Unvorhergesehene Verlängerung der Standzeit von Gerüsten: Rechtliche Konsequenzen

Das Landgericht Bautzen (LG Bautzen, Urteil vom 6.7.2012 – 1 S 143/11) hat als Berufungsgericht im Anschluss an das erstinstanzliche Urteil des Amtsgericht Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2011 – 20 C 1091/10) über den Rechtscharakter eines Gerüststellungsvertrages und die daraus resultierenden vertraglichen Pflichten im Falle einer unvorhergesehenen Verlängerung der Standzeit entschieden. Das Gericht urteilte, dass der Gerüststellungsvertrag als Werkvertrag zu qualifizieren ist, weshalb die Klägerin verpflichtet war, das Gerüst entsprechend den vertraglichen und baurechtlichen Erfordernissen bis zum Abschluss der Bauarbeiten vorzuhalten. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen, da sie durch den vorzeitigen Abbau des Gerüsts eine Vertragsverletzung begangen hatte, die der Beklagten einen Schadensersatzanspruch zusprach, der den Vergütungsanspruch der Klägerin überstieg.

Der Rechtscharakter eines Gerüststellungsvertrages wird in der Regel nach Werkvertragsrecht beurteilt, insbesondere wenn die Überlassung des Gerüsts eng mit dem Baufortschritt und der Anpassung des Gerüsts an die Bauarbeiten verbunden ist. Das Gericht betonte, dass Verzögerungen im Bauablauf zu den typischen Risiken gehören, die vom Gerüstbauunternehmer berücksichtigt werden müssen. Ein vertraglich vereinbarter Bauzeitenplan dient nicht dazu, die Dauer der Gerüstvorhaltung zu begrenzen, sondern die Fertigstellung der Bauarbeiten zu koordinieren. Insofern bleibt der Gerüstbauunternehmer verpflichtet, das Gerüst bis zur tatsächlichen Beendigung der Bauarbeiten bereitzustellen, selbst wenn dies über die ursprünglich geplante Bauzeit hinausgeht.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin das Gerüst vorzeitig abgebaut und damit ihre vertraglichen Pflichten verletzt, was die Beklagte berechtigte, Schadensersatz wegen der durch den Abbau verursachten Bauverzögerungen und zusätzlichen Kosten geltend zu machen. Die Aufrechnung der Beklagten mit dem Schadensersatzanspruch führte dazu, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin erlosch.

Vorinstanz:

1. Instanz: AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2011 – 20 C 1091/10

Nachfolgende Instanz:

Revision: BGH, Urteil vom 11.4.2013 – VII ZR 201/12

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

„IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin und Berufungsklägerin –

[…]

gegen

Gemeinde C[…], […]

– Beklagte und Berufungsbeklagte –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, Gz.: […]

wegen Forderung

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bautzen durch Vorsitzenden Richter am Landgericht […] als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13.06.2012 am 06.07.2012

für Recht erkannt:

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des Amtsgericht vom 19.10.2011, Aktenzeichen: 20 C 1091/10, wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
  4. Die Revision wird zugelassen.

[…]

Gründe:

Die Klägerin macht Restansprüche für das Aufstellen und Vorhalten eines Baugerüstes geltend. Die Klägerin erhielt für das Bauvorhaben „Umbau der Grundschule […]“ der Beklagten unter dem […].2009 den Auftrag zur Ausführung der Gerüstarbeiten und zur Vorhaltung der Gerüste auf der Grundlage des Angebotes der Klägerin vom […].2009 […]. Zwischen den Parteien war unstreitig die Geltung der VOB/B vereinbart. Grundlage des Vertrages war unter anderem die Geltung des von der Beklagten aufgestellten Bauzeitenplanes […]. Nach dem Bauzeitenplan sollten die Arbeiten, für welche das Gerüst benötigt wurde, bis Juli 2010 abgeschlossen sein. Für den Abbau der Gerüste war in dem Bauzeitenplan die Zeit vom 16.7.2010 bis 19.7.2010 angegeben. Die Klägerin hat das Gerüst gestellt und bis Juli 2010 vorgehalten. Nachdem ihr Angebot auf Abschluss eines neuen Gerüstbau- und Überlassungsvertrages durch die Gemeinde nicht angenommen worden war, hat die Klägerin das Baugerüst am 19.7.2010 abgebaut. Mit Schreiben vom 12.7.2010 hatte die Klägerin der Beklagten ihre Rechtsauffassung mitgeteilt, das Vertragsende sei zum 19.7.2010 „klar definiert“, so dass die Klägerin „das beiliegende Angebot als neues Angebot im Sinne der VOB für einen geänderten Leistungszeitraum“ ansehe.

Ansonsten werde sie das Gerüst abbauen. Beigelegt war das „Nachtragsangebot“ vom 12.7.2010 mit mehreren Zulage und Bereitstellungspositionen. Einzelheiten ergeben sich aus der Anlage […]. Die Beklagte nahm dieses Angebot nicht an. Sie erklärte mit Schreiben vom 16.7.2010 „Behinderung“ der auszuführenden Arbeiten und protestierte durch Schreiben des Bürgermeisters vom 19.7.2010 gegen den Abbau des Gerüstes.

Die Klägerin hat nach Abbau des Gerüstes Schlussrechnung über insgesamt 11.150,19 € gelegt und unter Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen einen Restbetrag von 2.161,52 € – den Betrag der Klageforderung – eingefordert (Einzelheiten: […]). Die Parteien streiten wegen der geltend gemachten Schlusszahlungsforderung der Klägerin um das Vorliegen einer wirksamen Abnahme (nachfolgend 1), um die Berechtigung von Nachträgen (nachfolgend 2.) sowie um die Berechtigung von Gegenforderungen mit denen die

Beklagte die Aufrechnung erklärt hat (nachfolgend 3).

Im Einzelnen:

Die Klägerin behauptet, sie habe ihre Leistungen vertragsgemäß und mangelfrei erbracht. Sie meint zwischen ihr und der Beklagten sei ein fester Überlassungszeitraum für das Baugerüst vereinbart worden. Dies ergebe sich aus dem Inhalt des schriftlichen Vertrages sowie aus dem in Bezug genommenen Bauzeitenplan. In rechtlicher Hinsicht vertritt sie den Standpunkt, die Überlassung des Gerüstes beurteile sich nach Mietrecht; der Überlassungszeitraum sei bis 19.7.2010 befristet gewesen. Sie sei berechtigt gewesen, das Gerüst bis zum 19.7.2010 abzubauen und habe damit ihre Leistung vollständig erbracht gehabt. Im Übrigen komme es auf eine Abnahme nicht mehr an, nachdem die Bauleistungen abgeschlossen seien und die Beklagte mit Schadensersatzansprüchen die Aufrechnung erklärt habe.

Die Beklagte vertritt in diesem Zusammenhang den Standpunkt, eine wirksame Abnahme liege nicht vor; die von der Klägerin geschuldete Leistung sei nicht vollständig erbracht worden.

Abnahme und Fälligkeit der Vergütung würden zudem durch das (unstreitige) Fehlen von Bautagebüchern und Unternehmererklärung gehindert.

Aus der Schlussrechnung der Beklagten sind die beiden Positionen […] und […] über 120,70 € netto und 77,01 € netto […] streitig. Nach unwidersprochenem Vortrag der Klägerin wurden allerdings die auf der Grundlage einer Mengenüberschreitung geltend gemachten Nachtragsangebote der Klägerin, welche eine Verlängerung der Standzeit des Gerüstes für den Altbau bis […].2012 vorsahen, bestätigt […]. Im Aufma[ß] zur Schlussrechnung sind die beiden Nachtragspositionen auf Seite […] enthalten.

Die Klägerin behauptet, die Nachtragsleistungen seien auch ausgeführt worden. Sie hätten den Altbau betroffen. Dort sei es zu einer Mengenmehrung, die Folge einer erheblichen Bauzeitüberschreitung, gekommen. Die Mengenmehrung selbst sei durch die unstreitige Schlussrechnungspositionen […] und […] inzident belegt.

Die Beklagte bestreitet, dass die in den Nachtragspositionen vereinbarten Leistungen ausgeführt worden seien.

Zu 3.

Die Beklagte hat mit behaupteten Schadensersatzansprüchen wegen Pflichtverletzung in Höhe von 3.228,34 € gegen den Schlusszahlungsanspruch der Klägerin aufgerechnet. Sie ist der Auffassung, im Abbau des Gerüstes durch die Klägerin zum 19.7.2010 liege eine Pflichtverletzung. Hierdurch sei der Beklagten ein Schaden in vorbezeichneter Höhe entstanden. Wegen das durch den Gerüstabbau bedingten Baustillstandes hätten Arbeitskräfte der Fassadendämmfirma umgesetzt werden müssen. Hierfür habe die Fassadendämmfirma 987,70 € berechtigt in Rechnung gestellt. Darüber hinaus seien zusätzliche Planungskosten auf Seiten des planenden und bauüberwachenden Unternehmens in Höhe von Brutto 728,07 € angefallen unter Zugrundelegung von 12 zu vergütender Mehrstunden über 49,50 €. Schließlich seien durch die Beauftragung einer anderen Gerüstbaufirma Mehrkosten in Höhe von 1.512,55 € entstanden; wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Aufstellung des Planers […] und auf die Schlussrechnung der Firma Claus Gerüstbau […] verwiesen.

Die Klägerin wendet hiergegen ein, eine Pflichtverletzung könne ihr nicht vorgeworfen werden (vgl. oben zu 1). Jedenfalls fehle eine bei Annahme eines Werkvertrages erforderliche Anweisung gemäß § 1 Nr. 4 VOB/B. Diese könne insbesondere nicht in der „Behinderungsanzeige“ vom 16.7.2010 gesehen werden. Die Schadensberechnung der Beklagten sei schon deshalb verfehlt, da der Beklagte im Falle der weiteren Vorhaltung des Gerüstes durch die Klägerin Mehrkosten hätte aufwenden müssen.

Das Amtsgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme zur Höhe der Schadensersatzpositionen der Beklagten die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Leistungen der Klägerin sei abgenommen, nach den Regeln über die fiktive Abnahme, jedenfalls sei sie abnahmefähig gewesen. Die Forderung der Klägerin sei bis auf die streitigen Nachträge auch berechtigt gewesen. Wegen der streitigen Nachträge habe dagegen die Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung davon geführt, dass die in Rechnung gestellten Leistungen auch erbracht wurden.

Die Beklagte sei jedoch mit der Aufrechnung erfolgreich, weswegen die Forderung der Klägerin erloschen sei. Die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, das Gerüst zum 19.7.10 abzubauen. Auf den streitgegenständlichen Vertrag finde ausschließlich Werkvertragsrecht Anwendung. Hierfür sprächen abweichend von der Rechtsansicht verschiedener Obergerichte die Eigenart der vertraglichen Leistung sowie auch die Bedürfnisse der Praxis. Kaum ein Bauvorhaben werde zu dem vorher geplanten Fertigstellungstermin wirklich abgeschlossen. Bei der überwiegenden Anzahl der Bauvorhaben, kommt es aus vorher nicht vollständig kalkulierbaren Umständen zu Verzögerungen. Dies wisse auch der Gerüstbauunternehmer. Ale Baubeteiligten müssten daher bei sorgfältiger Planung solche Verzögerungen berücksichtigen. Der Gerüstbauer müsse mit einer Verlängerung der Vorhaltezeiten rechnen. Aufgrund dieser Gegebenheiten müsse auf eine Standzeitverlängerung § 1 Nr. 4 VOB/B Anwendung finden. Im Gegenzug könne der Gerüstbauunternehmer nach § 2 VOB für die verlängerte Standzeit die vorgesehene Vergütung verlangen. Vorliegend sei eine Standzeitverlängerung durch die „Behinderungsanzeige“ vom 16.7.2010 gefordert und durch die Klägerin pflichtwidrig nicht gewährt worden. Darüber hinaus habe die Beweisaufnahme ergeben, dass zumindest die Forderung der Beklagten nach dem Ersatz von Mehraufwendungen für zusätzliche Planungsaufwendungen und für zusätzliche Gerüstbauaufwendungen berechtigt seien.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das amtsgerichtliche Urteil verwiesen.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch weiter. Sie rügt Fehler des Amtsgerichts bei der Rechtsanwendung und Tatsachenfeststellung. Im Rahmen der Tatsachenfeststellung habe das Gericht zu unrecht die Nachtragspositionen aus der Schlussrechnung für unberechtigt gehalten; bei einer sachgerechten Beweiswürdigung hätte das Gericht zu einem anderen Ergebnis kommen müssen. Die Rechtsansicht des Amtsgerichts zur Rechtsnatur des Gerüstbauvertrages sei unzutreffend. Sie widerspreche zahlreichen obergerichtlichen Entscheidungen und werde den konkreten Gegebenheiten des Falles ebenso wenig gerecht, wie den allgemeinen Gegebenheiten bei Ausführung von Gerüstbauverträgen. Insbesondere habe das Amtsgericht zu Unrecht für die Vorhaltung des Gerüstes die Anwendung mietrechtlicher Vorschriften verneint und die nach dem Vertrag und Bauzeit geplanten Befristung des Vertrages verkannt. Bei Zugrundelegung werkvertraglicher Grundsätze seien vom Amtsgericht die Voraussetzung von § 1 Nr. 4 VOB/B zu unrecht bejahrt worden. Schließlich habe das Amtsgericht auch fehlerhafte Feststellungen zur Schadenshöhe getroffen. Die Angaben des erstinstanzlich vernommenen Zeugen […] seien unergiebig, pauschal und teilweise widersprüchlich.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Berufungsvorbringen der Klägerin verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 19.10.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bautzen, gerichtliches Aktenzeichen: 20 C 1091/10, abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.161,52 € nebst Zinsen hieraus i. H. v. acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem […].2010 und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten von 272,87 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das amtsgerichtliche Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die gerichtlichen Sitzungsprotokolle und das amtsgerichtliche Urteil verwiesen.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Der Klägerin stand zwar ein fälliger Anspruch aus der Schlussrechnung in Höhe der Klageforderung über 2.161,52 zu; berechtigt waren dabei – insoweit entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts – auch die beiden streitigen Nachträge über netto 120,70 € und netto 77,01 € (zusammen netto 197,71 €; brutto 235,27 € [nachfolgend 1.]). Der Anspruch der Klägerin ist jedoch durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung gemäß § 280, 281 BGB über insgesamt 2.240,64 € und in die Forderung der Klägerin übersteigender Höhe erloschen (§ 387 – 389 BGB [nachfolgend 2.]).

Im Einzelnen:

1. Der Klägerin stand ein fälliger Anspruch über 2.161,52 € aus dem mit der Beklagten geschlossenen Vertrag über den Aufbau und die Vorhaltung von Gerüsten zu. Auch die eingeforderten, streitigen Nachtragsforderungen waren berechtigt: Die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat in überzeugender Weise ergeben, dass den beiden streitgegenständlichen Nachtragsforderungen nicht nur (was unstreitig ist) wirksame vertragliche Vereinbarungen zugrunde lagen, sondern dass die in den beiden Nachtragspositionen abgerechneten Leistungen auch erbracht worden sind. Dies ergibt bereits die Dokumentenlage, was der Geschäftsführer der Klägerin plausibel aufzuzeigen vermochte: Die Klägerin hat der Beklagten nämlich mit Schreiben vom […].2010 […] eine Mengenüberschreitung in den Positionen […] sowie […] angezeigt und wegen der 110 % der vertraglich vorgesehenen Menge („Quadratmeterwochen“) die Vereinbarung einer Zulage für beide Positionen angeboten. Dieses Angebot wurde angenommen […]. Aus den unstreitigen, in der Schlussrechnung abgerechneten Leistungspositionen […] und […] ergibt sich – wie ein Einblick in das vom Geschäftsführer der Klägerin vorgelegte Leistungsverzeichnis und der Vergleich zu den abgerechneten Mengen in der Schlussrechnung ergab – eine Mengendifferenz, die den abgerechneten Zulagepositionen […] und […] entspricht.

Auf die Abnahme der klägerischen Leistung als Fälligkeitsvoraussetzung kommt es nicht an. Die Bauleistungen, für welche die Klägerin ein Gerüst vorzuhalten hatte, sind abgeschlossen; ein Nacherfüllungsanspruch der Beklagten jedweder Art ist damit zwingend ausgeschlossen. Schon deshalb bedarf es der Abnahme zur Herbeiführung der Fälligkeit nicht mehr. Darüber hinaus hat die Beklagte durch die von ihr erklärte Aufrechnung die Forderung der Klägerin nicht nur erfüllt (was eine Fälligkeit der Hauptforderung voraussetzt), sondern auch zum Ausdruck gebracht, dass sie eine abschließende Abrechnung der klägerischen Leistungen herbeiführen wolle.

2. Der Zahlungsanspruch der Klägerin aus der Schlussrechnung ist durch Aufrechnung erfüllt (§ 399 BGB). Der Beklagten stand ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung i. H. v. 2.240,64 € zu.

a) Die Klägerin hat die von ihr geschuldete Leistung nicht vollständig erbracht; der Gerüstabbau zum 19.07.2010 stellte eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung dar, so dass es einer Fristsetzung zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht bedurfte (§§ 280, 281 BGB).

Die Klägerin hatte sich vertraglich dazu verpflichtet, für das beabsichtigte Bauvorha[]ben des Schulumbaues die erforderlichen Gerüstbauarbeiten vorzunehmen, wozu es nicht nur gehörte, die erforderlichen Gerüste aufzubauen und entsprechend dem Baufortschritt abzuändern, sondern sie auch während der gesamten Bauarbeiten zur Verfügung zu stellen. Dies ergibt die Auslegung des Vertrages (§§ 133, 157 BGB) unter Berücksichtigung von dessen Eigenart als Werkvertrag (§ 631 BGB) sowie den für beide Seiten erkennbaren Zweck der vertraglichen Leistung.

Der zwischen den Parteien vorliegend geschlossene Gerüstbauvertrag ist als Werkvertrag zu qualifizieren. Entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin unterfällt die Überlassung des aufgestellten Gerüstes nicht den mietvertraglichen Regeln. Das Berufungsgericht macht sich zunächst die in jeder Hinsicht überzeugende Begründung des Amtsgerichts zu eigen und nimmt hierauf Bezug. Ergänzend ist unter Beachtung der hiergegen vorgebrachten Einwendungen der Klägerin anzumerken: Die „Erfolgsbezogenheit“ der Arbeiten zum Aufstellen und Vorhalten eines Gerüstes zeigt sich nicht nur daran, dass ein Gerüst nach den individuellen Anforderungen des Gebäudes und der auszuführenden Arbeiten aufgestellt und im Wege des Baufortschrittes angepasst werden muss, sondern zusätzlich darin, dass durch Vorhaltung des Gerüstes die Durchführung der Bauarbeiten ermöglicht werden soll. Dabei findet regelmäßig eine – wenn auch zeitweise – feste Verbindung des Gerüstes mit dem Bauwerk statt; des Weiteren entspricht es der Üblichkeit, dass Gerüste – schon wegen der erhebli[]chen Aufwendungen für das Auf- und Abbauen – für die gesamte Dauer der Baumaßnahmen, für welche ein Gerüst benötigt wird, zur Verfügung gestellt werden. Wegen der damit gegebenen engen und unmittelbaren Verbindung der Gerüstvorhaltung zu den hierdurch unterstützten Bauarbeiten und wegen der Notwendigkeit ein Gerüst auch während seiner Standzeit den Bedürfnissen der Bauarbeiten anzupassen (etwa ein zusätzliches Dachfanggerüst zu stellen) ist aus Sicht des Berufungsgerichts auch bei der Vorhaltung des Gerüstes eine Erfolgsbezogenheit gegeben. Die geschilderten charakteristischen Merkmale unterscheiden die Vorhaltung des Gerüstes auch von der mietvertraglichen Überlassung von Baumaschinen und -geraten. Wegen des damit gegebenen deutlichen Überwiegens einer dem Werkvertrags recht eigenen „Erfolgsbezogenheit“ ist der Vertrag über die Gestellung eines Gerüstes jedenfalls bei einem Bauvorhaben der vorliegenden Art als Werkvertrag zu qualifizieren.

Hinzu kommt: Die Regelungen des Werkvertrags rechtes, namentlich die Bestimmungen der VOB/B tragen dem praktischen Bedürfnissen der Baupraxis und den hierbei typischer Weise auftretenden Konflikten in besonderer Weise Rechnung. Sie bieten auch zur Abwicklung von Verträgen über Gerüstbauarbeiten regelmäßig die „besseren“ Lösungsalternativen, als diejenigen des gesetzlich geschriebenen Mietrechtes. Ist der Vertrag über die Gestellung eines Baugerüstes – wie hier – als Einheitspreisvertrag ausgestaltet (das ist nach der Erfahrung des Gerichts die Regel), dann steht dem Gerüstbauunternehmer im Falle der Überschreitung der im Vertrag vorgesehenen Standzeiten die Rechte aus § 2 Abs. 3 VOB/B zu. Das Mietrecht bietet keine vergleichbare Handhabe. Kommt es zu einer länger andauernden Unterbrechung des Bauvorhabens kann der Gerüstbauer die Rechte nach § 6 Nr. 5 – 7 VOB/B ausüben, insbesondere nach einer mehr als drei Monate dauernden Unterbrechung den Vertrag kündigen. Zugunsten des Bestellers besteht der Vorteil, dass er – soweit nichts Abweichen- des vereinbart ist – die Vorhaltung des Gerüstes auch über den im Rahmen eines Einheitspreisvertrages vorläufig vorgesehenen Leistungszeitraumes hinaus grundsätzlich bis zum Abschluss der Bauarbeiten, für welche ein Gerüst benötigt wird, verlangen kann.

Bei der Anwendung des Mietrechts auf denjenigen Teil des Gerüstbauvertrages, der die Überlassung des Gerüstet betrifft, besteht zwar die Konsequenz, dass Schadensersatzansprüche wegen Verschlechterung, Beschädigungen oder Verlust von Gerüstbauteilen innerhalb der Verjährungsfrist von 6 Monaten nach Rückgabe gemäß § 548 BGB verjähren. Es ist durchaus zuzugeben, dass dies mit Blick auf die Eigenart des Gerüstbauvertrages -der nicht die Übereignung an den Besteller, sondern die Rückgabe des Gerüstes an den Unternehmer vor sieht – angemessen erscheint. Dies rechtfertigt aber mit Blick auf die vorgenannten Überlegungen nicht die Anwendung des geschriebenen Mietrechts auf die Überlassung des Gerüstes insge[s]amt. Man könnte vertreten, dass die Verjährungsvorschrift des § 548 BGB wegen der Eigenart des Gerüstbauvertrages bei Geltung von Werkvertragsrecht im Übrigen anzuwenden ist. Das bedarf vorliegend aber keiner Entscheidung. Auch eine Anwendung der Regelverjährung wäre nicht so unangemessen, dass es geboten wäre, von der Anwendung des Werkvertragsrech[t]es auf die Regelung der Vertragsbeziehungen zwischen Gerüstbauunternehmer und Bauherrn abzusehen.

Entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin wurde im vorliegenden Vertrag auch nicht individuell eine Gerüstvorhaltung bis lediglich 19.07.2010 vereinbart. Eine derartige Vereinbarung wäre ohne weiteres auch unter Geltung des Werkvertragsrechtes möglich, was sich bereits aus der Vertragsfreiheit ergibt. Gegen die Annahme einer fest vereinbarten Überlassungszeit sprechen jedoch die nachfolgenden Umstände: Der Vertrag wurde als Werkvertrag geschlossen (siehe oben); das zu stellende Gerüst sollte den Zweck erfüllen, diejenigen Baumaßnahmen im Rahmen des Schulumbaues zu ermöglichen, für welche ein Gerüst benötigt wurde. Dies war für beide Seiten eindeutig erkennbar (§ 133 BGB). Es gibt entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin keinerlei Umstände, die darauf hindeuten, dass die Parteien die Überlassung des Gerüstes durch eine nach dem Kalender bestimmten Endtermin befristen wollten. Der Bauzeitenplan einschließlich der Regelung zu dessen verbindlicher Geltung im Vertrag bildet hierfür kein taugliches Indiz. Mit einer derartigen Vereinbarung will der Bauherr nach der Verkehrssitte (§ 557 BGB) erkennbar verbindliche Fristen für den Beginn und die Ausführung der Einzelleistungen vereinbaren, an deren Überschreitung Verzugsfolgen geknüpft sind, nicht aber zum Ausdruck bringen, dass eine bestimmte Leistung, wenn das Baugeschehen sich anders entwickelt und die Leistung „außerhalb“ des dafür vorgesehenen Zeitraumes im Bauzeitenplan erbracht werden muss, nicht mehr erbracht werden müsste. Ebenso wenig wie der Dachdecker oder das Fassadenunternehmen sich ohne weiteres darauf berufen könnten, sie müssten ihre Leistung nicht mehr ausführen, da diese sich über den Zeitraum der im Bauzeitenplan dafür vorgesehenen Tage hinaus verschoben habe, kann die Klägerin mit dem Argument Erfolg haben, nach Ablauf der im Bauzeitenplan vorgesehenen Zeit für die Gerüststellung sei diese nicht mehr geschuldet. Der für beide Seiten erkennbare Vertragszweck – die Ermöglichung derjenigen Bauarbeiten, für welche ein Gerüst benötigt wird – steht dem eindeutig entgegen.

Gestützt wird diese Sichtweise durch die Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarung als Einheitspreisvertrag – auch hinsichtlich derjenigen Positionen für die Vorhaltung der einzelnen Gerüstteile über die Grundstandzeit hinaus. Dafür, dass die Klägerin selber dies so gesehen hat, spricht die Nachtragspraxis der Klägerin, welche sich mit ihrem im April 2010 angebotenen Nachträgen auf die Vorschrift des § 2 Nr. 3 VOB/B berufen hat, dessen Anwendung einen Einheitspreisvertrag voraussetzt.

Die Klägerin war auch ohne weiteres – insbesondere ohne das Erfordernis einer Anordnung nach § 1 Nr. 4 VOB/B – verpflichtet, das Gerüst über den 19.07.2010 hinaus vorzuhalten. Insoweit ist das Berufungsgericht abweichend von der Rechtsmeinung des Amtsgerichts der Auffassung, dass die Vorhaltung des Gerüstes grundsätzlich bis zum Abschluss der hierdurch unterstützten Bauarbeiten geschuldet war. Hierzu wird zunächst auf die obigen Darlegungen verwiesen.

Ergänzend ist auszuführen: Eine Verlängerung der Gerüststandszeiten über die im Vertrag vorläufig angesetzten Gerüststandszeiten hinaus stellt nicht einen Fall von § 1 Nr. 4 VOB/B, sondern einen Fall von § 2 Nr. 3 VOB/B dar. Verzögert sich – wie vorliegend – das Baugeschehen und wird die Vorhaltung des Gerüstes über den im Vertrag vorläufig vorgesehenen Zeitraum hinaus notwendig, dann liegt hierin nicht die Erbringung einer im Vertrag nicht vorgesehenen, aber zur Herbeiführung des werkvertraglichen Erfolges geschuldeten Leistung, sondern es liegt ein Fall der Mengenmehrung vor. Der Fall ist demjenigen vergleichbar, dass ein Maler mehr als die im Vertrag vorläufig angesetzte Fläche malern oder ein Dachdecker mehr als die im Vertrag angesetzte Dachfläche eindecken muss, um den Vertrag zu erfüllen, nicht dagegen den Fall, dass der Maler zur Herbeiführung des Erfolges im Vertrag nicht vorgesehene Putzausbesserungsarbeiten oder der Dachdecker eine im Vertrag nicht vorgesehene Anbringung einer Unterspannbahn vornehmen muss. Offenbar hat dies die Klägerin selbst so gesehen, denn sie hat bei der Verlängerung der Gerüststandszeit für den Atbau auf der Grundlage von § 2 Nr. 3 VOB/B eine Zusatzvergütung verlangt (siehe oben).

Die Klägerin hat damit die vertraglich geschuldete Leistung nicht (vollständig) erbracht; §§ 280, 281 BGB. Einer Fristsetzung zur Leistungserbri[n]gung durch die Beklagte bedurfte es nicht. Mit dem Abbauen des Gerüstes hat die Klägerin nämlich eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie die Weiterführung ihrer Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. In Anbetracht der mit dem Abbau verbundenen und im Falle eines Wiederaufbaues zusätzlich anfallenden Aufwendungen dürfte die Beklagte annehmen, dass die Klägerin mit dem Abbau ihren definitiv gefassten Entschluss, den Vertrag nicht weiter zu erfüllen, zu erkennen gegeben hatte. Darauf, ob die Klägerin „sich im Recht“ und zu einer weiteren Leistungserbringung nicht verpflichtet fühlte kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

b) Die Klägerin hat hierdurch einen Schaden i. H. v. zumindest 2.240,64 € erlitten.

Die Klägerin hat wegen erhöhter Planungskosten Aufwendungen von 728,07 € gehabt. Der zur Begründung dieser Mehraufwendungen gehaltene Sachvortrag der Beklagten auf der Grundlage der Rechnung vom 25.08.2010 […] sind durch den Zeugen […] bei dessen Aussage vor dem Amtsgericht bestätigt worden. Die hierbei gemachten Angaben waren nachvollziehbar. Insbesondere konnte der Zeuge erläutern, warum eine Baustellenbegehung mit einem Aufwand von 3 Stunden erforderlich war, woraus sich der Aufwand für die Leistungstexterstellung und die Angebotswertung ergibt. Auch die Angaben zum Stundensatz können vom Gericht uneingeschränkt nachvollzogen werden und werden von der Klägerin auch nicht ernsthaft infrage gestellt. Es lässt deshalb keinen Rechtsfehler erkennen, dass das Amtsgericht auf der Grundlage dieser Aussage die zusätzlichen Planungskosten als gerechtfertigt angesehen hat. Das Berufungsgericht ist insoweit an die Feststellungen des Amt[s]gerichts gebunden; § 529 ZPO. Gleiches gilt für die Gerüstmehrkosten. Der Zeuge hat in Übereinstimmung mit dem Sachvortrag der Beklagten nachvollziehbar erläutert, auf welche Weise er die Mehrkosten ermittelt hat. Dies lässt sich anhand der Aufstellung des Zeugen und – insoweit entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin – auch anhand der Rechnung der Firma C[…] nachvollziehen. Der „scheinbare“ Widerspruch der Rechnungspositionen aus der Schlussrechnung der Firma C[…] vom […].2011 und der Aufstellung des Zeugen […] folgt daraus, dass die Positionen in der Schlussrechnung der Firma C[…], die die Gebrauchsüberlassung über die Grundstandszeit hinaus betreffen, eine Multiplikation der tatsächlich angefallenen Vorhaltewochen mit dem vertraglichen Einheitspreis pro Quadratmeter und Woche beinhalten, während der Zeuge […] – erkennbar um die Vergleichbarkeit mit der dem Angebot der Klägerin zu ermöglichen – die Quadratmeter der jeweiligen Gerüstteile mit der angefallenen Wochenstandszeit multipliziert hat.

Der Einwand der Klägerin, die Schadensberechnung der Beklagten berücksichtige nicht, dass der Klägerin im Falle der weiteren Vorhaltung des Gerüstes über den 19.07.2010 hinaus Mehrkosten entstanden wären, die sie auf die Beklagte hätte umlegen können, ist unerheblich. Denn die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat die Voraussetzungen eines Mehrvergütungsanspruchs nach § 2 Nr. 3 VOB/B nicht schlüssig dargelegt. Es wäre Aufgabe der Klägerin gewesen, dies zu tun. Zwar ist die Höhe des Schadens vom Geschädigten darzulegen und zu beweisen. Die Klägerin schuldete jedoch grundsätzlich die Gerüstüberlassung zu den vertraglich vereinbarten Konditionen. Die Mehrvergütung nach § 2 Nr. 3 VOB/B stellt insoweit keinen „Automatismus“, sondern eine Ausnahme dar. Die Voraussetzungen dieser Ausnahme hat auch, wenn es um die Schadensberechnung geht, der Bauunternehme darzulegen und zu beweisen. Eine schlüssige Darlegung der Klägerin hierzu ist ausgeblieben. Die Klägerin hat sich lediglich pauschal darauf berufen, sie hätte bei einer Verlängerung Gerüstteile anmieten müssen. Die konkrete Darlegung eines Mehrpreises unter Berücksichtigung der Ursprungskalkulation und der durch die Mengenmehrung eingetretenen Mehrkosten hat die Klägerin nicht vorgenommen. Dies wäre nach dem Bestreiten der Beklagten spätestens aber mit der Berufungsbegründung – nachdem das Amtsgericht in seinem Urteil Werkvertragsrecht zur Anwendung gebracht hatte – geboten gewesen.

Da die Gegenforderung der Beklagten die Klageforderung übersteigt, ist diese erloschen.

[…]

Die Revisionszulassung war nach § 543 ZPO geboten. Die Frage nach dem Rechtscharakter des Gerüststellungsvertrages ist vorliegend entscheidungserheblich. Sie ist dabei grundsätzlicher Natur, da sie in einer Vielzahl von Fällen entscheidungsrelevant ist. Die Rechtsfrage ist bisher vom Bundesgerichtshof nicht entschieden worden. Da es hierzu auch abweichende Ansichten in der Rechtsprechung gibt, erscheint die Zulassung der Revisio[]n (auch) zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung geboten.“

LG Bautzen, Urteil vom 6.7.2012 – 1 S 143/11

Siehe auch:

2 Antworten auf „Unvorhergesehene Verlängerung der Standzeit von Gerüsten: Rechtliche Konsequenzen“

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