Verwirkung Anspruch auf erhöhten Mietzins aufgrund Wertsicherungsklausel, wenn Berechtigter diesen längere Zeit nicht geltend macht

Nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 24.9.2021 – 5 O 115/20) verwirkt ein Vermieter seinen Anspruch auf Zahlung eines erhöhten Mietzinses bei einer Wertsicherungsvereinbarung, wenn er den erhöhten Mietzins gegenüber dem Mieter über einen längeren Zeitraum nicht geltend macht und der Mieter hierauf vertraut.

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde. Dabei sind sowohl das Zeitmoment als auch das Umstandsmoment zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass das Zeitmoment gegeben ist, da sich die Miete automatisch erhöhte und seit der ersten Mieterhöhung über 10 Jahre vergangen sind, ohne dass die Beklagte die sich summierenden Rückstände einforderte. Das Umstandsmoment wurde ebenfalls bejaht, da ein viele Jahre nach Beginn der automatischen Mieterhöhung erstelltes Schreiben der Klägerin, in dem der Mietzins ohne eine MIeterhöhung aufgeführt wird, als ausreichendes Indiz für das Vertrauen der Beklagten darauf gewertet wurde, dass keine Erhöhungsbeträge aufgrund der Indexklausel geltend gemacht werden. Aufgrund dieser Feststellungen wurde entschieden, dass das Recht der Klägerin auf Zahlung der Mieterhöhung verwirkt ist.

Nach der Rechtsauffassung des Landgerichts Görlitz soll das Vertrauen bei einer späteren Geltendmachung einer entsprechenden Mietzinserhöhung aufgrund einer Wertsicherungsvereinbarung für die Zukunft wieder zerstört werden können, was nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Naumburg (OLG Naumburg, Urteil vom 4.11.2003 – 9 U 102/03) nicht möglich ist.

Zudem wurde durch das Landgericht Görlitz entschieden, dass bei einer Mietindexklausel (=Wertsicherungsklausel), welche auf einen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages weggefallenen Lebenshaltungskostenindex verweist, im Wege der Vertragsauslegung auf den Verbraucherpreisindex abzustellen ist.

Urteile zur Auslegung einer Mietindexklausel (=Wertsicherungsklausel), welche auf einen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages weggefallenen Lebenshaltungskostenindex verweist, bei der im Wege der Vertragsauslegung auf den Verbraucherpreisindex abzustellen ist:
BGH, Urteil vom 7. November 2012 – XII ZR 41/11; BGH, Urteil vom 4.3.2009 – XII ZR 141/07; LG Görlitz, Urteil vom 24.9.2021 – 5 O 115/20; LG Görlitz, Urteil vom 29.10.2014 – 2 S 92/14

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

gegen

[…] Gastronomie- […] mbH

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7-9, 01097 Dresden, Gz.: […]

wegen Forderung aus Gewerberaummiete

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richterin […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 17.09.2021 eingereicht werden konnten,

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Da[s] Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,2-fachen des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 7.688,23 EUR bis zum 19.6.2020 und ab 20.6.2020 auf 4.062,20 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin und die Firma […] schlossen am 30.6.2004 einen Mietvertrag über eine Ladeneinheit […]. Wegen der Einzelheiten dieses Mietvertrages wird auf die Anlage […] Bezug genommen. Aufgrund dreiseitiger Vereinbarung vom 3.1.2011/29.5.2012 schied die Mieterin […] aus dem Mietvertrag aus und trat die Beklagte ab 1.1.2011 mit allen Rechten und Pflichten in den Mietvertrag ein. […]

Mit Schreiben vom 20.8.2018 verlangte die Klägerin für den Zeitraum 1.1.2015 bis 31.8.2018 aufgrund Indexanpassung eine Mietnachzahlung brutto in Höhe von gesamt 8.776,39 € und ab 1.9.2018 eine Miete brutto in Höhe von 1.793,71 €. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage […] Bezug genommen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass von Januar 2017 bis August 2018 eine Miete in Höhe von netto 1.129,40 € und brutto 1.140,88 € geschuldet gewesen sei, so dass sich eine Differenz in Höhe von monatlich 203,11 € ergebe.

Nachdem die Klägerin gegen die Beklagte einen Mahnbescheid des Amtsgerichts Stuttgart über 7.688,23 € erwirkt hatte und nach Widerspruch der Rechtsstreit an das Amtsgericht Bautzen abgegeben worden war, hat dieses mit Beschluss vom 16.3.2020 den Rechtsstreit an das Landgericht Görlitz Außenkammern Bautzen verwiesen.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.062,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen

Die Beklagte macht Verwirkung geltend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beklagte kann von der Klägerin nicht Mietnachzahlung für die Monate Januar 2017 bis August 2018 verlangen. Die Ansprüche sind verwirkt.

Aufgrund der Mietindexklausel im Vertrag (§ 3 Ziffer 2) trat kraft Gesetzes eine Mieterhöhung ein. Da der vereinbarte Lebenshaltungskostenindex bereits vor Vergleichsschluss weggefallen ist, ist die Lücke des Vertrages durch ergänzende Vertragsauslegung zu füllen (vgl. BGH Urteil vom 7.11.2012, XII ZR 41/11; Urteil vom 4.3.2009, XII ZR 141/07). Bei der Ausfüllung der Regelungslücke muss eine Regelung gefunden werden, welche die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben getroffen hätten, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall, dass der Index bereits weggefallen ist, bedacht hätten. Die Parteien hätten, wenn sie den Fall bedacht hätten, dass der von ihnen in Bezug genommene und auf einen bestimmten Haushaltstyp (4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen) zugeschnittene Lebenshaltungskostenindex nicht fortgeschrieben wird, wohl aber der für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland geltende Index (jetzt: „Verbraucher-Preisindex“), redlicher Weise diesen Index als Maßstab für künftige Anpassungen des Mietzinses vereinbart (so BGH a.a.O. für den Wegfall des vereinbarten Indexes). Das gilt hier insbesondere auch deshalb, da die Parteien in § 3 Ziffer 2 des Mietvertrages ausdrücklich vereinbart haben: „Sollte der vorgenannte Lebenshaltungskostenindex vom Statistischen Bundesamt in seiner bisherigen Form nicht fortgeführt werden, so tritt an seine Stelle der ihm am nächsten kommende Index.“

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat und sich auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde. Das Zeitmoment ist hier gegeben, da sich die Miete seit August 2006 automatisch erhöhte, damit seit der ersten Mieterhöhung über 10 Jahre vergangen sind, ohne dass die Beklagte die sich summierenden Rückstände einforderte. Unerheblich ist, dass die streitgegenständliche Nachforderung aus den Jahren 2017 und 2018 stammen und damit seit der Geltendmachung mit Schreiben vom 20.8.2018 nicht einmal die Verjährungsfrist verstrichen ist. Denn die nachträgliche Erhebung des Anspruches auf Zahlung der Mieterhöhung stellt sich als eine einheitliche Rechtsausübung dar, welche die Klägerin von August 2006 bis zu der hier eingeforderten Mieterhöhung Januar 2017 bis August 2018 uneingeschränkt unterlassen hat (vgl. OLG Düsseldorf Urteil vom 13.5.1993, 10 U 163/92). Auch das Umstandsmoment ist gegeben. In ihrem Schreiben vom 4.9.2014 betreffend die Betriebskostenabrechnung 2013 hat die Klägerin als neue Vorauszahlung eine Miete in Höhe von (unverändert) 1.140,88 € und eine BK-Vorauszahlung in Höhe von 400,88 € benannt. Dies bewertet das Gericht als ausreichendes Umstandsmoment zumal bei wiederkehrenden Leistungen eine mehr typisierende Beurteilung zulässig ist (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 76. AufI, § 242 Rn. 95) und bei Gewerbebetrieben davon auszugehen ist, dass sie höhere Kosten in ihrer Preiskalkulation berücksichtigen (vgl. OLG Nürnberg Urteil vom 17.1.2014, 3 U 1355/13). Das Schreiben der Klägerin vom 4.9.2014 begründete das Vertrauen darauf, dass keine Erhöhungsbeträge aufgrund der Indexklausel geltend gemacht werden, und zwar nicht nur darauf, dass die Beklagte in Zukunft keine erhöhte Miete verlangen wird, sondern auch darauf, dass sie die bis dahin aufgelaufenen Rückstände nicht durchsetzen wird (vgl. OLG Nürnberg a.a.O.). Dieses Vertrauen ist erst aufgrund des Schreibens vom 20.8.2018, mit dem die Indexanpassung geltend gemacht worden ist, zerstört worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1,269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Der Streitwert wurde gemäß §§ 48 Abs. 1,43 Abs. 1 GKG, 3 ZPO festgesetzt.“

LG Görlitz, Urteil vom 24.9.2021 – 5 O 115/20

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