Ist eine vorzeitige Löschung einer Eintragung aus dem Führungszeugnis möglich?

Nach § 49 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) kann ein Antrag auf vorzeitige Löschung von Eintragungen aus dem Bundeszentralregister gestellt werden. Dies ist möglich, wenn die Vollstreckung der Verurteilung abgeschlossen ist und kein öffentliches Interesse der Tilgung entgegensteht. Weil das Führungszeugnis lediglich einen Ausschnitt aus dem Bundeszentralregister wiedergibt, würde eine Tilgung aus diesem Register sich auch auf das Führungszeugnis auswirken.

Allerdings ist eine vorzeitige Tilgung aus dem Führungszeugnis nur unter besonderen Umständen möglich. Diese Ausnahme tritt in Kraft, wenn das Warten bis zum regulären Fristablauf für die betroffene Person eine unbillige Härte darstellen würde, die in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stößt.

Im Allgemeinen werden reine berufliche Nachteile, Probleme mit Aufenthaltsgenehmigungen oder Schwierigkeiten bei der Einbürgerung nicht als ausreichend erachtet, um einen Härtefall zu begründen und eine vorzeitige Löschung zu rechtfertigen. Es ist erforderlich, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine vorzeitige Löschung notwendig machen.

Die Entscheidung, ob das öffentliche Interesse dem persönlichen Interesse des Antragstellers an der Tilgung entgegensteht, liegt im Ermessen der Registerbehörde. Diese Entscheidung erfordert eine sorgfältige Prüfung, ob die vorzeitige Tilgung tatsächlich gerechtfertigt ist und ob die betroffene Person einen außergewöhnlichen Härtefall darstellt.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung heißt es hierzu beispielhaft:

„Das Bundesamt für Justiz als Registerbehörde (§ 1 Abs. 1 BZRG) kann gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 BZRG auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, dass die Eintragung einer rechtskräftigen Verurteilung entgegen den §§ 45, 46 BZRG zu tilgen ist, wenn die Vollstreckung erledigt ist und das öffentliche Interesse der Anordnung nicht entgegensteht.

Dabei ist das „öffentliche Interesse“ ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Die von der Registerbehörde zu treffende Entscheidung, ob das öffentliche Interesse dem Interesse des Antragstellers an der Tilgung entgegensteht, ist hingegen eine Ermessensentscheidung (vgl. Tolzmann, BZRG 5. Aufl., § 49 Rn. 14). Bei dieser Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass die vorzeitige Tilgung einer Eintragung nach § 49 Abs. 1 Satz 1 BZRG der schwerstwiegende und in der Regel endgültige Eingriff in den Registerbestand ist und daher außergewöhnlichen Fällen vorbehalten bleiben muss, in denen eine andere Handhabung für den Betroffenen eine unbillige, mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung unvereinbare und in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stoßende Härte darstellen würde (std. Rspr. des Kammergerichts, vgl. nur Senat Rpfleger 2015, 106, 110 = OLGSt BZRG § 49 Nr. 2 und Beschluss vom 3. Januar 2011 – 4 VAs 58/10 -, jeweils mwN; Tolzmann aaO, Rn. 15; Hase, BZRG 2. Aufl., § 49 Rn. 6).“

KG, Beschluss vom 10.08.2015 – 4 VAs 14/15

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es zwar möglich ist, einen Antrag auf vorzeitige Löschung einer Eintragung aus dem Führungszeugnis zu stellen, die Anforderungen dafür sind jedoch hoch. Reine berufliche Nachteile reichen in der Regel nicht aus, um einen erfolgreichen Antrag zu stellen. Es sind besondere, außergewöhnliche Umstände erforderlich, die eine unbillige Härte darstellen.

Wahrscheinlichkeit des Entzugs der Fahrerlaubnis als Voraussetzung für eine vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis und Ausnahme vom Regelfahrverbot

Nach dem Beschluss des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Beschluss vom 13.07.2021 – 46 Cs 620 Js 13055/21) erfordert die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Gericht der Hauptsache den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten wird, mithin mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Regelbelspiel des § 69 Abs. 2 StGB erfüllt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In dem Strafverfahren gegen
[…]
Verteidiger:
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Trunkenheit im Verkehr

ergeht am 13.07.2021
durch das Amtsgericht Bautzen – Strafrichter-

nachfolgende Entscheidung:

Der Führerschein wird an den Angeklagten herausgegeben.

Gründe

Der Führerschein ist an den Angeklagten herauszugeben, weil die Voraussetzungen seiner Sicherstellung nicht mehr vorliegen, nachdem der Angeklagte dieser mit Schriftsatz seines
Verteidigers widersprochen hat […].

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme des Führerscheins gemäß § 111a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StPO waren nicht anzuordnen. Denn es sind nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen keine dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erfordert einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Gericht der Hauptsache den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten wird, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Regelbelspiel des § 69 Abs. 2 StGB erfüllt, bedarf es keiner weiteren Prüfung, wenn sich nicht wichtige Gegengründe aufdrängen (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 111a Rn. 2). Der Begriff der Ungeeignetheit beschreibt eine nicht nur ganz vorübergehende Eigenschaft des Beschuldigten. Sie liegt vor, wenn eine Würdigung seiner körperlichen, geistigen und charakterlichen Voraussetzungen und die sie wesentlich bestimmenden objektiven und subjektiven Umstände ergeben, dass die Teilnahme des Beschuldigten am Kraftfahrzeugverkehr zu einer nicht hinnehmbaren Gefährdung der Verkehrssicherheit führen würde (Fischer. StGB, 68. Aufl. 2021, §69 Rn, 14).

Bei Würdigung des gegenwärtigen Ermittlungsergebnisses, insbesondere der Einlassung des Angeklagten, besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit mehr dafür, dass der Angeklagte das Regelbeispiel des §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 316 Abs, 1 StGB verwirklicht hat, indem er im Verkehr ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, bzw. dafür, dass die sich hieraus ergebende Regelvermutung nicht widerlegt wird. Für die rechtliche Beurteilung muss dabei zwischen drei Verkehrsvorgängen unterschieden werden, die sich nach Würdigung insbesondere der Aussage des Zeugen St[…] und der Einlassung des Angeklagten wahrscheinlich er eignet haben: dem Umparken des Fahrzeugs auf dem Grundstück […] dem Hinabfahren des Fahrzeugs auf die Fahrbahn der […] Straße und dessen sich an schließendem Zurücksetzen.

1.
Der Angeklagte erfüllte den Tatbestand des § 316 Abs, 1 StGB nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit, als er sein Kraftfahrzeug umparkte. Denn hierbei handelte es sich nicht um einen Vorgang „im Verkehr“ im Sinne des § 316 Abs, 1 StGB.

Verkehr im Sinne dieser Norm ist der der Fortbewegung dienende Verkehr von Fahrzeugen und Fußgängern auf allen Wegen, Plätzen, Durchgängen und Brücken, die jedermann oder wenigstens allgemein bestimmten Gruppen von Benutzern, wenn auch nur vorübergehend oder gegen Gebühr zur Verfügung stehen. Bei in privatem Eigentum stehendem Gelände reicht es aus, wenn dieses zumindest konkludent und zeitweise für den Verkehr freigegeben ist (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 315b Rn. 3).

Das Umparken des Kraftfahrzeugs fand nicht im Verkehr in diesem Sinn statt. Der gesamte Vorgang ereignete sich auf dem privaten Grundstück […]. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dessen Nutzung auch nur zeitweise für eine wenigstens nach allgemeinen Kriterien bestimmbare Gruppe von Verkehrsteilnehmer und nicht nur Individuelle, freigegeben war. Anhand der Lichtbilder […] ist vielmehr zu ersehen, dass dieses deutlich vom öffentlichen Verkehrsraum abgegrenzt ist und nur durch einen steilen Schotterweg mit der Fahrbahn verbunden ist.

2.
Es besteht auch keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB verwirklicht hat, als sein Fahrzeug diesen Schotterweg hinunterfuhr und mit dem auf der Fahrbahn stehenden Taxi kollidierte.

Zwar befand sich das Fahrzeug mit dem Erreichen der Fahrbahn im Verkehr. Es bestehen aber keine dringenden Gründe für die Annahme, dass der Angeklagte das Fahrzeug geführt hat. Ein Fahrzeug führt, wer es in Bewegung setzt oder es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung lenkt. Hierzu genügt auch das Lenken eines ohne Motorkraft rollenden Fahrzeugs (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 315cb Rn. 3a).

Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass das Fahrzeug den Hang hinunter gerollt sei, nachdem er dieses verlassen habe; er habe vergessen, die Handbremse anzuziehen […]. Dies genügt nicht für ein Führen, weil das Fahrzeug hierbei weder durch den Angeklagten in Bewegung gesetzt noch gelenkt worden wäre.

Es besteht nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich diese Einlassung widerlegen lässt. Es gibt kein Beweismittel, welches dem Akteninhalt zufolge belegt, dass sich der Angeklagte überhaupt im Fahrzeug befand, als dieses den Hang hinunter rollte und mit dem Taxi kollidierte. Der Zeuge St[…] hat insoweit lediglich ausgesagt, dass Fahrzeug des Angeklagten sei seitlich auf sein Taxi zugefahren […], was mit der Schilderung des Angeklagten vereinbar ist. Ebenso hat er angegeben, dass der Angeklagte bereits nach der Kollision geäußert haben soll, er habe vergessen, die Handbremse anzuziehen. Dass das Fahrzeug aufgrund der Schwerkraft selbstständig den Hang hinunterrollte, ist aufgrund der örtlichen Gegebenheit des Unfallorts, wie sie sich auf den Lichtbildern darstellt […] ohne Weiteres möglich.

Soweit im Ermittlungsvermerk der Polizei hingegen ausgeführt wird, der Angeklagte habe mit seinem Fahrzeug auf das Grundstück […] fahren wollen […], ergibt sich hieraus allein keine hohe Wahrscheinlichkeit für einen solchen Geschehensablauf. Denn nach der Aktenlage bleibt unklar, wie die Polizeibeamten, die bei der Kollision nicht anwesend waren, zu dieser Erkenntnis gelangt sind. Es liegt nahe, dass es sich um eine bloße Schlussfolgerung handelt.

3.
Auch dass der Angeklagte nach der Kollision sein sich auf der Fahrbahn befindendes Fahrzeug zurücksetzte (s. Aussage des Zeugen St[…]), begründet keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Gericht ihn als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ansehen wird.

Zwar erfüllt dieses Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB. Denn auf der Fahrbahn befand sich das Fahrzeug im Verkehr und im Zurückfahren durch den mit großer Wahrscheinlichkeit absolut fahruntüchtigen Angeklagten lag ein Führen des Fahrzeuges.

Allerdings liegt nach dem Stand der Ermittlungen nahe, dass das Gericht in der Hauptsache von einem atypischen Fall ausgehen wird, in dem die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht eintritt. Denn es liegen besondere Umstände vor, die sowohl die Motivlage als auch das objektive Tatgeschehen betreffen und aufgrund einer Gesamtwürdigung die Indizwirkung des § 316 Abs. 1 StGB wahrscheinlich widerlegen. Denn die Regelvermutung kann entfallen, wenn der Täter das Fahrzeug lediglich auf ganz kurzer Strecke in der Absicht bewegt, einen verkehrsstörenden Zustand zu beseitigen (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 69 Rn. 26). Ein solches Geschehen erscheint im vorliegenden Einzelfall konkret möglich. Denn der Angeklagte ist lediglich eine äußerst kurze Strecke gefahren, in dem er das Fahrzeug von der Fahrbahn auf sein Grundstück zurücksetzte. Anlass war der Aussage des Zeugen St[…] zufolge […] seine Bitte, das Fahrzeug aus der Kollisionsendstellung herauszubewegen.

Ob hierdurch die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB entkräftet wird, kann endgültig nur aufgrund einer Gesamtwürdigung geklärt werden, für welche es der besseren Erkenntnismöglichkeiten der Hauptverhandlung bedarf. Auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten und des sonstigen Akteninhalts kann gegenwärtig aber nicht von einer hohen Wahrscheinlichkeit des Gegenteils ausgegangen werden.

4.
Es sind auch keine sonstigen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Gericht den Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansehen wird.“

AG Bautzen, Beschluss vom 13.07.2021 – 46 Cs 620 Js 13055/21

Beschwerdeverfahren: LG Görlitz, Beschluss vom 17.8.2021 – 3 Qs 148/21

Wechselwirkung zwischen zivilrechtlichen Anerkenntnisurteil und strafrechtlicher Einziehungsanordnung

Durch das Amtsgericht Dresden erfolgten im Hinweisbeschluss (AG Dresden, Beschluss vom 29.5.2019 – 114 C 4821/16) Ausführungen zur Wechselwirkung zwischen einem zivilrechtlichen Anerkenntnisurteil und einer strafrechtlichen Einziehungsanordnung zur Klärung der Frage, ob nach einem Erlass eines Anerkenntnisurteils in einem Zivilprozess nach einem vorangegangenen, rechtskräftigen Strafbefehl mit einer Einziehungsanordnung die Gefahr besteht, dass der Beklagte und zugleich im Strafverfahren Verurteilte sodann zweimal die den Schadensbetrag zurückzuerstatten hat.

Aus den Entscheidungsgründen:

1.
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass dem Erlass eines Anerkenntnisurteils ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, welches auch bei Erlass eines Anerkenntnisurteils als Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen ist, nicht entgegenstehen dürfte.

2.
Das Amtsgericht Dresden hat […] gegen die Beklagte einen Strafbefehl wegen versuchten Betruges gemäß der §§ 263 Abs. 1 und 2, 22, 23 StGB erlassen und neben einer Geldstrafe auch gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c StGB die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 4.811,93 EUR angeordnet.
Der Einziehung liegt ein Sachverhalt zugrunde, dass die Beklagte bewusst wahrheitswidrig den hier streitgegenständlichen Darlehensvertrag in Abrede gestellt hat, um ein klageabweisendes Urteil zu bewirken und somit sich die Rückzahlung der restlichen Darlehensvaluta in Höhe von 4.811,93 EUR gegenüber ihrer Großmutter zu ersparen.
Der Strafbefehl ist unstreitig rechtskräftig.

3.
Mit Schreiben vom 17.05.2019 hat nunmehr die Beklagte in dem vorliegenden Zivilrechtsstreit die Zahlungsforderung der Klägerin „insoweit“ anerkannt und hiermit Erledigung des Rechtsstreites erklärt. Die Klägerin hat daraufhin mit Schreiben vom 21.05.2019 um den Erlass eines Anerkenntnisurteiis gemäß § 307 ZPO ersucht.

4.
Gemäß § 459h Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 459k und 459l StPO kann der Verletzte mit der Rechtskraft der Einziehungsanordnung seine Befriedigung aus dem eingezogenen Wertersatz verlangen.
Grundsätzlich stellt sich im Rahmen des § 73 Abs. 1 StGB die Frage nach Bestehen oder Nichtbestehen eines etwaigen Anspruchs des Verletzten gegen den Täter nicht. Mit der Einziehung soll dem Täter das durch eine rechtswidrige Tat Erlangte wieder genommen werden.
Abzuschöpfen ist jeder der Vermögenswert, den der Täter durch die rechtswidrige Tat erlangt hat, also alles, was dem Täter aus seiner Tat unmittelbar messbar zugute gekommen ist. Dabei erstreckt sich die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB dem Umfang nach nur grundsätzlich auf das unmittelbar erlangte Etwas, nicht auf etwaige Nebenforderungen, wie hier den Zinsanspruch und die Rechtsanwaltskosten (vgl. OLG München, Urteil vom 20.07.2018, Aktenzeichen; 5 OLG 15 Ss 96/18, Rn. 17 ff.).
Nach § 73 StGB ist die Einziehung des Wertersatzes allerdings ausgeschlossen, wenn der Anspruch des Verletzten aus der Tat auf Rückgewährung des Ersatzes des Wertes des Erlangten erloschen ist. Das Verbot der Einziehung im Fall des Erlöschens besteht jedoch nur bis zum Abschluss des Erkenntnisverfahrens. Nach Eintritt der Rechtskraft der Anordnung der staatlichen Einziehung des Wertersatzes richtet sich das Schicksal der Anordnung der Einziehung nach dem einschlägigen Recht der Strafvollstreckung gemäß der §§ 459g ff. StPO.

5.
Gemäß § 459h Abs. 2 StPO ist der Gegenwert der Einziehung an den Verletzten auszukehren, dem ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten aus der Tat erwachsen ist. „Die Kosten der Rechtsverfolgung und die Verzugszinsen bleiben damit ebenso außer Betracht vwe etwaige Schmerzensgeldansprüche.“ (Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Auflage 2019, § 459h, Rn. 4)
Gemäß § 459j Abs. 1 StPO hat der Verletzte seinen Anspruch auf Rückübertragung oder Herausgabe binnen 6 Monaten nach der Mitteilung der Rechtskraft der Einziehungsanordnung bei der Vollstreckungsbehörde anzumelden. Jedoch kann der Verletzte gemäß § 459j Abs. 5 StPO unbeschadet des Verfahrens nach Abs. 1 seinen
Anspruch auf Rückübertragung oder Herausgabe nach § 459h Abs. 1 StPO geltend machen, indem er ein vollstreckbares Endurteil i.S.d. § 704 der Zivilprozessordnung oder einen anderen Vollstreckungstitel i.S.d., § 794 der Zivilprozessordnung vorlegt, aus dem sich der geltend gemachte Anspruch ergibt.
§ 459j StPO räumt daher dem Verletzten zwei Möglichkeiten der Geltendmachung seines Anspruches auf Herausgabe des eingezogenen Geldbetrages wahlweise ein. Entweder in Form eines sogenannten „Zivilprozess-Light“ (Mansdörfer, jM 2017, 122, 127), wobei dieser Anspruch innerhalb von 6 Monaten nach Zugang der Mitteilung nach § 459i StPO geltend gemacht werden muss, oder auch nach Ablauf der Frist durch Vorlage eines rechtskräftigen vollstreckbaren Titels, hier Anerkenntnisurteil oder Endurteil.
Bereits daraus ergibt sich, dass, auch wenn man dem Strafverfahren Vorrang vor dem Zivilverfahren einräumen wollte, grundsätzlich seitens des Verletzten ein Rechtsschutzinteresse daran besteht, einen vollstreckbaren zivilrechtlichen Titel zu erwerben, um auch nach dieser Frist noch den Anspruch geltend zu machen.

6.
Die Gefahr einer Doppelbeiastung des Betroffenen, hier der Beklagten, dürfte nicht bestehen.
Insofern kann sich der Betroffene auf eine etwaige Entreicherung im Vollstreckungsverfahren nach § 459g Abs. 5 StPO berufen, sofern er aufgrund des zivilrechtlichen Vollstreckungstitels an den Geschädigten leistet.
Umgekehrt kann sich der Betroffene auch gegenüber dem Verletzten im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage auf eine Leistung von Wertersatz an die Strafvollstreckungsbehörde berufen, wobei der Geschädigte dann aufgrund des rechtskräftigen zivilrechtlichen Vollstreckungstitels Herausgabe dieses Betrages an sich selbst von der Volistreckungsbehörde beanspruchen kann.

7.
Zudem ist zu bedenken, dass sich die Einziehung nur auf dasjenige bezieht, was der Betroffene aus der Tat oder aufgrund der Tat erhalten hat.
Konkret bedeutet dies hier, dass die Einziehung sich auf den Vermögensvorteil bezieht, welchen die Beklagte aus dem versuchten Betrug zu erzielen beabsichtigte. Insofern beträfe dies hier einen deliktischen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 263, 22, 23 StGB.
Streitgegenständlich ist hier jedoch nicht ein deliktischer Schadensersatzanspruch der Klägerin, sondern ein vertraglicher Anspruch aus einem Darlehensvertrag. Dieser vertragliche Anspruch wird von der strafrechtlichen Einziehung nicht umfasst. Allerdings hat sich die Klägerin selbstverständlich auch das gegenrechnen zu lassen, was sie über die Einziehung von der Strafvollstreckungsbehörde ausgezahlt bekommt.

8.
Das Gericht beabsichtigt daher, entsprechend dem Anerkenntnis der Beklagten gegen die Beklagte ein Anerkenntnisurteil zu erlassen.“

AG Dresden, Beschluss vom 29.5.2019 – 114 C 4821/16

Keine Versagung der Auslagenerstattung des Betroffenen bei einer Einstellung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung

Durch das Landgericht Hildesheim (LG Hildesheim, Beschluss vom 9.8.2018 – 26 Qs 56/18) wurde entschieden, dass dem Betroffenen die Erstattung der ihm entstandenen Auslagen grundsätzlich nicht versagt werden darf, wenn das Ordnungswidrigkeitenverfahren ohne die Durchführung einer Hauptverhandlung eingestellt wird.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

Beschluss

In dem Bußgeldverfahren

gegen: […],

Verteidiger: Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Bautzen,

hat die Strafkammer 16 – als 6. Kammer für Bußgeldsachen – des Landgerichts Hildesheim auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 09.07.2018, bei Gericht eingegangen am 11.07.2018, gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.07.2018 (75 OWi 32 Js 9675/18), der Staatsanwaltschaft zugestellt am 05.07.2018 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Landgericht […], des Richters am Landgericht […] und der Richterin […] am 09.08.2018 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung in dem Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.07.2018 (75 OWi 32 Js 9675/18) wird verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Betroffenen
insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse
zur Last.

Gründe:

I.

Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 59 km/h). Mit Bußgeldbescheid vom 07.09.2017, dem Betroffenen zugestellt am 13.09.2017, hat der Landkreis Gifhorn dem Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 240,00 € auferlegt sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Hiergegen hat der Betroffene über seinen Verteidiger rechtzeitig Einspruch eingelegt. Einlassungen zur Sache sind dahingehend erfolgt, dass der Betroffene im
Rahmen der Anhörung angab, der Fahrzeugführer gewesen zu sein. Den Verstoß gab er allerdings nicht zu.

Die Akten sind nach dem Einspruch vom 20.09.2017 und einem weiteren Schreiben des Verteidigers vom 04.10.2017 ohne erkennbaren Grund erst am 06.03.2018 an die Staatsanwaltschaft abgesandt worden, wo die Akten erst nach Verjährungseintritt am 08.03.2018 eingingen. Der Eingang der Akten bei Gericht war schließlich erst am 04.05.2018. Mit Beschluss vom 04.07.2018 (75 OWi 32 Js 9675/18) hat das Amtsgericht Gifhorn das Verfahren wegen Verjährungseintritts gemäß §§ 46 OWiG, 206 a StPO eingestellt und die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse auferlegt.

Mit Verfügung vom 09.07.2018 hat die Staatsanwaltschaft Hildesheim daraufhin sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung aus dem Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 04.07.2018 (75 OWI 32 Js 9675118) eingelegt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass von einer Auslagenerstattung abgesehen werden könne, wenn ein hinreichender Tatverdacht fortbestehe. Dies sei anhand der vorliegenden Beweismittel der Fall.

II.

Der als „Beschwerde“ bezeichnete Rechtsbehelf der Staatsanwaltschaft ist als das statthafte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anzusehen. Diese auf die Kostenentscheidung beschränkte sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat die notwendigen Auslagen des Betroffenen bei der Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß §§ 46 OWiG, 467 Abs.1 StPO zurecht der Landeskasse auferlegt hat.

1.
Grundsätzlich kann das Gericht nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO im Fall einer solchen Einstellung davon absehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen, wenn eine Verurteilung nur deshalb nicht erfolgt, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Dies erfordert eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist der Verdachtsgrad zu erörtern, bei welchem davon ausgegangen werden kann, dass eine Verurteilung nur aufgrund des Verfahrenshindernisses nicht erfolgt ist. In einem zweiten Schritt hat das Tatgericht sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob eine
Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ergehen kann (vgl. OLG Celle StraFo 2014, 438-440)

Die konkrete Situation, wann eine Verfolgung allein aufgrund des
Verfahrenshindernisses nicht erfolgt, ist in der Rechtsprechung umstritten. Nach einer Auffassung kommt eine Versagung der Auslagenerstattung nur dann in Betracht, wenn bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit eine Verurteilung zu erwarten gewesen wäre (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage 2013, § 467 Rn. 10a m.w.N.; vgl. u.a. BGH NJW 1995, 1297, 1301; OLG Celle wistra 2011, 239f.; OLG Hamm wistra 2006, 359). Nach einer anderen Auffassung in der Rechtsprechung ist eine Ermessensentscheidung hingegen schon dann eröffnet, wenn zur Zelt der Feststellung des Verfahrenshindernisses ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände vorliegen, die bei weiterer Hauptverhandlung eine Konkretisierung des Tatverdachts bis zur
Feststellung der Schuld in Frage stellen (vgl. OLG Celle StraFo 2014, 438-440
m.w.N.). Letztere Auffassung wird allerdings dann zur Anwendung gebracht, wenn eben schon eine Hauptverhandlung weitgehend fortgeschritten oder abgeschlossen ist. Für diese Auffassung ist im vorliegenden Fall daher schon nach den Grundgedanken der Strafprozessordnung kein Raum, weil eine Hauptverhandlung, in der der Betroffene Umstände, die einen Verstoß in Frage stellen könnten, vorbringen könnte, gar nicht stattgefunden hat.

Um eine tragfeste Aussage über Verdachtsgrad und die Schuld in Zweifel ziehende Umstände treffen zu können, muss wegen der mit einer belastenden Auslagenentscheidung verbundenen Feststellung und Zuweisung strafrechtlicher Schuld zuvor die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife, zumindest aber weitgehend genug für eine tragfeste Grundlage, durchgeführt worden sein. Vor Erreichen dieses Verfahrensstadiums ist von dieser Warte aus für eine Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kein Raum (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. Dezember 1991 – 2 BvR 1590/89 – NJW 1992, 1611). Dies ist schon allein deswegen nachvollziehbar, weil allein ein Akteninhalt nicht Grundlage einer Entscheidung über die Schuldfrage sein darf. Vielmehr sieht die Strafprozessordnung die Durchführung einer Hauptverhandlung für strafrechtliche Schuldfeststellungen vor. Diese Verfahrensgrundsätze gelten auch für Bußgeldverfahren. Ohne diese Grundsätze würde ein Betroffener, der von dem ihm zustehenden Schweigerecht Gebrauch machen möchte benachteiligt. Ein Betroffener, der dagegen aus freien Stücken zu seiner Verteidigung Umstände vorbringt, die eine Verurteilung unwahrscheinlich machen, wäre dagegen im Vorteil,
obwohl der schweigende Betroffene lediglich seine strafprozessualen Rechte wahrnimmt.

Vorliegend kann daher aufgrund des bisherigen Verfahrensgangs ohne eine
Hauptverhandlung somit gerade nicht die Prognose getroffen werden, dass der Betroffene ohne das Vorliegen des Verfahrenshindernisses mit  Sicherheit verurteilt worden wäre. Eine separate Beweiserhebung im Rahmen des Verfahrens über die Kosten verbietet sich (BVerfG NJW 1991, 829).

2.
Doch selbst wenn man die Meinung vertreten würde, § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO wäre vorliegend anwendbar, so käme auch im Rahmen der nunmehr
durchzuführenden Ermessensentscheidung ein Absehen von der Auslagenerstattung nicht in Betracht. Das Gericht hätte nämlich dann zu prüfen, ob auf Grund besonderer Umstände die Belastung der Landeskasse mit den Auslagen des Betroffenen als unbillig erscheint. In der voraussichtlichen Verurteilung des Betroffenen und der zugrunde liegenden Tat dürfen derartige besondere Umstände aber allein nicht gesehen werden.

Es ist umstritten, ob regelmäßig ein vorwerfbares prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen hinzutreten muss (so z.B. Meyer-Goßner. StPO, 56. Auflage 2013, § 467 Rn. 18 aE; Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage 2013, § 467 Rn. 10b mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; andere Ansicht OLG Gelle StraFo 2014, 438 – 440). Wenngleich dieses hier nicht gegeben war, kann dies auch dahinstehen, weil es schon nicht unbillig ist, die Landeskasse mit den Auslagen des
Betroffenen zu belasten.

Vorliegend beruht das Verfahrenshindernis auf einer Verzögerung des Verfahrens durch den Landkreis Gifhorn. Eine Verurteilungswahrscheinlichkeit ergibt sich insbesondere nicht schon durch die Einräumung der Fahrzeugführereigenschaft des Betroffenen. Hierfür wäre vielmehr auch die Feststellung einer ordnungsgemäßen
Messung erforderlich, was durch den Betroffenen in einem umfangreichen
Schriftsatz angegriffen wurde. Wenngleich in dem Bußgeldverfahren durch das standardisierte Messverfahren grundsätzlich vereinfachte Verfahrensgrundsätze gelten, so würde – wie bereits oben ausgeführt – eine Umgehung der Notwendigkeit einer Hauptverhandlung jedenfalls der Unschuldsvermutung entgegenstehen.

3.
Die Entscheidung über die Kosten- und Auslagen im Beschwerdeverfahren beruht auf § 473 Abs. 1, 2 StPO. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 310 Abs. 2 StPO).“

LG Hildesheim, Beschluss vom 9.8.2018 – 26 Qs 56/18

Fehlende Voraussetzung für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO nach 14 Monaten

Nach der Entscheidung des Landgerichts Dresden (LG Dresden, Beschluss vom 8.2.2017 – 15 Qs 12/17) liegen die Voraussetzungen des § 111a StPO für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach 14 Monaten ab dem Tatzeitpunkt nicht mehr vor.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

BESCHLUSS

in dem Strafverfahren gegen

[…],

Verteidiger:
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Widerstands gg. Vollstreckungsbeamte u. a.

ergeht am 08.02.2017

durch das Landgericht Dresden – Strafkammer als Beschwerdekammer –

nachfolgende Entscheidung:

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 23.01.2017 (24 Cs 152 Js 3244/16).

aufgehoben.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis lagen am 23.01.2017 nicht mehr vor.
Bei § 111 a StPO handelt es sich um eine vorbeugende Eilmaßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren durch einen ungeeigneten Kraftfahrer.
Die vorläufige Entziehung längere Zeit nach der Tat durch Beschluss vom 23.01.2017 […] ist nur dann gerechtfertigt, wenn der für § 69 StGB maßgebliche Sachverhalt erst noch ausermittelt werden muss. Liegt die Anlasstat mehrere Monate zurück und sind mehrere Monate keine sachaufklärenden Ermittlungen geführt worden, scheidet die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in der Regel als unverhältnismäßig aus (so etwa Landgericht Leipzig, Beschluss vom 23.09.2014 -1 Qs 329/14, zitiert nach Juris).

Bei Anlegung dieses Maßstabes kann auch im vorliegenden Einzelfall – bei dem es sich insbesondere nicht um einen Regelfall nach § 69 Abs. 2 StGB handelt – der am Ende der Hauptverhandlung verkündete Beschluss keinen Bestand haben. Der für Strafbefehl und Hauptverhandlung maßgebliche Sachverhalt war bereits im Dezember 2015 ausermittelt. Die Anlasstat ist vor 14 Monaten begangen worden. Der Angeklagte hat sich seitdem im Kraftverkehr bewegt, ohne dass es zu Auffälligkeiten gekommen ist. Zusätzliche Erkenntnisse, die die charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen betreffen, hat die Hauptverhandlung, soweit dies dem Protokoll zu entnehmen ist, nicht erbracht.

Es sind auch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich, die die Gefahr der Wiederholung der Tat begründen könnten.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 467 StPO analog.“

LG Dresden, Beschluss vom 8.2.2017 – 15 Qs 12/17

Bei Zustellung eines Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO, welches noch keine Entscheidungsgründe enthält, können die Entscheidungsgründe durch das Gericht nicht nachgeholt werden

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden (OLG Dresden, Beschluss vom 29.6.2016 – OLG 23 Ss 398/16 (B)) können bei einer Zustellung eines Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO, welches noch keine Entscheidungsgründe enthält, die Entscheidungsgründe durch das Gericht nicht nachgeholt werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

gegen[…]

Verteidiger:
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der Bußgeldsenat – der Einzelrichter – des Oberlandesgerichts Dresden am 29.06.2016

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 23. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgerichts Zittau zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Urteil vom 23. Februar 2016 hat das Amtsgericht Zittau den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 160,00 € verurteilt sowie ein Fahrverbot gegen Ihn für die Dauer von einem Monat verhängt.

Hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit der Verfahrens- sowie der Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Das angefochtene Urteil war auf die Sachrüge aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Zittau zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Stellungnahme vom 22. Juni 2016 hierzu wie folgt ausgeführt:

„Das Amtsgericht Zittau hat den Betroffenen am 23. Februar 2016 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h zu einer Geldbuße von 160,00 EUR verurteilt. Gleichzeitig verhängte das Amtsgericht gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat und ordnete an, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten nach Ein tritt der Rechtskraft.

Mit Verfügung vom selben Tag übersandte der erkennende Richter die Akten an die Staatsanwaltschaft Görlitz zur Zustellung gemäß § 41 StPO. Aus dem zu diesem Zeitpunkt in den Akten befindlichen und vom Richter unterzeichneten Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich der vollständige Urteilstenor des am 23. Februar 2016 verkündeten Urteils.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Zittau legte der Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 24. Februar 2016, eingegangen beim Amtsgericht Zittau am selben Tag, Rechtsbeschwerde ein.

Am 17. März 2016 brachte das Amtsgericht ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten und verfügte zugleich dessen Zustellung an den Betroffenen sowie dessen Verteidiger. […] Der Verteidiger des Betroffenen begründete die Rechtsbeschwerde […]. Der Betroffene rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – vorläufigen – Erfolg, weil das der Staatsanwaltschaft gemäß richterlicher Verfügung vom 23. Februar 2016 zugestellte Urteil entgegen § 71 OWiG i. V. m. § 267 StPO keine Gründe aufgewiesen hat und damit dem Rechtsbeschwerdegericht eine materiell-rechtliche Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt ist. Eine Ergänzung durch die am 17. März 2016 zu den Akten gebrachten schriftlichen Urteilsgründe war vorliegend unzulässig. 

1.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge hin zu prüfen, ob nach der am 23. Februar 2016 erfolgten Zustellung eines Urteils ohne Gründe an die Staatsanwaltschaft die Fertigung der am 17. März 2016 und damit innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe zulässig war – ohne dass es einer entsprechenden Verfahrensrüge bedarf –, weil von der Klärung dieser Frage abhängt, welcher Urteilstext auf die Sachrüge hin vom Rechtsbeschwerdegericht auf materiell-rechtliche Fehler überprüft werden soll (OLG Bamberg, ZfS 2006, 592; OLG Köln, VRS 63, 460; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2004, 121; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Mai 2016 – 23 Ss 223/16 [B]). 

2.

Im Bußgeldverfahren ist, wie auch im Strafverfahren, unabhängig von der Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO die nachträgliche Ergänzung eines nicht mit Gründen versehenen, also abgekürzten Urteils bzw. die nachträgliche Fertigung schriftlicher Urteilsgründe grundsätzlich unzulässig, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist; dieser Grundsatz gilt nur dann nicht, wenn das Gesetz entsprechende Ausnahmen zulässt (vgl. BGHSt 43, 23; BayObLG ZfS 2004, 382; OLG Bamberg a.aO.; OLG Brandenburg, a.a.O.).

Für das Bußgeldverfahren regelt § 77 b OWiG, unter welchen Voraussetzungen eine schriftliche Begründung des Urteils nachträglich zu den Akten gebracht werden kann. 

3.

Im vorliegenden Fall hat auf Veranlassung des Tatrichters ein nicht mit Gründen versehenes, also abgekürztes Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen, ohne dass die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG gegeben waren.

a)

Mit der in der Verfügung vom 23. Februar 2016 getroffenen Anordnung der Übersendung der Akten mit Hauptverhandlungsprotokoll und unterzeichnetem Urteilsformular an die Staatsanwaltschaft zur Zustellung gemäß § 41 StPO hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe eines Urteils In eben dieser, nicht mit Gründen versehenen Fassung entschieden (vgl. OLG Gelle, VRS 75, 461; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 212; OLG Brandenburg, a.aO.; OLG Bamberg, a.a.O.). Damit hat ein schriftliches Urteil ohne Gründe den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen hin in Erscheinung getreten. Da der Tatrichter das Hauptverhandlungsprotokoll mit dem unterzeichneten Urteil der Staatsanwaltschaft in der Urschrift ausdrücklich unter Berufung auf § 41 StPO und somit für den Empfänger eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.; BGHSt 58, 243). 

b)

Die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG für ein Absehen von Urteilsgründen waren bereits deswegen nicht gegeben, weil nicht alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet hatten, die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde für den Betroffenen noch nicht abgelaufen und ein Verzicht des Betroffenen gemäß § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG auch nicht entbehrlich war. Eine entsprechende Anwendung des § 77b OWiG kommt nach Sinn, Zweck und Regelungsgehalt dieser Norm vorliegend nicht zur Anwendung (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15. Januar 2009 – 3 Ss OWi 1610/08, 3 Ss OWi 1610/2008-, juris).

4.

Da somit die am 17. März 2016 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe unbeachtlich sind, das – maßgebliche – der Staatsanwaltschaft am 23. Februar 2016 zugegangene Urteil aber keine Gründe enthält, somit dem Rechtsbeschwerdegericht keine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler ermöglicht, unterliegt es allein deswegen der Aufhebung.“ 

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Bei Mitteilung des toleranzbereinigten Messwertes ist es jedenfalls tunlich, auch die Höhe des konkret berücksichtigten Toleranzwertes mitzuteilen.

Ein standardisiertes Messverfahren liegt nicht mehr vor, wenn bei Aufbau oder Bedienung gegen die Bedienungsanleitung oder Vorschriften der Bauartzulassung durch die PTB verstoßen wird. Sollte daher das Verbindungskabel zwischen Rechner und Bedieneinheit die mit der Gerätezulassung vorgeschriebene Länge von maximal drei Metern überschritten haben, so läge ein standardisiertes Messverfahren nicht mehr vor. Dies allein führt jedoch grundsätzlich nicht zu einem Verwertungsverbot des Messergebnisses. Vielmehr ist das dem Verfahren zugrundeliegende Messergebnis gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen zu überprüfen. Im Übrigen hat das Amtsgericht zutreffend auf eine Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 zu möglichen Auswirkungen der Kabellänge Bezug genommen. Insoweit ist obergerichtlich geklärt, dass es vor diesem Hintergrund nicht rechtsfehlerhaft ist, wenn das Amtsgericht sich aufgrund der Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 die Überzeugung davon verschafft, dass bei der hier Im Raum stehenden geringfügigen Überschreitung der Kabellänge kein Einfluss auf das Messergebnis zu erwarten ist (vgl. insoweit OLG Celle, Beschluss vom 21. April 2016, 2 Ss OWi 82/16).“

OLG Dresden, Beschluss vom 29.6.2016 – OLG 23 Ss 398/16 (B)

Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung einer Frist aufgrund unerwartet langer Postlaufzeit

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.5.2013 – 2 Ss-OWi 342/13) ist einem Betroffenen Wiedereinsetzung in seinen vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Rechtsmittelfrist dadurch versäumt wird, dass ein rechtzeitig mit der Post aufgegebener Schriftsatz nicht vor Ablauf der Frist beim Gericht eingeht.

Aus den Entscheidunggründen:

„BESCHLUSS

In der Bußgeldsache
gegen […]

Verteidiger: Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Bautzen
 

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
 

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main – Senat für Bußgeldsachen – durch den Einzelrichter am 15. Mai 2013 beschlossen:

Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 11.10.2012 gewährt.

Gründe:

Am 22.11.2012 wurde dem Verteidiger des Betroffenen das vorliegend angefochtene Urteil zugestellt, nachdem dieser rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt hatte. Mit am 03.01.2013 beim Amtsgericht Bad Hersfeldeingegangenen Schriftsatz vom 17.[1]2.2012 hat der Betroffene über seinen Verteidiger das eingelegte Rechtsmittel begründet und Anträge gestellt.
 

Mit am 08.02.2013 zugestellten Schreiben des Amtsgerichts wies dieses den Verteidiger darauf hin, dass seine Rechtsbeschwerdebegründung verspätet eingegangen sei. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag beantragte der Verteidiger des Betroffenen Gewährung von Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerdebegründungsfrist.
 

Die Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerdebegründungsfrist ist zu gewähren, da nach dem Vortrag des Verteidigers den Betroffenen kein Verschulden an der versäumten Frist trifft. Danach wurde die Rechtsbeschwerdebegründung vom Verteidiger selbst am 17.12.2012 in einen Briefkasten der Deutschen Post eingelegt. Der Verteidiger konnte davon ausgehen, dass bis zum 24.12. (Ablauf der Frist) das Schreiben beim Amtsgericht eingehen wird. Das es aufgrund der Feiertage zu einer erheblich verlängerten Transportverzögerung durch die Post kam, war nicht zu rechnen. Der Verteidiger war angesichts der Tatsache, dass noch 7 Tage bis zum Ablauf der Frist bestand, auch nicht gehalten per Fax vorab die Rechtsbeschwerdebegründung fristwahrend ans Amtsgericht zu übersenden.
 

Der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft auf die Entscheidung des Senats 2 Ss-OWi 246/12 geht insoweit fehl, weil dort der Rechtsanwalt nicht selber die verabsäumte Handlung vorgenommen hat, sondern eine Mitarbeiterin bezüglich deren Aussage an einer eidesstattlichen Versicherung oder einer anwaltlichen Versicherung fehlte.“

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.5.2013 – 2 Ss-OWi 342/13