Pflichtverteidigung deckt Adhäsionsverfahren ab

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Beschluss vom 27.07.2021 – 6 StR 307/21 entschieden, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst. Dies bedeutet, dass dem Angeklagten, dem bereits ein Pflichtverteidiger beigeordnet ist, keine zusätzliche Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag gewährt werden kann.

Der BGH begründet seine Entscheidung im Wesentlichen mit zwei Argumenten:

Erstens ist die Mitwirkung eines Verteidigers, wenn sie im Sinne von § 140 StPO notwendig ist, auf das gesamte Verfahren erstreckt (§ 143 Abs. 1 StPO). Dies gilt auch für die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge. Die enge Verknüpfung von Tat und Adhäsionsanspruch sowie die Effizienz des Adhäsionsverfahrens sprechen dafür, dass die Pflichtverteidigung auch das Adhäsionsverfahren umfasst.

Zweitens hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 143 Abs. 1 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) zum Ausdruck gebracht, dass es im Strafverfahren kein Nebeneinander von Prozesskostenhilfe und notwendiger Verteidigung geben soll.

Keine Auslieferung ohne persönliche Ladung

Der Beschluss des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Mai 2024 (OAus 110/24) behandelt die Unzulässigkeit der Auslieferung eines ukrainischen Staatsangehörigen an die Republik Polen zur Strafvollstreckung. Der Beschluss stützt sich auf den Europäischen Haftbefehl, der vom polnischen Bezirksgericht Wrocław ausgestellt wurde und auf ein Urteil des Amtsgerichts Wrocław-Śródmieście zurückgeht. Die ursprüngliche Verurteilung betraf eine Bewährungsstrafe von einem Jahr, deren Reststrafe nach Widerruf der Bewährung elf Monate und 29 Tage beträgt.

Der wesentliche Grund für die Erklärung der Unzulässigkeit der Auslieferung liegt in der Tatsache, dass der Verfolgte zu der Verhandlung, die zu seiner Verurteilung führte, nicht persönlich erschienen ist und auch nicht persönlich zu dieser geladen wurde. Das polnische Gericht hatte die Ladung an eine vom Verfolgten im Ermittlungsverfahren angegebene Adresse geschickt, die der Verfolgte jedoch weder erhalten noch abgeholt hat. Laut polnischem Recht gilt diese Zustellung zwar als bewirkt, jedoch entspricht dies nicht der im § 83 Abs. 1 Nr. 3 des deutschen Internationalen Rechtshilfegesetzes (IRG) geforderten persönlichen Inkenntnissetzung des Verfolgten von dem Verhandlungstermin.

Das Oberlandesgericht Dresden hat somit auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entschieden, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben, da keine der in § 83 Abs. 2 bis 4 IRG aufgeführten Ausnahmen vorliegt. Es fehlen zudem Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der Ausnahmetatbestände, die eine Zustellung des Urteils oder eine Rechtsmittelbelehrung beinhalten würden, sowie eine ausdrückliche Zusicherung nach § 83 Abs. 4 IRG. Die Entscheidung stellt klar, dass die tatsächliche Kenntnis des Verfolgten von dem Verhandlungstermin und -ort zwingend erforderlich ist, um die Auslieferung zur Strafvollstreckung zu ermöglichen.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In der Auslieferungssache des ukrainischen Staatsangehörigen

[…]

Pflichtbeistand: Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Auslieferung an die Republik Polen zur Strafvollstreckung

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 06.05.2024

beschlossen:

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen zum Zwecke der Strafvollstreckung auf der Grundlage des im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Wrocław vom 29. Februar 2024 […] genannten Haftbefehls des Amtsgerichts Wrocław-Śródmieście vom 27. September 2021 […] wird für unzulässig erklärt.

2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 23. April 2024 wird aufgehoben.

Gründe

I.

Der Senat hat am 23. April 2024 auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls des polnischen Bezirksgerichts Wrocław vom 29. Februar 2024 […] einen Auslieferungshaftbefehl gegen den Verfolgten, der sich derzeit in anderer Sache in Haft befindet, erlassen. Der Europäische Haftbefehl beruht auf dem Urteil des Amtsgerichts Wrocław-Śródmieście vom 27. September 2021 […], mit dem der Verfolgte zunächst zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt worden war, die nach Bewährungswiderruf durch Entscheidung des Amtsgerichts Wrocław-Śródmieście vom 23. November 2022 […] noch in Höhe von elf Monaten und 29 Tagen zu verbüßen ist.

Auf die Nachfrage der Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat das Bezirksgericht Wrocław mit Schreiben vom 26. April 2024, eingegangen bei der Generalstaatsanwaltschaft am 29. April 2024, mitgeteilt, dass keine persönliche Ladung des Verfolgten zu der Verhandlung erfolgt sei. Vielmehr sei die Ladung an eine von dem Verfolgten im Ermittlungsverfahren angegebene Anschrift versandt worden. Die Benachrichtigung vom Termin sei von dem Verfolgten weder empfangen noch abgeholt worden, sondern zu den Akten zurückgelangt. Die Zustellung sei nach polnischem Recht als bewirkt anzusehen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 30. April 2024 beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben.

Die Auslieferung des Verfolgten erweist sich nach der nunmehr eingegangenen Auskunft der polnischen Behörden als unzulässig.

Nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG ist die Auslieferung im Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union unzulässig, wenn der Verfolgte bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist und auch keiner der Ausnahmetatbestände des § 83 Abs. 2 bis 4 IRG verwirklicht ist. Das ist vorliegend der Fall.

Der Verfolgte war bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht Wrocław-Śródmieście am 21. September 2021 nicht anwesend.

Ein Ausnahmetatbestand nach § 83 Abs. 2 Nr. 1 IRG ist nicht gegeben. Nach der nunmehr vorliegenden Antwort ist der Verfolgte nicht persönlich geladen worden und hatte auch sonst nicht zweifelsfrei auf offiziellem Weg Kenntnis von dem Verhandlungstermin. Die nach polnischem Recht zulässige Zustellfiktion steht jedoch der vorausgesetzten tatsächlichen Inkenntnissetzung des Verfolgten von dem vorgesehenen Ort und Termin der Verhandlung nicht gleich (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Mai 2016- C-108/16 PPU; OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 2020 – 1 AR 29/19, Rn. 10; KG, Beschluss vom 27. Juli 2017 – (4) 151 AuslA 87/17 (101/17), Rn. 9, jeweils juris).

Für das Vorliegen eines der Ausnahmetatbestände im Sinne des § 83 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 IRG bestehen keine Anhaltspunkte. Eine Rechtsmittelbelehrung und Zustellung des Urteils liegen nicht vor. Damit scheidet auch ein Fall des § 83 Abs. 3 IRG aus. Eine Zusicherung nach § 83 Abs. 4 IRG wurde ausdrücklich mit der Antwort vom 26. April 2024 nicht abgegeben.

II.

Da die Auslieferung unzulässig ist, ist der Auslieferungshaftbefehl aufzuheben (§ 15 Abs. 2 IRG).“

OLG Dresden, Beschluss vom 6.5.2024 – OAus 110/24

Beitragsbild: fiktives, mit DALL·E 3 erstelltes Bild

Vergütungsumfang eines lediglich für einen Termin der Haftbefehlsverkündung bestellten Pflichtverteidigers

Der Kammerbeschluss des Landgerichts Neuruppin vom 25. März 2024 (Az. 11 Qs 9/24) befasst sich mit der Vergütung eines Pflichtverteidigers, der nur für den Termin der Haftbefehlsverkündung bestellt wurde. Das Gericht entschied, dass trotz der zeitlichen Begrenzung der Bestellung, der Pflichtverteidiger Anspruch auf die volle Vergütung hat, einschließlich der Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr. Dies begründet sich dadurch, dass auch eine zeitlich limitierte Bestellung eine inhaltlich und gebührentechnisch vollumfängliche Bestellung darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Beschluss

ln dem Strafverfahren gegen

[…]
Pflichtverteidiger (und Beschwerdeführer):
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne,
Wallstraße 15, 02625 Bautzen,

weiterer Beteiligter (und Beschwerdegegner):
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Neuruppin
[…]

wegen Computerbetruges

hier: Pflichtverteidigervergütung,

hat das Landgericht Neuruppin – 1. große Strafkammer als Beschwerdekammer in Kostensachen – […] am 25. März 2024 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts Stephan M. Höhne (im Folgenden: Beschwerdeführer) wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 15.12.2023 (Az. 84 Ds 50/20) aufgehoben. Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 03.11.2022 (Az. 84 Ds 50/20) abgeändert und der Tenor zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung (Gebühren und Auslagen) wird auf 685,44 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird der Vergütungsfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers vom 17.08.2023 als unbegründet zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht wird zugelassen.

Beschwerdewert: 491,47 Euro

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Neuruppin – Strafrichter – erließ im vorliegenden Strafverfahren am 29.09.2022 gegen den Angeklagten wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO […]. Der Angeklagte wurde am 16.08.2023 aufgrund dieses Haftbefehls festgenommen […] und dem Amtsgericht Bautzen am selben Tag nach § 115a Abs. 1 StPO zur Verkündung vorgeführt […].
Dort beantragte der Angeklagte – in Anwesenheit des bereits erschienenen Beschwerdeführers – nach der Vernehmung zu seinen Personalien ausdrücklich die Bestellung eines Pflichtverteidigers, woraufhin der Richter zu Protokoll folgenden Beschluss fasste […]:
Dem Beschuldigten wird RA Höhne, Bautzen, für den heutigen Termin der Haftbefehlsverkündung als Pflichtverteidiger beigeordnet, weil der Beschuldigte die Beiordnung beantragt hat.

Im weiteren Terminsverlauf erklärte der Beschwerdeführer für den Angeklagten, dass zum Sachverhalt keine Angaben gemacht würden und auch keine Anträge gestellt würden, zudem äußerte sich der Beschwerdeführer für den Angeklagten zu der Frage, ob dieser die Ladung zum Hauptverhandlungstermin überhaupt erhalten habe. Nach einer weitergehenden Erklärung des Angeklagten selbst zu seinen persönlichen Verhältnissen hielt der Richter telefonisch Rücksprache mit der zuständigen richterlichen Dezernentin beim Amtsgericht Neuruppin und setzte sodann – zwar im Einvernehmen mit der zuständigen Richterin, jedoch gleichwohl unter offenkundiger Überschreitung seiner Entscheidungszuständigkeit nach § 115a Abs. 2 StPO – durch zu Protokoll genommenen Beschluss den Haftbefehl außer Vollzug.

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 17.08.2023 beim Amtsgericht Neuruppin die Festsetzung seiner Vergütung wie folgt beantragt […]:

– Grundgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4101 VV RVG) 216,00 Euro
– Verfahrensgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4107 VV RVG) 177,00 Euro
– Terminsgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4103 VV RVG) 183,00 Euro
– Auslagenpauschale (Nr. 7002 W RVG) 20,00 Euro
Zwischensumme: 596,00 Euro
– 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 113,24 Euro
Gesamtsumme: 709.24 Euro

Mit Beschluss vom 03.11.2023 […] hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts lediglich die geltend gemachte Terminsgebühr in Höhe von 183,00 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer von 34,77 Euro – mithin insgesamt 217,77 Euro – zu Gunsten des Beschwerdeführers festgesetzt und seinen Vergütungsantrag im Übrigen zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 09.11.2023 […] hat der Beschwerdeführer gegen diesen Beschluss Erinnerung eingelegt, welcher die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 28.11.2023 […] nicht abgeholfen hat. Die Strafrichterin hat die Erinnerung des Beschwerdeführers sodann mit Beschluss vom 15.12.2023 […] als unzulässig zurückgewiesen, allerdings ausweislich der Beschlussbegründung tatsächlich doch eine Sachentscheidung getroffen und darin anstelle der von der Rechtspflegerin festgesetzten Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG eine Einzeltätigkeitsgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG als entstanden angenommen, dies allerdings ohne diese mit 220,00 Euro (netto) bzw. 261,80 Euro (brutto) über dem bislang zugesprochenen Betrag liegende Vergütung nunmehr zu Gunsten des Beschwerdeführers festzusetzen. Gegen diesen ihm lediglich formlos übersandten und nach seinen Angaben erst am 05.01.2024 zugegangenen Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 05.01.2024 Beschwerde eingelegt […], mit welcher er seinen ursprünglichen Vergütungsantrag in voller Höhe weiterverfolgt. Die Strafrichterin hat dieser Beschwerde mit Verfügung vom 12.01.2024 […] nicht abgeholfen. Mit Stellungnahmeverfügung vom 23.01.2024 […] hat der Beschwerdegegner ausgeführt, dass er lediglich eine Einzeltätigkeitsgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG als festsetzungsfähig ansehe.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Gegen den richterlichen Beschluss vom 15.12.2023 über die Erinnerung vom 09.11.2023 ist die nunmehr namens des Beschwerdeführers eingelegte Beschwerde vom 05.01.2024 gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG als befristete Beschwerde statthaft. Der Beschwerdewert liegt über 200,00 Euro und auch die zweiwöchige Frist aus § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG seit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung ist eingehalten. Zuständig ist dabei die Kammer, nachdem der geschäftsplanmäßig zuständige Einzelrichter ihr das Verfahren gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG zur Entscheidung übertragen hat.

In der Sache ist die befristete Beschwerde auch überwiegend begründet, denn das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Unrecht eine Festsetzung der durch den Beschwerdeführer geltend gemachten Gebühren abgelehnt.

Ausgangspunkt der Prüfung der einem Pflichtverteidiger aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütung ist dabei stets die gerichtliche Bestellungsentscheidung. Enthält bereits der Bestellungsbeschluss als Grundentscheidung Einschränkungen der Pflichtverteidigerbestellung in zeitlicher, inhaltlicher oder gebührentechnischer Hinsicht, so obliegt es dem bestellten Pflichtverteidiger – so diese Einschränkungen als rechtswidrig und ihn selbst beschwerend ansieht – bereits die Bestellungsentscheidung selbst aus eigenem Recht mit dem in § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO eröffneten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anzufechten. Eine inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit von in die Bestellungsentscheidung aufgenommenen Beschränkungen erst im Vergütungsfestsetzungsverfahren scheidet hingegen aus.

Entgegen dem Dafürhalten des Amtsgerichts und des Beschwerdegegners ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall aus der im Bestellungsbeschluss vom 16.08.2023 vorgenommenen Beschränkung der Bestellung „für den heutigen Termin der Haftbefehlsverkündung“ gerade nicht, dass dem Beschwerdeführer für seine Tätigkeit lediglich die für den Termin angefallene Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG bzw. eine Einzeltätigkeitsgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG zustünde. So stellt eine allein in zeitlicher Hinsicht limitierte Pflichtverteidigerbestellung gleichwohl eine inhaltlich und gebührentechnisch vollumfängliche – wenn auch eben auf einen bestimmten Tätigkeitszeitraum beschränkte – Bestellung dar, weshalb auch der lediglich für einen bestimmten – sei es noch so kurzen – Zeitraum gerichtlich – sprich durch hoheitlichen Akt – bestellte Verteidiger vorbehaltlich des Hinzutretens besonderer Umstände sowohl berufsrechtlich als auch zivilrechtlich gegenüber seinem Mandanten zu einer umfassenden Führung der Verteidigung verpflichtet ist und daher die für die Einarbeitung in das Verfahren anfallende Grundgebühr, die für das jeweilige Verfahrensstadium vorgesehene Verfahrensgebühr sowie – falls in den Bestellungszeitraum wie hier eine Terminsteilnahme fällt – die entsprechende Terminsgebühr beanspruchen kann.

Die Kammer verkennt dabei nun keinesfalls, dass sich hierdurch häufig – und so auch hier – nicht unerhebliche Kosten für die Landeskasse bzw. letztendlich für den zumeist verfahrenskostenpflichtigen Angeklagten ergeben, und zugleich grundsätzlich ein legitimes Bedürfnis aller Verfahrensbeteiligten besteht, diese Mehrkosten so gut es geht zu vermeiden bzw. gering zu halten. Gerade die vorliegende Konstellation ist jedoch durch den Gesetzgeber im Rahmen der zum 13.12.2019 in Kraft getretenen Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung bereits erkannt und einer abschließenden Lösung zugeführt worden. So stellt nach dieser Neuregelung im Grundsatz auch eine gerichtliche Vorführung aufgrund eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO einen Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO dar, dies allerdings nach Maßgabe des § 141 Abs. 2 Satz 2 StPO mit der Einschränkung, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers in diesem Fall nur dann erfolgt, wenn der Angeklagte dies nach Belehrung – nicht zuletzt über die Kostenfolgen – ausdrücklich verlangt. Vorliegend hat der Angeklagte zu Beginn des Termins nun genau einen solchen Antrag gestellt mit der Konsequenz, dass ihm der hierfür nach § 142 Abs. 2 Nr. 3 StPO zuständige verkündende Richter materiell-rechtlich sogar ohne zeitliche Beschränkung einen Pflichtverteidiger hätte bestellen müssen und eine spätere Aufhebung der Bestellung nach § 143 Abs. 2 Satz 3 StPO – ebenso wie die hierfür erforderliche Außervollzugsetzung des Haftbefehls selbst – dem Amtsgericht Neuruppin oblegen hätte. Dass nun also aufgrund der hier erfolgten Pflichtverteidigerbestellung – ungeachtet der aus Sicht der Kammer ohnehin rechtsfehlerhaften zeitlichen Begrenzung der Bestellung – für den Beschwerdeführer die volle Verteidigervergütung in Gestalt von Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr anfällt und hierfür zunächst die Landeskasse und später gegebenenfalls der Angeklagte einzustehen haben, unterlag mithin nach der eindeutigen gesetzgeberischen Regelungskonzeption ganz bewusst der Disposition durch den Angeklagten und entspricht im Ergebnis exakt dem, was der Gesetzgeber als Folge einer Antragstellung des Angeklagten vorhergesehen und hingenommen hat.
Da dem Angeklagten vor der Bestellung des Beschwerdeführers sodann auch noch kein anderer Pflichtverteidiger bestellt war, lag auch von vornherein kein Fall einer bloßen „Terminsvertretung“ vor, bei welcher auch nach dem Dafürhalten der Kammer in Fällen der konsensualen Bestellung eines Pflichtverteidigers für einen bestimmten Termin – hier einen auswärtigen Hafttermin – anstelle des regulären Pflichtverteidigers eine Beschränkung des Vergütungsanspruchs des „Terminsvertreters“ auf die für den wahrgenommenen Termin anfallende Terminsgebühr in Betracht kommt (siehe hierzu den Beschluss der Kammer vom 25.03.2024 – Az. 11 Qs 76/23 – sowie den Beschluss der 2. großen Strafkammer vom 04.09.2023 – Az. 22 KLs 10/22 -).

Mit Blick auf die in der Bestellungsentscheidung ausdrückliche getätigte Bestellung des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger – sprich als Verteidiger – scheidet es schließlich entgegen dem Dafürhalten des Beschwerdegegners auch aus, dem Beschwerdeführer anstelle der vollen Verteidigervergütung in Gestalt von Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr lediglich eine Einzeltätigkeitsgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG zuzusprechen. Die von diesem Gebührentatbestand abgedeckte bloße Beistandsleistung stellt – begrifflich ebenso wie in der Sache – etwas kategorial völlig anderes als eine Verteidigung dar. für welche sich die anfallenden Gebühren im Erkenntnisverfahren nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nach Abschnitt 1 des Teils 4 der Anlage 1 zum RVG richten. So erschöpft sich eine Beistandsleistung für einen Beschuldigten durch einen Rechtsanwalt in einem Termin darin, dem Beschuldigten im Hinblick auf die unmittelbaren Verhaltenserfordernisse im Termin beratend zur Seite zu stehen und auf die Wahrung der prozessualen Rechte des Beschuldigten im Terminsablauf zu achten, und ist nicht nur in zeitlicher, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht auf den Termin begrenzt. Die Verteidigung hingegen weist – auch wenn sie nach Maßgabe einer gerichtlichen Bestellungsentscheidung wie hier zeitlich nur in einem einzelnen Termin erfolgt – inhaltlich regelmäßig über den Termin hinaus, da sie auf Basis einer Vorbereitung auf den Verfahrensgegenstand in der Sache und einer hieraus entwickelten Verteidigungsstrategie zu erfolgen und auf die Erreichung der mit dem Angeklagten abgesprochenen Verteidigungsziele hinzuwirken hat. Dementsprechend hat der Beschwerdeführer im hier in Rede stehenden Termin auch ganz typisches Verteidigerhandeln an den Tag gelegt, indem er erklärt hat, inwieweit der Angeklagte Angaben zur Sache bzw. zur Person tätigen wird und dass keine Anträge gestellt werden, insbesondere aber indem er argumentativ mittels eines Hinweises auf einen angeblich nicht erfolgten Ladungszugang die tatbestandlichen Grundlagen des Haftbefehls in Zweifel zu ziehen und hierdurch eine dem Angeklagten günstige richterliche Haftentscheidung herbeizuführen gesucht hat.

Da schließlich die für einen Pflichtverteidiger als gerichtlich bestellten Rechtsanwalt anfallenden Gebühren ihrer Höhe nach jeweils gesetzlich fixiert sind, kann der Beschwerdeführer seine Vergütung insoweit unabhängig von seinem tatsächlich vor, in, am Rande und im Nachgang des Termins betriebenen Verteidigungsaufwand – und damit im Ergebnis wie von ihm beantragt – beanspruchen. Dies gilt hingegen nicht für die von ihm geltend gemachte Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, nachdem der Beschwerdeführer nach Aktenlage ausschließlich in dem Termin vor dem Amtsgericht Bautzen für den Angeklagten aufgetreten ist und er außerhalb dieses Termins erfolgte Kommunikation mit dem Angeklagten oder Dritten nicht behauptet hat. Die dem Beschwerdeführer zustehende Vergütung berechnet sich nach alledem wie folgt:

– Grundgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4101 VV RVG) 216,00 Euro
– Verfahrensgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4107 VV RVG) 177,00 Euro
– Terminsgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4103 VV RVG) 183,00 Euro
Zwischensumme: 576,00 Euro
– 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 109,44 Euro
Gesamtsumme: 685,44 Euro

Die Gebührenfreiheit dieses Beschwerdeverfahrens sowie die Nichterstattung von Kosten ergeben sich aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG.

Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. 33 Abs. 6 Satz 1 RVG die weitere Beschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht zuzulassen, da die zur Entscheidung stehende Frage grundsätzliche Bedeutung hat. Die vorliegend entscheidungserhebliche Rechtsfrage, welche Gebühren ein ausweislich des jeweiligen Bestellungsbeschlusses ausdrücklich nur für einen bestimmten Tag bzw. einen bestimmten Termin bestellter Pflichtverteidiger beanspruchen kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten (siehe etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.02.2023 – 2 Ws 13/23 – m.w.N.), wobei die zu diesem Themenkreis im weiteren Sinne zuletzt veröffentlichte Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts – soweit ersichtlich – aus dem Jahr 2009 stammt (OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.08.2009 – 2 Ws 111/09 -) und mithin auf die Zeit vor den zum 13.12.2019 in Kraft getretenen umfangreichen Änderungen des Rechts der Pflichtverteidigung datiert.“

LG Neuruppin, Kammerbeschluss vom 25. März 2024 – 11 Qs 9/24

Ist eine vorzeitige Löschung einer Eintragung aus dem Führungszeugnis möglich?

Nach § 49 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) kann ein Antrag auf vorzeitige Löschung von Eintragungen aus dem Bundeszentralregister gestellt werden. Dies ist möglich, wenn die Vollstreckung der Verurteilung abgeschlossen ist und kein öffentliches Interesse der Tilgung entgegensteht. Weil das Führungszeugnis lediglich einen Ausschnitt aus dem Bundeszentralregister wiedergibt, wirkt sich eine Tilgung aus diesem Register auch auf das Führungszeugnis aus.

Allerdings ist eine vorzeitige Tilgung aus dem Führungszeugnis nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen möglich. Diese Ausnahme ist gegeben, wenn das Warten bis zum regulären Fristablauf für die betroffene Person eine unbillige Härte darstellen würde, die in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stößt. Eine solche vorzeitige Tilgung kommt beispielsweise nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 6. August 1987 – 1 V As 43/87) in Betracht, wenn das zugrunde liegende rechtskräftige Urteil offensichtliche, entscheidungserhebliche Fehler aufweist, die ohne weitere Prüfung klar erkennbar sind. Das Verfahren auf vorzeitige Tilgung einer Eintragung gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 BZRG dient jedoch nicht der Überprüfung der materiellen Richtigkeit einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung (Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. August 1987 – 1 V As 43/87).

Dem hingegen werden reine berufliche Nachteile, Probleme mit Aufenthaltsgenehmigungen oder Schwierigkeiten bei der Einbürgerung nicht als ausreichend erachtet, um einen Härtefall zu begründen und eine vorzeitige Löschung zu rechtfertigen. Es ist erforderlich, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine vorzeitige Löschung notwendig machen.

Die Entscheidung, ob das öffentliche Interesse dem persönlichen Interesse des Antragstellers an der Tilgung entgegensteht, liegt im Ermessen der Registerbehörde. Diese Entscheidung erfordert eine sorgfältige Prüfung, ob die vorzeitige Tilgung tatsächlich gerechtfertigt ist und ob die betroffene Person einen außergewöhnlichen Härtefall darstellt.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung heißt es hierzu beispielhaft:

„Das Bundesamt für Justiz als Registerbehörde (§ 1 Abs. 1 BZRG) kann gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 BZRG auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, dass die Eintragung einer rechtskräftigen Verurteilung entgegen den §§ 45, 46 BZRG zu tilgen ist, wenn die Vollstreckung erledigt ist und das öffentliche Interesse der Anordnung nicht entgegensteht.

Dabei ist das „öffentliche Interesse“ ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Die von der Registerbehörde zu treffende Entscheidung, ob das öffentliche Interesse dem Interesse des Antragstellers an der Tilgung entgegensteht, ist hingegen eine Ermessensentscheidung (vgl. Tolzmann, BZRG 5. Aufl., § 49 Rn. 14). Bei dieser Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass die vorzeitige Tilgung einer Eintragung nach § 49 Abs. 1 Satz 1 BZRG der schwerstwiegende und in der Regel endgültige Eingriff in den Registerbestand ist und daher außergewöhnlichen Fällen vorbehalten bleiben muss, in denen eine andere Handhabung für den Betroffenen eine unbillige, mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung unvereinbare und in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stoßende Härte darstellen würde (std. Rspr. des Kammergerichts, vgl. nur Senat Rpfleger 2015, 106, 110 = OLGSt BZRG § 49 Nr. 2 und Beschluss vom 3. Januar 2011 – 4 VAs 58/10 -, jeweils mwN; Tolzmann aaO, Rn. 15; Hase, BZRG 2. Aufl., § 49 Rn. 6).“

KG, Beschluss vom 10.08.2015 – 4 VAs 14/15

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es zwar möglich ist, einen Antrag auf vorzeitige Löschung einer Eintragung aus dem Führungszeugnis zu stellen, die Anforderungen dafür sind jedoch sehr hoch. Reine berufliche Nachteile reichen in der Regel nicht aus, um einen erfolgreichen Antrag zu stellen. Es sind besondere, außergewöhnliche Umstände erforderlich, die eine unbillige Härte darstellen. Der Antrag auf vorzeitige Löschung muss schriftlich beim Bundesamt für Justiz gestellt werden. Eine ausreichende Begründung mit detaillierter Darlegung der außergewöhnlichen Umstände ist zwingend erforderlich.

Ausnahme vom Regelfahrverbot, wenn ein Fahrzeug unter dem Einfluss von Alkohol nur wenige Meter im öffentlichen Verkehrsraum geführt wird.

Nach dem Beschluss des Landgerichts Görlitz vom 17.8.2021 (LG Görlitz, Beschluss vom 17.8.2021 – 3 Qs 148/21) liegt ein Ausnahmefall vom Regelfahrverbot vor, wenn ein Fahrzeug unter dem Einfluss von Alkohol nur wenige Meter im öffentlichen Verkehrsraum geführt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In dem Strafverfahren gegen
[…]
Verteidiger:
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Trunkenheit im Verkehr

ergeht am 17.08.2021
durch das Landgericht Görlitz – Strafkammer als Beschwerdekammer –

nachfolgende Entscheidung:

1.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bautzen vom 13. 7.2021 wird als unbegründet verworfen
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt

Gründe:

I.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Bautzen vom 30. 6. 2021 wurde dem Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 60,- € auferlegt. Unter Entziehung der Fahrerlaubnis und Einziehung des Führerscheins wurde die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von 11 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die Zustellung dieses Strafbefehls an den Angeklagten erfolgte am 9. 7. 2021. Der Angeklagte legte noch am selben Tag hiergegen Einspruch ein.

Der Angeklagte erklärte sich am 13. 5. 2021 gegenüber der Polizei mit der Sicherstellung seines Führerscheins einverstanden. Mit Schriftsatz vom 22. 6. 2021, beim Amtsgericht Bautzen eingegangen am 5. 7. 2021, widersprach er über seinen Verteidiger der weiteren Sicherstellung seines Führerscheins.

Mit Beschluss vom 13. 7. 2021 ordnete das Amtsgericht Bautzen die Herausgabe des Führerscheins an den Angeklagten an. Die Rückgabe des Führerscheins an den Angeklagten erfolgte am 14. 7. 2021.

Die Staatsanwaltschaft legte am 15. 7. 2021 beim Amtsgericht Bautzen eine als sofortige Beschwerde bezeichnete Beschwerde gegen den Beschluss vom 13. 7. 2021 ein.

Das Amtsgericht Bautzen hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

1.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. § 305 StPO steht dem nicht entgegen, denn gemäß § 305 S. 2 StPO unterliegen Entscheidungen über die vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis nicht dem Ausschluss der Beschwerde gegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte.

Polizei und Staatsanwaltschaft dürfen gemäß § 94 Abs. 1 und Abs. 3 StPO einen Führerschein sicherstellen bzw. beschlagnahmen. Auf den Antrag des von der Sicherstellung Betroffenen nach § 98 Abs. 2 S. 1 StPO entscheidet das Gericht nicht über die Zulässigkeit der Beschlagnahme nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO, sondern ordnet gemäß § 111 a Abs. 4 StPO die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis an oder lehnt sie ab.

2.
Das Gericht kann einem Angeklagten gemäß § 111 a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass ein Fahrerlaubnisentzug gemäß § 69 StGB angeordnet wird. Das erfordert einen dringenden Tatverdacht dahingehend, dass der Angeklagte für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erachtet wird. Bei der Norm des § 111 a StPO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung.

Im vorliegenden Verfahren besteht kein dringender Tatverdacht dahingehend, dass der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erachtet wird.

a)
Allerdings ist der Angeklagte dringend verdächtig, ein Kraftfahrzeug trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit im öffentlichen Straßenverkehr geführt zu haben, § 316 StGB.

Ausweislich der Fotos […] handelt es sich bei dem betreffenden Bereich um die von der öffentlichen Straße einsehbare Zufahrt zu gleich mehreren Hausgrundstücken. Die Hausgrundstücke W[…] Straße […] sind über diese Zufahrt erreichbar. Diese örtlichen Gegebenheiten belegen, dass dieser Bereich nicht nur vom Angeklagten und dessen Familie sowie Besuchern zu Parkzwecken benutzt wird, sondern auch von den weiteren Anwohnern der Hausgrundstücke und deren Gästen. Dieser Zufahrtsbereich steht also zumindest einer allgemein bestimmten Personengruppe zu Verkehrszwecken zur Verfügung. In einem solchen Fall ist öffentlicher Verkehrsraum gegeben ( BGH, NZV 1998, 418, zitiert nach juris, dort Rz. 2 ).

Ausweislich des Befundberichts der TU Dresden, Institut für Rechtsmedizin, vom 19. 5. 2021 belief sich die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten für den Zeitraum der Blutentnahme im Analysenmittelwert auf 1,91 Promille.

b)
Zwar ist der Täter gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in der Regel als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn die rechtswidrige Tat ein Vergehen der Trunkenheit im Verkehr ist. Der Regelfall ergibt sich aber nicht automatisch aus der Verwirklichung des Tatbestands des § 316 StGB. Eine Indizwirkung für die Ungeeignetheit eines Kraftfahrers liegt bei Verwirklichung des § 316 StGB nur insoweit vor, als dieser nach seiner Persönlichkeit dem Durchschnitt der Kraftfahrer entspricht und die Tat gegenüber der Masse der vorkommenden entsprechenden Taten keine wesentlichen Besonderheiten aufweist. Liegen hingegen Besonderheiten in der Person des Täters, der Tat oder in der Nachtatsituation vor, die einen so wesentlichen Unterschied von dem Durchschnittsfall kennzeichnen, dass sie eine Ausnahme von der Regel rechtfertigen können, ist von der Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen (OLG Düsseldorf, VRS 74, 259, zitiert nach juris, dort Rz. 9 ). Ein solcher Ausnahmefall, der die Anordnung der Maßregel entbehrlich machen kann, kann dann vorliegen, wenn der Täter sein Fahrzeug nur ein kurzes Stück bewegt, um einen verkehrsstörenden Zustand zu beseitigen (OLG Hamburg, VRS 8, 290; OLG Braunschweig, NdsRPfl 1969, 214; OLG Düsseldorf, a. a. O., bei juris Rz. 15 ). Es müssen Umstände vorliegen, die sich von den Tatumständen des Durchschnittsfalls deutlich abheben ( OLG Stuttgart, NStZ-RR 1997, 178; zitiert nach juris, dort Rz. 32 ).

Ein derartiger Ausnahmefall ist trotz der hohen Alkoholisierung des Angeklagten nach der Rechtsauffassung der Kammer gegeben. Der Angeklagte wollte mit seinem PKW nur vom Anwesen W[…] Straße […] zum Hausgrundstück W[…] Straße […] fahren (vgl. Skizze […]) bzw. nach dem Zusammenstoß mit dem Taxi sein Auto ein Stück weit zurücksetzen. Er legte dabei nur wenige Meter im öffentlichen Verkehrsraum zurück. Diese Fahrt ereignete sich darüber hinaus in einem Verkehrsbereich, der nur von den drei Anliegern und Besuchern
der dort befindlichen Wohngrundstücke genutzt wird. Hinzu kommt noch, dass sich die Tat mitten in der Nacht ereignete und zu diesem Zeitpunkt mit noch geringerem Verkehr als tagsüber zu rechnen war. Bei dieser Sachlage ist wohl von der Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen. Jedenfalls besteht kein dringender Tatverdacht dahingehend, dass der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erachtet wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 StPO.“

LG Görlitz, Beschluss vom 17.8.2021 – 3 Qs 148/21

Beschwerdeverfahren zu AG Bautzen, Beschluss vom 13.7.2021 – 46 Cs 620 Js 13055/21

Wahrscheinlichkeit des Entzugs der Fahrerlaubnis als Voraussetzung für eine vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis und Ausnahme vom Regelfahrverbot

Nach dem Beschluss des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Beschluss vom 13.07.2021 – 46 Cs 620 Js 13055/21) erfordert die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Gericht der Hauptsache den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten wird, mithin mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Regelbelspiel des § 69 Abs. 2 StGB erfüllt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In dem Strafverfahren gegen
[…]
Verteidiger:
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Trunkenheit im Verkehr

ergeht am 13.07.2021
durch das Amtsgericht Bautzen – Strafrichter-

nachfolgende Entscheidung:

Der Führerschein wird an den Angeklagten herausgegeben.

Gründe

Der Führerschein ist an den Angeklagten herauszugeben, weil die Voraussetzungen seiner Sicherstellung nicht mehr vorliegen, nachdem der Angeklagte dieser mit Schriftsatz seines
Verteidigers widersprochen hat […].

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme des Führerscheins gemäß § 111a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StPO waren nicht anzuordnen. Denn es sind nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen keine dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erfordert einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Gericht der Hauptsache den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten wird, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Regelbelspiel des § 69 Abs. 2 StGB erfüllt, bedarf es keiner weiteren Prüfung, wenn sich nicht wichtige Gegengründe aufdrängen (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 111a Rn. 2). Der Begriff der Ungeeignetheit beschreibt eine nicht nur ganz vorübergehende Eigenschaft des Beschuldigten. Sie liegt vor, wenn eine Würdigung seiner körperlichen, geistigen und charakterlichen Voraussetzungen und die sie wesentlich bestimmenden objektiven und subjektiven Umstände ergeben, dass die Teilnahme des Beschuldigten am Kraftfahrzeugverkehr zu einer nicht hinnehmbaren Gefährdung der Verkehrssicherheit führen würde (Fischer. StGB, 68. Aufl. 2021, §69 Rn, 14).

Bei Würdigung des gegenwärtigen Ermittlungsergebnisses, insbesondere der Einlassung des Angeklagten, besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit mehr dafür, dass der Angeklagte das Regelbeispiel des §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 316 Abs, 1 StGB verwirklicht hat, indem er im Verkehr ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, bzw. dafür, dass die sich hieraus ergebende Regelvermutung nicht widerlegt wird. Für die rechtliche Beurteilung muss dabei zwischen drei Verkehrsvorgängen unterschieden werden, die sich nach Würdigung insbesondere der Aussage des Zeugen St[…] und der Einlassung des Angeklagten wahrscheinlich er eignet haben: dem Umparken des Fahrzeugs auf dem Grundstück […] dem Hinabfahren des Fahrzeugs auf die Fahrbahn der […] Straße und dessen sich an schließendem Zurücksetzen.

1.
Der Angeklagte erfüllte den Tatbestand des § 316 Abs, 1 StGB nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit, als er sein Kraftfahrzeug umparkte. Denn hierbei handelte es sich nicht um einen Vorgang „im Verkehr“ im Sinne des § 316 Abs, 1 StGB.

Verkehr im Sinne dieser Norm ist der der Fortbewegung dienende Verkehr von Fahrzeugen und Fußgängern auf allen Wegen, Plätzen, Durchgängen und Brücken, die jedermann oder wenigstens allgemein bestimmten Gruppen von Benutzern, wenn auch nur vorübergehend oder gegen Gebühr zur Verfügung stehen. Bei in privatem Eigentum stehendem Gelände reicht es aus, wenn dieses zumindest konkludent und zeitweise für den Verkehr freigegeben ist (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 315b Rn. 3).

Das Umparken des Kraftfahrzeugs fand nicht im Verkehr in diesem Sinn statt. Der gesamte Vorgang ereignete sich auf dem privaten Grundstück […]. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dessen Nutzung auch nur zeitweise für eine wenigstens nach allgemeinen Kriterien bestimmbare Gruppe von Verkehrsteilnehmer und nicht nur Individuelle, freigegeben war. Anhand der Lichtbilder […] ist vielmehr zu ersehen, dass dieses deutlich vom öffentlichen Verkehrsraum abgegrenzt ist und nur durch einen steilen Schotterweg mit der Fahrbahn verbunden ist.

2.
Es besteht auch keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB verwirklicht hat, als sein Fahrzeug diesen Schotterweg hinunterfuhr und mit dem auf der Fahrbahn stehenden Taxi kollidierte.

Zwar befand sich das Fahrzeug mit dem Erreichen der Fahrbahn im Verkehr. Es bestehen aber keine dringenden Gründe für die Annahme, dass der Angeklagte das Fahrzeug geführt hat. Ein Fahrzeug führt, wer es in Bewegung setzt oder es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung lenkt. Hierzu genügt auch das Lenken eines ohne Motorkraft rollenden Fahrzeugs (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 315cb Rn. 3a).

Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass das Fahrzeug den Hang hinunter gerollt sei, nachdem er dieses verlassen habe; er habe vergessen, die Handbremse anzuziehen […]. Dies genügt nicht für ein Führen, weil das Fahrzeug hierbei weder durch den Angeklagten in Bewegung gesetzt noch gelenkt worden wäre.

Es besteht nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich diese Einlassung widerlegen lässt. Es gibt kein Beweismittel, welches dem Akteninhalt zufolge belegt, dass sich der Angeklagte überhaupt im Fahrzeug befand, als dieses den Hang hinunter rollte und mit dem Taxi kollidierte. Der Zeuge St[…] hat insoweit lediglich ausgesagt, dass Fahrzeug des Angeklagten sei seitlich auf sein Taxi zugefahren […], was mit der Schilderung des Angeklagten vereinbar ist. Ebenso hat er angegeben, dass der Angeklagte bereits nach der Kollision geäußert haben soll, er habe vergessen, die Handbremse anzuziehen. Dass das Fahrzeug aufgrund der Schwerkraft selbstständig den Hang hinunterrollte, ist aufgrund der örtlichen Gegebenheit des Unfallorts, wie sie sich auf den Lichtbildern darstellt […] ohne Weiteres möglich.

Soweit im Ermittlungsvermerk der Polizei hingegen ausgeführt wird, der Angeklagte habe mit seinem Fahrzeug auf das Grundstück […] fahren wollen […], ergibt sich hieraus allein keine hohe Wahrscheinlichkeit für einen solchen Geschehensablauf. Denn nach der Aktenlage bleibt unklar, wie die Polizeibeamten, die bei der Kollision nicht anwesend waren, zu dieser Erkenntnis gelangt sind. Es liegt nahe, dass es sich um eine bloße Schlussfolgerung handelt.

3.
Auch dass der Angeklagte nach der Kollision sein sich auf der Fahrbahn befindendes Fahrzeug zurücksetzte (s. Aussage des Zeugen St[…]), begründet keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Gericht ihn als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ansehen wird.

Zwar erfüllt dieses Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB. Denn auf der Fahrbahn befand sich das Fahrzeug im Verkehr und im Zurückfahren durch den mit großer Wahrscheinlichkeit absolut fahruntüchtigen Angeklagten lag ein Führen des Fahrzeuges.

Allerdings liegt nach dem Stand der Ermittlungen nahe, dass das Gericht in der Hauptsache von einem atypischen Fall ausgehen wird, in dem die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht eintritt. Denn es liegen besondere Umstände vor, die sowohl die Motivlage als auch das objektive Tatgeschehen betreffen und aufgrund einer Gesamtwürdigung die Indizwirkung des § 316 Abs. 1 StGB wahrscheinlich widerlegen. Denn die Regelvermutung kann entfallen, wenn der Täter das Fahrzeug lediglich auf ganz kurzer Strecke in der Absicht bewegt, einen verkehrsstörenden Zustand zu beseitigen (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 69 Rn. 26). Ein solches Geschehen erscheint im vorliegenden Einzelfall konkret möglich. Denn der Angeklagte ist lediglich eine äußerst kurze Strecke gefahren, in dem er das Fahrzeug von der Fahrbahn auf sein Grundstück zurücksetzte. Anlass war der Aussage des Zeugen St[…] zufolge […] seine Bitte, das Fahrzeug aus der Kollisionsendstellung herauszubewegen.

Ob hierdurch die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB entkräftet wird, kann endgültig nur aufgrund einer Gesamtwürdigung geklärt werden, für welche es der besseren Erkenntnismöglichkeiten der Hauptverhandlung bedarf. Auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten und des sonstigen Akteninhalts kann gegenwärtig aber nicht von einer hohen Wahrscheinlichkeit des Gegenteils ausgegangen werden.

4.
Es sind auch keine sonstigen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Gericht den Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansehen wird.“

AG Bautzen, Beschluss vom 13.07.2021 – 46 Cs 620 Js 13055/21

Beschwerdeverfahren: LG Görlitz, Beschluss vom 17.8.2021 – 3 Qs 148/21

Wechselwirkung zwischen zivilrechtlichen Anerkenntnisurteil und strafrechtlicher Einziehungsanordnung

Durch das Amtsgericht Dresden erfolgten im Hinweisbeschluss (AG Dresden, Beschluss vom 29.5.2019 – 114 C 4821/16) Ausführungen zur Wechselwirkung zwischen einem zivilrechtlichen Anerkenntnisurteil und einer strafrechtlichen Einziehungsanordnung zur Klärung der Frage, ob nach einem Erlass eines Anerkenntnisurteils in einem Zivilprozess nach einem vorangegangenen, rechtskräftigen Strafbefehl mit einer Einziehungsanordnung die Gefahr besteht, dass der Beklagte und zugleich im Strafverfahren Verurteilte sodann zweimal die den Schadensbetrag zurückzuerstatten hat.

Aus den Entscheidungsgründen:

1.
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass dem Erlass eines Anerkenntnisurteils ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, welches auch bei Erlass eines Anerkenntnisurteils als Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen ist, nicht entgegenstehen dürfte.

2.
Das Amtsgericht Dresden hat […] gegen die Beklagte einen Strafbefehl wegen versuchten Betruges gemäß der §§ 263 Abs. 1 und 2, 22, 23 StGB erlassen und neben einer Geldstrafe auch gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c StGB die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 4.811,93 EUR angeordnet.
Der Einziehung liegt ein Sachverhalt zugrunde, dass die Beklagte bewusst wahrheitswidrig den hier streitgegenständlichen Darlehensvertrag in Abrede gestellt hat, um ein klageabweisendes Urteil zu bewirken und somit sich die Rückzahlung der restlichen Darlehensvaluta in Höhe von 4.811,93 EUR gegenüber ihrer Großmutter zu ersparen.
Der Strafbefehl ist unstreitig rechtskräftig.

3.
Mit Schreiben vom 17.05.2019 hat nunmehr die Beklagte in dem vorliegenden Zivilrechtsstreit die Zahlungsforderung der Klägerin „insoweit“ anerkannt und hiermit Erledigung des Rechtsstreites erklärt. Die Klägerin hat daraufhin mit Schreiben vom 21.05.2019 um den Erlass eines Anerkenntnisurteiis gemäß § 307 ZPO ersucht.

4.
Gemäß § 459h Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 459k und 459l StPO kann der Verletzte mit der Rechtskraft der Einziehungsanordnung seine Befriedigung aus dem eingezogenen Wertersatz verlangen.
Grundsätzlich stellt sich im Rahmen des § 73 Abs. 1 StGB die Frage nach Bestehen oder Nichtbestehen eines etwaigen Anspruchs des Verletzten gegen den Täter nicht. Mit der Einziehung soll dem Täter das durch eine rechtswidrige Tat Erlangte wieder genommen werden.
Abzuschöpfen ist jeder der Vermögenswert, den der Täter durch die rechtswidrige Tat erlangt hat, also alles, was dem Täter aus seiner Tat unmittelbar messbar zugute gekommen ist. Dabei erstreckt sich die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB dem Umfang nach nur grundsätzlich auf das unmittelbar erlangte Etwas, nicht auf etwaige Nebenforderungen, wie hier den Zinsanspruch und die Rechtsanwaltskosten (vgl. OLG München, Urteil vom 20.07.2018, Aktenzeichen; 5 OLG 15 Ss 96/18, Rn. 17 ff.).
Nach § 73 StGB ist die Einziehung des Wertersatzes allerdings ausgeschlossen, wenn der Anspruch des Verletzten aus der Tat auf Rückgewährung des Ersatzes des Wertes des Erlangten erloschen ist. Das Verbot der Einziehung im Fall des Erlöschens besteht jedoch nur bis zum Abschluss des Erkenntnisverfahrens. Nach Eintritt der Rechtskraft der Anordnung der staatlichen Einziehung des Wertersatzes richtet sich das Schicksal der Anordnung der Einziehung nach dem einschlägigen Recht der Strafvollstreckung gemäß der §§ 459g ff. StPO.

5.
Gemäß § 459h Abs. 2 StPO ist der Gegenwert der Einziehung an den Verletzten auszukehren, dem ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten aus der Tat erwachsen ist. „Die Kosten der Rechtsverfolgung und die Verzugszinsen bleiben damit ebenso außer Betracht vwe etwaige Schmerzensgeldansprüche.“ (Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Auflage 2019, § 459h, Rn. 4)
Gemäß § 459j Abs. 1 StPO hat der Verletzte seinen Anspruch auf Rückübertragung oder Herausgabe binnen 6 Monaten nach der Mitteilung der Rechtskraft der Einziehungsanordnung bei der Vollstreckungsbehörde anzumelden. Jedoch kann der Verletzte gemäß § 459j Abs. 5 StPO unbeschadet des Verfahrens nach Abs. 1 seinen
Anspruch auf Rückübertragung oder Herausgabe nach § 459h Abs. 1 StPO geltend machen, indem er ein vollstreckbares Endurteil i.S.d. § 704 der Zivilprozessordnung oder einen anderen Vollstreckungstitel i.S.d., § 794 der Zivilprozessordnung vorlegt, aus dem sich der geltend gemachte Anspruch ergibt.
§ 459j StPO räumt daher dem Verletzten zwei Möglichkeiten der Geltendmachung seines Anspruches auf Herausgabe des eingezogenen Geldbetrages wahlweise ein. Entweder in Form eines sogenannten „Zivilprozess-Light“ (Mansdörfer, jM 2017, 122, 127), wobei dieser Anspruch innerhalb von 6 Monaten nach Zugang der Mitteilung nach § 459i StPO geltend gemacht werden muss, oder auch nach Ablauf der Frist durch Vorlage eines rechtskräftigen vollstreckbaren Titels, hier Anerkenntnisurteil oder Endurteil.
Bereits daraus ergibt sich, dass, auch wenn man dem Strafverfahren Vorrang vor dem Zivilverfahren einräumen wollte, grundsätzlich seitens des Verletzten ein Rechtsschutzinteresse daran besteht, einen vollstreckbaren zivilrechtlichen Titel zu erwerben, um auch nach dieser Frist noch den Anspruch geltend zu machen.

6.
Die Gefahr einer Doppelbeiastung des Betroffenen, hier der Beklagten, dürfte nicht bestehen.
Insofern kann sich der Betroffene auf eine etwaige Entreicherung im Vollstreckungsverfahren nach § 459g Abs. 5 StPO berufen, sofern er aufgrund des zivilrechtlichen Vollstreckungstitels an den Geschädigten leistet.
Umgekehrt kann sich der Betroffene auch gegenüber dem Verletzten im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage auf eine Leistung von Wertersatz an die Strafvollstreckungsbehörde berufen, wobei der Geschädigte dann aufgrund des rechtskräftigen zivilrechtlichen Vollstreckungstitels Herausgabe dieses Betrages an sich selbst von der Volistreckungsbehörde beanspruchen kann.

7.
Zudem ist zu bedenken, dass sich die Einziehung nur auf dasjenige bezieht, was der Betroffene aus der Tat oder aufgrund der Tat erhalten hat.
Konkret bedeutet dies hier, dass die Einziehung sich auf den Vermögensvorteil bezieht, welchen die Beklagte aus dem versuchten Betrug zu erzielen beabsichtigte. Insofern beträfe dies hier einen deliktischen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 263, 22, 23 StGB.
Streitgegenständlich ist hier jedoch nicht ein deliktischer Schadensersatzanspruch der Klägerin, sondern ein vertraglicher Anspruch aus einem Darlehensvertrag. Dieser vertragliche Anspruch wird von der strafrechtlichen Einziehung nicht umfasst. Allerdings hat sich die Klägerin selbstverständlich auch das gegenrechnen zu lassen, was sie über die Einziehung von der Strafvollstreckungsbehörde ausgezahlt bekommt.

8.
Das Gericht beabsichtigt daher, entsprechend dem Anerkenntnis der Beklagten gegen die Beklagte ein Anerkenntnisurteil zu erlassen.“

AG Dresden, Beschluss vom 29.5.2019 – 114 C 4821/16

Keine Versagung der Auslagenerstattung des Betroffenen bei einer Einstellung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung

Durch das Landgericht Hildesheim (LG Hildesheim, Beschluss vom 9.8.2018 – 26 Qs 56/18) wurde entschieden, dass dem Betroffenen die Erstattung der ihm entstandenen Auslagen grundsätzlich nicht versagt werden darf, wenn das Ordnungswidrigkeitenverfahren ohne die Durchführung einer Hauptverhandlung eingestellt wird.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

Beschluss

In dem Bußgeldverfahren

gegen: […],

Verteidiger: Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Bautzen,

hat die Strafkammer 16 – als 6. Kammer für Bußgeldsachen – des Landgerichts Hildesheim auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 09.07.2018, bei Gericht eingegangen am 11.07.2018, gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.07.2018 (75 OWi 32 Js 9675/18), der Staatsanwaltschaft zugestellt am 05.07.2018 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Landgericht […], des Richters am Landgericht […] und der Richterin […] am 09.08.2018 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung in dem Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.07.2018 (75 OWi 32 Js 9675/18) wird verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Betroffenen
insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse
zur Last.

Gründe:

I.

Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 59 km/h). Mit Bußgeldbescheid vom 07.09.2017, dem Betroffenen zugestellt am 13.09.2017, hat der Landkreis Gifhorn dem Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 240,00 € auferlegt sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Hiergegen hat der Betroffene über seinen Verteidiger rechtzeitig Einspruch eingelegt. Einlassungen zur Sache sind dahingehend erfolgt, dass der Betroffene im
Rahmen der Anhörung angab, der Fahrzeugführer gewesen zu sein. Den Verstoß gab er allerdings nicht zu.

Die Akten sind nach dem Einspruch vom 20.09.2017 und einem weiteren Schreiben des Verteidigers vom 04.10.2017 ohne erkennbaren Grund erst am 06.03.2018 an die Staatsanwaltschaft abgesandt worden, wo die Akten erst nach Verjährungseintritt am 08.03.2018 eingingen. Der Eingang der Akten bei Gericht war schließlich erst am 04.05.2018. Mit Beschluss vom 04.07.2018 (75 OWi 32 Js 9675/18) hat das Amtsgericht Gifhorn das Verfahren wegen Verjährungseintritts gemäß §§ 46 OWiG, 206 a StPO eingestellt und die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse auferlegt.

Mit Verfügung vom 09.07.2018 hat die Staatsanwaltschaft Hildesheim daraufhin sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung aus dem Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.07.2018 (75 OWI 32 Js 9675118) eingelegt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass von einer Auslagenerstattung abgesehen werden könne, wenn ein hinreichender Tatverdacht fortbestehe. Dies sei anhand der vorliegenden Beweismittel der Fall.

II.

Der als „Beschwerde“ bezeichnete Rechtsbehelf der Staatsanwaltschaft ist als das statthafte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anzusehen. Diese auf die Kostenentscheidung beschränkte sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat die notwendigen Auslagen des Betroffenen bei der Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß §§ 46 OWiG, 467 Abs.1 StPO zurecht der Landeskasse auferlegt hat.

1.
Grundsätzlich kann das Gericht nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO im Fall einer solchen Einstellung davon absehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen, wenn eine Verurteilung nur deshalb nicht erfolgt, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Dies erfordert eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist der Verdachtsgrad zu erörtern, bei welchem davon ausgegangen werden kann, dass eine Verurteilung nur aufgrund des Verfahrenshindernisses nicht erfolgt ist. In einem zweiten Schritt hat das Tatgericht sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob eine
Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ergehen kann (vgl. OLG Celle StraFo 2014, 438-440)

Die konkrete Situation, wann eine Verfolgung allein aufgrund des
Verfahrenshindernisses nicht erfolgt, ist in der Rechtsprechung umstritten. Nach einer Auffassung kommt eine Versagung der Auslagenerstattung nur dann in Betracht, wenn bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit eine Verurteilung zu erwarten gewesen wäre (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage 2013, § 467 Rn. 10a m.w.N.; vgl. u.a. BGH NJW 1995, 1297, 1301; OLG Celle wistra 2011, 239f.; OLG Hamm wistra 2006, 359). Nach einer anderen Auffassung in der Rechtsprechung ist eine Ermessensentscheidung hingegen schon dann eröffnet, wenn zur Zelt der Feststellung des Verfahrenshindernisses ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände vorliegen, die bei weiterer Hauptverhandlung eine Konkretisierung des Tatverdachts bis zur
Feststellung der Schuld in Frage stellen (vgl. OLG Celle StraFo 2014, 438-440
m.w.N.). Letztere Auffassung wird allerdings dann zur Anwendung gebracht, wenn eben schon eine Hauptverhandlung weitgehend fortgeschritten oder abgeschlossen ist. Für diese Auffassung ist im vorliegenden Fall daher schon nach den Grundgedanken der Strafprozessordnung kein Raum, weil eine Hauptverhandlung, in der der Betroffene Umstände, die einen Verstoß in Frage stellen könnten, vorbringen könnte, gar nicht stattgefunden hat.

Um eine tragfeste Aussage über Verdachtsgrad und die Schuld in Zweifel ziehende Umstände treffen zu können, muss wegen der mit einer belastenden Auslagenentscheidung verbundenen Feststellung und Zuweisung strafrechtlicher Schuld zuvor die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife, zumindest aber weitgehend genug für eine tragfeste Grundlage, durchgeführt worden sein. Vor Erreichen dieses Verfahrensstadiums ist von dieser Warte aus für eine Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kein Raum (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. Dezember 1991 – 2 BvR 1590/89 – NJW 1992, 1611). Dies ist schon allein deswegen nachvollziehbar, weil allein ein Akteninhalt nicht Grundlage einer Entscheidung über die Schuldfrage sein darf. Vielmehr sieht die Strafprozessordnung die Durchführung einer Hauptverhandlung für strafrechtliche Schuldfeststellungen vor. Diese Verfahrensgrundsätze gelten auch für Bußgeldverfahren. Ohne diese Grundsätze würde ein Betroffener, der von dem ihm zustehenden Schweigerecht Gebrauch machen möchte benachteiligt. Ein Betroffener, der dagegen aus freien Stücken zu seiner Verteidigung Umstände vorbringt, die eine Verurteilung unwahrscheinlich machen, wäre dagegen im Vorteil,
obwohl der schweigende Betroffene lediglich seine strafprozessualen Rechte wahrnimmt.

Vorliegend kann daher aufgrund des bisherigen Verfahrensgangs ohne eine
Hauptverhandlung somit gerade nicht die Prognose getroffen werden, dass der Betroffene ohne das Vorliegen des Verfahrenshindernisses mit  Sicherheit verurteilt worden wäre. Eine separate Beweiserhebung im Rahmen des Verfahrens über die Kosten verbietet sich (BVerfG NJW 1991, 829).

2.
Doch selbst wenn man die Meinung vertreten würde, § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO wäre vorliegend anwendbar, so käme auch im Rahmen der nunmehr
durchzuführenden Ermessensentscheidung ein Absehen von der Auslagenerstattung nicht in Betracht. Das Gericht hätte nämlich dann zu prüfen, ob auf Grund besonderer Umstände die Belastung der Landeskasse mit den Auslagen des Betroffenen als unbillig erscheint. In der voraussichtlichen Verurteilung des Betroffenen und der zugrunde liegenden Tat dürfen derartige besondere Umstände aber allein nicht gesehen werden.

Es ist umstritten, ob regelmäßig ein vorwerfbares prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen hinzutreten muss (so z.B. Meyer-Goßner. StPO, 56. Auflage 2013, § 467 Rn. 18 aE; Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage 2013, § 467 Rn. 10b mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; andere Ansicht OLG Gelle StraFo 2014, 438 – 440). Wenngleich dieses hier nicht gegeben war, kann dies auch dahinstehen, weil es schon nicht unbillig ist, die Landeskasse mit den Auslagen des
Betroffenen zu belasten.

Vorliegend beruht das Verfahrenshindernis auf einer Verzögerung des Verfahrens durch den Landkreis Gifhorn. Eine Verurteilungswahrscheinlichkeit ergibt sich insbesondere nicht schon durch die Einräumung der Fahrzeugführereigenschaft des Betroffenen. Hierfür wäre vielmehr auch die Feststellung einer ordnungsgemäßen
Messung erforderlich, was durch den Betroffenen in einem umfangreichen
Schriftsatz angegriffen wurde. Wenngleich in dem Bußgeldverfahren durch das standardisierte Messverfahren grundsätzlich vereinfachte Verfahrensgrundsätze gelten, so würde – wie bereits oben ausgeführt – eine Umgehung der Notwendigkeit einer Hauptverhandlung jedenfalls der Unschuldsvermutung entgegenstehen.

3.
Die Entscheidung über die Kosten- und Auslagen im Beschwerdeverfahren beruht auf § 473 Abs. 1, 2 StPO. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 310 Abs. 2 StPO).“

LG Hildesheim, Beschluss vom 9.8.2018 – 26 Qs 56/18

Fehlende Voraussetzung für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO nach 14 Monaten

Nach der Entscheidung des Landgerichts Dresden (LG Dresden, Beschluss vom 8.2.2017 – 15 Qs 12/17) liegen die Voraussetzungen des § 111a StPO für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach 14 Monaten ab dem Tatzeitpunkt nicht mehr vor.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

BESCHLUSS

in dem Strafverfahren gegen

[…],

Verteidiger:
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Widerstands gg. Vollstreckungsbeamte u. a.

ergeht am 08.02.2017

durch das Landgericht Dresden – Strafkammer als Beschwerdekammer –

nachfolgende Entscheidung:

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 23.01.2017 (24 Cs 152 Js 3244/16).

aufgehoben.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis lagen am 23.01.2017 nicht mehr vor.
Bei § 111 a StPO handelt es sich um eine vorbeugende Eilmaßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren durch einen ungeeigneten Kraftfahrer.
Die vorläufige Entziehung längere Zeit nach der Tat durch Beschluss vom 23.01.2017 […] ist nur dann gerechtfertigt, wenn der für § 69 StGB maßgebliche Sachverhalt erst noch ausermittelt werden muss. Liegt die Anlasstat mehrere Monate zurück und sind mehrere Monate keine sachaufklärenden Ermittlungen geführt worden, scheidet die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in der Regel als unverhältnismäßig aus (so etwa Landgericht Leipzig, Beschluss vom 23.09.2014 -1 Qs 329/14, zitiert nach Juris).

Bei Anlegung dieses Maßstabes kann auch im vorliegenden Einzelfall – bei dem es sich insbesondere nicht um einen Regelfall nach § 69 Abs. 2 StGB handelt – der am Ende der Hauptverhandlung verkündete Beschluss keinen Bestand haben. Der für Strafbefehl und Hauptverhandlung maßgebliche Sachverhalt war bereits im Dezember 2015 ausermittelt. Die Anlasstat ist vor 14 Monaten begangen worden. Der Angeklagte hat sich seitdem im Kraftverkehr bewegt, ohne dass es zu Auffälligkeiten gekommen ist. Zusätzliche Erkenntnisse, die die charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen betreffen, hat die Hauptverhandlung, soweit dies dem Protokoll zu entnehmen ist, nicht erbracht.

Es sind auch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich, die die Gefahr der Wiederholung der Tat begründen könnten.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 467 StPO analog.“

LG Dresden, Beschluss vom 8.2.2017 – 15 Qs 12/17

Bei Zustellung eines Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO, welches noch keine Entscheidungsgründe enthält, können die Entscheidungsgründe durch das Gericht nicht nachgeholt werden

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden (OLG Dresden, Beschluss vom 29.6.2016 – OLG 23 Ss 398/16 (B)) können bei einer Zustellung eines Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO, welches noch keine Entscheidungsgründe enthält, die Entscheidungsgründe durch das Gericht nicht nachgeholt werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

gegen[…]

Verteidiger:
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der Bußgeldsenat – der Einzelrichter – des Oberlandesgerichts Dresden am 29.06.2016

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 23. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgerichts Zittau zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Urteil vom 23. Februar 2016 hat das Amtsgericht Zittau den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 160,00 € verurteilt sowie ein Fahrverbot gegen Ihn für die Dauer von einem Monat verhängt.

Hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit der Verfahrens- sowie der Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Das angefochtene Urteil war auf die Sachrüge aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Zittau zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Stellungnahme vom 22. Juni 2016 hierzu wie folgt ausgeführt:

„Das Amtsgericht Zittau hat den Betroffenen am 23. Februar 2016 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h zu einer Geldbuße von 160,00 EUR verurteilt. Gleichzeitig verhängte das Amtsgericht gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat und ordnete an, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten nach Ein tritt der Rechtskraft.

Mit Verfügung vom selben Tag übersandte der erkennende Richter die Akten an die Staatsanwaltschaft Görlitz zur Zustellung gemäß § 41 StPO. Aus dem zu diesem Zeitpunkt in den Akten befindlichen und vom Richter unterzeichneten Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich der vollständige Urteilstenor des am 23. Februar 2016 verkündeten Urteils.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Zittau legte der Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 24. Februar 2016, eingegangen beim Amtsgericht Zittau am selben Tag, Rechtsbeschwerde ein.

Am 17. März 2016 brachte das Amtsgericht ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten und verfügte zugleich dessen Zustellung an den Betroffenen sowie dessen Verteidiger. […] Der Verteidiger des Betroffenen begründete die Rechtsbeschwerde […]. Der Betroffene rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – vorläufigen – Erfolg, weil das der Staatsanwaltschaft gemäß richterlicher Verfügung vom 23. Februar 2016 zugestellte Urteil entgegen § 71 OWiG i. V. m. § 267 StPO keine Gründe aufgewiesen hat und damit dem Rechtsbeschwerdegericht eine materiell-rechtliche Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt ist. Eine Ergänzung durch die am 17. März 2016 zu den Akten gebrachten schriftlichen Urteilsgründe war vorliegend unzulässig. 

1.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge hin zu prüfen, ob nach der am 23. Februar 2016 erfolgten Zustellung eines Urteils ohne Gründe an die Staatsanwaltschaft die Fertigung der am 17. März 2016 und damit innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe zulässig war – ohne dass es einer entsprechenden Verfahrensrüge bedarf –, weil von der Klärung dieser Frage abhängt, welcher Urteilstext auf die Sachrüge hin vom Rechtsbeschwerdegericht auf materiell-rechtliche Fehler überprüft werden soll (OLG Bamberg, ZfS 2006, 592; OLG Köln, VRS 63, 460; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2004, 121; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Mai 2016 – 23 Ss 223/16 [B]). 

2.

Im Bußgeldverfahren ist, wie auch im Strafverfahren, unabhängig von der Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO die nachträgliche Ergänzung eines nicht mit Gründen versehenen, also abgekürzten Urteils bzw. die nachträgliche Fertigung schriftlicher Urteilsgründe grundsätzlich unzulässig, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist; dieser Grundsatz gilt nur dann nicht, wenn das Gesetz entsprechende Ausnahmen zulässt (vgl. BGHSt 43, 23; BayObLG ZfS 2004, 382; OLG Bamberg a.aO.; OLG Brandenburg, a.a.O.).

Für das Bußgeldverfahren regelt § 77 b OWiG, unter welchen Voraussetzungen eine schriftliche Begründung des Urteils nachträglich zu den Akten gebracht werden kann. 

3.

Im vorliegenden Fall hat auf Veranlassung des Tatrichters ein nicht mit Gründen versehenes, also abgekürztes Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen, ohne dass die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG gegeben waren.

a)

Mit der in der Verfügung vom 23. Februar 2016 getroffenen Anordnung der Übersendung der Akten mit Hauptverhandlungsprotokoll und unterzeichnetem Urteilsformular an die Staatsanwaltschaft zur Zustellung gemäß § 41 StPO hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe eines Urteils In eben dieser, nicht mit Gründen versehenen Fassung entschieden (vgl. OLG Gelle, VRS 75, 461; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 212; OLG Brandenburg, a.aO.; OLG Bamberg, a.a.O.). Damit hat ein schriftliches Urteil ohne Gründe den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen hin in Erscheinung getreten. Da der Tatrichter das Hauptverhandlungsprotokoll mit dem unterzeichneten Urteil der Staatsanwaltschaft in der Urschrift ausdrücklich unter Berufung auf § 41 StPO und somit für den Empfänger eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.; BGHSt 58, 243). 

b)

Die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG für ein Absehen von Urteilsgründen waren bereits deswegen nicht gegeben, weil nicht alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet hatten, die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde für den Betroffenen noch nicht abgelaufen und ein Verzicht des Betroffenen gemäß § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG auch nicht entbehrlich war. Eine entsprechende Anwendung des § 77b OWiG kommt nach Sinn, Zweck und Regelungsgehalt dieser Norm vorliegend nicht zur Anwendung (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15. Januar 2009 – 3 Ss OWi 1610/08, 3 Ss OWi 1610/2008-, juris).

4.

Da somit die am 17. März 2016 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe unbeachtlich sind, das – maßgebliche – der Staatsanwaltschaft am 23. Februar 2016 zugegangene Urteil aber keine Gründe enthält, somit dem Rechtsbeschwerdegericht keine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler ermöglicht, unterliegt es allein deswegen der Aufhebung.“ 

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Bei Mitteilung des toleranzbereinigten Messwertes ist es jedenfalls tunlich, auch die Höhe des konkret berücksichtigten Toleranzwertes mitzuteilen.

Ein standardisiertes Messverfahren liegt nicht mehr vor, wenn bei Aufbau oder Bedienung gegen die Bedienungsanleitung oder Vorschriften der Bauartzulassung durch die PTB verstoßen wird. Sollte daher das Verbindungskabel zwischen Rechner und Bedieneinheit die mit der Gerätezulassung vorgeschriebene Länge von maximal drei Metern überschritten haben, so läge ein standardisiertes Messverfahren nicht mehr vor. Dies allein führt jedoch grundsätzlich nicht zu einem Verwertungsverbot des Messergebnisses. Vielmehr ist das dem Verfahren zugrundeliegende Messergebnis gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen zu überprüfen. Im Übrigen hat das Amtsgericht zutreffend auf eine Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 zu möglichen Auswirkungen der Kabellänge Bezug genommen. Insoweit ist obergerichtlich geklärt, dass es vor diesem Hintergrund nicht rechtsfehlerhaft ist, wenn das Amtsgericht sich aufgrund der Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 die Überzeugung davon verschafft, dass bei der hier Im Raum stehenden geringfügigen Überschreitung der Kabellänge kein Einfluss auf das Messergebnis zu erwarten ist (vgl. insoweit OLG Celle, Beschluss vom 21. April 2016, 2 Ss OWi 82/16).“

OLG Dresden, Beschluss vom 29.6.2016 – OLG 23 Ss 398/16 (B)