Rechtslage zur Bagatellgrenze bei Sachverständigengutachten zur Schadensregulierung

Das Amtsgericht Bautzen hat in seinem Urteil vom 7. Januar 2025 (Az. 20 C 532/23) entschieden, dass die Beauftragung eines Sachverständigen zur Schadensermittlung bei Verkehrsunfällen grundsätzlich gerechtfertigt ist, wenn der Schaden 750 Euro (alte Bundesländer) bzw. 500 Euro (neue Bundesländer) übersteigt. Im vorliegenden Fall betrugen die Gutachterkosten 951,17 Euro, was die Bagatellgrenze deutlich überschritt. Diese Grenze dient der Abgrenzung von unerheblichen Schäden, die kein Gutachten erfordern. Der Entscheidung liegt zugrunde, dass Laien oft die Komplexität von Schäden bei modernen Fahrzeugen nicht erkennen können, und somit Gutachten zur Schadensfeststellung als erforderlich gelten.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen durch

Richterin […]

ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495 a ZPO am 07.01.2025

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro Kfz-Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 287,98 Euro […] freizustellen.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der restlichen, nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 22,43 Euro freizustellen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 287,98 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Tatbestand entfällt gemäß § 313a ZPO.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung der Kosten des Sachverständigengutachtens aus §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 249 Abs. 2 Satz 1, 257 BGB, § 287 ZPO in Höhe von 287,98 Euro.

Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Trotz Abtretung bleibt die Klägerin bei etwaigen, offengelegten Sicherungsabtretungen bestimmter Forderungen an Dritte hinsichtlich dieser Forderungen aktivlegitimiert, soweit die Klägerin eine Leistung an den Sicherungsnehmer bzw. eine entsprechende Freistellung von diesen Forderungen fordert (vgl. Grüneberg/ Grüneberg in: BGB-Kommentar, 79. Auflage 2020, § 398 Rn. 24). So liegt es hier.

Die vollumfängliche Eintrittspflicht der Beklagten aus dem Verkehrsunfallereignis vom 07.08.2023 ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig. Zwischen den Parteien steht ausschließlich im Streit, ob die Klägerin einen Sachverständigen zur Schadensermittlung hätte beauftragen dürfen.

Die Kosten für ein Sachverständigengutachten in Höhe von 951,17 Euro gehören vorliegend zu den erstattungsfähigen Kosten.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind die Kosten des Sachverständigengutachtens stets zu ersetzen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Dies ist nach der Rechtsprechung stets der Fall, wenn es um die Feststellung des Schadensumfangs und/oder der Schadenshöhe geht, weil die Begutachtung in der Regel die Voraussetzung für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches ist. Dies gilt auch für den Fall, dass durch den Schädiger bereits ein Sachverständiger beauftragt wurde. In Kfz-Unfallsachen darf der Geschädigte bei Schäden von mehr als 750,00 Euro, in den neuen Bundesländern bei Schäden von mehr als 500,00 Euro einen Sachverständigen hinzuziehen. Nach einer zutreffenden Ansicht ist unabhängig von der Schadenshöhe nur dann von einem Bagatellschaden auszugehen, wenn durch das Schadensereignis für den Geschädigten als Laien ohne weiteres erkennbar ist, dass lediglich ein oberflächlicher Schaden eingetreten ist. Grundsätzlich sind sämtliche mit Vorlage der Rechnung eines Sachverständigen geltend gemachten Kosten für die Erstellung des Schadengutachtens zu erstatten. Zugleich genügt der Geschädigte durch Vorlage der Rechnung des Sachverständigen seiner Darlegungslast, da diese im Sinne des § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung der Schadenshöhe im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 28.02.2017 – VI ZR 76/16, juris; BGH, Urteil vom 30.11.2004 – VI ZR 365/03, juris; OLG Naumburg, Urteil vom 20.01.2006 – 4 U 49/05).

Für die Klägerin als Laiin war der durch den Anstoß gegen das Fahrzeug entstandene Schaden in seiner Gesamtheit nicht offensichtlich. Die Komplexität der Schadensbeurteilung an einem modernen Fahrzeug wie dem Mitsubishi Outlander, mit Erstzulassung vom 27.08.2021, übersteigt das Fachwissen eines Laien erheblich. Vor allem die im Frontbereich verlaufende Verkabelung sowie diverse Steuergeräte können durch den Anstoß ebenfalls Schaden nehmen, was zu Funktionsstörungen im Fahrzeug führen kann. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war daher nicht nur angemessen, sondern auch notwendig, um die vollständige und genaue Beurteilung des entstandenen Schadens zu gewährleisten.

Die Schadenshöhe von 823,09 € (netto) stellt auch keinen Bagatellschaden dar (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2004 – VI ZR 365/03, juris).

Die vorgenannten Gutachterkosten wurden durch die Klägerin bislang nicht an das Sachverständigenbüro gezahlt, sodass die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Freistellung von diesen Kosten hat.

2.
Die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Freistellung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 22,43 Euro.

[…]

Die vorgenannten außergerichtlichen Kosten wurden durch die Klägerin bislang nicht an die Rechtsanwaltskanzlei Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden gezahlt, so dass die Klägerin gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Freistellung von diesen aufgrund der gesetzlichen Regelung des RVG fälligen Forderungen hat.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

III.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

IV.

Die Berufung war nicht zuzulassen, weil keine Zulassungsgründe nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorliegen.

V.

Der Gebührenstreitwert entspricht dem wirtschaftlichen Interesse, das die Klägerin in der Hauptsache verfolgt.“

AG Bautzen, Urteil vom 7.1.2025 – 20 C 532/23

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