb bestritten werde, dass es sich um Kratzspuren der Katze handele. Im Übrigen habe die Klägerin der Aufnahme einer Katze in die Wohnung zugestimmt und damit Begleiterscheinungen wie Klettern und Kratzspuren zugestimmt. Jedenfalls seien die Veränderungen der Mietsache durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt worden.

Die Renovierungsleistungen der Klägerin seien nicht erstattungsfähig, weil die Beklagte ein Recht darauf gehabt hätte, diese selbst durchzuführen. Da eine offensichtliche Vertragspflichtverletzung der Beklagten nicht vorgelegen habe, hätte die Klägerin der Beklagten eine Frist zur Durchführung der Renovierungsleistungen setzen müssen.

Es werde bestritten, dass die Kosten für die Beseitigung der Schäden erforderlich und üblich und angemessen gewesen seien. Der Austausch des Fußbodenbelages im Wohnzimmer wegen eines Kratzers erscheine überzogen. Im Übrigen werde bestritten, dass sieben Arbeitsstunden und ein Eimer Farbe erforderlich gewesen seien, um die Tapete instand zu setzen. Bestritten werde auch, dass die Kratzspuren an der Tapete beseitigt worden seien. Auch sei die Restnutzung des PVC-Fußbodenbelages nicht nachvollziehbar. Dies für die gesamte Wohnzimmerfläche wegen eines Kratzers zu berechnen, erscheine überzogen, im Übrigen werde auch die Wohnzimmerfläche in Abrede gestellt. Es werde auch nicht näher dargelegt, wie die Klägerin auf den Einzelpreis und die Dauer von 49 Monate komme. Zudem werde bestritten, dass der unstreitig gebrauchte Fußbodenbelag 2017 verlegt worden sei. Auch die Kosten in Höhe von 245,59 € für die Beseitigung der Schäden werden bestritten.

Die Beklagte habe die Klägerin zur Rückzahlung der Mietsicherheit – wie schon klägerseits dargestellt – aufgefordert. Darüber hinaus sei der Einbehalt von 300,00 € nicht gerechtfertigt gewesen. Wegen der zu Unrecht erhobenen Forderung von insgesamt 839,59 € habe die Beklagte die Rechtsanwältin beauftragt, wodurch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € entstanden seien.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen K[…] und O[…]. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 29.09.2022 und 12.01.2023 verwiesen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II. Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet (1.). Die zulässige Widerklage hat keinen Erfolg (2.).

1.

Die Erledigung der Hauptsache war festzustellen. Die ursprünglich zulässige und begründete Zahlungsklage hat sich in der Hauptsache nach Eintritt der Rechtshängigkeit erledigt.

1.1

Der Klägerin stand gegen die Beklagte bei Rechtshängigkeit der Klage ein Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 539,59 € gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 BGB zu.

Das Gericht schließt sich der Auffassung des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 27.06.2018, Az.: VII ZR 79/17 (Fundstelle; juris) an, wonach Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung der Obhutspflichten des Mieters entstanden sind, der Mieter dem Vermieter – auch nach Beendigung des Mietverhältnisses – nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB als Schadenersatz neben der Leistung nach Wahl des Vermieters durch Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder durch Geldleistung (§ 249 Abs. 2 BGB) zu ersetzen hat, ohne dass es einer vorherigen Fristsetzung des Vermieters bedarf.

a)

Das Gericht geht im Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass die Mietsache, die von der Klägerin beschriebenen Substanzschäden sowohl hinsichtlich der Kratzer und des Risses im Fußbodenbelag des Wohnzimmers als auch an den Tapeten seitlich der Wohnzimmertür und im Flur während der Mietzeit der Beklagten erlitten hat. Die Beklagte konnte ihr fehlendes Vertretenmüssen nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB weder darlegen noch beweisen.

aa)

Das Gericht ist aufgrund der Einvernahme der Zeugin K[…] und in Anbetracht des vorgelegten Wohnungsübergabeprotokolls, davon überzeugt, dass die Beschädigungen am Fußbodenbelag des Wohnzimmers in der Mietzeit der Beklagten entstanden sind.

Bereits das Übergabeprotokoll der Wohnung von der Klägerin an die Beklagte spricht dafür, dass die Wohnung mangelfrei übergeben worden ist. Die Beklagte selbst hat persönlich in der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2023 erklärt, dass sie nicht mehr genau sagen könne, ob die Stellen im Fußboden bereits vorher da gewesen wären. Angesichts der vorgelegten und in Augenschein genommenen Lichtbilder ist davon auszugehen, dass anderenfalls solche auffälligen Schäden aufgenommen worden wären.

Gleiches bestätigt auch die Zeugin K[…], die für das Gericht sowohl in ihrem Auftreten glaubwürdig als auch in ihrer Aussage glaubhaft war. Sie zeigte keinerlei Belastungstendenzen und hat sich auch im Rahmen der sehr intensiven Befragung durch den Beklagtenvertreter weder aus der Ruhe noch von ihrem in sich konsistenten Aussageverhalten abbringen lassen. Sie ist vielmehr bei ihrer Angabe geblieben, dass die Wohnung jedenfalls mangelfrei war, als sie diese von der Vormieterin übernommen habe, weil sie bei der Wohnungsübergabe an die Beklagte nicht dabei war. Sie konnte zudem gut nachvollziehbar und detailliert die Kratzer und den Riss im Fußbodenbelag im Abnahmetermin von der Beklagten beschreiben. Ihre Aussage, dass die zu den Akten gereichten Fotos von ihr bei der Übernahme der Wohnung gemacht worden sind, war glaubwürdig.

bb)

Die Zeugin K[…] hat auch glaubhaft bestätigt, dass die in Augenschein genommenen, bei der Akte befindlichen Fotos, die bei der Wohnungsübernahme von ihr gemacht worden sind, die vermutlichen Kratzspuren an der Wohnzimmerwand der Tür zum Flur hin und im Flur zeigen.

Diese Schäden hat auch der Zeuge O[…] glaubhaft so bestätigt.

cc)

Sowohl bei den Schäden im Fußbodenbelag als auch an den Tapeten handelt es sich nicht um eine normale Abnutzung im Rahmen des üblichen Mietgebrauchs. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Klägerin der Beklagten die Haltung einer Katze genehmigt hat. Sie hat damit jedenfalls nicht der Zerstörung der Tapete und des Fußbodenbelages zugestimmt.

dd)

Die Beklagte konnte auch nicht darlegen und beweisen, dass die Schäden nicht von ihr zu vertreten sind, § 280 Abs.1 S.2 BGB.

Soweit die Inaugenscheinnahme der zugehörigen Lichtbilder deutlich auf Kratzspuren eines Haustieres hinweist, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 12.01.2023 angegeben, dass sie keinen Einfluss darauf habe, was ihre Katzen machen, wenn sie nicht da sei. Allein der Umstand, dass sie mit Kratzbäumen oder vorsorglicher Anbringung von Pappen versucht hat, dem entgegen zu wirken, genügt für eine Exkulpation nicht.

Gleiches gilt für den großen Riss im Fußbodenbelag. Soweit die Beklagte behauptet, dieser sei auf eine Materialermüdung/einen Materialfehler zurückzuführen, ist dies eine bloße Schutzbehauptung ins Blaue hinein, weil sie durch nichts unterlegt ist. Als solche ist sie unbeachtlich. Es erschließt sich dem Gericht nicht, dass dies nur an einer Stelle aufgetreten ist.

b)

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 245,59 € für die Schäden am Fußbodenbelag des Wohnzimmers und in Höhe von 284,- EUR für die Schäden an den Tapeten, mithin insgesamt in Höhe von 539, 59 EUR.

aa)

Die Klägerin hat hier die Wahl, Schadenersatz in Geld gem. § 249 Abs. 2 BGB zu verlangen, den das Gericht mit dem Maßstab des § 287 ZPO schätzen kann. Für die Schätzung reicht es aus, die entsprechenden Leistungen der Mitarbeiter der Klägerin für konkrete Arbeiten darzulegen. Diese können zu einer Bewertung des eingetretenen Schadens auch dann herangezogen werden, wenn die entsprechenden Arbeitszeiten im Unternehmen des Klägers nicht zusätzlich vergütet worden sind. Bei einem Anspruch nach § 249 BGB kann nämlich der Zeitaufwand im eigenen Unternehmen, der nicht lediglich der Schadensermittlung oder außergerichtlichen Abwicklung des Schadensersatzanspruchs dient, sondern der Schadensbeseitigung selbst, ersatzfähig sein, denn es ist nicht gerechtfertigt, solche besonderen Anstrengungen zur Schadensbehebung, die der Geschädigte durch den Einsatz seiner oder der Arbeitskraft seiner Mitarbeiter unternommen hat, dem Schädiger zugute kommen zu lassen (BGH, Urteil vom 09.12.2008, VI ZR 173/07, juris).

bb)

Ausgehend von diesen Grundsätzen schätzt das Gericht den Aufwand zur Beseitigung der Schäden am Fußbodenbelag in Höhe des geltend gemachten Betrages von 245,59 EUR.

Die Klägerin hat die notwendigen Arbeiten und unter Anrechnung eines näher beschriebenen Abzugs neu für alt nach detaillierter Aufführung der einzelnen Positionen für eine rund 16 m² großen Fußbodenbelag aus Kunststoff in eben dieser Höhe ermittelt.

Zu den aus ihrer Sicht erforderlichen Arbeiten zum Austausch des Bodenbelages des Wohnzimmers trägt die Klägerin vor, dass die gewöhnliche Nutzungszeit von PVC-Fußbodenbelägen 8 Jahre betrage. Der Bodenbelag sei im September 2017 neu verlegt worden, woraus sich eine Restnutzungszeit von 49 Monaten ergebe. Für das Entsorgen und Entfernen des Belages im Wohnzimmer, der 16,49 m² groß gewesen sei. Die ist für das regelmäßig mit Wohnraummietsachen befasste Gericht plausibel.

Das Gericht ist nach den überzeugenden Aussagen der Zeugin K[…] auch davon überzeugt, dass der unstreitig gebrauchte Fußbodenbelag 2017 verlegt worden ist.

Soweit die Beklagte hier bestreitet, dass diese Kosten ortsüblich und angemessen seien, kommt es darauf im Rahmen des § 287 ZPO nicht an. Vielmehr sind die aufgewendeten Kosten angesichts der allgemein- jedenfalls aber gerichtsbekannten Preise für vergleichbare Handwerkerleistungen und Fußbodenbelag nicht überteuert. Die Kenntnis des Gerichts beruht auf der regelmäßigen Befassung mit örtlichen Wohnraummietsachen und Handwerkerarbeiten. Detaillierten Gegenvortrag hierzu hält die Beklagte auch nicht, sondern beschränkt sich auf ein pauschales Bestreiten, das im Rahmen der Schadensschätzung unbeachtlich bleibt.

Die Beklagte kann auch nicht wirksam bestreiten, dass die Wohnzimmerfläche 16 m² betragen hat. Sie hat dort gewohnt und müsste substantiiert erwidern.

Mit der Klägerin hält es auch das Gericht für angemessen, einen zum Zeitpunkt des Austausches fünf Jahre alten Fußbodenbelag angesichts der vorliegenden Schäden komplett auszutauschen. Insbesondere im Wohnzimmer dürfte davon auszugehen sein, dass ein neuer Mieter – unabhängig davon, ob vergleichbare Fußbodenbeläge noch vorhanden sind – einen partiellen Austausch schon im Hinblick auf die Farb- und Qualitätsunterschiede nicht hinnehmen wollen würde. Darauf muss sich die Klägerin im Rahmen des ihr gemäß § 249 BGB zustehenden Schadenersatzes daher auch nicht verweisen lassen.

cc)

Die Klägerin hat darüber hinaus gegenüber der Beklagten auch einen Anspruch auf Schaden ersatz in Höhe von 284,00 € für die Beseitigung der Schäden an der Tapete.

Nach den zuvor dargestellten Maßstäben für die Schadensbemessung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO den geltend gemacht Schadenersatzbetrag als zutreffend ein.

Zur Höhe des entstandenen Schadens hat die Klägerin substantiiert vorgetragen, das ein Zeit aufwand von insgesamt sieben Stunden für Reinigungs- und Abklebearbeiten, Rollen und Weißen der Decke und Ausbesserungen sowie die erforderliche mehrfache Anfahrt sowie ein Eimer Farbe angefallen ist. Dies steht im Einklang mit dem von ihren Mitarbeitern zeitnah gefertigten Tätigkeitsnachweis und wurde vom Zeugen O[…] in der mündlichen Verhandlung für Seite 7das Gericht überzeugend bestätigt. Der Zeuge O[…] ist als Malermeister fachkundiger Zeuge und hatte keinerlei Belastungstendenzen in Richtung der Beklagten. Seine Aussage war glaubhaft, er selbst glaubwürdig. Ihm ging es sogar darum, klarzumachen, dass die Reinigungsarbeiten im Vorfeld normale Tätigkeiten im Rahmen einer üblicherweise vorzufindenden Beschmutzung der Fußbodenleiste und der Wände sind. Er hat detailliert und unaufgeregt „nüchtern“ die einzelnen Arbeitsschritte und die vollständige Beseitigung der Schäden beschrieben. Nachvollziehbar ist insoweit auch, dass die Klägerin im Hinblick auf etwaige Farbunterschiede, was der Zeuge aus seiner fachkundigen Sicht nachvollziehbar dargestellt hat, die Wände vollständig streichen lassen musste. Angesichts der allgemein bekannten Stundensätze für Handwerkerleistungen Ist auch hier das pauschale Bestreiten der Beklagten, dass die hierfür aufgewendeten Preise weder ortsangemessen noch üblich seien, nicht beachtlich. Insoweit kann auf vorstehende Ausführungen zum Fußbodenbelag verwiesen werden. Letztlich hat die Klägerin sogar schadensmindernd davon abgesehen, die betroffenen Wände neu zu tapezieren.

dd)

Auch die Inaugenscheinnahme der von der Zeugin K[…] gefertigten, bei der Akte befindlichen Lichtbilder stützt die Überzeugung des regelmäßig mit Wohnraummietsachen befassten Gerichts, dass es sich bei den streitgegenständlichen Schäden nicht um eine vertragsgemäße Abnutzung handelt. Aus der Inaugenscheinnahme ergibt sich auch, dass die Schilderungen der Zeugen zu den Schäden und deren Beseitigungsaufwand plausibel sind.

1.2

Der Rechtsstreit hat sich nach Rechtshängigkeit erledigt, weil der Zahlungsanspruch der Klägerin durch Aufrechnung mit dem Auseinandersetzungsguthaben, dessen Auszahlung erst nach Rechtshängigkeit fällig wurde, erloschen ist, § 389 BGB.

2.

Die Widerklage ist nicht begründet.

2.1.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung von 547,45 € nebst Zinsen für klägerseits nicht ausgezahlte Genossenschaftsanteile (Auseinandersetzungsguthaben) der Beklagten. Der diesbezügliche Auszahlungsanspruch der Beklagten ist durch Aufrechnung der Klägerin in Höhe eben dieses Betrages gem. § 389 BGB erloschen. Der Klägerin stand, wie unter 1. ausgeführt, ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 539,59 € gegenüber der Beklagten zu. Zudem hatte die Klägerin gegenüber der Beklagten gem. §§ 286 Abs. 1, 288 BGB einen Anspruch auf Verzinsung dieses Betrages in Höhe von 7,86 € für den Zeitraum vom 22.02.2022 bis 30.06.2022, weil sich die Beklagte spätestens ab diesem Zeitpunkt mit der Bezahlung der Schadenersatzforderung in Verzug befunden hat.

2.2.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin weder einen Anspruch auf Ersatz ihr außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten aus §§ 280 Abs. 1, 249 BGB noch aus einer sonstig ersichtlichen Anspruchsgrundlage, denn die Klägerin hat sich bei Beauftragung eines Rechtsanwalts durch die Beklagte nicht mit der Rückzahlung der Genossenschaftsanteile in Verzug befunden. Zum einen war die Rückzahlung des Anspruches zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig, zum anderen wirkt die Aufrechnung mit der berechtigten Schadenersatzforderung gem. § 387 BGB, soweit der Anspruch fällig wäre, wie nicht, zurück.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.

Bei der Festsetzung des Streitwertes waren die Werte von Klage und Widerklage zu addieren, §§ 3, 5 ZPO, § 45 Abs. 1 GKG.“

AG Bautzen, Urteil vom 2.2.2023 – 21 C 160/22

Anscheinsbeweis bei Vorfahrtsverletzung und Nutzungsausfallentschädigung bei fiktiver Abrechnung

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 2.11.2022 – 22 C 141/22) spricht ein Anscheinsbeweis gegen einen Unfallbeteiligten, der einen Vorfahrtsverstoß begeht. Zudem kann ein Geschädigter im Rahmen einer fiktiven Abrechnung des Wiederbeschaffungsaufwandes eine Nutzungsausfallentschädigung verlangen. Im Weiteren spricht für den fahrzeugführenden Besitzer eine Eigentumsvermutung. Dies gilt umso mehr, wenn die Haftpflichtversicherung des Schädigers ohne Einwendungen gegen die Eigentümerstellung außergerichtlich Zahlungen geleistet wurden.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2022 am 02.11.2022

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.005,16 € nebst Zinsen in
Höhe von 4 % aus 2.381,49 € für die Zeit vom 26.1.2022 bis zum 9.2.2022,
weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
nach § 247 BGB aus 2.609,49 € seit dem 10.2.2022 bis zum 23.3.2022 sowie
weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
nach § 247 BGB aus 1.005,16 € seit dem 24.3.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 263,31 € aus der Rechnung […] freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 25.01.2022, gegen 15:15 Uhr in Schirgiswalde-Kirschau, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 85 % und der Kläger 15%.
6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf 1.559,08 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis.

Der Kläger befuhr am 25.01.2022 gegen 15:15 Uhr, aus Richtung Bautzen kommend, in Schirgiswalde-Kirschau die Bautzener Straße, eine im Bereich der in Fahrtrichtung des Klägers rechts einmündenden Wilthener Straße nach links abbiegende Hauptstraße. Der Kläger fuhr mit dem Pkw Skoda Octavia […] den Kreuzungsbereich, als es zum Zusammenstoß mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Golf […] welches von der Zeugin K[…] geführt wurde, kam. Infolge des Zusammenstoßes beider Fahrzeuge entstand an dem vom Kläger geführten Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von 7.985,91 € (netto). Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeuges beträgt 4.380,49 € (netto), der Restwert 1.999,00 € (brutto). Für ein vom Kläger eingeholtes vorgerichtliches Sachverständigengutachten fielen Kosten in Höhe von 789,92 € an, die der Kläger noch nicht beglichen hat. Vorgerichtlich leistete die Beklagte an den Kläger 2.130,94 € wobei jeweils 2/3 des Wiederbeschaffungsaufwandes sowie der Gutachterkosten und 16,67 € für eine Unkostenpauschale gezahlt wurden. In dem vorgerichtlichen Sachverständigengutachten wird eine Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen angesetzt. Der Kläger ließ ca. 1 Woche nachdem Unfall den Blechschaden an dem Pkw Skoda notdürftig reparieren und erhielt daraufhin für das Fahrzeug vom TÜV die Zulassung zur Teilnahme am Straßenverkehr. Seitdem nutzt der Kläger sein Fahrzeug wieder.

Mit Schriftsatz vom 31.01.2022 machte der Kläger gegenüber der Beklagten seine restlichen Schadensersatzforderungen unter Fristsetzung bis zum 07.02.2022 geltend.

Der Kläger behauptet, er sei Eigentümer des von ihm zum Unfallzeitpunkt geführten Fahrzeuges. Er habe bereits vor der Kreuzung in Fahrtrichtung links geblinkt. Für die Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen stehe dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung Nutzungsausfallentschädigung in Flöhe von 29,00 € pro Tag zu.


Der Kläger beantragt,

1. an den Kläger 1208,16 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 2381,49 € für die Zeit vom 26.1.2022 bis zum 9.2.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach §247 BGB aus 2812,49 € seit dem 10.2.2022 bis zum 23.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach §247 BGB aus 1208,16 € seit dem 24.3.2022 zu zahlen,

2. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 263,31 € […] freizustellen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 25.01.2022, gegen 15:15 Uhr in Schirgiswalde-Kirschau, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte habe in der Anfahrt an die spätere Unfallstelle nach rechts geblinkt sowie seine Fahrgeschwindigkeit verringert und damit angezeigt, dass er in die Wilthener Straße habe abbiegen wollen. Dem Beklagten fehle der Nutzungswille, da er bisher kein Ersatzfahrzeug angeschafft habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben zum Unfallhergang durch Einvernahme der Zeuginnen K[…] und L[…]. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2022 verwiesen. Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere auch ein Feststellungsinteresse des Klägers beinhaltende, Klage ist überwiegend begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls vom 25.01.2022, den die Zeugin K[…] allein verursacht hat, weiteren Schadenersatz in Höhe von 1.005,16 € gemäß §§ 7 Abs. 1.9, 18 Abs. 1 StVG, § 1 PflVG, §§ 823 Abs. 1, 249 BGB beanspruchen.

1. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Gemäß § 1006 Abs. 1 BGB streitet die Eigentumsvermutung des Besitzers für den das Fahrzeug zum Unfallfahrzeug führenden Kläger. Die Beklagte hat nämlich vorgerichtlich bereits erhebliche Zahlungen an den Kläger geleistet und damit seine Anspruchsberechtigung und die dem zugrundeliegende Eigentümerstellung anerkannt. Die Beklagte hat im Prozess die Eigentümerstellung lediglich mit Nichtwissen bestritten, was in Anbetracht des vorgerichtlichen Verhaltens der Beklagten nicht ausreichend war. Substantiierte Einwände gegen die Eigentümerstellung des Klägers hat die Beklagte nicht vorgebracht.

2. Die Beklagte haftet für den von der Zeugin K[…] verursachten Unfall allein. Für den Kläger war das Unfallereignis zwar kein unabwendbares Ereignis, jedoch tritt die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges hinter das erhebliche verschulden der Zeugin K[…] zurück. Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der gegen die Beklagte sprechende Anscheinsbeweis eines Vorfahrtsverstoßes der Zeugin K[…] nicht erschüttert wurde. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Beklagte hätte nachweisen können, dass der Kläger vor dem Einfahren des Kreuzungsbereiches seine Fahrtrichtungsanzeiger nach rechts gesetzt und damit die Absicht, nach rechts Abbiegen zu wollen, angedeutet hätte. Diesen gegen den Vorfahrtspflichtigen sprechenden Anscheinsbeweis eines Vorfahrtsverstoßes gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 StVO hat die Beklagte nicht erschüttern können, denn das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass die Zeugin K[…] eine entsprechende Wahrnehmung gemacht hat. Zwar hat sie dies in Ihrer Vernehmung so angegeben. Allerdings haben sowohl der Kläger in seiner Anhörung, als auch die Unfallzeugin L[…] in Ihrer Vernehmung Gegenteiliges vorgebracht, nämlich dass der Fahrtrichtungsanzeiger des klägerischen Fahrzeuges nach links gesetzt war. Bei der Zeugin L[…] handelt es sich um eine unbeteiligte Unfallzeugin, die glaubhaft ihre Wahrnehmung geschildert hat. Dieser Aussage folgt das Gericht. Der gegenteiligen Aussage der Zeugin K[…] vermag das Gericht dagegen nicht zu folgen. Die Zeugin hat ein eigenes Interesse einer ihr günstigen Darstellung des Unfallgeschehens. Sie hat zudem ausgesagt, dass die Zeugin L[…] bereits an der Unfallstelle angegeben habe, dass der Kläger nach links geblinkt hat. Diesen Widerspruch hat die Aussage der Zeugin K[…] nicht aufzuklären vermocht. Vielmehr spricht dies für die Konstanz der Angabe der Zeugin K[…].

3. Dies führt dazu, dass die Beklagte einen restlichen Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 793,83 € sowie die restliche Unkostenpauschale in Höhe von 8,33 € zu erstatten hat. Daneben hat sie den Kläger von vorgerichtlichen Sachverständigen Kosten in Höhe von weiteren 263,31 € freizustellen.

Nutzungsausfallentschädigung hat die Beklagte allerdings nur in Höhe von 203,00 € zu erstatten. Dies folgt daraus, dass der Kläger eigenen Angaben nach das Fahrzeug eine Woche nach dem Unfall wieder in einen verkehrstüchtigen Zustand versetzt hat und das Fahrzeug seitdem Nutzen kann. Die Überlegens- und Anschaffungsfrist für ein Ersatzfahrzeug war spätestens zum Zeitpunkt der Notreparatur abgelaufen. Für die spätere Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges kann der Kläger das Unfallfahrzeug nutzen. Insofern fehlt es an einer Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit, die über die Dauer von einer Woche hinaus geht. Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf 29,00 € pro Tag.

4. Der Feststellungsantrag ist begründet. Der Kläger hat insofern vorgetragen, dass er eine Ersatzbeschaffung beabsichtigt, für die er wird Mehrwertsteuer aufwenden müssen. Diese ist als Unfallschaden nach § 249 Abs. 2 BGB zu ersetzen, jedoch erst mit ihrem Anfall.

5. Die zugesprochenen Zinsen schuldet die Beklagte gemäß §§ 849, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Spätestens am 10.02.2022 befand sich die Beklagte in Verzug.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 2.11.2022 – 22 C 141/22

Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall mit Pkw und Autobus im Begegnungsverkehr in einer Engstelle

Durch das Amtsgericht Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 6.9.2021 – 21 C 749/21) wurde bei einem Verkehrsunfall eines Pkws und eines Autobusses im Begegnungsverkehr in einer Engstelle eine Haftungsverteilung von 20:80 angenommen.

Urteile zur Prozessführungsbefugnis nach Zahlung durch Vollkaskoversicherer nach Klageerhebung:
Ein Kläger bleibt prozessführungsbefugt auch wenn Schadensersatzansprüche des Klägers wegen der Zahlung durch dessen Vollkaskoversicherung auf diese gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangen sind. Dies folgt aus § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Veräußerung oder Abtretung eines Rechts auf den Prozess keinen Einfluss hat . Diese Norm gibt dem Zedenten nicht nur bei der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge, sondern auch dem vorliegenden gesetzlichen Forderungsübergang die Möglichkeit, Rechte des Zessionärs in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend zu machen (Vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 265 ZPO Rn. 5.).
AG Bautzen, Urteil vom 23.4.2021 – 20 C 15/20; AG Bautzen, Urteil vom 22.4.2021 – 21 C 729/19; so grundsätzlich auch AG Bautzen, Urteil vom 6.9.2021 – 21 C 749/21

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, Gz.: […]

gegen

[…]versicherung[…]

vertreten durch d. Vorstand

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen durch

Richter […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 25.08.2021 eingereicht werden konnten,

für Recht erkannt:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 85,80 EUR nebst Zinsen hiervon in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2019 zu zahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Rückzahlungsansprüchen der Beklagten als Vollkaskoversicherung der Klägerin […] in Höhe von 1.620,25 EUR für eine Rückgängigmachung der Zurückstufung bei der Schadenfreiheitsklasse infolge der erfolgten Leistung an die Klägerin freizustellen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von einer Forderung in Höhe von 28,49 EUR […] freizustellen.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten von 4,28 EUR für die Akteneinsichtspauschale und 320,26 EUR für nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten freizustellen.
V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VI. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
VII. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.100,00 EUR vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Gebührenstreitwert wird auf 3.031,40 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 01.04.2019 gegen 15:10 Uhr auf der Talstraße in Doberschau-Gaußig, OT Cossern, ereignete.

Die Klägerin befuhr am Unfalltag mit einem Kraftfahrzeug der Marke Suzuki Typ Swift mit dem amtlichen Kennzeichen […] die Talstraße in Richtung Bischofswerda. Das Fahrzeug war der […] Bank […] zur Sicherung eines Finanzierungsdarlehens übereignet. Diese ermächtigte die Klägerin dazu, ihre Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis im eigenen Namen geltend zu machen […]. Die Klägerin unterhielt für das Fahrzeug eine Vollkaskoversicherung bei der Beklagten.

Auf der Talstraße verengt sich die Fahrbahn in einer Kurve. Ein Mittelstreifen ist an dieser Stelle nicht vorhanden, in diesem Bereich kamen sich das von der Klägerin geführte Fahrzeug und ein von der Zeugin W[…] gesteuerter und von Firma […] betriebener Omnibus mit dem amtlichen Kennzeichen […] entgegen. Dieser ist bei der Beklagten haftpflichtversichert. Die Fahrzeuge kollidierten seitlich miteinander. […]

Das von der Klägerin geführte Fahrzeug wurde bei der Kollision an der hinteren linken Seitenwand beschädigt. Für die Einzelheiten der Schäden wird auf das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten des Kfz-Sachverständigenbüros […].

Die Klägerin ließ das von ihr geführte Fahrzeug beim Autohaus […] zu einem Preis von 4.718,12 Euro brutto reparieren und holte bei dem Kfz-Sachverständigenbüro […] ein Schadensgutachten zum Preis von 680,20 Euro ein. Ausweislich dieses Gutachtens verbleibt an dem von der Klägerin geführten Fahrzeug auch nach der Reparatur ein merkantiler Minderwert in Höhe von 200,00 Euro; es tritt allerdings auch eine
Wertverbesserung der Lackierung in Höhe von 150,00 Euro ein. Die Klägerin bezahlte weder die Reparatur- noch die Gutachterrechnung.

Die Klägerin konnte das Fahrzeug aufgrund des Unfalls für neun Tage nicht nutzen, obwohl sie dieses hätte nutzen wollen. Hierfür macht sie eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 29,00 pro Tag geltend. Um in die polizeiliche Ermittlungsakte Einsicht zu nehmen, wandte die Klägerin 14,28 Euro auf.

Die Beklagte regulierte die Ansprüche der Klägerin vorprozessual lediglich aufgrund einer Haftungsquote von 50 %. Sie zahlte auf den Fahrzeugschaden 2.548,50 Euro, auf die Gutachterkosten 340,10 Euro, auf die Nutzungsausfallentschädigung 130,50 Euro, auf eine von der Klägerin geforderte Unkostenpauschale 12,50 Euro und auf die Kosten der Akteneinsicht 7,14 Euro.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29.04.2019 […] mahnte die Klägerin die Beklagten und verlangte den vollständigen Ausgleich der von ihr geltend gemachten Forderungen. Aufgrund eines am 30.06.2019 durch die Klägerin erteilten Auftrags führten ihre Prozessbevollmächtigten außergerichtliche Korrespondenz mit der Beklagten. Hierfür entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von 400,32 Euro; diese Anwaltsgebühren zahlte sie nicht an ihre Prozessbevollmächtigten.

Die Klägerin behauptet, sie sei vor der Kollision nicht mehr als 30 km/h gefahren. Als sie den Omnibus habe entgegen kommen sehen, habe sie angehalten, um diesen passieren zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Omnibus noch vor ihr befunden. Der Omnibus habe ihr Fahrzeug im Vorbeifahren gestreift. Sie habe sodann etwa fünf Minuten an der Unfallstelle gewartet, bevor sie weggefahren sei.

Die Klägerin hat am 02,03.2021 Klage erhoben und dabei angekündigt, den aus Bl. 4 d.A. ersichtlichen Klageantrag zustellen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihre Klage mit Zustimmung der Beklagten teilweise zurückgenommen. Am 06.04.2021 hat die Beklagte als Vollkaskoversicherung der Klägerin zur Zwischenfinanzierung der Reparatur- und Sachverständigenkosten 2.709,91 EUR an die Klägerin gezahlt. Mit Schriftsatz vom 09.04.2020 […] hat die Klägerin ihre Klage dahingehend umgestellt, dass sie unter anderem beantragt, dass die Beklagte 2.709,91 EUR an sich selbst zahlt. Letztmals hat die Klägerin ihre Klageanträge mir Schriftsatz vom 11.06.2021 umgestellt. Hierauf hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.06.2021 erwidert, ohne der Änderung zu widersprechen.

Die Klägerin beantragt zuletzt,
die Beklagte zu verurteilen
1. an die Klägerin 12,50 Euro für die Unkostenpauschale und 130,50 Euro für die Nutzungsausfallentschädigung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.5.2019 zu zahlen,
2. die Klägerin von Rückzahlungsansprüchen der Beklagten als Vollkaskoversicherung der Klägerin […] in Höhe eines Betrags von 2.709,91 Euro für eine Rückgängigmachung der Zurückstufung bei der Schadensfreiheitsklasse infolge der erfolgten Leistung an die Klägerin freizustellen
3. die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 28,49 Euro für die Reparaturkosten aus der Reparaturostenrechnung […] freizustellen,
4. die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 7,14 Euro für die Akteneinsichtspauschale und 400,32 Euro für die nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten freizustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die Zeugin W[…] sei in die Fahrbahnenge äußerst weit rechts und in Schrittgeschwindigkeit eingefahren. Die Klägerin sei ihr mit nicht angemessener Geschwindigkeit und unter Missachtung des Rechtsfahrgebots entgegengekommen. Sie habe den Omnibus im Vorbeifahren gestreift und sei sodann fortgefahren.

Es sei anzunehmen, dass die Klägerin ihre Ansprüche gegenüber der Beklagten als ihrer Kaskoversicherung bereits bei Erteilung des Reparaturauftrags an das Autohaus […] abgetreten habe. Die von der Klägerin veranschlagten Reparaturkosten seien überhöht. Erforderlich und angemessen seien lediglich Kosten in Höhe von 2.727,19 Euro, von denen ein Abzug neu für alt in Höhe von 150,00 Euro vorzunehmen sei. Entgegen der Kalkulation des Sachverständigen sei der Auf- und Abbau des Kofferraumdeckels ebenso wenig erforderlich wie Erneuerung des Stoßfängers hinten rechts. Bei der Tür hinten links sei eine Teillackierung hinreichend, um den Schaden fachgerecht zu beheben.

Das Gericht hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Görlitz, Zweigstelle Bautzen […] beigezogen. Es hat die Klägerin persönlich zur Sache gehört und durch die uneidliche Vernehmung der Zeugin W[…] und aufgrund Beweisbeschlusses vom 23.04.2020 durch die Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens sowie eines Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen […] Beweis erhoben. Für das Ergebnis der informatorischen Anhörung und der Zeugenvernehmung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.04.2020 […] und für den Inhalt der Sachverständigengutachten auf dieselben […] verwiesen.

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Das Gericht hat dieses mit Beschluss vom 27.07.2021 angeordnet.

Entscheidungsgründe

I.

Das Urteil ergeht mit dem Einverständnis der Parteien ohne Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, § 128 Abs. 2 ZPO.

II.

1.
Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist auch die letzte Klageänderung vom 11.06.2021 gemäß § 263 Var. 1 ZPO wegen Einwilligung der Beklagten zulässig. Die Einwilligung der Beklagten war nach § 267 ZPO zu vermuten, weil sie sich ohne der Klageänderung zu widersprechen mit Schriftsatz vom 30.06.2021 auf die geänderte Klage eingelassen hat. Auch die schriftsätzliche Einlassung gilt als Einlassung „in einer mündlichen Verhandlung“ im Sinne dieser Norm, weil das Gericht die Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet hatte (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. § 267 ZPO Rn. 2).

2.
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist Sie unbegründet.

Die Klägerin kann nach §§ 7 Abs. 1. 17 Abs. 1 und 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG die tenorierten Ansprüche gegen die Beklagte geltend machen. Weitergehende Ansprüche bestehen nicht.

a)
Die Klägerin ist aktivlegitimiert.

aa)
Dass das Fahrzeug im Unfallzeitpunkt der […] Bank […] zur Sicherheit übereignet war, berührt ihre Aktivlegitimation nicht. Berechtigt ist nach § 7 Abs. 1 StVG der „Verletzte“, wenn eine Sache beschädigt wird. Der mit diesen Worten umschriebene persönliche Schutzbereich der Norm erfasst nicht nur den Eigentümer der Sache, sondern nach einhelliger Auffassung auch den berechtigten unmittelbaren Besitzer (s. zuletzt BGH NJW 2019, 1669 Rn. 13 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Klägerin ist dabei auch berechtigt Substanzschäden geltend zu machen, weil sich die […] Bank […] als Eigentümerin hiermit einverstanden erklärt hat (vgl. BGH a.a.O.).

bb)
Ferner ist als unstrittig zu behandeln, dass die Klägerin ihre Ersatzansprüche für die Reparaturkosten nicht an die Beklagte abgetreten hat. Der Vortrag der Beklagten, es sei anzunehmen, dass die Klägerin ihr ihre Ansprüche abgetreten habe, ist mangels hinreichender Substantiierung unwirksam (§ 138 Abs. 1 ZPO). Da die Beklagte eine solche Abtretung selbst hätte annehmen müssen, wäre es ihr möglich und zumutbar gewesen, zu Zeit, Ort und den Umständen der vermeintlichen Abtretung näher vorzutragen. Dies hat sie nicht getan. Sie hat eine Abtretung nicht einmal konkret behauptet, sondern lediglich als Vermutung in den Raum gestellt, obwohl ihre eigenen Mitarbeiter ob ihrer notwendigen Beteiligung über Wissen zu einem solchen Vorgang verfügen müssten.

b)
Durch die Kollision entstand ein ersatzfähiger Schaden. Dieser setzt sich zusammen aus Reparaturkosten von 4.768,12 EUR, Kosten für den Sachverständigen in Höhe von 680,20 EUR, einer Nutzungsausfallentschädigung 261,00 Euro und einer Kostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro,

aa)
Die Klägerin kann nach § 249 Abs. 1 Schadensersatz für die Reparatur- und Sachverständigenkosten verlangen, mit denen ihr Vermögen in der Folge des Unfalls belastet wurde.

Zu den Reparaturkosten von 4.718,12 EUR war der nach der Reparatur verbleibende merkantile Minderwert von 200,00 EUR hinzuzurechnen. Aufgrund des durch die Reparatur erfolgenden Wertzuwachses war jedoch ein Abzug „Neu für alt“ von 150,00 EUR vorzunehmen.

Der Einwand der Beklagten, ein Auf- und Abbau des Kofferraumdeckels sei ebenso wenig erforderlich wie Erneuerung des Stoßfängers hinten rechts und bei der Tür hinten links sei eine Teillackierung hinreichend, um den Schaden fachgerecht zu beheben, greift nicht durch. Zu ersetzen sind diejenigen Aufwendungen, die ein wirtschaftlich denkender Mensch für erforderlich und angemessen halten darf (Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 249 Rn. 12). Die von der Beklagten beanstandeten Reparaturmaßnahmen durfte die Klägerin für erforderlich halten, weil diese allesamt in dem von ihr eingeholten Sachverständigengutachten als notwendig angesehen wurden […]. Auf die Richtigkeit eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachten darf der Geschädigte grundsätzlich vertrauen, es sei denn, dass ein vor Reparaturbeginn vorgelegtes Gegengutachten ernstliche Zweifel erwecken muss (Grüneberg, a.a.O.). Ein solches Gegengutachten wurde hier nicht vorgelegt.

Gegen die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Gutachterkosten in Höhe von 680,20 EUR bestehen keine Bedenken.

bb)
Der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit für neun Tage stellt einen ersatzfähigen Schaden dar, der mit einer Zahlung von 261,00 EUR zu kompensieren ist.

Der Berechtigte eines privat genutzten Kraftfahrzeugs hat nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Anspruch auf Ersatz für die entgangene Nutzungsmöglichkeit, wenn er keinen Ersatzwagen anmietet und über einen Nutzungswillen wie auch eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit verfügt (Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 249 Rn. 40 ff.). Diese Voraussetzungen liegen vor. Eine Nutzungsausfallentschädigung von 29,00 Euro pro Tag ist ortsüblich und angemessen, was auch die Parteien übereinstimmend annehmen.

cc)
Ferner steht der Klägerin eine Kostenpauschale von 25,00 EUR zu.

Der Geschädigte kann bei Verkehrsunfälle eine Pauschale für Post und Telekommunikation verlangen. Diese trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei Verkehrsunfällen um ein Massengeschäft handelt. Das Gericht schätzt die Schadenspauschale gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 25,00 EUR (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 15.08.2014 – 7 U 1421/13-, Rn. 27, juris).

c)
Gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG war der Schadensersatzanspruch der Klägerin allerdings entsprechend einer Haftungsquote von 20 % zu mindern, die ihrer Mitverantwortung entspricht.

aa)
Eine Haftungsquote war nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG zu bilden, weil sich bei dem Schadensereignis zugleich die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs mitwirkte, dessen Halter die Klägerin war (§ 7 Abs. 1 StVG).

bb)
Die Bildung einer Haftungsquote war nicht gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG ausgeschlossen.
Denn der Unfall wurde nicht durch ein unabwendbares Ereignis verursacht, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Kraftfahrzeugs der Klägerin noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht.

Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Kraftfahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat, § 17 Abs. 3 Satz 2 StVG. Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben. Dabei darf sich die Prüfung nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat. Vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. Der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält. Der Idealfahrer hat in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (st. Rspr., s. nur BGH NJW 1992, 1684, 1685). Derjenige, der sich nach § 17 Abs, 3 StVG entlasten will, hat die Unabwendbarkeit des Ereignisses darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen (Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, Aufl. 2021, §17 StVG Rn. 23).

Gemessen an diesem Maßstab steht nicht zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) fest, dass sich die Klägerin wie ein Idealfahrer verhalten hat. Denn ein Idealfahrer hätte bereits die risikoträchtige Begegnung beider Fahrzeuge in der Engstelle vermieden, indem er vorausschauend vor dieser angehalten und das entgegenkommende Fahrzeug abgewartet hätte, wenn er dieses zuvor gesehen hätte. Es war kein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, darüber zu erlangen, dass die Klägerin den Omnibus nicht vor ihrer Einfahrt in die Engstelle gesehen hat, so dass sie, vorher halten und diesen passieren lassen hätte können. Die Angaben der Klägerin aus ihrer informatorischen Anhörung sind in dieser Hinsicht unklar, weil sie nicht eindeutig geschildert hat, ob sie bereits vor oder erst in der Engstelle angehalten habe als sie den Omnisbus erblickte. Das Ergänzungsgutachten war insoweit negativ ergiebig. Diesem zufolge habe die Klägerin den Omnibus etwa 5,6 Sekunden vor der Kollision erkennen können; in dieser Situation sei es ihr möglich gewesen, noch vor der Engstelle anzuhalten.

cc)
Eine Haftungsverteilung von 80 % zu 20 % zugunsten des Klägers entspricht den Umständen, insbesondere der die Parteien jeweils treffende Verantwortung für die Schadensverursachung § 17 Abs. 1 StVG.
Hierbei war zu beachten, dass in die Abwägung für die Haftungsverteilung nach § 17 StVG nur diejenigen Tatbeiträge eingebracht werden dürfen, die sich tatsächlich auf die Schädigung ausgewirkt haben. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, das heißt unstreitig, zugestanden oder bewiesen sein (BGH NJW 2007, 506 Rn. 15). Aus allgemeinen Beweisgrundsätzen folgt dabei, dass im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung jeweils der eine Halter die Umstände zu beweisen hat, die dem anderen zum Verschulden gereichen (BGH NJW 1996, 1405, 1406).

Bei der Haftungsabwägung hat das Gericht eine Gesamtschau angestellt. Bei dieser hat es berücksichtigt, dass die Zeugin W[…] ein Verschulden trifft und auf der Seite der Beklagten eine erhöhte sowie auf der Seite der Klägerin eine einfache Betriebsgefahr mitwirkte.

(1)
Das Gericht konnte feststellen, dass der Zeugin W[…] ein Verschulden bei der Entstehung des Unfalls zur Last fällt. Mit dieser bildet die Beklagte eine Haftungseinheit.

Der Zeugin W[…] hat gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot (§ 1 Abs. 1 StVO) verstoßen, indem sie in der Engstelle an dem im Gegenverkehr stehenden Fahrzeug der Klägerin so dicht vorbeifuhr, dass es zu einer Kollision kam. Dieser Geschehensablauf steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Das Sachverständigengutachten hat in dieser Hinsicht die Angaben der Klägerin als nachvollziehbar bestätigt und die Aussage der Zeugin W[…], das Fahrzeug der Klägerin habe sich im Kollisionszeitpunkt in Bewegung befunden, widerlegt.

Der Sachverständige hat ausgeführt, dass diese Angabe der Zeugin W[…] nicht plausibel sei, da in diesem Fall nicht der festgestellte Schaden am linken Hinterrad des Linienbusses entstanden wäre. Die Einlassung der Klägerin, sie habe gestanden, stehe demgegenüber mit dem Schadensbild in Einklang. Die im Gutachten gezogenenen Schlussfolgerungen sind glaubhaft. Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle ist der Sachverständige […] für die Erstattung unfallanalytischer Gutachten besonders qualifiziert. Das Gutachten geht von zutreffenden Anknüpfungstatsachen aus und gelangt unter eingehender Darstellung der technischen Gegebenheiten zu nachvollziehbaren Schlussfolgerungen.

Demgegenüber hat die Beklagte nicht beweisen können, dass auch die Klägerin ein Verschulden an der Entstehung des Unfalls trifft. Insbesondere steht nicht fest, dass die Klägerin mit unangepasster Geschwindigkeit in die Engstelle einfuhr oder den Omnibus dicht passierte. Die diesbezüglichen Aussage der Zeugin W[…], wird in dieser Hinsicht nicht durch das insoweit negativ ergiebige Sachverständigengutachten belegt. Sie steht im Widerspruch zu den Angaben der Klägerin aus ihrer informatorischen Anhörung, ohne dass für das Gericht Anzeichen für eine höhere Glaubwürdigkeit der Zeugin W[…] bestünden. Was die Einlassung betrifft, dass Fahrzeug der Klägerin habe sich bei der Kollision noch in Bewegung befunden, ist das Gericht sogar vom Gegenteil überzeugt, wie soeben dargestellt.

Der Umstand, dass die Klägerin nach der Überzeugung des Gerichts in die Engstelle eingefahren ist, obwohl Sie den entgegenkommenden Omnibus sah, begründet kein Verschulden. Wenngleich ein Idealfahrer die Begegnung in der Engstelle vermieden hätte, begründet das bloße Einfahren noch keinen Sorgfaltsverstoß. Insoweit kann die Klägerin den in § 1 StVO verankerten Vertrauensgrundsatz für sich in Anspruch nehmen. Danach darf jeder, der sich selbst verkehrsgerecht verhält, grundsätzlich auch ein verkehrsgerechtes Verhalten anderer erwarten (MünchKomm Straßenverkehrsrecht/Bender, 2016, § 1 StVO Rn. 21 m.w.N.). Die Klägerin hatte sich bis dahin verkehrsordnungsgemäß verhalten. Für sie bestanden auch keine Gründe, zu antizipieren, dass die Zeugin W[…] in der Engstelle zu dicht an ihr vorbeifahren würde.

(2)
Auch war bei Bildung der Haftungsquote zu berücksichtigen, dass auf Seiten der Beklagte eine erhöhte konkrete Betriebsgefahr mitwirkte. Von einem Omnibus geht eine höhere Betriebsgefahr als von einem Personenkraftwagen aus. Dies ergibt sich aus seiner erhöhten Größe, Masse und Trägheit sowie der schlechteren Möglichkeit für den Fahrer, den Verkehr zu überblicken (vgl. BGH, Urteil vom 27.05.2014 – VI ZR 279/13 Rn. 16, juris). Diese erhöhte Betriebsgefahr war für den streitgegenständlichen Unfall auch mitursächlich. Denn in der seitlichen Kollision an der Engstelle realisierte sich gerade jene Gefahr, die sich aus der überdurchschnittlichen Breite eines Omnibus‘ ergibt.

Zulasten der Klägerin war bei der Haftungsabwägung die mitursächliche Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs einzustellen, dessen Halterin sie ist. Der Verkehrsverstoß der Zeugin W[…] sowie die erhöhte Betriebsgefahr des Omnibusses wiegen demgegenüber nicht so schwer, dass sie die auf Seiten der Klägerin wirkende Betriebsgefahr überragten und gänzlich zurücktreten ließen. Eine Alleinhaftung kommt nur bei einem besonders schwerwiegenden Verkehrsverstoß in Betracht (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 17 StVG Rn. 20 m.w.N.). Ein solcher liegt bei einem zu dichten Vorbeifahren nicht vor. Vielmehr handelt es sich um eine Unachtsamkeit mittleren Schweregrades.

d)
Die Ansprüche der Klägerin aus dem Verkehrsunfall sind aufgrund der Zahlung der Beklagten in Höhe von 2.369,82 EUR auf die Reparaturkosten, 340,10 EUR auf die Sachverständigenkosten, 130,50 EUR auf die Nutzungsausfallentschädigung und 12,50 EUR auf die Kostenpauschale durch Erfüllung erloschen, § 362 BGB. Mithin sind Reparaturkosten von 1.444,68 EUR, Gutachterkosten von 204,06 EUR, der Nutzungsausfallschaden in Höhe von 78,30 EUR und die Schadenspauschale in Höhe von 7,50 EUR noch nicht kompensiert.

e)
Die Reparatur- und Gutachterkosten kann bzw. konnte die Klägerin wegen des Grundsatzes der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) nicht im Wege der Zahlung, sondern lediglich der Freihaltung ersetzt verlangen, § 257 Satz 1 BGB. Denn ihr Vermögen ist bzw. war nur mit Ansprüchen Dritter belastet; sie selbst hat noch nicht an diese gezahlt.

Soweit die Beklagten in ihrer Eigenschaft als Vollkaskoversicherung auf die Reparatur- und Gutachterkosten 2.709,91 EUR an die Klägerin gezahlt hat, sind die Ersatzansprüche der Klägerin bis zu einer Höhe von 1.620,25 EUR gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Beklagte übergegangen und durch Konfusion erloschen. Denn mit der Legalzession haben sich Forderung und Schuld in der Person der Beklagten vereint (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, vor § 362 Rn. 4). Bei der Klägerin verblieb ein Freistellungsanspruch von 28,49 EUR ohne Abzug ihrer Mitverantwortung von 20 %, weil die Legalzession gemäß dem Quotenvorrecht der Klägerin nicht zu ihrem Nachteil geltend gemacht werden kann, § 86 Abs. 1 Satz 2 VVG.

In Bezug auf die auf die Beklagte übergegangenen und durch Konfusion erloschenen Ansprüche, kann die Klägerin gemäß § 249 Abs. 1 BGB von der Beklagten verlangen, bis zu ihrer Höhe von Rückforderungsansprüchen für eine Rückgängigmachung der Zurückstufung bei der Schadensfreiheitsklasse infolge der Leistung der Beklagten als Vollkaskoversicherung freigestellt zu werden. Denn der Geschädigte kann als Sachfolgeschaden auch Prämiennachteile in der Kaskoversicherung ersetzt verlangen (Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 249 Rn. 55). Ebenso kann der Geschädigte sich dafür entscheiden, die Prämiennachteile durch eine Rückgängigmachung der Zurückstufung gegen Zahlung an seinen Kaskoversicherer abzuwenden und den dafür erforderlichen Geldbetrag vom Schädiger ersetzt verlangen. Hier kann dies auch dadurch geschehen, dass die Beklagte die Klägerin von Rückforderungen wegen der Zurückstufung in der Höhe ihrer eigenen Verpflichtung freihält. Denn der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, dass der Vollkaskoversicherer mit dem Schadensersatzverpflichteten personenidentisch ist. Es käme lediglich zu einem sinnlosen Hin- und Herzahlen, wenn man der Klägerin abverlangte, zunächst die entsprechenden Rückzahlungen an die Beklagte zu bewirken und sie dann wieder von dieser ersetzt zu verlangen.

f)
Ein weitergehender Anspruch der Klägerin folgt nicht aus § 823 Abs. 1 BGB. Die vorstehenden Ausführungen zum Umfang des ersatzfähigen Schadens, der Mitverantwortlichkeit und dem Erlöschen gelten für Ansprüche aus unerlaubter Handlung entsprechend.

3.
a)
Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 286 Abs. 1,288 Abs. 1,291 BGB. Die Beklagte
geriet durch die Mahnung vom 29.04.2019 spätestens zum 01.05.2019 in Verzug.

b)
Ebenso kann die Klägerin die ihr entstandenen Aufwendungen für die Akteneinsicht von 14,28 EUR und für die vorprozessuale Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten von 400,32 EUR gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG als Nebenforderung ersetzt verlangen. Denn es handelt sich insoweit um ersatzfähige Kosten der Rechtsverfolgung (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 249 Rn. 56 ff.).
Hinsichtlich der Kosten der Akteneinsicht ist der Anspruch der Klägerin in Höhe der gezahlten 7,14 EUR erloschen. Entsprechend einer Quote von 80 % kann die Klägerin Ersatz für die Akteneinsicht in Höhe von 4,28 EUR und hinsichtlich der vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 320,26 EUR verlangen.

III.

1.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 ZPO. Das Gericht war zu einer
Kostenaufhebung gehalten, weil das Obsiegen und Unterliegen der Parteien unter Berücksichtigung der Kostentragungspflicht der Klägerin für den zurückgenommenen Teil der Klage (§ 269 Abs, 3 Satz 2 ZPO) ungefähr gleichen Teilen (53:47) entsprach.

2.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 709 Satz 1 ZPO.

IV.

Der Gebührenstreitwert entspricht der Summe der ursprünglich von der Klägerin geltend gemachten Hauptforderungen, welche mit dem mit ihrem Begehr verbundenen wirtschaftlichen Interesse korrespondiert.“

AG Bautzen, Urteil vom 6.9.2021 – 21 C 749/21


Keine unklare Verkehrslage bei Überholvorgang einer Fahrzeugkolonne

Nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz mit Außenkammern in Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 14.10.2019 – 5 O 470/18) ist das Überholen einer Fahrzeugkolonne grundsätzlich zulässig und begründet für sich allein keine unklare Verkehrslage im Hinblick auf ein vorausfahrendes, unerkannt ebenfalls überholwilliges Fahrzeug. Im Rahmen einer fiktiven Schadenregulierung können auch die Kosten für notwendige Ersatzteile inklusive eines (üblichen) 10 %-igen UPE-Aufschlags gefordert werden, soweit diese im Schadengutachten aufgeführt sind und der Schädiger nicht auf eine zulässige Reparaturwerkstatt verweisen kann, die solche Aufschläge nicht fordert.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit
[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7-9, 01097 Dresden, Gz.: […]
gegen
Landkreis […]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]
wegen Schadensersatz aus VKU/Amtshaftung
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch
Richterin am Landgericht […] als Einzelrichterin
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2019

für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird verurteilt,
a) an die Klägerin 1.728,75 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 3.302,37 € für die Zeit vom 24.07.2018 bis 09.08.2018 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.329,37 € seit dem 10.08.2008 bis 31.08.2018 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.728,75 € seit dem 01.09.2018 zu zahlen.

b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Kfz-Sachverständigenbüro Ernst Krsanowski, Adolf-Kolping-Straße 15 in 02681 Schirgiswalde von Forderungen in Höhe von 323,68 € aus der Rechnung […] freizustellen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die weiteren Kosten der Klägerin zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 23.07.2018, gegen 8.20 Uhr in Schwepnitz, insbesondere der Schadenserhebung, ergeben.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

[…]

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 23.07.2018 gegen 8.20 Uhr auf der B 97 zwischen Schmorkau und Schwepnitz ereignet hat.

Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt Halterin und Eigentümerin des Pkw Suzuki Vitara mit dem amtlichen Kennzeichen […]. Der Beklagte ist Halter des am Verkehrsunfall beteiligten Transporters vom Typ MB Sprinter mit dem amtlichen Kennzeichen […].
Der Zeuge […] K[…] fuhr das klägerische Fahrzeug auf der B 97.

Vor ihm fuhr ein Lkw, darauf folgend der Krankentransporter des Beklagten. Der Zeuge beabsichtigte, beide Fahrzeuge, den Krankentransporter des Beklagten und den davor langsam fahrenden Lkw zu überholen. Der Beklagte beabsichtigte seinerseits den vor ihm fahrenden Sattelauflleger zu überholen. Es kam zur Kollision der beiden Fahrzeuge. Das Fahrzeug der Klägerin wurde dabei von rechts beschädigt, an dem Fahrzeug des Beklagten sind Streifspuren mittig auf der linken Seite zu sehen.
Nach der Einschätzung des Sachverständigen, des Kfz-Sachverständigenbüros Ernst KrsanowskI vom 24.07.2018 betragen die Kosten für die Reparatur des Fahrzeugs der Klägerin 3.103,37 € (netto), bei einem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs von 15.500,00 €. Die Wertminderung hat der Sachverständige angesetzt mit 200,00 €. Hierauf leistete die Beklagte Zahlung i.H.v. 1.586,12 €. Auf die Gutachterkosten gemäß der Rechnung […] leistete die Beklagte am 06.12.2018 an den Sachverständigen Zahlung i.H.v. 323,68 €. Daneben wurden die in der Klageschrift klägerselts geltend gemachten Rechtsanwaltskosten gemäß dem Schreiben vom 05.12.2018 bezahlt.
Die Klägerin trägt vor, der Zeuge K[…] habe, nachdem er und der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs bereits längere Zelt hinter dem langsam fahrenden Lkw hergefahren waren, als die Strecke gut einsehbar und frei von Gegenverkehr war, zum Überholen angesetzt. Er habe den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt, sich durch Blicke in den Seiten- und Rückspiegel sowie einen Blick über die linke Schulter darüber vergewissert, dass sich keine Fahrzeuge hinter ihm oder auf der Gegenfahrbahn im Rahmen eines Überholvorgangs befinden. Er habe dem vorausfahrenden Unfallgegner durch Lichtzeichen (Lichthupe) seine Überholabsicht zu erkennen gegeben. Als er sich mit dem Fahrzeug der Klägerin neben dem unfallgegnerischen Fahrzeug befunden habe, habe er erkannt, dass dieser ohne Nutzung eines Fahrtrichtungszeigers sich auf seine Fahrspur zubewegte. Er habe versucht durch Hupen den Unfallgegner zu warnen und den Unfall durch ein starkes
Abbremsen zu vermeiden. Hierdurch sei das Entstehen größerer Schäden, nicht jedoch der Zusammenstoß zwischen den Fahrzeugen vermieden worden. Das Schadensbild am Fahrzeug der Klägerin wie auch die Schadensspuren am Fahrzeug des Beklagten ließen erkennen, dass der Anstoß am Fahrzeug des Beklagten kurz hinter der Fahrertür erfolgt sei.
Der Zeuge R[…] habe sich damit neben dem Fahrzeug des Beklagten befunden. Soweit der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs vor Beginn des Ausführens des beabsichtigten
Überholvorgangs einen Blick in den Seitenspiegel und über die Schulter geworfen hätte, hätte er das Fahrzeug der Klägerin zwangsläufig erkennen müssen. Insoweit nicht zutreffend sei, dass der Fahrzeugführer des Beklagtenfahrzeugs erst auf Höhe des Lkw-Aufliegers ein Aufprallgeräusch habe wahrnehmen können. Dies sei unter Verweis auf die gebotenen Örtlichkeiten nicht möglich.
Der Klägerin sei der nach dem Gutachten festgestellte Schaden anlässlich der Besichtigung im Reparaturbetrieb zu ersetzen.
Nachdem beide Parteien den Rechtsstreit wegen der Zahlung auf die geltend gemachten Sachverständigenkosten sowie die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt haben,

beantragt die Klägerin,

I. der Beklagte wird verurteilt,

a) an die Klägerin 1.728,75 € nebst Zinsen i.H.v. 4 % aus 3.302,37 € für die Zeit vom
24.07.2018 bis zum 09.08.2018 sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.325,37 € seit dem 10.08.2018 bis zum
31.08.2018 und weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach §
247 BGB aus 1.728,75 € seit dem 01.09.2018 zu zahlen.

b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Kfz-Sachverständigenbüro Ernst
Krsanowski, Adolf-Kolping-Straße 15 in 02681 Schirgiswalde von Forderungen i.H.v.
323,68 € aus der Rechnung-Nr. […] freizustellen.

II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die weiteren Kosten der Klägerin zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls vom 23.07.2018 gegen 08:20 Uhr in Schwepnitz, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

Der Beklagte beantragt.

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, der Unfall beruhe jedenfalls auch auf einem Fehler des Zeugen
K[…], der in einer unklaren Verkehrslage überholt habe. Der Zeuge R[…] habe, als die Straße vor ihm einen geraden Verlauf gezeigt habe, beabsichtigt, den Lkw zu überholen. Er habe zunächst in den Gegenverkehr geblickt sowie sich dann nach hinten durch Blick in den Spiegel sowie über die Schulter vergewissert, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht im Begriff seien, ihn zu überholen. Der Zeuge R[…] habe den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und sei ausgeschert. Danach sei es in Höhe des Lkw-Aufliegers links zu einem Aufprallgeräusch gekommen, der Zeuge K[…] war mit dem Suzuki der Klägerin gegen den hinteren mittleren Teil der linken Fahrzeugseite des Krankentransporters gefahren. Nicht zutreffend sei, dass der Zeuge sich über die Verkehrslage vergewissert, noch die Lichthupe bedient und dann noch ein „Schallzeichen“ gegeben habe. Der Zeuge K[…] habe mit einem Überholen des Krankentransportes des Beklagten rechnen müssen und habe deshalb besonders aufmerksam das Blinkzeichen und das Fahrverhalten des Fahrers des Krankentransporters beobachten müssen. Der Krankentransport habe sich bereits auf der linken Fahrspur befunden, als der Zeuge K[…] plötzlich heran nahte. Bestätigt werde dies durch die Beschädigungen am Fahrzeug der Klägerin ganz rechts unmittelbar im Frontbereich und an der vorderen Seite, demgegenüber seien die Beschädigungen am Beklagtenfahrzeug hinten mittig. Von dem klägerseits geltend gemachten Schadens betrag sei der 10 %ige UPE-Aufschlag abzusetzen, da die Klägerin auf fiktiver Basis abrechne, die Position mithin insoweit nicht anfalle. Der Zeuge K[…] sei in zusätzliches Risiko eingegangen, in dem er nicht nur das Fahrzeug des Beklagten, sondern auch den davor fahrenden Lkw habe überholen wollen.

[…]

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten aus §§7, 17, 18 StVG die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus dem Verkehrsunfallereignis vom 23.07.2018 i.H.d. weiter verlangten Zahlungsbetrages von 1.728,75 €, der geltend gemachten Freistellung bezüglich restlicher Sachverständigenkosten und der Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiteren Schadens, insbesondere zur Schadensbehebung, zu.
Keiner der am Unfall Beteiligten, weder der Fahrzeugführer des Fahrzeugs der Klägerin noch der Fahrzeugführer des Fahrzeugs der Beklagten können für sich geltend machen, bei dem Verkehrsunfall vom 23.07.2018 gegen 08:20 Uhr auf der B 97 zwischen Schmorkau und Schwepnitz, handele es sich um ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG. Unabwendbar ist ein Unfallereignis dann, wenn es durch die äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Beide Unfallbeteiligten können für sich nicht in Anspruch nehmen, sich rechtzeitig auf ein etwaiges Fehlverhalten des anderen eingestellt zu haben. Im Rahmen der danach zu erfolgenden Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG unter Berücksichtigung der sich in der Unfallsituation konkret verwirklichten Betriebsgefahr der am Unfall beteiligten Fahrzeuge ergibt sich, dass im Ergebnis der unstreitig gebliebenen bzw. erwiesenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Verkehrsunfall vom 23.07.2018 maßgeblich vom Fahrer des Transporters des Beklagten herbeigeführt wurde, die vom Fahrzeug der Klägerin ausgehende Betriebsgefahr hinter dem überwiegenden Verschulden des Fahrzeugführers des Beklagten zurücktritt. Nach Einvernahme der am Verkehrsunfall beteiligten Zeugen unter Einsichtnahme in die Bußgeldakte, der hierzu gefertigten Lichtbilder zu den am Unfall beteiligten Fahrzeugen eingetretenen Schäden steht fest, dass der Fahrzeugführer des Beklagten der Vorschrift des § 5 Abs. 4 StVO zuwider überholt hat. Wer zum Überholen ausscheren will, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Von ihm wird mithin höchste Sorgfalt verlangt. Vor dem Ausscheren ist der Überholende deswegen zur besonders sorgfältigen Rückschau verpflichtet. Dem ist der Fahrzeugführer der Beklagten seinen Angaben im Termin am 23.09.2019 folgend nicht nachgekommen. Seinen Angaben folgend hat er den Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesetzt und ist zugleich nach links ausgeschert. Bei gehöriger Rückschau in den linken Außenspiegel oder aber mindestens über die linke Schulter hätte er genau in diesem Moment das vom Zeugen K[…] gesteuerte Fahrzeug erkennen können und müssen. Den zutreffenden Angaben des Zeugen K[…] folgend, bestätigt durch die am Fahrzeug des Beklagten festgestellten Schäden, wär der Zeuge K[…] bereits vor dem Fahrzeugführer der Beklagten nach links auf die Gegenspur ausgeschert. Das Fahrzeug der Klägerin wurde im Bereich des vorderen rechten Kotflügels, der Stoßstange, des rechten Scheinwerfers und an der rechten Felge beschädigt. Die im Außenspiegel sich befindende Blinkleuchte wurde „zerschürft“. Die Anstoßstelle am Fahrzeug des Beklagten zeigte sich eine großflächige Eindellung an und in der Schiebetür, unmittelbar hinter der Fahrertür, von der Streifspuren bis zum hinteren Radhaus reichen. Der Vortrag des Beklagten, der Fahrzeugführer habe sein Überholmanöver bereits eingeleitet gehabt, habe sich bereits auf der Höhe des Lkw-Aufliegers befunden, als der Fahrzeugführer der Klägerin seinerseits das Überholmanöver durchgeführt habe, ist damit nicht zutreffend. Nach dem Vortrag des Beklagten hätten sich drei Fahrzeuge inklusive einem Sattelzug nebeneinander auf einer zweispurigen Landstraße befinden müssen, was indes aufgrund gegebenen Örtlichkeiten nicht möglich ist.

Den Fahrzeugführer der Klägerin trifft kein Mitverschulden. Nicht anzulasten ist ihm das Überholen einer Fahrzeugkolonne. Das Überholen einer Fahrzeugkolonne durch ein an hinterer Stelle fahrendes Fahrzeug ist nicht grundsätzlich unzulässig. Nach
übereinstimmenden Vortrag verläuft die Straße im Bereich der Unfallstelle völlig gerade. Die Überholstrecke war damit völlig einsehbar und überschaubar. Dem Zeugen K[…] ist ein Überholverbot wegen unklarer Verkehrslage i.S.v. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO nicht anzulasten. Dies wäre nach allgemeiner Auffassung dann der Fall, wenn ein Fahrzeugführer nach allen objektiven Umständen des Einzelfalls mit einem gefahrlosen Überholen nicht rechnen kann.
Wie der Zeuge K[…] und der Zeuge N[…] übereinstimmend angegeben haben, hatte der Fahrzeugführer des Krankentransporters des Beklagten auch als die Fahrtstrecke gut einsehbar und frei von Gegenverkehr war, keine unmittelbaren Anstalten gemacht, den vorausfahrenden Lkw zu überholen. Das sich der Zeuge R[…] mit dem von ihm gesteuerten Fahrzeug vor dem Beginn seines Überholmanövers deutlich zur Mitte hin abgesetzt hätte, hat die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Der Beifahrer des Fahrzeugs des Beklagten hatte hiervon nichts mitbekommen. Die Angaben des Zeugen R[…] sind zu wage. Der Zeuge N[…] bestätigt hingegen gerade, dass sich der Fahrzeugführer Zeit gelassen hatte, sich zu entschließen, ob er überholen will. Das allein längere Zeit langsame Fahren des Beklagtenfahrzeugs hinter dem Lkw führt für sich nicht zu einer unklaren Verkehrslage.
Für den Fahrzeugführer der Klägerin ergab sich keine Verkehrssituation, welche ihm noch vor Beginn seines Überholmanövers noch ein angemessenes Reagieren ermöglicht hätte.
Insbesondere stand keine ausreichende Zeit mehr zur Verfügung, das bereits eingeleitete Überholmanöver noch abzubrechen und so eine Kollision zu vermeiden. Der Zeuge K[…] hat eine Gefahrenbremsung durchgeführt und ist dementsprechend am Fahrzeug des Beklagten entlang geschrammt. Der Ansatz eines Mitverursachungsanteils scheidet damit aus.
Die Abwägung der sich in der konkreten Unfallsituation ergebenden Verursachungs- und Verschuldensanteile unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugen in der konkreten Unfallsituation ausgehenden Betriebsgefahr im Rahmen der Anwendung von § 17 Abs. 1 StVG ergibt, dass der Beklagte allein für die Unfallfolgen einzustehen hat. Die Betriebsgefahr des vom Beklagten gesteuerten Krankentransporters ist gegenüber dem Fahrzeug der Klägerin bereits erhöht und führt unter Berücksichtigung des dem Fahrzeugführer des Beklagten zuzurechnenden erheblichen Verkehrsverstoßes dazu, dass die vom Fahrzeug der Klägerin
ausgehende Betriebsgefahr hinter derjenigen des Fahrzeugs des Beklagten zurücktritt.
Der Klägerin steht gemäß § 249 BGB ein Anspruch auf Erstattung des ihr aus dem Unfall entstandenen Sachschadens i.H.d. vom Sachverständigen Kfz-Sachverständigenbüro Krsanowski ermittelten Reparaturschadens in vollständiger Höhe zu. Entgegen der Meinung des Beklagten hat die Klägerin auch Anspruch auf Erstattung der im Gutachten angesetzten 10 %-igen UPE-Aufschlags. Der Privatsachverständige hat im Rahmen seiner Begutachtung im Reparaturbetrieb, dem Autohaus Roschk GmbH & Co KG bei dem von ihm angesetzten Kosten für notwendige Ersatzteile auch einen 10 %-igen UPE-Aufschlag angesetzt. Der
Reparaturbetrieb ist das Vertragsautohaus Seat, Suzuki und Chevrolet. Von der Üblichkeit der vom Sachverständigen angesetzten Reparaturkosten ist damit auszugehen. Dass der Klägerin eine gleichwertige und mühelos erreichbare sowie im angegebenen Umfang
günstigere Reparaturmöglichkeit offengestanden habe, hat der Beklagte nicht angeführt. Allein dass die Geschädigte fiktiv abrechnet, führt nicht dazu, dass solche UPE-Aufschläge nur zu erstatten wären, soweit sie bei einer Durchführung der Reparatur tatsächlich anfallen. Sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, darf der Geschädigte grundsätzlich auch die üblichen Ersatzteilkosten einer markengebundenen Werkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemein regionalen Markt ermittelt hat. Hiervon ist auszugehen.
Nachdem der Beklagte Zahlung i.H.v. 1.586,12 € geleistet hat, verbleibt der noch offene Betrag i.H.v. 1.716,25 €. Zuzüglich der noch hälftigen zu erstattenden Unkostenpauschale i.H.v. weiteren 12,50 € errechnet sich der noch offene Betrag von 1.728,75 €. Ausgehend von dem angefallenen Betrag für die Erstellung des Schadensgutachtens von 647,36 € steht der Klägerin nach teilweiser Regulierung durch den Beklagten ein Anspruch auf Freistellung des noch offenen Restbetrages von 323,68 € zu. Eine Reparatur des Fahrzeugs hat noch nicht stattgefunden, im Raum stehen ein Nutzungsausfall, Vorhaltekosten sowie die im Falle der Reparatur anfallende Mehrwertsteuer. Das Feststellungsinteresse der Klägerin an der Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung weiterer Kosten ist daher begründet.

[…]“

LG Görlitz, Urteil vom 14.10.2019 – 5 O 470/18