Zur Erstattungsfähigkeit angeblich überhöhter Abschleppkosten im Rahmen der Schadenregulierung nach einem Verkehrsunfall

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 7.6.2023 – 23 C 74/23) können vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung durch einen durch einen Verkehrsunfall Geschädigten grundsätzlich sämtliche Abschleppkosten erstattet verlangt werden, solange der Geschädigte unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall nicht erkennen konnte, dass die Kosten des beauftragten Abschleppunternehmens ersichtlich nicht orts- bzw. marktüblich sind und er hierdurch gegen seine Schadenminderungspficht verstößt.

Im Kern geht es um die Frage, in welchem Umfang der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung die Kosten für das Abschleppen des beschädigten Fahrzeugs tragen muss.

In dem konkreten Fall hatte der Geschädigte, der Halter eines Skoda Karoq, nach einem Verkehrsunfall Abschleppkosten in Höhe von insgesamt 1.046 € netto geltend gemacht. Die Haftpflichtversicherung des Schädigers hatte jedoch nur einen Teilbetrag von 566,85 € erstattet. Der Geschädigte verlangte daher die Erstattung des noch offenen Differenzbetrags in Höhe von 479,15 €.

Die Haftpflichtversicherung argumentierte, dass die Abschleppkosten übersetzt und daher nicht erforderlich im Sinne des § 249 BGB seien. Sie stützte sich dabei auf einen Prüfbericht, der zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Kosten für den Einsatz des Bergungsfahrzeugs und für das eingesetzte Ölbindemittel überhöht seien.

Das Amtsgericht Bautzen entschied jedoch zugunsten des Geschädigten. Es stellte fest, dass der Geschädigte die Kosten erstattet verlangen kann, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Dabei sei auf die subjektbezogene Situation des Geschädigten und seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten im zeitlichen, örtlichen und situativen Kontext des Unfallgeschehens abzustellen.

Das Gericht stellte weiter fest, dass eine Verletzung der Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB nur dann in Betracht käme, wenn auf Seiten des Geschädigten schon im Zeitpunkt des Abschleppens hätte klar sein müssen, dass das Abschleppunternehmen nicht ortsübliche Preise und Leistungen berechnet. Hierzu sei jedoch nichts konkret vorgetragen worden.

Das Gericht wies auch darauf hin, dass es sich um eine Not- und Eilsituation handelte, da der Unfall abends gegen 19:50 Uhr an einem Freitag stattfand und das Fahrzeug nach dem Unfall nicht fahrbereit war. Zudem lag die Unfallstelle auf einer vielbefahrenen, innerstädtisch verlaufenden Bundesstraße, so dass eine zügige Räumung der Unfallstelle erforderlich war.

Schließlich stellte das Gericht fest, dass die von der Haftpflichtversicherung vorgelegte Ferndiagnose der Abschleppkosten ohne konkreten Bezug und Beachtung der Besonderheiten dieses Einzelfalls erfolgt war und daher unbeachtlich sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

[…]

– Streithelferin –

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

am 07.06.2023 im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Unternehmen […] von restlichen Forderungen i.H.v. 479,15 € netto […] freizustellen
2. Die Kosten des Rechtsstreits sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten hat die Beklagte zu tragen
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar

und beschlossen:

Der Streitwert wird auf 479,15 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall , der sich am 11.11.2022 gegen 19:50 Uhr […] in 02625 Bautzen Uhr zugetragen hat.

Der Kläger war beteiligt als Halter des Pkw Skoda Karoq […], die Beklagte ist die Krafthaftpflichtversicherung zu dem gegnerischen Pkw VW Golf […].

Die 100 – prozentige Einstandspflicht der Beklagten für alle unfallbedingten Schäden ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Streitig sind allein die bislang nur teilregulierten Schadenspositionen Abschleppkosten vom Unfallort, Überführungskosten vom Betriebsgelände des Abschleppunternehmens in die Reparaturwerkstatt sowie die Kosten für das am Unfallort eingesetzten Ölbindemittel.

Das Fahrzeug des Klägers wurde von der beauftragten Streitverkündeten noch am 11.11.2022 – einem Freitag – auf deren Betriebsgelände in Bautzen abgeschleppt; von dort wurde es 4 Tage später von ihr zur Reparatur in die Reparaturwerkstatt , das Skoda-Autohaus […] in 02625 Bautzen verbracht.

Die Streitverkündete stellte für ihre Leistungen dem Kläger mit Rechnung vom 22.11.2022 insgesamt 1.046,00 € netto in Rechnung […]. Die Beklagte zahlte hierauf 566,85 €.

Der Kläger begehrt die Freistellung von dem noch offenen Differenzbetrag in Höhe von 479,15 €. Die Beklagte hatte auf die Kostenposition Einsatz des Bergungsfahrzeugs auf die abgerechneten 495,00 € netto bislang 307,50 € netto, auf das eingesetzte Ölbindemittel anstelle 100,00 € lediglich 33,35 € gezahlt sowie auf die Überführung vom […]-Betriebsgelände zur Reparaturwerkstatt […] anstelle der begehrten 225,00 € bislang nichts.

Der Kläger geht davon aus, dass dieser Betrag im Rahmen des § 249 (2) S.1 BGB nach schadensrechtlichen Grundsätzen bei der gebotenen subjektbezogene Schadensbetrachtung voll zu ersetzen ist. Insbesondere könne dem Kläger kein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht gemäß § 254 BGB zur Last gelegt werden .

Der Kläger beantragt daher
Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger gegenüber dem Unternehmen […] von restlichen Forderungen i.H.v. 479,15 € netto […] freizustellen.

Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen

Berechtigte Ansprüche seien reguliert. Die Abschleppkosten seien der Höhe nach übersetzt und deshalb nicht erforderlich iSd. § 249 BGB . Das ergebe sich aus dem Prüfbericht der Fa. […] vom 05.12.2022 […]: Danach seien die Kosten für den Einsatz des Bergungsfahrzeugs und Kosten für den Ölbinder überhöht ,das Abschleppen zunächst auf das Firmengelände der Streitverkündeten und 4 Tage später von dort ins Autohaus […] zur Durchführung der Reparatur überflüssig, da das Fahrzeug sofort ins Autohaus […] hätte verbracht werden können .

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21.04.2023 der FA […] den Streit verkündet.

Die Streitverkündete ist mit Schriftsatz vom 12.05.2023 dem Rechtsstreit auf Klägerseite beigetreten.

Zum Sach- und Streitstand wird im übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen und Bezug genommen..

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.

I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf restlichen Schadenersatz in der begehrten Höhe von 479,15 € aus den 7, 17, 18 StVG , 823 (1), 249 (2) BGB , 115 VVG zu.

1. Nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen kann ein Geschädigter die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit ist wiederum auf eine subjektbezogene Schadensbetrachtung abzustellen, d. h. auf die Situation des Geschädigten und seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten im zeitlichen ,örtlichen und situativen Kontext des Unfallgeschehens. Das bedeutet im Ausgangspunkt nichts anderes als – worauf der Klägervertreter in seinen Schriftsätzen wiederholt hinweist – dass es keinen Unterschied macht, ob das Abschleppunternehmen unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten berechnet oder gar Arbeiten in Rechnung stellt, die nicht ausgeführt worden sind. All dies gehört zum typischen, auf Schädigerseite liegenden Risiko, solange die Beklagte dem Kläger keinen Verstoß gegen die ihm liegende Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB vorwerfen kann. Gemessen hieran ist der noch offene Differenzbetrag aus der Rechnung vom 22.11.2022 in voller Höhe zu ersetzen .

2. Eine Verletzung der Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB – wofür die Beklagte beweispflichtig ist – käme nur dann in Betracht, wenn auf Klägerseite schon im Zeitpunkt des Abschleppens hätte klar sein müssen, dass das Abschleppunternehmen nicht ortsübliche Preise und Leistungen berechnet. Dazu ist bereits konkret nichts vorgetragen .

Im übrigen: Es handelte sich vorliegend um eine Not- und Eilsituation. Unstreitig ereignete sich der Unfall in zeitlicher Hinsicht zur Abendzeit gegen 19:50 Uhr am Wochenende, hier kalendarisch einem Freitag abends; ebenso unstreitig ist, dass das Fahrzeug nach dem Unfall nicht fahrbereit war und die Beauftragung eines Abschleppunternehmens erforderlich war.

Unklar bleibt zudem, wer das Abschleppen überhaupt beauftragt hat: Bei dem Halter des Klägerfahrzeugs handelt es sich um eine juristische Person. Ein zügiges Abschleppen ohne Einholung von Preisangeboten – von wem auch immer – o.ä. war auch deshalb angezeigt, als die Unfallstelle gerichtsbekannt auf der vielbefahrenen, innerstädtisch verlaufenden

Bundesstraße B156 in Höhe der Einfahrt zu einem Einkaufszentrum liegt, mithin eine zügige Räumung der Unfallstelle erforderlich war. Ein ortsansässiges Abschleppunternehmen ist tätig geworden. Mehr kann von einem Geschädigten in der konkreten Situation nicht verlangt werden .

3. Soweit die von der Abschleppfirma dem Kläger in Rechnung gestellten Kosten von Beklagtenseite mittels nachträglicher Ferndiagnose, dem Prüfbericht der Fa. […] vom 05.12.2022 als nicht ortsüblich, unangemessen oder nicht notwendig beanstandet werden, bleibt dies unbeachtlich, da es sich um eine abstrakt gehaltene Berechnung ohne konkreten Bezug und Beachtung der Besonderheiten dieses Einzelfalls handelt; der Beklagten steht es frei sich eventuelle Schadenersatzansprüche des Klägers gegen die streitverkündete Abschleppfirma abtreten zu lassen .

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 , 101 (1) 708 Nr.11 , 713 ZPO“

AG Bautzen, Urteil vom 7.6.2023 – 23 C 74/23

Anscheinsbeweis im Verkehrsrecht

Der Anscheinsbeweis ist ein wichtiger Aspekt des deutschen Zivilprozessrechts, der oft in Verkehrsunfallverfahren zur Anwendung kommt. Der Anscheinsbeweis ist ein Beweismittel, das zur Überzeugung des Gerichts über das Vorliegen einer bestimmten Tatsache herangezogen werden kann, wenn bestimmte Beweisanzeichen vorliegen. Diese Beweisanzeichen werden als typische Geschehensabläufe oder Erfahrungssätze bezeichnet.

Der Anscheinsbeweis basiert auf der Annahme, dass bestimmte Ereignisse typischerweise auf eine bestimmte Weise ablaufen. Wenn also ein typischer Geschehensablauf vorliegt, kann das Gericht den Schluss ziehen, dass die zugrunde liegende Tatsache tatsächlich eingetreten ist, es sei denn, es gibt Beweise, die diesen Schluss widerlegen.

In Verkehrsunfallverfahren kommt der Anscheinsbeweis oft zur Anwendung. Einige typische Situationen, in denen ein Anscheinsbeweis verwendet werden kann, sind:

  1. Auffahrunfall: Es gilt der Anscheinsbeweis, dass der Auffahrende den Unfall verursacht hat, weil er entweder zu schnell gefahren ist oder nicht genügend Abstand gehalten hat. Im Allgemeinen geht die Rechtsprechung davon aus, dass der auffahrende Fahrer für den Unfall verantwortlich ist, da er offensichtlich nicht genügend Abstand gehalten oder nicht aufmerksam genug gefahren ist (Vgl. AG Kamenz, Beschluss vom 26.3.2014 – 1 C 717/13 (bei einem Auffahrunfall in einem Kreisverkehr)). Soweit jedoch individuelle Umstände beim Unfallereignis vorliegen, die gegen die Typizität des Unfallablaufs sprechen, wie z.B. ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs, ist der Anscheinsbeweis nicht anwendbar (Vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10)​.
  2. Unfall beim Ausfahren aus Parklücke: Es gilt der Anscheinsbeweis, dass der Fahrer, der aus einer Parklücke in den fließenden Verkehr ausfährt, den Unfall verursacht hat, weil er die Vorfahrtsregeln nicht beachtet hat. Gegen die Typizität des entsprechenden Unfallablaufs spricht, wenn zwei Fahrzeuge auf einem Parkplatz gleichzeitig rückwärts ausparken und kollidieren.
  3. Unfall beim Ausfahren aus einem Grundstück: Wenn ein Fahrzeug, das aus einer Grundstückseinfahrt herauskommt, mit einem anderen Fahrzeug im fließenden Verkehr zusammenstößt, spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Fahrer des Fahrzeugs, das aus der Einfahrt herauskommt, nicht die gebotene äußerste Vorsicht gemäß § 10 Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) eingehalten hat (Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.8.2006 – I-1 U 224/05).
  4. Unfall beim An- bzw. Einfahren vom Parkstreifen: Kommt es in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren von einem Parkstreifen in den fließenden Verkehr zu einer Kollision mit einem dort fahrenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Kollision darauf beruht, dass der vom Parkstreifen einfahrende Fahrer die von § 10 StVO verlangte äußerste Sorgfalt nicht beachtet hat. Kann der Anscheinsbeweis nicht erschüttert oder gar widerlegt werden, wiegt der Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht beim An- bzw. Einfahren vom Parkstreifen so schwer, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des fließenden Verkehrs dahinter vollständig zurücktritt (LG Görlitz, Urteil vom 7.3.2022 – 5 O 258/20; LG Hamburg, Urteil vom 9.3.2018 – 319 O 91/17).
  5. Unfall beim Wechsel der Fahrspur: Es gilt der Anscheinsbeweis, dass der Fahrer, der die Fahrspur wechselt, den Unfall verursacht hat, weil er nicht darauf geachtet hat, ob er die Fahrspur sicher wechseln kann. Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (höchste Sorgfaltsstufe): er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat. In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für die Unfallschäden allein (KG Berlin, Urteil vom 2.10.2003 – 12 U 53/02; KG Berlin, Beschluss vom 3.7.2008- 12 U 239/07; AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22).
  6. Unfall beim Überholen: Bei einem Überholmanöver wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Anscheinsbeweis nicht automatisch gegen den überholenden Fahrer angewendet. Ein Anscheinsbeweis bei einem Verkehrsunfall mit einem Überholenden liegt nur vor, wenn spezifische Umstände vorhanden sind, die auf ein Fehlverhalten des überholenden Fahrers hinweisen. Ein Beispiel dafür ist eine Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr, die der Überholende hätte beachten müssen (Vgl. AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22).
  7. Unfall bei Vorfahrtsverletzung: Nach der Rechtsprechung gilt der Anscheinsbeweis zugunsten des Vorfahrtsberechtigten, wenn der Wartepflichtige gegen seine Verkehrspflichten gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen hat, solange er sich noch nicht ohne Behinderung des bevorrechtigten Verkehrs eingeordnet hatte​ (OLG Dresden, Beschluss vom 9.6.2021 – 4 U 396/21; AG Bautzen, Urteil vom 2.11.2022 – 22 C 141/22; AG Pirna, Urteil vom 14.11.2013 – 13 C 848/11 (bei Missachtung eines Stopp-Schildes).
  8. Unfall bei Rückwärtsfahrt: Ein allgemeiner Erfahrungssatz besagt, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht gemäß § 1 StVO in Verbindung mit der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch verursacht hat, wenn die Kollision beim Rückwärtsfahren entstand (Vgl. BGH, Ur­teil vom 11.10.2016 – VI ZR 66/16). § 9 Abs. 5 StVO ist auf Parkplätzen mittelbar über § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen ist​ (BGH, Urteil vom 15.12.2015, Az. VI ZR 6/15). Allgemein spricht der Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrenden dahingehend, dass er allein einen im Zusammenhang mit der Rückwärtsbewegung zustande gekommenen Unfall verschuldet hat.

Der Anscheinsbeweis ist kein unwiderlegbarer Beweis. Der Betroffene hat immer die Möglichkeit, den Anscheinsbeweis durch den Nachweis eines atypischen Geschehensablaufs zu entkräften. Ein atypischer Geschehensablauf liegt vor, wenn der Betroffene nachweisen kann, dass das Ereignis aufgrund von Umständen eingetreten ist, die normalerweise nicht oder nur selten auftreten.

Anscheinsbeweis bei Unfall während Überholvorgangs und Nutzungsausfallentschädigung bei fiktiver Abrechnung

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22) kann ein Anscheinsbeweis gegen den Überholenden angewendet werden, wenn bestimmte Umstände vorliegen, die auf ein Verschulden des überholenden Fahrers hindeuten. Ein Beispiel dafür ist eine Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr, die der Überholende hätte beachten müssen.

Der Anscheinsbeweis bezieht sich in der Rechtsprechung auf die Annahme, dass ein gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Resultat führendes Verhalten, auch in einem speziellen Fall dieses Resultat verursacht hat. Im Kontext von Verkehrsunfällen wird damit unter bestimmten Bedingungen angenommen, dass der Unfall durch das Verhalten eines bestimmten Fahrers verursacht wurde.

Im speziellen Fall eines Überholmanövers wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Anscheinsbeweis nicht automatisch gegen den überholenden Fahrer angewendet. Ein Anscheinsbeweis bei einem Verkehrsunfall mit einem Überholenden liegt nur vor, wenn spezifische Umstände (bspw. Fahrbahnverengung durch entgegenkommenden Verkehr) vorhanden sind, die auf ein Fehlverhalten des überholenden Fahrers hinweisen.

Im Kontext eines Verkehrsunfalls, der mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers zusammenhängt, legt der Anscheinsbeweis nahe, dass der Fahrstreifenwechselnde den Unfall durch Missachtung seiner Pflichten verursacht und verschuldet hat. Diese Pflichten umfassen die Einhaltung höchster Sorgfalt, ausreichende Rückschau und die deutliche Anzeige des Fahrstreifenwechsels durch Fahrtrichtungsanzeiger gemäß § 7 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO). In der Regel haftet der vorausfahrende Fahrer bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel allein für die Unfallschäden. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten ist nur möglich, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweisen kann, die ein Mitverschulden des anderen Fahrers belegen. Die bloße Betriebsgefahr des am Unfall beteiligten Fahrzeugs rechtfertigt jedoch keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers.

Zudem kann ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall eine Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen, auch wenn er sein Fahrzeug nicht reparieren lässt. Dieses Recht besteht, da der gemäß § 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu ersetzende Schaden auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Fahrzeugs umfasst. Unabhängig von der Reparatur des Fahrzeugs kann der Eigentümer eines privat genutzten Autos eine Nutzungsentschädigung verlangen, wenn er infolge eines Unfalls die Nutzung seines Autos verliert. Voraussetzung dafür ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit und eine spürbare Beeinträchtigung der Nutzung, basierend auf dem Willen zur Nutzung und einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit. Hierin liegt auch keine unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, da die unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden nur für die Reparaturkosten des beschädigten Fahrzeugs gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 28.04.2023 eingereicht werden konnten, am 19.05.2023 folgendes

Urteil

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) an die Klägerin 3.126,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten aus 2.972,78 EUR für die Zeit vom 06.11.2021 bis zum 20.01.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.126,78 EUR seit dem 21.01.2022 zu zahlen;
b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 446,55 EUR […] freizustellen.
c) an die Klägerin nicht anrechenbare außergerichtliche Kosten i.H.v. 238,83 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 26. 02.2022 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die weiteren Kosten der Klägerin zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.11.2021 gegen 17:50 Uhr in Großpostwitz/OL., insbesondere der Schadensbehebung, ergeben.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 4.025,19 EUR festgesetzt.

I. Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.11.2021, der sich gegen 17:50 Uhr […] in Großpostwitz/Oberlausitz ereignet hat. Die Beklagte war am Unfalltag Haftpflichtversicherer des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeugs PKW, Typ Dacia „Sandero“ […] am Unfalltag.

Die Klägerin machte im November 2021 gegenüber der Beklagten ihre Schadenersatzansprüche geltend, wobei der Beklagten das Gutachten des von ihr beauftragten Sachverständigenbüros vom 11.11.2021 übersandt wurde. Als bis Januar 2022 keine Zahlung erfolgte, beauftragte die Klägerin Ihren Prozessbevollmächtigten mit der Schadensregulierung.

Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin des am Unfall beteiligten VW Tiguan […]. Sie habe das Fahrzeug innerhalb der Familie am 28.09.2012 von der Verkäuferin P[…] S[…] erworben. Ausweislich der […] vorgelegten Zulassungsbescheinigungen habe die Klägerin aufgrund einer Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch den tatsächlichen Besitz an dem Fahrzeug erlangt.

Der Unfall habe sich ereignet, als der Zeuge J[…] W[…], der Ehemann der Klägerin, mit dem Fahrzeug der Klägerin ordnungsgemäß mit der höchstzulässigen Geschwindigkeit innerorts auf der […]straße in Fahrtrichtung Zentrum des Ortes gefahren sei. Der Unfallgegner habe versucht mit einem erheblichen Geschwindigkeitsüberschuss mehrere Fahrzeuge einer Kolonne, an deren Spitze sich der Zeuge W[…] befand, zu überholen. Als sich der Unfallgegner auf der Höhe des Fahrzeugs der Klägerin befunden habe, habe der Zeuge J[…] W[…] aufgrund des nahenden Gegenverkehrs erkannt, dass ein sicheres Überholen für den Unfallgegner nicht mehr möglich gewesen wäre und sein Fahrzeug abgebremst. Auch das entgegenkommende Fahrzeug habe abgebremst und sei teilweise auf den rechten Fußweg ausgewichen. Das Fahrzeug des Unfallgegners sei mit seiner rechten vorderen Seiten gegen die hintere linke Seite des Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Auch der Unfallgegner habe sein Fahrzeug stark abgebremst und versucht in die Fahrspur des Fahrzeugs der Klägerin zu wechseln, wodurch es zu einem seitlichen Anstoß der Fahrzeuge gekommen sei. Der Zeuge W[…] habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt weder durch Abbremsen noch durch Ausweichen verhindern können. Es spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Fahrzeugführers der gegnerischen Seite.

Durch den Unfall seien am Fahrzeug der Klägerin folgende Teile beschädigt worden: Heckverkleidung, die Rückleuchte links, die Seitenwand links, die Tür hinten links, die Radlaufblende hinten links, die Türverkleidung unterhalb hinten links und das Scheibenrad hinten links verschrammt. Der Reifen hinten links weise Druckspuren auf. Ausweislich des Sachverständigengutachtens fielen hierfür Reparaturkosten i.H.v. 2972,78 € (netto) an. Zum Zeitpunkt des Unfalls hätten keine relevanten Altschäden im Anstoßbereich bestanden. Soweit auf Seite 10 der Ermittlungsakte darauf verwiesen werde, handele sich um eine unzutreffende Wiedergabe der Angaben des Zeugen J[…] W[…] durch die Polizeibeamten. Bei dem gegenüber dem unfallaufnehmenden Polizeibeamten beschriebenen Schaden handele es sich um einen oberflächlichen Bagatellschaden, der keine Auswirkungen auf die Höhe der Reparaturkosten gehabt habe.

Darüber hinaus macht die Klägerin eine Unfallkostenpauschale i.H.v. 25 € geltend.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich die Beklagte mit der Zahlung des Schadensersatzes in Verzug befinde.

Die Kosten für das außergerichtlich eingeholte Gutachten betragen 446,55 €. Sie wurden bislang nicht von der Klägerin bezahlt, weshalb sie Freistellung von diesen Kosten verlangt.

Weiter verlangt die Klägerin entsprechend der voraussichtlichen Reparaturdauer eine Nutzungsausfallentschädigung für drei Tage i.H.v. 129 €, wobei sie nach der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch eine Nutzungsausfallentschädigung von 43 € pro Tag ansetzt.

Zudem stellt die Klägerin einen Feststellungsantrag für mögliche weitere Kosten aufgrund des Unfalls, insbesondere im Hinblick auf die bei erfolgter Reparatur fällig werdende Umsatzsteuer.

Die Klägerin begehrt weiter die Erstattung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten für die Einschaltung ihres Rechtsanwalts zur Schadensregulierung i.H.v. 238,83 €. Sie wurde von ihrer Rechtsschutzversicherung ermächtigt die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Die Klägerin beantragt zuletzt,
a) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.126,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten aus 2.972,78 EUR für die Zeit vom 06.11.2021 bis zum 20.01.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 3.126,78 EUR seit dem 21.01.2022 zu zahlen;
b) die Klägerin gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 446,55 EUR […] freizustellen;
c) an die Klägerin nicht anrechenbare außergerichtliche Kosten i.H.v. 238,83 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 26. 02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Zeuge J[…] W[…] sei vor dem Unfallgeschehen nur mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h gefahren trotz der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Dacia, der Zeuge B[…], habe deshalb beabsichtigt, den VW Tiguan nach dem Ausgang der Doppelkurve in Rodewisch/Großpostwitz auf der sich anschließenden geraden und übersichtlichen Oberlausitzer Straße mit der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit zu überholen. Nachdem er bereits zum Überholen angesetzt und vor dem VW Tiguan wieder auf den rechten Fahrstreifen habe einscheren wollen, habe der Fahrer des VW Tiguan beschleunigt. Dieser habe ihn nicht einscheren lassen wollen, sodass es dabei zu einer Berührung zwischen den beiden Pkw gekommen sei. Der Fahrer des Dacias habe selbstverständlich darauf vertraut, dass der Fahrer des VW diesen während des Überholvorgangs nicht beschleunigen würde.

Der Schadenersatzanspruch sei aber auch deshalb abzuweisen, weil die Klägerin mit der Klage versuche, bereits vor dem Unfallereignis an Ihrem Pkw bestandene Vorschäden abzurechnen. In der von der Polizei erstellten Lichtbildmappe seien die Fahrzeugschäden am Kfz der Klägerin dokumentiert worden. So ist zu einem Kratzer am Kotflügel hinten auf der Fahrerseite angemerkt: „Elypse zeigt Schäden, welche nicht ursächlich mit diesem Verkehrsunfall im Zusammenhang stehen.“ In dem von der Klägerin eingeholten Gutachten werde explizit der Heckbereich als anstoßbedingt beschädigt bezeichnet. Ein Vorschaden wird im Gutachten nicht erwähnt.

Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass der Klägerin 25 € für unfallbedingte Auslagen entstanden seien.

Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung stehe der Klägerin im vorliegenden Fall der fiktiven Schadensberechnung nicht zu. Die Klägerin vermische damit unzulässig fiktiven und konkreten Schadenersatz.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen R[…] G[…] sowie durch Einvernahme der Zeugen J[…] W[…], K[…] W[…], M[…] Sch[…] und P[…] B[…]. Zudem wurde die Verkehrsunfallakte des Landratsamtes Bautzen […] beigezogen. Sie war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Nach Eingang des Sachverständigengutachtens ist das Gericht mit Zustimmung der Parteien in das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO übergegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und die durchgeführte Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere das darin befindliche Protokoll, das Sachverständigengutachten und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 VVG, §§ 249 ff. BGB in der ausgeurteilten Höhe zu.

1.

Der VW Tiguan der Klägerin wurde bei dem Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges vom Typ Dada, das der Zeuge B[…] gefahren hat, beschädigt.

Das Gericht ist im Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin Eigentümerin des VW Tiguan ist und auch im Unfallzeitpunkt war.

Der Zeugen J[…] W[…] hat glaubhaft, weil lebensnah und nachvollziehbar, bestätigt, dass das Fahrzeug seiner Frau gehöre und sich noch ein zweites Auto im Familienbesitz befinde, das ihm gehöre. Der Zeuge hat zudem den klägerischen Vortrag bestätigt, dass seine Frau das Auto von ihren Eltern gekauft hat, üblicherweise dürfte dies mit einer Eigentumsübertragung verbunden sein, wofür die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Kaufvertrag und Zulassungsbescheinigungen), die ihren Vortrag zum Kauf und Eigentumserwerb stützen, sprechen.

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht wegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen.

3.

Keine der Parteien hat den ihr jeweils obliegenden Nachweis erbracht, dass der Unfall ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.

3.1

Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinaus (ständige Rechtsprechung; Koenig in Henschel/Koenig/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 17 StVG Rn. 22). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommen, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH, Urteil vom 17. 3. 1992, Az. VI ZR 62/91, NJW 1902 90,1684; Urteil vom 13.12.2005, Az. VI ZR 68/04, NJW 2006,896).

3.2

Nach diesen Maßstäben haben weder die Beklagte noch die Klägerin beweisen können, dass der Unfall unabwendbar war. Nach den Angaben des Sachverständigen G[…] sind beide von den Parteien geschilderten Unfallhergänge technisch möglich.

4.

Somit hängt die gegenseitige Haftung gem. § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG davon ab, in wie weit der Schaden vorliegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, wobei im Rahmen der Abwägung des gegenseitigen Verursachens- und Verschuldensbeitrages nur unstreitige zugestandene oder bewiesene Tatsachen zu berücksichtigen sind, wobei jede Partei dem anderen Teil einen als Verschulden anzurechnenden Umstand oder andere dessen Betriebsgefahr erhöhende Tatsachen zu beweisen hat (BGH Urteil vom 13.02.1996, Az.: VI ZR 126/95, NZV 1996, 231).

4.1

Im Ergebnis der Beweisaufnahme geht das Gericht davon aus, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs während des Überholvorgangs nach rechts in das von dem Zeugen W[…] gesteuerte klägerische Fahrzeug, indem er in die von ihm benutzte Fahrbahn hinein gelenkt hat, verursacht hat.

a)

Die Beklagte muss sich das Verschulden des Fahrers des bei ihr versicherten PKW Dacia zurechnen lassen.

Vorliegend spricht bereits der Beweis des 1. Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs, wonach der Unfall auf der schuldhaften Vernachlässigung der sich aus § 7 Abs. 5 StVO ergebenden erhöhten Sorgfaltspflichten beruht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht im Zusammenhang mit der Durchführung eines Überholmanövers der Beweis des 1. Anscheins zwar nicht ohne weiteres für ein schuldhaft verkehrswidriges Verhalten des hinterherfahrenden/überholenden Fahrzeugführers. Es kann in solchen Situationen nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass der Zusammenstoß stets auf einer Pflichtverletzung beruht, die dem Überholenden verkehrsrechtlich oblag. Die Kollision kann nämlich auch mit nicht wesentlich weniger hoher Wahrscheinlichkeit durch eine versehentliche oder willkürliche Seitwärtsbewegung des überholten Fahrers verursacht worden sein. Der Anscheinsbeweis zulasten des Überholenden kann daher nur dann angewendet werden, wenn besondere Anhaltspunkte vorliegen, die erfahrungsgemäß für ein Verschulden des überholenden Fahrers sprechen, z.B. die etwaige Verengung durch entgegenkommenden Verkehr (Urteil vom 26. 11.1974, Az. VI ZR 10/75, VersR; BGH, Urteil vom 28.04.1987, Az: VI ZR 66/86, NJW-RR 1987, 1048,1049).

Derartige Anhaltspunkte für ein Verschulden des Beklagten liegen im vorliegenden Fall vor.

Unstrittig kam es im Zusammenhang mit dem „Auftauchen“ des Gegenverkehrs auf der Spur, auf der sich der Zeuge während des Überholvorgangs befand, zum Unfall.

Die Beklagte konnte diesen Anscheinsbeweis nicht entkräften, in dem sie einen Sachverhalt dargelegt und bewiesen hätte, aus dem sich die ernsthafte, nicht nur theoretische Möglichkeit eines untypischen Ablaufs ergibt. Die Beklagte hat schon nicht vorgetragen, dass es zu dem Unfall gekommen wäre, weil der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs eine Seitwärtsbewegung ausgeführt hat. Sie hat aber behauptet, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs seine Geschwindigkeit in dem Moment erhöht habe, als das Beklagtenfahrzeug den Überholvorgang schon begonnen hatte und einscheren wollte. Diese Behauptung konnte die Beklagtenseite nicht beweisen.

Nach § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies war schon nach der Unfallschilderung des Zeugen B[…] selbst nicht der Fall. Denn die Kollision belegt, dass der Fahrstreifen nicht frei war und der Fahrzeugführer des bei der Beklagen versicherten Fahrzeugs, der Zeuge B[…], das Fahrzeug der Klägerin übersehen hat. Vielmehr steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Unfall ereignete, als der Führer des Beklagtenfahrzeugs, wie der nach rechts einscheren wollte. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, der Zeuge B[…], hat schon nicht behauptet, sorgfältig das Verhalten des klägerischen Fahrzeugs beobachtetet zu haben, insbesondere sich davon überzeugt zu haben, dass der Einschervorgang problemlos erfolgen könnte. Er sagte vielmehr aus, dass er sich erschrocken habe, weil sich das klägerische Fahrzeug in diesem Moment auf seiner Höhe befunden habe.

Das Gericht ist nach Einvernahme der Zeugen J[…] W[…], K[…] W[…] und M[…] Sch[…] davon überzeugt, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs eine Fahrzeugkolonne überholt hat und das Überholmanöver bei erkennbarem Gegenverkehr nicht rechtzeitig abgebrochen hat. Der Zeuge J[…] W[…] gab glaubhaft an, dass er in dem Moment, als er einen Blick in den Seitenspiegel neben sich geworfen habe, erschrocken das Beklagtenfahrzeug wahrgenommen hab, zumal von vorne im Gegenverkehr ein Fahrzeug kam, welches dann auf den Fußweg ausweichen musste um einen Unfall zu vermeiden. Die Aussage des Zeugen J[…] W[…] wurde mittelbar bestätigt durch die Aussage seines Sohnes, des Zeugen K[…] W[…], der offen eingeräumt hat den Verkehr nicht aktiv verfolgt zu haben, aber aufmerksam geworden zu sein als sein Vati gerufen habe: „Ist denn der bescheuert?!“. Die Wiedergabe des Ausrufs erscheint äußerst lebensnah und spricht für eine plötzliche Gefahrensituation, statt einer Kraftprobe, um den Zeugen B[…] am Überholen zu hindern. K[…] W[…] bestätigte auch, dass ihnen ein Auto entgegengekommen ist, welches wegen des überholenden Beklagtenfahrzeuges ausweichen musste. Ebenso beschrieb der Zeuge Sch[…], dessen Ehefrau noch heute nachhaltig von dem Ereignis betroffen ist, eindrucksvoll, wie der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges „voll Schuss“ direkt auf ihn zugekommen sei, so dass er auf den Bürgersteig habe ausweichen müssen. Die Aussagen der Zeugen W[…] und Sch[…] decken sich im Kern. Die Zeugen waren glaubwürdig, ihre Aussagen waren glaubhaft. Sie sprachen natürlich und räumten Erinnerungs- und Kenntnislücken offen eingeräumt. Dass die Klägerin Ehefrau bzw. Muttter der Zeugen W[…] ist, begründet nicht die Unglaubwürdigkeit der Zeugen, zumal ihre Aussagen keine auffälligen Belastungstendenzen zeigten. Auch die geringe Diskrepanz der Angaben des Zeugen J[…] W[…] zu den Feststellungen der korrespondierenden Schäden begründet diese nicht. Vielmehr hat der Sachverständige G[…] mit dem Unfall korrespondierende Schäden am Auto beschädigt, die auch der Zeuge J[…] W[…] angegeben hat, auch wenn es in Einzelheiten eher geringfügige Unstimmigkeiten gegeben hat. Die Verbindung der Klägerseite zum Zeugen Sch[…] wird beklagtenseits lediglich als irgendwie möglich „ins Blaue hinein“ in den Raum gestellt. Anhaltspunkte für seine Unglaubwürdigkeit sieht das Gericht aber weder aufgrund seines Verhaltens noch aufgrund der wagen Anwürfe.

Die Aussage des Zeugen B[…], dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs, überzeugt das Gericht nicht, um eine Beschleunigung des klägerischen Fahrzeugs als beweisen anzusehen. Sie war anders als die Aussage des Zeugen J[…] W[…] von deutlichen Entlastungsbestreben geprägt. Der Zeuge B[…] hat bekundet, dass er sich, als er schon fast am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen sei, so erschrocken habe, als das klägerische Fahrzeug neben ihm noch da war. So gab er anders als die anderen Zeugen an, kein weiteres Fahrzeug als das klägerische überholt zu haben. Das Fahrzeug des Zeugen Sch[…] im Gegenverkehr sei noch sehr weit weg gewesen und wahrscheinlich erst aufgetaucht, als er mit dem Fahrzeug der Klägerin schon auf einer Höhe gewesen sei. Warum der Zeuge Sch[…] dann panisch auf den Fußweg auswich, blieb in seiner Aussage offen. Der Zeuge B[…] war offensichtlich bemüht seinen Anteil an dem Unfall herunterzuspielen. Insgesamt wirkte er sehr fahrig und konfus. Dem Gericht ist nachhaltig in Erinnerung geblieben, dass es durchaus bedenklich ist, dass der Zeuge B[…], mag er vor Gericht auch besonders aufgeregt gewesen sein, noch aktiv am Straßenverkehr teilnimmt. Der Zeuge selbst hat aber auch nicht gesehen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beschleunigt hat, um ihm das Einscheren zu erschweren, er hat es vielmehr nur vermutet. Denn auf Nachfrage erklärte er, er sei schon am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen, habe einscheren wollen, als dieses plötzlich neben ihm gewesen sei, der müsse beschleunigt haben, es könne nicht anders gewesen sein. Während seines Überholvorgangs hatte er nicht bemerkt, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beschleunigt hat. Dies deckt sich auch mit dem hektisch-konfusen Eindruck des Gerichts vom Zeugen B[…].

Nach intensivem schriftlichen Befragen des gerichtlich bestellten Sachverständigen geht das Gericht davon aus, dass der beklagtenseits behauptete Unfallhergang, wonach das klägerische Fahrzeug während des Überholvorgangs nochmals beschleunigt hätte, zwar gemäß seiner Rekonstruktion des Fahrvorgangs technisch möglich ist, aber nicht nachgewiesen werden kann.

Vielmehr hat auch der einvernommene Zeuge Sch[…], der den Verkehrsvorgang sehr genau beobachtet hat, nicht feststellen können, dass das klägerische Fahrzeug beschleunigt habe, sondern vielmehr den Verkehrsvorgang als gleichmäßiges Fahren des klägerischen Fahrers beschrieben.

Mithin hat die Beklagtenseite den gegen sie entsprechenden Beweis des 1. Anscheins nicht entkräften können.

b)

Auf der anderen Seite konnte die Beklagte keinen Verstoß des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs gegen verkehrsrechtliche Vorschriften beweisen, insbesondere auch keinen Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO, wonach ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden muss. Ein solcher Verstoß wurde weder behauptet, noch wäre er sonst ersichtlich. Wie zuvor ausgeführt hat der Sachverständige G[…] auch nicht mit Sicherheit feststellen können, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs während des Überholvorgangs beschleunigt hat. Allein die technische Möglichkeit, dass es so gewesen sein könnte, erbringt den Nachweis nicht. Auch die Aussagen der Zeugen sprechen dagegen.

Der im Gegenverkehr befindliche Zeuge Sch[…] hat eine Beschleunigung des klägerischen Fahrzeugs nicht wahrgenommen. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass der Zeuge Sch[…], der den Gegenverkehr wegen der für ihn drohenden Gefahr genau beobachtet hat, ein solches Fahrmanöver anderenfalls bemerkt hätte.

4.2.

Die Abwägung der haftungsbestimmenden Verursachungsanteile gem. § 17 StVG führt unter diesen Umständen dazu, dass die Beklagte den Schaden ganz zu tragen hat. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt bei der Abwägung zurück.

Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die dessen Mitverschulden belegen; allein die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw rechtfertigt keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers (KG, Urteil vom 12. Juni 2003, 22 U 134/02, juris). Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (höchste Sorgfaltsstufe): er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat. In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für die Unfallschäden allein (Senat, Urteil vom 2. Oktober 2003, 12 U 53/02, VRS 106, 23 = KOR 2004, 106 = VM 2004. 29 Nr. 26 = VersR 2004,621; KG Berlin, Beschluss vom 3. Juli 2008- 12 U 239/07-, Rn. 23 – 24, juris).

Eine ordnungsgemäße Rückschau hat der Zeuge B[…] gerade nicht bestätigt.

5.

Danach hat die Beklagtenseite die bei dem Unfall entstandenen Schäden wie tenoriert gemäß § 249 BGB allein zutragen.

5.1

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 2.972,78 EUR (netto).

Das Gericht ist aufgrund des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen G[…] davon überzeugt, dass der Klägerin an dem PKW jedenfalls Schäden in dieser Flöhe entstanden sind.

a)

Bei unstreitigen Vorschäden und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits zuvor vorhanden waren (vgl. hierzu BGFIZ 71, 339), wofür er bei unstreitigen Vorschäden im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss (BGFl, Beschluss vom 6. Juni 2007, Az.: 12 U 57/06, VRS 113, 421).

Das Gericht hat nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden. Der Geschädigte ist jedoch verpflichtet die tatsächlichen Grundlagen die Anhaltspunkte für eine Einschätzung des Schadens und seiner Flöhe beizubringen und zu beweisen. Dies gilt insbesondere für die Darlegung und den Nachweis, dass der Schaden nach Art und Umfang auf das behauptete Unfallereignis zurückzuführen ist. Im Ergebnis der durch geführten Beweisaufnahme hat die Klägerin den Nachweis erbracht, dass ihr infolge des durch den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs verursachten Unfalls ein Schaden in der geltend gemachten Höhe entstanden ist. Sie hat dabei lediglich Anspruch auf Ersatz derjenigen Kosten, die erforderlich sind, um den Zustand herzustellen, in dem sich das Fahrzeug vor der Beschädigung durch den streitgegenständlichen Unfall befand. Hierzu hat der Zeuge J[…] W[…] erklärt, dass er die vorhandenen Vorschäden bereits vor der Begutachtung hat beseitigen lassen und ein vermeintliches Missverständnis bei der Dokumentation in der „Elypse“ auf den Fotos in der Ermittlungsakte durch den unfallaufnehmenden Polizeibeamten vorliegen müsse. Er hat nachvollziehbar in seiner Aussage angegeben, dass die von der Polizei dokumentierten Vorschäden auf einem Irrtum beruhten. Allerdings haben sich im Ergebnis des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens nicht alle Schäden mit dem Unfallereignis in Einklang bringen lassen. Jedoch hat der gerichtlich bestellte Sachverständige auf Nachfrage durch das Gericht bestätigt, dass die geltend gemachten Kosten für die Reparatur der mit dem Unfall korrespondieren Schäden erforderlich werden würden. Der Sachverständige hat in seinen Gutachten vom 01.11.2022 und 20.11.2022 mit Skizzen anhand der Höhenlagen und Charakteristika der Schäden nachvollziehbar und plausibel ausgeführt, dass sich die Schrammspur am linken Seitenteil der unteren äußeren Heckleuchte des VW sowie die Schadenspuren an der linken hinteren Fahrzeugtür, am linken Seitenteil, der linken hinteren Leichtmetallfelge und dem Stoßfänger hinten links dem streitgegenständlichen Unfall zuordnen lassen, andererseits die eher diffuse Verschrammung am Heckstoßfänger des VW links der Höhenlage des streitgegenständlichen Unfalls nicht zuzuordnen ist. Dies hat der Sachverständige als lediglich geringen Vorschaden eingestuft. Zu den anfallenden Reparaturkosten hat der Sachverständige ausgeführt, dass für die Reparatur die unfallbedingten Schäden Kosten in Höhe von ca. 3.520 -3.570 € anfallen würden. Dies deckt sich insoweit mit den geltend gemachten klägerischen Kosten von 3.200 €.

5.2

Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Unfallkostenpauschale i.H.v. 25 €, die das Gericht in ständiger Rechtsprechung gemäß § 287 ZPO für Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall ohne den Nachweis einzelner Schadenspositionen anerkennt.

5.3

Die Klägerin kann von der Beklagten auch die Zahlung von 129 € Nutzungsschadensausfall beanspruchen.

a)

Der vom Schädiger gemäß § 249 BGB zu ersetzenden Schaden erfasst auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Kraftfahrzeugs.

Es ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung unabhängig davon, ob der Wagen repariert wird, besteht. Der Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der die Möglichkeit zur Nutzung seines Pkw infolge eines Verkehrsunfalls einbüßt, hat auch dann ein Schadensersatzanspruch in Form einer Nutzungsentschädigung, wenn er kein Ersatzfahrzeug mietet. Voraussetzung ist der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs des Geschädigten und die fühlbare Beeinträchtigung der Nutzung, wobei dies Nutzungswillen und eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit voraussetzt (Grüneberg im Palandt 25. Aufl. 2016 149 und 40).

b)

Der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs der Klägerin ist zwischen den Parteien unstreitig. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht beabsichtigte das Fahrzeug zu nutzen, sind nicht ersichtlich. Das unsubstantiierte Bestreiten der Beklagtenseite hebt vorliegend diese Vermutungswirkung nicht auf. Das Gericht schätzt nach § 287 ZPO im Zusammenhang mit den bestätigten Angaben des Sachverständigen den Ausfall auf drei Tage. Die Höhe der Nutzungsentschädigung bemisst das Gericht nach den Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch mit 43 €/Tag. Diese Tabelle ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt (vergleiche BGH, Urteil vom 23.11.2004, Az. VIZR 357/03, Juris).

C)

Anders als die Beklagtenseite meint, liegt hier auch keine unzulässige Vermischung von konkretem und hypothetischem Schaden vor. Die in der Rechtsprechung ausgeschlossene Mischung der beiden Schadenspositionen bezieht sich auf die Reparaturkosten an der beschädigten Sache selbst (BGH, Urteil vom 12.10.2021, Az.: VI ZR 513/19, juris).

5.4

Zudem hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die außergerichtliche Begutachtung des Unfallschadens durch die DEKRA Automobil GmbH in Höhe von auf 446,55 €, §§ 249, 257 S. 1 BGB.

Anders als die Beklagte meint, war das außergerichtliche Gutachten der DEKRA auch verwertbar. Die wesentlichen Feststellungen des außergerichtlichen Sachverständigen stimmen zum unfallbedingten Schaden und der Höhe der Reparaturkosten mit denen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen überein.

5.5

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 238,83 €.

Soweit dieser Anspruch gemäß § 86 VVO auf die Rechtsschutzversicherung der Klägerin übergegangen ist, wurde die Klägerin im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft bevollmächtigt diese Kosten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen.

Die Kosten der Rechtsverfolgung ergeben sich aus dem Gegenstandswert der berechtigten Forderung in Höhe von 3.573, 33 € wie folgt.

1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2 300 VV RVG 361,40 €

abzüglich Anrechnung 0,65 Geschäftsgebühr Nr. 2300 W RVG

gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a RVG 180,70 €

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7 002 VV RVG 20 €

Nettobetrag 200,70 €

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7 008 VV RVG 38,13 €

Gesamtbetrag 238,83 €

5.6

Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der weiteren ihr aufgrund des Unfalls entstandenen Schäden. Das Feststellungsinteresse beruht darauf, dass die Klägerin hier zunächst nur Reparaturkosten, die voraussichtlich anfallen werden, geltend macht, jedoch die Reparatur noch nicht hat vornehmen lassen.

Für den Fall der Reparatur steht zu erwarten, dass der Klägerin zumindest noch Kosten für die dann anfallende Umsatzsteuer entstehen werden.

6.

Die Beklagte hat der Klägerin die geltend gemachten Schäden gemäß § 849 BGB ab dem Folgetag des Unfallzeitpunkts, mithin ab dem 6.11.2021 mit dem gesetzlichen Zinssatz von 4 Prozentpunkten gemäß § 246 BGB zu verzinsen. Die weiteren Schäden hat die Beklagte der Klägerin ab dem 21. 1. 2022, bzw. dem Zeitpunkt, ab dem sich die Beklagte mit der Begleichung der übrigen Schadenspositionen in Verzug befand, gemäß §§ 247 BGB, 286 Abs. 1,

288 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wie tenoriert zu verzinsen.

7.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Abs.1 ZPO.

Der Streitwert wurde nach §§ 39 Abs.1,43, 45 Abs.1, 48 GKG i.V.m. §§ 3, 5 ZPO bemessen.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.5.2023 – 21 C 60/22

Zur Erstattungsfähigkeit von Mietwagen-, Desinfektions- und Probefahrtkosten im Rahmen der Schadenregulierung nach einem Verkehrsunfall

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21) können vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung durch einen durch einen Verkehrsunfall Geschädigten grundsätzlich Mietwagenkosten im Einklang mit der Leitentscheidung der (Berufungs-)Kammer des Landgerichts Görlitz (LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19) anhand des Fraunhofer Mietpreisspiegels zuzüglich einer pauschalen Erhöhung von 30 Prozent erstattet verlangt werden.

Auf die Tatsache, ob es sich beim Mietfahrzeug um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handelt, kommt es im Sinne der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Dresden (OLG Dresden, Urteil vom 4.11.2020 – 1 U 995/20) nicht an, da dies lediglich versicherungsrechtliche Auswirkungen für den Vermieter hat.

Zudem sind grundsätzlich auch die Kosten für eine Probefahrt und Desinfektionskosten erstattungsfähig.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten:
LG Stuttgart, Urteil vom 21.07.2021 – 13 S 25/21; LG Coburg, Endurteil vom 28.5.2021 – 32 S 7/21; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 2.9.2022 – 21 C 109/22; AG Wolfach, Urteil vom 8.6.2021 – 1 C 2/21; AG Bautzen, Urteil vom 5.7.2021 – 21 C 129/21; AG Frankenthal, Urteil vom 12.04.2021 – 3a C 253/20; AG Kempten, Urteil vom 12.3.2021 – 1 C 1118/20; AG Siegen, Urteil vom 8.3.2021 – 14 C 1990/20; AG Stuttgart, Urteil vom 15.2.2021 – 47 C 3723/20; AG Weißwasser, Urteil vom 26.1.2021 – 3 C 222/20; AG München, Urteil vom 27.11.2020 – 333 C 17092/20; AG Aachen, Urteil vom 16.11.2020 – 116 C 123/20; AG Heinsberg, Urteil vom 4.9.2020 – 18 C 161/20; so auch AG Bautzen, Hinweisbeschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21.

Urteile zu Fraunhofer-Mietpreisspiegel zzgl. 30% Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten im Rahmen der Schadenregulierung:
LG Görlitz, Urteil vom 28. Februar 2024 – 5 O 502/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; ausführlich: AG Bautzen, Urteil vom 17.9.2021 – 22 C 254/21; AG Bautzen, Beschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 18.6.2021 – 22 C 38/21; AG Bautzen, Urteil vom 23.4.2021 – 20 C 15/20; AG Bautzen, Urteil vom 22.4.2021 – 21 C 729/19; regionale Leitentscheidung: LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19

Abweichend hiervon mit arithmetisches Mittel aus der Schwacke-Liste und dem „Fraunhofer-Mietpreisspiegel“ als Maßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19

Abweichend hiervon Fraunhofer-Mietpreisspiegel ohne Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 23.5.2019 – 22 C 98/19; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 790/17; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 250/17

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Probefahrt:
Die Kosten einer Probefahrt sind zu erstatten, wenn der Sachverständige eine solche – z.B. zur Überprüfung von Windgeräuschen der Tür und Seitenwand – ebenso für notwendig erachtet hat, wie die durchführende Werkstatt: AG Bautzen, Urteil vom 28.4.2023 – 20 C 413/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; AG Nördlingen, Urteil vom 21.7.2020 – 2 C 129/20; AG Dresden, Urteil vom 02.07.2020 – 101 C 1516/20; AG Meppen, Urteil vom 16.9.2019 – 3 C 182/19; AG Stade, Urteil vom 14.5.2018 – 63 C 28/18; AG Stuttgart, Urteil vom 21.11.2017 – 43 C 2284/17; AG Frankfurt am Main, Urteil vom 1.2.2017 – 31 C 277/16 (17); AG Konstanz, Urteil vom 28.11.2016 – 9 C 597/16; AG Heinsberg, Urteil vom 28.03.2013 – 36 C 81/12; so auch AG Bautzen, Hinweisbeschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherungs-[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495 a ZPO am 4.4.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 290,54 EUR […] freizustellen.
b) den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 66,15 EUR […] freizustellen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 378,74 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Tatbestand entfällt gemäß § 313a ZPO.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

I. Das Amtsgericht Bautzen ist gemäß § 32 ZPO i.V.m. § 20 StVG örtlich und gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.

II. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Freistellung von den Mietwagenkosten in Höhe von 290,54 Euro […] und der restlichen Reparaturkosten in Höhe von anteilig 66,15 Euro […] gemäß §§ 7, 18 Abs. 1, 17 StVG, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB i.V.m. § 115 VVG.

1. Die Einstandspflicht der Beklagten als Haftpflichtversicherung dem Grunde nach aus dem Verkehrsunfall vom 09.02.2021 […] in Bischofswerda ist zwischen den Parteien unstreitig.

2. Ein Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten besteht auch in der geltend gemachten Höhe. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Reparaturdauer von fünf Tagen sowie des Unfalltages für die Begutachtung der Nutzungstauglichkeit, da er sein Fahrzeug dringend benötigte, mithin insgesamt für sechs Tage. Das Gericht schätzt dabei die Höhe der erforderlichen und angemessenen Kosten im Einklang mit der Rechtsprechung des Landgerichts Görlitz anhand des Fraunhofer Mietpreisspiegels zuzüglich einer pauschalen Erhöhung von 30 Prozent. Der Kläger kann für die Mietwagenklasse 5 in seinem Postleitzahlengebiet damit Kosten in Höhe von 440,54 Euro abzüglich der geleisteten 150,00 Euro verlangen (272,44 Euro plus 92,47 Euro = 364,91 Euro zuzüglich 109,47 Euro =474,38 Euro maximal).

Auf die Tatsache, ob es sich um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handelt, kommt es vorliegend nicht an, da dies lediglich versicherungsrechtliche Auswirkungen für den Vermieter hat, vgl. OLG Dresden, Urt. v. 04.11.2020, Az. 1 U 995/20.

3. Der Kläger hat insoweit auch Anspruch auf Freistellung von den in der Reparaturrechnung […] ausgewiesenen Positionen „Probefahrt“ und der hälftigen „Desinfektionskosten“.

a) Der Anspruch auf die Kosten der Probefahrt folgt dem sogenannten Werkstattrisiko. Sie ist grundsätzlich nach einer größeren Reparatur auch notwendig zur Überprüfung der Vollständigkeit der Reparatur und zum Ausschluss möglicher Nachforderungen. Vorliegend war diese jedoch auch zur Abstellung der Windgeräusche veranlasst.

Nach der subjektbezogenen Schadensbetrachtung kann der Geschädigte grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren, vgl. BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014 – 37 C 11789/11. Unerheblich ist dabei, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszelten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind. Ein Auswahlverschulden des Klägers ist insoweit auch nicht zu erkennen.

b) Auch die Desinfektionskosten vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kunden sind nach Auffassung der hiesigen Richterabteilung erstattungsfähig. Es fehlt auch nicht an einer Kausalität des Unfalls für die Desinfektionsmaßnahmen, denn ohne den Unfall wäre keine Reparatur und damit auch keine Desinfektion erforderlich geworden. Auch bei fehlender ausdrücklicher Vereinbarung handelt es sich daher um übliche Kosten, welche nach Maßgabe des § 612 Abs. 2 BGB zu erstatten sind. Die Kosten stellen ebenso wenig Gemeinkosten da, da sie nicht dem Schutz der Mitarbeiter, sondern des Kunden dienen.

Die Kosten der Desinfektion bei Annahme des Fahrzeugs in Höhe des hälftigen Betrages von 22,05 Euro sind hingegen nicht erstattungsfähig, da sie dem Schutz der Mitarbeiter dienen.

Der Zeuge L[…] hat im Rahmen der schriftlichen Zeugenbefragung angegeben, der angegebene Arbeitsaufwand von 0,3h sei nicht nur für die Desinfektion vor Rückgabe des Fahrzeugs, sondern auch für die Desinfektion bei Annahme des Fahrzeugs veranschlagt worden, sodass die Kosten hälftig zu kürzen waren.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da die Zuvielforderung nur verhältnismäßig geringfügig war.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

IV. Der Wert der Beschwer übersteigt 600,00 EUR nicht; eine Zulassung der Berufung ist nicht veranlasst (§ 511 Abs. 2 und 4 ZPO).

V. Der Streitwert war entsprechend der begehrten Hauptklageforderung festzusetzen.“

AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21

Haftungsverteilung 1/3 zu 2/3 bei Verkehrsunfall zwischen einem aus einer Ausfahrt Anfahrenden und einem Vorfahrtsberechtigten, der unter Missachtung der durchgezogenen weißen Linie, die der Fahrstreifenbegrenzung dient, wartende Fahrzeuge überholt

Nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz mit Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 14.3.2023 – 5 O 380/20) wurde entschieden, dass die Beklagte für 2/3 der unfallbedingten Schäden haftet. Der Fall betraf zwei Fahrzeuge, bei denen sich jeweils die Betriebsgefahr verwirklicht hatte. Allerdings wurde die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs als höher eingestuft. Der Kläger hatte im Ergebnis der Beweisaufnahme gegen Verkehrsregeln verstoßen, indem er trotz einer durchgezogenen Linie überholte. Im Gegensatz dazu hatte der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs die strengen Anforderungen beim Einfahren und Anfahren gemäß § 10 StVO nicht eingehalten.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz […]

im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 08.03.2023 eingereichten Schriftsätze

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 212,50 € zu zahlen nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB ab dem 27.08.2020 sowie aus einem Betrag von 425,00 € für den Zeitraum vom 11.07.2020 bis 26.08.2020.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 400,00 € zu zahlen nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB seit dem 12.09.2020.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen aus der Rechnung […] für Reparatur und Mietwagenkosten i.H.v. 318,85 € freizustellen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die […]versicherung […] einen Betrag i.H.v. 1.267,51 € zu zahlen […].

5. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Ingenieur- und Sachverständigenbüro […], von Forderungen i.H.v. 549,19 € aus der Rechnung […] freizustellen.

6. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

7. Das Urteil ist für die Beklagten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Geldbetrages.

Streitwert: 14.105,68 € bis 31.08.2020, danach bis 8.000,00 €.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch nach einem Verkehrsunfall.

Am 05.06.2020 gegen 15:45 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw Skoda die […] Straße. Vor der nächsten Kreuzung bildet sich verkehrsbedingt ein Stau. Der Kläger entschied sich, an dem stehenden Fahrzeugen links vorbei zu fahren, um sich an der Kreuzung in der Linksabbiegerspur einordnen zu können.

Der voraus befindliche im Stau stehende Verkehr ließ i.H.d. Ausfahrt vom rechts befindlichen […]markt eine Lücke. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversichernden Pkw Nissan nutzte diese Lücke, um aus dieser Ausfahrt herauszufahren mit dem Ziel, nach links auf die […] Straße aufzufahren.

In Höhe der Ausfahrt des […]marktes kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

In Fahrtrichtung des Klägers gesehen, befand sich in dem Bereich vor der Ausfahrt vom […]markt eine Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295 StVO).

In Folge des Unfalls entstanden dem Kläger Gutachterkosten i.H.v. 1.098,37 € brutto sowie Mietwagenkosten i.H.v. 835,20 €. Die Werkstatt rechnete ihm gegenüber Reparaturkosten am Pkw i.H.v. 10.983,19 € brutto ab. Am Fahrzeug verbleibt ein Minderwert von 400,00 €. Mit Abrechnungsschreiben vom 26.08.2020 regulierte die Beklagte insgesamt materielle Schäden i.H.v. 7.096,88 € […].

Der Kaskoversicherer des Klägers zahlte auf die Reparaturkosten den Betrag von 5.759,20 €.

Der Kläger trägt vor, der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen. Er habe eine Ausgangsgeschwindigkeit von maximal 15 km/h gehabt.

Die vorbenannte Teilregulierung durch die Beklagte erfolgte nach Klageerhebung mit Klageschrift vom 20.08.2020, jedoch vor Rechtshängigkeit der Klage (Zustellung am 12.09.2020).

Mit Schriftsatz vom 31.08.2020 erklärte der Kläger seine Teilklagerücknahme […].

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt,
a. an den Kläger 425 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus€ seit dem 11.7.2020 zu zahlen.
b. an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäߧ 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
c. den Kläger gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen aus der Rechnung […] für Reparatur- und Mietwagenkosten in Höhe von 11.818,39 € freizustellen.
d. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 1098,37 € aus der Rechnung […] freizustellen.
e. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7 /9, 01097 Dresden von der Forderung Für die Erstattung der Akteneinsichtspauschale in Höhe von 13,92 € (brutto) freizustellen.
f. den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7 /9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 536,50 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt vor, der Kläger sei mit seinem Fahrzeug an den stehenden Fahrzeugen bis zur Unfallstelle vorbeigefahren, wobei er die durchgezogene Fahrstreifenbegrenzung überquert habe. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs habe sich aus der Ausfahrt heraus durch die belassene Mitte heraus getastet. Das unfallgegnerische Fahrzeug sei so dicht an den stehenden Fahrzeugen vorbeigefahren oder so schnell, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges den Unfall nicht habe vermeiden können.

Aus der gegebenen Unfallsituation erwachse eine Haftungsquote von maximal 50 %.

Nach Prüfung der Reparaturkostenrechnung bestreitet die Beklagte die Notwendigkeit von Reparaturkosten i.H.v. insgesamt 443,71 € […].

Ferner bestreitet die Beklagte eine unfallbedingte Verletzung des Klägers mithin das Vorliegen eines HWS-Traumas. Ein solches Trauma habe angesichts der geringen Intensität des Unfalls nicht eintreten können.

Es wurde Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Gutachtens. Die Verkehrsunfallakte wurde beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Die Parteien sind sich mittlerweile darüber einig, dass der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 400 € hat.

Entscheidungsgründe:

I.

Aufgrund des Verkehrsunfalls vom 05.06.2020 hat der Kläger Anspruch auf Schadensersatz, wie tenoriert (§ 7 StVG, § 115 VVG).

Die Beklagte haftet für die unfallbedingten Schäden mit einer Haftungsquote von 2/3 zu ihren Lasten. Bei diesem Unfall hat sich die Betriebsgefahr beider unfallbeteiligter Pkw verwirklicht. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges tritt nicht zurück hinter diejenige des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges.

Die Betriebsgefahr des klägerischen Pkw Skoda war dadurch erhöht, weil er unter Missachtung der durchgezogenen weißen Linie, die der Fahrstreifenbegrenzung dient (Zeichen 295) die im voraus befindlichen Fahrzeugstau überholte. Die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges war erhöht, weil der Fahrer dieses Fahrzeuges die strengen Anforderungen beim Einfahren und Anfahren (§ 10 StVO) nicht beachtet hat.

Der Verkehrsverstoß des Klägers lässt sich im Ergebnis der Beweisaufnahme feststellen aufgrund der Ermittlungen und Einschätzungen des Sachverständigen […], die im Einklang stehen mit den Feststellungen der Polizei vor Ort, wie es sich aus der beigezogenen Unfallakte ergibt.

Mit dem schriftlichen unfallanalytischen Gutachten lässt sich außerdem feststellen, dass der Unfall für beide Fahrzeugführer nur dann vermeidbar war, wenn sie auf ihr jeweils eigenes Fahrmanöver verzichtet hätten. Das heißt, wenn der Kläger auf das Überholen oder der Beklagte auf das Auffahren auf die Bundesstraße mit der Absicht nach links abzubiegen verzichtet hätte.

Der Verkehrspflichtenverstoß des Fahrzeugführers des Beklagtenfahrzeugs wiegt deutlich schwerer als derjenige Pflichtenverstoß des Klägers, so dass auch die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges als höher zu bewerten ist.

Wer aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen (§ 10 StVO). Damit sind die strengsten Verhaltensanforderungen aufgestellt. Diese hat der Führer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges letztlich gerade nicht erfüllt.

Der Kläger hat insgesamt materielle Schäden erlitten i.H.v. 13.341,76 € (Reparaturkosten 10.983,19 €, Wertminderung 400,00 €, Gutachterkosten 1.098,37 €, Mietwagenkosten 835,20 €, Pauschale 25,00 €). Hinzu kommen Nebenkosten (Akteneinsichtskosten von 13,92 € und Rechtsanwaltskosten von 536,50 €).

Der Unterzeichner schätzt die Reparaturkosten entsprechend der Reparaturkostenrechnung auf 10.983,19 € (§ 287 Abs. 1 ZPO). Weitere Beweisaufnahme etwa durch Einholung von Gutachten ist mit Blick auf den insoweit streitigen Betrag von 443,71 € sowohl prozessual als auch finanziell unverhältnismäßig. Hinzu kommt, dass eine Werkstatt eine eigenständige Kostenkalkulation vornehmen darf und jedenfalls gegenüber Dritten nicht an Vorgaben von Fahrzeugherstellern gebunden ist. Ferner kommt hinzu, dass ein Geschädigter vor der Beauftragung einer Reparatur keine Marktforschung betreiben muss, um festzustellen, ob bei einer anderen Werkstatt als der, die er ausgewählt hat, die Reparatur um ein paar wenige Hundert Euro günstiger ausfällt, wenn der Schaden ungefähr 10.000,00 € beträgt.

Von dem materiellen Schaden hat die Beklagte die Nebenkosten bereits ausdrücklich reguliert. Dementsprechend hat der Kläger seine diesbezügliche Klage bereits zurückgenommen.

Von den 13.341,76 € Hauptforderung hat die Beklagte 2/3 zu ersetzen, mithin einen Betrag von 8,894,51 €. Von diesem Betrag erstattete die Beklagte bereits 6.546,46 € (7.096,88 € abzüglich 13,92 € abzüglich 536,50 €).

Damit verbleibt eine Restforderung von 2.348,05 €. Aus diesem Betrag sind zunächst die verbliebenen Forderungen des Klägers zu befriedigen (Quotenvorrecht; Klageanträge 1 a., c., e.: 212,50 €; 318,85 €; 549,19 €). Es verbleibt ein Anspruchsrest von 1.267,51 €. Das ist der Betrag, den die Beklagte an den Kaskoversicherer des Klägers zu zahlen hat.

Wegen der unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen steht dem Kläger auch ein Schmerzensgeld i.H.v. 400 € zu. Über diesen Anspruch haben sich die Parteien zuletzt verständigt.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 709 ZPO, § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.“

(LG Görlitz, Urteil vom 14.3.2023 – 5 O 380/20)

Zur Angemessenheit von erstattungsfähigen Sachverständigenkosten für die Erstellung eines Schadengutachtens nach einem Verkehrsunfall

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22) ist die Höhe der erforderlichen Kosten für die Erstellung eines Schadensgutachtens im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln, soweit der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen nicht vollständig beglichen und keine Honorarvereinbarung mit dem Sachverständigen geschlossen hat. Für die Schätzung ist im Rahmen der „Plausibilitätskontrolle“ die Rechnung des Sachverständigen der Ausgangspunkt für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes gemäß § 249 Abs. 2 BGB, soweit das in Rechnung gestellte Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und dies subjektiv für den Geschädigten erkennbar war. Ein Anknüpfungspunkt für die Feststellung einer objektiv vorliegenden deutlichen Überhöhung stellt die branchenübliche Vergütung dar, für die sich das Gericht u.a. an der aktuelle BVSK-Honorarbefragung oder dem Honorartableau der HUK-Coburg orientieren kann. Bezüglich der erstattungsfähigen Nebenkosten eines Sachverständigen kann sich für eine Schätzung nach § 287 ZPO das Gericht an den Bestimmungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) orientieren.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]
als Inhaber des Kfz-Sachverständigenbüros

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…]versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Forderung

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 31.01.2023 eingereicht werden konnten, am 08.02.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 346,36 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.08.2022 zu zahlen.
Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 44,49 Euro freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen .

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf 360,05 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der weiteren Kosten des Sachverständigengutachtens aus §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 398 BGB, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 287 ZPO in Höhe von 346,36 Euro.

Zwischen den Parteien steht ausschließlich im Streit, ob der erforderliche Herstellungsaufwand (konkret die Kosten eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der Reparaturkosten), den der Zedent […] aufgrund des Verkehrsunfalls vom 12.05.2022 in Kirschau von der Beklagten gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB vor der Abtretung hätte verlangen können, den von der Beklagten vorgerichtlich gezahlten Betrag übersteigt.

a),

Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Sein Anspruch ist auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags und nicht etwa auf Ausgleich von ihm bezahlter Rechnungsbeträge gerichtet, Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 61/17, NJW 2018, 693 Rn. 16 mwN).

Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung). Auch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Dabei verbleibt für ihn allerdings das Risiko, dass er ohne nähere Erkundigungen einen Sachverständigen beauftragt, der sich später im Prozess als zu teuer erweist. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergibt sich auch eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der vom Sachverständigen bei Vertragsabschluss geforderten bzw. später berechneten Preise.

Verlangt der Sachverständige bei Vertragsabschluss Preise, die – für den Geschädigten erkennbar – deutlich überhöht sind, kann sich die Beauftragung dieses Sachverständigen als nicht erforderlich im Sinn von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB enveisen. Der Geschädigte kann dann nur Ersatz der für die Erstattung des Gutachtens tatsächlich erforderlichen Kosten verlangen, deren Höhe der Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu bemessen hat. Im Fall einer Preisvereinbarung kann der Geschädigte Ersatz in Höhe der vereinbarten Preise nur verlangen, wenn diese für ihn bei seiner Plausibilitätskontrolle beim Abschluss der Vereinbarung nicht erkennbar deutlich überhöht waren. Weiter ist der In Rechnung gestellte Betrag nur erforderlich, wenn er sich aus den vereinbarten, zutreffend ermittelten Anknüpfungstatsachen herleiten lässt (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017, Az.: VI ZR 61/17, NJW 2018, 693 Rn. 17 mwN; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az.: VI ZR 104/19 , Rn. 100 – 22, juris).

Den Geschädigten trifft gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich die Darlegungslast hinsichtlich des oben beschriebenen erforderlichen Herstellungsaufwandes.

b)

Der Vorlage der Rechnung des Sachverständigen kommt im vorliegenden Fall keine Indizwirkung für den erforderlichen Herstellungsaufwand zu.

aa)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildet nicht der vom Sachverständigen in Rechnung gestellte Betrag als solcher, sondern allein der vom Geschädigten in Übereinstimmung mit der Rechnung tatsächlich erbrachte Aufwand einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrags im Sinn von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Grund für die Annahme einer Indizwirkung des vom Geschädigten tatsächlich erbrachten Aufwands bei der Schadensschätzung liegt darin, dass bei der Bestimmung des erforderlichen Betrags im Sinn von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die besonderen Umstände des Geschädigten, mitunter auch seine möglicherweise beschränkten Erkenntnismöglichkeiten, zu berücksichtigen sind. Diese schlagen sich regelmäßig im tatsächlich aufgewendeten Betrag nieder, nicht hingegen in der Höhe der vom Sachverständigen erstellten Rechnung als solcher. Grund für die Annahme einer Indizwirkung ist, dass sich in der durch den Geschädigten beglichenen Rechnung die besonderen Umstände des Geschädigten, mitunter auch seine möglicherweise beschränkten Erkenntnismöglichkeiten niederschlagen. (BGH, Urteil vom 26. April 2016, Az.; VI ZR 50/15, VersR 2016, 1133 Rn. 12mwN: BGH, Urteil vom 19. Juli 2016, Az.: VI ZR 491/15, NJW 2016, 3363 Rn. 19; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017, Az.; VI ZR 61/17, NJW2018, 693 Rn. 19 mwN; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az.: VI ZR 104/19 -, Rn. 100 – 22, juris).

bb)

Nach diesen Grundsätzen kann sich der Kläger, der als Sachverständiger selbst die Rechnung für seine Tätigkeit gestellt hat und der nicht selbst Geschädigter war, sondern sich dessen Schadenersatzanspruch hat abtreten lassen, nicht auf die vorbeschriebene Indizwirkung stützen. Bei dieser Sachverhaltsgestaltung ist die Zahlung nicht geeignet, einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages im Sinn von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu geben. Sie hat keine Aussagekraft im Hinblick auf die besonderen Umstände des Geschädigten und ggf. auch seine möglicherweise beschränkten Erkenntnismöglichkeiten. Die Abtretung, mit der der Geschädigte eine Erfüllung der Honorarforderung des Sachverständigen ohne seinen eigenen finanziellen Beitrag anstrebt und die ihn deshalb nicht unmittelbar belastet, stellt keinen der Zahlung vergleichbaren Hinweis auf seine Erkenntnismöglichkeiten dar (BGH, Urteil vom 26. April 2016, Az.: VI ZR 50/15, NJW 2016, 3092 Rn. 12; BGH, Urteil vom 19. Juli 2016, Az.: VI ZR 491/15, NJW 2016, 3363 Rn. 21 mwN; BGH. Urteil vom 29. Oktober 2019, Az.: VI ZR 104/19, Rn. 100 – 22, juris). Sein Interesse an der Prüfung der Höhe der Forderung ist nämlich gering, wenn er darauf vertrauen kann, dass sie von einem Dritten bezahlt werden wird.

c)

Der erforderliche Herstellungsaufwand ist im vorliegenden Fall anhand des Gutachterauftrags (nur ersichtlich aus der Abtretung) und der Rechnung sowie dem näheren Vortrag zum Aufwand des Sachverständigen zu bestimmen (§ 287 ZPO).

Fehlt es – wie hier – sowohl an einer vom Geschädigten beglichenen Rechnung als auch an einer Honorarvereinbarung und einer damit korrespondierenden Rechnung, die der Geschädigte für plausibel halten durfte, so ist die Höhe der erforderlichen Kosten unabhängig von der Rechnung und Vereinbarung im Wege der Schätzung zu ermitteln, § 287 ZPO (BGH, Urteil vom 26.04.2016, Az.:VI ZR 50/15, NJW 2016, 3092 Rn 10; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017, Az.: VI ZR 61/17, NJW 2018, 693 Rn. 28 ff.; Urteil vom 28. Februar 2017, Az.: VI ZR 76/16, DAR 2017, 316 Rn. 1; und vom 19.07.2016, NJW 2016, 3363; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az.: VI ZR 104/19, Rn. 100 – 22, juris). Bei der dann vom Tatrichter zu leistenden Bemessung der Schadenshöhe ist zu beachten, dass der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO tragfähige Anknüpfungspunkte zugrunde liegen müssen (BGH, Urteil vom 19.07.2016, Az.: VI ZR 491/15, NJW 2016, 3363, Rn19-20).

Von diesen Grundsätzen ausgehend kann der Kläger vorliegend die Erstattung der gutachterlichen Grundgebühr in Höhe von 673,- € (netto), die Kostenpauschale für Telefon- und Portokosten in Höhe von 9,00 € (netto), Fahrtkosten in Höhe von 3,50 € (netto), Schreibkosten in Höhe von 21,00 € (netto) und Kosten für Lichtbilder in Höhe von 26,- € (netto) jeweils zuzüglich Umsatzsteuer verlangen.

aa) Sachverständigenhonorar

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist im Rahmen der „Plausibilitätskontrolle“ unabhängig davon, inwieweit eine Preisabrede mit dem Sachverständigen besteht, das (unbeglichene) Honorar Ausgangspunkt für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn und soweit dieses Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und dies subjektiv für den Geschädigten erkennbar ist.

Bezugspunkt der Feststellung einer objektiv vorliegenden deutlichen Überhöhung ist die branchenübliche Vergütung in der Branche der KFZ-Sachverständigen. Hierfür kann u.a. die jeweils aktuelle BVSK-Honorarbefragung herangezogen werden, nach deren Honorarkorridor HB V die Hälfte der im BVSK-Verband organisierten Sachverständigen abrechnet (vgl. OLG München, Beschluss vom 12.03.2015 – 10 U 579/15, BeckRS 2015, 15458 Rn 20 ff.; Landgericht Mannheim, NJW – RR 2016, 599, 602).

Bei der Prüfung der subjektiven Erkennbarkeit einer Überhöhung des Honorars für den Geschädigten ist auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektive Schadensbetrachtung). Eine Überhöhung des Sachverständigenhonorars wird dem Laien-Geschädigten im Regelfall weder bei Vertragsschluss noch Rechnungsstellung erkennbar sein, weil ein Geschädigter regelmäßig über keine Kenntnisse über die übliche Vergütungsstruktur und -höhe auf dem Markt von KFZ-Sachverständigen verfügt und eine Überschreitung des branchenüblichen Honorars daher nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. Eine Erkennbarkeit für den Geschädigten wird man letztlich nur dann bejahen können, wenn der Sachverständige sein Honorar geradezu willkürlich festsetzt und Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen (OLG München, a.a.O.; Landgericht Mannheim, a.a.O.).

Nach diesen Parametern (deutliche Überhöhung der Vergütung auf objektiver Ebene sowie Erkennbarkeit der deutlichen Überhöhung auf subjektiver Ebene) bestehen im vorliegenden Fall gegen die abgerechnete Vergütung in Höhe von 673,00 € (netto) keine Bedenken. Er bewegt sich im Rahmen mehrerer allgemein von der Rechtsprechung anerkannter Schätzungswerte.

Zunächst ist der geltend gemachte Betrag im Honorarkorridor HB V angesiedelt (siehe: BVSK-Honorarbefragung 2020 (Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V.) im Internet abrufbar unter: BVSK-Honorarbefragung 2020 www.bvsk.de/fileadmin/download/HONORARBEFRAGUNG-2020-Gesamt.pdf) und im Hinblick darauf nicht zu beanstanden.

Allerdings ist der Einwand, dass nicht alle Sachverständige, so auch der Zessionar, in diesem Verband organisiert sind und die organisierten Sachverständigen es relativ frei in der Hand hätten, ihr Honorar festzulegen, durchaus beachtlich. Die pauschale Bemessung der Sachverständigenvergütung anhand der Schadenshöhe ist zudem nicht unproblematisch, denn der Aufwand zur Erstellung des Gutachtens ist, zumal der Schaden häufig automatisiert ermittelt wird, nicht immer hinreichend sicher korrespondierend. Hinzukommt, dass das Gericht eine quasi inflationäre Entwicklung der Kfz-Sachverständigenkosten zu Lasten der Versicherer und damit der Versichertengemeinschaft (unabhängig von der allgemeinen Inflationslage) beobachtet, weshalb die Plausibilitätskontrolle verstärkten Anforderungen durch den Abgleich mit jedenfalls einer weiteren anerkannten Tabelle, wie etwa dem Honorartableau der HUK-Coburg, oder mit einem anderen Prüfungsmaßstab erfolgen sollte.

Vorliegend bewegt sich der Sachverständige aber auch Im Rahmen der Empfehlung des Deutschen Gutachter und Sachverständigen Verbandes e.V. (DGuSV) unter Ansatz des unteren Stundensatzes von 150,00 €. Nach dem Vortrag des Sachverständigen hält das Gericht für den vorliegenden Fall einen Stundenaufwand von 4.5 Stunden für gerechtfertigt. Multipliziert man diese Stunden mit einem Stundensatz von 150,- EUR ergibt sich ein Honorar von 675,- EUR, weshalb sich das geltend gemachte Honorar von 673,- EUR auch unter diesem Vergleichsmaßstab als angemessen erweist.

Letztlich ist das hier geltend gemachte Honorar auch vom Honorartableau der HUK-Coburg „gedeckt“.

bb) Nebenkosten

Nach den vorbeschriebenen Grundsätzen steht dem Geschädigten auch ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich entstandenen Nebenkosten zu, wenn und soweit sie nicht deutlich überhöht sind und dies für den Geschädigten erkennbar ist.

Ob eine Nebenkostenabrechnung deutlich überhöht ist, bestimmt sich allerdings nicht durch einen Vergleich mit von Sachverständigenverbänden ermittelten Tabellen wie etwa derjenigen der BVSK-Honorarbefragung. Dass insbesondere die BVSK-Nebenkostentabelle nicht zur Feststellung der im Rahmen des § 249 BGB erforderlichen Nebenkosten geeignet ist, wird auch dadurch bestätigt, dass hierin nicht allein auf die tatsächlich entstandenen Aufwendungen abgestellt wird, sondern in den Nebenkosten in der Regel Gewinnanteile enthalten sind, die „bei anderer Betrachtung dem Grundhonorar zuzurechnen wären, das dann entsprechend höher anzusetzen wäre“ (BVSK-Honorarbefragung 2013 Nr. 8). Auch lässt sich anhand der tatsächlich erhobenen Nebenkosten der privaten Kfz-Sachverständigen kein aussagekräftiger Durchschnittswert von Nebenkosten – jedenfalls auf dem hiesigen regionalen Markt – ermitteln, der dem Geschädigten als verlässlicher Anhaltspunkt für die Überhöhung der Nebenkostenabrechnung dienen könnte (LG Saarbrücken, Urteil vom 19. Dezember 2014 – 13 S 41/13 -, Rn. 30 – 32, juris). Bei der nach § 287 ZPO vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung kann bezüglich der Nebenkosten eine Orientierung an den Bestimmungen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) erfolgen (BGH, Urteil vom 26. April 2016 – VI ZR 50/15 -, Rn. 20, juris).

(1) Fotokosten sind in Höhe von 26,00 € erstattungsfähig.

Soweit für die Vorbereitung oder die Erstattung des Gutachtens Fotos erforderlich werden, sind die anfallenden Kosten nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 JVEG gesondert erstattungsfähig. Eine Beschränkung der Anzahl der zu erstattenden Fotos oder Farbausdrucke sieht das JVEG nicht vor, jedoch kann Aufwendungsersatz nur für solche Fotos gewährt werden, die zur Vorbereitung oder Erstattung des Gutachtens notwendig waren. Die Frage der Notwendigkeit ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig, wobei sämtliche Fotos als notwendig anzusehen sind, deren Fertigung der Sachverständige nach seinem pflichtgemäßem Ermessen im Hinblick auf den ihm erteilten Auftrag für erforderlich halten durfte (Schneider JVEG/Schneider, 3. Aufl. 2018, JVEG § 12, Rn. 56; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. April 2016 – VI ZR 50/15 Rn. 22, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23. September 2021 – 12 U 128/20 Rn. 29. juris).

Die Berechnung der Kosten für die Anfertigung von Fotos orientiert sich an § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG, wonach für jedes zur Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens erforderliche Foto 2,00 € sowie für den zweiten und jeden weiteren Abzug oder Ausdruck eines Fotos 0,50 € zu ersetzen sind (für viele; Brandenburgisches Oberiandesgericht, Urteil vom 23. September 2021 – 12 U 128/20 Rn. 29. juris; AG Dresden, Urteil vom 3. April 2017-115 0 341/16 -, Rn. 20 – 41, juris).

Es mag sein, dass Lichtbilder in einem Fotoshop deutlich günstiger zu erhalten sind. Sie müssen dennoch ausgewählt und in einem passenden Format dem Druck zugeführt werden, weshalb – unabhängig von der bei günstig zu erlangenden Kopien zu erreichenden Qualität -, nicht auf diese Preise abgestellt werden kann.

Dies ergibt im vorliegenden Fall 26,00 € für 13 Fotos ä 2,00 €

(2) Schreibkosten sind in Höhe von 21,00 € angemessen.

Schreibkosten sind in Höhe von 1,80 € pro Seite (berechnet aus 2 x 0,90 € pro angefangene 1000 Anschläge) zu ersetzen (vgl. Landgericht Bremen, Urteil vom 02.09.2016 – 3 S 289/15, zitiert nach juris unter Rn 32). Dies entspricht § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG, der im Rahmen der Schätzung der bei der Begutachtung anfallenden und erforderlichen Nebenkosten gemäß § 287 ZPO als Orientierungshilfe heranzuziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2016 – VI ZR 50/15-NJW 2016, 3092 Rn 18).

Vorliegend hat der Sachverständige pauschal 21,00 € abgerechnet. Davon ausgehend, dass das Gutachten schon ohne Lichtbilder 16 Seiten umfasst, wären nach dem JVEG sogar 28,80 € zu berücksichtigen. Infolgedessen sind die pauschal abgerechneten Schreibkosten vollumfänglich erstattungsfähig.

(3)

Die Telefon- und Portopauschale ist in Höhe von 9,00 € zu ersetzen.

Eine Pauschale für Porto- und Telefonkosten bedarf nur dann näherer Begründung, wenn sie den vom erkennenden Gericht auch ansonsten für eine Unkostenpauschale nach § 12 JVEG – ohne Einzelnachweis – noch als maximal zulässig angesehenen Betrag von 15,00 € übersteigt (vergleichbar: Landgericht Freiburg, Urteil vom 24.11.2016 – 3 S 145/16, zitiert nach juris Rn 29). Insoweit bestehen gegen die abgerechnete Pauschale in Höhe von 9,00 € keine Bedenken.

(4) Fahrtkosten sind in Höhe von 3,50 € zu erstatten.

Bezüglich der Höhe der Fahrtkosten hält das erkennende Gericht die Regelung des JVEG nicht für geeignet, da sich diese nicht an den tatsächlichen Kosten orientiert, sondern an der Höhe der steuerlichen Anerkennung privat genutzter Fahrzeuge (BT-Drucksache 15/1971, Seite 177, 232). Vielmehr ist es angemessen, diese anhand der von verschiedenen Anbietern erstellten Autokostentabellen und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung verschiedener Landgerichte (u.a. Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 19.12.2014 -13 S 41/13; Landgericht Stuttgart, Urteil vom 28.07.2016 – 5 S 333/15; Landgericht Bochum, Urteil vom 31.05.2016 – 9 S 36/16, jeweils zitiert nach juris) anzusetzen, die der Bundesgerichtshof gebilligt hat (BGH, Urteil vom 26.04.2016 – VI ZR 50/15, zitiert nach juris), auf 70 Cent/km zu schätzen. Infolge dessen sind Fahrtkosten in Höhe von 3,50 € (5 km x 0,70 €) erstattungsfähig; die geltend gemachte Pauschale von 15,00 € trägt angesichts dessen, dass der Sachverständige seinen Geschäftssitz im Wohnort des Kunden hat, nicht. Das Gericht nimmt hier mit dem Prozessbevollmächtigen des Klägers eine Wegstrecke von 5 km an.

cc)

Insgesamt ergibt sich damit ein noch zu ersetzender Betrag für die erforderlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 346,36 € wie folgt.

Sachverständigenhonorar 673,00 €
Lichtbilder 26,00 €
Fahrtkosten 3,50 €
Schreibkosten 21,00 €
Porto- und Telefon 9.00 €

732,50 €
zzgl. 19% Ust 139.17€
Gesamt 871, 67 €

bereits gezahlt ./. 515, 32 €
bereits gezahlt ./. 9,99 €

Offener Betrag 346, 36 €

2.

Der Kläger hat darüber hinaus gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 44,59 EUR gemäß §§ 249, 398, 257 S. 1 BGB nach einem Gegenstandswert von 346,36 EUR […].

3.

Die Zinsforderung folgt aus §§ 286 Abs. 1 8.1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich aufgrund der Mahnung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.07.2022 ab dem 6.8.2022 in Verzug.

4.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO nicht zuzulassen.“

AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Anscheinsbeweis bei Vorfahrtsverletzung und Nutzungsausfallentschädigung bei fiktiver Abrechnung

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 2.11.2022 – 22 C 141/22) spricht ein Anscheinsbeweis gegen einen Unfallbeteiligten, der einen Vorfahrtsverstoß begeht. Zudem kann ein Geschädigter im Rahmen einer fiktiven Abrechnung des Wiederbeschaffungsaufwandes eine Nutzungsausfallentschädigung verlangen. Im Weiteren spricht für den fahrzeugführenden Besitzer eine Eigentumsvermutung. Dies gilt umso mehr, wenn die Haftpflichtversicherung des Schädigers ohne Einwendungen gegen die Eigentümerstellung außergerichtlich Zahlungen geleistet wurden.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2022 am 02.11.2022

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.005,16 € nebst Zinsen in
Höhe von 4 % aus 2.381,49 € für die Zeit vom 26.1.2022 bis zum 9.2.2022,
weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
nach § 247 BGB aus 2.609,49 € seit dem 10.2.2022 bis zum 23.3.2022 sowie
weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
nach § 247 BGB aus 1.005,16 € seit dem 24.3.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 263,31 € aus der Rechnung […] freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 25.01.2022, gegen 15:15 Uhr in Schirgiswalde-Kirschau, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 85 % und der Kläger 15%.
6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf 1.559,08 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis.

Der Kläger befuhr am 25.01.2022 gegen 15:15 Uhr, aus Richtung Bautzen kommend, in Schirgiswalde-Kirschau die Bautzener Straße, eine im Bereich der in Fahrtrichtung des Klägers rechts einmündenden Wilthener Straße nach links abbiegende Hauptstraße. Der Kläger fuhr mit dem Pkw Skoda Octavia […] den Kreuzungsbereich, als es zum Zusammenstoß mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Golf […] welches von der Zeugin K[…] geführt wurde, kam. Infolge des Zusammenstoßes beider Fahrzeuge entstand an dem vom Kläger geführten Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von 7.985,91 € (netto). Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeuges beträgt 4.380,49 € (netto), der Restwert 1.999,00 € (brutto). Für ein vom Kläger eingeholtes vorgerichtliches Sachverständigengutachten fielen Kosten in Höhe von 789,92 € an, die der Kläger noch nicht beglichen hat. Vorgerichtlich leistete die Beklagte an den Kläger 2.130,94 € wobei jeweils 2/3 des Wiederbeschaffungsaufwandes sowie der Gutachterkosten und 16,67 € für eine Unkostenpauschale gezahlt wurden. In dem vorgerichtlichen Sachverständigengutachten wird eine Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen angesetzt. Der Kläger ließ ca. 1 Woche nachdem Unfall den Blechschaden an dem Pkw Skoda notdürftig reparieren und erhielt daraufhin für das Fahrzeug vom TÜV die Zulassung zur Teilnahme am Straßenverkehr. Seitdem nutzt der Kläger sein Fahrzeug wieder.

Mit Schriftsatz vom 31.01.2022 machte der Kläger gegenüber der Beklagten seine restlichen Schadensersatzforderungen unter Fristsetzung bis zum 07.02.2022 geltend.

Der Kläger behauptet, er sei Eigentümer des von ihm zum Unfallzeitpunkt geführten Fahrzeuges. Er habe bereits vor der Kreuzung in Fahrtrichtung links geblinkt. Für die Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen stehe dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung Nutzungsausfallentschädigung in Flöhe von 29,00 € pro Tag zu.


Der Kläger beantragt,

1. an den Kläger 1208,16 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 2381,49 € für die Zeit vom 26.1.2022 bis zum 9.2.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach §247 BGB aus 2812,49 € seit dem 10.2.2022 bis zum 23.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach §247 BGB aus 1208,16 € seit dem 24.3.2022 zu zahlen,

2. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 263,31 € […] freizustellen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 25.01.2022, gegen 15:15 Uhr in Schirgiswalde-Kirschau, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte habe in der Anfahrt an die spätere Unfallstelle nach rechts geblinkt sowie seine Fahrgeschwindigkeit verringert und damit angezeigt, dass er in die Wilthener Straße habe abbiegen wollen. Dem Beklagten fehle der Nutzungswille, da er bisher kein Ersatzfahrzeug angeschafft habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben zum Unfallhergang durch Einvernahme der Zeuginnen K[…] und L[…]. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2022 verwiesen. Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere auch ein Feststellungsinteresse des Klägers beinhaltende, Klage ist überwiegend begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls vom 25.01.2022, den die Zeugin K[…] allein verursacht hat, weiteren Schadenersatz in Höhe von 1.005,16 € gemäß §§ 7 Abs. 1.9, 18 Abs. 1 StVG, § 1 PflVG, §§ 823 Abs. 1, 249 BGB beanspruchen.

1. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Gemäß § 1006 Abs. 1 BGB streitet die Eigentumsvermutung des Besitzers für den das Fahrzeug zum Unfallfahrzeug führenden Kläger. Die Beklagte hat nämlich vorgerichtlich bereits erhebliche Zahlungen an den Kläger geleistet und damit seine Anspruchsberechtigung und die dem zugrundeliegende Eigentümerstellung anerkannt. Die Beklagte hat im Prozess die Eigentümerstellung lediglich mit Nichtwissen bestritten, was in Anbetracht des vorgerichtlichen Verhaltens der Beklagten nicht ausreichend war. Substantiierte Einwände gegen die Eigentümerstellung des Klägers hat die Beklagte nicht vorgebracht.

2. Die Beklagte haftet für den von der Zeugin K[…] verursachten Unfall allein. Für den Kläger war das Unfallereignis zwar kein unabwendbares Ereignis, jedoch tritt die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges hinter das erhebliche verschulden der Zeugin K[…] zurück. Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der gegen die Beklagte sprechende Anscheinsbeweis eines Vorfahrtsverstoßes der Zeugin K[…] nicht erschüttert wurde. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Beklagte hätte nachweisen können, dass der Kläger vor dem Einfahren des Kreuzungsbereiches seine Fahrtrichtungsanzeiger nach rechts gesetzt und damit die Absicht, nach rechts Abbiegen zu wollen, angedeutet hätte. Diesen gegen den Vorfahrtspflichtigen sprechenden Anscheinsbeweis eines Vorfahrtsverstoßes gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 StVO hat die Beklagte nicht erschüttern können, denn das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass die Zeugin K[…] eine entsprechende Wahrnehmung gemacht hat. Zwar hat sie dies in Ihrer Vernehmung so angegeben. Allerdings haben sowohl der Kläger in seiner Anhörung, als auch die Unfallzeugin L[…] in Ihrer Vernehmung Gegenteiliges vorgebracht, nämlich dass der Fahrtrichtungsanzeiger des klägerischen Fahrzeuges nach links gesetzt war. Bei der Zeugin L[…] handelt es sich um eine unbeteiligte Unfallzeugin, die glaubhaft ihre Wahrnehmung geschildert hat. Dieser Aussage folgt das Gericht. Der gegenteiligen Aussage der Zeugin K[…] vermag das Gericht dagegen nicht zu folgen. Die Zeugin hat ein eigenes Interesse einer ihr günstigen Darstellung des Unfallgeschehens. Sie hat zudem ausgesagt, dass die Zeugin L[…] bereits an der Unfallstelle angegeben habe, dass der Kläger nach links geblinkt hat. Diesen Widerspruch hat die Aussage der Zeugin K[…] nicht aufzuklären vermocht. Vielmehr spricht dies für die Konstanz der Angabe der Zeugin K[…].

3. Dies führt dazu, dass die Beklagte einen restlichen Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 793,83 € sowie die restliche Unkostenpauschale in Höhe von 8,33 € zu erstatten hat. Daneben hat sie den Kläger von vorgerichtlichen Sachverständigen Kosten in Höhe von weiteren 263,31 € freizustellen.

Nutzungsausfallentschädigung hat die Beklagte allerdings nur in Höhe von 203,00 € zu erstatten. Dies folgt daraus, dass der Kläger eigenen Angaben nach das Fahrzeug eine Woche nach dem Unfall wieder in einen verkehrstüchtigen Zustand versetzt hat und das Fahrzeug seitdem Nutzen kann. Die Überlegens- und Anschaffungsfrist für ein Ersatzfahrzeug war spätestens zum Zeitpunkt der Notreparatur abgelaufen. Für die spätere Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges kann der Kläger das Unfallfahrzeug nutzen. Insofern fehlt es an einer Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit, die über die Dauer von einer Woche hinaus geht. Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf 29,00 € pro Tag.

4. Der Feststellungsantrag ist begründet. Der Kläger hat insofern vorgetragen, dass er eine Ersatzbeschaffung beabsichtigt, für die er wird Mehrwertsteuer aufwenden müssen. Diese ist als Unfallschaden nach § 249 Abs. 2 BGB zu ersetzen, jedoch erst mit ihrem Anfall.

5. Die zugesprochenen Zinsen schuldet die Beklagte gemäß §§ 849, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Spätestens am 10.02.2022 befand sich die Beklagte in Verzug.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 2.11.2022 – 22 C 141/22

Zur Anwendung des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ bei Mietwagenkosten

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Dresden (AG Dresden, Urteil vom 27.9.2022 – 109 C 1073/22) können von einem durch einen Verkehrsunfall Geschädigten grundsätzlich Mietwagenkosten bis zur Höhe des arithmetischen Mittels des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ der einschlägigen Fahrzeugklasse verlangt werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…] GmbH, […]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherungs- […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Dresden […]

im schriftlichen Verfahren nach Schriftsatznachlass bis 16.9.2022 am 27.09.2022

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 1.085,78 € aus der Rechnung […] freizustellen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die vorläufige Vollstreckung der Klägerin abwenden gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf 1.085,78 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Freistellung von weiteren Mietwagenkosten.

Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt (15.08.2021) Halterin des geleasten Pkw vom Typ VW Touareg mit dem amtlichen Kennzeichen […] und der Fzg.Ident.Nr. […]. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach als Versicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs ist unstreitig. Die Klägerin holte ein Schadensgutachten ein. […] Während der Reparatur wurden weitere Schäden am Radlager festgestellt, so dass sich der Reparaturumfang gegenüber dem Gutachten Anl. K1 erweiterte. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Reparaturkostenrechnung vom 22.11.2021 (Anl. K4) Bezug genommen). Die Klägerin mietete vom 11. Oktober bis 29.10.2021 ein Mietfahrzeug an wofür ihr 4117,48 € (netto) in der Rechnung gestellt wurden. […]

Die Beklagte erstattete unter Annahme von einer erforderlichen Reparaturzeit von zunächst drei Tagen und dann nach Vorlage angeforderter Lichtbilder und Unterlagen zum Reparaturumfang unter Annahme einer erforderlichen Reparaturdauer von acht Tagen 868,62 €. […] Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt sie habe einen Anspruch auf Übernahme der Mietwagenkosten für die gesamte erforderliche Reparaturdauer, nämlich von 18 Tagen. Unter Berücksichtigung der Zahlung der Beklagten auf die Mietwagenkosten i.H.v. 868,62 € für acht Tage (= 108,58 €/Tag) könne sie einen weiteren Betrag i.H.v. 1085,78 € für die restlichen zehn Miettage geltend machen.

Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Forderungen in Höhe von 1.085,78 €
aus der Rechnung […] freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
die Klage abzuweisen

Sie bestreitet, dass die Reparatur länger als acht Tage gedauert habe. Sie stellt sich auf den Standpunkt, die Klägerin habe durch das Gutachten Anl. K1 gewusst, dass drei Arbeitstage für die Reparatur erforderlich seien. Daher sei es nicht hinnehmbar, dass sie nach Reparaturbeginn nicht darauf gedrungen habe, dass die Reparatur zügig durchgeführt werde und die gutachterlich für erforderlich gehaltene Reparaturdauer nicht überschritten werde. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung Bezug genommen.

Da es sich beim Fahrzeug der Klägerin um ein Fahrzeug mit rein gewerblicher Nutzung handele, komme eine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung nach den Nutzungsausfalltabellen grundsätzlich nicht in Betracht. Außerdem hätte die Klägerin problemlos ein Fahrzeug der Mietwagengruppe neun für acht Tage zu einem Preis von etwa 700 € netto anmieten können. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Seite 9 der Klageerwiderung sowie die Anl. B1 Bezug genommen. Die Kosten für Haftungsbefreiung seien nicht erstattungsfähig. Im Schwacke-Tarif sei bereits eine Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung berücksichtigt. Auch bei der Anmietung eines klassen- tieferen Fahrzeugs sein ersparte Eigenaufwendungen unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs vorzunehmen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von weiterer Mietwagenkosten wie tenoriert. Die im Sinne von § 249 BGB erforderlichen Mietwagenkosten hat der Vorsitzende im Wege der Schätzung ermittelt. § 287 ZPO gibt die Art der Schätzgrundlage nicht vor. Nach Auffassung des Vorsitzenden ist auf das arithmetische Mittel des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ im PLZ-Gebiet des Sitz der Geschädigten abzustellen. Auch der BGH geht in seiner Entscheidung vom 22.02.2011 (Az.: VI ZR 353/09) davon aus, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den „Normaltarif“ grundsätzlich auf dieser Grundlage ermitteln kann. Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadenschätzung Verwendung finden können, bedarf nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall im erheblichen Umfang auswirken. Die Beklagte hat aber solche Tatsachen nicht hinreichend aufgezeigt. Insbesondere sind die als Anlage vorgelegten Angebote in Dresden ansässiger Mietwagenfirmen hierzu nicht geeignet. Diese Angebote geben nicht die jeweilige konkrete Anmietsituation wieder, insbesondere nicht die hinreichende Bestimmtheit des Anmietzeitraums sondern eine ex-post-Betrachtung im Jahr 2022, wo der konkrete Anmietzeitraum feststeht. Insoweit war auch kein Sachverständigengutachten einzuholen.

Das Fahrzeug der Geschädigten ist in die Klasse 9 einzustufen.

Es ist von einer erforderlichen Anmietdauer von 18 Tagen auszugehen.

Die Reparaturdauer ist durch den vorgelegten Reparaturablaufplan (Anl. K4) belegt. Bereits im Gutachten Anl. K1 ist aufgeführt, dass beim Schadensbild nicht ausgeschlossen werden könne, dass weitere Bauteile beschädigt seien. Dass sich der Reparaturumfang somit gegenüber der Prognose im Gutachten Anl. K1 deutlich ausgeweitet hat, folgt aus der Reparaturkostenrechnung vom 22.11.2021 (Anl. K5).

Somit ist die Argumentation der Beklagtenseite, dass der Klägerin die Werkstatt zu einer zügigen Reparatur hätte auffordern müssen, ist nicht zielführend. Die Reparaturausweitung und die damit einhergehende Verlängerung der Reparaturdauer im Hinblick auf die ursprüngliche prognostizierte Reparaturdauer hält sich noch in einem Rahmen, den ein Laie als akzeptabel hinnehmen kann. Insoweit greifen auch die Grundsätze des Werkstattrisikos

Der Normaltarif für 18 Tage berechnet sich wie folgt:

2 x Wochenpauschale: 2 x 1.114,57 EUR = 2.229,14 EUR
3-Tagespauschale: 595,56 EUR
1x Tagespauschale: 216,83 EUR

Kosten für eine Haftungsreduzierung sind nicht erstattungsfähig, da nicht belegt ist. Dass eine weitere Haftungsreduzierung als die ohnehin schon im Rahmen der Schwacke-Liste berücksichtigte, klägerseits vereinbart worden ist.

Summe: 3.041,53 EUR

Auf den so ermittelten Normaltarif ist gemäß § 287 ZPO ein pauschaler Aufschlag für einen betriebswirtschaftlich gerechtfertigten Mehraufwand im Zusammenhang mit der Anmietung eines Unfallfahrzeugs zu machen. Hinsichtlich der Höhe der pauschalen Aufschläge werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Der Vorsitzende erachtet einen Aufschlag von 20 % für angemessen, aber auch ausreichend. Somit ist ein Aufschlag von 608,30 EUR vorzunehmen. Von den so errechneten 3.649,84 EUR muss sich die Geschädigte 10 %, d.h. 364,98 EUR, als ersparte Eigenaufwendungen anrechnen lassen. Somit ergibt sich ein Betrag von erstattungsfähigen Mietwagenkosten von 3.284,86 EUR brutto, entspricht 2.760,39 EUR netto, wobei jedoch nur von den geltend gemachten 1.954,44 EUR netto auszugehen ist. . Unter Anrechnung des bereits von der Beklagten gezahlten Betrages von 868,64 EUR hat der Klägerin somit einen Anspruch auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.085,80 EUR.

Der Vorsitzende teilt nicht Rechtsauffassung der Beklagten, dass die durch den Verkehrsunfall der Klägerin entstandenen Mietwagenkosten lediglich bis zur Grenze des Gewinnausfalls zu erstatten seien. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um ein Nutzfahrzeug wie zum Beispiel ein Taxi. Vielmehr dient das streitgegenständliche Fahrzeug einem Geschäftsführer der Klägerin.

Die Entscheidung hinsichtlich der Nebenforderungen beruht auf Verzugsgesichtspunkten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.11,711 ZPO.“

AG Dresden, Urteil vom 27.9.2022 – 109 C 1073/22

Zur Anwendung des arithmetischen Mittels nach Schwacke- und Fraunhoferliste bei Mietwagenkosten sowie zur Erstattung von Verbringungskosten und Desinfektionskosten

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 2.9.2022 – 21 C 109/22) können von einem durch einen Verkehrsunfall Geschädigten grundsätzlich Mietwagenkosten bis zur Höhe des arithmetischen Mittels nach Schwacke- und Fraunhoferliste der einschlägigen Fahrzeugklasse verlangt werden. Mit dieser Entscheidung kehrt das Amtsgericht Bautzen bewusst von der eigenen, bisherigen Rechtsprechung im Einklang mit der Leitentscheidung der (Berufungs)Kammer des Landgerichts Görlitz (LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19) ab und schließt sich der Rechtsprechung des OLG Dresden (Vgl. OLG Dresden, Urteil vom 12.06.2020 – 4 U 2796/19 m.w.N.; OLG Dresden, Urteil vom 18.04.2019 – 8 U 113/19; OLG Dresden, Urteil vom 02.03.2016 – 13UO 1548/15; OLG Dresden, Urteil vom 30.12.2015 – 1 U 304/15) hierzu an.
Das Gericht hat die Höhe der erforderlichen Mietwagenkosten für den Reparaturzeitraum nach den Regeln der Schadensschätzung im Zivilprozessrecht (§ 287 ZPO) geschätzt und dabei die arithmetischen Mittel aus der Fraunhofer-Liste und dem Schwacke-Mietpreisspiegel herangezogen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und verschiedener Oberlandesgerichte (OLG) kann ein Geschädigter von dem Schädiger und dessen Haftpflichtversicherern grundsätzlich den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Dabei muss der Geschädigte den wirtschaftlichsten Weg der Schadenbeseitigung wählen, indem er sich über die auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarife für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges informiert.
Im Weiteren sind die Verbringungs- und Desinfektionskosten im vollen Umfang durch den Schädiger zu erstatten, soweit diese im Schadengutachten in gleicher Höhe für erforderlich erachtet werden und der Geschädigte die Reparaturwerkstatt zur Reparatur entsprechend dem Gutachten beauftragte.
Die geltend gemachten Verbringungskosten sind erforderlich, um den ursprünglichen Fahrzeugzustand wiederherzustellen, und der Kläger hat daher einen Anspruch auf Erstattung aller von dem Autohaus in Rechnung gestellten Verbringungskosten. Der Geschädigte hat bei der Schadensregulierung normalerweise Grenzen bei seinen Kenntnismöglichkeiten und Einflussmöglichkeiten, besonders dann, wenn er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es wäre nicht dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend, wenn der Geschädigte bei der Ausübung seiner Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen bei der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Risiko hierfür geht zu Lasten des Schädigers. Der Geschädigte kann grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in einem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das dafür benötigte Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind, und kann daher einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren. Es macht keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten berechnet oder Arbeiten in Rechnung stellt, die nicht ausgeführt wurden. Es gibt keinen Grund, dem Schädiger das Risiko für solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden des Klägers ist in diesem Fall nicht ersichtlich. Die von der Werkstatt in der Reparaturrechnung aufgeführten Aufwendungen sind im Allgemeinen ein zuverlässiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten, insbesondere wenn diese vom Sachverständigen in seinem Schadengutachten für eine Wiederherstellung als erforderlich aufgeführt werden.
In diesem Urteil wurde zudem entschieden, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Desinfektion ihres Fahrzeuges hat, die vom Autohaus berechnet wurden. Obwohl die Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird, durfte die Klägerin davon ausgehen, dass diese Kosten erforderlich waren. Das Gericht stützte sich hierbei auf ein Schadengutachten der Klägerin, in dem Kosten für die Desinfektion aufgeführt waren, und entschied, dass die berechneten Kosten plausibel sind. Das Gericht betonte außerdem, dass die Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten zur Erstattung von Infektionskosten zeigt, dass solche Maßnahmen durchaus üblich sind und die Klägerin daher keine Plausibilitätszweifel haben musste.

Urteile zu Fraunhofer-Mietpreisspiegel zzgl. 30% Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten im Rahmen der Schadenregulierung:
LG Görlitz, Urteil vom 28. Februar 2024 – 5 O 502/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; ausführlich: AG Bautzen, Urteil vom 17.9.2021 – 22 C 254/21; AG Bautzen, Beschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 18.6.2021 – 22 C 38/21; AG Bautzen, Urteil vom 23.4.2021 – 20 C 15/20; AG Bautzen, Urteil vom 22.4.2021 – 21 C 729/19; regionale Leitentscheidung: LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19

Abweichend hiervon mit arithmetisches Mittel aus der Schwacke-Liste und dem „Fraunhofer-Mietpreisspiegel“ als Maßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19

Abweichend hiervon Fraunhofer-Mietpreisspiegel ohne Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 23.5.2019 – 22 C 98/19; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 790/17; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 250/17

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten:
LG Stuttgart, Urteil vom 21.07.2021 – 13 S 25/21; LG Coburg, Endurteil vom 28.5.2021 – 32 S 7/21; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 2.9.2022 – 21 C 109/22; AG Wolfach, Urteil vom 8.6.2021 – 1 C 2/21; AG Bautzen, Urteil vom 5.7.2021 – 21 C 129/21; AG Frankenthal, Urteil vom 12.04.2021 – 3a C 253/20; AG Kempten, Urteil vom 12.3.2021 – 1 C 1118/20; AG Siegen, Urteil vom 8.3.2021 – 14 C 1990/20; AG Stuttgart, Urteil vom 15.2.2021 – 47 C 3723/20; AG Weißwasser, Urteil vom 26.1.2021 – 3 C 222/20; AG München, Urteil vom 27.11.2020 – 333 C 17092/20; AG Aachen, Urteil vom 16.11.2020 – 116 C 123/20; AG Heinsberg, Urteil vom 4.9.2020 – 18 C 161/20; so auch AG Bautzen, Hinweisbeschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21.

Urteile zu Fraunhofer-Mietpreisspiegel zzgl. 30% Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten im Rahmen der Schadenregulierung:
LG Görlitz, Urteil vom 28. Februar 2024 – 5 O 502/22; AG Bautzen, Urteil vom 4.4.2023 – 20 C 212/21; ausführlich: AG Bautzen, Urteil vom 17.9.2021 – 22 C 254/21; AG Bautzen, Beschluss vom 25.6.2021 – 20 C 212/21; AG Bautzen, Urteil vom 18.6.2021 – 22 C 38/21; AG Bautzen, Urteil vom 23.4.2021 – 20 C 15/20; AG Bautzen, Urteil vom 22.4.2021 – 21 C 729/19; regionale Leitentscheidung: LG Görlitz, Urteil vom 27.03.2020 – 2 S 38/19

Abweichend hiervon mit arithmetisches Mittel aus der Schwacke-Liste und dem „Fraunhofer-Mietpreisspiegel“ als Maßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 27.8.2019 – 20 C 175/19

Abweichend hiervon Fraunhofer-Mietpreisspiegel ohne Aufschlag als Kostenmaßstab für Mietwagenkosten:
AG Bautzen, Urteil vom 23.5.2019 – 22 C 98/19; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 790/17; AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 250/17

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

gegen

[…]-Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21.07.2022 am 02.09.2022

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 590, 62 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.03.2022 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 41 % und die Beklagte 59 % zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Beklagten wird nachgelassen, die zu leistende Sicherheit durch Sicherheit einer deutschen Sparkasse oder Großbank zu erbringen.
5. Die Berufung wird nicht zugelassen.

I. Tatbestand

Die Parteien streiten um restlichen Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 01.06.2021 in Schmölln-Putzkau unter Beteiligung des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs ereignet hat und bei dem das klägerische Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen BZ-[…] beschädigt wurde.

Die grundsätzliche Haftung, wonach die Beklagte zu 100 % für den eingetretenen Schaden einzustehen hat, steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

Die Klage wurde der Beklagten am 24.03.2022 zugestellt.

Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin des bei dem Unfall beschädigten Fahrzeugs Subaru B6 Outback 2,5 Combi. Zum Umfang der Schäden und den erforderlichen Reparaturkosten wurde zum 04.06.2021 ein Gutachten der DEKRA Automobil GmbH, Niederlassung Bautzen, eingeholt.

Die Klägerin ließ das Fahrzeug in der Subaru Werkstatt Autohaus […] zunächst am 03.06.2021 notreparieren. Hierfür sind Kosten in Höhe von 380,80 Euro entstanden, wobei 140,00 Euro (netto) zzgl. Umsatzsteuer für den Unfallersatzwagen während des Zeitraumes der Notreparatur in Rechnung gestellt worden sind. Hierauf hat die Beklagte 339,66 EUR gezahlt. Die Differenz von 41,14 Euro verfolgt die Klägerin mit der vorliegenden Klage weiter.

Darüber hinaus ließ die Klägerin das Fahrzeug später instandsetzen. Dafür stellte ihr das Autohaus […] 14.070,80 Euro in Rechnung. Bis auf 59,50 Euro hat die Beklagte die Reparaturkosten bezahlt. Im Streit stehen 25,00 Euro (netto) für die Desinfektion im Rahmen der Coronavirus-Pandemie und 25,00 Euro (netto), um die die Beklagte die Verbringungskosten zur Lackierung, die das Autohaus mit 145,00 Euro (netto) in Rechnung gestellt hat, gekürzt hat. Diese ausstehenden Reparaturkosten macht die Klägerin als Bruttobetrag in Höhe von 59,50 EUR geltend.

Die Klägerin hat für die Zeit der Reparatur des Fahrzeugs einen Mietwagen beim Autohaus […] angemietet, das für die Anmietung des Fahrzeuges vom Typ Subaru Forester in der Zeit vom 29.06.2021 bis 09.07.2021 1.416,10 Euro (brutto) in Rechnung stellte. Hierauf hat die Beklagte 515,20 Euro bezahlt. Die verbleibende Differenz von 900,90 Euro macht die Klägerin ebenfalls mit der vorliegenden Klage geltend.

Die Klägerin beantragt:
Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klägerin 1.001,54 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin keine weiteren Mietwagenkosten zustehen würden. Der erstattete Betrag entspräche dem Normaltarif, zu dem die Klägerin ein vergleichbares Ersatzfahrzeug hätte anmieten können. Die geltend gemachten Mietwagenkosten seien nicht erforderlich im Sinne von § 249 BGB gewesen, wie sich aus den vorgelegten Vergleichsangeboten von Autovermietungen aus Bautzen und Dresden ergebe.

Auch weitere Reparaturkosten stünden der Klägerin nicht zu. Desinfektionskosten seien nicht erstattungsfähig. Der Aufwand hierfür könne nicht gesondert berechnet werden. Es handele sich um allgemeine Unkosten. Sie seien nicht schadensbedingt.

Die Verbringungskosten seien in der ausgewiesenen Höhe nicht nachvollziehbar. Die Beklagte habe daher nur den marktüblichen Betrag reguliert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die bei den Akten befindlichen Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.07.2022 Bezug genommen.

II. Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

Der Klägerin steht im tenorierten Umfang ein Anspruch auf restlichen Schadenersatz gegen die Beklagte gemäß 88 7 StVG, 823, 249 BGB, 115 VVG zu.

1.
Die Beklagte ist aktivlegitimiert. Für ihre Eigentümerstellung spricht die Vermutung des § 1006 BGB. Das Fahrzeug ist auf die Klägerin zugelassen. Sie hat es zum Unfallzeitpunkt auch gefahren.

2.
Die Haftung der Beklagten zu 100 % ist unstreitig.

3.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf weitere Mietwagenkosten in Höhe von 590,63 EUR zu.

3.1
Die Höhe der erforderlichen Mietwagenkosten für den Reparaturzeitraum schätzt das Gericht gem. § 287 ZPO nach dem arithmetischen aus der Mittel Fraunhofer-Liste und des Schwacke-Mietpreisspiegels.

a)
Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. BGH Urteil vom 12.02.2019, Az. VI ZR 141/18: Urteil vom 05.03.2013, Az. VI ZR 245/11, Juris und der Oberlandesgerichte (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 28.03.2019, Az. 7 U 1319/18, Juris; OLG Dresden, Urteil vom
30.12.2005, Az. 1 O 304/15, nicht veröffentlicht; OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.01.2014, Az. 1 U 165/11, OLG Dresden, Urteil vom 12.06.2020, Az. 4 U 2796/19, Juris) kann der Geschädigte vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherern nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand grundsätzlich den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitgebot gehalten, im Rahmen des ihm zumutbaren von mehreren möglichen Wegen den wirtschaftlichsten Weg der Schadenbeseitigung zu wählen. Das bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigsten Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann (BGH, Urteil vom 12.02.2019, Az. VI ZR 141/18, Juris; OLG Dresden, 4 U 2796/19 a.a.O.).

Inwieweit dies der Fall ist, hat der nach § 287 ZPO besonders freigestellte Tatrichter – gegebenenfalls nach Beratung durch einen Sachverständigen – zu schätzen. Bei der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO ist die Art der Schätzgrundlage für die Ermittlung des Normaltarifs im Einzelnen nicht vorgegeben (vgl. BGH Urteil vom 22.02.2011, Az. VI ZR 353/09, Juris; OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.01.2014, Az. 1 U 165/11, Juris; OLG Dresden, Az. 4 U 2796/19 a.a.O.). Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher, offenbar unsachlicher Erwägung festgesetzt werden und ferner dürfen wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Acht gelassen werden (BGH a.a.O). Gleichwohl können geeignete Listen oder Tabellen bei der Schadensschätzung Verwendung finden. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 22.02.2011, Az. VI ZR 353/09; Urteil vom 18.12.2012, Az. VI ZR 316/11, Juris) hat eine Schätzung anhand des Schwacke-Mietpreisspiegels, der Fraunhofer-Liste sowie einer Schätzung nach dem arithmetischen Mittel beider Erhebungen für grundsätzlich zulässig gehalten.

In der Rechtsprechung und Literatur werden Einwendungen und Vorbehalte gegen die Heranziehung der Schwacke- und der Fraunhofer-Liste erhoben. Kern, der gegen die Schwacke-Liste geltend gemachten Bedenken war und ist, dass zugrunde liegende Erhebungen durch Übersendung von Fragebögen an die Mietwagenunternehmen vorgenommen werden, wobei der Verwendungszweck offengelegt wird. Dies beinhaltet ein nicht unerhebliches Risiko für eine Ergebnismanipulation aufgrund des damit verbundenen wirtschaftlichen Interesses der Autovermieter (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 30.12.2015, Az. 1 U 304/15; OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.01.2014, Az. 1 U 165/11, Juris; OLG Dresden, Urteil, Az. 4 U 2496/19 a.a.O.). Gegenüber der Fraunhofer-Liste wird dagegen eingewandt, dass ein großer Teil der zugrundelegenden Erhebung auf Internetangeboten basiert, die auf dem maßgeblichen Markt nicht ohne weiteres zugänglich sind und ein Internetanschluss in der konkreten Unfallsituation nicht immer zeitnah für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges zur Verfügung steht. Zudem sind die von dem Fraunhoferinstitut eingeholten Angebote von einer Bestellung mit einer Vorlaufzeit von etwa einer Woche abhängig gemacht, welche in der Unfallsituation im Regelfall dem Interesse des Geschädigten nicht gerecht würden (vgl. OLG Dresden, a.a.O., OLG Zweibrücken a.a.O.).
Das Gericht schließt sich der Ansicht an, nach der die Vor- und Nachteile durch die Anwendung des arithmetischen Mittels nach Schwacke- und Fraunhoferliste ermittelten Werte angemessen ausgeglichen werden können (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.01.2014, Az. 1 U 165/11, Juris; OLG Dresden, Urteil vom 30.12.2015, Az. 1 U 304/15; OLG Dresden, Urteil vom 18.04.2019, Az. 8 U 113/19; OLG Dresden, Urteil vom 02.03.2016, Az. 13UO 1548/15; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.04.2019, Az. 1 U 108/18, Juris; OLG Hamm, Urteil vom 08.11.2019, Az. 9 U 10/19, Juris; OLG Dresden, Urteil vom 12.06.2020, Az. 4 U 2796/19 m.w.N.). Der Kläger hat im vorliegenden Fall nicht ausreichend konkret dargelegt, dass er sich auf dem örtlich maßgeblichen Markt sich orientiert und andere Angebote eingeholt hätte. Der Geschädigte kann im Hinblick auf die gebotene Schadensbetrachtung die „den Normaltarif“ übersteigenden Mietwagenkosten nur dann verlangen, wenn er darlegt, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt – zumindest auf Nachfrage – kein wesentlich günstigerer „Normaltarif“ zugänglich war; insoweit handelt es sich nicht um eine Frage der Schadensminderungspflicht, sondern um die Schadenshöhe, die der Geschädigte darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen hat (BGH, Urteil vom 02.02.2010, Az. VI ZR 7/19, Juris; OLG Dresden, Urteil vom 18.03.2019, Az. 8 U 813/19). Soweit sich aus einer auf das Objekt bezogenen Schadensschätzung nichts anderes ergibt, kann der Geschädigte die in Rechnung gestellten Mietwagenkosten nur dann verlangen, wenn er sich auf dem Örtlich relevanten Markt orientiert und
Konkurrenzangebote eingeholt hat (OLG Dresden, Urteil vom 30.12.2015, Az. 1 U 304/15; OLG Dresden, Urteil vom 12.06.2020, Az. 4 U 2796/19 a.a.O.).

3.2
Danach kann die Klägerin hier Mietwagenkosten in Höhe des arithmetischen Mittels zwischen den Angaben der Fraunhofer-Liste und des Schwacke-Mietpreisspiegels in Höhe von 590,63 Euro verlangen.

3.2.1
Für die Reparaturzeit ergibt sich ein noch ausstehender Mietwagenkostenersatzanspruch in Höhe von 549,49 Euro.

Während der Schwacke-Mietpreisspiegel für zehn Tage einen Betrag in Höhe von 1.206,57 Euro zuzüglich Nebenkosten von 24,85 Euro/Tag, mithin 248,50 Euro, ausweist, führt die Fraunhofer-Liste 474,30 Euro auf, woraus sich ein arithmetischer Mittelwert von 964,68 Euro errechnet. Hinzu kommen weitere 100,00 Euro für die Anlieferung und Abholung des Ersatzfahrzeuges. Diesen Betrag schätzt das Gericht nach § 287 ZPO unter Zugrundelegung von zwei Arbeitsstunden für je zwei Personen für den An- und Abtransport des Mietwagens zum Wohnort der Klägerin als Mindestschaden. Die Klägerin wohnt in Schmölln und hat an diesem Ort keinen Zugriff auf Mietwagen-Unternehmen. Ihr steht aber ein Anspruch auf ein entsprechendes Auto zu. Hierauf hat die Beklagte bereits 515,20 Euro geleistet, so dass sich ein noch an die Klägerin zu erstattender Differenzbetrag in Höhe von 549,49 Euro ergibt.

3.2.2
Unter Zugrundelegung der vorstehenden Maßstäbe für die Bemessung erforderlicher Mietwagenkosten hat die Klägerin darüber hinaus einen weiteren Anspruch auf Zahlung der ihr noch verbleibenden Mietwagenkostendifferenz für das Unfallersatzfahrzeug für die Zeit der Notreparatur in Höhe von 41,14 Euro.

Die Werkstatt hat der Klägerin für den Tag der Notreparatur 140,00 Euro zzgl. Umsatzsteuer, mithin 166,60 Euro, in Rechnung gestellt. Hierauf hat die Beklagte bereits 125,20 Euro gezahlt, woraus sich eine Klageforderung in Höhe von 41,14 Euro ergibt. Für einen Miettag weisen der Schwacke-Mietpreisspiegel einen Mietpreis von 167,66 Euro zuzüglich Nebenkosten von 24,85 Euro und die Fraunhofer-Liste einen Mietpreis von 116,11 Euro aus, so dass sich ein arithmetisches Mittel von 154,31 Euro ergibt. Die verbleibende Differenz zu 166,60 EUR in Höhe von 12,29 EUR ist der Klägerin ebenfalls zu erstatten, denn auch in diesem Falle gilt, dass die Klägerin einen Anspruch auf einen Pkw bis zu ihrer Haustür hätte, so dass das Gericht nach § 287 ZPO die Differenz zumindest als angemessene Zustellkosten, die der Klägerin zustehen würden, zuerkennt.

4.
Die Klägerin hat darüber hinaus Anspruch auf Ersatz weiterer 59,50 Euro für die Verbringung des Fahrzeuges in die Lackierung und für die Desinfektion.

4.1
Die geltend gemachten restlichen Verbringungskosten stellen dem Grunde als auch der Höhe nach den erforderlichen Aufwand zur Wiederherstellung des ursprünglichen Fahrzeugzustandes dar. Der Kläger hat daher einen Anspruch auf Erstattung der gesamten ihm von dem Autohaus […] in Rechnung gestellten Verbringungskosten.

Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendung der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.

Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers. Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigte Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90, Juris). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, Az. 9 U 168/94, Juris). Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden des Klägers ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendungen sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier, gleichartige Aufwendungen sich bereits aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergeben (Amtsgericht Coburg, Urteil vom 27.11.2018,Az. 14 C 1819/18, Juris m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind im vorliegenden Fall die vollständigen Kosten der Verbringung ersatzfähig. Mangels besserer Erkenntnis – und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten, einschließlich der Verbringungskosten, für erforderlich halten dürfen. Die in Rechnung gestellten Verbringungskosten entsprechen exakt dem Betrag, die das vor der Reparatur eingeholte DEKRA-Gutachten ausgewiesen hat, um den erforderlichen Reparaturaufwand darzustellen.

Soweit die Beklagte dann lediglich eine pauschale Kürzung vornimmt und behauptet, nur dieser Betrag sei angemessen, ohne dies näher zu begründen, vermag dies nach den zuvor dargestellten Grundsätzen den Anspruch des Klägers nicht zu schmälern.

Damit hat die Klägerin einen Anspruch auf Verbringungskosten in voller Höhe erstattet, so
dass die noch offene Differenz von 29,75 Euro (brutto = 25,- Euro (netto)) von der Beklagten zu zahlen ist.

4.2
Die Klägerin hat darüber hinaus auch einen Anspruch auf die für die Desinfektion des Fahrzeuges seitens des Autohauses […] berechneten Kosten i.H.v. 29,75 Euro (brutto = 25,- Euro (netto)).

Die Klägerin durfte nach den vorstehenden Grundsätzen davon ausgehen, dass auch die Desinfektionskosten erforderlich waren. Die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten wird unterschiedlich beurteilt und teils bejaht, teils verneint. Darüber musste sich die Klägerin jedoch bei Beauftragung des Autohauses […] keine Gewissheit verschaffen, denn das klägerseits vorgerichtlich eingeholte Gutachten der DEKRA vom 04.06.2021 sah Desinfektionskosten vor. Zum Unfall- und Reparaturzeitpunkt wurde die Notwendigkeit möglicher Hygienemaßnahmen seitens Wissenschaft, Politik und Medien breit kommuniziert. Es war aus Sicht der Klägerin im Hinblick auf das Infektionsgeschehen abzusehen, und entsprach auch der Lebenswahrscheinlichkeit, dass im Rahmen der Reparatur seines Fahrzeuges, die zwingend zum Kontakt der Werkstattmitarbeiter mit seinem Fahrzeug führt, Desinfektionsmaßnahmen zur Anwendung kommen würden. Sie hatte keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Werkstatt diese Maßnahmen einerseits zum Schutz ihrer Mitarbeiter, andererseits zum Schutz ihrer Kunden vor vor und während der Reparatur möglicherweise eintretenden Kontaminationen vornehmen würden. Sie musste auch nicht davon ausgehen, dass die Werkstatt diese Kosten selbst tragen würde, weil Hygienemaßnahmen auch im Innenverhältnis zu den Mitarbeitern geboten waren. Die Klägerin durfte es für plausibel halten, dass die Desinfektionskosten, die konkret durch den Reparaturauftrag veranlasst waren, auch entsprechend dem Gutachten berechnet würden.

Gemäß § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO geht das Gericht im Wege der Schadensschätzung davon aus, dass die angesetzten Kosten in Höhe von 25,00 Euro (netto) plausibel sind. Das DEKRA-Gutachten hatte bereits Materialkosten für die Desinfektion angesetzt, denen der Arbeitslohn hinzuzurechenen ist. Wenn das Autohaus […] danach 29,75 Euro (brutto) für die Desinfektion ansetzt, ist dies angesichts der üblichen Stundenverrechnungssätze, wie sie
dem Gutachten der DEKRA zu entnehmen sind, nicht überhöht. Jedenfalls musste die Klägerin daher keine Plausibilitätszweifel haben. Im Übrigen zeigt die Vielzahl der Rechtsstreite zur Erstattungsfähigkeit der Infektionskosten, dass die Ansetzung solcher und die Vornahme entsprechender Maßnahmen durchaus üblich sind.

Soweit die Beklagte bestreitet, dass das Fahrzeug überhaupt desinfiziert wurde, verfängt dies hier nicht. Sie trägt schon nicht vor, dass sich der Klägerin aufdrängen musste, dass die Desinfektion des Fahrzeuges möglicherweise nicht stattgefunden hat, insbesondere sie hätte erkennen können müssen.

4.3
Insgesamt hat der Kläger gegen die Beklagte damit einen Anspruch auf Erstattung der noch ausstehenden Reparaturkosten aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis i.H.v. 59,50 Euro (Verbringungskosten: 29, 75 Euro + Kosten für die Fahrzeugdesinfektion: 29, 75 Euro).

Der Beklagten wäre es im Übrigen ohne weiteres möglich gewesen, vor Auslösung des Reparaturauftrages durch die Klägerin diese darauf hinzuweisen, dass sowohl hinsichtlich der Verbringungskosten als auch hinsichtlich der Kosten für die Fahrzeugdesinfektion besondere Anforderungen an die Erstattungsfähigkeit gestellt würden.

5.
Der Zinsanspruch gründet sich auf §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in 88 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, § 511 Abs. 4 ZPO, weil weder die grundsätzliche Bedeutung noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern.“

(AG Bautzen, Urteil vom 2.9.2022 – 21 C 109/22)

Anscheinsbeweis beim An- bzw. Einfahren vom Parkstreifen

Nach der Entscheidung des Landgerichts Görlitz mit Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 7.3.2022 – 5 O 258/20) besteht ein Anscheinsbeweis gegen einen von einem Parkstreifen in den fließenden Verkehr einfahrenden Unfallbeteiligten.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…]-Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richterin am Landgericht […] als Einzelrichterin

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 25.02.2022 eingereicht werden konnten, am 07.03.2022

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.827,10 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem
01.04.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings &
Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 316,40 € freizustellen..
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 8.002,10 EU R festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, welcher sich am 19.02.2020 gegen 11:00 Uhr […] in Bautzen ereignete.
Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls Eigentümerin des Pkw vom Typ VW Amarok 2,0 BilDI mit dem amtlichen Kennzeichen […]. Die Beklagte war zum Unfallzeitpunkt der Haftpflichtversicherer des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeug Pkw Typ WV Up mit dem amtlichen Kennzeichen […]. Die Führerin des Beklagtenfahrzeugs ist aus dem ruhenden Verkehr vom Straßenrand in den fließenden Verkehr auf der […]straße eingefahren, wobei es zur Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen gekommen ist. Der Verkehr wird in beiden Richtungen einspurig geführt, mit Ausnahme eines Abschnittes von etwa 40 Metern, in dem ein separater Fahrstreifen für Linksabbieger der nächsten Kreuzung angelegt ist.

Am Fahrzeug der Klägerin entstand ein Sachschaden in Höhe von 6.656,50 €. Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeugs wird durch die Größe des Schadensumfangs nicht erreicht. Die Klägerin hat einen Gutachter beauftragt, welcher ihr für die Erstellung des Gutachtens 838,10 € in Rechnung stellte. Für das Abschleppen des Fahrzeugs sind 307,50 € angefallen.

Die Klägerin hat vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 10.03.2020 und 11.03.2020 ihren Schaden gegenüber der Beklagten geltend gemacht und eine Zahlungsfrist bis zum 18.03.2020 gesetzt. Die Beklagte zahlte nicht. Die Klägerin mahnte die Beklagte mit weiteren Schreiben, zuletzt mit anwaltlichem Schriftsatz vom 09.06.2020.

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Der Zeuge Stieber sei mit dem Fahrzeug der Klägerin ordnungsgemäß auf der […]straße gefahren. Die Unfallgegnerin sei mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug plötzlich und unerwartet aus dem ruhenden Verkehr auf die Straße gefahren. Neben dem Sachschaden seien ihr Vorhaltekosten entstanden. Diese seien für 7 Tage in Höhe von 25 € pro Tag zu bemessen, was ortsüblich und angemessen sei. Die Klägerin halte Reservefahrzeuge vor. Sie begehrt darüber hinaus eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 €.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt,
a) an die Klägerin 8.002,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 8.002.10 € seit dem 01.04.2020 zu zahlen.
b) die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 349,55 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Fahrzeugführerin des Beklagtenfahrzeugs habe beabsichtigt, ihre Fahrt auf dem geradeausführenden Fahrstreifen aufzunehmen und fortzusetzen. Hierfür habe sie den linken Fahrrichtungsanzeiger betätigt und sich hinsichtlich des von hinten herannahenden Verkehrs vergewissert. Dort habe sich in ausreichendem Abstand die Zeugin Herzog mit ihrem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von etwa 45 km/h genähert. Da eine Behinderung der Zeugin nicht zu erwarten gewesen sei, habe die Führerin des Beklagtenfahrzeugs mit ihrem Anfahrvorgang
begonnen. Während des Einfahrmanövers sei die Zeugin Herzog von dem mit überhöhter Geschwindigkeit gesteuerten Fahrzeug der Klägerin trotz Überholverbot überholt worden und beim Einscheren sei es zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug gekommen.

Hinsichtlich der Kosten für den Privatgutachter fehle es der Klägerin an der Sachbefugnis, da sie ihren Anspruch auf Schadensersatz an diesen abgetreten habe. Ein Anspruch auf Vorhaltekosten bestünde nicht. Der geltend gemachte Zinsanspruch könne erst nach Ablauf einer Überlegungsfrist begründet sein.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugen I[…], M[…] und P[…] sowie der Zeuginnen B[…] und H[…]. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2021 […] Bezug genommen. Das Gericht hat weiter Beweis erhoben durch die Einholung eines
schriftlichen Sachverständigengutachtens des Dipl.- Ing. […] B[…]. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 23.09.2021 […] Bezug genommen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

I.

Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Görlitz ist aufgrund des Streitwerts von über 5.000 € sachlich gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 32 ZPO weil der Verkehrsunfall in Bautzen geschah.

II.

Die Klage ist auch im tenorierten Umfang begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz aus den §§7 Abs. 1, 17, 18 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG.

1.

Die Beklagte haftet dem Grunde nach für den Unfall zu 100 %. Zwar obliegt der Klägerin im vorliegenden Fall der Nachweis, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs durch dessen Fahrweise wesentlich erhöht gewesen sei oder dass die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs an dem Unfall ein Verschulden trifft. Diese Beweisführung wird jedoch erleichtert durch eine Anscheinsbeweislage. Kommt es in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren von einem Parkstreifen in den fließenden Verkehr zu einer Kollision mit einem dort fahrenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Kollision darauf beruht, dass der vom Parkstreifen einfahrende Fahrer die von § 10 StVO verlangte äußerste Sorgfalt nicht beachtet hat. Kann der Anscheinsbeweis nicht erschüttert oder gar widerlegt werden, wiegt der Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht beim An- bzw. Einfahren vom Parkstreifen so schwer, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des fließenden Verkehrs dahinter vollständig zurücktritt (LG Hamburg, Urteil vom 09. März 2018-319 O 91/17-, Juris).

Der Beklagten ist es nicht gelungen, den für die Klägerin wirkenden Anscheinsbeweis zu entkräften oder zu erschüttern durch Darlegung ernsthafter Möglichkeiten eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs, deren Tatsachen unstreitig oder voll bewiesen sein müssen. Der von der Beklagten vorgetragene Geschehensablauf, der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges habe trotz Überholverbotes das Fahrzeug der Zeugin Herzog überholt und erst beim Einfädeln sei es zum Unfall gekommen, ist zwar grundsätzlich geeignet, den gegen sie streitenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Allein hat sie diesen streitigen Sachvortrag nicht zur Überzeugung des Gerichts beweisen können.

Die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs gab an, gar kein anderes Fahrzeug wahrgenommen zu haben, weshalb sie in den fließenden Verkehr eingefahren sei […] Sie habe auch das klägerische Fahrzeug nicht gesehen, was so schnell dagewesen sei. Sie sei auch nicht besonders vorsichtig losgefahren, weil die Straße auch ihrer Sicht frei gewesen war. Die Zeugen I[…] und M[…], welche im klägerischen Fahrzeug saßen, haben übereinstimmend
ausgesagt, sie hätten kein weiteres Fahrzeug überholt. Einzig die Zeugin H[…] erklärte, sie sei durch das klägerische Fahrzeug überholt worden und der Unfall sei beim Einscheren geschehen […]. Die Aussage überzeugt das Gericht nicht vollständig. Zum einen konnte sich die Zeugin nicht mehr genau an das Fahrzeug der Klagepartei erinnern. Sie sprach von einem Kastentransporter. Tatsächlich handelt es sich aber ausweislich der Bilder um eine Art Pick Up Modell. Auch konnte sie den Unfallhergang nicht konkret wieder geben. Sie wusste zum Beispiel nicht, ob das Fahrzeug schon vom Rand losgefahren war. Sie äußerte auch, dass die Situation für sie eigentlich ganz entspannt gewesen sei, was angesichts der Behauptung ein Kastenwagen habe sie sehr schnell überholt und beim Einscheren sei es zum Unfall gekommen, nicht so recht glaubhaft erscheint. Die Überzeugung des Gerichts wird zudem durch das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten gestützt. Der Sachverständige führt auf S. 29 seines Gutachtens […] aus, dass es aus technischer Sicht keine Ansätze für den Vortrag der Zeugin Herzog gibt. Weder die Kollisionstellung noch die Spurenlage weisen darauf hin, dass das klägerische Fahrzeug vor der Kollision ein Überholmanöver durchgeführt hat. Ebenso wenig gibt es aus technischer Sicht Anzeichen dafür, dass das klägerische Fahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist. Daher konnte die Beklagte den gegen sie wirkenden Anscheinsbeweis nicht erschüttern und haftet für die Unfallfolgen zu 100%.

2.

Der Höhe nach hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch von 7.877,27 €.

a)

Der am Fahrzeug entstandene Sachschaden in Höhe von 6.706,67 € ist zwischen den Parteien nicht streitig. Das gleiche gilt für die Abschleppkosten in Höhe von 307,50 €.

b)

Die Beklagte bestreitet auch die Höhe der angefallenen Sachverständigenkosten von 838,10 € nicht. Die Klägerin ist legitimiert, diese in eigenem Namen gegen die Beklagte geltend zu machen. Die seitens der Beklagten behauptete Abtretung des Anspruchs an den Sachverständigen ist nicht belegt. Vielmehr weist die […] vorgelegte Rechnung die Klägerin als Anspruchsverpflichtete aus. Auf S. 5 der Klageerwiderung […] behauptet die Beklagte lediglich eine Abtretung an den Sachverständigen ohne den für sie günstigen
Sachverhalt unter Beweis zu stellen. Die Klägerin hat die Abtretung auf S. 2 ihrer Replik […] bestritten.

c)

Einen Anspruch auf Erstattung von Vorhaltekosten hat die Klägerin nicht gegen die Beklagte.

Ein Schädiger muss die Vorhaltekosten für ein in Reserve gehaltenes Fahrzeug dann ersetzen, wenn der Geschädigte dieses Fahrzeug in einem nicht ganz unerheblichen Umfang auch wegen fremdverschuldeter Ausfälle vorhält. Es ist nicht erforderlich, dass ein Fahrzeug eigens für diesen Fall in Reserve gehalten wird (OLG Koblenz, Urteil vom 01. September 2014 – 12 U 1136/12 -, juris). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen. Der vom Gericht gehörte Zeuge P[…] führte in seiner Aussage aus, dass eine Rückhaltung von Fahrzeugen bei der Klägerin nicht gegeben sei […]. Vielmehr sei es für den Ausfall eines Fahrzeugs sehr schwierig bis aussichtslos, intern aus dem eigenen Fuhrpark eine Alternative zu finden. Meist müsse auf externe Vermietungen zugegangen werden. Die Klägerin hat damit die Voraussetzung für die Erstattung von Vorhaltekosten nicht nachgewiesen, weil sie nach Aussage des von ihr selbst benannten Zeugen P[…] gar keine Fahrzeuge für fremdverschuldete Ausfälle vorhält.

d)

Eine Unkostenpauschale von 25,00 € schätzt das Gericht nach § 287 ZPO als angemessen und ausreichend ein.

e) Zinsen

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, Abs. 3, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet sich mit der Zahlung seit spätestens 01.04.2020 In Verzug.

3.

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Freistellung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten für die Einschaltung eines Rechtsanwalts. Diese Kosten gehören nach ständiger Rechtsprechung zum ersatzfähigen Schaden. Die Höhe der Rechtsanwaltskosten richtet sich nach dem tatsächlich zu erstattenden Schaden, welcher im vorliegenden Fall 7.827,10 € beträgt. Bei diesem Gegenstandswert beträgt die 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG 592,80 € zuzüglich einer Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 W RVG in Höhe von 20,00 €. In Abzug zu bringen Ist eine 0,65 Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG i. V. m. § 15 a RVG, also 296,40 €. Dies ergibt gesamte zu erstattende Rechtsanwaltskosten in Höhe von 316,40 €.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerseite ist im Verhältnis geringfügig. Die Obsiegensquote beträgt 97,5 %. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.“

LG Görlitz, Urteil vom 7.3.2022 – 5 O 258/02