Rechtsprechung zum Werkstattrisiko: BGH stärkt Rechte der Unfallgeschädigten

In einer Reihe von Entscheidungen zum sogenannten Werkstattrisiko hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Unfallverursacher grundsätzlich die gesamte Werkstattrechnung nach einem Verkehrsunfall erstatten müssen, auch wenn diese möglicherweise überhöht ist. Der BGH führte hierzu aus, dass der Geschädigte, der in der Regel kein Fachwissen hat, um den Schaden und die dafür anfallenden Kosten zu beurteilen, die gesamten Reparaturkosten von der Versicherung des Unfallverursachers erstattet bekommen kann. Dies gilt selbst dann, wenn Teile der Reparatur möglicherweise nicht durchgeführt wurden, aber auf der Rechnung stehen.

Insoweit verbleibt der Versicherung des Unfallverursachers die Möglichkeit selbst von der Reparaturwerkstatt die Kosten für überhöhte oder nicht erforderliche oder erfolgte Reparaturmaßnahmen zurückzufordern.

Allerdings soll dies nicht zu einer Bereicherung des Geschädigten führen. Daher darf er, falls er die Rechnung noch nicht bezahlt hat, nur Zahlung direkt an die Werkstatt, nicht aber an sich selbst verlangen.

  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 38/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 239/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 253/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 266/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 51/23

Zum Werkstattrisiko des Schädigers nach einem Verkehrsunfall

Durch das Amtsgericht Leipzig (AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23) wurde entschieden, dass die Beklagte die gesamten Reparaturkosten zu erstatten hat. Die Begründung dafür basiert auf mehreren rechtlichen Grundsätzen und Bestimmungen des deutschen Rechts.

Die Haftung der Beklagten für den durch den Unfall entstandenen Schaden zwischen den Parteien war im vorliegenden Fall unstrittig. Dies bedeutet, dass die Beklagte grundsätzlich verpflichtet ist, den durch den Unfall verursachten Schaden zu ersetzen.

Die entscheidende Frage in diesem Fall war jedoch, in welchem Umfang die Beklagte für die Reparaturkosten aufkommen muss. Hierbei spielt § 249 Abs. 2 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine zentrale Rolle. Nach dieser Vorschrift kann der Geschädigte, wenn eine Sache beschädigt wurde, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte.

In diesem Zusammenhang hat das Gericht festgestellt, dass die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten durfte, da sie keine besseren Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hatte. Insbesondere hat das Gericht berücksichtigt, dass der Geschädigte bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Das sogenannte Werkstattrisiko geht daher zu Lasten des Schädigers.

Darüber hinaus hat das Gericht festgestellt, dass der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel ziehen konnte. Der Bericht ließ nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen und konnte daher nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung haben.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Leipzig […]

im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO am 30.06.2023

für Recht erkannt:

1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 1.096,90 € bis zum 3.2.2023 und auf 856,90 € ab dem 4.2.2023 festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche anlässlich eines Verkehrsunfalls geltend.

Am 28.6.2022 ereignete sich auf der L321 in Meine ein Verkehrsunfall. An diesem waren das Fahrzeug der Klägerin […] und das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug […] beteiligt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach für den entstandenen Schaden ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin hat den oben genannten Pkw bei der Reparaturwerkstatt […] reparieren lassen, diese hat dafür eine Rechnung über 19.103,40 € netto erstellt. Die Beklagte hat vorgerichtlich in Bezug auf die geltend gemachten Reparaturkosten einen Betrag i.H.v. insgesamt 18.006,50 € netto bezahlt. Grundlage war der von der Beklagten eingeholte Prüfbericht […] vom 30.08.2022, welcher eine Neuberechnung vorgenommen hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechnung vom 16.08.2022 […] und den Prüfbericht vom 30.08.2022 […] Bezug genommen. Nach Klageeinreichung am 17.1.2023 und vor Zustellung der Klage zahlte die Beklagte auf die Reparaturkosten am 3.2.2023 einen weiteren Betrag i.H.v. 240,00 €.

Die Klägerin behauptet, ihr sei durch den Unfall ein Reparaturschaden in Höhe von insgesamt 19.103,40 € netto entstanden. Dieser Betrag sei für eine sach- und fachgerechte Instandsetzung des klägerischen Fahrzeugs erforderlich gewesen.

Die Klägerseite beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

Die Beklagtenseite beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, Reparaturkosten seien allenfalls i.H.v. 17.766,50 € netto erforderlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erklärt.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1.)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Form von Reparaturkosten aus dem Verkehrsunfall vom 28.6.2022 i.H.v. 856,90 € netto gemäß §§7Abs. 1,17Abs. 1 StVG.823Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG.

a)
Die Haftung der Beklagten nach einer Haftungsquote von 100 % für die der Klägerin bei dem Unfall vom 28.6.2022 entstandenen Schäden dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

b)
Der Höhe nach hat die Beklagte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Kläger auch die weiteren Reparaturkosten i.H.v. 856,90 € netto zu erstatten.

Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Verursacht also von mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt; denn nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (statt vieler: BGH, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 9, zitiert nach juris).

Allerdings sind unter dem Blickpunkt, dass der Schädiger grundsätzlich für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen hat, an die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt nämlich darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, Rn. 9, zitiert nach juris). Es ist insbesondere Rücksicht auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Diese „subjektbezogene Schadensbetrachtung“ kann sich sowohl zugunsten des Geschädigten als auch zugunsten des Schädigers auswirken (BGH, Urteil vom29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 10, zitiert nach juris).

Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73, Rn. 10, zitiert nach juris). Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 10, jeweils zitiert nach juris).

Dem Geschädigten sind in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen sind, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 12, zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, BeckRS 1995, 01930; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 11, zitiert nach juris). Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Würde nämlich der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, Vl ZR 42/73, Rn. 10; LG Köln, Urteil vom Seite 507.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 12, jeweils zitiert nach juris).

Die Zuweisung des Prognoserisikos bewirkt, dass die für die Schadensschätzung maßgeblichen Feststellungen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Einschätzung der Wiederherstellungskosten erfolgt, der konkrete Schadensersatz sich aber nach den tatsächlichen Kosten richtet (vgl. OLG Zweibrücken, Beschiuss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, zitiert nach juris). Ersatzfähig sind danach auch die Kosten, die ex ante als erforderlich erschienen, ex post jedoch erfolglos oder in Wirklichkeit nicht erforderlich waren (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16).

Dies gilt nur dann nicht, wenn den Geschädigten ein Auswahlverschulden bezüglich des von ihm beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt trifft (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015,14 U 63/15, Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, jeweils zitiert nach juris). Der Unfallgeschädigte darf darauf vertrauen, dass die Werkstatt nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht erbracht wurden oder Reparaturen vornimmt, die nicht erforderlich waren (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 11, zitiert nach juris).

c)
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind vorliegend auch die weiteren Reparaturkosten in Höhe von 856,90 € netto als erforderlich i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen, auch wenn die Reparaturkosten – wie von der Beklagten behauptet – zur Behebung des Unfallschadens nicht notwendig gewesen sein sollten. Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten dürfen.

(1)
Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bezüglich der mit den Reparaturarbeiten beauftragten Reparaturwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Einen Vortrag hierzu hat die Beklagte nicht gehalten.

(2)
Auch vermag der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel zu ziehen. Der von der Beklagten vorgelegte Bericht […] lässt nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen, sodass er nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung hat. Weshalb der namenlose Verfasser in der Lage sein soll, die Kosten für durchgeführte Reparaturarbeiten anzuzweifeln, ohne das Auto gesehen zu haben, wird mit keinem Wort erläutert.

2.)
Die Klägerin hat gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 BGB gegen die Beklagte ferner einen Anspruch auf Ersatz von Zinsen in gesetzlicher Höhe.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23

Zur Erstattungsfähigkeit von Mietwagen-, Desinfektions- und Probefahrtkosten im Rahmen der Schadenregulierung nach einem Verkehrsunfall

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21) können vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung durch einen durch einen Verkehrsunfall Geschädigten grundsätzlich Mietwagenkosten im Einklang mit der Leitentscheidung der (Berufungs-)Kammer des Landgerichts Görlitz (LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19) anhand des Fraunhofer Mietpreisspiegels zuzüglich einer pauschalen Erhöhung von 30 Prozent erstattet verlangt werden.

Auf die Tatsache, ob es sich beim Mietfahrzeug um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handelt, kommt es im Sinne der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Dresden (OLG Dresden, Urteil vom 4.11.2020 – 1 U 995/20) nicht an, da dies lediglich versicherungsrechtliche Auswirkungen für den Vermieter hat.

Zudem sind grundsätzlich auch die Kosten für eine Probefahrt und Desinfektionskosten erstattungsfähig.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten:
LG Stuttgart, Urteil vom 21.07.2021 – 13 S 25/21; LG Coburg, Endurteil vom 28.5.2021 – 32 S 7/21; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 2.9.2022 – 21 C 109/22; AG Wolfach, Urteil vom 8.6.2021 – 1 C 2/21; AG Bautzen, Urteil vom 5.7.2021 – 21 C 129/21; AG Frankenthal, Urteil vom 12.04.2021 – 3a C 253/20; AG Kempten, Urteil vom 12.3.2021 – 1 C 1118/20; AG Siegen, Urteil vom 8.3.2021 – 14 C 1990/20; AG Stuttgart, Urteil vom 15.2.2021 – 47 C 3723/20; AG Weißwasser, Urteil vom 26.1.2021 – 3 C 222/20; AG München, Urteil vom 27.11.2020 – 333 C 17092/20; AG Aachen, Urteil vom 16.11.2020 – 116 C 123/20; AG Heinsberg, Urteil vom 4.9.2020 – 18 C 161/20; so auch AG Bautzen, Hinweisbeschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21.

Urteile zu Fraunhofer-Mietpreisspiegel zzgl. 30% Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten im Rahmen der Schadenregulierung:
LG Görlitz, Urteil vom 28. Februar 2024 – 5 O 502/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; ausführlich: AG Bautzen, Urteil vom 17.9.2021 – 22 C 254/21; AG Bautzen, Beschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 18.6.2021 – 22 C 38/21; AG Bautzen, Urteil vom 23.4.2021 – 20 C 15/20; AG Bautzen, Urteil vom 22.4.2021 – 21 C 729/19; regionale Leitentscheidung: LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19

Abweichend hiervon mit arithmetisches Mittel aus der Schwacke-Liste und dem „Fraunhofer-Mietpreisspiegel“ als Maßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19

Abweichend hiervon Fraunhofer-Mietpreisspiegel ohne Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 23.5.2019 – 22 C 98/19; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 790/17; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 250/17

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Probefahrt:
Die Kosten einer Probefahrt sind zu erstatten, wenn der Sachverständige eine solche – z.B. zur Überprüfung von Windgeräuschen der Tür und Seitenwand – ebenso für notwendig erachtet hat, wie die durchführende Werkstatt: AG Bautzen, Urteil vom 28.4.2023 – 20 C 413/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; AG Nördlingen, Urteil vom 21.7.2020 – 2 C 129/20; AG Dresden, Urteil vom 02.07.2020 – 101 C 1516/20; AG Meppen, Urteil vom 16.9.2019 – 3 C 182/19; AG Stade, Urteil vom 14.5.2018 – 63 C 28/18; AG Stuttgart, Urteil vom 21.11.2017 – 43 C 2284/17; AG Frankfurt am Main, Urteil vom 1.2.2017 – 31 C 277/16 (17); AG Konstanz, Urteil vom 28.11.2016 – 9 C 597/16; AG Heinsberg, Urteil vom 28.03.2013 – 36 C 81/12; so auch AG Bautzen, Hinweisbeschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherungs-[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495 a ZPO am 4.4.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 290,54 EUR […] freizustellen.
b) den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 66,15 EUR […] freizustellen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 378,74 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Tatbestand entfällt gemäß § 313a ZPO.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

I. Das Amtsgericht Bautzen ist gemäß § 32 ZPO i.V.m. § 20 StVG örtlich und gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.

II. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Freistellung von den Mietwagenkosten in Höhe von 290,54 Euro […] und der restlichen Reparaturkosten in Höhe von anteilig 66,15 Euro […] gemäß §§ 7, 18 Abs. 1, 17 StVG, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB i.V.m. § 115 VVG.

1. Die Einstandspflicht der Beklagten als Haftpflichtversicherung dem Grunde nach aus dem Verkehrsunfall vom 09.02.2021 […] in Bischofswerda ist zwischen den Parteien unstreitig.

2. Ein Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten besteht auch in der geltend gemachten Höhe. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Reparaturdauer von fünf Tagen sowie des Unfalltages für die Begutachtung der Nutzungstauglichkeit, da er sein Fahrzeug dringend benötigte, mithin insgesamt für sechs Tage. Das Gericht schätzt dabei die Höhe der erforderlichen und angemessenen Kosten im Einklang mit der Rechtsprechung des Landgerichts Görlitz anhand des Fraunhofer Mietpreisspiegels zuzüglich einer pauschalen Erhöhung von 30 Prozent. Der Kläger kann für die Mietwagenklasse 5 in seinem Postleitzahlengebiet damit Kosten in Höhe von 440,54 Euro abzüglich der geleisteten 150,00 Euro verlangen (272,44 Euro plus 92,47 Euro = 364,91 Euro zuzüglich 109,47 Euro =474,38 Euro maximal).

Auf die Tatsache, ob es sich um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handelt, kommt es vorliegend nicht an, da dies lediglich versicherungsrechtliche Auswirkungen für den Vermieter hat, vgl. OLG Dresden, Urt. v. 04.11.2020, Az. 1 U 995/20.

3. Der Kläger hat insoweit auch Anspruch auf Freistellung von den in der Reparaturrechnung […] ausgewiesenen Positionen „Probefahrt“ und der hälftigen „Desinfektionskosten“.

a) Der Anspruch auf die Kosten der Probefahrt folgt dem sogenannten Werkstattrisiko. Sie ist grundsätzlich nach einer größeren Reparatur auch notwendig zur Überprüfung der Vollständigkeit der Reparatur und zum Ausschluss möglicher Nachforderungen. Vorliegend war diese jedoch auch zur Abstellung der Windgeräusche veranlasst.

Nach der subjektbezogenen Schadensbetrachtung kann der Geschädigte grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren, vgl. BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014 – 37 C 11789/11. Unerheblich ist dabei, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszelten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind. Ein Auswahlverschulden des Klägers ist insoweit auch nicht zu erkennen.

b) Auch die Desinfektionskosten vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kunden sind nach Auffassung der hiesigen Richterabteilung erstattungsfähig. Es fehlt auch nicht an einer Kausalität des Unfalls für die Desinfektionsmaßnahmen, denn ohne den Unfall wäre keine Reparatur und damit auch keine Desinfektion erforderlich geworden. Auch bei fehlender ausdrücklicher Vereinbarung handelt es sich daher um übliche Kosten, welche nach Maßgabe des § 612 Abs. 2 BGB zu erstatten sind. Die Kosten stellen ebenso wenig Gemeinkosten da, da sie nicht dem Schutz der Mitarbeiter, sondern des Kunden dienen.

Die Kosten der Desinfektion bei Annahme des Fahrzeugs in Höhe des hälftigen Betrages von 22,05 Euro sind hingegen nicht erstattungsfähig, da sie dem Schutz der Mitarbeiter dienen.

Der Zeuge L[…] hat im Rahmen der schriftlichen Zeugenbefragung angegeben, der angegebene Arbeitsaufwand von 0,3h sei nicht nur für die Desinfektion vor Rückgabe des Fahrzeugs, sondern auch für die Desinfektion bei Annahme des Fahrzeugs veranschlagt worden, sodass die Kosten hälftig zu kürzen waren.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da die Zuvielforderung nur verhältnismäßig geringfügig war.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

IV. Der Wert der Beschwer übersteigt 600,00 EUR nicht; eine Zulassung der Berufung ist nicht veranlasst (§ 511 Abs. 2 und 4 ZPO).

V. Der Streitwert war entsprechend der begehrten Hauptklageforderung festzusetzen.“

AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21