Erstattung von Mietwagenkosten nach Verkehrsunfall nach Schwacke-Liste als Maßstab

In einem Berufungsverfahren wurde durch das Landgericht Dresden (LG Dresden, Urteil vom 1.10.2021 – 3 S 518/20) die Frage behandelt, ob höhere Kosten für einen Mietwagen nach einem Unfallersatztarif gerechtfertigt sind. Diese in der Rechtsprechung umstrittene Frage ist von großer Bedeutung, da sie Auswirkungen auf die Höhe des Schadensersatzes hat, den ein Geschädigter nach einem Unfall verlangen kann.

Das Gericht stützte sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 19.01.2010, Az. VI ZR 112/09), das besagt, dass ein Geschädigter nicht gegen seine Pflicht zur Schadensminderung verstößt, wenn er ein Fahrzeug zu einem Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem Normaltarif teurer ist. Dies gilt jedoch nur unter bestimmten Bedingungen. Insbesondere müssen die Besonderheiten dieses Tarifs aufgrund der Unfallsituation einen höheren Preis rechtfertigen. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn der Vermieter zusätzliche Leistungen erbringt, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und zur Schadenbehebung erforderlich sind.

Das Gericht hat auch klargestellt, dass die Prüfung der Angemessenheit der geltend gemachten Mietwagenkosten auf der Grundlage der Anwendung der Schwacke-Liste erfolgt, die die Normaltarife für Mietwagen auflistet. Es müssen jedoch besondere Umstände im Einzelfall und damit gerade objektive Kriterien vorliegen, damit im Einzelfall gegebenenfalls auch höhere Mietwagentarife im Rahmen der Schadensabrechnung Berücksichtigung finden können.

In der Entscheidung wird zugleich durch das Gericht mitgeteilt, dass es die frühere Rechtsprechung, wonach eine generelle Spanne, zwischen 100 Prozent des Normaltarifs laut Schwacke-Liste und einem Zuschlag von 50 Prozent, in der sich die Mietwagenkosten ohne weitere Prüfung noch in einem angemessenen Rahmen bewegen sollen, nicht mehr aufrecht erhält. Jeder Fall muss individuell betrachtet werden, und es müssen objektive Kriterien vorliegen, die höhere Mietwagentarife rechtfertigen.

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

„Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingereicht und auch begründet worden. Die Berufung ist indes unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen weitergehenden Schadensersatzanspruch aus den streitgegenständlichen Unfallereignissen. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO noch rechtfertigen, die nach § 529 ZPO zugrunde zulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Das Amtsgericht Dresden hat in seinen Entscheidungsgründen zutreffend die allgemeinen Grundsätze der Schadensberechnung und Berücksichtigungsfähigkeit von Schadenspositionen gemäß § 249 Abs. 2 BGB dargelegt.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass im Falle der Beschädigung einer Sache statt der Herstellung der erforderliche Geldbetrag beansprucht werden kann und es ist zwischen den Parteien auch nicht streitig, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der Geschädigte vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen kann, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf.
Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit herzuleitenden Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des Zumutbaren, von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2010, Az. VI ZR 112/09.
Auch die weiteren Ausführungen des Amtsgerichts Dresden in dem angegriffenen Urteil werden von der Kammer geteilt.
Hierauf wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verwiesen.
Soweit die Klägerin mit ihrer Berufungsbegründung, so wie auch schon erstinstanzlich, darauf verweist, das Amtsgericht habe die Erstattungspflicht der Beklagten auf die objektiven Kosten, das heißt den sogenannten Mietwagen – Normaltarif, unzulässig beschränkt, wird diese Auffassung durch die Kammer nicht geteilt.
Mit Urteil des BGH vom 19.01.2010, Aktenzeichen VI ZR 112/99 hat dieser entschieden, dass der Geschädigte nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung verstößt, weil er gegebenenfalls ein Kraftfahrzeug zu einem Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem Normaltarif teurer ist. Soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation aus betriebswirtschaftlicher Sicht einen gegenüber dem „Normaltarif höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und in Folge dessen zur Schadenbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind. Weiter führt der BGH aus, hat der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO freigestellte Tatrichter zu schätzen, welcher Schadensbetrag angemessen Ist. Hierzu führt der Bundesgerichtshof aus, dass unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den „Normaltarif in Betracht kommt. Soweit die Berufungsklägerin unter Hinweis auf Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Dresden, hier insbesondere Urteile des 7. Zivilsenats – Urteil vom 18.03.2013 Az. 7 U 831/13; Urteil vom 31.07.2013. Az. 7 U 1952/12; Urteil vom 18.12.2013, Az. 7 U 606/13, davon ausgeht, dass grundsätzlich ein subjektiver Schadensbegriff zugrunde zu legen ist und darauf abzustellen sei, dass soweit dem Geschädigten kein Ausfallverschulden zur Last fällt, auch die Kosten erstattungspflichtig seien, die nicht nur objektiv erforderlich sind, sondern bis zu einer Kappungsgrenze von 50 Prozent über dem Normaltarif aus subjektiver Sicht des Geschädigten als angemessen zu gelten haben, findet diese Auffassung keine Stütze in der zuvor genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Die Rechtsprechung des 7. Zivilsenates des Oberlandesgerichtes Dresden zur Erstattungspflicht und -fähigkeit von Mietwagenkosten wird, so wie von der Beklagten unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Dresden vom 12.06.2020, Aktenzeichen 4 U 2796/19 dargelegt, jedenfalls uneinheitlich beurteilt.
Nach nochmaliger ausführlicher, umfangreicher Beratung und der Abwägung der Argumente des Bundesgerichtshofes und der aktuellen Entscheidungen des OLG Dresden, vermag die Kammer an der bisherigen Rechtsprechung, die einen Rahmen von 50 Prozent über dem Normaltarif laut Schwacke – Liste als generell angemessen ansah, nicht mehr festzuhalten.
Der Ausgangspunkt der Prüfung der Angemessenheit der geltend gemachten Mietwagenkoten erfolgt durch die Kammer, wie bisher, auf der Grundlage der Anwendung der Schwacke-Liste, hier der Normaltarife.
Die weitere Prüfung der Angemessenheit muss sich indes an den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof in der oben genannten Entscheidung aufgestellt hat, messen lassen. Es müssen daher die vom Bundesgerichtshof angesprochenen besonderen Umstände im Einzelfall und damit gerade objektive Kriterien vorliegen, damit im Einzelfall gegebenenfalls auch höhere Mietwagentarife im Rahmen der Schadensabrechnung Berücksichtigung finden können.
Eine generelle Spanne, zwischen 100 Prozent des Normaltarifs laut Schwacke – Liste und einem Zuschlag von 50 Prozent, in der sich die Mietwagenkosten ohne weitere Prüfung noch in einem angemessenen Rahmen bewegen sollen, erkennt die Kammer nicht (mehr) an.
Aus vorstehenden Gründen ist die Entscheidung des Amtsgerichtes Dresden sachlich, rechtlich wie auch rechnerisch zutreffend.“

LG Dresden, Urteil vom 1.10.2021 – 3 S 518/20

Zur Erstattungsfähigkeit angeblich überhöhter Abschleppkosten im Rahmen der Schadenregulierung nach einem Verkehrsunfall

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 7.6.2023 – 23 C 74/23) können vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung durch einen durch einen Verkehrsunfall Geschädigten grundsätzlich sämtliche Abschleppkosten erstattet verlangt werden, solange der Geschädigte unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall nicht erkennen konnte, dass die Kosten des beauftragten Abschleppunternehmens ersichtlich nicht orts- bzw. marktüblich sind und er hierdurch gegen seine Schadenminderungspficht verstößt.

Im Kern geht es um die Frage, in welchem Umfang der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung die Kosten für das Abschleppen des beschädigten Fahrzeugs tragen muss.

In dem konkreten Fall hatte der Geschädigte, der Halter eines Skoda Karoq, nach einem Verkehrsunfall Abschleppkosten in Höhe von insgesamt 1.046 € netto geltend gemacht. Die Haftpflichtversicherung des Schädigers hatte jedoch nur einen Teilbetrag von 566,85 € erstattet. Der Geschädigte verlangte daher die Erstattung des noch offenen Differenzbetrags in Höhe von 479,15 €.

Die Haftpflichtversicherung argumentierte, dass die Abschleppkosten übersetzt und daher nicht erforderlich im Sinne des § 249 BGB seien. Sie stützte sich dabei auf einen Prüfbericht, der zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Kosten für den Einsatz des Bergungsfahrzeugs und für das eingesetzte Ölbindemittel überhöht seien.

Das Amtsgericht Bautzen entschied jedoch zugunsten des Geschädigten. Es stellte fest, dass der Geschädigte die Kosten erstattet verlangen kann, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Dabei sei auf die subjektbezogene Situation des Geschädigten und seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten im zeitlichen, örtlichen und situativen Kontext des Unfallgeschehens abzustellen.

Das Gericht stellte weiter fest, dass eine Verletzung der Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB nur dann in Betracht käme, wenn auf Seiten des Geschädigten schon im Zeitpunkt des Abschleppens hätte klar sein müssen, dass das Abschleppunternehmen nicht ortsübliche Preise und Leistungen berechnet. Hierzu sei jedoch nichts konkret vorgetragen worden.

Das Gericht wies auch darauf hin, dass es sich um eine Not- und Eilsituation handelte, da der Unfall abends gegen 19:50 Uhr an einem Freitag stattfand und das Fahrzeug nach dem Unfall nicht fahrbereit war. Zudem lag die Unfallstelle auf einer vielbefahrenen, innerstädtisch verlaufenden Bundesstraße, so dass eine zügige Räumung der Unfallstelle erforderlich war.

Schließlich stellte das Gericht fest, dass die von der Haftpflichtversicherung vorgelegte Ferndiagnose der Abschleppkosten ohne konkreten Bezug und Beachtung der Besonderheiten dieses Einzelfalls erfolgt war und daher unbeachtlich sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

[…]

– Streithelferin –

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

am 07.06.2023 im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Unternehmen […] von restlichen Forderungen i.H.v. 479,15 € netto […] freizustellen
2. Die Kosten des Rechtsstreits sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten hat die Beklagte zu tragen
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar

und beschlossen:

Der Streitwert wird auf 479,15 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall , der sich am 11.11.2022 gegen 19:50 Uhr […] in 02625 Bautzen Uhr zugetragen hat.

Der Kläger war beteiligt als Halter des Pkw Skoda Karoq […], die Beklagte ist die Krafthaftpflichtversicherung zu dem gegnerischen Pkw VW Golf […].

Die 100 – prozentige Einstandspflicht der Beklagten für alle unfallbedingten Schäden ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Streitig sind allein die bislang nur teilregulierten Schadenspositionen Abschleppkosten vom Unfallort, Überführungskosten vom Betriebsgelände des Abschleppunternehmens in die Reparaturwerkstatt sowie die Kosten für das am Unfallort eingesetzten Ölbindemittel.

Das Fahrzeug des Klägers wurde von der beauftragten Streitverkündeten noch am 11.11.2022 – einem Freitag – auf deren Betriebsgelände in Bautzen abgeschleppt; von dort wurde es 4 Tage später von ihr zur Reparatur in die Reparaturwerkstatt , das Skoda-Autohaus […] in 02625 Bautzen verbracht.

Die Streitverkündete stellte für ihre Leistungen dem Kläger mit Rechnung vom 22.11.2022 insgesamt 1.046,00 € netto in Rechnung […]. Die Beklagte zahlte hierauf 566,85 €.

Der Kläger begehrt die Freistellung von dem noch offenen Differenzbetrag in Höhe von 479,15 €. Die Beklagte hatte auf die Kostenposition Einsatz des Bergungsfahrzeugs auf die abgerechneten 495,00 € netto bislang 307,50 € netto, auf das eingesetzte Ölbindemittel anstelle 100,00 € lediglich 33,35 € gezahlt sowie auf die Überführung vom […]-Betriebsgelände zur Reparaturwerkstatt […] anstelle der begehrten 225,00 € bislang nichts.

Der Kläger geht davon aus, dass dieser Betrag im Rahmen des § 249 (2) S.1 BGB nach schadensrechtlichen Grundsätzen bei der gebotenen subjektbezogene Schadensbetrachtung voll zu ersetzen ist. Insbesondere könne dem Kläger kein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht gemäß § 254 BGB zur Last gelegt werden .

Der Kläger beantragt daher
Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger gegenüber dem Unternehmen […] von restlichen Forderungen i.H.v. 479,15 € netto […] freizustellen.

Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen

Berechtigte Ansprüche seien reguliert. Die Abschleppkosten seien der Höhe nach übersetzt und deshalb nicht erforderlich iSd. § 249 BGB . Das ergebe sich aus dem Prüfbericht der Fa. […] vom 05.12.2022 […]: Danach seien die Kosten für den Einsatz des Bergungsfahrzeugs und Kosten für den Ölbinder überhöht ,das Abschleppen zunächst auf das Firmengelände der Streitverkündeten und 4 Tage später von dort ins Autohaus […] zur Durchführung der Reparatur überflüssig, da das Fahrzeug sofort ins Autohaus […] hätte verbracht werden können .

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21.04.2023 der FA […] den Streit verkündet.

Die Streitverkündete ist mit Schriftsatz vom 12.05.2023 dem Rechtsstreit auf Klägerseite beigetreten.

Zum Sach- und Streitstand wird im übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen und Bezug genommen..

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.

I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf restlichen Schadenersatz in der begehrten Höhe von 479,15 € aus den 7, 17, 18 StVG , 823 (1), 249 (2) BGB , 115 VVG zu.

1. Nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen kann ein Geschädigter die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit ist wiederum auf eine subjektbezogene Schadensbetrachtung abzustellen, d. h. auf die Situation des Geschädigten und seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten im zeitlichen ,örtlichen und situativen Kontext des Unfallgeschehens. Das bedeutet im Ausgangspunkt nichts anderes als – worauf der Klägervertreter in seinen Schriftsätzen wiederholt hinweist – dass es keinen Unterschied macht, ob das Abschleppunternehmen unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten berechnet oder gar Arbeiten in Rechnung stellt, die nicht ausgeführt worden sind. All dies gehört zum typischen, auf Schädigerseite liegenden Risiko, solange die Beklagte dem Kläger keinen Verstoß gegen die ihm liegende Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB vorwerfen kann. Gemessen hieran ist der noch offene Differenzbetrag aus der Rechnung vom 22.11.2022 in voller Höhe zu ersetzen .

2. Eine Verletzung der Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB – wofür die Beklagte beweispflichtig ist – käme nur dann in Betracht, wenn auf Klägerseite schon im Zeitpunkt des Abschleppens hätte klar sein müssen, dass das Abschleppunternehmen nicht ortsübliche Preise und Leistungen berechnet. Dazu ist bereits konkret nichts vorgetragen .

Im übrigen: Es handelte sich vorliegend um eine Not- und Eilsituation. Unstreitig ereignete sich der Unfall in zeitlicher Hinsicht zur Abendzeit gegen 19:50 Uhr am Wochenende, hier kalendarisch einem Freitag abends; ebenso unstreitig ist, dass das Fahrzeug nach dem Unfall nicht fahrbereit war und die Beauftragung eines Abschleppunternehmens erforderlich war.

Unklar bleibt zudem, wer das Abschleppen überhaupt beauftragt hat: Bei dem Halter des Klägerfahrzeugs handelt es sich um eine juristische Person. Ein zügiges Abschleppen ohne Einholung von Preisangeboten – von wem auch immer – o.ä. war auch deshalb angezeigt, als die Unfallstelle gerichtsbekannt auf der vielbefahrenen, innerstädtisch verlaufenden

Bundesstraße B156 in Höhe der Einfahrt zu einem Einkaufszentrum liegt, mithin eine zügige Räumung der Unfallstelle erforderlich war. Ein ortsansässiges Abschleppunternehmen ist tätig geworden. Mehr kann von einem Geschädigten in der konkreten Situation nicht verlangt werden .

3. Soweit die von der Abschleppfirma dem Kläger in Rechnung gestellten Kosten von Beklagtenseite mittels nachträglicher Ferndiagnose, dem Prüfbericht der Fa. […] vom 05.12.2022 als nicht ortsüblich, unangemessen oder nicht notwendig beanstandet werden, bleibt dies unbeachtlich, da es sich um eine abstrakt gehaltene Berechnung ohne konkreten Bezug und Beachtung der Besonderheiten dieses Einzelfalls handelt; der Beklagten steht es frei sich eventuelle Schadenersatzansprüche des Klägers gegen die streitverkündete Abschleppfirma abtreten zu lassen .

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 , 101 (1) 708 Nr.11 , 713 ZPO“

AG Bautzen, Urteil vom 7.6.2023 – 23 C 74/23

Ist eine vorzeitige Löschung einer Eintragung aus dem Führungszeugnis möglich?

Nach § 49 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) kann ein Antrag auf vorzeitige Löschung von Eintragungen aus dem Bundeszentralregister gestellt werden. Dies ist möglich, wenn die Vollstreckung der Verurteilung abgeschlossen ist und kein öffentliches Interesse der Tilgung entgegensteht. Weil das Führungszeugnis lediglich einen Ausschnitt aus dem Bundeszentralregister wiedergibt, wirkt sich eine Tilgung aus diesem Register auch auf das Führungszeugnis aus.

Allerdings ist eine vorzeitige Tilgung aus dem Führungszeugnis nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen möglich. Diese Ausnahme ist gegeben, wenn das Warten bis zum regulären Fristablauf für die betroffene Person eine unbillige Härte darstellen würde, die in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stößt. Eine solche vorzeitige Tilgung kommt beispielsweise nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 6. August 1987 – 1 V As 43/87) in Betracht, wenn das zugrunde liegende rechtskräftige Urteil offensichtliche, entscheidungserhebliche Fehler aufweist, die ohne weitere Prüfung klar erkennbar sind. Das Verfahren auf vorzeitige Tilgung einer Eintragung gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 BZRG dient jedoch nicht der Überprüfung der materiellen Richtigkeit einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung (Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. August 1987 – 1 V As 43/87).

Dem hingegen werden reine berufliche Nachteile, Probleme mit Aufenthaltsgenehmigungen oder Schwierigkeiten bei der Einbürgerung nicht als ausreichend erachtet, um einen Härtefall zu begründen und eine vorzeitige Löschung zu rechtfertigen. Es ist erforderlich, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine vorzeitige Löschung notwendig machen.

Die Entscheidung, ob das öffentliche Interesse dem persönlichen Interesse des Antragstellers an der Tilgung entgegensteht, liegt im Ermessen der Registerbehörde. Diese Entscheidung erfordert eine sorgfältige Prüfung, ob die vorzeitige Tilgung tatsächlich gerechtfertigt ist und ob die betroffene Person einen außergewöhnlichen Härtefall darstellt.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung heißt es hierzu beispielhaft:

„Das Bundesamt für Justiz als Registerbehörde (§ 1 Abs. 1 BZRG) kann gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 BZRG auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, dass die Eintragung einer rechtskräftigen Verurteilung entgegen den §§ 45, 46 BZRG zu tilgen ist, wenn die Vollstreckung erledigt ist und das öffentliche Interesse der Anordnung nicht entgegensteht.

Dabei ist das „öffentliche Interesse“ ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Die von der Registerbehörde zu treffende Entscheidung, ob das öffentliche Interesse dem Interesse des Antragstellers an der Tilgung entgegensteht, ist hingegen eine Ermessensentscheidung (vgl. Tolzmann, BZRG 5. Aufl., § 49 Rn. 14). Bei dieser Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass die vorzeitige Tilgung einer Eintragung nach § 49 Abs. 1 Satz 1 BZRG der schwerstwiegende und in der Regel endgültige Eingriff in den Registerbestand ist und daher außergewöhnlichen Fällen vorbehalten bleiben muss, in denen eine andere Handhabung für den Betroffenen eine unbillige, mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung unvereinbare und in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stoßende Härte darstellen würde (std. Rspr. des Kammergerichts, vgl. nur Senat Rpfleger 2015, 106, 110 = OLGSt BZRG § 49 Nr. 2 und Beschluss vom 3. Januar 2011 – 4 VAs 58/10 -, jeweils mwN; Tolzmann aaO, Rn. 15; Hase, BZRG 2. Aufl., § 49 Rn. 6).“

KG, Beschluss vom 10.08.2015 – 4 VAs 14/15

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es zwar möglich ist, einen Antrag auf vorzeitige Löschung einer Eintragung aus dem Führungszeugnis zu stellen, die Anforderungen dafür sind jedoch sehr hoch. Reine berufliche Nachteile reichen in der Regel nicht aus, um einen erfolgreichen Antrag zu stellen. Es sind besondere, außergewöhnliche Umstände erforderlich, die eine unbillige Härte darstellen. Der Antrag auf vorzeitige Löschung muss schriftlich beim Bundesamt für Justiz gestellt werden. Eine ausreichende Begründung mit detaillierter Darlegung der außergewöhnlichen Umstände ist zwingend erforderlich.

Anscheinsbeweis im Verkehrsrecht

Der Anscheinsbeweis ist ein wichtiger Aspekt des deutschen Zivilprozessrechts, der oft in Verkehrsunfallverfahren zur Anwendung kommt. Der Anscheinsbeweis ist ein Beweismittel, das zur Überzeugung des Gerichts über das Vorliegen einer bestimmten Tatsache herangezogen werden kann, wenn bestimmte Beweisanzeichen vorliegen. Diese Beweisanzeichen werden als typische Geschehensabläufe oder Erfahrungssätze bezeichnet.

Der Anscheinsbeweis basiert auf der Annahme, dass bestimmte Ereignisse typischerweise auf eine bestimmte Weise ablaufen. Wenn also ein typischer Geschehensablauf vorliegt, kann das Gericht den Schluss ziehen, dass die zugrunde liegende Tatsache tatsächlich eingetreten ist, es sei denn, es gibt Beweise, die diesen Schluss widerlegen.

In Verkehrsunfallverfahren kommt der Anscheinsbeweis oft zur Anwendung. Einige typische Situationen, in denen ein Anscheinsbeweis verwendet werden kann, sind:

  1. Auffahrunfall: Es gilt der Anscheinsbeweis, dass der Auffahrende den Unfall verursacht hat, weil er entweder zu schnell gefahren ist oder nicht genügend Abstand gehalten hat. Im Allgemeinen geht die Rechtsprechung davon aus, dass der auffahrende Fahrer für den Unfall verantwortlich ist, da er offensichtlich nicht genügend Abstand gehalten oder nicht aufmerksam genug gefahren ist (Vgl. AG Kamenz, Beschluss vom 26.3.2014 – 1 C 717/13 (bei einem Auffahrunfall in einem Kreisverkehr)). Soweit jedoch individuelle Umstände beim Unfallereignis vorliegen, die gegen die Typizität des Unfallablaufs sprechen, wie z.B. ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs, ist der Anscheinsbeweis nicht anwendbar (Vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10)​.
  2. Unfall beim Ausfahren aus Parklücke: Es gilt der Anscheinsbeweis, dass der Fahrer, der aus einer Parklücke in den fließenden Verkehr ausfährt, den Unfall verursacht hat, weil er die Vorfahrtsregeln nicht beachtet hat. Gegen die Typizität des entsprechenden Unfallablaufs spricht, wenn zwei Fahrzeuge auf einem Parkplatz gleichzeitig rückwärts ausparken und kollidieren.
  3. Unfall beim Ausfahren aus einem Grundstück: Wenn ein Fahrzeug, das aus einer Grundstückseinfahrt herauskommt, mit einem anderen Fahrzeug im fließenden Verkehr zusammenstößt, spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Fahrer des Fahrzeugs, das aus der Einfahrt herauskommt, nicht die gebotene äußerste Vorsicht gemäß § 10 Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) eingehalten hat (Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.8.2006 – I-1 U 224/05).
  4. Unfall beim An- bzw. Einfahren vom Parkstreifen: Kommt es in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren von einem Parkstreifen in den fließenden Verkehr zu einer Kollision mit einem dort fahrenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Kollision darauf beruht, dass der vom Parkstreifen einfahrende Fahrer die von § 10 StVO verlangte äußerste Sorgfalt nicht beachtet hat. Kann der Anscheinsbeweis nicht erschüttert oder gar widerlegt werden, wiegt der Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht beim An- bzw. Einfahren vom Parkstreifen so schwer, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des fließenden Verkehrs dahinter vollständig zurücktritt (LG Görlitz, Urteil vom 7.3.2022 – 5 O 258/20; LG Hamburg, Urteil vom 9.3.2018 – 319 O 91/17).
  5. Unfall beim Wechsel der Fahrspur: Es gilt der Anscheinsbeweis, dass der Fahrer, der die Fahrspur wechselt, den Unfall verursacht hat, weil er nicht darauf geachtet hat, ob er die Fahrspur sicher wechseln kann. Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (höchste Sorgfaltsstufe): er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat. In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für die Unfallschäden allein (KG Berlin, Urteil vom 2.10.2003 – 12 U 53/02; KG Berlin, Beschluss vom 3.7.2008- 12 U 239/07; AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22).
  6. Unfall beim Überholen: Bei einem Überholmanöver wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Anscheinsbeweis nicht automatisch gegen den überholenden Fahrer angewendet. Ein Anscheinsbeweis bei einem Verkehrsunfall mit einem Überholenden liegt nur vor, wenn spezifische Umstände vorhanden sind, die auf ein Fehlverhalten des überholenden Fahrers hinweisen. Ein Beispiel dafür ist eine Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr, die der Überholende hätte beachten müssen (Vgl. AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22).
  7. Unfall bei Vorfahrtsverletzung: Nach der Rechtsprechung gilt der Anscheinsbeweis zugunsten des Vorfahrtsberechtigten, wenn der Wartepflichtige gegen seine Verkehrspflichten gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen hat, solange er sich noch nicht ohne Behinderung des bevorrechtigten Verkehrs eingeordnet hatte​ (OLG Dresden, Beschluss vom 9.6.2021 – 4 U 396/21; AG Bautzen, Urteil vom 2.11.2022 – 22 C 141/22; AG Pirna, Urteil vom 14.11.2013 – 13 C 848/11 (bei Missachtung eines Stopp-Schildes).
  8. Unfall bei Rückwärtsfahrt: Ein allgemeiner Erfahrungssatz besagt, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht gemäß § 1 StVO in Verbindung mit der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch verursacht hat, wenn die Kollision beim Rückwärtsfahren entstand (Vgl. BGH, Ur­teil vom 11.10.2016 – VI ZR 66/16). § 9 Abs. 5 StVO ist auf Parkplätzen mittelbar über § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen ist​ (BGH, Urteil vom 15.12.2015, Az. VI ZR 6/15). Allgemein spricht der Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrenden dahingehend, dass er allein einen im Zusammenhang mit der Rückwärtsbewegung zustande gekommenen Unfall verschuldet hat.
  9. Unfall eines Linksabbiegers mit einem entgegenkommenden Fahrzeug: Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung spricht der Anscheinsbeweis gegen einen Linksabbieger, wenn es zu einem Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kommt. Dieser Anscheinsbeweis stützt sich auf die Annahme, dass der Linksabbieger seine besondere Sorgfaltspflicht nach § 9 Abs. 3 StVO verletzt hat, indem er nicht ausreichend auf den entgegenkommenden Verkehr geachtet hat (Vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – VI ZR 58/06; BGH, Senatsurteil vom 11. Januar 2005 – VI ZR 352/03).

Der Anscheinsbeweis ist kein unwiderlegbarer Beweis. Der Betroffene hat immer die Möglichkeit, den Anscheinsbeweis durch den Nachweis eines atypischen Geschehensablaufs zu entkräften. Ein atypischer Geschehensablauf liegt vor, wenn der Betroffene nachweisen kann, dass das Ereignis aufgrund von Umständen eingetreten ist, die normalerweise nicht oder nur selten auftreten.

Anscheinsbeweis bei Unfall während Überholvorgangs und Nutzungsausfallentschädigung bei fiktiver Abrechnung

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22) kann ein Anscheinsbeweis gegen den Überholenden angewendet werden, wenn bestimmte Umstände vorliegen, die auf ein Verschulden des überholenden Fahrers hindeuten. Ein Beispiel dafür ist eine Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr, die der Überholende hätte beachten müssen.

Der Anscheinsbeweis bezieht sich in der Rechtsprechung auf die Annahme, dass ein gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Resultat führendes Verhalten, auch in einem speziellen Fall dieses Resultat verursacht hat. Im Kontext von Verkehrsunfällen wird damit unter bestimmten Bedingungen angenommen, dass der Unfall durch das Verhalten eines bestimmten Fahrers verursacht wurde.

Im speziellen Fall eines Überholmanövers wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Anscheinsbeweis nicht automatisch gegen den überholenden Fahrer angewendet. Ein Anscheinsbeweis bei einem Verkehrsunfall mit einem Überholenden liegt nur vor, wenn spezifische Umstände (bspw. Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr) vorhanden sind, die auf ein Fehlverhalten des überholenden Fahrers hinweisen.

Im Kontext eines Verkehrsunfalls, der mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers zusammenhängt, legt der Anscheinsbeweis nahe, dass der Fahrstreifenwechselnde den Unfall durch Missachtung seiner Pflichten verursacht und verschuldet hat. Diese Pflichten umfassen die Einhaltung höchster Sorgfalt, ausreichende Rückschau und die deutliche Anzeige des Fahrstreifenwechsels durch Fahrtrichtungsanzeiger gemäß § 7 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO). In der Regel haftet der vorausfahrende Fahrer bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel allein für die Unfallschäden. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten ist nur möglich, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweisen kann, die ein Mitverschulden des anderen Fahrers belegen. Die bloße Betriebsgefahr des am Unfall beteiligten Fahrzeugs rechtfertigt jedoch keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers.

Zudem kann ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall eine Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen, auch wenn er sein Fahrzeug nicht reparieren lässt. Dieses Recht besteht, da der gemäß § 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu ersetzende Schaden auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Fahrzeugs umfasst. Unabhängig von der Reparatur des Fahrzeugs kann der Eigentümer eines privat genutzten Autos eine Nutzungsentschädigung verlangen, wenn er infolge eines Unfalls die Nutzung seines Autos verliert. Voraussetzung dafür ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit und eine spürbare Beeinträchtigung der Nutzung, basierend auf dem Willen zur Nutzung und einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit. Hierin liegt auch keine unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, da die unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden nur für die Reparaturkosten des beschädigten Fahrzeugs gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 28.04.2023 eingereicht werden konnten, am 19.05.2023 folgendes

Urteil

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) an die Klägerin 3.126,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten aus 2.972,78 EUR für die Zeit vom 06.11.2021 bis zum 20.01.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.126,78 EUR seit dem 21.01.2022 zu zahlen;
b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 446,55 EUR […] freizustellen.
c) an die Klägerin nicht anrechenbare außergerichtliche Kosten i.H.v. 238,83 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 26. 02.2022 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die weiteren Kosten der Klägerin zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.11.2021 gegen 17:50 Uhr in Großpostwitz/OL., insbesondere der Schadensbehebung, ergeben.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 4.025,19 EUR festgesetzt.

I. Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.11.2021, der sich gegen 17:50 Uhr […] in Großpostwitz/Oberlausitz ereignet hat. Die Beklagte war am Unfalltag Haftpflichtversicherer des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeugs PKW, Typ Dacia „Sandero“ […] am Unfalltag.

Die Klägerin machte im November 2021 gegenüber der Beklagten ihre Schadenersatzansprüche geltend, wobei der Beklagten das Gutachten des von ihr beauftragten Sachverständigenbüros vom 11.11.2021 übersandt wurde. Als bis Januar 2022 keine Zahlung erfolgte, beauftragte die Klägerin Ihren Prozessbevollmächtigten mit der Schadensregulierung.

Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin des am Unfall beteiligten VW Tiguan […]. Sie habe das Fahrzeug innerhalb der Familie am 28.09.2012 von der Verkäuferin P[…] S[…] erworben. Ausweislich der […] vorgelegten Zulassungsbescheinigungen habe die Klägerin aufgrund einer Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch den tatsächlichen Besitz an dem Fahrzeug erlangt.

Der Unfall habe sich ereignet, als der Zeuge J[…] W[…], der Ehemann der Klägerin, mit dem Fahrzeug der Klägerin ordnungsgemäß mit der höchstzulässigen Geschwindigkeit innerorts auf der […]straße in Fahrtrichtung Zentrum des Ortes gefahren sei. Der Unfallgegner habe versucht mit einem erheblichen Geschwindigkeitsüberschuss mehrere Fahrzeuge einer Kolonne, an deren Spitze sich der Zeuge W[…] befand, zu überholen. Als sich der Unfallgegner auf der Höhe des Fahrzeugs der Klägerin befunden habe, habe der Zeuge J[…] W[…] aufgrund des nahenden Gegenverkehrs erkannt, dass ein sicheres Überholen für den Unfallgegner nicht mehr möglich gewesen wäre und sein Fahrzeug abgebremst. Auch das entgegenkommende Fahrzeug habe abgebremst und sei teilweise auf den rechten Fußweg ausgewichen. Das Fahrzeug des Unfallgegners sei mit seiner rechten vorderen Seiten gegen die hintere linke Seite des Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Auch der Unfallgegner habe sein Fahrzeug stark abgebremst und versucht in die Fahrspur des Fahrzeugs der Klägerin zu wechseln, wodurch es zu einem seitlichen Anstoß der Fahrzeuge gekommen sei. Der Zeuge W[…] habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt weder durch Abbremsen noch durch Ausweichen verhindern können. Es spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Fahrzeugführers der gegnerischen Seite.

Durch den Unfall seien am Fahrzeug der Klägerin folgende Teile beschädigt worden: Heckverkleidung, die Rückleuchte links, die Seitenwand links, die Tür hinten links, die Radlaufblende hinten links, die Türverkleidung unterhalb hinten links und das Scheibenrad hinten links verschrammt. Der Reifen hinten links weise Druckspuren auf. Ausweislich des Sachverständigengutachtens fielen hierfür Reparaturkosten i.H.v. 2972,78 € (netto) an. Zum Zeitpunkt des Unfalls hätten keine relevanten Altschäden im Anstoßbereich bestanden. Soweit auf Seite 10 der Ermittlungsakte darauf verwiesen werde, handele sich um eine unzutreffende Wiedergabe der Angaben des Zeugen J[…] W[…] durch die Polizeibeamten. Bei dem gegenüber dem unfallaufnehmenden Polizeibeamten beschriebenen Schaden handele es sich um einen oberflächlichen Bagatellschaden, der keine Auswirkungen auf die Höhe der Reparaturkosten gehabt habe.

Darüber hinaus macht die Klägerin eine Unfallkostenpauschale i.H.v. 25 € geltend.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich die Beklagte mit der Zahlung des Schadensersatzes in Verzug befinde.

Die Kosten für das außergerichtlich eingeholte Gutachten betragen 446,55 €. Sie wurden bislang nicht von der Klägerin bezahlt, weshalb sie Freistellung von diesen Kosten verlangt.

Weiter verlangt die Klägerin entsprechend der voraussichtlichen Reparaturdauer eine Nutzungsausfallentschädigung für drei Tage i.H.v. 129 €, wobei sie nach der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch eine Nutzungsausfallentschädigung von 43 € pro Tag ansetzt.

Zudem stellt die Klägerin einen Feststellungsantrag für mögliche weitere Kosten aufgrund des Unfalls, insbesondere im Hinblick auf die bei erfolgter Reparatur fällig werdende Umsatzsteuer.

Die Klägerin begehrt weiter die Erstattung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten für die Einschaltung ihres Rechtsanwalts zur Schadensregulierung i.H.v. 238,83 €. Sie wurde von ihrer Rechtsschutzversicherung ermächtigt die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Die Klägerin beantragt zuletzt,
a) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.126,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten aus 2.972,78 EUR für die Zeit vom 06.11.2021 bis zum 20.01.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.126,78 EUR seit dem 21.01.2022 zu zahlen;
b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 446,55 EUR […] freizustellen;
c) an die Klägerin nicht anrechenbare außergerichtliche Kosten i.H.v. 238,83 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 26. 02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Zeuge J[…] W[…] sei vor dem Unfallgeschehen nur mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h gefahren trotz der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Dacia, der Zeuge B[…], habe deshalb beabsichtigt, den VW Tiguan nach dem Ausgang der Doppelkurve in Rodewisch/Großpostwitz auf der sich anschließenden geraden und übersichtlichen Oberlausitzer Straße mit der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit zu überholen. Nachdem er bereits zum Überholen angesetzt und vor dem VW Tiguan wieder auf den rechten Fahrstreifen habe einscheren wollen, habe der Fahrer des VW Tiguan beschleunigt. Dieser habe ihn nicht einscheren lassen wollen, sodass es dabei zu einer Berührung zwischen den beiden Pkw gekommen sei. Der Fahrer des Dacias habe selbstverständlich darauf vertraut, dass der Fahrer des VW diesen während des Überholvorgangs nicht beschleunigen würde.

Der Schadenersatzanspruch sei aber auch deshalb abzuweisen, weil die Klägerin mit der Klage versuche, bereits vor dem Unfallereignis an Ihrem Pkw bestandene Vorschäden abzurechnen. In der von der Polizei erstellten Lichtbildmappe seien die Fahrzeugschäden am Kfz der Klägerin dokumentiert worden. So ist zu einem Kratzer am Kotflügel hinten auf der Fahrerseite angemerkt: „Elypse zeigt Schäden, welche nicht ursächlich mit diesem Verkehrsunfall im Zusammenhang stehen.“ In dem von der Klägerin eingeholten Gutachten werde explizit der Heckbereich als anstoßbedingt beschädigt bezeichnet. Ein Vorschaden wird im Gutachten nicht erwähnt.

Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass der Klägerin 25 € für unfallbedingte Auslagen entstanden seien.

Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung stehe der Klägerin im vorliegenden Fall der fiktiven Schadensberechnung nicht zu. Die Klägerin vermische damit unzulässig fiktiven und konkreten Schadenersatz.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen R[…] G[…] sowie durch Einvernahme der Zeugen J[…] W[…], K[…] W[…], M[…] Sch[…] und P[…] B[…]. Zudem wurde die Verkehrsunfallakte des Landratsamtes Bautzen […] beigezogen. Sie war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Nach Eingang des Sachverständigengutachtens ist das Gericht mit Zustimmung der Parteien in das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO übergegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und die durchgeführte Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere das darin befindliche Protokoll, das Sachverständigengutachten und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 VVG, §§ 249 ff. BGB in der ausgeurteilten Höhe zu.

1.

Der VW Tiguan der Klägerin wurde bei dem Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges vom Typ Dada, das der Zeuge B[…] gefahren hat, beschädigt.

Das Gericht ist im Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin Eigentümerin des VW Tiguan ist und auch im Unfallzeitpunkt war.

Der Zeugen J[…] W[…] hat glaubhaft, weil lebensnah und nachvollziehbar, bestätigt, dass das Fahrzeug seiner Frau gehöre und sich noch ein zweites Auto im Familienbesitz befinde, das ihm gehöre. Der Zeuge hat zudem den klägerischen Vortrag bestätigt, dass seine Frau das Auto von ihren Eltern gekauft hat, üblicherweise dürfte dies mit einer Eigentumsübertragung verbunden sein, wofür die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Kaufvertrag und Zulassungsbescheinigungen), die ihren Vortrag zum Kauf und Eigentumserwerb stützen, sprechen.

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht wegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen.

3.

Keine der Parteien hat den ihr jeweils obliegenden Nachweis erbracht, dass der Unfall ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.

3.1

Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinaus (ständige Rechtsprechung; Koenig in Henschel/Koenig/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 17 StVG Rn. 22). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommen, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH, Urteil vom 17. 3. 1992, Az. VI ZR 62/91, NJW 1902 90,1684; Urteil vom 13.12.2005, Az. VI ZR 68/04, NJW 2006,896).

3.2

Nach diesen Maßstäben haben weder die Beklagte noch die Klägerin beweisen können, dass der Unfall unabwendbar war. Nach den Angaben des Sachverständigen G[…] sind beide von den Parteien geschilderten Unfallhergänge technisch möglich.

4.

Somit hängt die gegenseitige Haftung gem. § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG davon ab, in wie weit der Schaden vorliegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, wobei im Rahmen der Abwägung des gegenseitigen Verursachens- und Verschuldensbeitrages nur unstreitige zugestandene oder bewiesene Tatsachen zu berücksichtigen sind, wobei jede Partei dem anderen Teil einen als Verschulden anzurechnenden Umstand oder andere dessen Betriebsgefahr erhöhende Tatsachen zu beweisen hat (BGH Urteil vom 13.02.1996, Az.: VI ZR 126/95, NZV 1996, 231).

4.1

Im Ergebnis der Beweisaufnahme geht das Gericht davon aus, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs während des Überholvorgangs nach rechts in das von dem Zeugen W[…] gesteuerte klägerische Fahrzeug, indem er in die von ihm benutzte Fahrbahn hinein gelenkt hat, verursacht hat.

a)

Die Beklagte muss sich das Verschulden des Fahrers des bei ihr versicherten PKW Dacia zurechnen lassen.

Vorliegend spricht bereits der Beweis des 1. Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs, wonach der Unfall auf der schuldhaften Vernachlässigung der sich aus § 7 Abs. 5 StVO ergebenden erhöhten Sorgfaltspflichten beruht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht im Zusammenhang mit der Durchführung eines Überholmanövers der Beweis des 1. Anscheins zwar nicht ohne weiteres für ein schuldhaft verkehrswidriges Verhalten des hinterherfahrenden/überholenden Fahrzeugführers. Es kann in solchen Situationen nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass der Zusammenstoß stets auf einer Pflichtverletzung beruht, die dem Überholenden verkehrsrechtlich oblag. Die Kollision kann nämlich auch mit nicht wesentlich weniger hoher Wahrscheinlichkeit durch eine versehentliche oder willkürliche Seitwärtsbewegung des überholten Fahrers verursacht worden sein. Der Anscheinsbeweis zulasten des Überholenden kann daher nur dann angewendet werden, wenn besondere Anhaltspunkte vorliegen, die erfahrungsgemäß für ein Verschulden des überholenden Fahrers sprechen, z.B. die etwaige Verengung durch entgegenkommenden Verkehr (Urteil vom 26. 11.1974, Az. VI ZR 10/75, VersR; BGH, Urteil vom 28.04.1987, Az: VI ZR 66/86, NJW-RR 1987, 1048,1049).

Derartige Anhaltspunkte für ein Verschulden des Beklagten liegen im vorliegenden Fall vor.

Unstrittig kam es im Zusammenhang mit dem „Auftauchen“ des Gegenverkehrs auf der Spur, auf der sich der Zeuge während des Überholvorgangs befand, zum Unfall.

Die Beklagte konnte diesen Anscheinsbeweis nicht entkräften, in dem sie einen Sachverhalt dargelegt und bewiesen hätte, aus dem sich die ernsthafte, nicht nur theoretische Möglichkeit eines untypischen Ablaufs ergibt. Die Beklagte hat schon nicht vorgetragen, dass es zu dem Unfall gekommen wäre, weil der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs eine Seitwärtsbewegung ausgeführt hat. Sie hat aber behauptet, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs seine Geschwindigkeit in dem Moment erhöht habe, als das Beklagtenfahrzeug den Überholvorgang schon begonnen hatte und einscheren wollte. Diese Behauptung konnte die Beklagtenseite nicht beweisen.

Nach § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies war schon nach der Unfallschilderung des Zeugen B[…] selbst nicht der Fall. Denn die Kollision belegt, dass der Fahrstreifen nicht frei war und der Fahrzeugführer des bei der Beklagen versicherten Fahrzeugs, der Zeuge B[…], das Fahrzeug der Klägerin übersehen hat. Vielmehr steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Unfall ereignete, als der Führer des Beklagtenfahrzeugs, wie der nach rechts einscheren wollte. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, der Zeuge B[…], hat schon nicht behauptet, sorgfältig das Verhalten des klägerischen Fahrzeugs beobachtetet zu haben, insbesondere sich davon überzeugt zu haben, dass der Einschervorgang problemlos erfolgen könnte. Er sagte vielmehr aus, dass er sich erschrocken habe, weil sich das klägerische Fahrzeug in diesem Moment auf seiner Höhe befunden habe.

Das Gericht ist nach Einvernahme der Zeugen J[…] W[…], K[…] W[…] und M[…] Sch[…] davon überzeugt, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs eine Fahrzeugkolonne überholt hat und das Überholmanöver bei erkennbarem Gegenverkehr nicht rechtzeitig abgebrochen hat. Der Zeuge J[…] W[…] gab glaubhaft an, dass er in dem Moment, als er einen Blick in den Seitenspiegel neben sich geworfen habe, erschrocken das Beklagtenfahrzeug wahrgenommen hab, zumal von vorne im Gegenverkehr ein Fahrzeug kam, welches dann auf den Fußweg ausweichen musste um einen Unfall zu vermeiden. Die Aussage des Zeugen J[…] W[…] wurde mittelbar bestätigt durch die Aussage seines Sohnes, des Zeugen K[…] W[…], der offen eingeräumt hat den Verkehr nicht aktiv verfolgt zu haben, aber aufmerksam geworden zu sein als sein Vati gerufen habe: „Ist denn der bescheuert?!“. Die Wiedergabe des Ausrufs erscheint äußerst lebensnah und spricht für eine plötzliche Gefahrensituation, statt einer Kraftprobe, um den Zeugen B[…] am Überholen zu hindern. K[…] W[…] bestätigte auch, dass ihnen ein Auto entgegengekommen ist, welches wegen des überholenden Beklagtenfahrzeuges ausweichen musste. Ebenso beschrieb der Zeuge Sch[…], dessen Ehefrau noch heute nachhaltig von dem Ereignis betroffen ist, eindrucksvoll, wie der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges „voll Schuss“ direkt auf ihn zugekommen sei, so dass er auf den Bürgersteig habe ausweichen müssen. Die Aussagen der Zeugen W[…] und Sch[…] decken sich im Kern. Die Zeugen waren glaubwürdig, ihre Aussagen waren glaubhaft. Sie sprachen natürlich und räumten Erinnerungs- und Kenntnislücken offen eingeräumt. Dass die Klägerin Ehefrau bzw. Muttter der Zeugen W[…] ist, begründet nicht die Unglaubwürdigkeit der Zeugen, zumal ihre Aussagen keine auffälligen Belastungstendenzen zeigten. Auch die geringe Diskrepanz der Angaben des Zeugen J[…] W[…] zu den Feststellungen der korrespondierenden Schäden begründet diese nicht. Vielmehr hat der Sachverständige G[…] mit dem Unfall korrespondierende Schäden am Auto beschädigt, die auch der Zeuge J[…] W[…] angegeben hat, auch wenn es in Einzelheiten eher geringfügige Unstimmigkeiten gegeben hat. Die Verbindung der Klägerseite zum Zeugen Sch[…] wird beklagtenseits lediglich als irgendwie möglich „ins Blaue hinein“ in den Raum gestellt. Anhaltspunkte für seine Unglaubwürdigkeit sieht das Gericht aber weder aufgrund seines Verhaltens noch aufgrund der wagen Anwürfe.

Die Aussage des Zeugen B[…], dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, überzeugt das Gericht nicht, um eine Beschleunigung des klägerischen Fahrzeugs als beweisen anzusehen. Sie war anders als die Aussage des Zeugen J[…] W[…] von deutlichen Entlastungsbestreben geprägt. Der Zeuge B[…] hat bekundet, dass er sich, als er schon fast am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen sei, so erschrocken habe, als das klägerische Fahrzeug neben ihm noch da war. So gab er anders als die anderen Zeugen an, kein weiteres Fahrzeug als das klägerische überholt zu haben. Das Fahrzeug des Zeugen Sch[…] im Gegenverkehr sei noch sehr weit weg gewesen und wahrscheinlich erst aufgetaucht, als er mit dem Fahrzeug der Klägerin schon auf einer Höhe gewesen sei. Warum der Zeuge Sch[…] dann panisch auf den Fußweg auswich, blieb in seiner Aussage offen. Der Zeuge B[…] war offensichtlich bemüht seinen Anteil an dem Unfall herunterzuspielen. Insgesamt wirkte er sehr fahrig und konfus. Dem Gericht ist nachhaltig in Erinnerung geblieben, dass es durchaus bedenklich ist, dass der Zeuge B[…], mag er vor Gericht auch besonders aufgeregt gewesen sein, noch aktiv am Straßenverkehr teilnimmt. Der Zeuge selbst hat aber auch nicht gesehen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beschleunigt hat, um ihm das Einscheren zu erschweren, er hat es vielmehr nur vermutet. Denn auf Nachfrage erklärte er, er sei schon am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen, habe einscheren wollen, als dieses plötzlich neben ihm gewesen sei, der müsse beschleunigt haben, es könne nicht anders gewesen sein. Während seines Überholvorgangs hatte er nicht bemerkt, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beschleunigt hat. Dies deckt sich auch mit dem hektisch-konfusen Eindruck des Gerichts vom Zeugen B[…].

Nach intensivem schriftlichen Befragen des gerichtlich bestellten Sachverständigen geht das Gericht davon aus, dass der beklagtenseits behauptete Unfallhergang, wonach das klägerische Fahrzeug während des Überholvorgangs nochmals beschleunigt hätte, zwar gemäß seiner Rekonstruktion des Fahrvorgangs technisch möglich ist, aber nicht nachgewiesen werden kann.

Vielmehr hat auch der einvernommene Zeuge Sch[…], der den Verkehrsvorgang sehr genau beobachtet hat, nicht feststellen können, dass das klägerische Fahrzeug beschleunigt habe, sondern vielmehr den Verkehrsvorgang als gleichmäßiges Fahren des klägerischen Fahrers beschrieben.

Mithin hat die Beklagtenseite den gegen sie entsprechenden Beweis des 1. Anscheins nicht entkräften können.

b)

Auf der anderen Seite konnte die Beklagte keinen Verstoß des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs gegen verkehrsrechtliche Vorschriften beweisen, insbesondere auch keinen Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO, wonach ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden muss. Ein solcher Verstoß wurde weder behauptet, noch wäre er sonst ersichtlich. Wie zuvor ausgeführt hat der Sachverständige G[…] auch nicht mit Sicherheit feststellen können, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs während des Überholvorgangs beschleunigt hat. Allein die technische Möglichkeit, dass es so gewesen sein könnte, erbringt den Nachweis nicht. Auch die Aussagen der Zeugen sprechen dagegen.

Der im Gegenverkehr befindliche Zeuge Sch[…] hat eine Beschleunigung des klägerischen Fahrzeugs nicht wahrgenommen. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass der Zeuge Sch[…], der den Gegenverkehr wegen der für ihn drohenden Gefahr genau beobachtet hat, ein solches Fahrmanöver anderenfalls bemerkt hätte.

4.2.

Die Abwägung der haftungsbestimmenden Verursachungsanteile gem. § 17 StVG führt unter diesen Umständen dazu, dass die Beklagte den Schaden ganz zu tragen hat. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt bei der Abwägung zurück.

Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die dessen Mitverschulden belegen; allein die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw rechtfertigt keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers (KG, Urteil vom 12. Juni 2003, 22 U 134/02, juris). Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (höchste Sorgfaltsstufe): er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat. In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für die Unfallschäden allein (Senat, Urteil vom 2. Oktober 2003, 12 U 53/02, VRS 106, 23 = KOR 2004, 106 = VM 2004. 29 Nr. 26 = VersR 2004,621; KG Berlin, Beschluss vom 3. Juli 2008- 12 U 239/07-, Rn. 23 – 24, juris).

Eine ordnungsgemäße Rückschau hat der Zeuge B[…] gerade nicht bestätigt.

5.

Danach hat die Beklagtenseite die bei dem Unfall entstandenen Schäden wie tenoriert gemäß § 249 BGB allein zutragen.

5.1

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 2.972,78 EUR (netto).

Das Gericht ist aufgrund des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen G[…] davon überzeugt, dass der Klägerin an dem PKW jedenfalls Schäden in dieser Flöhe entstanden sind.

a)

Bei unstreitigen Vorschäden und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits zuvor vorhanden waren (vgl. hierzu BGFIZ 71, 339), wofür er bei unstreitigen Vorschäden im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss (BGFl, Beschluss vom 6. Juni 2007, Az.: 12 U 57/06, VRS 113, 421).

Das Gericht hat nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden. Der Geschädigte ist jedoch verpflichtet die tatsächlichen Grundlagen die Anhaltspunkte für eine Einschätzung des Schadens und seiner Flöhe beizubringen und zu beweisen. Dies gilt insbesondere für die Darlegung und den Nachweis, dass der Schaden nach Art und Umfang auf das behauptete Unfallereignis zurückzuführen ist. Im Ergebnis der durch geführten Beweisaufnahme hat die Klägerin den Nachweis erbracht, dass ihr infolge des durch den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs verursachten Unfalls ein Schaden in der geltend gemachten Höhe entstanden ist. Sie hat dabei lediglich Anspruch auf Ersatz derjenigen Kosten, die erforderlich sind, um den Zustand herzustellen, in dem sich das Fahrzeug vor der Beschädigung durch den streitgegenständlichen Unfall befand. Hierzu hat der Zeuge J[…] W[…] erklärt, dass er die vorhandenen Vorschäden bereits vor der Begutachtung hat beseitigen lassen und ein vermeintliches Missverständnis bei der Dokumentation in der „Elypse“ auf den Fotos in der Ermittlungsakte durch den unfallaufnehmenden Polizeibeamten vorliegen müsse. Er hat nachvollziehbar in seiner Aussage angegeben, dass die von der Polizei dokumentierten Vorschäden auf einem Irrtum beruhten. Allerdings haben sich im Ergebnis des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens nicht alle Schäden mit dem Unfallereignis in Einklang bringen lassen. Jedoch hat der gerichtlich bestellte Sachverständige auf Nachfrage durch das Gericht bestätigt, dass die geltend gemachten Kosten für die Reparatur der mit dem Unfall korrespondieren Schäden erforderlich werden würden. Der Sachverständige hat in seinen Gutachten vom 01.11.2022 und 20.11.2022 mit Skizzen anhand der Höhenlagen und Charakteristika der Schäden nachvollziehbar und plausibel ausgeführt, dass sich die Schrammspur am linken Seitenteil der unteren äußeren Heckleuchte des VW sowie die Schadenspuren an der linken hinteren Fahrzeugtür, am linken Seitenteil, der linken hinteren Leichtmetallfelge und dem Stoßfänger hinten links dem streitgegenständlichen Unfall zuordnen lassen, andererseits die eher diffuse Verschrammung am Heckstoßfänger des VW links der Höhenlage des streitgegenständlichen Unfalls nicht zuzuordnen ist. Dies hat der Sachverständige als lediglich geringen Vorschaden eingestuft. Zu den anfallenden Reparaturkosten hat der Sachverständige ausgeführt, dass für die Reparatur die unfallbedingten Schäden Kosten in Höhe von ca. 3.520 -3.570 € anfallen würden. Dies deckt sich insoweit mit den geltend gemachten klägerischen Kosten von 3.200 €.

5.2

Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Unfallkostenpauschale i.H.v. 25 €, die das Gericht in ständiger Rechtsprechung gemäß § 287 ZPO für Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall ohne den Nachweis einzelner Schadenspositionen anerkennt.

5.3

Die Klägerin kann von der Beklagten auch die Zahlung von 129 € Nutzungsschadensausfall beanspruchen.

a)

Der vom Schädiger gemäß § 249 BGB zu ersetzenden Schaden erfasst auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Kraftfahrzeugs.

Es ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung unabhängig davon, ob der Wagen repariert wird, besteht. Der Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der die Möglichkeit zur Nutzung seines Pkw infolge eines Verkehrsunfalls einbüßt, hat auch dann ein Schadensersatzanspruch in Form einer Nutzungsentschädigung, wenn er kein Ersatzfahrzeug mietet. Voraussetzung ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs des Geschädigten und die fühlbare Beeinträchtigung der Nutzung, wobei dies Nutzungswillen und eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit voraussetzt (Grüneberg im Palandt 25. Aufl. 2016 149 und 40).

b)

Der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs der Klägerin ist zwischen den Parteien unstreitig. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht beabsichtigte das Fahrzeug zu nutzen, sind nicht ersichtlich. Das unsubstantiierte Bestreiten der Beklagtenseite hebt vorliegend diese Vermutungswirkung nicht auf. Das Gericht schätzt nach § 287 ZPO im Zusammenhang mit den bestätigten Angaben des Sachverständigen den Ausfall auf drei Tage. Die Höhe der Nutzungsentschädigung bemisst das Gericht nach den Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch mit 43 €/Tag. Diese Tabelle ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt (vergleiche BGH, Urteil vom 23.11.2004, Az. VIZR 357/03, Juris).

C)

Anders als die Beklagtenseite meint, liegt hier auch keine unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden vor. Die in der Rechtsprechung ausgeschlossene Mischung der beiden Schadenspositionen bezieht sich auf die Reparaturkosten an der beschädigten Sache selbst (BGH, Urteil vom 12.10.2021, Az.: VI ZR 513/19, juris).

5.4

Zudem hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die außergerichtliche Begutachtung des Unfallschadens durch die DEKRA Automobil GmbH in Höhe von auf 446,55 €, §§ 249, 257 S. 1 BGB.

Anders als die Beklagte meint, war das außergerichtliche Gutachten der DEKRA auch verwertbar. Die wesentlichen Feststellungen des außergerichtlichen Sachverständigen stimmen zum unfallbedingten Schaden und der Höhe der Reparaturkosten mit denen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen überein.

5.5

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 238,83 €.

Soweit dieser Anspruch gemäß § 86 VVO auf die Rechtsschutzversicherung der Klägerin übergegangen ist, wurde die Klägerin im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft bevollmächtigt diese Kosten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Die Kosten der Rechtsverfolgung ergeben sich aus dem Gegenstandswert der berechtigten Forderung in Höhe von 3.573, 33 € wie folgt.

1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2 300 VV RVG 361,40 €

abzüglich Anrechnung 0,65 Geschäftsgebühr Nr. 2300 W RVG

gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a RVG 180,70 €

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7 002 VV RVG 20 €

Nettobetrag 200,70 €

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7 008 VV RVG 38,13 €

Gesamtbetrag 238,83 €

5.6

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der weiteren ihr aufgrund des Unfalls entstandenen Schäden. Das Feststellungsinteresse beruht darauf, dass die Klägerin hier zunächst nur Reparaturkosten, die voraussichtlich anfallen werden, geltend macht, jedoch die Reparatur noch nicht hat vornehmen lassen.

Für den Fall der Reparatur steht zu erwarten, dass der Klägerin zumindest noch Kosten für die dann anfallende Umsatzsteuer entstehen werden.

6.

Die Beklagte hat der Klägerin die geltend gemachten Schäden gemäß § 849 BGB ab dem Folgetag des Unfallzeitpunkts, mithin ab dem 6.11.2021 mit dem gesetzlichen Zinssatz von 4 Prozentpunkten gemäß § 246 BGB zu verzinsen. Die weiteren Schäden hat die Beklagte der Klägerin ab dem 21. 1. 2022, bzw. dem Zeitpunkt, ab dem sich die Beklagte mit der Begleichung der übrigen Schadenspositionen in Verzug befand, gemäß §§ 247 BGB, 286 Abs. 1,

288 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wie tenoriert zu verzinsen.

7.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Abs.1 ZPO.

Der Streitwert wurde nach §§ 39 Abs.1,43, 45 Abs.1, 48 GKG i.V.m. §§ 3, 5 ZPO bemessen.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22

Zur Erstattungsfähigkeit von Mietwagen-, Desinfektions- und Probefahrtkosten im Rahmen der Schadenregulierung nach einem Verkehrsunfall

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21) können vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung durch einen durch einen Verkehrsunfall Geschädigten grundsätzlich Mietwagenkosten im Einklang mit der Leitentscheidung der (Berufungs-)Kammer des Landgerichts Görlitz (LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19) anhand des Fraunhofer Mietpreisspiegels zuzüglich einer pauschalen Erhöhung von 30 Prozent erstattet verlangt werden.

Auf die Tatsache, ob es sich beim Mietfahrzeug um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handelt, kommt es im Sinne der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Dresden (OLG Dresden, Urteil vom 4.11.2020 – 1 U 995/20) nicht an, da dies lediglich versicherungsrechtliche Auswirkungen für den Vermieter hat.

Zudem sind grundsätzlich auch die Kosten für eine Probefahrt und Desinfektionskosten erstattungsfähig.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten:
LG Stuttgart, Urteil vom 21.07.2021 – 13 S 25/21; LG Coburg, Endurteil vom 28.5.2021 – 32 S 7/21; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 2.9.2022 – 21 C 109/22; AG Wolfach, Urteil vom 8.6.2021 – 1 C 2/21; AG Bautzen, Urteil vom 5.7.2021 – 21 C 129/21; AG Frankenthal, Urteil vom 12.04.2021 – 3a C 253/20; AG Kempten, Urteil vom 12.3.2021 – 1 C 1118/20; AG Siegen, Urteil vom 8.3.2021 – 14 C 1990/20; AG Stuttgart, Urteil vom 15.2.2021 – 47 C 3723/20; AG Weißwasser, Urteil vom 26.1.2021 – 3 C 222/20; AG München, Urteil vom 27.11.2020 – 333 C 17092/20; AG Aachen, Urteil vom 16.11.2020 – 116 C 123/20; AG Heinsberg, Urteil vom 4.9.2020 – 18 C 161/20; so auch AG Bautzen, Hinweisbeschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21.

Urteile zu Fraunhofer-Mietpreisspiegel zzgl. 30% Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten im Rahmen der Schadenregulierung:
LG Görlitz, Urteil vom 28. Februar 2024 – 5 O 502/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; ausführlich: AG Bautzen, Urteil vom 17.9.2021 – 22 C 254/21; AG Bautzen, Beschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 18.6.2021 – 22 C 38/21; AG Bautzen, Urteil vom 23.4.2021 – 20 C 15/20; AG Bautzen, Urteil vom 22.4.2021 – 21 C 729/19; regionale Leitentscheidung: LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19

Abweichend hiervon mit arithmetisches Mittel aus der Schwacke-Liste und dem „Fraunhofer-Mietpreisspiegel“ als Maßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19

Abweichend hiervon Fraunhofer-Mietpreisspiegel ohne Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 23.5.2019 – 22 C 98/19; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 790/17; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 250/17

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Probefahrt:
Die Kosten einer Probefahrt sind zu erstatten, wenn der Sachverständige eine solche – z.B. zur Überprüfung von Windgeräuschen der Tür und Seitenwand – ebenso für notwendig erachtet hat, wie die durchführende Werkstatt: AG Bautzen, Urteil vom 28.4.2023 – 20 C 413/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; AG Nördlingen, Urteil vom 21.7.2020 – 2 C 129/20; AG Dresden, Urteil vom 02.07.2020 – 101 C 1516/20; AG Meppen, Urteil vom 16.9.2019 – 3 C 182/19; AG Stade, Urteil vom 14.5.2018 – 63 C 28/18; AG Stuttgart, Urteil vom 21.11.2017 – 43 C 2284/17; AG Frankfurt am Main, Urteil vom 1.2.2017 – 31 C 277/16 (17); AG Konstanz, Urteil vom 28.11.2016 – 9 C 597/16; AG Heinsberg, Urteil vom 28.03.2013 – 36 C 81/12; so auch AG Bautzen, Hinweisbeschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherungs-[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495 a ZPO am 4.4.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 290,54 EUR […] freizustellen.
b) den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 66,15 EUR […] freizustellen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 378,74 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Tatbestand entfällt gemäß § 313a ZPO.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

I. Das Amtsgericht Bautzen ist gemäß § 32 ZPO i.V.m. § 20 StVG örtlich und gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.

II. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Freistellung von den Mietwagenkosten in Höhe von 290,54 Euro […] und der restlichen Reparaturkosten in Höhe von anteilig 66,15 Euro […] gemäß §§ 7, 18 Abs. 1, 17 StVG, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB i.V.m. § 115 VVG.

1. Die Einstandspflicht der Beklagten als Haftpflichtversicherung dem Grunde nach aus dem Verkehrsunfall vom 09.02.2021 […] in Bischofswerda ist zwischen den Parteien unstreitig.

2. Ein Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten besteht auch in der geltend gemachten Höhe. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Reparaturdauer von fünf Tagen sowie des Unfalltages für die Begutachtung der Nutzungstauglichkeit, da er sein Fahrzeug dringend benötigte, mithin insgesamt für sechs Tage. Das Gericht schätzt dabei die Höhe der erforderlichen und angemessenen Kosten im Einklang mit der Rechtsprechung des Landgerichts Görlitz anhand des Fraunhofer Mietpreisspiegels zuzüglich einer pauschalen Erhöhung von 30 Prozent. Der Kläger kann für die Mietwagenklasse 5 in seinem Postleitzahlengebiet damit Kosten in Höhe von 440,54 Euro abzüglich der geleisteten 150,00 Euro verlangen (272,44 Euro plus 92,47 Euro = 364,91 Euro zuzüglich 109,47 Euro =474,38 Euro maximal).

Auf die Tatsache, ob es sich um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handelt, kommt es vorliegend nicht an, da dies lediglich versicherungsrechtliche Auswirkungen für den Vermieter hat, vgl. OLG Dresden, Urt. v. 04.11.2020, Az. 1 U 995/20.

3. Der Kläger hat insoweit auch Anspruch auf Freistellung von den in der Reparaturrechnung […] ausgewiesenen Positionen „Probefahrt“ und der hälftigen „Desinfektionskosten“.

a) Der Anspruch auf die Kosten der Probefahrt folgt dem sogenannten Werkstattrisiko. Sie ist grundsätzlich nach einer größeren Reparatur auch notwendig zur Überprüfung der Vollständigkeit der Reparatur und zum Ausschluss möglicher Nachforderungen. Vorliegend war diese jedoch auch zur Abstellung der Windgeräusche veranlasst.

Nach der subjektbezogenen Schadensbetrachtung kann der Geschädigte grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren, vgl. BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014 – 37 C 11789/11. Unerheblich ist dabei, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszelten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind. Ein Auswahlverschulden des Klägers ist insoweit auch nicht zu erkennen.

b) Auch die Desinfektionskosten vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kunden sind nach Auffassung der hiesigen Richterabteilung erstattungsfähig. Es fehlt auch nicht an einer Kausalität des Unfalls für die Desinfektionsmaßnahmen, denn ohne den Unfall wäre keine Reparatur und damit auch keine Desinfektion erforderlich geworden. Auch bei fehlender ausdrücklicher Vereinbarung handelt es sich daher um übliche Kosten, welche nach Maßgabe des § 612 Abs. 2 BGB zu erstatten sind. Die Kosten stellen ebenso wenig Gemeinkosten da, da sie nicht dem Schutz der Mitarbeiter, sondern des Kunden dienen.

Die Kosten der Desinfektion bei Annahme des Fahrzeugs in Höhe des hälftigen Betrages von 22,05 Euro sind hingegen nicht erstattungsfähig, da sie dem Schutz der Mitarbeiter dienen.

Der Zeuge L[…] hat im Rahmen der schriftlichen Zeugenbefragung angegeben, der angegebene Arbeitsaufwand von 0,3h sei nicht nur für die Desinfektion vor Rückgabe des Fahrzeugs, sondern auch für die Desinfektion bei Annahme des Fahrzeugs veranschlagt worden, sodass die Kosten hälftig zu kürzen waren.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da die Zuvielforderung nur verhältnismäßig geringfügig war.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

IV. Der Wert der Beschwer übersteigt 600,00 EUR nicht; eine Zulassung der Berufung ist nicht veranlasst (§ 511 Abs. 2 und 4 ZPO).

V. Der Streitwert war entsprechend der begehrten Hauptklageforderung festzusetzen.“

AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21

Zum Umfang der erstattungsfähigen Parteikosten

Nach dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin (LG Berlin, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.11.2022 – 50 O 258/21) steht es einer Partei, deren persönliches Erscheinen durch das Gericht angeordnet wurde, frei die Art des Verkehrsmittels zu wählen. Zudem sind die Kosten für eine Übernachtung zu erstatten, wenn eine An- oder Rückreise andernfalls in die Nachtzeit von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr gefallen wäre.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Parteikosten der Klägerin waren in voller Höhe zu berücksichtigen.
Die Anreise zum Gerichtstermin war erforderlich. Das Gericht hatte das persönliche Erscheinen der Klägerin angeordnet. Die Klägerin war berechtigt, die Art des Verkehrsmittels frei zu wählen (BeckOK Kostenrecht, § 5 JVEG Rn. 1; Binz/Dörndofer/Zimmermann, § 5 JVEG Rn. 1), sodass die Kilometerpauschale erstattungsfähig ist. Die Hotelkosten sind der Höhe nach ortsüblich und angemessen. Die Kosten für zwei Übernachtungen waren zu berücksichtigen, da An- bzw. Rückfahrt andernfalls in die sog. Nachtzeit von 21 Uhr bis 6 Uhr gefallen wären (MüKoZPO, § 91 Rn. 153; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.07.2003, 21 W 12/03).“

LG Berlin, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.11.2022 – 50 O 258/21

Haftungsverteilung 1/3 zu 2/3 bei Verkehrsunfall zwischen einem aus einer Ausfahrt Anfahrenden und einem Vorfahrtsberechtigten, der unter Missachtung der durchgezogenen weißen Linie, die der Fahrstreifenbegrenzung dient, wartende Fahrzeuge überholt

Nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz mit Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 14.3.2023 – 5 O 380/20) wurde entschieden, dass die Beklagte für 2/3 der unfallbedingten Schäden haftet. Der Fall betraf zwei Fahrzeuge, bei denen sich jeweils die Betriebsgefahr verwirklicht hatte. Allerdings wurde die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs als höher eingestuft. Der Kläger hatte im Ergebnis der Beweisaufnahme gegen Verkehrsregeln verstoßen, indem er trotz einer durchgezogenen Linie überholte. Im Gegensatz dazu hatte der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs die strengen Anforderungen beim Einfahren und Anfahren gemäß § 10 StVO nicht eingehalten.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz […]

im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 08.03.2023 eingereichten Schriftsätze

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 212,50 € zu zahlen nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB ab dem 27.08.2020 sowie aus einem Betrag von 425,00 € für den Zeitraum vom 11.07.2020 bis 26.08.2020.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 400,00 € zu zahlen nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB seit dem 12.09.2020.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen aus der Rechnung […] für Reparatur und Mietwagenkosten i.H.v. 318,85 € freizustellen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die […]versicherung […] einen Betrag i.H.v. 1.267,51 € zu zahlen […].

5. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Ingenieur- und Sachverständigenbüro […], von Forderungen i.H.v. 549,19 € aus der Rechnung […] freizustellen.

6. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

7. Das Urteil ist für die Beklagten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Geldbetrages.

Streitwert: 14.105,68 € bis 31.08.2020, danach bis 8.000,00 €.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch nach einem Verkehrsunfall.

Am 05.06.2020 gegen 15:45 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw Skoda die […] Straße. Vor der nächsten Kreuzung bildet sich verkehrsbedingt ein Stau. Der Kläger entschied sich, an dem stehenden Fahrzeugen links vorbei zu fahren, um sich an der Kreuzung in der Linksabbiegerspur einordnen zu können.

Der voraus befindliche im Stau stehende Verkehr ließ i.H.d. Ausfahrt vom rechts befindlichen […]markt eine Lücke. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversichernden Pkw Nissan nutzte diese Lücke, um aus dieser Ausfahrt herauszufahren mit dem Ziel, nach links auf die […] Straße aufzufahren.

In Höhe der Ausfahrt des […]marktes kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

In Fahrtrichtung des Klägers gesehen, befand sich in dem Bereich vor der Ausfahrt vom […]markt eine Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295 StVO).

In Folge des Unfalls entstanden dem Kläger Gutachterkosten i.H.v. 1.098,37 € brutto sowie Mietwagenkosten i.H.v. 835,20 €. Die Werkstatt rechnete ihm gegenüber Reparaturkosten am Pkw i.H.v. 10.983,19 € brutto ab. Am Fahrzeug verbleibt ein Minderwert von 400,00 €. Mit Abrechnungsschreiben vom 26.08.2020 regulierte die Beklagte insgesamt materielle Schäden i.H.v. 7.096,88 € […].

Der Kaskoversicherer des Klägers zahlte auf die Reparaturkosten den Betrag von 5.759,20 €.

Der Kläger trägt vor, der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen. Er habe eine Ausgangsgeschwindigkeit von maximal 15 km/h gehabt.

Die vorbenannte Teilregulierung durch die Beklagte erfolgte nach Klageerhebung mit Klageschrift vom 20.08.2020, jedoch vor Rechtshängigkeit der Klage (Zustellung am 12.09.2020).

Mit Schriftsatz vom 31.08.2020 erklärte der Kläger seine Teilklagerücknahme […].

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a. an den Kläger 425 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus€ seit dem 11.7.2020 zu zahlen.
b. an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäߧ 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
c. den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen aus der Rechnung […] für Reparatur- und Mietwagenkosten in Höhe von 11.818,39 € freizustellen.
d. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 1098,37 € aus der Rechnung […] freizustellen.
e. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7 /9, 01097 Dresden von der Forderung Für die Erstattung der Akteneinsichtspauschale in Höhe von 13,92 € (brutto) freizustellen.
f. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7 /9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 536,50 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt vor, der Kläger sei mit seinem Fahrzeug an den stehenden Fahrzeugen bis zur Unfallstelle vorbeigefahren, wobei er die durchgezogene Fahrstreifenbegrenzung überquert habe. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs habe sich aus der Ausfahrt heraus durch die belassene Mitte heraus getastet. Das unfallgegnerische Fahrzeug sei so dicht an den stehenden Fahrzeugen vorbeigefahren oder so schnell, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges den Unfall nicht habe vermeiden können.

Aus der gegebenen Unfallsituation erwachse eine Haftungsquote von maximal 50 %.

Nach Prüfung der Reparaturkostenrechnung bestreitet die Beklagte die Notwendigkeit von Reparaturkosten i.H.v. insgesamt 443,71 € […].

Ferner bestreitet die Beklagte eine unfallbedingte Verletzung des Klägers mithin das Vorliegen eines HWS-Traumas. Ein solches Trauma habe angesichts der geringen Intensität des Unfalls nicht eintreten können.

Es wurde Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Gutachtens. Die Verkehrsunfallakte wurde beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Die Parteien sind sich mittlerweile darüber einig, dass der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 400 € hat.

Entscheidungsgründe:

I.

Aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.06.2020 hat der Kläger Anspruch auf Schadensersatz, wie tenoriert (§ 7 StVG, § 115 VVG).

Die Beklagte haftet für die unfallbedingten Schäden mit einer Haftungsquote von 2/3 zu ihren Lasten. Bei diesem Unfall hat sich die Betriebsgefahr beider unfallbeteiligter Pkw verwirklicht. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges tritt nicht zurück hinter diejenige des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges.

Die Betriebsgefahr des klägerischen Pkw Skoda war dadurch erhöht, weil er unter Missachtung der durchgezogenen weißen Linie, die der Fahrstreifenbegrenzung dient (Zeichen 295) die im voraus befindlichen Fahrzeugstau überholte. Die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges war erhöht, weil der Fahrer dieses Fahrzeuges die strengen Anforderungen beim Einfahren und Anfahren (§ 10 StVO) nicht beachtet hat.

Der Verkehrsverstoß des Klägers lässt sich im Ergebnis der Beweisaufnahme feststellen aufgrund der Ermittlungen und Einschätzungen des Sachverständigen […], die im Einklang stehen mit den Feststellungen der Polizei vor Ort, wie es sich aus der beigezogenen Unfallakte ergibt.

Mit dem schriftlichen unfallanalytischen Gutachten lässt sich außerdem feststellen, dass der Unfall für beide Fahrzeugführer nur dann vermeidbar war, wenn sie auf ihr jeweils eigenes Fahrmanöver verzichtet hätten. Das heißt, wenn der Kläger auf das Überholen oder der Beklagte auf das Auffahren auf die Bundesstraße mit der Absicht nach links abzubiegen verzichtet hätte.

Der Verkehrspflichtenverstoß des Fahrzeugführers des Beklagtenfahrzeugs wiegt deutlich schwerer als derjenige Pflichtenverstoß des Klägers, so dass auch die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges als höher zu bewerten ist.

Wer aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen (§ 10 StVO). Damit sind die strengsten Verhaltensanforderungen aufgestellt. Diese hat der Führer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges letztlich gerade nicht erfüllt.

Der Kläger hat insgesamt materielle Schäden erlitten i.H.v. 13.341,76 € (Reparaturkosten 10.983,19 €, Wertminderung 400,00 €, Gutachterkosten 1.098,37 €, Mietwagenkosten 835,20 €, Pauschale 25,00 €). Hinzu kommen Nebenkosten (Akteneinsichtskosten von 13,92 € und Rechtsanwaltskosten von 536,50 €).

Der Unterzeichner schätzt die Reparaturkosten entsprechend der Reparaturkostenrechnung auf 10.983,19 € (§ 287 Abs. 1 ZPO). Weitere Beweisaufnahme etwa durch Einholung von Gutachten ist mit Blick auf den insoweit streitigen Betrag von 443,71 € sowohl prozessual als auch finanziell unverhältnismäßig. Hinzu kommt, dass eine Werkstatt eine eigenständige Kostenkalkulation vornehmen darf und jedenfalls gegenüber Dritten nicht an Vorgaben von Fahrzeugherstellern gebunden ist. Ferner kommt hinzu, dass ein Geschädigter vor der Beauftragung einer Reparatur keine Marktforschung betreiben muss, um festzustellen, ob bei einer anderen Werkstatt als der, die er ausgewählt hat, die Reparatur um ein paar wenige Hundert Euro günstiger ausfällt, wenn der Schaden ungefähr 10.000,00 € beträgt.

Von dem materiellen Schaden hat die Beklagte die Nebenkosten bereits ausdrücklich reguliert. Dementsprechend hat der Kläger seine diesbezügliche Klage bereits zurückgenommen.

Von den 13.341,76 € Hauptforderung hat die Beklagte 2/3 zu ersetzen, mithin einen Betrag von 8,894,51 €. Von diesem Betrag erstattete die Beklagte bereits 6.546,46 € (7.096,88 € abzüglich 13,92 € abzüglich 536,50 €).

Damit verbleibt eine Restforderung von 2.348,05 €. Aus diesem Betrag sind zunächst die verbliebenen Forderungen des Klägers zu befriedigen (Quotenvorrecht; Klageanträge 1 a., c., e.: 212,50 €; 318,85 €; 549,19 €). Es verbleibt ein Anspruchsrest von 1.267,51 €. Das ist der Betrag, den die Beklagte an den Kaskoversicherer des Klägers zu zahlen hat.

Wegen der unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen steht dem Kläger auch ein Schmerzensgeld i.H.v. 400 € zu. Über diesen Anspruch haben sich die Parteien zuletzt verständigt.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 709 ZPO, § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.“

(LG Görlitz, Urteil vom 14.3.2023 – 5 O 380/20)

Zur Angemessenheit von erstattungsfähigen Sachverständigenkosten für die Erstellung eines Schadengutachtens nach einem Verkehrsunfall

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22) ist die Höhe der erforderlichen Kosten für die Erstellung eines Schadensgutachtens im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln, soweit der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen nicht vollständig beglichen und keine Honorarvereinbarung mit dem Sachverständigen geschlossen hat. Für die Schätzung ist im Rahmen der „Plausibilitätskontrolle“ die Rechnung des Sachverständigen der Ausgangspunkt für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes gemäß § 249 Abs. 2 BGB, soweit das in Rechnung gestellte Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und dies subjektiv für den Geschädigten erkennbar war. Ein Anknüpfungspunkt für die Feststellung einer objektiv vorliegenden deutlichen Überhöhung stellt die branchenübliche Vergütung dar, für die sich das Gericht u.a. an der aktuelle BVSK-Honorarbefragung oder dem Honorartableau der HUK-Coburg orientieren kann. Bezüglich der erstattungsfähigen Nebenkosten eines Sachverständigen kann sich für eine Schätzung nach § 287 ZPO das Gericht an den Bestimmungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) orientieren.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10. September 2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.06.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]
als Inhaber des Kfz-Sachverständigenbüros

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…]versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Forderung

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 31.01.2023 eingereicht werden konnten, am 08.02.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 346,36 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.08.2022 zu zahlen.
Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 44,49 Euro freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen .

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf 360,05 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der weiteren Kosten des Sachverständigengutachtens aus §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 398 BGB, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 287 ZPO in Höhe von 346,36 Euro.

Zwischen den Parteien steht ausschließlich im Streit, ob der erforderliche Herstellungsaufwand (konkret die Kosten eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der Reparaturkosten), den der Zedent […] aufgrund des Verkehrsunfalls vom 12.05.2022 in Kirschau von der Beklagten gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB vor der Abtretung hätte verlangen können, den von der Beklagten vorgerichtlich gezahlten Betrag übersteigt.

a),

Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Sein Anspruch ist auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags und nicht etwa auf Ausgleich von ihm bezahlter Rechnungsbeträge gerichtet, Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 61/17, NJW 2018, 693 Rn. 16 mwN).

Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung). Auch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Dabei verbleibt für ihn allerdings das Risiko, dass er ohne nähere Erkundigungen einen Sachverständigen beauftragt, der sich später im Prozess als zu teuer erweist. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergibt sich auch eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der vom Sachverständigen bei Vertragsabschluss geforderten bzw. später berechneten Preise.

Verlangt der Sachverständige bei Vertragsabschluss Preise, die – für den Geschädigten erkennbar – deutlich überhöht sind, kann sich die Beauftragung dieses Sachverständigen als nicht erforderlich im Sinn von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB enveisen. Der Geschädigte kann dann nur Ersatz der für die Erstattung des Gutachtens tatsächlich erforderlichen Kosten verlangen, deren Höhe der Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu bemessen hat. Im Fall einer Preisvereinbarung kann der Geschädigte Ersatz in Höhe der vereinbarten Preise nur verlangen, wenn diese für ihn bei seiner Plausibilitätskontrolle beim Abschluss der Vereinbarung nicht erkennbar deutlich überhöht waren. Weiter ist der In Rechnung gestellte Betrag nur erforderlich, wenn er sich aus den vereinbarten, zutreffend ermittelten Anknüpfungstatsachen herleiten lässt (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017, Az.: VI ZR 61/17, NJW 2018, 693 Rn. 17 mwN; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az.: VI ZR 104/19, Rn. 100 – 22, juris).

Den Geschädigten trifft gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich die Darlegungslast hinsichtlich des oben beschriebenen erforderlichen Herstellungsaufwandes.

b)

Der Vorlage der Rechnung des Sachverständigen kommt im vorliegenden Fall keine Indizwirkung für den erforderlichen Herstellungsaufwand zu.

aa)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildet nicht der vom Sachverständigen in Rechnung gestellte Betrag als solcher, sondern allein der vom Geschädigten in Übereinstimmung mit der Rechnung tatsächlich erbrachte Aufwand einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrags im Sinn von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Grund für die Annahme einer Indizwirkung des vom Geschädigten tatsächlich erbrachten Aufwands bei der Schadensschätzung liegt darin, dass bei der Bestimmung des erforderlichen Betrags im Sinn von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die besonderen Umstände des Geschädigten, mitunter auch seine möglicherweise beschränkten Erkenntnismöglichkeiten, zu berücksichtigen sind. Diese schlagen sich regelmäßig im tatsächlich aufgewendeten Betrag nieder, nicht hingegen in der Höhe der vom Sachverständigen erstellten Rechnung als solcher. Grund für die Annahme einer Indizwirkung ist, dass sich in der durch den Geschädigten beglichenen Rechnung die besonderen Umstände des Geschädigten, mitunter auch seine möglicherweise beschränkten Erkenntnismöglichkeiten niederschlagen. (BGH, Urteil vom 26. April 2016, Az.: VI ZR 50/15, VersR 2016, 1133 Rn. 12 mwN: BGH, Urteil vom 19. Juli 2016, Az.: VI ZR 491/15, NJW 2016, 3363 Rn. 19; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017, Az.: VI ZR 61/17, NJW 2018, 693 Rn. 19 mwN; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az.: VI ZR 104/19 –, Rn. 100 – 22, juris).

bb)

Nach diesen Grundsätzen kann sich der Kläger, der als Sachverständiger selbst die Rechnung für seine Tätigkeit gestellt hat und der nicht selbst Geschädigter war, sondern sich dessen Schadenersatzanspruch hat abtreten lassen, nicht auf die vorbeschriebene Indizwirkung stützen. Bei dieser Sachverhaltsgestaltung ist die Zahlung nicht geeignet, einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages im Sinn von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu geben. Sie hat keine Aussagekraft im Hinblick auf die besonderen Umstände des Geschädigten und ggf. auch seine möglicherweise beschränkten Erkenntnismöglichkeiten. Die Abtretung, mit der der Geschädigte eine Erfüllung der Honorarforderung des Sachverständigen ohne seinen eigenen finanziellen Beitrag anstrebt und die ihn deshalb nicht unmittelbar belastet, stellt keinen der Zahlung vergleichbaren Hinweis auf seine Erkenntnismöglichkeiten dar (BGH, Urteil vom 26. April 2016, Az.: VI ZR 50/15, NJW 2016, 3092 Rn. 12; BGH, Urteil vom 19. Juli 2016, Az.: VI ZR 491/15, NJW 2016, 3363 Rn. 21 mwN; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az.: VI ZR 104/19, Rn. 100 – 22, juris). Sein Interesse an der Prüfung der Höhe der Forderung ist nämlich gering, wenn er darauf vertrauen kann, dass sie von einem Dritten bezahlt werden wird.

c)

Der erforderliche Herstellungsaufwand ist im vorliegenden Fall anhand des Gutachterauftrags (nur ersichtlich aus der Abtretung) und der Rechnung sowie dem näheren Vortrag zum Aufwand des Sachverständigen zu bestimmen (§ 287 ZPO).

Fehlt es – wie hier – sowohl an einer vom Geschädigten beglichenen Rechnung als auch an einer Honorarvereinbarung und einer damit korrespondierenden Rechnung, die der Geschädigte für plausibel halten durfte, so ist die Höhe der erforderlichen Kosten unabhängig von der Rechnung und Vereinbarung im Wege der Schätzung zu ermitteln, § 287 ZPO (BGH, Urteil vom 26.04.2016, Az.: VI ZR 50/15, NJW 2016, 3092 Rn 10; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017, Az.: VI ZR 61/17, NJW 2018, 693 Rn. 28 ff.; Urteil vom 28. Februar 2017, Az.: VI ZR 76/16, DAR 2017, 316 Rn. 1; und vom 19.07.2016, NJW 2016, 3363; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az.: VI ZR 104/19, Rn. 100 – 22, juris). Bei der dann vom Tatrichter zu leistenden Bemessung der Schadenshöhe ist zu beachten, dass der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO tragfähige Anknüpfungspunkte zugrunde liegen müssen (BGH, Urteil vom 19.07.2016, Az.: VI ZR 491/15, NJW 2016, 3363, Rn. 19-20).

Von diesen Grundsätzen ausgehend kann der Kläger vorliegend die Erstattung der gutachterlichen Grundgebühr in Höhe von 673,- € (netto), die Kostenpauschale für Telefon- und Portokosten in Höhe von 9,00 € (netto), Fahrtkosten in Höhe von 3,50 € (netto), Schreibkosten in Höhe von 21,00 € (netto) und Kosten für Lichtbilder in Höhe von 26,- € (netto) jeweils zuzüglich Umsatzsteuer verlangen.

aa) Sachverständigenhonorar

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist im Rahmen der „Plausibilitätskontrolle“ unabhängig davon, inwieweit eine Preisabrede mit dem Sachverständigen besteht, das (unbeglichene) Honorar Ausgangspunkt für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn und soweit dieses Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und dies subjektiv für den Geschädigten erkennbar ist.

Bezugspunkt der Feststellung einer objektiv vorliegenden deutlichen Überhöhung ist die branchenübliche Vergütung in der Branche der KFZ-Sachverständigen. Hierfür kann u.a. die jeweils aktuelle BVSK-Honorarbefragung herangezogen werden, nach deren Honorarkorridor HB V die Hälfte der im BVSK-Verband organisierten Sachverständigen abrechnet (vgl. OLG München, Beschluss vom 12.03.2015 – 10 U 579/15, BeckRS 2015, 15458 Rn 20 ff.; Landgericht Mannheim, NJW – RR 2016, 599, 602).

Bei der Prüfung der subjektiven Erkennbarkeit einer Überhöhung des Honorars für den Geschädigten ist auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektive Schadensbetrachtung). Eine Überhöhung des Sachverständigenhonorars wird dem Laien-Geschädigten im Regelfall weder bei Vertragsschluss noch Rechnungsstellung erkennbar sein, weil ein Geschädigter regelmäßig über keine Kenntnisse über die übliche Vergütungsstruktur und -höhe auf dem Markt von KFZ-Sachverständigen verfügt und eine Überschreitung des branchenüblichen Honorars daher nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. Eine Erkennbarkeit für den Geschädigten wird man letztlich nur dann bejahen können, wenn der Sachverständige sein Honorar geradezu willkürlich festsetzt und Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen (OLG München, a.a.O.; Landgericht Mannheim, a.a.O.).

Nach diesen Parametern (deutliche Überhöhung der Vergütung auf objektiver Ebene sowie Erkennbarkeit der deutlichen Überhöhung auf subjektiver Ebene) bestehen im vorliegenden Fall gegen die abgerechnete Vergütung in Höhe von 673,00 € (netto) keine Bedenken. Er bewegt sich im Rahmen mehrerer allgemein von der Rechtsprechung anerkannter Schätzungswerte.

Zunächst ist der geltend gemachte Betrag im Honorarkorridor HB V angesiedelt (siehe: BVSK-Honorarbefragung 2020 (Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V.) im Internet abrufbar unter: BVSK-Honorarbefragung 2020 www.bvsk.de/fileadmin/download/HONORARBEFRAGUNG-2020-Gesamt.pdf) und im Hinblick darauf nicht zu beanstanden.

Allerdings ist der Einwand, dass nicht alle Sachverständige, so auch der Zessionar, in diesem Verband organisiert sind und die organisierten Sachverständigen es relativ frei in der Hand hätten, ihr Honorar festzulegen, durchaus beachtlich. Die pauschale Bemessung der Sachverständigenvergütung anhand der Schadenshöhe ist zudem nicht unproblematisch, denn der Aufwand zur Erstellung des Gutachtens ist, zumal der Schaden häufig automatisiert ermittelt wird, nicht immer hinreichend sicher korrespondierend. Hinzukommt, dass das Gericht eine quasi inflationäre Entwicklung der Kfz-Sachverständigenkosten zu Lasten der Versicherer und damit der Versichertengemeinschaft (unabhängig von der allgemeinen Inflationslage) beobachtet, weshalb die Plausibilitätskontrolle verstärkten Anforderungen durch den Abgleich mit jedenfalls einer weiteren anerkannten Tabelle, wie etwa dem Honorartableau der HUK-Coburg, oder mit einem anderen Prüfungsmaßstab erfolgen sollte.

Vorliegend bewegt sich der Sachverständige aber auch Im Rahmen der Empfehlung des Deutschen Gutachter und Sachverständigen Verbandes e.V. (DGuSV) unter Ansatz des unteren Stundensatzes von 150,00 €. Nach dem Vortrag des Sachverständigen hält das Gericht für den vorliegenden Fall einen Stundenaufwand von 4.5 Stunden für gerechtfertigt. Multipliziert man diese Stunden mit einem Stundensatz von 150,- EUR ergibt sich ein Honorar von 675,- EUR, weshalb sich das geltend gemachte Honorar von 673,- EUR auch unter diesem Vergleichsmaßstab als angemessen erweist.

Letztlich ist das hier geltend gemachte Honorar auch vom Honorartableau der HUK-Coburg „gedeckt“.

bb) Nebenkosten

Nach den vorbeschriebenen Grundsätzen steht dem Geschädigten auch ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich entstandenen Nebenkosten zu, wenn und soweit sie nicht deutlich überhöht sind und dies für den Geschädigten erkennbar ist.

Ob eine Nebenkostenabrechnung deutlich überhöht ist, bestimmt sich allerdings nicht durch einen Vergleich mit von Sachverständigenverbänden ermittelten Tabellen wie etwa derjenigen der BVSK-Honorarbefragung. Dass insbesondere die BVSK-Nebenkostentabelle nicht zur Feststellung der im Rahmen des § 249 BGB erforderlichen Nebenkosten geeignet ist, wird auch dadurch bestätigt, dass hierin nicht allein auf die tatsächlich entstandenen Aufwendungen abgestellt wird, sondern in den Nebenkosten in der Regel Gewinnanteile enthalten sind, die „bei anderer Betrachtung dem Grundhonorar zuzurechnen wären, das dann entsprechend höher anzusetzen wäre“ (BVSK-Honorarbefragung 2013 Nr. 8). Auch lässt sich anhand der tatsächlich erhobenen Nebenkosten der privaten Kfz-Sachverständigen kein aussagekräftiger Durchschnittswert von Nebenkosten – jedenfalls auf dem hiesigen regionalen Markt – ermitteln, der dem Geschädigten als verlässlicher Anhaltspunkt für die Überhöhung der Nebenkostenabrechnung dienen könnte (LG Saarbrücken, Urteil vom 19. Dezember 2014 – 13 S 41/13 -, Rn. 30 – 32, juris). Bei der nach § 287 ZPO vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung kann bezüglich der Nebenkosten eine Orientierung an den Bestimmungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) erfolgen (BGH, Urteil vom 26. April 2016 – VI ZR 50/15 –, Rn. 20, juris).

(1) Fotokosten sind in Höhe von 26,00 € erstattungsfähig.

Soweit für die Vorbereitung oder die Erstattung des Gutachtens Fotos erforderlich werden, sind die anfallenden Kosten nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 JVEG gesondert erstattungsfähig. Eine Beschränkung der Anzahl der zu erstattenden Fotos oder Farbausdrucke sieht das JVEG nicht vor, jedoch kann Aufwendungsersatz nur für solche Fotos gewährt werden, die zur Vorbereitung oder Erstattung des Gutachtens notwendig waren. Die Frage der Notwendigkeit ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig, wobei sämtliche Fotos als notwendig anzusehen sind, deren Fertigung der Sachverständige nach seinem pflichtgemäßem Ermessen im Hinblick auf den ihm erteilten Auftrag für erforderlich halten durfte (Schneider JVEG/Schneider, 3. Aufl. 2018, JVEG § 12, Rn. 56; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. April 2016 – VI ZR 50/15 Rn. 22, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23. September 2021 – 12 U 128/20 Rn. 29. juris).

Die Berechnung der Kosten für die Anfertigung von Fotos orientiert sich an § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG, wonach für jedes zur Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens erforderliche Foto 2,00 € sowie für den zweiten und jeden weiteren Abzug oder Ausdruck eines Fotos 0,50 € zu ersetzen sind (für viele; Brandenburgisches Oberiandesgericht, Urteil vom 23. September 2021 – 12 U 128/20 Rn. 29. juris; AG Dresden, Urteil vom 3. April 2017-115 0 341/16 -, Rn. 20 – 41, juris).

Es mag sein, dass Lichtbilder in einem Fotoshop deutlich günstiger zu erhalten sind. Sie müssen dennoch ausgewählt und in einem passenden Format dem Druck zugeführt werden, weshalb – unabhängig von der bei günstig zu erlangenden Kopien zu erreichenden Qualität -, nicht auf diese Preise abgestellt werden kann.

Dies ergibt im vorliegenden Fall 26,00 € für 13 Fotos ä 2,00 €

(2) Schreibkosten sind in Höhe von 21,00 € angemessen.

Schreibkosten sind in Höhe von 1,80 € pro Seite (berechnet aus 2 x 0,90 € pro angefangene 1000 Anschläge) zu ersetzen (vgl. Landgericht Bremen, Urteil vom 02.09.2016 – 3 S 289/15, zitiert nach juris unter Rn 32). Dies entspricht § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG, der im Rahmen der Schätzung der bei der Begutachtung anfallenden und erforderlichen Nebenkosten gemäß § 287 ZPO als Orientierungshilfe heranzuziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2016 – VI ZR 50/15- NJW 2016, 3092 Rn 18).

Vorliegend hat der Sachverständige pauschal 21,00 € abgerechnet. Davon ausgehend, dass das Gutachten schon ohne Lichtbilder 16 Seiten umfasst, wären nach dem JVEG sogar 28,80 € zu berücksichtigen. Infolgedessen sind die pauschal abgerechneten Schreibkosten vollumfänglich erstattungsfähig.

(3)

Die Telefon- und Portopauschale ist in Höhe von 9,00 € zu ersetzen.

Eine Pauschale für Porto- und Telefonkosten bedarf nur dann näherer Begründung, wenn sie den vom erkennenden Gericht auch ansonsten für eine Unkostenpauschale nach § 12 JVEG – ohne Einzelnachweis – noch als maximal zulässig angesehenen Betrag von 15,00 € übersteigt (vergleichbar: Landgericht Freiburg, Urteil vom 24.11.2016 – 3 S 145/16, zitiert nach juris Rn 29). Insoweit bestehen gegen die abgerechnete Pauschale in Höhe von 9,00 € keine Bedenken.

(4) Fahrtkosten sind in Höhe von 3,50 € zu erstatten.

Bezüglich der Höhe der Fahrtkosten hält das erkennende Gericht die Regelung des JVEG nicht für geeignet, da sich diese nicht an den tatsächlichen Kosten orientiert, sondern an der Höhe der steuerlichen Anerkennung privat genutzter Fahrzeuge (BT-Drucksache 15/1971, Seite 177, 232). Vielmehr ist es angemessen, diese anhand der von verschiedenen Anbietern erstellten Autokostentabellen und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung verschiedener Landgerichte (u.a. Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 19.12.2014 -13 S 41/13; Landgericht Stuttgart, Urteil vom 28.07.2016 – 5 S 333/15; Landgericht Bochum, Urteil vom 31.05.2016 – 9 S 36/16, jeweils zitiert nach juris) anzusetzen, die der Bundesgerichtshof gebilligt hat (BGH, Urteil vom 26.04.2016 – VI ZR 50/15, zitiert nach juris), auf 70 Cent/km zu schätzen. Infolge dessen sind Fahrtkosten in Höhe von 3,50 € (5 km x 0,70 €) erstattungsfähig; die geltend gemachte Pauschale von 15,00 € trägt angesichts dessen, dass der Sachverständige seinen Geschäftssitz im Wohnort des Kunden hat, nicht. Das Gericht nimmt hier mit dem Prozessbevollmächtigen des Klägers eine Wegstrecke von 5 km an.

cc)

Insgesamt ergibt sich damit ein noch zu ersetzender Betrag für die erforderlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 346,36 € wie folgt.

Sachverständigenhonorar 673,00 €
Lichtbilder 26,00 €
Fahrtkosten 3,50 €
Schreibkosten 21,00 €
Porto- und Telefon 9.00 €

732,50 €
zzgl. 19% Ust 139.17€
Gesamt 871, 67 €

bereits gezahlt ./. 515, 32 €
bereits gezahlt ./. 9,99 €

Offener Betrag 346, 36 €

2.

Der Kläger hat darüber hinaus gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 44,59 EUR gemäß §§ 249, 398, 257 S. 1 BGB nach einem Gegenstandswert von 346,36 EUR […].

3.

Die Zinsforderung folgt aus §§ 286 Abs. 1 8.1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich aufgrund der Mahnung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.07.2022 ab dem 6.8.2022 in Verzug.

4.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO nicht zuzulassen.“

AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Keine Fristsetzung zur Schadensbeseitigung durch den Vermieter erforderlich

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 2.2.2023 – 21 C 160/22) ist bei Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung der Obhutspflichten des Mieters entstanden sind, keine Fristsetzung zur Schadensbeseitigung durch den Vermieter erforderlich (so auch BGH, Urteil vom 27.06.2018 – XII ZR 79/17). Zudem kann ein Vermieter für die Beseitigung von Schäden auch die Kosten der eigenen Mitarbeiter als Eigenleistungen vom früheren Mieter erstattet verlangen.

Die durch die unterlegene Mieterin gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde durch das Landgericht Görlitz Außenkammern Bautzen mit Beschluss vom 28. Februar 2024 (Az. 5 S 10/23) zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]genossenschaft […]

– Klägerin u. Widerklägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…]

– Beklagte u. Widerklägerin –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2023 am 02.02.2023

für Recht erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit bezüglich der Klage erledigt hat.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf […] festgesetzt.

I. Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem beendeten Mietverhältnis.

Die Klägerin vermietete der Beklagten am 04.10.2019 die Wohnung in […] Bautzen […]. Das Nutzungsverhältnis wurde durch ordentliche Kündigung zum 31.08.2021 beendet. Bei Beendigung des Mietverhältnisses wurde am 30.08.2021 ein Abnahmeprotokoll erstellt, das Mängel an der Mietsache ausweist. Hierbei handelte es sich um die steitgegenständlichen Schäden an der Tapete im Wohnzimmer und Flur und am Fußbodenbelag im Wohnzimmer, die die Klägerin auf Kratzspuren eines Haustieres bzw. auch auf eine stumpfe Gewalteinwirkung durch unsachgemäßen Gebrauch zurückführt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21.02.2022 forderte die Beklagte die Rückzahlung ihrer Genossenschaftsanteile im Wert von 1.650,00 € und lehnte den Schadenersatzanspruch der Klägerin ab.

Die Klägerin behauptet, die Schäden durch ihre Mitarbeiter in Eigenleistung beseitigen lassen zu haben, wofür ihr Kosten in Höhe von 539,59 € entstanden seien. Dabei seien auf die Beseitigung der Schäden am Fußbodenbelag (unter Berücksichtigung eines Abzuges neu für alt) 245,59 € und auf die Beseitigung der Schäden an der Tapete 284,00 € entfallen.

Die Klägerin beantragte ursprünglich,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 539,59 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 22.02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragte zunächst:

1. die Klage abzuweisen sowie

2. widerklagend die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € seit dem 26.02.2022 zu zahlen.

Nachdem die Klägerin nach Beendigung der Mitgliedschaft der Beklagten das Geschäftsguthaben der Beklagten auseinandergesetzt hat, erklärte sie mit dem Auseinandersetzungsbetrag in Höhe von 1.650,00 € die Aufrechnung in Höhe von 547,45 €. Dieser ergab sich aus der Hauptforderung in Höhe von 539,59 € zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 7,86 € aus dem vorgenannten Betrag vom 22.02.2022 bis 30.06.2022 bei einem Zinssatz von fünf Prozent über dem Basiszinssatz. Zudem stellte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2020/21 vom 30.06.2022 in Höhe von 25,64 € zur Aufrechnung und überwies den Restbetrag von 1.076,91 € an die Beklagte.

Die Klägerin beantragte daraufhin, nachdem sie diesen Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt hat, festzustellen:

1. dass sich der Rechtsstreit (insoweit) erledigt hat sowie

2. die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragte daraufhin, die Klägerin und Widerbeklagte zu verurteilen,

1. an die Beklagte und Widerklägerin 547,45 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu zahlen;

2. an die Beklagte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.02.2022 zu zahlen.

Die Klägerin beantragte,

auch diese Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, man habe bei Übergabe der Wohnung an sie auf die Protokollierung des Risses im PVC-Belag verzichtet, weil es sich um einen gebrauchten PVC-Belag gehandelt habe. Der Einriss beruhe offensichtlich auf einer Materialermüdung, weshalb die Beklagte den Schaden nicht zu vertreten habe. Auch die Farbabplatzungen an der Tapete beruhten auf einer vertragsgemäßen Abnutzung der Mietsache. Die Beklagte habe einen Kratzbaum gehabt und wesentliche Teile der Wohnung vor der Reviermarkierung der Katze mit Pappe verklebt, weshalb bestritten werde, dass es sich um Kratzspuren der Katze handele. Im Übrigen habe die Klägerin der Aufnahme einer Katze in die Wohnung zugestimmt und damit Begleiterscheinungen wie Klettern und Kratzspuren zugestimmt. Jedenfalls seien die Veränderungen der Mietsache durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt worden.

Die Renovierungsleistungen der Klägerin seien nicht erstattungsfähig, weil die Beklagte ein Recht darauf gehabt hätte, diese selbst durchzuführen. Da eine offensichtliche Vertragspflichtverletzung der Beklagten nicht vorgelegen habe, hätte die Klägerin der Beklagten eine Frist zur Durchführung der Renovierungsleistungen setzen müssen.

Es werde bestritten, dass die Kosten für die Beseitigung der Schäden erforderlich und üblich und angemessen gewesen seien. Der Austausch des Fußbodenbelages im Wohnzimmer wegen eines Kratzers erscheine überzogen. Im Übrigen werde bestritten, dass sieben Arbeitsstunden und ein Eimer Farbe erforderlich gewesen seien, um die Tapete instand zu setzen. Bestritten werde auch, dass die Kratzspuren an der Tapete beseitigt worden seien. Auch sei die Restnutzung des PVC-Fußbodenbelages nicht nachvollziehbar. Dies für die gesamte Wohnzimmerfläche wegen eines Kratzers zu berechnen, erscheine überzogen, im Übrigen werde auch die Wohnzimmerfläche in Abrede gestellt. Es werde auch nicht näher dargelegt, wie die Klägerin auf den Einzelpreis und die Dauer von 49 Monate komme. Zudem werde bestritten, dass der unstreitig gebrauchte Fußbodenbelag 2017 verlegt worden sei. Auch die Kosten in Höhe von 245,59 € für die Beseitigung der Schäden werden bestritten.

Die Beklagte habe die Klägerin zur Rückzahlung der Mietsicherheit – wie schon klägerseits dargestellt – aufgefordert. Darüber hinaus sei der Einbehalt von 300,00 € nicht gerechtfertigt gewesen. Wegen der zu Unrecht erhobenen Forderung von insgesamt 839,59 € habe die Beklagte die Rechtsanwältin beauftragt, wodurch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 386,04 € entstanden seien.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen K[…] und O[…]. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 29.09.2022 und 12.01.2023 verwiesen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II. Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet (1.). Die zulässige Widerklage hat keinen Erfolg (2.).

1.

Die Erledigung der Hauptsache war festzustellen. Die ursprünglich zulässige und begründete Zahlungsklage hat sich in der Hauptsache nach Eintritt der Rechtshängigkeit erledigt.

1.1

Der Klägerin stand gegen die Beklagte bei Rechtshängigkeit der Klage ein Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 539,59 € gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 BGB zu.

Das Gericht schließt sich der Auffassung des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 27.06.2018, Az.: VII ZR 79/17 (Fundstelle; juris) an, wonach Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung der Obhutspflichten des Mieters entstanden sind, der Mieter dem Vermieter – auch nach Beendigung des Mietverhältnisses – nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB als Schadenersatz neben der Leistung nach Wahl des Vermieters durch Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder durch Geldleistung (§ 249 Abs. 2 BGB) zu ersetzen hat, ohne dass es einer vorherigen Fristsetzung des Vermieters bedarf.

a)

Das Gericht geht im Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass die Mietsache, die von der Klägerin beschriebenen Substanzschäden sowohl hinsichtlich der Kratzer und des Risses im Fußbodenbelag des Wohnzimmers als auch an den Tapeten seitlich der Wohnzimmertür und im Flur während der Mietzeit der Beklagten erlitten hat. Die Beklagte konnte ihr fehlendes Vertretenmüssen nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB weder darlegen noch beweisen.

aa)

Das Gericht ist aufgrund der Einvernahme der Zeugin K[…] und in Anbetracht des vorgelegten Wohnungsübergabeprotokolls, davon überzeugt, dass die Beschädigungen am Fußbodenbelag des Wohnzimmers in der Mietzeit der Beklagten entstanden sind.

Bereits das Übergabeprotokoll der Wohnung von der Klägerin an die Beklagte spricht dafür, dass die Wohnung mangelfrei übergeben worden ist. Die Beklagte selbst hat persönlich in der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2023 erklärt, dass sie nicht mehr genau sagen könne, ob die Stellen im Fußboden bereits vorher da gewesen wären. Angesichts der vorgelegten und in Augenschein genommenen Lichtbilder ist davon auszugehen, dass anderenfalls solche auffälligen Schäden aufgenommen worden wären.

Gleiches bestätigt auch die Zeugin K[…], die für das Gericht sowohl in ihrem Auftreten glaubwürdig als auch in ihrer Aussage glaubhaft war. Sie zeigte keinerlei Belastungstendenzen und hat sich auch im Rahmen der sehr intensiven Befragung durch den Beklagtenvertreter weder aus der Ruhe noch von ihrem in sich konsistenten Aussageverhalten abbringen lassen. Sie ist vielmehr bei ihrer Angabe geblieben, dass die Wohnung jedenfalls mangelfrei war, als sie diese von der Vormieterin übernommen habe, weil sie bei der Wohnungsübergabe an die Beklagte nicht dabei war. Sie konnte zudem gut nachvollziehbar und detailliert die Kratzer und den Riss im Fußbodenbelag im Abnahmetermin von der Beklagten beschreiben. Ihre Aussage, dass die zu den Akten gereichten Fotos von ihr bei der Übernahme der Wohnung gemacht worden sind, war glaubwürdig.

bb)

Die Zeugin K[…] hat auch glaubhaft bestätigt, dass die in Augenschein genommenen, bei der Akte befindlichen Fotos, die bei der Wohnungsübernahme von ihr gemacht worden sind, die vermutlichen Kratzspuren an der Wohnzimmerwand der Tür zum Flur hin und im Flur zeigen.

Diese Schäden hat auch der Zeuge O[…] glaubhaft so bestätigt.

cc)

Sowohl bei den Schäden im Fußbodenbelag als auch an den Tapeten handelt es sich nicht um eine normale Abnutzung im Rahmen des üblichen Mietgebrauchs. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Klägerin der Beklagten die Haltung einer Katze genehmigt hat. Sie hat damit jedenfalls nicht der Zerstörung der Tapete und des Fußbodenbelages zugestimmt.

dd)

Die Beklagte konnte auch nicht darlegen und beweisen, dass die Schäden nicht von ihr zu vertreten sind, § 280 Abs.1 S.2 BGB.

Soweit die Inaugenscheinnahme der zugehörigen Lichtbilder deutlich auf Kratzspuren eines Haustieres hinweist, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 12.01.2023 angegeben, dass sie keinen Einfluss darauf habe, was ihre Katzen machen, wenn sie nicht da sei. Allein der Umstand, dass sie mit Kratzbäumen oder vorsorglicher Anbringung von Pappen versucht hat, dem entgegen zu wirken, genügt für eine Exkulpation nicht.

Gleiches gilt für den großen Riss im Fußbodenbelag. Soweit die Beklagte behauptet, dieser sei auf eine Materialermüdung/einen Materialfehler zurückzuführen, ist dies eine bloße Schutzbehauptung ins Blaue hinein, weil sie durch nichts unterlegt ist. Als solche ist sie unbeachtlich. Es erschließt sich dem Gericht nicht, dass dies nur an einer Stelle aufgetreten ist.

b)

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 245,59 € für die Schäden am Fußbodenbelag des Wohnzimmers und in Höhe von 284,- EUR für die Schäden an den Tapeten, mithin insgesamt in Höhe von 539, 59 EUR.

aa)

Die Klägerin hat hier die Wahl, Schadenersatz in Geld gem. § 249 Abs. 2 BGB zu verlangen, den das Gericht mit dem Maßstab des § 287 ZPO schätzen kann. Für die Schätzung reicht es aus, die entsprechenden Leistungen der Mitarbeiter der Klägerin für konkrete Arbeiten darzulegen. Diese können zu einer Bewertung des eingetretenen Schadens auch dann herangezogen werden, wenn die entsprechenden Arbeitszeiten im Unternehmen des Klägers nicht zusätzlich vergütet worden sind. Bei einem Anspruch nach § 249 BGB kann nämlich der Zeitaufwand im eigenen Unternehmen, der nicht lediglich der Schadensermittlung oder außergerichtlichen Abwicklung des Schadensersatzanspruchs dient, sondern der Schadensbeseitigung selbst, ersatzfähig sein, denn es ist nicht gerechtfertigt, solche besonderen Anstrengungen zur Schadensbehebung, die der Geschädigte durch den Einsatz seiner oder der Arbeitskraft seiner Mitarbeiter unternommen hat, dem Schädiger zugute kommen zu lassen (BGH, Urteil vom 09.12.2008, VI ZR 173/07, juris).

bb)

Ausgehend von diesen Grundsätzen schätzt das Gericht den Aufwand zur Beseitigung der Schäden am Fußbodenbelag in Höhe des geltend gemachten Betrages von 245,59 EUR.

Die Klägerin hat die notwendigen Arbeiten und unter Anrechnung eines näher beschriebenen Abzugs neu für alt nach detaillierter Aufführung der einzelnen Positionen für eine rund 16 m² großen Fußbodenbelag aus Kunststoff in eben dieser Höhe ermittelt.

Zu den aus ihrer Sicht erforderlichen Arbeiten zum Austausch des Bodenbelages des Wohnzimmers trägt die Klägerin vor, dass die gewöhnliche Nutzungszeit von PVC-Fußbodenbelägen 8 Jahre betrage. Der Bodenbelag sei im September 2017 neu verlegt worden, woraus sich eine Restnutzungszeit von 49 Monaten ergebe. Für das Entsorgen und Entfernen des Belages im Wohnzimmer, der 16,49 m² groß gewesen sei. Die ist für das regelmäßig mit Wohnraummietsachen befasste Gericht plausibel.

Das Gericht ist nach den überzeugenden Aussagen der Zeugin K[…] auch davon überzeugt, dass der unstreitig gebrauchte Fußbodenbelag 2017 verlegt worden ist.

Soweit die Beklagte hier bestreitet, dass diese Kosten ortsüblich und angemessen seien, kommt es darauf im Rahmen des § 287 ZPO nicht an. Vielmehr sind die aufgewendeten Kosten angesichts der allgemein- jedenfalls aber gerichtsbekannten Preise für vergleichbare Handwerkerleistungen und Fußbodenbelag nicht überteuert. Die Kenntnis des Gerichts beruht auf der regelmäßigen Befassung mit örtlichen Wohnraummietsachen und Handwerkerarbeiten. Detaillierten Gegenvortrag hierzu hält die Beklagte auch nicht, sondern beschränkt sich auf ein pauschales Bestreiten, das im Rahmen der Schadensschätzung unbeachtlich bleibt.

Die Beklagte kann auch nicht wirksam bestreiten, dass die Wohnzimmerfläche 16 m² betragen hat. Sie hat dort gewohnt und müsste substantiiert erwidern.

Mit der Klägerin hält es auch das Gericht für angemessen, einen zum Zeitpunkt des Austausches fünf Jahre alten Fußbodenbelag angesichts der vorliegenden Schäden komplett auszutauschen. Insbesondere im Wohnzimmer dürfte davon auszugehen sein, dass ein neuer Mieter – unabhängig davon, ob vergleichbare Fußbodenbeläge noch vorhanden sind – einen partiellen Austausch schon im Hinblick auf die Farb- und Qualitätsunterschiede nicht hinnehmen wollen würde. Darauf muss sich die Klägerin im Rahmen des ihr gemäß § 249 BGB zustehenden Schadenersatzes daher auch nicht verweisen lassen.

cc)

Die Klägerin hat darüber hinaus gegenüber der Beklagten auch einen Anspruch auf Schaden ersatz in Höhe von 284,00 € für die Beseitigung der Schäden an der Tapete.

Nach den zuvor dargestellten Maßstäben für die Schadensbemessung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO den geltend gemacht Schadenersatzbetrag als zutreffend ein.

Zur Höhe des entstandenen Schadens hat die Klägerin substantiiert vorgetragen, das ein Zeit aufwand von insgesamt sieben Stunden für Reinigungs- und Abklebearbeiten, Rollen und Weißen der Decke und Ausbesserungen sowie die erforderliche mehrfache Anfahrt sowie ein Eimer Farbe angefallen ist. Dies steht im Einklang mit dem von ihren Mitarbeitern zeitnah gefertigten Tätigkeitsnachweis und wurde vom Zeugen O[…] in der mündlichen Verhandlung für Seite 7das Gericht überzeugend bestätigt. Der Zeuge O[…] ist als Malermeister fachkundiger Zeuge und hatte keinerlei Belastungstendenzen in Richtung der Beklagten. Seine Aussage war glaubhaft, er selbst glaubwürdig. Ihm ging es sogar darum, klarzumachen, dass die Reinigungsarbeiten im Vorfeld normale Tätigkeiten im Rahmen einer üblicherweise vorzufindenden Beschmutzung der Fußbodenleiste und der Wände sind. Er hat detailliert und unaufgeregt „nüchtern“ die einzelnen Arbeitsschritte und die vollständige Beseitigung der Schäden beschrieben. Nachvollziehbar ist insoweit auch, dass die Klägerin im Hinblick auf etwaige Farbunterschiede, was der Zeuge aus seiner fachkundigen Sicht nachvollziehbar dargestellt hat, die Wände vollständig streichen lassen musste. Angesichts der allgemein bekannten Stundensätze für Handwerkerleistungen Ist auch hier das pauschale Bestreiten der Beklagten, dass die hierfür aufgewendeten Preise weder ortsangemessen noch üblich seien, nicht beachtlich. Insoweit kann auf vorstehende Ausführungen zum Fußbodenbelag verwiesen werden. Letztlich hat die Klägerin sogar schadensmindernd davon abgesehen, die betroffenen Wände neu zu tapezieren.

dd)

Auch die Inaugenscheinnahme der von der Zeugin K[…] gefertigten, bei der Akte befindlichen Lichtbilder stützt die Überzeugung des regelmäßig mit Wohnraummietsachen befassten Gerichts, dass es sich bei den streitgegenständlichen Schäden nicht um eine vertragsgemäße Abnutzung handelt. Aus der Inaugenscheinnahme ergibt sich auch, dass die Schilderungen der Zeugen zu den Schäden und deren Beseitigungsaufwand plausibel sind.

1.2

Der Rechtsstreit hat sich nach Rechtshängigkeit erledigt, weil der Zahlungsanspruch der Klägerin durch Aufrechnung mit dem Auseinandersetzungsguthaben, dessen Auszahlung erst nach Rechtshängigkeit fällig wurde, erloschen ist, § 389 BGB.

2.

Die Widerklage ist nicht begründet.

2.1.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung von 547,45 € nebst Zinsen für klägerseits nicht ausgezahlte Genossenschaftsanteile (Auseinandersetzungsguthaben) der Beklagten. Der diesbezügliche Auszahlungsanspruch der Beklagten ist durch Aufrechnung der Klägerin in Höhe eben dieses Betrages gem. § 389 BGB erloschen. Der Klägerin stand, wie unter 1. ausgeführt, ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 539,59 € gegenüber der Beklagten zu. Zudem hatte die Klägerin gegenüber der Beklagten gem. §§ 286 Abs. 1, 288 BGB einen Anspruch auf Verzinsung dieses Betrages in Höhe von 7,86 € für den Zeitraum vom 22.02.2022 bis 30.06.2022, weil sich die Beklagte spätestens ab diesem Zeitpunkt mit der Bezahlung der Schadenersatzforderung in Verzug befunden hat.

2.2.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin weder einen Anspruch auf Ersatz ihr außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten aus §§ 280 Abs. 1, 249 BGB noch aus einer sonstig ersichtlichen Anspruchsgrundlage, denn die Klägerin hat sich bei Beauftragung eines Rechtsanwalts durch die Beklagte nicht mit der Rückzahlung der Genossenschaftsanteile in Verzug befunden. Zum einen war die Rückzahlung des Anspruches zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig, zum anderen wirkt die Aufrechnung mit der berechtigten Schadenersatzforderung gem. § 387 BGB, soweit der Anspruch fällig wäre, wie nicht, zurück.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.

Bei der Festsetzung des Streitwertes waren die Werte von Klage und Widerklage zu addieren, §§ 3, 5 ZPO, § 45 Abs. 1 GKG.“

AG Bautzen, Urteil vom 2.2.2023 – 21 C 160/22