Blinken reicht nicht: Gericht stellt volle Haftung des Abbiegenden fest

Das Landgericht Görlitz Außenkammer Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23) hat in einem Urteil klargestellt, dass ein abbiegender, wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer die volle Haftung für einen Unfall trägt, selbst wenn der vorfahrtsberechtigte Fahrer den Blinker gesetzt hat. Im zugrunde liegenden Fall fuhr der Kläger auf einer Vorfahrtsstraße und signalisierte durch (unbewusstes) Blinken ein Abbiegen, setzte dieses jedoch nicht um. Die Unfallgegnerin, die abbiegen wollte, vertraute auf das Blinken und verursachte einen Unfall. Das Gericht stellte fest, dass das Setzen des Blinkers allein nicht ausreichend ist, um dem Wartepflichtigen das Vertrauen auf eine sichere Abbiegeaktion zu gewähren. Entscheidend ist, dass der Vorfahrtsberechtigte eindeutig abbiegt oder abbremst, um eine entsprechende Vertrauensgrundlage zu schaffen. Der Wartepflichtige bleibt in der Verantwortung, die Vorfahrt zu beachten und darf nicht allein auf den Blinker vertrauen.

Dieses Urteil verdeutlicht, dass das Blinken nur ein Indiz für das Abbiegen ist und keine verbindliche Zusicherung darstellt. Der Wartepflichtige muss weiterhin sicherstellen, dass der Vorfahrtsberechtigte tatsächlich abbiegt, bevor er selbst abbiegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richter am Landgericht […] als Einzelrichter

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19.06.2024 am 24.07.2024

für Recht erkannt:

1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Görlitz – Außenkammern Bautzen – vom 02.11.2023 – Az. 6 O 65/23 – bleibt aufrechterhalten.

2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.

[…]

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 09.12.2022 gegen 9:45 Uhr in Anspruch.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Kia Venga […] in Bautzen die Stieberstraße Richtung Dr.-Peter-Jordan-Straße. Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs Ford Kuga […] befuhr die Goethestraße und wollte nach rechts in die Stieberstraße einbiegen. Beide Fahrzeuge kollidierten im Einmündungsbereich. Die Stieberstraße ist mit dem Verkehrsschild: „Vorfahrtsstraße“ ausgestattet. An der Einmündung der Goethestraße zur Stieberstraße steht das Verkehrsschild „Vorfahrt gewähren“.

Der Kläger behauptet, er sei auf der vorfahrtsberechtigten Straße gefahren. Soweit er aufgrund vorher abknickenden Vorfahrt seinen Blinker noch angehabt hätte, hätte dies die Fahrerin des Ford Kuga erkannt, aber nicht auf die Abbiegeabsicht vertrauen dürfen, da er keine Geschwindigkeitsverzögerung vorgenommen habe.

[…]

Die Beklagte behauptet, die Fahrerin des Ford Kuga habe sich mit dem von ihr gesteuerten
Fahrzeug der Kreuzung Goethestraße/ Stieberstraße genähert und sei bis zur Sichtlinie vorgefahren. In diesem Moment sei von links der Kläger mit seinem Fahrzeug mit eingeschaltetem rechten Fahrtrichtungsanzeiger gekommen. In der Erwartung, der Kläger würde in die Goethestraße einbiegen, sei die Fahrerin des Ford Kuga vorgefahren, um rechts abzubiegen. Völlig überraschend habe das klägerische Fahrzeug den Abbiegevorgang plötzlich abgebrochen, um dann geradeaus weiterzufahren.

Hinsichtlich des weitergehenden Vortrags der Parteien wird auf sämtliche wechselseitig eingereichte Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

[…]

Auf der Grundlage der klägerischen Anträge ist in der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023 ein Versäumnisurteil ergangen, gegen das die Beklagtenseite Einspruch eingelegt hatte.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist erfolglos und die Klage begründet. Das Versäumnisurteil war aufrecht zu erhalten.

[…]

Das Versäumnisurteil war aufrechtzuerhalten und die Klage abzuweisen, da der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe hat (§§ 7, 8, 17 StVG, 249 BGB 115 VVG).

Der Kläger befuhr die bevorrechtigte Straße. Das Vorfahrtsrecht des Klägers hat die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs missachtet. Sie konnte sich dabei nicht auf ein vertrauensbildendes Verhalten der Klägerseite berufen.

Da sich beide Fahrzeugführer nicht ideal verhalten haben, so dass der Unfall für beide Seiten nicht unvermeidbar war, sind die gegenseitigen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen.

Die Abwägung der beidseitigen Verursachungsbeiträge ergibt, dass die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs den Unfall allein verursacht hat und eine mögliche Betriebsgefahr des vorfahrtsberechtigten durch die Vorfahrtsverletzung zurücktritt.

Der Wartepflichtige hat die Vorfahrt des Berechtigten zu gewähren. Er muss sich entsprechend verhalten, so dass für den Vorfahrtsberechtigten klar ist, dass er die Vorfahrt beachten werde (§ 8 Abs. 2 StVO). Der Wartepflichtige darf nur dann in die Vorfahrtstraße einfahren, wenn er übersehen kann, dass er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Den Wartepflichtigen trifft insoweit eine gesteigerte Sorgfalt, die bedingt, dass er auch mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen muss und somit regelmäßig nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf (OLG Dresden, Beschluss vom 24. April 2014 – 7 U 1501/13 –, Rn. 7, m.w.N., juris)

Der Wartepflichtige darf nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt (OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2014 – 7 U 1876/13 –, Rn. 3, juris). Erforderlich ist, dass neben dem Blinken zumindest ein weiteres deutliches Anzeichen dafür gegeben ist, dass der Vorfahrtberechtigte tatsächlich vor dem Wartepflichtigen abbiegt.

Ein solches deutliches weiteres Anzeichen, dass der Kläger vor der Beklagtenseite abbiegen wird, ist nicht ersichtlich. Dies folgt auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, die ein weiteres Anzeichen für einen bevorstehenden Abbiegevorgang nicht behauptet. Die Mitteilung, dass der Abbiegevorgang abgebrochen ist, ist hierfür keine ausreichende Behauptung. Das Gericht sah sich nach der Einlassung des Klägers daher nicht gehalten, eine weitere Beweisaufnahme durchzuführen, da sie lediglich ein Ausforschungsbeweis zugunsten der Beklagtenseite darstellen würde. Eine solche Beweisführung ist unzulässig.

Dieses Ergebnis geht zu Lasten der Klägerseite, da der Wartepflichtige den Anschein der schuldhaften Vorfahrtsverletzung gegen sich hat (vgl. Hentschel/König/Dauer, Rn.: 68 zu § 8 StVO). Wie oben ausgeführt, konnte die Beklagtenseite diesen Anschein durch ihren Vortrag nicht erschüttern.

Über den Hilfsantrag hatte das Gericht nicht zu befinden, da eine Haftung der Beklagtenseite in voller Höhe festgestellt worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last, da sie im Prozess unterliegt. Die Kosten des Rechtsstreits fallen insgesamt der Beklagtenseite zur Last, unabhängig davon, ob sie zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit oder erst nach Rechtshängigkeit gezahlt hat.

In beiden Fällen hat sie die Kosten des Rechtsstreits nach den obigen Erwägungen zu tragen. Es macht insofern auch kein Unterschied, ob die Klage zurückgenommen ist oder für erledigt erklärt hat, da durch das Versäumnisurteil keine Kostenreduzierung durch die Klagerücknahme bzw. eine Erledigungserklärung stattgefunden hätte (§§ 91, 269 Abs. 3, S. 3 ZPO).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 u. 3 ZPO).

Die Wertfestsetzung des Streitgegenstandes ergibt sich aus der Höhe der jeweiligen Klageforderung (§§ 48 Abs. 1, 39 GKG, 3, 4 ZPO).“

LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23

Wirtschaftlichkeitsgebot bei Schadensersatz: BGH urteilt zur Eigenreparatur in Werkstätten

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. Mai 2023 (Az. VI ZR 274/22) befasst sich mit der Frage, ob ein Geschädigter, der einen Reparaturbetrieb führt, im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung nach einem Verkehrsunfall Anspruch auf Ersatz der Kosten einer Fremdreparatur einschließlich des Gewinnanteils hat.

Grundsätzlich hat ein Geschädigter gemäß § 249 Abs. 1 BGB Anspruch darauf, den Zustand wiederhergestellt zu bekommen, der vor dem schädigenden Ereignis bestand. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann er anstelle der Wiederherstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Dies gilt auch für die Reparaturkosten, selbst wenn der Geschädigte das Fahrzeug selbst repariert oder nicht repariert. Der BGH hat entschieden, dass in solchen Fällen der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Kosten einer markengebundenen Fachwerkstatt hat, selbst wenn er die Reparatur günstiger in Eigenregie durchführen könnte.

In diesem Fall hatte die Klägerin jedoch keinen Erfolg mit ihrer Revision, da sie nicht nachweisen konnte, dass ihr Reparaturbetrieb ausgelastet war und sie deshalb die Reparatur nicht selbst durchführen konnte. Der BGH betonte, dass der Geschädigte seine betriebliche Auslastung konkret darlegen muss, um den Anspruch auf die höheren Kosten einer Fremdreparatur zu rechtfertigen. Andernfalls könnte der Geschädigte nicht mehr verlangen, als was wirtschaftlich vernünftig wäre, um zu verhindern, dass er am Schadensfall „verdient“.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der BGH die Prinzipien der subjektbezogenen Schadensbetrachtung und der Schadensminderungspflicht bestätigt hat. Dies bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensabrechnung sowohl die Besonderheiten seiner individuellen Situation als auch wirtschaftliche Vernunft berücksichtigen muss. Der Schädiger trägt die Beweislast dafür, dass eine günstigere Reparaturmöglichkeit in der eigenen Werkstatt des Geschädigten besteht, während der Geschädigte seine betriebliche Auslastungssituation darlegen muss.

Kreuzungsräumer: Rechtliche Bewertung von Kreuzungsunfällen: Die Rolle echter und unechter Nachzügler


In dem vom Landgericht Görlitz Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22) entschiedenen Fall ging es um die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall, bei dem die Unterscheidung zwischen einem „echten Nachzügler“ und einem „unechten Nachzügler“ zentral war. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass die Beklagtenseite als unechter Nachzügler agierte und somit nicht berechtigt war, in den Kreuzungsbereich einzufahren.

Ein echter Nachzügler ist ein Fahrzeugführer, der sich bereits im Kreuzungskern befindet, wenn die Ampel für den Querverkehr auf Grün schaltet. Diese Fahrer dürfen den Kreuzungsbereich vorrangig verlassen, um den Verkehrsfluss nicht zu stören. Im Gegensatz dazu befindet sich ein unechter Nachzügler außerhalb des Kreuzungskerns, wenn die Ampel umschaltet. Ein solcher Fahrer muss warten und hat kein Vorrangrecht.

Die Beklagte handelte fahrlässig, indem sie bei Rotlicht in die Kreuzung einfuhr, während die Ampel für die Klägerseite auf Grün geschaltet war. Diese Handlung führte zur Feststellung ihrer Haftung für den entstandenen Schaden. Das Gericht wies damit die Ansprüche der Klägerseite zu, indem es auf die Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten hinwies und entsprechend Schadenersatzforderungen zugunsten der Klägerin entschied.

Urteile zur Haftungsverteilung bei Unfällen mit echten und unechten Nachzüglern im Kreuzungsbereich.

Volle Haftung des unechten Nachzüglers:
 OLG Koblenz, Urteil vom 8.9.1997 – 12 U 1355/96; LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22; AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Haftungsverteilung bei echten Nachzüglern:
OLG Hamm, Urteil vom 26.8.2016 – 7 U 22/16

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch Richter am Landgericht […] als Einzelrichter im schriftlichen Verfahren am 30.04.2024

für Recht erkannt:

I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. an die Klägerin 725 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% aus für die Zeit vom 12.3.2022 bis zum 29.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 30.3.2022 zu zahlen,
2. die Klägerin gegenüber der Reparaturwerkstatt […] von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 3.238,60 € aus der Reparaturkostenrechnung […] freizustellen,
3. die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € aus der Rechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen,
4. an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 6.466,29 Euro auf die erstatteten Reparaturkosten der Reparaturwerkstatt Autohaus […] aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 zu zahlen,
5. an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 1.091,23 Euro auf die erstatteten Sachverständigenkosten des Kfz-Sachverständigenbüros […] aus der Rechnung […] vom 16.3.2022 zu zahlen,
6. die Klägerin gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 550,85 € freizustellen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Geldbetrages.

Streitwert: 12.241,07 EUR.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.

Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin des unfallbeteiligten PKW Kia. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten PKW Fiat.

Am 11.03.2022 gegen 11.25 Uhr kam es auf der Kreuzung Zeppelinstraße/Wilthener-Straße/B96 (Siemensstraße) in Bautzen zu dem Zusammenstoß der benannten Fahrzeuge.

Die Klägerin mit dem PKW Kia kam von der Siemensstraße (B96) und fuhr in Richtung Zeppelinstraße. Sie hielt zunächst an der in ihrer Fahrtrichtung auf „rot“ geschalteten Ampelanlage an. Als diese auf „grün“ umschaltete, fuhr sie weiter geradeaus.

Die Zeugin H[…] führte den PKW Fiat. Sie befuhr die Wilthener Straße stadtauswärts. An der benannten Kreuzung hielt sie bei Lichtzeichenanlage rot zunächst an. Bei grün fuhr sie zunächst über die Haltelinie, wobei zwischen den Parteien umstritten ist, ob und wie weit sie danach in den Kreuzungsbereich einfuhr. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes der Fahrzeuge war die Lichtzeichenanlage, die die Zeugin H[…] überquert hatte, bereits wieder auf rot gestellt.

Die Klägerin trägt vor, sie habe den PKW Fiat wahrgenommen, als dieser auf der Wilthener Straße auf der Fußgängerfurt stand. Danach habe sie den PKW Fiat erst wieder wahrgenommen, als es auf der Kreuzung zur Kollision kam, indem der PKW Fiat in die hintere linke Seite des PKW Kia gefahren sei.

Der Vollkaskoversicherer der Klägerin regulierte die klägerischen Schäden am Fahrzeug im Umfange von 6.466,29 €. Das Fahrzeug der Klägerin wurde begutachtet und inzwischen repariert in der Werkstatt Authohaus […].

Das klägerische Fahrzeug erlitt einen merkantilen Minderwert von 700 €. Die Gutachterkosten belaufen sich auf 1.091,23 €.

Die Klägerin trägt vor, die Kosten für die fachgerechte Reparatur beliefen sich auf 9.704,89 € brutto.

Unstreitig sind Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € angefallen.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt,

a.
an die Klägerin 725 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% aus für die Zeit vom 12.3.2022 bis zum 29.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 30.3.2022 zu zahlen.

b.
die Klägerin gegenüber der Reparaturwerkstatt Autohaus […] von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 3.238,60 € aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen.

c.
die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € aus der Rechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen.

d.
an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 6.466,29 Euro auf die erstatteten Reparaturkosten der Reparaturwerkstatt Autohaus […] aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 zu zahlen.

e.
an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 1.091,23 Euro auf die erstatteten Sachverständigenkosten des Kfz-Sachverständigenbüros […] aus der Rechnung […] vom 16.3.2022 zu zahlen.

f.
die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 550,85 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklage trägt vor, die Zeugin H[…] sei mit dem PKW Fiat bis in die Kreuzungsmitte gefahren, habe dort angehalten, um den Gegenverkehr durchzulassen. Dies habe eine ganze Weile gedauert. Dann sei die Klägerin mit ihrem Fahrzeug in den PKW Fiat hineingefahren.

Als echter Nachzügler habe der PKW Fiat Vorrang gehabt vor dem Fahrzeug der Klägerin, um die Kreuzung ordnungsgemäß räumen zu können. Die Beklagte haftete deshalb nicht für die Schäden der Klägerin.

Der Fahrzeugschaden der Klägerin belaufe sich auf – lediglich – 9.138,74 €. Wegen der Einwendungen im Einzelnen wird [die] Akte verwiesen.

Der Haftpflichtversicherer der Klägerin regulierte seinerseits vorgerichtlich die Schäden an dem PKW Fiat in Höhe von 1/3.

Die Halterin und Eigentümerin des PKW Fiat führte bei dem Amtsgericht Bautzen mit umgekehrten Vorzeichen einen Schadensersatzprozess gegen die hiesige Klägerin und deren Haftpflichtversicherer (Az.: 21 C 279/22). In dem amtsgerichtlichen Verfahren wurden die Unfallbeteiligten und Zeugen vernommen sowie ein unfallanalytisches Gutachten eingeholt. Die Verfahrensakte des Amtsgerichts wurde beigezogen. Nach Abschluss des amtsgerichtlichen Verfahrens erklärten sich die Verfahrensbeteiligten im vorliegenden landgerichtlichen Verfahren mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akte nebst schriftlichem Gutachten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat Anspruch auf materiellen Schadensersatz gegen die Beklagte wie tenoriert (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG, § 115 VVG).

Im Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht Bautzen, mit deren Verwertung sich die Parteien im hiesigen Verfahren (stillschweigend) einverstanden erklärt haben, ist festzustellen, dass die Zeugin H[…], die den PKW Fiat führte, in die Kreuzung einfuhr, obgleich für ihre Fahrtrichtung die Lichtzeichenanlage auf rot geschaltet war und die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün geschaltet war (§ 37 Abs. 2 StVO). Angesichts der unstreitig langen Wartezeit der Zeugin H[…], nachdem sie die Lichtzeichenanlage passierte (als diese noch für sie grün zeigte), um zunächst ihren Gegenverkehr durchzulassen, musste die Zeugin H[…] damit rechnen, dass inzwischen ihre Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben war und für sie die Lichtzeichenanlage wieder auf rot umgeschaltet hat. Hätte die Zeugin H[…] die erforderliche, äußerste Sorgfalt in dieser Verkehrssituation walten lassen, hätte sie erkannt, dass sie weiter hätte stehen bleiben müssen, um den bevorrechtigten Querverkehr durchzulassen. Die Zeugin H[…] trifft ein ganz überwiegendes Verschulden an dem Verkehrsunfall. Dadurch hat sich die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges so deutlich erhöht, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges dahinter völlig zurück tritt. Das hat zur Folge, dass die Beklagte für den gesamten unfallbedingten Schaden der Klägerin haftet.

Ein Mitverschulden der Klägerin, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges wiederum erhöht hätte, sodass auf Seiten der Klägerin ein Mithaftungsbeitrag verbliebe, konnte die Beklagte nicht nachweisen. Sie konnte insbesondere nicht nachweisen, dass die Zeugin H[…] mit dem PKW Fiat sich bereits im Kernbereich der Kreuzung befunden hätte, als die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün umschaltete, sodass die Zeugin H[…] als sogenannte echte Nachzüglerin gegenüber der Klägerin bevorrechtigt gewesen wäre, um die Kreuzung zu räumen.

Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Überlegungen:

Unstreitig ist es zunächst, dass die Klägerin in die Kreuzung einfuhr, als die Lichtzeichenanlage für sie auf grün umgesprungen war.

Mit dem unfallanalytischen Gutachten ist festzustellen, dass die Schilderung der Klägerin technisch nachvollziehbar ist, dass die Zeugin H[…] mit dem PKW Fiat zunächst auf der Fußgängerfurt, die die Wilthener Straße quert, stand und anschließend in den PKW Kia der Klägerin hineinfuhr und zwar in die linke Seite mit dem Schwergewicht auf dem hinteren Fahrzeugteil, als sie ihrerseits die Kreuzung geradeaus überquerte in Richtung Zeppelinstraße.
Mit dem Sachverständigen ist diese Unfallschilderung plausibel und aus technischer Sicht nachvollziehbar. Der Sachverständige konnte sicher feststellen, dass die Zeugin H[…] (entgegen deren Aussage) mit dem Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht stand, sondern dass sich dieses ebenfalls in Bewegung befand zum Zeitpunkt der Kollision. Dies ist zu begründen mit der Charakteristik der Beschädigungen an beiden Fahrzeugen, sowie der daraus ableitbaren Kollisionspositionen der beiden Fahrzeuge zueinander und der weiterhin herzustellenden Beziehung zu dem dokumentierten Splitterfeld auf der Kreuzung. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Mit dem Gutachten ist festzustellen, dass demgegenüber die Aussage der Zeugin H[…], sie habe auf der Mitte der Kreuzung gestanden (die genaue Position, die die Zeugin H[…] angab, ist ersichtlich aus Abbildung 24 des Gutachtens) unzutreffend ist. Vielmehr ist festzustellen, dass die Zeugin H[…] fahrend an dem Unfall beteiligt war.

Ausreichende Anknüpfungstatsachen dafür, mit Hilfe eines unfallanalytischen Gutachtens sicher festzustellen, wo die Zeugin H[…] begann, in die Kreuzung einzufahren bis zur Unfallstelle, liegen nicht vor. Damit kann die Beklagte auch nicht nachweisen, dass sich der PKW Fiat bereits im Kernbereich der Kreuzung befunden hätte, als die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün umschaltete und diese ihrerseits in die Kreuzung einfuhr.

Die geltend gemachten materiellen Schäden sind zwischen den Parteien unstreitig mit Ausnahme der erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten.

Die erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten werden geschätzt auf 9.704,89 €, wie von der Klägerin geltend gemacht (§ 287 Abs.1 ZPO).

Die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten für die Reparatur bei der Autohaus […] sind nur geringfügig höher als die aus dem Privatgutachten des Sachverständigen […] ausgewiesenen Reparaturkosten. Das Werkstattrisiko trägt der Schädiger.

Das heißt, wenn im Ergebnis der tatsächlich durchgeführten Reparatur die Reparaturkosten etwas höher ausfallen als sachverständig eingeschätzt, so ist das ein Umstand, den nicht der Geschädigte, sondern der Schädiger zu tagen hat. Der Kläger hat es auch nicht in der Hand, ob die Werkstatt zum Beispiel einzelne Fahrzeugteile zur Lackierung ausbaut oder ob die Werkstatt diese Wiederherstellung der Fahrzeugfarbe, des Fahrzeuglacks im eingebauten Zustand der Bauteile vornimmt. Gleiches gilt für die Frage, ob eine Werkstatt einen besonderen Desinfektionsaufwand vornimmt oder nicht und in welchem Umfange.
Die in solchem Zusammenhang entstehenden Preisunterschiede von Werkstatt zu Werkstatt liegen im Risikobereich des Schädigers. Im Übrigen wäre die Beweisaufnahme durch Einholung eines weiteren Schadensgutachtens unverhältnismäßig angesichts einer Differenz in der Schadensvorstellung zwischen den Parteien von lediglich rund 550,00 €.

III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO, § 48 Abs.1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.“

LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22

Beitragsbild: fiktives, mit DALL·E 3 erstelltes Bild

Angemessenheit der Sachverständigenkosten gemäß BVSK-Honorarbefragung und Honorartabelle der HUK-Coburg bei Schadengutachten nach Verkehrsunfällen

Das Urteil des Amtsgerichts Bautzen vom 21. Februar 2024 (23 C 518/23) betrifft die Erstattung von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Im Kern ging es darum, ob die geltend gemachten Kosten für ein Schadengutachten nach einem Verkehrsunfall angemessen und erstattungsfähig sind. Das Gericht bestätigte, dass die Kosten angemessen waren, da sie sich im Rahmen der Honorartabelle des BVSK und der HUK-Coburg bewegten. Es wurde entschieden, dass die beklagte Versicherung den restlichen Betrag der Sachverständigenkosten zu zahlen hat.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Vergütungsforderung

hat das Amtsgericht Bautzen […] im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO am 21.02.2024

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt , an den Kläger 317,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinsssatz hieraus seit dem 22.10.2023 zu zahlen
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 317,46 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 05.09.2023 in Schirgiswalde zugetragen hat. Die 100 %-ige Einstandspflicht der Beklagten für alle unfallbedingten Schäden ist unstreitig.

Gegenstand dieses Rechtsstreits sind allein restliche Sachverständigenkosten in Höhe der
Klageforderung.

In einer Vereinbarung des Geschädigten mit dem Kläger vom 06.09.2023 […] ist – auszugsweise – geregelt

„Aus Anlass des oben beschriebenen Schadenfalles beauftrage ich das oben genannte Kfz-Sachverständigenbüro, ein Gutachten zur Schadenhöhe zu erstellen. Das Sachverständigenbüro berechnet sein Honorar in Anlehnung an die Schadenhöhe gemäß Honorartabelle des BVSK und der HUK-Coburg einschließlich Nebenkosten.
Das Kfz-Sachverständigenbüro ist berechtigt, diese Abtretung den Anspruchsgegnern offen zu legen und den erfüllungshalber abgetretenen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gegenüber den Anspruchsgegnern im eigenen Namen geltend zu machen. Durch diese Abtretung werden die Ansprüche des Kfz-Sachverständigenbüros aus dem Sachverständigenvertrag gegen mich nicht berührt.
Es kann die Ansprüche gegen mich geltend machen, wenn und soweit der regulierungspflichtige Versicherer keine Zahlung oder lediglich eine Teilzahlung leistet . Eine Inanspruchnahme meinerseits erfolgt nur Zug-um-Zug gegen Rückabtretung der noch offenen Forderung.“

Der Geschädigte beauftragte den Kläger mit der Erstellung eines Schadensgutachtens. Dieser fertigte das Gutachten am 13.09.2023 […] und stellte dem Geschädigten hierfür 833,24 € brutto in Rechnung. Die Rechnung beinhaltet folgende Abrechnungspositionen:

Pos Beschreibung / Einzelpreis Gesamtpreis

1. KfZ-Schadensgutachten 1 625,00 € 625,00 €
-Datenerfassung
– Fahrzeugbeschädigungen aufnehmen
– Altschäden fotografieren u. dokumentieren
– Festlegung wirtschaftlichster Reparaturweg
– Erstellung Schadenskalkulation
– Ermittlung Wiederbeschaffungswert

2. Lichtbilder 10 Stück 2,00 € 20,00 €
3. Fahrtkosten 6 Km 0,70 € 4,20 €
4. Schreibkosten (pauschal) 1 21,00 € 21,00 €
5. Porto & Telefon ( pauschal) 1 9,00 € 9,00 €
6. Restwertermittlung 1 pauschal 21,00 € 21,00 €
Gesamtbetrag ohne MwSt. 700,20 €
19 % MwSt 133,04 €
Gesamtbetrag incl. MwSt 833,24 €

Die Beklagte zahlte hierauf bislang 515,78 € .

Der Kläger geht davon aus , dass die abgerechnete Vergütung angemessen , orts- und marktüblich ist, da sowohl von dem Honorartableau der HUK -Coburg ( = 846,09 € ) sowie den Ergebnissen der Honorarbefragung 2020 des BVSK ( Korridor 710,50 € – 780,50 € zzgl. MwSt ) als maßgeblichen Orientierungshilfen gedeckt .

Der Kläger beantragt
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 317,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 22.10.2023 zu zahlen.

Die Beklagte stellt den Antrag,
die Klage abzuweisen

Die Aktivlegitimation wird bestritten: Die Abtretungsvereinbarung sei unwirksam, da gegen das Transparenzgebot verstoßend. Im übrigen seien alle berechtigten Ansprüche mit der vorprozessualen Zahlung abgegolten , der darüberhinausgehende Betrag sei nicht erforderlich iSd. § 249 BGB , wie sich aus dem eigenen Prüfbericht ergebe […] . Das Grundhonorar sei nach tatsächlich angefallenem Zeitaufwand zu ermitteln, wie es z.B. die DEKRA mache, vgl. auch die Stellungnahme der Firma Logicheck […]; hinsichtlich der Nebenkosten sei eine Orientierung am JVEG vorzuziehen. Schreibkosten und Restwertermittlung seien durch das Grundhonorar mit abgedeckt , die Schreibkosten im übrigen übersetzt.

Zum Sach- und Streitstand wird im übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen und Bezug genommen .

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz der restlichen Kosten des
Sachverständigengutachtens in Höhe von weiteren 317,46 € aus den §§ 7 , 18 StVG, 398,
249 S. 2 BGB iVm. § 287 ZPO zu.

1. Die Aktivlegitimation des Klägers ergibt sich aus der vom Geschädigten am 06.09.2023 unterschriebenen Abtretungserklärung […]. Anders als die Beklagte meint, verstößt die zur Abtretung getroffenen Regelungen nicht gegen das Transparenzgebot aus § 307 (1) S. 2 BGB. Insbesondere ist diese hinreichend bestimmt: Sie enthält Name und Anschrift des Geschädigten und des Unfallgegners, die Kennzeichennummern des Unfallgegners und die namentliche Nennung der Beklagten als Krafthaftpflichtversicherung mit Versicherungs- und Schadensnummer. Inhaltlich ist klar und an sich unmissverständlich geregelt, dass das
Sachverständigenbüro berechtigt ist , den abgetretenen Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen sowie, unter welchen Voraussetzungen der Geschädigte gleichwohl in Anspruch genommen werden kann . Das Gericht teilt im übrigen die Auffassung des Klägervertreters, dass die von der Beklagtenseite zitierten Entscheidungen nicht einschlägig sind.

2. Ob der Herstellungsaufwand erforderlich iSd. § 249 (2) S. 1 BGB ist, bemisst sich nach der gängigen Rechtsprechung zur subjektbezogenen Schadensbetrachtung danach, ob im Rahmen einer Plausibilitätsbetrachtung das vereinbarte Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und wenn ja, diese deutliche Überhöhung für den geschädigten Laien erkennbar ist/ sein musste.

Ausgangspunkt für den erforderlichen Herstellungsaufwand ist vorliegend die Honorarvereinbarung, die hierzu korrespondierende, vom Zedenten nicht beglichene Rechnung als auch der Parteivortrag, § 287 ZPO .

Die Parteien haben eine Honorarvereinbarung dahin geschlossen , dass das Sachverständigenbüro sein Honorar in Anlehnung an die Schadenshöhe gemäß Honorartabelle des BVSK und der HUK-Coburg zzgl. der erforderlichen Nebenkosten abrechnet […].

Das abgerechnete Grundhonorar i.H.v. 743,75 € brutto bewegt sich sowohl im Korridor der Honorartabelle des BVSK wie auch dem Honorartableau der HUK Coburg, mithin mehrerer im Rahmen des § 287 ZPO von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannter Orientierungswerte und Maßstäbe : Auch das hiesige Gericht orientiert sich hieran. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die abgerechnete Vergütung aus Sicht des erkennenden Gerichts keine Bedenken, bereits eine deutliche Überhöhung liegt damit nicht vor. Selbst wenn man dies anders sähe: es fehlt an Vortrag, weshalb das abgerechnete Honorar dem Geschädigten als objektiv deutlich überhöht dem Geschädigten hätte subjektiv erkennbar sein müssen.

Für das erkennende Gericht besteht kein Anlass , bei der Prüfung der Höhe der Gutachterkosten im Rahmen des § 287 ZPO von diesen zulässigen und anerkannten Schätzgrundlagen abzuweichen: Ob eine andere Berechnungsgrundlage, z.B. nach Zeitaufwand, auch möglich oder sogar vorzuziehen sein könnte, kann auch deshalb dahinstehen, als die Erkennbarkeit einer objektiv deutlichen Überhöhung – die hier nicht vorliegt – auf subjektiver Ebene bei dem Geschädigten, der in der Regel abrechnungstechnischer Laie ist, allenfalls bei einem krassen, sich geradezu aufdrängenden Missverhältnis angenommen werden könnte.

3. Dem Kläger steht ferner ein Anspruch auf Ersatz der abgerechneten Nebenkosten zu .

Auch hinsichtlich der beanstandeten Nebenkosten steht einem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz insoweit zu, soweit sie objektiv nicht deutlich überhöht sind und dies für den Geschädigten subjektiv erkennbar waren. Hierzu ist nach der höchstrichterlichen Rspr. eine Orientierung auch anhand der Vorgaben des JVEG im Rahmen des § 287 ZPO anerkannt (BGH vom 26.04.2016, VI ZR 50/15). Deshalb orientiert sich auch das erkennende Gericht hieran: Die abgerechneten Nebenkosten entsprechen im Ergebnis den insoweit aus Sicht eines durchschnittlichen Unfallbeteiligten erwartbaren Sätzen . Danach ergibt sich folgendes:

a) Die Position Schreibkosten (pauschal) ist iHv. 21,00 € zzgl. MwSt. zu erstatten: Das Gutachten umfasst (ohne Lichtbilder) 12 Seiten. Bei Schreibkosten iHv 1,80 € / Seite (vgl. LG Bremen Urteil vom 02.09.2016 , 3 S 289/15) ist die Höhe der Pauschale im Ergebnis von § 12 (1) S. 2 Nr. 3 JVEG gedeckt.

b) Ebenfalls zu erstatten sind die Kosten der Restwertermittlung iHv 21,00 € zzgl. MwSt : Das Gericht teilt nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, dass diese Kosten vom Grundhonorar mit abgedeckt sind . Der Umfang einer Restwertermittlung ist stark abhängig vom jeweiligen Einzelfall und geht über die allgemeine Feststellung eines Fahrzeugschadens hinaus . Abgesehen davon ist für einen Geschädigten nicht erkennbar , dass Restwertermittlungskosten in einem Grundhonorar enthalten sein könnten.

II.

Die zugesprochenen Zinsen ergeben sich aus den §§ 280 , 286 , 288 BGB

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 708 Nr. 11 , 711 , 713 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23

Rechtsprechung zum Werkstattrisiko: BGH stärkt Rechte der Unfallgeschädigten

In einer Reihe von Entscheidungen zum sogenannten Werkstattrisiko hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Unfallverursacher grundsätzlich die gesamte Werkstattrechnung nach einem Verkehrsunfall erstatten müssen, auch wenn diese möglicherweise überhöht ist. Der BGH führte hierzu aus, dass der Geschädigte, der in der Regel kein Fachwissen hat, um den Schaden und die dafür anfallenden Kosten zu beurteilen, die gesamten Reparaturkosten von der Versicherung des Unfallverursachers erstattet bekommen kann. Dies gilt selbst dann, wenn Teile der Reparatur möglicherweise nicht durchgeführt wurden, aber auf der Rechnung stehen.

Insoweit verbleibt der Versicherung des Unfallverursachers die Möglichkeit selbst von der Reparaturwerkstatt die Kosten für überhöhte oder nicht erforderliche oder erfolgte Reparaturmaßnahmen zurückzufordern.

Allerdings soll dies nicht zu einer Bereicherung des Geschädigten führen. Daher darf er, falls er die Rechnung noch nicht bezahlt hat, nur Zahlung direkt an die Werkstatt, nicht aber an sich selbst verlangen.

  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 38/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 239/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 253/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 266/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 51/23

Differenzierung zwischen echtem und unechtem Nachzügler bei einem Verkehrsunfall auf einer Kreuzung

In den Entscheidungsgründen des Urteils des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22) wird der Begriff des „echten Nachzüglers“ und des „unechten Nachzüglers“ im Kontext eines Kreuzungsbereichs erläutert. Diese Begriffe sind relevant für die Frage, welche Verkehrsteilnehmer in einer Kreuzung Vorrang haben, insbesondere wenn die Lichtzeichenanlage (Ampel) ihre Phase wechselt.

Ein echter Nachzügler ist ein Fahrer, der sich bereits im eigentlichen Kreuzungskern befindet, wenn der Querverkehr durch die Lichtzeichenanlage freie Fahrt erhält. In solchen Fällen wäre der Verkehrsfluss erheblich gestört, wenn dem echten Nachzügler nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu räumen. Der echte Nachzügler hat also das Recht, den Kreuzungsbereich vor dem Querverkehr zu verlassen.

Im Gegensatz dazu ist ein unechter Nachzügler ein Fahrer, der sich außerhalb des eigentlichen Kreuzungskerns befindet, wenn der Querverkehr grünes Licht erhält. In diesem Fall hat der unechte Nachzügler keine Vorfahrt und ist gegenüber dem Querverkehr wartepflichtig.

Der Unterschied liegt also primär in der Position des Fahrzeugs im Moment des Phasenwechsels der Ampel. Ein echter Nachzügler, der sich bereits im Kreuzungskern befindet, hat das Recht, die Kreuzung vor dem Querverkehr zu räumen. Ein unechter Nachzügler hingegen, der sich außerhalb des Kreuzungskerns befindet, muss dem Querverkehr Vorrang gewähren.

Diese Unterscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die Haftungsfrage im Falle eines Unfalls. In der vorliegenden Entscheidung konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass sie ein echter Nachzügler war, und hat daher ihre Vorfahrtsrechte verwirkt, was zu einer weit überwiegenden Haftung für den Unfall führte.

Urteile zur Haftungsverteilung bei Unfällen mit echten und unechten Nachzüglern im Kreuzungsbereich.

Volle Haftung des unechten Nachzüglers:
 OLG Koblenz, Urteil vom 8.9.1997 – 12 U 1355/96; LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22; AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Haftungsverteilung bei echten Nachzüglern:
OLG Hamm, Urteil vom 26.8.2016 – 7 U 22/16

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

gegen

1. […]

– Beklagte –

2. […] versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 28.09.2023 eingereicht werden konnten, am 19.10.2023

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 4.807,19 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 11.03.2022 gegen 11:25 Uhr in Bautzen, Kreuzung Zeppelinstraße/ Wilthener Straße geltend.

Unfallbeteiligt waren der PKW-Kia Ceed […] und der PKW-Fiat Panda […]. Die Klägerin, welche ein Hauskrankenpflege betreibt, war zum Unfallzeitpunkt Halterin und Eigentümerin des PKW-Fiat, der von der Zeugin H[…] gefahren wurde. Die Beklagte zu 1) war Fahrerin des PKW-Kia, welcher bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Die Zeugin H[…] befuhr zum Unfallzeltpunkt mit dem klägerischen Fahrzeug die Wilthener Straße in stadtauswärtiger Fahrtrichtung. An der Kreuzung wollte sie nach links in die Zeppelinstraße abbiegen. Die Beklagte zu 1) befuhr mit dem Beklagtenfahrzeug die Siemensstraße in Fahrtrichtung Zeppelinstraße und musste zunächst an der dortigen roten Ampel halten. Bei Grünlicht fuhr sie in den Kreuzungsbereich ein, wo es zur Kollision und Beschädigung beider Fahrzeuge kam.

Die Beklagte zu 2 hat die Schäden der Klägerin zu 1/3 ausgehend von einer Verursachungsquote von 2/3 zu Lasten der Klägerin ausgeglichen. Den restlichen Schaden macht die Klägerin mit der vorliegenden Klage geltend.

Sie behauptet, die Zeugin H[…] sie bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren, habe aber dort verkehrsbedingt anhalten müssen, um dem Gegenverkehr den Vorrang einzuräumen. Die Beklagte zu 1 sei ebenfalls bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren, aber ohne auf die sich noch im Kreuzungsbereich befindliche Zeugin H[…] zu achten, wodurch es zur Kollision gekommen sei.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 4.807,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.05.2022 zu zahlen;
sowie die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 439,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.05.2022 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Zeugin H[…] sei der Beklagten schon an der Ampel aufgefallen, weil sie ohne ersichtlichen Grund zum Teil innerhalb der Fußgängerfurt auf der Fahrspur der Klägerin gestanden hätte. Weitere Fahrzeuge hätten nicht davor gestanden. Während die Beklagte zu 1 bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren sei, sei die Zeugin H[…] bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren, wodurch es zum Unfall gekommen sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H[…], L[…] und G[…] sowie durch Einholung eines schriftlichen verkehrsanalytischen Sachverständigengutachtens […]. […]

Das Gericht hat im Einverständnis mit den Parteien gemäß des Beschlusses vom 05.09.2023 […] im schriftlichen Verfahren […] entschieden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG oder einer anderen Anspruchsgrundlage.

1.
Die grundsätzliche Haftung der Parteien hinsichtlich des Verkehrsunfalls ergibt sich für die Klägerin aus der Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG, für die Beklagte zu 1) aus der Fahrerhaftung gem. §§ 18, 7 StVG und für die Beklagte zu 2) aus § 115 VVG. Der Unfall ereignete sich beim Betrieb der Fahrzeuge.

2.
Der Unfall stellte für beide Beteiligten kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. StVG dar. Unabwendbar gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist nur ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt – nämlich durch ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den persönlichen Maßstab hinaus – nicht abgewendet werden kann (vgl. BGH NZV 2005, 305). Dies erfordert die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrmomente einschließlich erheblicher fremder Fehler (vgl. OLG Gelle Urteil vom 28.03.2012 – 14 U 156/11). Weder die Zeugin H[…] als Fahrerin des Klägerfahrzeuges, noch die Beklagte zu 1 als Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges haben sich vorliegend wie ein sog. „Idealfahrer“ verhalten. Sie hätten nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Schneider, denen sich das Gericht nach Inaugenscheinnahme der Lichtbilder von der Unfallkreuzung anschließt, das jeweils andere Fahrzeug vor der Kollision sehen können und hätten vorausschauend handeln müssen.

3.
Steht somit die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Neben der Verursachung ist auch der Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten beider Schadensverteilung zu berücksichtigen. Bei der Abwägung der für den Unfall ursächlichen Umstände können nur die zugestandenen oder nachgewiesenen Tatsachen berücksichtigt werden (vgl. BGH Urteil vom 27.06.2000 – VI ZR 126/99 m.w.N.). Nimmt der Verursachungsanteil oder das Verschulden einer Partei ein derart hohes Maß an, dass dahinter die Mitursächlichkeit der anderen Partei nicht Ins Gewicht fällt, so hat diese den Schaden alleine zu tragen.
Andernfalls ist die Haftung im Rahmen einer umfassenden Abwägung anhand der jeweiligen Beiträge nach § 17 Abs. 1, 2 StVG aufzuteilen.

4.
Die vorzunehmende Abwägung ergibt vorliegend, dass die Klägerin keinen weiteren Schadenersatz verlangen kann. Dies begründet sich damit, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Verkehrsunfall in schuldhafter Weise zumindest weit überwiegend selbst verursacht hat.

Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind.

Der Klägerin ist der Nachweis, dass die Fahrerin ihres Autos als sog. echte Nachzüglerin den Kreuzungsbereich vorrangig vor dem Querverkehr und damit auch vor dem Beklagtenfahrzeug verlassen durfte, nicht gelungen. Als sog. echte Nachzügler werden diejenigen Fahrer bezeichnet, die sich bereits im eigentlichen Kreuzungskern befinden, wenn der Querverkehr durch die Lichtzeichenanlage freie Fahrt erhält, und die dort im Kreuzungsbereich in aller Regel den Verkehrsfluss erheblich stören würden, wenn ihnen nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu räumen (BGH Urteil vom 11.05.1971 -VI ZR 11/70; OLG Koblenz Urteil vom 08.09.1997 – 12 U 1355/96; OLG Hamm Urteil vom 26.08.2016 – 1-7 U 22/16). Unter dem Begriff des Kreuzungskerns ist die von den Fluchtlinien der Fahrbahnränder eingegrenzte Fläche zu verstehen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 11 StVO Rn. 2).

Als außerhalb des Kreuzungskerns befindliche sog. unechte Nachzüglerin war die Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegenüber dem Querverkehr und damit auch gegenüber der Beklagten zu 1 wartepflichtig. Sie musste auch bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt damit rechnen, dass die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr zwischenzeitlich auf Grünlicht geschaltet hat (vgl. OLG Düsseldorf NVZ 1997,481; OLG Hamm Urteil vom 26.08.2016 – i-7 U 22/16 jeweils m. w. N.). Insoweit ist der [Fahrerin des Klägerfahrzeugs] ein schuldhafter Verstoß gegen die ihr gem. gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegende Sorgfaltspflicht vorzuwerfen, da sie dennoch in die Kreuzung einfuhr und ihre Wartepflicht missachtete.

Der Sachverständige hat in seinem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten, dem das Gericht nach eigener Prüfung vollumfänglich folgt, ausgeführt, dass die Behauptung der Klägerseite, die Zeugin H[…] habe zum Unfallzeitpunkt gestanden, technisch nicht nachvollziehbar ist und sich der von der Zeugin H[…] in der mündlichen Verhandlung geschilderte Kollisionsposition nicht mit den örtlichen Gegebenheiten in Einklang bringen lässt, hingegen aber die Darstellung der Beklagten, sie sei bei grün eingefahren, während die Zeugin H[…] bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei und gegen die hintere Fahrzeugseite des Beklagtenautos unter verschiedenen Szenarien technisch darstellbar ist.

Soweit die Beklagte zu 1) im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung sowie die Zeugin L[…] als Beifahrerin im Beklagtenfahrzeug im Rahmen ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 24.11,2022 angegeben haben, die Beklagte zu 1 sei bei grün in den Kreuzungsbereich eingefahren, ist das Gericht aufgrund der übereinstimmenden Angaben aller Seiten davon überzeugt. Auch hält es das Gericht aufgrund der Plausibiltätsbetrachtung des Sachverständigen für sehr wahrscheinlich, dass die Zeugin H[…] noch nicht in den Kreuzungskernbereich eingefahren war, als die Ampel für die Beklagte zu 1 auf grün schaltete. Wo genau und warum die Zeugin gehalten hatte, war nicht aufzuklären und kann für die Entscheidung letztlich offen bleiben, weil – wie zuvor beschrieben – die Klägerin jedenfalls den Nachweis, dass die Zeugin H[…] in der Kreuzung gestanden hatte und vor der Beklagten zu 1 vorrangige Kreuzungsräumerin gewesen war, nicht führen konnte. Die gegenteilige Aussage der Zeugin H[…] war technisch, wie vom Sachverständigen anhand der feststehenden Rahmenbedingungen nachvollziehbar dargestellt, technisch nicht plausibel.

Der Zeuge G[…] kam als Polizeibeamter erst nach dem Unfall, als die Unfallfahrzeuge bereits die Kreuzung geräumt hatten, zum Unfallort und konnte daher aus eigener Wahrnehmung zum Unfallhergang nichts sagen. Dennoch konnten seine Beschreibungen als Polizeibeamter dem Sachverständigen Anhaltspunkte liefern.

Die Zeugin H[…] musste angesichts der gegebenen Umstände bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als sie in den Kreuzungskern fuhr, auch damit rechnen, dass die Schaltung der Lichtzeichenanlagen bereits gewechselt hatte und der Querverkehr Grünlicht bekommen hatte. Sie hätte zudem nach den Ausführungen des Sachverständigen, die das Gericht anhand der mit den Parteien in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der beigezogenen Ermittlungsakte das in den Kreuzungsbereich einfahrende Fahrzeug der Beklagten zu 1 sehen können, wie eben auch die Beklagte zu 1 das von der Zeugin H[…] geführte Fahrzeug hätte sehen können, dass ihr zunächst nach ihrer eigenen Angabe aufgrund der ungewöhnlichen Haltepostion im Fußgängerbereich der Kreuzung aufgefallen war. Der Zeugin H[…] fällt daher ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StVO zur Last. Der Beklagten zu 1 ist dagegen kein Verstoß gegen § 11 Abs. 3 StVO, wohl aber ein leichter Verstoß gegen § 1 Abs.2 StVO anzulasten. Es lässt sich auch nicht erkennen, dass die Beklagte zu 1 trotz erkennbaren Vorfahrtverstoßes der Zeugin H[…] sich ihren Vorrang hatte erzwingen wollen.

Vielmehr durfte sie darauf vertrauen, dass sich die Zeugin H[…] verkehrsgerecht verhalten und bis zur nächsten Grünphase stehen bleiben würde. Allerdings wäre es ihr bei gehöriger Aufmerksamkeit möglich gewesen das klägerische Fahrzeug vor dem Zusammenstoß zu erkennen und, wenn auch vielleicht nicht den Unfall zu vermeiden, so aber dessen Folgen zu mindern.

7.
Bei Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß §§ 17 Abs. 1, 2 StVG ergibt sich vorliegend keine Haftung der Beklagten, die eine Quote von 1/3, nach der der Unfallschaden der Klägerin bereits reguliert ist, übersteigen würde.

Auf Seiten der Beklagten war lediglich die Betriebsgefahr, eventuell um einen leichten Verstoß gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 1 Abs.2 StVO ihres Fahrzeuges erhöht, zu berücksichtigen. Dem steht der schuldhafte Verkehrsverstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs gegen §§ 37, 1 Abs. 2 StVO gegenüber.

Die Beklagte zu 1 durfte darauf vertrauen, dass sie gefahrlos bei grüner Lichtzeichenanlage die Kreuzung passieren kann und auch die Fahrerin des Klägerfahrzeugs das Vorrecht des Querverkehrs infolge des zwischenzeitlichen Phasenwechsels beachten wird. Nach dem sog. Vertrauensgrundsatz darf ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten, solange er sich selbst derart verhält. So muss ein Kraftfahrer, für den durch grünes Licht der Verkehr freigegeben ist gem. § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StVO, grundsätzlich nicht damit rechnen, dass andere Fahrzeuge unerlaubter Weise von der Seite her in die Kreuzung einfahren (BGH Urteil vom 11.05.1971 -VI ZR 11/70). Er darf sich in der Regel vielmehr darauf verlassen, dass er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr abgeschirmt ist (vgl. OLG Düsseldorf NVZ 1997, 481).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Beitragsbild: fiktives, mit DALL·E 3 erstelltes Bild

Wirksamer Kauf eines durch Unfall beschädigten, an eine Bank sicherungsübereigneten Fahrzeugs durch ein Autohaus direkt vom Halter

Das Urteil des Amtsgerichts Zittau, Zweigstelle Löbau, vom 25. Juli 2023 (Az. 8 C 193/22) behandelt den Fall des Kaufs eines durch einen Unfall beschädigten, an eine Bank sicherungsübereigneten Fahrzeugs durch ein Autohaus direkt vom Halter.

Zum einen entschied das Gericht, dass die Klägerin nicht verpflichtet war, das Restwertangebot des Beklagten anzunehmen. Es wurde klargestellt, dass eine Geschädigte grundsätzlich die vom Sachverständigen ermittelten Kosten zugrunde legen darf. Darüber hinaus muss sich die Geschädigte nur Restwertangebote zurechnen lassen, die am regionalen Markt erzielbar sind. Das Angebot des Beklagten war in diesem Fall nicht bindend, da es von einem Ankäufer aus Leipzig stammte, der nicht als regionaler Markt angesehen werden kann.

Des Weiteren wurde das beschädigte Fahrzeug wirksam an das Autohaus verkauft. Trotz der Tatsache, dass die Klägerin im Vertrag angab, Eigentümerin des Fahrzeugs zu sein, was nicht der Fall war, da das Fahrzeug sicherungsübereignet war, bleibt die Wirksamkeit des Kaufvertrages unberührt. Das Gericht stellte fest, dass es der Klägerin erlaubt war, auch fremde Sachen zu verkaufen. Zudem wurde der Kaufvertrag vom tatsächlichen Eigentümer, der finanzierenden Bank, genehmigt.

Schließlich hat die Klägerin das Fahrzeug ohne Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht zu dem vom Sachverständigen ermittelten Restwert am regionalen Markt verkauft. Das Restwertangebot des Beklagten hatte mangels Fehlens des regionalen Marktes keinen Einfluss.

Aufgrund dieser Entscheidungsgründe wurde der Beklagte verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus von einer restlichen Kaufpreisforderung in Höhe von 2.350,00 € aus der Neufahrzeugrechnung freizustellen.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Zittau […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2023 am 25.07.2023

für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von einer restlichen Kaufpreisforderung in Höhe von 2.350,00 € aus der Neufahrzeugrechnung […] freizustellen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 2.350,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin macht restliche Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 14.07.2021 gegen 19.15 Uhr auf der B 96, Höhe Erntekranzbaude in Oppach, geltend.

Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt Halterin des an die […] Bank […] sicherungsübereigneten Pkw Suzuki Ignis […]. Der Beklagte bearbeitete in seiner Funktion als behandelndes Büro zu Lasten des ausländischen zahlenden Büros die Ersatzansprüche, die sich gegen einen ausländischen Schadensverursacher richten.

Der Beklagte hat daher die Pflichten eines Haftpflichtversicherers für das am Verkehrsunfall beteiligte Schädigerfahrzeug, Typ Pkw Toyota Proace […] der tschechischen Halterin […].

Die Einstandspflicht sowie die alleinige Haftung der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin beauftragte das Sachverständigenbüro […] mit der Erstellung eines Gutachtens. Mit Gutachten vom 19.07.2021 ermittelte der Sachverständige eine Wertminderung i.H.v. 1.100,00 €. Der Wiederbeschaffungswert betrug 17.625,00 €; der Sachverständige ermittelte darüber hinaus einen Restwert von 6.270,00 €. Die Klägerin rechnete auf Neuwagenbasis ab. Das beschädigte Fahrzeug der Klägerseite wurde am 07.07.2021 erstmals auf die Klägerin zugelassen. Die Kilometerlaufleistung war 429 Kilometer. Die Klägerin hatte am 05.07.2021 das beim Unfall beschädigte Fahrzeug zu einem Gesamtkaufpreis i.H.v. 17.950,00 € inklusive Kosten für Transport und Überführung i.H.v. 750,00 € gekauft.

Am 30.07.2021 wurde durch die Klägerin mit Einverständnis der darlehensgebenden […] Bank […] das beschädigte Fahrzeug zu einem Kaufpreis 6.270,00 € entsprechend des vom Sachverständigen […] ermittelten Restwertes veräußert. In dem Kaufvertrag vom 30.07.2021 ist vermerkt, dass die Verkäuferin (die Klägerin) Eigentümerin des Fahrzeugs ist und dass das Fahrzeug bis zum 30.07.2021 eine Gesamtlaufleistung von maximal 629 Kilometern hat.

Mit Schreiben vom 10.08.2021 unterbreitete der Beklagte der Klägerin ein Restwertangebot i.H.v. 9.070,00 €. Der von dem Beklagten benannte Restwertaufkäufer stammt aus der Region um Leipzig.

Mit Neufahrzeugrechnung vom 07.12.2021 erwarb sie am 08.12.2021 ein gleichwertiges Neufahrzeug zum einem Kaufpreis von 17.500,00 € brutto.

Unter Berücksichtigung der bisherigen Regulierung des Beklagten I.H.v. 8.880,00 € und der vorgenannten Gutschrift aus der Veräußerung des verunfallten Fahrzeuges i.H.v. 6.270,00 € verbleibt ein Restschaden i.H.v. 2.350,00 €, den die Klägerin mit der Klage verfolgt.

Die Klägerin beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von einer restlichen Kaufpreisforderung in Höhe von 2.350, Euro aus der Neufahrzeugrechnung […] freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Meinung, dass kein gültiger Vertrag zustandegekommen sei, da am 30.07.2021 die Klägerin nicht Eigentümerin des beschädigten Fahrzeuges gewesen sei und auch die Kilometerlaufleistung überschritten worden war. Darüber hinaus meint der Beklagte, dass sich die Klägerin auf das höhere Restwertangebot des Restwertankäufers aus Leipzig hätte verweisen lassen müssen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einvernahme des Geschäftsführers des Autohauses, Herrn […] R[…]. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg.

1. Die Klägerin war nicht gehalten, sich auf das Restwertangebot des Beklagten einzulassen bzw. dieses anzunehmen. Eine Geschädigte darf grundsätzlich die vom Sachverständigen ermittelten Kosten zugrunde legen {vgl. BGH, Urteil v. 06.03.2007, Az: VI ZR 120/06; OLG Hamm, Urteil v. 11.11.2020, Az: 11 U 5/20; jeweils zitiert nach Beck-Online). Darüber hinaus muss sich die Geschädigte ohnehin nur Restwertangebote zurechnen lassen, die am regionalen Markt erzielbar sind (vgl. BGH, Urteil v. 13.10.2009, Az: VI ZR 318/08). Das von dem Beklagten genannte Angebot resultierte von einem Ankäufer, der in Leipzig ansässig ist. Es handelte sich damit zweifelsfrei nicht mehr um einen am regionalen Markt ansässigen Käufer.

Damit war das Angebot ohnehin für die Klägerseite nicht bindend.

Überdies – aus Sicht des Gerichts kommt es hierauf schon nicht an – war zum Zeitpunkt das beschädigte Fahrzeug auch wirksam an das Autohaus Roschk verkauft worden. Zwar hat die Klägerin in dem Vertrag angegeben, Eigentümerin des Fahrzeugs zu sein. Dies war offensichtlich nicht der Fall gewesen, da das Fahrzeug sicherungsübereignet war. Bereits dieser Aspekt lässt jedoch die Wirksamkeit des Kaufvertrages unberührt, weil es der Klägerin freistand, auch fremde Sachen zu verkaufen. Darüber hinaus wurde der Kaufvertrag auch durch den tatsächlichen Eigentümer, die finanzierende Bank, genehmigt. Hierbei war es, wie das Gericht vom Zeugen R[…] weiß, auch üblich und bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sicher, dass die Bank dies genehmigen würde, weil das Autohaus in stetiger Geschäftsbeziehung mit dieser steht.

Auch hinsichtlich eventuell zuviel gefahrener Kilometer war dies – wie auch der Zeuge R[…] bestätigte – für die Vertragsparteien nicht „festgeschrieben“. Ein Verstoß oder eine Abänderung ließe im Übrigen ebenfalls das schuldrechtliche Verhältnis und damit die Wirksamkeit des Vertrages unberührt.

Zusammenfassend hat die Klägerin das Fahrzeug ohne Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht zu dem von dem von ihr beauftragten Sachverständigen ermittelten Restwert am regionalen Markt veräußert. Das Restwertangebot des Beklagten hatte ohnehin mangels Fehlens des regionalen Marktes keinen Einfluss.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.“

AG Zittau, Zweigstelle Löbau, Urteil vom 25.7.2023 – 8 C 193/22

100%ige Haftung eines Ausparkenden bei einem Parkplatzunfall, der mit seinem Fahrzeug gegen ein den Ausparkvorgang Wartenden stößt.

Das Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22) betrifft einen Verkehrsunfall auf einem Parkplatz. Die Klägerin und die Beklagte parkten ihre Fahrzeuge in Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen. Die Klägerin fuhr rückwärts aus ihrer Parkbucht aus und blieb dann stehen, als sie bemerkte, dass die Beklagte ebenfalls rückwärts aus ihrer Parkbucht ausfuhr. Trotz des Hupens der Klägerin fuhr die Beklagte weiter rückwärts und stieß gegen das Fahrzeug der Klägerin.

Das Gericht entschied, dass die Beklagte 100% der Haftung für den Unfall trägt. Es wurde festgestellt, dass die Beklagte gegen § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat, da sie rückwärts fuhr und dabei das Fahrzeug der Klägerin beschädigte. Das Gericht stellte fest, dass es technisch möglich gewesen wäre, für die Beklagte aus ihrer Parkbucht auszuparken und den Parkplatz zu verlassen, ohne das Fahrzeug der Klägerin zu treffen.

Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass der Unfall für sie unvermeidbar war. Allerdings wurde festgestellt, dass sie zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und versucht hatte, durch Hupen die Beklagte zu warnen. Das Gericht entschied, dass die Klägerin den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern konnte.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

gegen

[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigter:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 30.06.2023 eingereicht werden konnten, am 21.07.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] freizustellen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 3.182,12 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 09.11.2021 auf dem Parkplatz […] in Bautzen ereignete.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw, Typ FIAT Tipo […] den Parkplatz. Die Zeugin J[…] M[…] befuhr mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW, Typ Hyundai i20 […] den Parkplatz.

Die Parteien parkten zunächst jeweils in den Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen.

Die Klägerin fuhr sodann rückwärts aus ihrer Parkbucht aus. Im Folgenden kam es zur Kollision des klägerischen Fahrzeugs und des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…], die ebenfalls rückwärts aus der Parklücke ausgefahren war. Das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug und das klägerische Fahrzeug kollidierten am Kotflügel des Fahrzeugs der Klägerin und am Heck des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…].

Am Fahrzeug der Klägerin entstand folgender Sachschaden:

1. Am Pkw der Klägerin entstanden entsprechend dem […] vorgelegten Gutachten vom 07.01.2022 und dem […] vorgelegten Nachtragsgutachten vom 07.03.2022 des Kfz-Sachverständigenbüros […] Beschädigungen an der linken Fahrzeugfront.

Der vordere linke Kotflügel weist eine starke Ausknickung auf. Die linke Stoßfängerwange wurde beschädigt. Der linke Scheinwerfer ist gebrochen. Am Stoßfänger wurden Halterungen abgerissen. Gegenüber den angrenzenden Fahrzeugteilen, Motorhaube, Kotflügel rechts wurden Farbtonunterschiede auffällig, sodass eine Beilackierung des rechten vorderen Kotflügels und der Motorhaube durchgeführt wurde. Die Kosten für die Reparatur des Fahrzeugs betragen ausweislich der Reparaturkostenrechnung […] der Reparaturwerkstatt […] 4.775,93 Euro brutto.

2. Ausweislich dem Gutachten des Kfz-Sachverständigenbüros […] vom 07.01.2022 entstand durch die Beschädigung eine Wertminderung in Höhe von 400,00 Euro.

Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeugs beträgt 18.700,00 Euro und wird somit durch die Höhe des Schadensumfangs nicht erreicht.

3. Die Gutachterkosten betragen gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros Kfz-Sachverständigenbüro […] vom 07.01.2022 und gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros […] vom 07.03.2022 insgesamt 836,09 Euro brutto.

4. Die Klägerin macht ferner restliche Mietwagenkosten gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] der Reparaturwerkstatt […] vom 14.03.2022 geltend. Die Klägerin musste für die Dauer der Reparatur ein Ersatzfahrzeug mieten, da die Fahrt zur Arbeitsstätte, berufliche Fahrten sowie private Fahrten einen PKW erfordern.

5. Ferner beansprucht die Klägerin eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro für Telefonate, Porto und Fahrtkosten.

Die Klägerin mahnte die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten zur Zahlung der Schadensersatzansprüche an und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 17.01.2022. Die Zahlung wurde erneut durch anwaltlichen Schriftsatz am 22.03.2022 angemahnt.

Die Beklagte regulierte den Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %.

Im Ergebnis wird unter Berücksichtigung der Zahlung der Beklagten für den Schaden am Fahrzeug ein verbleibender Betrag:

  • in Höhe von 2.387,96 Euro für die Reparaturkosten
  • in Höhe von 200,00 Euro für die Wertminderung
  • in Höhe von 418,04 Euro für die Schadensgutachten
  • in Höhe von 163,62 Euro für die Mietwagenkosten und
  • in Höhe von 12,50 Euro die restliche Unkostenpauschale für Telefonate, Porto und Fahrtkosten

geltend gemacht.

Die Klägerin behauptet, sie habe am Unfallort aus der Parklücke rückwärts ausgeparkt und habe mit ihrem Fahrzeug gestanden. Bevor die Klägerin mit ihrem Fahrzeug zum Ausgang des Parkplatzes fahren konnte, erkannte sie, dass die Zeugin J[…] M[…] mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug auszuparken begann. Zur Vermeidung einer Gefahrensituation will die Klägerin mit ihrem Fahrzeug stehengeblieben sein, um den Ausparkvorgang des Unfallgegners stehend abzuwarten. Aus der Sicht der Klägerin bestand für die Zeugin J[…] M[…] grundsätzlich ausreichend Platz für den Ausparkvorgang. Die Klägerin behauptet, als das Fahrzeug der Unfallgegnerin rückwärts auf das Fahrzeug der Klägerin dicht zu fuhr und augenscheinlich nicht das hinter ihr stehende Fahrzeug der Klägerin wahrnahm, will die Klägerin versucht haben durch durchgehendes Hupen die Zeugin J[…] M[…] zu warnen. Ungeachtet dessen soll diese die Rückwärtsfahrt fortgesetzt haben und sei gegen den Kotflügel des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Die Klägerin habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern können.

Die Klägerin meint, die Zeugin J[…] M[…] habe den Unfall allein verschuldet. Insbesondere spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Fahrzeugführerin des Fahrzeugs der Beklagtenseite. Für die Klägerin sei der Unfall unvermeidbar gewesen und hätte auch durch die Anwendung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abgewendet werden können, sodass eine Haftung der Klägerin ausgeschlossen sei.

Aufgrund des Zeitablaufs nahm die Klägerin die Vollkaskoversicherung […] zur Zwischenfinanzierung des restlichen Schadens in Anspruch, die unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts der Klägerin am 09.11.2022 eine Gesamtzahlung in Höhe von 3.006,00 Euro, mithin 2.387,96 Euro auf die Reparaturkosten, 200,00 Euro auf die Wertminderung und 418,04 Euro auf die Sachverständigenkosten an die Klägerin leistete. In der Folge ist die Erstattungsforderung der Klägerin in Höhe von 3.006,00 Euro durch den gesetzlichen Forderungsübergang auf die Vollkaskoversicherung übergegangen. Mit Schriftsatz vom 14.11.2022 hat sie ihre Klageanträge […] umgestellt.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 so\wie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] vom 14.03.2022 freizustellen.

Die Beklagte behauptet, der Verkehrsunfall ereignete sich, als die Klägerin mit dem Pkw rückwärts aus ihrer Parkposition auf dem Parkplatz […] in Bautzen ausparkte und da bei gegen den Pkw der Zeugin J[…] M[…] stieß. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden habe. Zudem bestreitet die Beklagte, dass die Zeugin J[…] M[…] ausreichend Platz zum Ausparken gehabt habe.

Die Beklagte bestreitet den geltend gemachten Zinsschaden, soweit die Klägerin begehrt, von geltend gemachten Beträgen freigestellt zu werden, dürfe der Freistellungsanspruch nicht verzinst werden, da es sich hierbei nicht um eine Geldschuld handelt.

Der Verkehrsunfall sei für die Klägerin nicht unvermeidbar gewesen. Es dürfte auch kein Anscheinsbeweis gegen die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs sprechen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin J[…] M[…] und durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Für das Ergebnis der Zeugenvernehmung und der Anhörung der Klägerin wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2022 und auf das Sachverständigengutachten vom 13.04.2023 verwiesen. Insoweit wird auch im Übrigen wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Urteil ergeht mit dem Einverständnis der Parteien ohne Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, § 128 Abs. 2 ZPO.

I.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die Klägerin auch prozessführungsbefugt, soweit Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen der Zahlung ihrer Vollkaskoversicherung im November 2022 auf diese gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangen sind. Dies folgt aus § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Veräußerung oder Abtretung eines Rechts auf den Prozess keinen Einfluss hat. Die Norm gibt dem Zedenten nicht nur bei der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge, sondern auch dem vorliegenden gesetzlichen Forderungsübergang die Möglichkeit, Rechte des Zessionärs in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. Zöller/Greger, ZPO. 33. Aufl. 2020, § 265 ZPO Rn. 5).

II.

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin und die [Vollkasko] haben nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG, §§ 249 ff. BGB aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen die Beklagte in Höhe von 12,50 Euro durch Zahlung an die Klägerin, auf Freistellung der Mietwagenkosten in Höhe von 136,62 Euro und in Höhe von 3.006,00 Euro durch Zahlung an die [Vollkaskoversicherung].

1.

Die [Vollkaskoversicherung] ist hinsichtlich des Klageantrags zu 2 nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG aktivlegitimiert. Zudem ist das Fahrzeug der Klägerin beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, dessen Versicherer die Beklagte im Unfallzeitpunkt war, beschädigt worden, § 7 Abs. 1 StVG.

Der Anwendung des § 7 StVG steht nicht entgegen, dass sich der Unfall auf einem Parkplatz ereignete. Denn öffentlicher Verkehr ist auch bei – wie hier vorliegend – öffentlichen und allgemein zugänglichen Parkplätzen zu bejahen (MüKoStVR/Engel, 1. Aufl. 2017, StVG § 7 Rn. 10).

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten entfällt nicht nach § 7 Abs. 2 StVG. Der Unfall beruhte nicht auf höherer Gewalt.

3.

In welchem Umfang die Parteien als die am Unfall beteiligten Fahrzeughalter und Versicherer

der Fahrzeugführerin einander Ersatz leisten müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, § 17 Abs. 1,2 StVG.

a)

Der Ausgleich ist nicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG ausgeschlossen. Der Zusammenstoß zwischen dem PKW der Klägerin und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug war für keinen Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis.

Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der

Halter als auch der Fahrer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beachtet hat. Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes und geistesgegenwärtiges Handeln über dem Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 13.12.1990 – III ZR 14/90, BGHZ 113, 163). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit

des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommt, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt In eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH Urteil vom 17.03.1992 – VI ZR 62/91, NJW 1992,1684; Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, NJW 2006, 896).

bb)

Keine der Parteien hat darzulegen und zu beweisen vermocht, dass auch ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr nicht hätte abwenden können oder jedenfalls einen weniger schweren Unfall verursacht hätte. Ein über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus sachgemäß und geistesgegenwärtig handelnder Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten hätte den Unfall ebenso abwenden können, wie ein ebenso handelnder Fahrer des PKW der Klägerin. Zwar hat der Sachverständige nach Analyse der Spuren und Schäden bestätigt, dass das Fahrzeug der Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Flanke der Frontpartie des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Des Weiteren stellte der Sachverständige jedoch fest, dass es der Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges technisch möglich gewesen wäre, ohne Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin aus der Parklücke herauszufahren und den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen. Der Verkehrsunfall war für die Zeugin J[…] M[…] vermeidbar, da es für sie aus technischer Sicht möglich gewesen wäre, mit dem Fahrzeug rückwärts aus der Parkbucht auszuparken, ohne mit dem Fahrzeug der Klägerin zu kollidieren und anschließend den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen.

Für den Nachweis der Unvermeidbarkeit des klägerischen Fahrzeugs reicht allein der erwiesene Umstand, dass der Pkw der Klägerin vor der Kollision ausweislich des unfallanalytischen Sachverständigengutachten zum Stillstand gekommen war und sie mit Hupen auf sich Aufmerksam machte, allerdings nicht aus, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein „Idealfahrer“ anstelle der Klägerin das Beklagten-Fahrzeug rechtzeitig unfallvermeidend hätte erkennen können (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 06.06.2019 – 4 U 89/18; NJW-RR2019, 1435).

b)

Unter Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG tritt die Haftung des Fahrzeugs der Klägerin aus der Betriebsgefahrvollständig hinter der Haftung des Fahrzeugs der Beklagtenseite zurück, sodass die Beklagtenseite die alleinige Haftung trifft.

Da keine Seite die Unvermeidbarkeit des Unfalls belegen kann, ist nach den jeweiligen Verursachungsanteil abzuwägen, § 17 Abs. 2 StVG. Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1,2 StVG ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Ver-schulden (BGH Urteil vom 13.12.2016 -VI ZR 32/16). Bei der gebotenen Abwägung dürfen unstreitige, zugestandene oder erwiesene Tatsachen zugrunde gelegt werden, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Im Rahmen der Feststellung der Verursachungsbeiträge muss jeder Seite das Mitverschulden der Gegenseite beweisen.

aa)

Die Fahrzeugführerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs hat gegen § 1 Abs. 1 i. V.

m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen.

Wegen der besonderen Sorgfaltspflicht spricht gegen den Rückwärtsfahrer der Beweis des ersten Anscheins (OLG München N2V 2014, 416; KG NJW-RR 2010, 1116; LG Hagen ZfS 1992, 44). Zwar ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt sie aber über § 1

StVO. Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärts fährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Mitverschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen (BGH, Urt. v. 11. 10.2016 – VI ZR 66/16 = r+s 2017, 93, beck-online; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 27. Aufl. 2022, StVO § 9 Rn. 69). Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat. Denn gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein Fahrer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Ausweislich der Feststellungen im Sachverständigengutachten konnte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts den Beweis führen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision mit ihrem Fahrzeug gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Frontpartie stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Hierdurch hat die Zeugin J[…] M[…] gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen und den Verkehrsunfall verschuldet.

Zudem kommen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung. Das Gericht schließt sich den oben stehenden Ausführungen an. Danach greift zulasten der Beklagtenseite ein Anscheinsbeweis aufgrund der erfolgten Kollision während eines rückwärtigen Fahrvorgangs. Die Feststellungen des Sachverständigen bestätigen, dass sich ein für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises typische Lebenssachverhalt ereignete. Denn es steht nach der Beweisaufnahme fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, die Zeugin J[…] M[…], als Rückwärtsfahrende, zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand. Es gelang der Beklagtenseite nicht, diese zu erschüttern. Zudem wäre das Fahrzeug für die Zeugin J[…] M[…] optisch sowie die Gefahrensituation durch das Hupen auch akustisch erkennbar und der Unfall für diese vermeidbar gewesen. Die Klägerin hatte noch den Versuch unternommen, die Aufmerksamkeit der Zeugin J[…] M[…] zu erreichen und den Unfall zu vermeiden. Dies deckt sich mit den Feststellungen des Sachverständigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand und der Aussagen aus der Zeugenbefragung, in der die

Zeugin J[…] M[…] angab, dass die Klägerin durchgehend hupte.

Die Ausführungen des Sachverständigen Schlütter sind für das Gericht plausibel. Als von der Ingenieurkammer Sachsen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Kraftfahrzeugschäden und -bewertung ist der Sachverständige Schlütter für die Begutachtung kompetent. Seine Ausführungen sind logisch, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei.

Die Beklagte ist nach § 115 Abs. 1 Satz 2, 4 VVG einstandspflichtig.

bb)

Eine Mithaftung der Klägerin ergibt sich hier nicht aus § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO, weil ihr kein wesentliches verkehrswidriges Verhalten zur Last zulegen ist.

Ein Anscheinsbeweis greift nicht zulasten der Klägerin, da diese zum Zeitpunkt der Kollision bereits stand. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass sich die Klägerin mit ihrem Fahrzeug verkehrsgerecht verhalten hat. Der Sachverständige stellte fest, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hat. Schlüssig ist nach den Feststellungen des Sachverständigen auch, dass die Klägerin zur Vermeidung einer Kollision durch Hupen versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen. Nach Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Zeugin J[…] M[…] das Fahrzeug der Klägerin während des Rückwärtsfahrens übersehen hat.

cc)

Vor diesem Hintergrund und des im Übrigen geringen Verursachungsbeitrag der Klägerin an dem Unfallgeschehen haftet die Beklagtenseite zu 100%. Der Unfall war zwar weder für die Zeugin J[…] M[…] noch für die Klägerin unvermeidbar. Der Verursachungsbeitrag der Klägerin ist allerdings als so gering zu bewerten, dass er wegen des überwiegenden Mitverschuldens der Zeugin J[…] M[…] bei der gemäß § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung vollständig zurückzutritt. So liegen die Grenze zwischen dem Verhalten eines Idealfahrers und des tatsächlichen Verhaltens der Klägerin so nah beieinander, dass hinsichtlich der Verursachungsbeiträge keine Quotelung zulasten der Klägerin erfolgt.

Das Klägerfahrzeug stand ausweislich des oben stehenden Ergebnisses der Beweiswürdigung zum Zeitpunkt der Kollision. Zuvor hat sie den Ausparkvorgang zwar bei eingeschränkten Sichtverhältnisses begonnen, kam allerdings noch vor der Kollision für die Zeugin J[…] M[…]

bei gehöriger Rückschau erkennbar und rechtzeitig zum Stehen, sodass die Zeugin J[…] M[…] die Kollision hätte vermeiden können. Diesbezüglich wird auf die obenstehende Beweiswürdigung Bezug genommen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand. Zum anderen hatte die Zeugin J[…] M[…] die Möglichkeit, das eigene Fahrzeug vor der Kollision rechtzeitig anzuhalten, zumal die Klägerin mit dem Hupen noch ein Warnsignal abgegeben hat. Außerdem ist auf Parkplätzen stets mit aus Parklücken fahrenden Fahrzeugen zu rechnen, sodass der Zeugin J[…] M[…] im besonderen Maße eine Sorgfaltspflicht dahingehend oblag, das eigene Fahrzeug jederzeit anhalten zu können und auf ausparkende Fahrzeuge entsprechend reagieren zu können.

4.

Durch die Kollision entstand ein ersatzfähiger Schaden im Sinne von §§ 249 ff. BGB. Mit Ausnahme der beantragten Zinsen für den Freisteilungsanspruch ist der Schaden der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Unter Berücksichtigung der, der Beklagtenseite anzurechnenden Verursachungsquote von 100 %, ergibt sich der noch zu ersetzende Betrag wie folgt:

a) Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der restlichen Unkostenpauschale in Höhe von 12,50 Euro, da es sich hierbei um einen ersatzfähigen Schaden im Sinne von gemäß § 249 BGB handelt (BGH, Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11; NJW 2011,2871).

b) Die Klägerin hat gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls einen Anspruch auf Freistellung in Bezug auf die aufgewendeten Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 257 Satz 1 BGB. Der Anspruch der Klägerin ist auf Freistellung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Autohaus […]. Aus der Rechnung vom 14.03.2022 mit der Rechnungsnummer 920277 und nicht auf Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin gerichtet, weil der Klägerin mangels vermögensmindernder Zahlung kein Schaden entstanden ist.

c) Ferner kann die Klägerin in Folge der Zwischenfinanzierung auf die restlichen Reparaturkosten in Höhe von 2.387,96 Euro, der restlichen Wertminderung in Höhe von 200,00 Euro und auf die restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 418,04 Euro – insgesamt also 3.006,00 Euro an die [Vollkaskoversicherung] verlangen.

Auf Grund der Regulierung der Ersatzansprüche ist die [Vollkaskoversicherung] gemäß § 86 VVG Anspruchsinhaberin geworden.

5.

Der Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 1 und Abs. 3, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 analog, 291 BGB. Die Hauptforderung ist antragsgemäß zu verzinsen.

Die Fälligkeit tritt in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung ein, wenn wegen

einer Verletzung einer Person oder wegen einer Beschädigung einer Sache nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Ersatz zu leisten ist (BGH, Beschluss vom 18.11.2008 – VI ZB 22/08; NJW 2009, 910). Ist die Voraussetzung der Fälligkeit des Schadenersatzanspruchs gegeben und liegt eine Mahnung vor, sind die gesetzlichen Verzugszinsen bereits vor Ablauf der dreimonatigen Bearbeitungsfrist und aufgrund der BGB-Verzugsregelung zu zahlen (OLG Rostock, Beschluss vom 9.1.2001 -1 W 338/98; MDR 2001,935).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1,2 ZPO.

V.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG.“

AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22

Zum Werkstattrisiko des Schädigers nach einem Verkehrsunfall

Durch das Amtsgericht Leipzig (AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23) wurde entschieden, dass die Beklagte die gesamten Reparaturkosten zu erstatten hat. Die Begründung dafür basiert auf mehreren rechtlichen Grundsätzen und Bestimmungen des deutschen Rechts.

Die Haftung der Beklagten für den durch den Unfall entstandenen Schaden zwischen den Parteien war im vorliegenden Fall unstrittig. Dies bedeutet, dass die Beklagte grundsätzlich verpflichtet ist, den durch den Unfall verursachten Schaden zu ersetzen.

Die entscheidende Frage in diesem Fall war jedoch, in welchem Umfang die Beklagte für die Reparaturkosten aufkommen muss. Hierbei spielt § 249 Abs. 2 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine zentrale Rolle. Nach dieser Vorschrift kann der Geschädigte, wenn eine Sache beschädigt wurde, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte.

In diesem Zusammenhang hat das Gericht festgestellt, dass die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten durfte, da sie keine besseren Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hatte. Insbesondere hat das Gericht berücksichtigt, dass der Geschädigte bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Das sogenannte Werkstattrisiko geht daher zu Lasten des Schädigers.

Darüber hinaus hat das Gericht festgestellt, dass der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel ziehen konnte. Der Bericht ließ nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen und konnte daher nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung haben.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Leipzig […]

im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO am 30.06.2023

für Recht erkannt:

1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 1.096,90 € bis zum 3.2.2023 und auf 856,90 € ab dem 4.2.2023 festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche anlässlich eines Verkehrsunfalls geltend.

Am 28.6.2022 ereignete sich auf der L321 in Meine ein Verkehrsunfall. An diesem waren das Fahrzeug der Klägerin […] und das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug […] beteiligt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach für den entstandenen Schaden ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin hat den oben genannten Pkw bei der Reparaturwerkstatt […] reparieren lassen, diese hat dafür eine Rechnung über 19.103,40 € netto erstellt. Die Beklagte hat vorgerichtlich in Bezug auf die geltend gemachten Reparaturkosten einen Betrag i.H.v. insgesamt 18.006,50 € netto bezahlt. Grundlage war der von der Beklagten eingeholte Prüfbericht […] vom 30.08.2022, welcher eine Neuberechnung vorgenommen hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechnung vom 16.08.2022 […] und den Prüfbericht vom 30.08.2022 […] Bezug genommen. Nach Klageeinreichung am 17.1.2023 und vor Zustellung der Klage zahlte die Beklagte auf die Reparaturkosten am 3.2.2023 einen weiteren Betrag i.H.v. 240,00 €.

Die Klägerin behauptet, ihr sei durch den Unfall ein Reparaturschaden in Höhe von insgesamt 19.103,40 € netto entstanden. Dieser Betrag sei für eine sach- und fachgerechte Instandsetzung des klägerischen Fahrzeugs erforderlich gewesen.

Die Klägerseite beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

Die Beklagtenseite beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, Reparaturkosten seien allenfalls i.H.v. 17.766,50 € netto erforderlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erklärt.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1.)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Form von Reparaturkosten aus dem Verkehrsunfall vom 28.6.2022 i.H.v. 856,90 € netto gemäß §§7Abs. 1,17Abs. 1 StVG.823Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG.

a)
Die Haftung der Beklagten nach einer Haftungsquote von 100 % für die der Klägerin bei dem Unfall vom 28.6.2022 entstandenen Schäden dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

b)
Der Höhe nach hat die Beklagte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Kläger auch die weiteren Reparaturkosten i.H.v. 856,90 € netto zu erstatten.

Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Verursacht also von mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt; denn nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (statt vieler: BGH, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 9, zitiert nach juris).

Allerdings sind unter dem Blickpunkt, dass der Schädiger grundsätzlich für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen hat, an die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt nämlich darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, Rn. 9, zitiert nach juris). Es ist insbesondere Rücksicht auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Diese „subjektbezogene Schadensbetrachtung“ kann sich sowohl zugunsten des Geschädigten als auch zugunsten des Schädigers auswirken (BGH, Urteil vom29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 10, zitiert nach juris).

Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73, Rn. 10, zitiert nach juris). Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 10, jeweils zitiert nach juris).

Dem Geschädigten sind in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen sind, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 12, zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, BeckRS 1995, 01930; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 11, zitiert nach juris). Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Würde nämlich der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, Vl ZR 42/73, Rn. 10; LG Köln, Urteil vom Seite 507.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 12, jeweils zitiert nach juris).

Die Zuweisung des Prognoserisikos bewirkt, dass die für die Schadensschätzung maßgeblichen Feststellungen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Einschätzung der Wiederherstellungskosten erfolgt, der konkrete Schadensersatz sich aber nach den tatsächlichen Kosten richtet (vgl. OLG Zweibrücken, Beschiuss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, zitiert nach juris). Ersatzfähig sind danach auch die Kosten, die ex ante als erforderlich erschienen, ex post jedoch erfolglos oder in Wirklichkeit nicht erforderlich waren (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16).

Dies gilt nur dann nicht, wenn den Geschädigten ein Auswahlverschulden bezüglich des von ihm beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt trifft (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015,14 U 63/15, Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, jeweils zitiert nach juris). Der Unfallgeschädigte darf darauf vertrauen, dass die Werkstatt nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht erbracht wurden oder Reparaturen vornimmt, die nicht erforderlich waren (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 11, zitiert nach juris).

c)
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind vorliegend auch die weiteren Reparaturkosten in Höhe von 856,90 € netto als erforderlich i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen, auch wenn die Reparaturkosten – wie von der Beklagten behauptet – zur Behebung des Unfallschadens nicht notwendig gewesen sein sollten. Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten dürfen.

(1)
Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bezüglich der mit den Reparaturarbeiten beauftragten Reparaturwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Einen Vortrag hierzu hat die Beklagte nicht gehalten.

(2)
Auch vermag der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel zu ziehen. Der von der Beklagten vorgelegte Bericht […] lässt nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen, sodass er nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung hat. Weshalb der namenlose Verfasser in der Lage sein soll, die Kosten für durchgeführte Reparaturarbeiten anzuzweifeln, ohne das Auto gesehen zu haben, wird mit keinem Wort erläutert.

2.)
Die Klägerin hat gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 BGB gegen die Beklagte ferner einen Anspruch auf Ersatz von Zinsen in gesetzlicher Höhe.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23

Zur Erstattungsfähigkeit angeblich überhöhter Abschleppkosten im Rahmen der Schadenregulierung nach einem Verkehrsunfall

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 7.6.2023 – 23 C 74/23) können vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung durch einen durch einen Verkehrsunfall Geschädigten grundsätzlich sämtliche Abschleppkosten erstattet verlangt werden, solange der Geschädigte unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall nicht erkennen konnte, dass die Kosten des beauftragten Abschleppunternehmens ersichtlich nicht orts- bzw. marktüblich sind und er hierdurch gegen seine Schadenminderungspficht verstößt.

Im Kern geht es um die Frage, in welchem Umfang der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung die Kosten für das Abschleppen des beschädigten Fahrzeugs tragen muss.

In dem konkreten Fall hatte der Geschädigte, der Halter eines Skoda Karoq, nach einem Verkehrsunfall Abschleppkosten in Höhe von insgesamt 1.046 € netto geltend gemacht. Die Haftpflichtversicherung des Schädigers hatte jedoch nur einen Teilbetrag von 566,85 € erstattet. Der Geschädigte verlangte daher die Erstattung des noch offenen Differenzbetrags in Höhe von 479,15 €.

Die Haftpflichtversicherung argumentierte, dass die Abschleppkosten übersetzt und daher nicht erforderlich im Sinne des § 249 BGB seien. Sie stützte sich dabei auf einen Prüfbericht, der zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Kosten für den Einsatz des Bergungsfahrzeugs und für das eingesetzte Ölbindemittel überhöht seien.

Das Amtsgericht Bautzen entschied jedoch zugunsten des Geschädigten. Es stellte fest, dass der Geschädigte die Kosten erstattet verlangen kann, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Dabei sei auf die subjektbezogene Situation des Geschädigten und seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten im zeitlichen, örtlichen und situativen Kontext des Unfallgeschehens abzustellen.

Das Gericht stellte weiter fest, dass eine Verletzung der Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB nur dann in Betracht käme, wenn auf Seiten des Geschädigten schon im Zeitpunkt des Abschleppens hätte klar sein müssen, dass das Abschleppunternehmen nicht ortsübliche Preise und Leistungen berechnet. Hierzu sei jedoch nichts konkret vorgetragen worden.

Das Gericht wies auch darauf hin, dass es sich um eine Not- und Eilsituation handelte, da der Unfall abends gegen 19:50 Uhr an einem Freitag stattfand und das Fahrzeug nach dem Unfall nicht fahrbereit war. Zudem lag die Unfallstelle auf einer vielbefahrenen, innerstädtisch verlaufenden Bundesstraße, so dass eine zügige Räumung der Unfallstelle erforderlich war.

Schließlich stellte das Gericht fest, dass die von der Haftpflichtversicherung vorgelegte Ferndiagnose der Abschleppkosten ohne konkreten Bezug und Beachtung der Besonderheiten dieses Einzelfalls erfolgt war und daher unbeachtlich sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

[…]

– Streithelferin –

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

am 07.06.2023 im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Unternehmen […] von restlichen Forderungen i.H.v. 479,15 € netto […] freizustellen
2. Die Kosten des Rechtsstreits sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten hat die Beklagte zu tragen
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar

und beschlossen:

Der Streitwert wird auf 479,15 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall , der sich am 11.11.2022 gegen 19:50 Uhr […] in 02625 Bautzen Uhr zugetragen hat.

Der Kläger war beteiligt als Halter des Pkw Skoda Karoq […], die Beklagte ist die Krafthaftpflichtversicherung zu dem gegnerischen Pkw VW Golf […].

Die 100 – prozentige Einstandspflicht der Beklagten für alle unfallbedingten Schäden ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Streitig sind allein die bislang nur teilregulierten Schadenspositionen Abschleppkosten vom Unfallort, Überführungskosten vom Betriebsgelände des Abschleppunternehmens in die Reparaturwerkstatt sowie die Kosten für das am Unfallort eingesetzten Ölbindemittel.

Das Fahrzeug des Klägers wurde von der beauftragten Streitverkündeten noch am 11.11.2022 – einem Freitag – auf deren Betriebsgelände in Bautzen abgeschleppt; von dort wurde es 4 Tage später von ihr zur Reparatur in die Reparaturwerkstatt , das Skoda-Autohaus […] in 02625 Bautzen verbracht.

Die Streitverkündete stellte für ihre Leistungen dem Kläger mit Rechnung vom 22.11.2022 insgesamt 1.046,00 € netto in Rechnung […]. Die Beklagte zahlte hierauf 566,85 €.

Der Kläger begehrt die Freistellung von dem noch offenen Differenzbetrag in Höhe von 479,15 €. Die Beklagte hatte auf die Kostenposition Einsatz des Bergungsfahrzeugs auf die abgerechneten 495,00 € netto bislang 307,50 € netto, auf das eingesetzte Ölbindemittel anstelle 100,00 € lediglich 33,35 € gezahlt sowie auf die Überführung vom […]-Betriebsgelände zur Reparaturwerkstatt […] anstelle der begehrten 225,00 € bislang nichts.

Der Kläger geht davon aus, dass dieser Betrag im Rahmen des § 249 (2) S.1 BGB nach schadensrechtlichen Grundsätzen bei der gebotenen subjektbezogene Schadensbetrachtung voll zu ersetzen ist. Insbesondere könne dem Kläger kein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht gemäß § 254 BGB zur Last gelegt werden .

Der Kläger beantragt daher
Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger gegenüber dem Unternehmen […] von restlichen Forderungen i.H.v. 479,15 € netto […] freizustellen.

Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen

Berechtigte Ansprüche seien reguliert. Die Abschleppkosten seien der Höhe nach übersetzt und deshalb nicht erforderlich iSd. § 249 BGB . Das ergebe sich aus dem Prüfbericht der Fa. […] vom 05.12.2022 […]: Danach seien die Kosten für den Einsatz des Bergungsfahrzeugs und Kosten für den Ölbinder überhöht ,das Abschleppen zunächst auf das Firmengelände der Streitverkündeten und 4 Tage später von dort ins Autohaus […] zur Durchführung der Reparatur überflüssig, da das Fahrzeug sofort ins Autohaus […] hätte verbracht werden können .

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21.04.2023 der FA […] den Streit verkündet.

Die Streitverkündete ist mit Schriftsatz vom 12.05.2023 dem Rechtsstreit auf Klägerseite beigetreten.

Zum Sach- und Streitstand wird im übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen und Bezug genommen..

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.

I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf restlichen Schadenersatz in der begehrten Höhe von 479,15 € aus den 7, 17, 18 StVG , 823 (1), 249 (2) BGB , 115 VVG zu.

1. Nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen kann ein Geschädigter die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit ist wiederum auf eine subjektbezogene Schadensbetrachtung abzustellen, d. h. auf die Situation des Geschädigten und seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten im zeitlichen ,örtlichen und situativen Kontext des Unfallgeschehens. Das bedeutet im Ausgangspunkt nichts anderes als – worauf der Klägervertreter in seinen Schriftsätzen wiederholt hinweist – dass es keinen Unterschied macht, ob das Abschleppunternehmen unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten berechnet oder gar Arbeiten in Rechnung stellt, die nicht ausgeführt worden sind. All dies gehört zum typischen, auf Schädigerseite liegenden Risiko, solange die Beklagte dem Kläger keinen Verstoß gegen die ihm liegende Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB vorwerfen kann. Gemessen hieran ist der noch offene Differenzbetrag aus der Rechnung vom 22.11.2022 in voller Höhe zu ersetzen .

2. Eine Verletzung der Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB – wofür die Beklagte beweispflichtig ist – käme nur dann in Betracht, wenn auf Klägerseite schon im Zeitpunkt des Abschleppens hätte klar sein müssen, dass das Abschleppunternehmen nicht ortsübliche Preise und Leistungen berechnet. Dazu ist bereits konkret nichts vorgetragen .

Im übrigen: Es handelte sich vorliegend um eine Not- und Eilsituation. Unstreitig ereignete sich der Unfall in zeitlicher Hinsicht zur Abendzeit gegen 19:50 Uhr am Wochenende, hier kalendarisch einem Freitag abends; ebenso unstreitig ist, dass das Fahrzeug nach dem Unfall nicht fahrbereit war und die Beauftragung eines Abschleppunternehmens erforderlich war.

Unklar bleibt zudem, wer das Abschleppen überhaupt beauftragt hat: Bei dem Halter des Klägerfahrzeugs handelt es sich um eine juristische Person. Ein zügiges Abschleppen ohne Einholung von Preisangeboten – von wem auch immer – o.ä. war auch deshalb angezeigt, als die Unfallstelle gerichtsbekannt auf der vielbefahrenen, innerstädtisch verlaufenden

Bundesstraße B156 in Höhe der Einfahrt zu einem Einkaufszentrum liegt, mithin eine zügige Räumung der Unfallstelle erforderlich war. Ein ortsansässiges Abschleppunternehmen ist tätig geworden. Mehr kann von einem Geschädigten in der konkreten Situation nicht verlangt werden .

3. Soweit die von der Abschleppfirma dem Kläger in Rechnung gestellten Kosten von Beklagtenseite mittels nachträglicher Ferndiagnose, dem Prüfbericht der Fa. […] vom 05.12.2022 als nicht ortsüblich, unangemessen oder nicht notwendig beanstandet werden, bleibt dies unbeachtlich, da es sich um eine abstrakt gehaltene Berechnung ohne konkreten Bezug und Beachtung der Besonderheiten dieses Einzelfalls handelt; der Beklagten steht es frei sich eventuelle Schadenersatzansprüche des Klägers gegen die streitverkündete Abschleppfirma abtreten zu lassen .

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 , 101 (1) 708 Nr.11 , 713 ZPO“

AG Bautzen, Urteil vom 7.6.2023 – 23 C 74/23