Blinken reicht nicht: Gericht stellt volle Haftung des Abbiegenden fest

Das Landgericht Görlitz Außenkammer Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23) hat in einem Urteil klargestellt, dass ein abbiegender, wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer die volle Haftung für einen Unfall trägt, selbst wenn der vorfahrtsberechtigte Fahrer den Blinker gesetzt hat. Im zugrunde liegenden Fall fuhr der Kläger auf einer Vorfahrtsstraße und signalisierte durch (unbewusstes) Blinken ein Abbiegen, setzte dieses jedoch nicht um. Die Unfallgegnerin, die abbiegen wollte, vertraute auf das Blinken und verursachte einen Unfall. Das Gericht stellte fest, dass das Setzen des Blinkers allein nicht ausreichend ist, um dem Wartepflichtigen das Vertrauen auf eine sichere Abbiegeaktion zu gewähren. Entscheidend ist, dass der Vorfahrtsberechtigte eindeutig abbiegt oder abbremst, um eine entsprechende Vertrauensgrundlage zu schaffen. Der Wartepflichtige bleibt in der Verantwortung, die Vorfahrt zu beachten und darf nicht allein auf den Blinker vertrauen.

Dieses Urteil verdeutlicht, dass das Blinken nur ein Indiz für das Abbiegen ist und keine verbindliche Zusicherung darstellt. Der Wartepflichtige muss weiterhin sicherstellen, dass der Vorfahrtsberechtigte tatsächlich abbiegt, bevor er selbst abbiegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richter am Landgericht […] als Einzelrichter

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19.06.2024 am 24.07.2024

für Recht erkannt:

1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Görlitz – Außenkammern Bautzen – vom 02.11.2023 – Az. 6 O 65/23 – bleibt aufrechterhalten.

2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.

[…]

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 09.12.2022 gegen 9:45 Uhr in Anspruch.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Kia Venga […] in Bautzen die Stieberstraße Richtung Dr.-Peter-Jordan-Straße. Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs Ford Kuga […] befuhr die Goethestraße und wollte nach rechts in die Stieberstraße einbiegen. Beide Fahrzeuge kollidierten im Einmündungsbereich. Die Stieberstraße ist mit dem Verkehrsschild: „Vorfahrtsstraße“ ausgestattet. An der Einmündung der Goethestraße zur Stieberstraße steht das Verkehrsschild „Vorfahrt gewähren“.

Der Kläger behauptet, er sei auf der vorfahrtsberechtigten Straße gefahren. Soweit er aufgrund vorher abknickenden Vorfahrt seinen Blinker noch angehabt hätte, hätte dies die Fahrerin des Ford Kuga erkannt, aber nicht auf die Abbiegeabsicht vertrauen dürfen, da er keine Geschwindigkeitsverzögerung vorgenommen habe.

[…]

Die Beklagte behauptet, die Fahrerin des Ford Kuga habe sich mit dem von ihr gesteuerten
Fahrzeug der Kreuzung Goethestraße/ Stieberstraße genähert und sei bis zur Sichtlinie vorgefahren. In diesem Moment sei von links der Kläger mit seinem Fahrzeug mit eingeschaltetem rechten Fahrtrichtungsanzeiger gekommen. In der Erwartung, der Kläger würde in die Goethestraße einbiegen, sei die Fahrerin des Ford Kuga vorgefahren, um rechts abzubiegen. Völlig überraschend habe das klägerische Fahrzeug den Abbiegevorgang plötzlich abgebrochen, um dann geradeaus weiterzufahren.

Hinsichtlich des weitergehenden Vortrags der Parteien wird auf sämtliche wechselseitig eingereichte Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

[…]

Auf der Grundlage der klägerischen Anträge ist in der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023 ein Versäumnisurteil ergangen, gegen das die Beklagtenseite Einspruch eingelegt hatte.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist erfolglos und die Klage begründet. Das Versäumnisurteil war aufrecht zu erhalten.

[…]

Das Versäumnisurteil war aufrechtzuerhalten und die Klage abzuweisen, da der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe hat (§§ 7, 8, 17 StVG, 249 BGB 115 VVG).

Der Kläger befuhr die bevorrechtigte Straße. Das Vorfahrtsrecht des Klägers hat die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs missachtet. Sie konnte sich dabei nicht auf ein vertrauensbildendes Verhalten der Klägerseite berufen.

Da sich beide Fahrzeugführer nicht ideal verhalten haben, so dass der Unfall für beide Seiten nicht unvermeidbar war, sind die gegenseitigen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen.

Die Abwägung der beidseitigen Verursachungsbeiträge ergibt, dass die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs den Unfall allein verursacht hat und eine mögliche Betriebsgefahr des vorfahrtsberechtigten durch die Vorfahrtsverletzung zurücktritt.

Der Wartepflichtige hat die Vorfahrt des Berechtigten zu gewähren. Er muss sich entsprechend verhalten, so dass für den Vorfahrtsberechtigten klar ist, dass er die Vorfahrt beachten werde (§ 8 Abs. 2 StVO). Der Wartepflichtige darf nur dann in die Vorfahrtstraße einfahren, wenn er übersehen kann, dass er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Den Wartepflichtigen trifft insoweit eine gesteigerte Sorgfalt, die bedingt, dass er auch mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen muss und somit regelmäßig nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf (OLG Dresden, Beschluss vom 24. April 2014 – 7 U 1501/13 –, Rn. 7, m.w.N., juris)

Der Wartepflichtige darf nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt (OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2014 – 7 U 1876/13 –, Rn. 3, juris). Erforderlich ist, dass neben dem Blinken zumindest ein weiteres deutliches Anzeichen dafür gegeben ist, dass der Vorfahrtberechtigte tatsächlich vor dem Wartepflichtigen abbiegt.

Ein solches deutliches weiteres Anzeichen, dass der Kläger vor der Beklagtenseite abbiegen wird, ist nicht ersichtlich. Dies folgt auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, die ein weiteres Anzeichen für einen bevorstehenden Abbiegevorgang nicht behauptet. Die Mitteilung, dass der Abbiegevorgang abgebrochen ist, ist hierfür keine ausreichende Behauptung. Das Gericht sah sich nach der Einlassung des Klägers daher nicht gehalten, eine weitere Beweisaufnahme durchzuführen, da sie lediglich ein Ausforschungsbeweis zugunsten der Beklagtenseite darstellen würde. Eine solche Beweisführung ist unzulässig.

Dieses Ergebnis geht zu Lasten der Klägerseite, da der Wartepflichtige den Anschein der schuldhaften Vorfahrtsverletzung gegen sich hat (vgl. Hentschel/König/Dauer, Rn.: 68 zu § 8 StVO). Wie oben ausgeführt, konnte die Beklagtenseite diesen Anschein durch ihren Vortrag nicht erschüttern.

Über den Hilfsantrag hatte das Gericht nicht zu befinden, da eine Haftung der Beklagtenseite in voller Höhe festgestellt worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last, da sie im Prozess unterliegt. Die Kosten des Rechtsstreits fallen insgesamt der Beklagtenseite zur Last, unabhängig davon, ob sie zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit oder erst nach Rechtshängigkeit gezahlt hat.

In beiden Fällen hat sie die Kosten des Rechtsstreits nach den obigen Erwägungen zu tragen. Es macht insofern auch kein Unterschied, ob die Klage zurückgenommen ist oder für erledigt erklärt hat, da durch das Versäumnisurteil keine Kostenreduzierung durch die Klagerücknahme bzw. eine Erledigungserklärung stattgefunden hätte (§§ 91, 269 Abs. 3, S. 3 ZPO).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 u. 3 ZPO).

Die Wertfestsetzung des Streitgegenstandes ergibt sich aus der Höhe der jeweiligen Klageforderung (§§ 48 Abs. 1, 39 GKG, 3, 4 ZPO).“

LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23

Sachverständigenkosten in Höhe der BVSK-Honorarbefragung und Honorartabelle der HUK-Coburg bei Schadengutachten nach Verkehrsunfällen sind angemessen

Das Urteil des Amtsgerichts Bautzen vom 3. Juli 2024 (23 C 134/24) befasst sich mit der Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger, ein Kfz-Sachverständiger, forderte von der beklagten Versicherung restliche Sachverständigenkosten, die diese aufgrund eines Prüfberichts von ControlExpert als überhöht ablehnte. Das Gericht entschied zugunsten des Klägers und bestätigte, dass die in Rechnung gestellten Kosten, die sich an der BVSK-Honorarbefragung und der Honorartabelle der HUK-Coburg orientierten, angemessen und erstattungsfähig sind.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES
ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Forderung

hat das Amtsgericht Bautzen durch

Richter am Amtsgericht […] im schriftlichen Verfahren nach § 128 (2) ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 26.06.2024

am 03.07.2024

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 651,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 20.3.2024 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte
Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 77,20 € freizustellen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 651,64 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall , der sich am 22.12.2023 in Großdubrau zugetragen hat .

Die 100 %-ige Einstandspflicht der Beklagten als Kfz-Haftpflichtversicherer für alle unfallbedingten Schäden ist unstreitig . Gegenstand dieses Rechtsstreits ist allein die Schadensposition restliche Sachverständigenkosten in Höhe der Klageforderung.

In einer Erklärung der Geschädigten , überschrieben mit Abtretung / Auftrag / Zahlungsanweisung vom 27.12.2023 ist – auszugsweise – folgendes geregelt:

„Aus Anlass des oben beschriebenen Schadenfalles beauftrage ich das oben genannte Kfz-Sachverständigenbüro, ein Gutachten zur Schadenhöhe zu erstellen. Das Sachverständigenbüro berechnet sein Honorar in Anlehnung an die Schadenhöhe gemäß Honorartabelle des BVSK und der HUK-Coburg zzgl. erforderlicher Nebenkosten.

Das Kfz-Sachverständigenbüro ist berechtigt, diese Abtretung den Anspruchsgegnern offen zu legen und den erfüllungshalber abgetretenen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gegenüber den Anspruchsgegnern im eigenen Namen geltend zu machen. Durch diese Abtretung werden die Ansprüche des Kfz-Sachverständigenbüros aus dem Sachverständigenvertrag gegen mich nicht berührt. Es kann die Ansprüche gegen mich geltend machen, wenn und soweit der regulierungspflichtige Versicherer keine Zahlung oder lediglich eine Teilzahlung leistet. Eine Inanspruchnahme meinerseits erfolgt nur Zug um Zug gegen Rückabtretung der noch offenen Forderung. Aus Anlass des oben beschriebenen Schadenfalles beauftrage ich das oben genannte Kfz-Sachverständigenbüro, ein Gutachten zur Schadenhöhe zu erstellen. Das Sachverständigenbüro berechnet sein Honorar in Anlehnung an die Schadenhöhe gemäß Honorartabelle des BVSK und der HUK-Coburg zzgl. erforderlicher Nebenkosten.“

Die Geschädigte beauftragte nach dem Unfall den Kläger mit der Erstellung eines Schadensgutachtens. Dieser fertigte das Schadensgutachten und stellte der Geschädigten hierfür mit Rechnung vom 28.12.2023 insgesamt 978,89 € brutto in Rechnung, bestehend aus den Positionen Schadensgutachten (735,00 € netto) sowie als Nebenkosten die Positionen Lichtbilder ( 12 Stück zu je 2,00 € = 24,00 € netto), Fahrtkosten (48 km zu je 0,70 € = 33,60 € netto), Schreibkostenpauschale 21,00 € netto , sowie Porto & Telefon pauschal 9,00 € netto zzgl. 19% USt auf diese Positionen iHv. insgesamt 156,29 € . […].

Die Beklagte zahlte hierauf bislang 327,25 € […].

Grundlage hierfür ist ein von der Beklagten veranlasster Prüfbericht von ControlExpert . Dieser veranschlagte – abweichend von der Rechnung des Sachverständigen – das Grundhonorar bei 205,00 € netto (anstelle 735,00 € netto) , Fahrkosten bei 28,00 € netto (anstelle 33,60 € netto) sowie Schreibkosten pauschal bei 9,00 € netto (anstelle 21,00 € netto).

Der Kläger geht davon aus , dass die abgerechnete Vergütung angemessen , orts- und marktüblich ist , insbesondere weil vom Honorartableau der HUK-Coburg sowie der Honorarbefragung des BVSK 2022 gedeckt . Die von Beklagtenseite vorgelegte Rspr. zur Abtretung sei nicht einschlägig . Nach der regionalen Rspr. sind Sachverständigenkosten, die sich an der aktuellen BVSK-Honorarbefragung und dem Honorartableau der HUK-Coburg orientieren, zu erstatten . Die Orientierung am JVEG beziehe sich nur auf gerichtlich bestellte Sachverständige und werde so von der Rspr. nicht gedeckt . Eine Abrechnung nach Zeitaufwand als ortsübliche Praxis wie auch der Vortrag zur DEKRA AG als marktbeherrschende Organisation werde bestritten. Bei den Schreibkosten setze die Beklagte sich in Widerspruch, als sie zwar die Pauschale iHv 21,00 € als übersetzt ansieht, bei den vorgelegten Beispielrechnungen der DEKRA AG indessen eine Ausfertigungspauschale iHv 50,00 € netto unbeanstandet lässt. Die Fahrtkosten seien erforderlich, da nicht der Sachverständige mit der kürzesten Anfahrtsstrecke auszuwählen sei, zumal die Anfahrtstrecke einfach 24 km betrage .

Der Kläger beantragt

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 651,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 20.3.2024 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 77,20 € freizustellen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Die Aktivlegitimation wird bestritten, die Abtretungserklärung enthalte zudem einen Verstoß gegen das Transparenzgebot . Die begehrten Sachverständigenkosten seien nicht erforderlich , da überhöht: erforderlich seien ausweislich des eingeholten Prüfberichts der ControlExpert […] lediglich die bereits gezahlten 327,25 € . Das Grundhonorar sei nach Zeitaufwand und in Anlehnung an § 9 (4) S.1 JVEG zu berechnen und abzurechnen , wie es die DEKRA AG als größte Sachverständigenorganisation mache. Der Zeitaufwand und nicht die Schadenshöhe sei die maßgebliche Bemessungsgrundlage . Bei der Frage der Ortsüblichkeit sei auf die Anzahl der erstellten Gutachten und nicht auf die Anzahl der tätigen Sachverständigen abzustellen.

Zum Sach- und Streitstand wird im übrigen auf die gewechselten Schriftstücke nebst Anlagen verwiesen und Bezug genommen .

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und ist in der Sache begründet .

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz der noch offenen Kosten des
Sachverständigengutachtens vom 28.12.2023 aus den §§ 7 , 18 StVG , 115 (1) Nr.1 VVG, 398, 249 (2) BGB iVm. § 287 ZPO zu .

1. Der Kläger ist aktivlegitimiert aufgrund der von der Zedentin mit eigenhändiger Unterschrift erteilten Abtretungserklärung vom 27.12.2023 . Die zur Abtretung getroffenen Regelungen verstoßen nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 (1) S.2 BGB, insbesondere ist diese hinreichend bestimmt : Sie enthält Name und Anschrift der Geschädigten sowie der Unfallgegnerin, die Kennzeichennummer der Unfallgegnerin, ferner die namentliche Nennung der Beklagten als zuständigen Haftpflichtversicherer mit Schadensnummer. Inhaltlich ist klar und unmissverständlich geregelt , dass das Sachverständigenbüro berechtigt ist , den abgetretenen Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen wie auch, unter welchen Voraussetzungen die Geschädigte gleichwohl in Anspruch genommen werden kann. Das erkennende Gericht teilt zudem die Auffassung des Klägervertreters, dass die von Klägerseite angeführten höchstrichterlichen Entscheidungen in der Sache nicht einschlägig sind.

Die geschuldete Wiederherstellung des ohne den Schadensfall bestehenden Zustands beinhaltet nach einem Verkehrsunfall die Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Ein Geschädigter ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei und berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Gutachtens zu beauftragen (BGH, Urteil vom 24.10.2017, VI ZR 61/17).

Ob der Herstellungsaufwand erforderlich iSd. 249 (2) S.1 BGB ist, bemisst sich nach der
gängigen Rechtsprechung zur subjektbezogenen Schadensbetrachtung im Ergebnis danach, ob im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle das beanspruchte Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und, wenn ja, diese deutliche Überhöhung für den geschädigten Laien erkennbar sein musste. Ferner ist zu beachten , dass der in Rechnung gestellte Betrag nur dann erforderlich ist , wenn und soweit er sich aus den vereinbarten, zutreffenden Anknüpfungstatsachen ableiten lässt (BGH, Urteil vom 24.10.2017, VI ZR 61/17).

Der erforderliche Herstellungsaufwand ist anhand des Gutachtenauftrags , der von der Zedentin nicht beglichenen Rechnung sowie dem Parteivortrag zum Aufwand des Sachverständigen zu bestimmen, § 287 ZPO.

Ausgehend hiervon ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts im Rahmen der sog. Plausibilitätskontrolle das beanspruchte Honorar Ausgangspunkt für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwands iSd. § 249 (2) S.1 BGB, wenn und soweit dieses Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und dies dem Geschädigten subjektiv erkennbar sein musste . Eine Erkennbarkeit auf subjektiver Ebene ( subjektive Schadensbetrachtung ) kann dabei im Ergebnis nur bei auffällig krassem Missverhältnis von Preis/ Leistung angenommen werden .

Bei Anlegen dieses Maßstabs – deutliche Überhöhung auf objektiver Ebene sowie Erkennbarkeit dieser deutlichen Überhöhung auf subjektiver Ebene – bestehen gegen das abgerechnete Grundhonorar (735,00 € netto) keine Bedenken :

Im Rahmen der Prüfung der Höhe der erforderlichen Gutachterkosten orientiert sich das erkennende Gericht (weiterhin) in einer Gesamtschau der BVSK – Honorarbefragung mit dem Honorartableau der HUK-Coburg, mithin mehrerer im Rahmen des § 287 ZPO von der
höchstrichterlichen Rspr. anerkannten Orientierungswerten und Maßstäben. Gegen eine Orientierung am Zeitaufwand spricht vor allem , dass der erforderliche Zeitaufwand von einem fachunkundigen Geschädigten in der Regel nicht festzustellen ist wie auch, dass eine Ableitung aus der Schadenshöhe für einen Laien höhere Transparenz und Nachvollziehbarkeit biete. Der abgerechnete Grundhonorar iHv. 735,00 € netto bewegt sich vorliegend sowohl im Korridor der Honorartabelle des BVSK 2022 wie auch dem Honorartableau der HUK-Coburg.

Der vorgelegte Prüfbericht der ControlExpert ist nicht geeignet , die Angemessenheit in Frage zu stellen, da die Bewertung per Ferndiagnose und ohne hinreichend tragfähige Anknüpfungstatsachen zum geschätzten Zeitaufwand und damit willkürlich erfolgt; die Anlehnung des Stundensatzes an die Regelungen des JVEG ist nicht angezeigt, da diese sich nur auf gerichtlich bestellte Sachverständige bezieht .

Ob eine andere Berechnungsgrundlage möglich oder wie die Beklagte meint , vorzuziehen ist, kann dahinstehen, als es zu Vortrag der Erkennbarkeit einer objektiv deutlichen Überhöhung – diese mal unterstellt – auf subjektiver Ebene bei der Geschädigten fehlt .

3. Dem Kläger steht ferner ein Anspruch auf Ersatz der abgerechneten Nebenkosten zu .

Anknüpfend an 2. steht einem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich entstandenen Nebenkosten zu, wenn und soweit diese nicht deutlich überhöht und der Geschädigten erkennbar sein mussten. Hierzu ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Orientierung anhand der Vorgaben des JVEG im Rahmen des § 287 ZPO anerkannt (BGH vom 26.04.2024, VI ZR 50/15). Hieran orientiert sich auch das hiesige Gericht . Die abgerechneten Nebenkosten entsprechen im Ergebnis den aus Sicht eines durchschnittlichen Unfallbeteiligten erwartbaren Sätzen. Danach ergibt sich zu den beanstandeten Positionen folgendes:

a) Schreibkosten iHv. 21,00 € netto sind als angemessen anzusehen. Nach § 12 (1) Nr. 3
JVEG darf ein Sachverständiger 0,90 € pro Seite bis zum 1.000 Anschlag abrechnen, danach 1,50 € /Seite. (vgl. LG Bremen, Urteil vom 02.09.2016 – 3 S 289/15) . Vorliegend umfasst das Gutachten 22 Seiten . Hieran im Rahmen des § 287 ZPO orientierend sind die abgerechneten Gutachterkosten erstattungsfähig.

b) Die abgerechneten Fahrtkosten sind ebenfalls in der begehrten Höhe von 33,60 € (= 48
Fahrkilometer x 0,70 €) zu erstatten. Eine Fahrtkostenpauschale von 0,70 € netto wird der
Honorarbefragung zugrunde gelegt, ist von der Rspr. so anerkannt – und wird im übrigen von Beklagtenseite der Höhe nach nicht beanstandet -.

Soweit die Beklagte meint, es sei ein Sachverständiger mit kürzerer Anfahrtstrecke auszuwählen und deshalb eine Kürzung um 5,60 € netto – was bei einer Kilometerpauschale von 0,70 € einer Fahrstrecke von 8 km entspricht – vorzunehmen, trifft dies aus Sicht des hiesigen Gerichts bereits im Ausgangspunkt so nicht zu: es gilt der Grundsatz der freien Sachverständigenwahl. Eine Anfahrtstrecke von 24 Fahrkilometern einfach bewegt sich aus Sicht des hiesigen Gerichts jedenfalls im ländlichen Bereich im üblicherweise hinzunehmenden Rahmen; der vorgenommene Abzug von 8 Fahrkilometern erscheint zudem willkürlich. In diesem Kontext möge zudem bedacht werden , dass Unfalltag der 22.12.2023 war: allgemein bekannt ein Freitag vor den Weihnachtsfeiertagen, wegen der ideal anschließenden möglichen Brückentage das Finden eines Gutachters möglicherweise erschwert gewesen sein kann.

II.

Der Anspruch auf Freistellung von den zugesprochenen vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten sowie auf Zinsen ergibt sich aus den 280 (1) , 286 (1) , 288 (1) BGB.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 , 708 Nr. 11 , 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24

BGH stärkt Geschädigte: Werkstattrisiko auf Sachverständigenkosten übertragen

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. März 2024 (Az. VI ZR 280/22) befasst sich mit der Übertragung der Grundsätze des Werkstattrisikos auf die Kosten von Kfz-Sachverständigen. Der VI. Zivilsenat hat entschieden, dass die Grundsätze, die für überhöhte Reparaturkosten in Werkstätten gelten, auch auf die Kostenansätze von Sachverständigen anwendbar sind, sofern kein Verschulden des Geschädigten vorliegt.

Das Werkstattrisiko besagt, dass überhöhte Kosten, die durch unsachgemäße oder unwirtschaftliche Arbeitsweise einer Werkstatt entstehen, vom Versicherer des Unfallverursachers zu tragen sind, wenn dem Geschädigten kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Diese Grundsätze wurden nun auf die Kosten von Sachverständigen übertragen.

Auch überhöhte Sachverständigenkosten müssen vom Versicherer getragen werden, sofern der Geschädigte kein Verschulden trifft. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Rechnung bereits vollständig bezahlt wurde oder nicht. Der Versicherer kann jedoch eventuelle Regressansprüche gegen den Sachverständigen vom Geschädigten abtreten lassen.

Das Urteil des BGH vom 12. März 2024 stärkt somit die Position der Geschädigten und trägt zur Rechtssicherheit bei, indem es klare Regeln für die Erstattung von Sachverständigenkosten aufstellt. Diese Regelung schützt die Geschädigten vor unberechtigten finanziellen Belastungen durch überhöhte Sachverständigenrechnungen und stellt sicher, dass der Versicherer des Unfallverursachers die Kosten im Verhältnis zum Geschädigten tragen muss. Gleichzeitig wird durch die Abtretung von Regressansprüchen eine Möglichkeit geschaffen, überhöhte Forderungen direkt beim Sachverständigen geltend zu machen. Diese Entscheidung ist besonders wichtig, da Geschädigte die tatsächlichen Kosten und deren Angemessenheit oft nicht ohne weiteres beurteilen können. Insgesamt stellt das Urteil einen wichtigen Beitrag zur Klärung der Haftungsfragen im Zusammenhang mit überhöhten Sachverständigenkosten dar und berücksichtigt sowohl den Schutz der Geschädigten als auch die Interessen der Versicherer.

Falls jedoch der Sachverständige aus abgetretenem Recht des Geschädigten seine Kosten geltend macht, ist eine vollständige Überprüfung der Kostenrechnung möglich.

BGH-Urteil: BVSK-Honorarbefragung als Schätzgrundlage für Sachverständigenkosten bestätigt

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 11.02.2014 (VI ZR 225/13) behandelt die Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Das zentrale Thema dieses Urteils ist die Frage, welche Kosten als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gelten und somit vom Schädiger bzw. dessen Versicherung zu tragen sind.

Das Urteil bestätigt, dass der Kläger berechtigt war, einen Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenshöhe zu beauftragen und die dafür angefallenen Kosten von der Beklagten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erstattet zu bekommen. Diese Kosten müssen objektiv erforderlich sein, was bedeutet, dass ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten sie als notwendig ansehen würde.

Der BGH betont, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, vorab eine umfassende Marktanalyse durchzuführen, um den günstigsten Sachverständigen zu finden. Vielmehr darf er den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen beauftragen. Das bedeutet, dass er nicht gezwungen ist, den billigsten Anbieter zu wählen, sondern einen Anbieter, der ihm angemessen erscheint und dessen Kosten im üblichen Rahmen liegen.

Die tatsächliche Rechnungshöhe des Sachverständigen dient als Indiz für die Erforderlichkeit der Kosten. Der BGH stellt klar, dass es für die Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO entscheidend ist, dass die Kosten im Rahmen des wirtschaftlich vernünftigen Herstellungsaufwands liegen und den individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten entsprechen. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit der Kosten durch die Beklagte reicht daher nicht aus, um die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu verwerfen.

Das Gericht erläutert weiter, dass der Geschädigte keine Recherche nach einem günstigeren Sachverständigen anstellen muss, sofern die Kosten im Rahmen der üblichen Honorare liegen. Dies schließt die Nutzung der BVSK-Honorarbefragung als Schätzgrundlage ein, da diese repräsentative Durchschnittswerte für marktübliche Honorare bietet. Nur wenn die Honorarsätze deutlich über den branchenüblichen Preisen liegen, ist der Geschädigte gehalten, einen günstigeren Sachverständigen zu beauftragen. Dies stellt sicher, dass die Kosten für den Schaden in einem angemessenen und wirtschaftlich vernünftigen Rahmen bleiben.

Zusammenfassend stärkte der BGH mit diesem Urteil die Rechte der Geschädigten, indem er festlegte, dass die Beauftragung eines Gutachters und die dabei entstehenden Kosten grundsätzlich erstattungsfähig sind, solange sie nicht von vornherein als überhöht erkennbar sind. Dies bedeutet, dass der Geschädigte nicht übermäßig sparsam agieren muss, sondern die Kosten, die in seiner Lage vernünftig erscheinen, geltend machen kann.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Schadensersatz: Auslagenpauschale für Großunternehmen nicht erstattungsfähig

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 8. Mai 2012 (Az.: VI ZR 37/11) behandelt die Frage der Erstattung einer Auslagenpauschale im Rahmen von Schadensersatzansprüchen bei der Beschädigung von Strom- und Gasleitungen. Die zentrale Frage des Urteils war, ob die Praxis der Erstattung einer Pauschale, wie sie bei Verkehrsunfällen üblich ist, auch auf diese Fälle angewendet werden kann.

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, forderte Ersatz für Auslagen, die im Zusammenhang mit der Reparatur einer beschädigten Gasleitung entstanden waren. Dazu gehörten Kosten für die Beauftragung eines Reparaturunternehmens, die Ermittlung des Schädigers sowie der Kontakt zu dessen Haftpflichtversicherer.

Entscheidung des BGH

Der BGH entschied, dass die geltend gemachte Auslagenpauschale nicht erstattungsfähig ist. Die zentrale Begründung war, dass die Abläufe bei großen Unternehmen, die regelmäßig solche Schäden abwickeln, stark routinisiert und automatisiert seien. Daher würden die für die Schadensabwicklung anfallenden Kosten in der Regel geringer ausfallen als bei Privatpersonen, die in Verkehrsunfälle verwickelt sind.

Juristische Würdigung

Der BGH stellte fest, dass die Praxis der Erstattung einer Auslagenpauschale bei Verkehrsunfällen auf Massengeschäften beruht, wo der Gesichtspunkt der Praktikabilität besonders wichtig ist. Bei der Abwicklung von Leitungsschäden durch große Unternehmen liegt jedoch eine andere Situation vor, da diese Unternehmen routinemäßig und kosteneffizient arbeiten können. Für die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs sei der Tatrichter nach § 287 ZPO verantwortlich, der anhand konkreter Tatsachen entscheiden muss, ob und in welchem Umfang solche Kosten erstattungsfähig sind.

Bedeutung und Folgen

Das Urteil verdeutlicht die restriktive Haltung des BGH gegenüber der Anerkennung pauschaler Auslagen im Schadensersatzrecht, wenn die Schadensabwicklung durch große, routinierte Unternehmen erfolgt. Es unterstreicht, dass Schadensersatzansprüche im Detail begründet werden müssen und pauschale Annahmen, wie sie bei Verkehrsunfällen gemacht werden, nicht ohne Weiteres auf andere Schadensarten übertragbar sind.

Keine volle Anrechnung der Geschäftsgebühr bei Streitigkeiten über deren Höhe

Die Entscheidung des Amtsgerichts Leipzig vom 6. Juni 2024 (Az. 117 C 1924/23) betrifft einen Streit um die Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren. Die Klägerin hatte gegen den ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung eingelegt, da die Geschäftsgebühr ihrer Ansicht nach nicht vollständig angerechnet werden durfte. Das Gericht folgte der Argumentation der Klägerin und berücksichtigte verschiedene Entscheidungen anderer Gerichte sowie Kommentarliteratur.

Gemäß § 15a II RVG und Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG erfolgt die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nur, wenn die Gebühr bereits gezahlt wurde oder der Gegner zur Zahlung verurteilt wurde. In diesem Fall war es strittig, ob die Geschäftsgebühr korrekt angerechnet wurde. Das Gericht entschied, dass bei streitigen Anrechnungen die materielle Rechtsfrage im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu beachten sei. Stattdessen müsste der Beklagte die Erfüllung im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage geltend machen und beweisen.

Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren setzt voraus, dass die Geschäftsgebühr im Erkenntnisverfahren tituliert wurde oder vom Kostenschuldner außergerichtlich erstattet wurde und dies unstreitig ist. Der Grund dafür ist, dass der Kostenfestsetzungsbeamte keine materielle Prüfung der vorgerichtlichen Tätigkeit und der dabei angefallenen Gebühren vornehmen kann. Ohne Titel oder unstreitige Erstattung würde dies zu einer unzulässigen Überprüfung der materiell-rechtlichen Einwendung führen, was im Kostenfestsetzungsverfahren nicht vorgesehen ist​.

KG Berlin, Beschluss vom 17.07.2007 – 1 W 256/05; AG Leipzig, Beschluss vom 6.6.2024 – 117 C 1924/23; AG Bautzen, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3.1.2024 – 20 C 173/22

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

ergeht am 06.06.2024

nachfolgende Entscheidung:

Der Erinnerung des Klägervertreters vom 09.11.2023 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 01.11.2023 wird abgeholfen und der Kostenfestsetzungsbeschluss wie folgt abgeändert:
Die von der Beklagtenpartei an die Klagepartei aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Endurteils des Amtsgerichts Leipzig vom 30.06.2023 zu erstattenden Kosten werden einschließlich Gerichtskosten in Höhe von 234,00 EUR festgesetzt auf 509,75 EUR (in Worten: fünfhundertneun 75/100 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 05.07.2023.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

Die Erinnerung rechtfertigt eine abweichende Entscheidung.

Mit Schriftsatz vom 09.11.2023 legte die Klagepartei Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 01.11.2023 ein mit der Begründung, dass keine vollständige Anrechnung einer Geschäftsgebühr hätte erfolgen dürfen. Beantragt wird die Festsetzung eines weiteren Betrages in Höhe von 67,60 €. Die Klagepartei verwies hierzu auf die Entscheidung des LG Würzburg vom 31.03.2022, 14 O 2373/20 sowie auf die Entscheidung des AG Bautzen, Beschluss vom 03.01.2024, 20 C 173/22 und auf die Entscheidung des Kammergerichts Berlin, Beschluss vom 17.07.20207, 1 W 256/05.

Gem. § 15 a II RVG und den Anrechnungsvorschriften gem. Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG erfolgt die Anrechnung auf die Verfahrensgebühr dann, wenn der erstattungspflichtige Gegner die Geschäftsgebühr bereits gezahlt hat oder er im Hauptsachetitel zur Zahlung der Geschäftsgebühr verurteilt wird.

Die Parteien streiten über die korrekte Anrechnung der Geschäftsgebühr. […]
Gemäß Gerold/Schmidt-RVG-Kommentar, 26. Auflage, zu § 15 a, Rn. 23 heißt es dazu: „Ist aber im Kostenfestsetzungsverfahren streitig, ob die Verfahrensgebühr wegen Bezahlung der Geschäftsgebühr zu reduzieren ist, so handelt es sich um eine materiellrechtliche Einwendung im Kostenfestsetzungsverfahren, die, wenn sie streitig ist, nicht zu beachten ist. Der Beklagte kann die Erfüllung dann nur noch im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage geltend machen und beweisen.“
Aus diesem Grund war der Erinnerung abzuhelfen und entsprechend dem Erinnerungsschreiben vom 09.11.2023 ein Betrag in Höhe von insgesamt 509,75 € festzusetzen.“

AG Leipzig, Beschluss vom 6.6.2024 – 117 C 1924/23

Pflichtverteidigung deckt Adhäsionsverfahren ab

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Beschluss vom 27.07.2021 – 6 StR 307/21 entschieden, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst. Dies bedeutet, dass dem Angeklagten, dem bereits ein Pflichtverteidiger beigeordnet ist, keine zusätzliche Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag gewährt werden kann.

Der BGH begründet seine Entscheidung im Wesentlichen mit zwei Argumenten:

Erstens ist die Mitwirkung eines Verteidigers, wenn sie im Sinne von § 140 StPO notwendig ist, auf das gesamte Verfahren erstreckt (§ 143 Abs. 1 StPO). Dies gilt auch für die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge. Die enge Verknüpfung von Tat und Adhäsionsanspruch sowie die Effizienz des Adhäsionsverfahrens sprechen dafür, dass die Pflichtverteidigung auch das Adhäsionsverfahren umfasst.

Zweitens hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 143 Abs. 1 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) zum Ausdruck gebracht, dass es im Strafverfahren kein Nebeneinander von Prozesskostenhilfe und notwendiger Verteidigung geben soll.

Wirtschaftlichkeitsgebot bei Schadensersatz: BGH urteilt zur Eigenreparatur in Werkstätten

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. Mai 2023 (Az. VI ZR 274/22) befasst sich mit der Frage, ob ein Geschädigter, der einen Reparaturbetrieb führt, im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung nach einem Verkehrsunfall Anspruch auf Ersatz der Kosten einer Fremdreparatur einschließlich des Gewinnanteils hat.

Grundsätzlich hat ein Geschädigter gemäß § 249 Abs. 1 BGB Anspruch darauf, den Zustand wiederhergestellt zu bekommen, der vor dem schädigenden Ereignis bestand. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann er anstelle der Wiederherstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Dies gilt auch für die Reparaturkosten, selbst wenn der Geschädigte das Fahrzeug selbst repariert oder nicht repariert. Der BGH hat entschieden, dass in solchen Fällen der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Kosten einer markengebundenen Fachwerkstatt hat, selbst wenn er die Reparatur günstiger in Eigenregie durchführen könnte.

In diesem Fall hatte die Klägerin jedoch keinen Erfolg mit ihrer Revision, da sie nicht nachweisen konnte, dass ihr Reparaturbetrieb ausgelastet war und sie deshalb die Reparatur nicht selbst durchführen konnte. Der BGH betonte, dass der Geschädigte seine betriebliche Auslastung konkret darlegen muss, um den Anspruch auf die höheren Kosten einer Fremdreparatur zu rechtfertigen. Andernfalls könnte der Geschädigte nicht mehr verlangen, als was wirtschaftlich vernünftig wäre, um zu verhindern, dass er am Schadensfall „verdient“.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der BGH die Prinzipien der subjektbezogenen Schadensbetrachtung und der Schadensminderungspflicht bestätigt hat. Dies bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensabrechnung sowohl die Besonderheiten seiner individuellen Situation als auch wirtschaftliche Vernunft berücksichtigen muss. Der Schädiger trägt die Beweislast dafür, dass eine günstigere Reparaturmöglichkeit in der eigenen Werkstatt des Geschädigten besteht, während der Geschädigte seine betriebliche Auslastungssituation darlegen muss.

Keine Auslieferung ohne persönliche Ladung

Der Beschluss des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Mai 2024 (OAus 110/24) behandelt die Unzulässigkeit der Auslieferung eines ukrainischen Staatsangehörigen an die Republik Polen zur Strafvollstreckung. Der Beschluss stützt sich auf den Europäischen Haftbefehl, der vom polnischen Bezirksgericht Wrocław ausgestellt wurde und auf ein Urteil des Amtsgerichts Wrocław-Śródmieście zurückgeht. Die ursprüngliche Verurteilung betraf eine Bewährungsstrafe von einem Jahr, deren Reststrafe nach Widerruf der Bewährung elf Monate und 29 Tage beträgt.

Der wesentliche Grund für die Erklärung der Unzulässigkeit der Auslieferung liegt in der Tatsache, dass der Verfolgte zu der Verhandlung, die zu seiner Verurteilung führte, nicht persönlich erschienen ist und auch nicht persönlich zu dieser geladen wurde. Das polnische Gericht hatte die Ladung an eine vom Verfolgten im Ermittlungsverfahren angegebene Adresse geschickt, die der Verfolgte jedoch weder erhalten noch abgeholt hat. Laut polnischem Recht gilt diese Zustellung zwar als bewirkt, jedoch entspricht dies nicht der im § 83 Abs. 1 Nr. 3 des deutschen Internationalen Rechtshilfegesetzes (IRG) geforderten persönlichen Inkenntnissetzung des Verfolgten von dem Verhandlungstermin.

Das Oberlandesgericht Dresden hat somit auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entschieden, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben, da keine der in § 83 Abs. 2 bis 4 IRG aufgeführten Ausnahmen vorliegt. Es fehlen zudem Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der Ausnahmetatbestände, die eine Zustellung des Urteils oder eine Rechtsmittelbelehrung beinhalten würden, sowie eine ausdrückliche Zusicherung nach § 83 Abs. 4 IRG. Die Entscheidung stellt klar, dass die tatsächliche Kenntnis des Verfolgten von dem Verhandlungstermin und -ort zwingend erforderlich ist, um die Auslieferung zur Strafvollstreckung zu ermöglichen.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In der Auslieferungssache des ukrainischen Staatsangehörigen

[…]

Pflichtbeistand: Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Auslieferung an die Republik Polen zur Strafvollstreckung

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 06.05.2024

beschlossen:

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen zum Zwecke der Strafvollstreckung auf der Grundlage des im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Wrocław vom 29. Februar 2024 […] genannten Haftbefehls des Amtsgerichts Wrocław-Śródmieście vom 27. September 2021 […] wird für unzulässig erklärt.

2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 23. April 2024 wird aufgehoben.

Gründe

I.

Der Senat hat am 23. April 2024 auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls des polnischen Bezirksgerichts Wrocław vom 29. Februar 2024 […] einen Auslieferungshaftbefehl gegen den Verfolgten, der sich derzeit in anderer Sache in Haft befindet, erlassen. Der Europäische Haftbefehl beruht auf dem Urteil des Amtsgerichts Wrocław-Śródmieście vom 27. September 2021 […], mit dem der Verfolgte zunächst zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt worden war, die nach Bewährungswiderruf durch Entscheidung des Amtsgerichts Wrocław-Śródmieście vom 23. November 2022 […] noch in Höhe von elf Monaten und 29 Tagen zu verbüßen ist.

Auf die Nachfrage der Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat das Bezirksgericht Wrocław mit Schreiben vom 26. April 2024, eingegangen bei der Generalstaatsanwaltschaft am 29. April 2024, mitgeteilt, dass keine persönliche Ladung des Verfolgten zu der Verhandlung erfolgt sei. Vielmehr sei die Ladung an eine von dem Verfolgten im Ermittlungsverfahren angegebene Anschrift versandt worden. Die Benachrichtigung vom Termin sei von dem Verfolgten weder empfangen noch abgeholt worden, sondern zu den Akten zurückgelangt. Die Zustellung sei nach polnischem Recht als bewirkt anzusehen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 30. April 2024 beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben.

Die Auslieferung des Verfolgten erweist sich nach der nunmehr eingegangenen Auskunft der polnischen Behörden als unzulässig.

Nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG ist die Auslieferung im Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union unzulässig, wenn der Verfolgte bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist und auch keiner der Ausnahmetatbestände des § 83 Abs. 2 bis 4 IRG verwirklicht ist. Das ist vorliegend der Fall.

Der Verfolgte war bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht Wrocław-Śródmieście am 21. September 2021 nicht anwesend.

Ein Ausnahmetatbestand nach § 83 Abs. 2 Nr. 1 IRG ist nicht gegeben. Nach der nunmehr vorliegenden Antwort ist der Verfolgte nicht persönlich geladen worden und hatte auch sonst nicht zweifelsfrei auf offiziellem Weg Kenntnis von dem Verhandlungstermin. Die nach polnischem Recht zulässige Zustellfiktion steht jedoch der vorausgesetzten tatsächlichen Inkenntnissetzung des Verfolgten von dem vorgesehenen Ort und Termin der Verhandlung nicht gleich (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Mai 2016- C-108/16 PPU; OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 2020 – 1 AR 29/19, Rn. 10; KG, Beschluss vom 27. Juli 2017 – (4) 151 AuslA 87/17 (101/17), Rn. 9, jeweils juris).

Für das Vorliegen eines der Ausnahmetatbestände im Sinne des § 83 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 IRG bestehen keine Anhaltspunkte. Eine Rechtsmittelbelehrung und Zustellung des Urteils liegen nicht vor. Damit scheidet auch ein Fall des § 83 Abs. 3 IRG aus. Eine Zusicherung nach § 83 Abs. 4 IRG wurde ausdrücklich mit der Antwort vom 26. April 2024 nicht abgegeben.

II.

Da die Auslieferung unzulässig ist, ist der Auslieferungshaftbefehl aufzuheben (§ 15 Abs. 2 IRG).“

OLG Dresden, Beschluss vom 6.5.2024 – OAus 110/24

Beitragsbild: fiktives, mit DALL·E 3 erstelltes Bild

Kreuzungsräumer: Rechtliche Bewertung von Kreuzungsunfällen: Die Rolle echter und unechter Nachzügler


In dem vom Landgericht Görlitz Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22) entschiedenen Fall ging es um die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall, bei dem die Unterscheidung zwischen einem „echten Nachzügler“ und einem „unechten Nachzügler“ zentral war. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass die Beklagtenseite als unechter Nachzügler agierte und somit nicht berechtigt war, in den Kreuzungsbereich einzufahren.

Ein echter Nachzügler ist ein Fahrzeugführer, der sich bereits im Kreuzungskern befindet, wenn die Ampel für den Querverkehr auf Grün schaltet. Diese Fahrer dürfen den Kreuzungsbereich vorrangig verlassen, um den Verkehrsfluss nicht zu stören. Im Gegensatz dazu befindet sich ein unechter Nachzügler außerhalb des Kreuzungskerns, wenn die Ampel umschaltet. Ein solcher Fahrer muss warten und hat kein Vorrangrecht.

Die Beklagte handelte fahrlässig, indem sie bei Rotlicht in die Kreuzung einfuhr, während die Ampel für die Klägerseite auf Grün geschaltet war. Diese Handlung führte zur Feststellung ihrer Haftung für den entstandenen Schaden. Das Gericht wies damit die Ansprüche der Klägerseite zu, indem es auf die Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten hinwies und entsprechend Schadenersatzforderungen zugunsten der Klägerin entschied.

Urteile zur Haftungsverteilung bei Unfällen mit echten und unechten Nachzüglern im Kreuzungsbereich.

Volle Haftung des unechten Nachzüglers:
 OLG Koblenz, Urteil vom 8.9.1997 – 12 U 1355/96; LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22; AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Haftungsverteilung bei echten Nachzüglern:
OLG Hamm, Urteil vom 26.8.2016 – 7 U 22/16

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch Richter am Landgericht […] als Einzelrichter im schriftlichen Verfahren am 30.04.2024

für Recht erkannt:

I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. an die Klägerin 725 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% aus für die Zeit vom 12.3.2022 bis zum 29.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 30.3.2022 zu zahlen,
2. die Klägerin gegenüber der Reparaturwerkstatt […] von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 3.238,60 € aus der Reparaturkostenrechnung […] freizustellen,
3. die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € aus der Rechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen,
4. an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 6.466,29 Euro auf die erstatteten Reparaturkosten der Reparaturwerkstatt Autohaus […] aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 zu zahlen,
5. an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 1.091,23 Euro auf die erstatteten Sachverständigenkosten des Kfz-Sachverständigenbüros […] aus der Rechnung […] vom 16.3.2022 zu zahlen,
6. die Klägerin gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 550,85 € freizustellen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Geldbetrages.

Streitwert: 12.241,07 EUR.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.

Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin des unfallbeteiligten PKW Kia. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten PKW Fiat.

Am 11.03.2022 gegen 11.25 Uhr kam es auf der Kreuzung Zeppelinstraße/Wilthener-Straße/B96 (Siemensstraße) in Bautzen zu dem Zusammenstoß der benannten Fahrzeuge.

Die Klägerin mit dem PKW Kia kam von der Siemensstraße (B96) und fuhr in Richtung Zeppelinstraße. Sie hielt zunächst an der in ihrer Fahrtrichtung auf „rot“ geschalteten Ampelanlage an. Als diese auf „grün“ umschaltete, fuhr sie weiter geradeaus.

Die Zeugin H[…] führte den PKW Fiat. Sie befuhr die Wilthener Straße stadtauswärts. An der benannten Kreuzung hielt sie bei Lichtzeichenanlage rot zunächst an. Bei grün fuhr sie zunächst über die Haltelinie, wobei zwischen den Parteien umstritten ist, ob und wie weit sie danach in den Kreuzungsbereich einfuhr. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes der Fahrzeuge war die Lichtzeichenanlage, die die Zeugin H[…] überquert hatte, bereits wieder auf rot gestellt.

Die Klägerin trägt vor, sie habe den PKW Fiat wahrgenommen, als dieser auf der Wilthener Straße auf der Fußgängerfurt stand. Danach habe sie den PKW Fiat erst wieder wahrgenommen, als es auf der Kreuzung zur Kollision kam, indem der PKW Fiat in die hintere linke Seite des PKW Kia gefahren sei.

Der Vollkaskoversicherer der Klägerin regulierte die klägerischen Schäden am Fahrzeug im Umfange von 6.466,29 €. Das Fahrzeug der Klägerin wurde begutachtet und inzwischen repariert in der Werkstatt Authohaus […].

Das klägerische Fahrzeug erlitt einen merkantilen Minderwert von 700 €. Die Gutachterkosten belaufen sich auf 1.091,23 €.

Die Klägerin trägt vor, die Kosten für die fachgerechte Reparatur beliefen sich auf 9.704,89 € brutto.

Unstreitig sind Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € angefallen.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt,

a.
an die Klägerin 725 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% aus für die Zeit vom 12.3.2022 bis zum 29.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 30.3.2022 zu zahlen.

b.
die Klägerin gegenüber der Reparaturwerkstatt Autohaus […] von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 3.238,60 € aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen.

c.
die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € aus der Rechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen.

d.
an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 6.466,29 Euro auf die erstatteten Reparaturkosten der Reparaturwerkstatt Autohaus […] aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 zu zahlen.

e.
an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 1.091,23 Euro auf die erstatteten Sachverständigenkosten des Kfz-Sachverständigenbüros […] aus der Rechnung […] vom 16.3.2022 zu zahlen.

f.
die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 550,85 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklage trägt vor, die Zeugin H[…] sei mit dem PKW Fiat bis in die Kreuzungsmitte gefahren, habe dort angehalten, um den Gegenverkehr durchzulassen. Dies habe eine ganze Weile gedauert. Dann sei die Klägerin mit ihrem Fahrzeug in den PKW Fiat hineingefahren.

Als echter Nachzügler habe der PKW Fiat Vorrang gehabt vor dem Fahrzeug der Klägerin, um die Kreuzung ordnungsgemäß räumen zu können. Die Beklagte haftete deshalb nicht für die Schäden der Klägerin.

Der Fahrzeugschaden der Klägerin belaufe sich auf – lediglich – 9.138,74 €. Wegen der Einwendungen im Einzelnen wird [die] Akte verwiesen.

Der Haftpflichtversicherer der Klägerin regulierte seinerseits vorgerichtlich die Schäden an dem PKW Fiat in Höhe von 1/3.

Die Halterin und Eigentümerin des PKW Fiat führte bei dem Amtsgericht Bautzen mit umgekehrten Vorzeichen einen Schadensersatzprozess gegen die hiesige Klägerin und deren Haftpflichtversicherer (Az.: 21 C 279/22). In dem amtsgerichtlichen Verfahren wurden die Unfallbeteiligten und Zeugen vernommen sowie ein unfallanalytisches Gutachten eingeholt. Die Verfahrensakte des Amtsgerichts wurde beigezogen. Nach Abschluss des amtsgerichtlichen Verfahrens erklärten sich die Verfahrensbeteiligten im vorliegenden landgerichtlichen Verfahren mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akte nebst schriftlichem Gutachten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat Anspruch auf materiellen Schadensersatz gegen die Beklagte wie tenoriert (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG, § 115 VVG).

Im Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht Bautzen, mit deren Verwertung sich die Parteien im hiesigen Verfahren (stillschweigend) einverstanden erklärt haben, ist festzustellen, dass die Zeugin H[…], die den PKW Fiat führte, in die Kreuzung einfuhr, obgleich für ihre Fahrtrichtung die Lichtzeichenanlage auf rot geschaltet war und die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün geschaltet war (§ 37 Abs. 2 StVO). Angesichts der unstreitig langen Wartezeit der Zeugin H[…], nachdem sie die Lichtzeichenanlage passierte (als diese noch für sie grün zeigte), um zunächst ihren Gegenverkehr durchzulassen, musste die Zeugin H[…] damit rechnen, dass inzwischen ihre Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben war und für sie die Lichtzeichenanlage wieder auf rot umgeschaltet hat. Hätte die Zeugin H[…] die erforderliche, äußerste Sorgfalt in dieser Verkehrssituation walten lassen, hätte sie erkannt, dass sie weiter hätte stehen bleiben müssen, um den bevorrechtigten Querverkehr durchzulassen. Die Zeugin H[…] trifft ein ganz überwiegendes Verschulden an dem Verkehrsunfall. Dadurch hat sich die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges so deutlich erhöht, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges dahinter völlig zurück tritt. Das hat zur Folge, dass die Beklagte für den gesamten unfallbedingten Schaden der Klägerin haftet.

Ein Mitverschulden der Klägerin, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges wiederum erhöht hätte, sodass auf Seiten der Klägerin ein Mithaftungsbeitrag verbliebe, konnte die Beklagte nicht nachweisen. Sie konnte insbesondere nicht nachweisen, dass die Zeugin H[…] mit dem PKW Fiat sich bereits im Kernbereich der Kreuzung befunden hätte, als die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün umschaltete, sodass die Zeugin H[…] als sogenannte echte Nachzüglerin gegenüber der Klägerin bevorrechtigt gewesen wäre, um die Kreuzung zu räumen.

Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Überlegungen:

Unstreitig ist es zunächst, dass die Klägerin in die Kreuzung einfuhr, als die Lichtzeichenanlage für sie auf grün umgesprungen war.

Mit dem unfallanalytischen Gutachten ist festzustellen, dass die Schilderung der Klägerin technisch nachvollziehbar ist, dass die Zeugin H[…] mit dem PKW Fiat zunächst auf der Fußgängerfurt, die die Wilthener Straße quert, stand und anschließend in den PKW Kia der Klägerin hineinfuhr und zwar in die linke Seite mit dem Schwergewicht auf dem hinteren Fahrzeugteil, als sie ihrerseits die Kreuzung geradeaus überquerte in Richtung Zeppelinstraße.
Mit dem Sachverständigen ist diese Unfallschilderung plausibel und aus technischer Sicht nachvollziehbar. Der Sachverständige konnte sicher feststellen, dass die Zeugin H[…] (entgegen deren Aussage) mit dem Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht stand, sondern dass sich dieses ebenfalls in Bewegung befand zum Zeitpunkt der Kollision. Dies ist zu begründen mit der Charakteristik der Beschädigungen an beiden Fahrzeugen, sowie der daraus ableitbaren Kollisionspositionen der beiden Fahrzeuge zueinander und der weiterhin herzustellenden Beziehung zu dem dokumentierten Splitterfeld auf der Kreuzung. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Mit dem Gutachten ist festzustellen, dass demgegenüber die Aussage der Zeugin H[…], sie habe auf der Mitte der Kreuzung gestanden (die genaue Position, die die Zeugin H[…] angab, ist ersichtlich aus Abbildung 24 des Gutachtens) unzutreffend ist. Vielmehr ist festzustellen, dass die Zeugin H[…] fahrend an dem Unfall beteiligt war.

Ausreichende Anknüpfungstatsachen dafür, mit Hilfe eines unfallanalytischen Gutachtens sicher festzustellen, wo die Zeugin H[…] begann, in die Kreuzung einzufahren bis zur Unfallstelle, liegen nicht vor. Damit kann die Beklagte auch nicht nachweisen, dass sich der PKW Fiat bereits im Kernbereich der Kreuzung befunden hätte, als die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün umschaltete und diese ihrerseits in die Kreuzung einfuhr.

Die geltend gemachten materiellen Schäden sind zwischen den Parteien unstreitig mit Ausnahme der erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten.

Die erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten werden geschätzt auf 9.704,89 €, wie von der Klägerin geltend gemacht (§ 287 Abs.1 ZPO).

Die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten für die Reparatur bei der Autohaus […] sind nur geringfügig höher als die aus dem Privatgutachten des Sachverständigen […] ausgewiesenen Reparaturkosten. Das Werkstattrisiko trägt der Schädiger.

Das heißt, wenn im Ergebnis der tatsächlich durchgeführten Reparatur die Reparaturkosten etwas höher ausfallen als sachverständig eingeschätzt, so ist das ein Umstand, den nicht der Geschädigte, sondern der Schädiger zu tagen hat. Der Kläger hat es auch nicht in der Hand, ob die Werkstatt zum Beispiel einzelne Fahrzeugteile zur Lackierung ausbaut oder ob die Werkstatt diese Wiederherstellung der Fahrzeugfarbe, des Fahrzeuglacks im eingebauten Zustand der Bauteile vornimmt. Gleiches gilt für die Frage, ob eine Werkstatt einen besonderen Desinfektionsaufwand vornimmt oder nicht und in welchem Umfange.
Die in solchem Zusammenhang entstehenden Preisunterschiede von Werkstatt zu Werkstatt liegen im Risikobereich des Schädigers. Im Übrigen wäre die Beweisaufnahme durch Einholung eines weiteren Schadensgutachtens unverhältnismäßig angesichts einer Differenz in der Schadensvorstellung zwischen den Parteien von lediglich rund 550,00 €.

III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO, § 48 Abs.1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.“

LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22

Beitragsbild: fiktives, mit DALL·E 3 erstelltes Bild