Das Landgericht Görlitz hatte über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Bautzen zu entscheiden, mit dem der Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO abgelehnt worden war. Gegenstand des Verfahrens war der Vorwurf, die Angeschuldigte habe sich nach einem von ihr verursachten Parkunfall unerlaubt vom Unfallort entfernt. Während die aufnehmenden Polizeibeamten den Fremdschaden zunächst auf etwa 500 Euro schätzten, ergab ein später von der Geschädigten in Auftrag gegebenes Gutachten Reparaturkosten in Höhe von 3.892,91 Euro brutto sowie eine Wertminderung von 150 Euro.
Die Staatsanwaltschaft beantragte im Anschluss den Erlass eines Strafbefehls und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO. Das Amtsgericht Bautzen lehnte den Antrag ab, da die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solchen Eingriff nicht vorlägen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg.
Das Landgericht führte aus, dass eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO nur dann zulässig sei, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass im späteren Urteil die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB endgültig entzogen werden wird. Hierfür sei ein dringender Tatverdacht sowie ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass das Gericht die Angeschuldigte als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ansehen werde. Eine solche Prognose sei vorliegend nicht gerechtfertigt.
Zwar räume die Angeschuldigte ein, den Unfall verursacht zu haben, sie habe jedoch angegeben, an beiden Fahrzeugen keinen Schaden erkannt zu haben. Die von der Kammer zugrunde gelegte Wertgrenze des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB, die bei einem bedeutenden Fremdschaden bei etwa 2.000 Euro liege, sei nach dem Akteninhalt nicht eindeutig überschritten worden. Zwar wiesen die Lichtbilder Beschädigungen in Form von Lackabplatzungen und einen Bruch an der Stoßfängerabdeckung des geschädigten Fahrzeugs auf, doch habe eine Schadenshöhe von über 2.000 Euro für die Angeschuldigte erkennbar nicht vorgelegen, zumal auch die Polizeibeamten selbst den Schaden nur auf 500 Euro geschätzt hätten.
Darüber hinaus spreche auch das Verhalten der Angeschuldigten gegen die Annahme einer charakterlichen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Diese habe den Unfall noch am selben Vormittag – etwa drei Stunden nach dem Vorfall – telefonisch bei der Polizei gemeldet. Eine derartige Nachholung der Feststellungen könne geeignet sein, die gesetzliche Vermutung der Ungeeignetheit nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zu widerlegen, selbst wenn sie nicht mehr völlig „unverzüglich“ im Sinne des § 142 Abs. 2 StGB erfolgt sei. Der Umstand, dass der Unfall zwischenzeitlich bereits von einem Zeugen gemeldet worden war, ändere hieran nichts.
Das Landgericht sah daher weder die Voraussetzungen des § 111a StPO noch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptverfahren als gegeben an und wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft als unbegründet zurück.
Auszug aus den Entscheidungsgründen:
„BESCHLUSS
In dem Strafverfahren […]
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort
ergeht am 02.09.2025
durch das Landgericht Görlitz – Strafkammer als Beschwerdekammer –
nachfolgende Entscheidung:
1.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bautzen – Strafrichter – vom 11.08.2025, mit dem die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt wurde, wird als unbegründet verworfen.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeschuldigten darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – wirft der Angeschuldigten vor, sich am 15.04.2025 in Bautzen nach einem Unfall beim Ausparken unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben. Die mit der Unfallaufnahme befassten Polizeibeamten schätzten den am Fahrzeug der Geschädigten entstandenen Fremdschaden auf 500 € […] und fertigten Lichtbilder […].
Ein von der Geschädigten zur Vorlage bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung in Auftrag gegebenes Gutachten weist Reparaturkosten von 3.892,91 € brutto sowie eine Wertminderung von 150 € aus.
Am 25.07.2025 beantragte die Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – beim Amtsgericht Bautzen – Strafrichter – den Erlass eines Strafbefehls sowie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO.
Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft lehnte das Amtsgericht Bautzen – Strafrichter – mit
Beschluss vom 11.08.2025 den Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ab.
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – mit ihrer sofortigen Beschwerde.
Auf den Akteninhalt wird Bezug genommen.
Die gemäß § 304 StPO zulässige einfache Beschwerde hat keinen Erfolg. Die angegriffene
Entscheidung ist rechtmäßig ergangen.
1.
Nach § 111a StPO kann der Richter der Angeschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird. Das erfordert dringenden Tatverdacht im Sinne des § 69 Abs. 1 S. 1 StGB und einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht die Angeschuidigte für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten und ihr daher die Fahrerlaubnis entziehen wird. In den Fällen des § 69 Abs. 2 StGB bedarf das keiner Prüfung, so
fern sich nicht wichtige Gegengründe aufdrängen (vgl. zum Ganzen Schäfer/Fresemann/Hinrichs, Die Praxis des Strafverfahrens, 7. Aufl., Rn. 737 ff.). Stets gilt es, wie auch bei jedem anderen hoheitlichen Eingriff, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.
2.
a) Die Kammer kann offenlassen, ob dringender Tatverdacht gegen die Angeschuldigte in Hinblick auf die Unfallflucht besteht. Sie räumt zwar ein. den Unfall verursacht haben, will jedoch an beiden Fahrzeugen keinen Schaden erkannt haben.
b) Hinsichtlich der Wertgrenze im Sinne in § 69 Abs. 2 Nummer 3 StGB, die die Kammer mit 2.000 € bemisst (vgl. LG Görlitz vom 26.4.2021 – 3 Qs 79/21), bestehen nach Aktenlage keine dringenden Gründe für die Annahme, dass das Gericht der Angeschuldigten die Fahrerlaubnis entziehen wird. Erforderlich wäre, dass die Angeschuldigte wusste oder zumindest billigend in Kauf nahm, dass beim Unfall ein Fremdschaden in mindestens der vorgenannten Höhe entstanden ist.
Den Bildern in der Ermittlungsakte lässt sich am Fahrzeug der Geschädigten eine Beschädigung der hinteren Stoßfängerabdeckung in Form von Lackabplatzungen entnehmen. Auf den Bildern lässt sich außerdem der von den Polizeibeamten festgestellte Bruch der Stoßfängerabdeckung erahnen.
Nach Auffassung der Kammer war jedoch eine Schadenshöhe von 2.000 € oder mehr für die Angeschuldigte nicht erkennbar, zumal die Polizeibeamten auch nur von einem sichtbaren Schaden in Höhe von 500 € ausgingen.
c) Ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht die Angeschuldigte für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten wird, besteht auch deshalb nicht, weil die Angeschuldigte den gegen 7:30 Uhr geschehenen Unfall um 10:35 Uhr telefonisch bei der Polizei meldete.
Denn selbst wenn ein Regelfall nach § 69 Abs. 2 Nummer 3 StGB voriiegt, kann die sich daraus ergebende Vermutung für die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen widerlegt werden. Die Widerlegung der Indizwirkung kommt insbesondere in Fällen alsbaldiger, wenn auch nicht mehr ganz „unverzüglicher“ Nachholung der Feststellungen i.S.d. § 142 Abs. 2 StGB in Betracht (LG Zweibrücken, Beschluss vom 11.03.2003 – Qs 31/03, Nachmeidung am Folgetag).
Für die Widerlegung der Regelvermutung ist es unerheblich, dass ein Zeuge den Unfall gesehen und bei der Polizei gemeldet hatte, wodurch die Unfallbeteiligung des Fahrzeugs der Angeschuldigten zum Zeitpunkt ihres Anrufs bei der Polizei bereits bekannt war. Diese Umstände haben keinen Einfluss darauf, ob die Angeschuldigte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist oder nicht.
Ill.
Mangels sonstigen Kostenschuldners fallen die Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen der Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.“
LG Görliz, Beschluss vom 2.9.2025 – 3 Qs 173/25
