Zum Umfang der Erstattung von Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall

Durch das Amtsgericht Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19) wurde entschieden, dass bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs für die Reparaturdauer ein arithmetisches Mittel aus der Schwacke-Liste und dem „Fraunhofer-Mietpreisspiegel“ Maßstab ist, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Beschädigung des Fahrzeugs und der Anmietung des Ersatzfahrzeugs ausreichend Zeit für Recherchen zu den Kosten eines Mietwagens bestand.

Urteile zu Fraunhofer-Mietpreisspiegel zzgl. 30% Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten im Rahmen der Schadenregulierung:
LG Görlitz, Urteil vom 28. Februar 2024 – 5 O 502/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; ausführlich: AG Bautzen, Urteil vom 17.9.2021 – 22 C 254/21; AG Bautzen, Beschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 18.6.2021 – 22 C 38/21; AG Bautzen, Urteil vom 23.4.2021 – 20 C 15/20; AG Bautzen, Urteil vom 22.4.2021 – 21 C 729/19; regionale Leitentscheidung: LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19

Abweichend hiervon mit arithmetisches Mittel aus der Schwacke-Liste und dem „Fraunhofer-Mietpreisspiegel“ als Maßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19

Abweichend hiervon Fraunhofer-Mietpreisspiegel ohne Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 23.5.2019 – 22 C 98/19; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 790/17; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 250/17

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

„Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz in Form von Mietwagenkosten aus einem Schadensereignis vom 14.01.2019 auf der Töpferstraße in Bautzen (Hauseinsturz). Die Parteien sind sich über die Haftungsverhältnisse einig (Beklagten zu 100%).
Die Klägerin begehrt Freistellung für Nutzungsausfall in Höhe von (weiteren) 345,10 Euro für den Zeitraum 15.01.2019 – 31.01.2019 (14 Tage). Ursprünglich forderte die Klägerin 799,68 Euro für die Anmietung eines Fahrzeuges der Mietwagenklasse 3. Die Versicherung des Beklagten zahlte daraufhin 454,58 Euro.

II.

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

A.

1.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten für insgesamt 14 Tage für einen Mietwagen der Klasse 2. Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Ersatz von reinen Mietwagenkosten hierfür in Höhe von 613,42 Euro aus §§ 249 ff. BGB gegen den Beklagten.
Diese Mietwagenkosten schätzt das Gericht auf Grundlage einer Einstufung des Fahrzeugs in die Fahrzeugklasse 2 nach einem arithmetischen Mittel aus der Liste des Fraunhofer – Instituts (Erhebung von 2018, PLZ – Gebiet 02, Interneterhebung) und der Schwacke – Liste (Auszug vom 09.08.2019, PIz. – Gebiet 026) gemäß § 287 ZPO als vorliegend erforderlich und angemessen ein. Dazu wurden zwei 7 – Tageszeiträume (358,04 Euro) der Fraunhofer – Liste sowie zwei 7 – Tageszeiträume der Schwacke – Liste (1005,12 Euro) addiert und halbiert, was 681,58 Euro ergibt. Hiervon ist ein Abzug für ersparte Aufwendungen abzuziehen in Höhe von 10%, mithin beträgt der ersatzfähige Betrag 613,42 Euro.
Auf Grund der vorgerichtlichen Teilzahlung auf die Mietwagenkosten kann der Beklagte mit dem Einwand, ein Nutzungswille und eine Nutzungsmöglichkeit habe bei der Klägerseite nicht bestanden, nicht mehr gehört werden. Diese Einwendungen waren von Anfang an möglich, bekannt und sind daher durch die Teilzahlung nunmehr ausgeschlossen, weil das Verhalten des Beklagten sonst treuwidrig wäre.

a)
Der Anspruch besteht für die Dauer der Wiederbeschaffung von 14 Tagen. Dies ergibt sich für die Klägerseite aus dem Gutachten des Sachverständigen R[…] vom 17.01.2019. Für die Klägerin gab es dabei keine Veranlassung, dieser Angabe zu misstrauen. Soweit die Gegenseite jetzt vorträgt, erforderlich und angemessen wären lediglich 8 Tage gewesen, kann sie damit nicht gehört werden. Es gab, in parallele zum Werkstattrisiko für den Schädiger, keine Veranlassung für die Geschädigte, den Angaben aus dem Gutachten zu misstrauen.

b)
Insoweit besteht zwischen den Parteien Streit, ob sich die Schwacke – Liste oder die Liste des Fraunhofer – Instituts als Schätzgrundlage für eine Schätzung des Gerichtes nach § 287 ZPO der erforderlichen und angemessenen Mietwagenkosten eignen.

Nach Ansicht des Gerichtes, welche im Einklang mit der in den Schriftsätzen der Parteien umfänglich eingearbeiteten höchstrichterlichen Rechtsprechung steht, sind beide Listen als Schätzgrundlagen geeignet und verwertbar. Dass beide Listen als Schätzgrundlagen geeignet sind, ergibt sich zuletzt aus dem Urteil des OLG Dresden vom 18.04.2019-8 U 113/19. Aus Sicht des Gerichtes bedarf es daher keiner weiteren Ausführungen zur grundsätzlichen Geeignetheit beider Listen als taugliche Schätzgrundlagen.

Deren konkrete Eignung als Schätzgrundlagen bedarf nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken (OLG Dresden vom 18.04.2019). Eine solche erhebliche Auswirkung auf den konkreten Fall ist von keiner der Parteien für die jeweils angegriffene Liste vorgetragen worden.

b)
Das Miet – Fahrzeug war für die Ermittlung der erforderlichen Kosten in die Gruppe 2 einzuordnen. Dies ergibt sich daraus, dass das Fahrzeug der Klägerin unbestritten in die Mietwagenklasse 4 einzuordnen war und ein Ater von 14 Jahren aufwies. Bei Fahrzeugen, die älter sind als 12 Jahre, sieht das Gericht eine Einordnung in eine 2 Gruppen tiefere Mietwagenklasse im Schadensfall für einen Ersatzwagen als angemessen und erforderlich an (LG Hagen. Beschluss vom 21.10.2009 – 10 8 64/09; BGH, Urteil vom 25. 1. 2005-VIZR 112/04; NZV2009, 57; Geigel, Haftpflichtprozess, 1. Teil Algemeine Begriffe und Rechtsverhältnisse des Haftpflichtrechts 3. Kapitel. Schadensersatz wegen Beschädigung oder Zerstörung von Sachen Rn. 101).

c)
Aus Sicht des Gerichtes ist in vorliegendem Fall die Anwendung eines arithmetischen Mittels aus der Fraunhofer – Liste und der Schwacke – Liste zur Ermittlung der erforderlichen Mietwagenkosten vorzugswürdig, weil keine Umstände ersichtlich sind, auf Grund derer die Klägerseite gehalten gewesen sein sollte, ihrer Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB nicht wenigstens nachzukommen.

(11)
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa Senat, BGHZ 160, 377 [383] = NJW 2005, 51) kann ein Geschädigter vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 II 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur denjenigen Ersatz von Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs grundsätzlich nur
den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann. (BGH in; NJW 2013, 1870; LG Braunschweig, Urt. v. 30.12.2015-7 S 328/14).

Weiterhin kann sich nach der Rechtsprechung ergeben, dass es dem Geschädigten auf Grund einer besonderen Eilbedürftigkeit in der konkreten Anmietsituation nicht zumutbar war, sich vor einer Anmietung eines Mietwagens nach günstigeren Tarifen zu erkundigen (NJW 2007, 1124 = VersR 2007, 516 Rdnr. 14; NJW 2010, 2569 = VersR 2010, 1053 Rdnr. 16). Nach Ansicht des Gerichtes kann eine Eil- oder Notsituation bspw. vorliegen, wenn eine Anmietung noch am Unfalltag erfolgen musste (auch hier mit Ausnahmen: BGH in NJW 2007, 1124). Dies kann sich ergeben, wenn die Fahrt sofort fortgesetzt werden muss, weil der Geschädigte nicht im räumlichen Bereich des Unfalles wohnt oder er auf ein Fahrzeug sofort angewiesen ist, um Termine wahrzunehmen oder die Fahrt mit Kleinkind fortzusetzen o.ä. Für solch einen Fall einer konkreten Notsituation, für den hier nichts vorgetragen ist, erkennt das Gericht an, dass der Geschädigte auch auf Grundlage der Schwanke – Liste abrechnen dürfte
und keine Nachforschungspflicht hinsichtlich eines augenfällig zu hohen Mietpreises besteht, soweit die Preise der Schwanke – Liste nicht um mehr als 20% überschritten werden.

(22)
Vorzugswürdige Schätzgrundlage auf Grund der Art und Welse der Erhebung der Preise im vorliegenden Fall ist ein arithmetisches Mittel aus Schwanke und Fraunhofer – Liste (OLG Dresden vom 18.04.2019-8 U 113/19).

Das Gericht verweist für die Art und Weise, wie die Listen zu ihren Preisen kommen, auf die Schriftsätze der Parteien, die deren Methoden jeweils umfassend darstellen.

(33)
Die Frage, ob die von der Beklagtenseite erhobenen und vorgelegten Mietpreise einzelner Anbieter als Schätzgrundlage oder Beweis für die Möglichkeit der Anmietung eines günstigeren Mietwagens geeignet waren, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, weil erforderliche Höhe der Kosten nach § 287 ZPO aus dem arithmetischen Mittel zu schätzen ist.

(44)
Bei der Ermittlung des Preises nach der Fraunhofer – Liste war vorliegend kein zusätzlicher Aufpreis für eine weitere Haftungsreduzierung vorzunehmen. Die Fraunhofer – Listenpreise enthalten eine solche mit einem Selbstbehalt zwischen 750 – 950 Euro (Vollkasko), die Schwacke – Liste mit 500 Euro.

Die Klägerin eine darunter liegende Haftungsreduzierung nicht dargelegt. Eine solche ergibt sich auch nicht aus Anlage K13, vielmehr geht die Haftungsreduzierung hier konform mit der Schwanke – Liste.

Soweit die Klägerin nachgewiesen hätte, dass eine Reduzierung unter diesen Selbstbehalt erfolgt wäre, würde das Gericht anerkennen, dass diese Kosten auch von der Beklagten zu tragen gewesen wären (LG Braunschweig, Urt. v. 30.12.2015 – 7 S 328/14).

d)
Von den dergestalt ermittelten Mietwagenkosten ist ein Abzug für ersparte Aufwendungen in Höhe von 10% abzuziehen (BHHJ/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB § 249 Rn. 220).

2.
Wegen der vorgerichtlichen Zahlung in Höhe von 454,58 Euro ergibt sich ein Restzahlungs[-] bzw[.] Freistellungsanspruch in Höhe von 158,84 Euro. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.“

AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19

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