Kein Regressanspruch einer Haftpflichtversicherung trotz Obliegenheitspflichtverletzung bei unerlaubten Entfernen vom Unfallort

Durch das Amtsgericht Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 26.10.2018 – 20 C 576/16) wurde entschieden, dass eine Haftpflichtversicherung gegenüber ihrem Versicherungsnehmer trotz dessen Obliegenheitspflichtverletzung bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort keinen Regressanspruch hat, wenn dieser durch einen Kausalitätsgegenbeweis u. a. nachweisen kann, dass dieser zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls nicht unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand und fahrtüchtig war.

Auszug aus den Entscheidungsgründen des Gerichts:

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit
H[…] Versicherung […]

– Klägerin –

[…]
Prozessbevollmächtigte:
[…]

gegen

[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, Gz.: […]

wegen Forderung

hat das Amtsgericht Bautzen durch
Richterin […]

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28.02.2018 und 26.09.2018 
am 26.10.2018

für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  4. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin ist am 28.04.2015 Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des Audi mit dem amtlichen Kennzeichen […] gewesen, dessen Fahrer und Halter der Beklagte war. Dieser war auch Versicherungsnehmer der Klägerin.

Am 28.04.2015 gegen 11:30 Uhr befuhr der Beklagte mit dem bezeichneten Kraftfahrzeug die M[…]straße in Bautzen. Beim Rückwärtsfahren stieß er gegen den in Höhe der M[…]straße 21 abgeparkten Mitsubishi mit dem amtlichen Kennzeichen […], wodurch der Mitsubishi im Bereich der hinteren linken Ecke beschädigt wurde. Nach dem Verkehrsunfall entfernte sich der Beklagte vom Unfallort ohne die Feststellung seiner Personalien zu ermöglichen. Er hinterließ einen Zettel mit seiner Rufnummer am beschädigten Fahrzeug.

Die Klägerin regulierte den durch den Verkehrsunfall entstandenen Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 100%.

Mit Ihrer Klage macht sie gegen den Beklagten einen Regressanspruch in Höhe von 2.500,00 € geltend. Der Beklagte habe sich unerlaubt vom Unfallort entfernt und dadurch eine Obliegenheit verletzt, welche im Innenverhältnis zur Leistungsfreiheit der Klägerin führe. Der Beklagte habe eine Aufklärungsobliegenheit gegenüber der Klägerin gehabt, welche unabhängig von der Erfüllung des Straftatbestandes des unerlaubten Entfernens vom Unfallort bestehe. Sie habe durch das unerlaubte Entfernen keine Möglichkeit die Eigenschaft des Beklagten als Fahrer und den Zustand desselben zum Unfallzeitpunkt zu überprüfen, wovon ihre Eintrittspflicht abhänge.

Sie beantragt:

Den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.500,00 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für das Jahr seit 23.04.2016 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt:

Die Klage abzuweisen.

Er habe lange am Unfallort zugewartet und seine Kontaktdaten an der Windschutzscheibe wetterfest befestigt. Er habe auch nicht unter Einfluss berauschender Mittel gestanden, welche seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Sein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort allein begründe kein arglistiges Verhalten. Für die Klägerin sei kein Nachteil dadurch entstanden, dass der Beklagte die Feststellung seiner Personalien nicht ermöglicht habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugin H[…]. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.09.2018 verwiesen. Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Regressanspruch aus § 426 BGB i.V.m. ihren allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung (AKB). Sie ist nicht von ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Beklagten frei geworden.

1. Der Beklagte hat unzweifelhaft eine vorsätzliche Verletzung seiner Obliegenheitspflichten begangen, indem er sich unerlaubt vom Unfallort entfernte und den Straftatbestand des § 142 StGB verwirklichte. Die den Beklagten treffende Aufklärungsobliegenheit gemäß E.1.2.a AKB entspricht dem Schutzzweck des § 142 StGB. Der Beklagte hatte mithin Kenntnis dieser Verhaltensnorm. Durch sein Entfernen vom Unfallort nach wahrgenommener Kollision hat er bewusst hiergegen verstoßen. An seinem vorsätzlichen Verhalten ändert es auch nichts, wenn er die Erfüllung dieser Warteobliegenheit in der angeblichen Annahme, ein Anbringen eines Zettels nach ausreichender Wartezeit würde genügen, für nicht erforderlich gehalten haben will. Denn in der von ihm beschriebenen Unfallsituation liegt es auf der Hand, dass er die Möglichkeit, dass dem nicht so ist, angesichts seines zutreffenden Verständnisses von der Obliegenheit zumindestens billigend in Kauf genommen hat (vergl. OLG Stuttgart vom 16.10.2014, Az. 7 U 121/14).

2. Der Beklagte hat aber den Kausalitätsgegenbeweis im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG geführt. Dabei genügt für eine fehlende Kausalität der Obliegenheitsverletzung bereits die Feststellung, dass die Beachtung der aus § 142 StGB folgenden Rechtspflichten durch den Beklagten der Klägerin keine zusätzlichen Aufklärungsmöglichkeiten verschafft hätte (BGH vom 21.11.2012, Az. IV ZR 97/11). Die Feststellung der Fahrereigenschaft und des Besitzes der erforderlichen Fahrerlaubnis wäre auch nachträglich möglich und steht zwischen den Parteien außer Streit. Im Gegensatz der seitens der
Beklagten angeführten Entscheidung des Kammergerichtes Berlin vom 27.10.2010, 6 U 66/10 war im vorliegenden Fall auch die objektive Feststellung möglich, dass der Beklagte bei Unfallverursachung nicht unter Alkohol- und/oder Drogeneinfluss gestanden hat, was zum Verlust des Versicherungsschutzes geführt hätte. Der Beklagte hat hierzu Zeugenbeweis angeboten. Die Zeugin wurde vom Gericht gehört. Anders als im vom Kammergericht Berlin entschiedenen Rechtsstreit war die Zeugin auch geeignet, eine Aussage über eine etwaige Fahrtüchtigkeit abzugeben. Sie war zum Unfallzeitpunkt anwesend. Dies war im Sachverhalt, über welches das Kammergericht Berlin zu befinden hatte, nicht der Fall, weshalb das Kammergericht zu Recht davon ausgegangen ist. Die dortige Zeugin könne über die Fahrtüchtigkeit oder eine alkoholische Beeinflussung nicht mit gleicher Sicherheit Aufschluss geben, wie eine direkt nach dem Unfall durchgeführte Blutprobe.

Das Gericht ist nach Einvernahme der Zeugin Hübner davon überzeugt, dass der Beklagte zum Unfallzeitpunkt nicht unter dem Einfluss von berauschenden Mitteln stand, welche seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt hätten, was zu einem Ausschluss der Leistungspflicht der Klägerin geführt hätte. Das Gericht stützt diese Feststellung auf die umfassende und glaubhafte Aussage der Zeugin. Diese konnte sich an den Vorfall, obwohl lang zurückliegend, noch gut erinnern. Auch kannte sie den Beklagten nach ihrer Aussage gut. Beide waren zum damaligen Zeitpunkt ein Paar. Die Zeugin führte glaubhaft und überzeugend aus, dass der Beklagte nie alkoholische Getränke zu sich genommen hat, wenn er anschließend gefahren ist. Sie schilderte außerdem, dass er niemand sei, welcher exzessiv Alkohol genießt, Drogenkonsum des Beklagten schloss sie aus. Sie schilderte nachvollziehbar, dass sie Erfahrungen mit Leuten hat, welche unter Drogenkonsum stehen. Sie schilderte, dass diese in der Regel hippelig und schwitzig werden sowie viel reden. Sie war sich sehr sicher, dass der Beklagte nie Betäubungsmittel zu sich genommen hat, solange sie mit ihm zusammen war. 

Die Zeugin war sich auch sicher, dass sie mit dem Beklagten vor dem Unfall zusammen war und mit diesem zusammen im Auto losgefahren ist. Auch wenn sie verständlicherweise keine genaue Erinnerung mehr an den betreffenden Tag diesbezüglich hat, so schilderte sie doch, dass sie und der Beklagte getrennt wohnten, sie aber in der Regel ihre gesamte freie Zeit mit ihm verbracht hat. Da sie in der Gastronomie arbeite und in W[…] wohnte, war sie überzeugt davon, dass, wenn der Unfall in Bautzen geschehen ist und sie dabei war, sie auch von den frühen Morgenstunden an mit ihm unterwegs war. Nach alldem ist das Gericht davon überzeugt, dass die Zeugin hier Angaben zum Zustand der Fahrtüchtigkeit des Beklagten machen konnte und diese haben ergeben, dass der Beklagte frei vom Einfluss berauschender Mittel war. Hinzu kommt, dass der Unfall sich vormittags ereignete und die Zeugin geschildert hat, dass der Beklagte niemand gewesen war, der exzessiv Alkohol konsumierte.

3. Dem Beklagten war der Antritt des Kausalitätsgegenbeweises auch nicht aufgrund von arglistigen Handeln verwehrt. Eine arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt. Es reicht dabei aus, dass er einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, indem er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH, Az. IV ZR 62/07). Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, damit stetes einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, gibt es nicht. Auf Arglist kann als innere Tatsache regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden (LG Bonn, Urteil vom 15.11.2012, Az. 6 S 63/12). Im vorliegenden Fall sind keine Indizien ersichtlich, dass der Beklagte einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt. Keinesfalls wollte sich der Beklagte aus seiner Haftung herauswinden.
Im Ergebnis hat er mit der Obliegenheitsverletzung aus möglicherweise leichtfertiger Unwissenheit einen Fehler gemacht, der sich aber im Ergebnis für die Klägerin nicht ausgewirkt hat. Für das Gericht ist kein Umstand ersichtlich, welcher dazu geführt hätte, dass die Klägerin im Falle einer sofortigen Feststellung der Unfallgegebenheiten von ihrer Leistung frei geworden wäre. Demzufolge hat sich die vom Beklagten unzweifelhaft begangene Obliegenheitsverletzung für die Klägerin nicht ausgewirkt. Daher ist sie von ihrer Leistungspflicht im Innenverhältnis auch nicht frei geworden und kann keinen Regressanspruch gegenüber dem Beklagten geltend machen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 26.10.2018 – 20 C 576/16

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