Darlegungs- und Beweislast zur Eigentümerstellung bei einem Verkehrsunfall

Nach dem Berufungsurteil des Landgerichts Görlitz (LG Görlitz, Urteil vom 23.7.2014 – 2 S 91/13) können im Rahmen der Darlegungs- und Beweislast sowohl durch die gesetzliche Vermutungsregel des § 1006 BGB als auch durch andere vorgetragene und unter Beweis gestellte Umstände die Eigentümerstellung über ein Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall nachgewiesen werden.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

„IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin und Berufungsklägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7-9, 01097 Dresden, […]

gegen

1. […]

– Beklagter und Berufungsbeklagter –

2. […] Versicherung […]

– Beklagte und Nebenintervenientin des Beklagten zu 1 und Berufungsbeklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 2:

[…]

wegen Schadensersatz – hier: Berufung

hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Vorsitzende Richterin am Landgericht […] als Einzelrichterin

im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatznachlass bis 18.07.2014 am 23.07.2014

für Recht erkannt:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Kamenz vom 12.04.2013, Az.: 2 C 386/12, abgeändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.939,97 Euro nebst Znsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 25.02.2012 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden weiter verurteilt, an die Klägerin gesamtschuldnerisch vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 126,68 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.07.2012 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen fallen den Beklagten als Gesamtschuldnern zur Last; die durch die Nebenintervention entstandenen Kosten hat die Nebenintervenientin zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

[…]

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt Schadensersatz aus einem Ereignis vom 02.09.2011 in Nebelschütz.

Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin des Pkw Opel Zafira Comfort mit dem amtlichen Kennzeichen […].

Dieses Fahrzeug habe sie am 02.09.2011 auf einer Parkfläche an der Hauptstraße in Nebelschütz geparkt. Auf der gegenüberliegenden Parkfläche habe – mit der Fahrzeugfront zum klägerischen Pkw – der bei der Beklagten Ziffer 2 haftpflichtversicherte, vom Beklagten Ziffer 1 gehaltene Pkw unbekannten Typs mit dem amtlichen Kennzeichen […] gestanden.

Beim Starten des beklagten Fahrzeuges sei dieses sprunghaft nach vorn gefahren und gegen die vordere Seite des klägerischen Fahrzeuges gestoßen. Die Klägerin habe sich zu diesem Zeitpunkt in ihrem Auto befunden, hatte das Fahrzeug jedoch noch nicht gestartet.

Den der Klägerin durch das Unfallereignis entstandenen Schaden beziffert diese auf insgesamt 1.939,97 Euro.

Den vorgenannten Betrag sowie vorgerichtliche Anwaltskosten macht sie im vorstehenden Verfahren geltend.

Die Beklagte Ziffer 2, gleichzeitig als Streithelferin für den Beklagten Ziffer 1, stellt in Abrede, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls Eigentümerin des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen […] gewesen sei. Zudem bestreitet sie den Unfallverlauf und behauptet, der Unfall sei nicht oder jedenfalls nicht so, wie von der Klägerin geschildert, geschehen.

Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung, die Klägerin sei nicht aktiv legitimiert, abgewiesen. Auf die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils vom 12.04.2013 wird Bezug genommen.

Die Klägerin hält dieses Urteil für unrichtig und verfolgt mit der Berufung ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Sie erhebt Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der amtsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen und rügt zudem die Verletzung materiellen Rechts durch das Amtsgericht.

Zur Berufung beantragt die Klägerin, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 1.939,97 Euro nebst Znsen hieraus in Höhe von 4 % aus 1.494,49 Euro für die Zeit vom 03.09.2011 bis zum 24.02.2012 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.939,97 Euro seit dem 25.02.2012 zu zahlen,

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 126,68 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz daraus seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

Die Beklagte Ziffer 2 beantragt, gleichzeitig als Streithelferin für den Beklagten Ziffer 1,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Das Berufungsgericht hat die Klägerin zum Hergang des streitgegenständlichen Unfalls angehört sowie Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 14.08.2013 durch Vernehmung der Zeugen […] sowie gemäß Beweisbeschluss vom 09.10.2013 durch Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gerichtliche Protokollniederschrift vom 02.10.2013 und auf das Sachverständigengutachten des Dipl.-Ing. […] vom 03.04.2014 Bezug genommen.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat – bis auf einen Teil der als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen- auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht aus dem Unfallereignis vom 02.09.2011 gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 823 BGB, 7 StVG, 115 WG ein Schadensersatz in Höhe von 1.939,97 Euro zu.

1.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist die Klägerin zur Erhebung von Ansprüchen wegen Beschädigung des Pkw Opel Zafira mit dem amtlichen Kennzeichen […] aktiv legitimiert. Unter Würdigung aller Umstände des vorliegenden Falles bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin Eigentümerin des beschädigten Pkw ist. Sie hat das Fahrzeug käuflich erworben und dazu die an sie adressierte Kaufpreisrechnung des Autohauses […] vom 21.08.2003 vorgelegt. Am Tage der Rechnungslegung ist die Klägerin auch im Kfz-Brief eingetragen worden. Diesen hielt sie auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz noch in den Händen. Zwar belegt die Eintragung im Kfz-Brief nicht die Eigentümerstellung, weil entsprechend § 952 BGB das Eigentum am Fahrzeugbrief dem Eigentum am Fahrzeug folgt. Aus diesem Umstand darf aber nicht geschlossen werden, die Eintragungen im Fahrzeugbrief und Fahrzeugschein seien bei der Beweiswürdigung ohne Bedeutung. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass in aller Regel der Eigentümer des Fahrzeugs und derjenige, der im Fahrzeugbrief eingetragen ist und ihn in den Händen hält, identisch ist (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 04.05.1977, NJW 1977, 1240). Weitere Unterlagen, um sein Eigentum nachzuweisen, hat in aller Regel kein Fahrzeugeigentümer.

Zudem spricht für die Klägerin die Eigentumsvermutung aus § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB, die die Beklagten nicht widerlegt haben.

Die gesetzliche Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache, dass er Eigentümer der Sache sei, enthebt den Besitzer im Grundsatz nicht nur der Beweis-, sondern auch der Darlegungslast dafür, dass und auf welcher Grundlage er oder derjenige, von dem er sein Besitzrecht ableitet, mit dem Besitzerwerb Eigentum erworben hat (BGH NJW 2002, 2101).

Derjenige, der sich – wie hier die Klägerin – auf die Vermutung des § 1006 Abs. 1 BGB beruft, muss die Vermutungsbasis beweisen, das heißt er muss seinen unmittelbaren Besitz nachweisen, und darüber hinaus muss er die Rechtsbehauptung aufstellen, Eigentümer zu sein (Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, § 1006 BGB Rn. 9). Zwar haben die Beklagten die Behauptung, die Klägerin sei zum Unfallzeitpunkt Besitzerin des in Rede stehenden Pkw, bestritten. Für die tatsächliche Sachherrschaft und damit den Besitz an dem Auto spricht jedoch, dass die Klägerin – wie die Beweisaufnahme ergeben hat – zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kollision „im Begriff war“ auf der Fahrerseite in den Pkw einzusteigen, sowie das Indiz, dass sie das beschädigte Fahrzeug später beim Kfz-Sachverständigen Dipl.-Ing. […] zur Begutachtung vorgeführt hat. Im Übrigen war die Klägerin auch über zwei Jahre nach dem Unfalldatum noch im Besitz des Fahrzeugs, denn sie stellte dieses dem Gerichtssachverständigen zum Ortstermin am 18.02.2014 zur Nachbesichtigung zur Verfügung.

Allein der Umstand, dass die Rechnung für die Kosten der Reparatur des Fahrzeugs an den Ehemann der Klägerin adressiert wurde, genügt bei Würdigung der Gesamtumstände gemäß § 286 ZPO zur Widerlegung der Eigentumsvermutung nicht.

2.

Die Beklagten haften der Klägerin gesamtschuldnerisch für den an ihrem Fahrzeug aufgrund des Unfallereignisses vom 02.09.2011 entstandenen Schaden. Die Haftung der Beklagten setzt voraus, dass der Betrieb des bei der Beklagten Ziffer 2 versicherten Kraftfahrzeugs adäquat kausal zu dem streitgegenständlichen Schaden geführt hat. Für diesen Kausalzusammenhang ist die Klägerin mit dem Beweismaßstab des § 286 ZPO beweispflichtig (BGHZ71, 339).

Das Gericht ist im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass das von der Klägerin vorgetragene Unfallereignis tatsächlich stattgefunden hat und es sich nicht – wie die Beklagte Ziffer 2 meint – um einen manipulierten Unfall handelt.

Bei ihrer Parteianhörung durch das Landgericht schilderte die Klägerin den eigentlichen Unfall als auch das Randgeschehen plausibel und detailreich. Diese Schilderung wurde durch die glaubhaften Aussagen der Zeugen […] bestätigt. Das Gericht hält es für ausgeschlossen, dass sich sowohl die Klägerin als auch die Zeugen den Unfall nur ausgedacht haben. Allein der Umstand der persönlichen Nähe der Zeugen zur Klägerin rechtfertigt es nicht, deren Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen.

Der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. […] hat in seinem von Fachkunde geprägten, detaillierten und gut verständlichen Gutachten vom 03.04.2014 dargestellt, dass sich die Beschädigungen am Fahrzeug der Klägerin der geschilderten Kollision zuordnen lassen.

Das Gericht verkennt nicht, dass der Sachverständige den vorgetragenen Unfallhergang aus technischer Sicht nur als möglich bezeichnet hat, und die bloße Möglichkeit der Kompatibilität für sich betrachtet zur Überzeugungsbildung nicht ausreicht. Bei der gebotenen Gesamtschau aller Fakten, insbesondere der Unfallschilderung der Klägerin und der Zeugen, ergeben sich aber keine Zweifel daran, dass die Kollision wie vorgetragen stattgefunden hat.

3.

Der in Höhe von 1.939,97 Euro geltend gemachte Schaden ist der Klägerin vollumfänglich zu ersetzen.

Der Klägerin steht zunächst ein Anspruch auf Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von 1.494,49 Euro gemäß Rechnung der Kfz-Werkstatt […] vom 17.10.2011 zu. Dass es sich hierbei um unfallbedingte Reparaturkosten handelt, ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. […] vom 07.09.2011; die Rechnungspositionen betreffen ausschließlich die Reparatur der in diesem Gutachten beschriebenen, nach der Unfallschilderung der Klägerin und den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. […] kompatibel auf die streitgegenständliche Kollision zurückzuführenden Schäden.

Die Klägerin hat darüber hinaus einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für die Dauer, in der sie ihr Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen konnte. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH und ist gewohnheitsrechtlich anerkannt (Palandt/Grüneberg, BGB, § 249 Rn. 40).

Der Privatsachverständige Dipl.-Ing. […] hat in seinem Gutachten für die Durchführung der Reparatur einen Arbeitszeitaufwand von zwei Arbeitstagen für erforderlich erachtet.

Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Reparaturdauer sind weder von den Beklagten vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Mithin kann die Klägerin Nutzungsausfallentschädigung für zwei Tage verlangen.

Der Ansatz von 34,00 Euro pro Tag ist angemessen.

Für die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung hält das Gericht die Tabellen von Sanden/Danner für eine geeignete Schätzungsgrundlage.

Das Fahrzeug der Klägerin war zum Unfallzeitpunkt bereits 11 Jahre alt. Fahrzeuge über 10 Jahre sind um zwei Tabellengruppen herabzustufen, so dass der Pkw der Klägerin in die Gruppe C einzuordnen ist.

Die Ersatzpflicht der Beklagten erstreckt sich auch auf die durch die Geltendmachung und Durchsetzung der Schadensersatzansprüche verursachten Kosten. Insoweit sind die der Klägerin für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der Schadenshöhe entstandenen Kosten in Höhe von 352,48 Euro als Kosten der Schadensfeststellung Teil des zu ersetzenden Schadens (Palandt/Grüneberg, BGB, § 249 Rn. 58).

Ferner war der Klägerin die Kostenpauschale von 25,00 Euro zuzusprechen.

Die in der Klageschrift berechneten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung geeignete Aufwendungen gemäß § 249 Abs. 1 BGB bei einem Verkehrsunfall auch ohne vorangegangene Inverzugsetzung regelmäßig erstattungsfähig (verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG).

Die zuerkannten Zinsen beruhen auf Verzugsgesichtspunkten.

Zinsen ab dem Unfallzeitpunkt aus § 849 BGB kann die Klägerin hingegen nicht beanspruchen, da ihr das Fahrzeug nicht entzogen wurde und auch keine Wertminderung vorliegt.

Deshalb war die Klage bezüglich der ab dem Unfallzeitpunkt bis zum Zeitpunkt des Zahlungsverzuges geltend gemachten Zinsen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2,100 Abs. 4, 101 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Zudem erfordert weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

LG Görlitz, Urteil vom 23.7.2014 – 2 S 91/13

Darlegungs- und Beweislast sowie Haftungsverteilung bei einem Unfall in einem Kreisverkehr

Durch das Amtsgericht Kamenz (AG Kamenz, Beschluss vom 26.3.2014 – 1 C 717/13) wurde in einem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass bei einem Verkehrsunfall in einem Kreisverkehr kein Anscheinsbeweis zulasten des Auffahrenden angenommen werden kann. Lässt sich bei einem Unfall im Kreisverkehr letztlich nicht feststellen, welcher der beiden Unfallbeteiligten den Kreisverkehr mit seinem Fahrzeug zuerst erreicht hat, kommt eine hälftige Schadensteilung in Betracht.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

„In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

gegen

1. […]

– Beklagter –

2. […] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

wegen Schadensersatz

erlässt das Amtsgericht Kamenz […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung […] am 26.03.2014

nachfolgende Entscheidung:

[…]

Das Gericht weist im Nachgang zu der bereits im Termin stattgefundenen Erörterung der Sach- und Rechtslage nochmals auf Folgendes hin:

Ein Verschulden des Beklagten zu 1. an dem Unfall ist vorliegend nicht unter dem Gesichtspunkt des Beweises des ersten Anscheins anzunehmen. Zwar kann der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden sprechen, wenn es sich um einen „typischen“ Auffahrunfall handelt. Andererseits spricht aber dann, wenn sich ein Unfall im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren von einer untergeordneten Straße in eine bevorrechtigte Straße ereignet, der Beweis des ersten Anscheins für eine typische Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen, so dass in einem solchen Fall von einem atypischen Geschehensablauf auszugehen ist, der es nicht zulässt, auf ein Verschulden des Auffahrenden zu schließen (vgl. AG Duisburg, Urteil vom 26.06.2012, 25 C 2962/11; LG Saarbrücken, Urteil vom 10.06.2011, 13 S 40/11; LG Bielefeld, Urteil vom 20.06.2007, 21 S 57/07 – Juris).

Der Kläger hätte also nur dann in den Kreisverkehr einfahren dürfen, wenn sich der Beklagte zu 1. nicht seinerseits bereits im Kreisverkehr befunden hatte (vgl. insoweit auch LG Saarbrücken, Urteil vom 10.02.2012, 13 S 199/11 – Juris).

Lässt sich bei einem Unfall im Kreisverkehr letztlich nicht feststellen, welcher der beiden Unfallbeteiligten den Kreisverkehr mit seinem Fahrzeug zuerst erreicht hat, kommt nach Auffassung des Gerichts eine hälftige Schadensteilung in Betracht (vgl. LG Detmold, Urteil vom 22.12.2004, DAR 2005, 222; ähnlich LG Bielefeld, Urteil vom 20.06.2007, 21 S 57/07, a.a.O).“

AG Kamenz, Beschluss vom 26.3.2014 – 1 C 717/13

Haftungsverteilung bei Unfall auf Parkplatz mit einem rückwärts ausparkenden Fahrzeug

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 18.12.2013 – 20 C 1011/12) haftet bei einem Verkehrsunfall auf einem Parkplatz mit einem rückwärts ausparkenden Fahrzeug das rückwärts fahrende Fahrzeug zu 80% und das vorbeifahrende Fahrzeug zu 20 %.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

„IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

  1. […] L[…]

– Kläger u. Widerbeklagter –

  1. [V]ersicherung […]

– Drittwiderbeklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, Gz.: […]

gegen

  1. […] Tausend, […]

– Beklagter u. Widerkläger –

  1. […] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen durch

Richter am Amtsgericht […] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2013

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 335,24 € nebst 4 Prozent Jahreszinsen aus 330,24 € vom 15.08.2012 – 24.09.2012 sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 335,24 € ab dem 25.09.2012 und vorgerichtliche nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten i.H.v 48,73 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03.12.2012 zu zahlen.
  2. Der Kläger und die Drittwiderbeklagte werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Beklagten zu 1) 1.414,54 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2013 zu zahlen und den Beklagten zu 1) von der Bezahlung der Rechnung der Firma […] GmbH vom 28.11.2012, Rechnungs-Nr.: 4000801760, i.H.v. 184,03 € freizustellen.
  3. Die weitergehende Klage und die weitergehende Widerklage werden abgewiesen.
  4. Die Gerichtskosten tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zu 47 %, der Kläger allein zu weiteren 15 %, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu weiteren 10 % und der Beklagtezu 1) allein zu weiteren 28 %.

Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die beiden Beklagten als Gesamtschuldner 16 %, der Beklagte zu 1) allein weitere 22%. Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 54 %, der Kläger allein 9 %. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt der Kläger 60%. Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt der Beklagte zu 1) 37 %.

Im Übrigen findet eine Kostenausgleichung nichtstatt.

  1. Das Urteil ist für den Bekl. zu ) gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  2. Der Streitwert der Klage wird mit 838,14 €, der Streitwert der Widerklage mit 2.526,97 €, der Streitwert des Rechtsstreits insgesamt mit 3.365,11 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die haftungsrechtlichen Folgen eines Verkehrsunfalls, der sich am 14.08.2012, gegen 16.15 Uhr, auf dem Parkplatz im Einkaufspark […] ereignet hat. Der Kläger hatte seinen Pkw Audi mit dem amtlichen Kennzeichen […] vor dem Elektronikgeschäft […] abgestellt und wollte rückwärts fahrend wieder ausparken, um das Gelände zu verlassen. Der Beklagte zu 1) befuhr zeitgleich mit dem Pkw Mazda, amtliches Kennzeichen […] auf der Parkstraße, die quer zur Parkfläche angelegt ist, auf der der Kläger seinen Pkw Audi abgestellt hatte. Beim Ausparken kollidierte der Kläger mit dem Pkw Mazda des Beklagten zu 1). An beiden Fahrzeugen entstand durch die Kollision Sachschaden. Der Pkw Audi ist bei der Drittwiderbeklagten, der Pkw Mazda bei der Beklagten zu 2) pflichtversichert.

Vorgerichtlich machte der Kläger gegenüber den Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls Reparaturkosten i.H.v. 1.651,20 € netto nach dem Kostenvoranschlag der Firma […] vom 17.08.2012 und eine Unkostenpauschale i.H.v. 25,00 € erfolglos geltend. Der Beklagte zu 1) machte gegenüber dem Kläger und der Drittwiderbeklagten vorgerichtlich Reparaturkosten gemäß Rechnung der Firma […] vom 04.09.2012 i.H.v. 3.616,48 €, Nutzungsausfall von täglich 43,00 € für 9 Tage, also 387,00 € und eine Unkostenpauschale von 25,00 € geltend und verlangte die Freistellung von den Gutachterkosten der Firma […] vom 21.08.2012 i.H.v. 613,45 €. Die Drittwiderbeklagte zahlte auf die Reparaturkosten 1.808,24 € und weitere 306,73 € an die Firma […]. Weitere Zahlungen lehnte sie ab.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger 50 % des ihm unfallbedingtentstandenen Schadens sowie die ihm vorgerichtlich entstandenen und nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten. Hierzu trägt er vor, dass er bereits zu 2/3 aus der Parktasche herausgefahren sei und gestanden habe, als der Beklagte zu 1) mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Parkstraße gefahren sei, so dass er nicht mehr rechtzeitig habe bremsen können.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerich zu verurteilen, an ihn 838,14 € nebst Zinsen i.H.v. 4 Prozent aus 825,64 € für die Zeit vom 15.08. – 24.09.2012 sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 838,14 € seit dem 25.09.2012 und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 70,39 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 1) beantragt darüber hinaus widerklagend,

den Kläger und die Drittwiderbeklagte zu verurteilen, gesamtschuldnerisch einen Betrag i.H.v. 2.220,24 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an ihn zu zahlen und ihn in Höhe eines Betrages von 306,73 € von der Zahlung der Kosten für die Schadensbegutachtung gemäß Rechnung der Firma […] vom 21.08.2012 freizustellen.

Der Kläger und die Drittwiderbeklagte beantragen,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, dass der Beklagte zu 1) an der Parktasche, in der der Pkw Audi des Klägers gestanden habe, vorbeifahren wollte. Als er sich etwa in Höhe dieser Parktasche befunden habe, sei der Kläger mit dem Pkw Audi unerwartet und plötzlich aus der Parktasche rückwärts herausgefahren. Er, der Beklagte zu 1), habe dabei keinerlei Möglichkeit gehabt, unfallvermeidend zu reagieren. Deswegen verlange er mit der Widerklage den ihm entstandenen Schaden in voller Höhe, und zwar unter Berücksichtigung der vorgerichtlichen Zahlungen der Drittwiderbeklagten einen noch offenen Betrag von 1.808,24 € an noch offenen Reparaturkosten, 387,00 € Nutzungsausfall für 9 Tage und 25,00 € pauschale Unkosten. Ferner verlange er die Freistellung von der Forderung der Firma […] für die Schadensbegutachtung i.H.v. 306,73 €.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätzeverwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens eines technischen Sachverständigen. Auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. […] vom 05.09.2013, Blatt 101 -134 dA, wird Bezug genommen. Den Inhalt und das Er gebnis des Gutachtens hat das Gericht in der Verhandlung vom 04.12.2013 mit den Parteivertretern erörtert.

Entscheidungsgründe:

Klage und Widerklage sind zulässig.

Die Klage ist nur zu einem geringen Anteil begründet. Die Widerklage ist überwiegend begründet. Nach Auffassung des Gerichts sind die Unfallfolgen mit einer Haftungsquote von 80 zu 20 zu Lasten des Klägers zu regulieren (§§ 7, 17 StVG, 823, 249 BGB, 115 WG). Dabei ergibt sich für das Gericht der tatsächliche Hergang des Unfalls vom 14.08.2012 aus dem unfallanalytischen Gutachten des technischen Sachverständigen. Der technische Sachverständige hat dabei festgestellt, dass sich der Beklagte zu 1) mit dem Pkw Mazda dem späteren Unfallort nicht mit überhöhter Geschwindigkeit, sondern mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/h angenähert hat. Zeitgleich ist der Kläger rückwärts aus der Parklücke herausgefahren. Nach den technischen Berechnungen des Sachverständigen befand sich der Pkw Mazda des Beklagten zu 1) in einem Abstand von 1,24 m vor dem Pkw Audi, als dieser aus der Parktasche rückwärts herausfuhr und dabei eine Reaktionsaufforderung für den Beklagten zu 1) darstellte. Nach den Feststellungen des Sachverständigen hätte der Beklagte zu 1) mit einer Geschwindigkeit von 4 – 5 km/h fahren müssen, um die Kollision räumlich noch zu vermeiden. Nicht bestätigt hat der Sachverständige also die Darstellung des Klägers vom Unfallverlauf, der zur Folge der Kläger mit dem Pkw Audi bereits zu 2/3 der Fahrzeuglänge aus der Parktasche herausgefahren sein und gestanden haben soll, als es zur Kollision mit dem Pkw Mazda des Beklagten zu 1) gekommen ist. Nach den Feststellungen des Sachverständigen setzte der Kläger mit dem Pkw Audi vielmehr zum Verlassen der Parktasche an, als sich der Beklagte zu 1) mit dem Pkw Mazda in einem relativ geringen Abstand von 1,24 m vom herausfahren den Pkw Audi befand, wobei der Mazda keineswegs mit einer überhöhten Geschwindigkeit herannahte. Das Gericht folgt den überzeugenden, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten. Die Parteivertreter haben Einwände gegen den Inhalt des Gutachtens auch nicht erhoben.

Nach diesem festgestellten Sachverhalt war für das Gericht aus rechtlicher Sicht nur noch die Frage zu beantworten, ob dem Beklagten zu 1) aufgrund der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr eine Mithaftung trifft. Dies war im Ergebnis zu bejahen. Dabei ist das Gerieht zunächst davon ausgegangen, dass es dem Beklagten zu 1) nicht gelungen ist, den Nachweis der Unabwendbarkeit (§ 7 StVG) zu erbringen. Ein unabwendbares Ereignis setzt nämlich voraus, dass der Unfall auch bei Einhaltung der äußerst möglichen Sorgfalt durch einen Idealfahrer nicht abgewendet werden kann. Als sogenannter Idealfahrer hat sich der Beklagte zu 1) nach des Feststellungen des Sachverständigen indes nicht verhalten. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen wäre der Unfall – wenn auch bei sehr geringer Geschwindigkeit des Pkw Mazda – noch vermeidbar gewesen. Ebenso wenig gelangt das Gericht zu der Beurteilung, dass das Verschulden des Klägers die Betriebsgefahr, die vom Fahrzeug des Beklagten zu 1) ausgeht, verdrängt. Dabei geht das Gericht mit der überwiegenden Meinung davon aus, dass § 9 V StVO auf Parkplätzen jedenfalls unmittelbar keine Anwendung findet, sondern hier vielmehr § 2 StVG anzuwenden ist. Denn § 9 V StVO dient dem Schutz des fließenden Verkehrs. Demgegenüber findet auf Parkplätzen der fließende Verkehr eben nicht statt. Teilweise wird angenommen, dass § 9 V StVO auf solchen Parkplätzen, die“Straßencharakter“ haben, analog anwendbarsei. Dabei wird der „Straßencharakter“ eines Parkplatzes dann angenommen, wenn die Parkstraßen so breit sind, dass 2 Fahrzeuge problemlos nebeneinanderfahren können. Ob dies beim streitgegenständlichen Parkplatz […] der Fall ist, kann dahinstehen. Denn nach Auffassung des Gerichts kann auch die analoge Anwendung des § 9 VStVO nicht zueiner schematischen Übernahme der aus dieser Vorschrift abgeleiteten Haftungsregelung führen. Auch bei breit angelegten Parkplätzen muss der Fahrer auf Parkstraßen innerhalb des Parkplatzes damit rechnen, dass andere Fahrzeuge ein- bzw. ausparken oder rangieren. Von einem fließenden Verkehr kann er nicht ausgehen. Aufgrund dieser Erwägung geht das Gericht daher davon aus, dass ein Zurücktreten der Betriebsgefahr auf Parkplätzen nur ausnahmsweise in Betracht kommt, nämlich dann, wenn das Verschulden des rückwärts aus einer Parktasche ausfahrenden Kraftfahrers durch besondere Umstände erschwert ist (so etwa LG Saarbrücken, Urteil v. 27.05.2011, Az: 13S 25/11). Solche Umstände vermochte das Gericht im vorliegenden Streitfall allerdings nicht festzustellen. Den Kläger traf zwar, weil er rückwärts gefahren ist, eine vergleichsweise höhere Sorgfaltspflicht als den Beklagten zu1), der vorwärts gefahren ist. Deswegen wiegt auch der Verkehrsverstoß des Klägers schwer. Dass das Verschulden des Klägers besonders schwer wiegt, so dass ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) angezeigt wäre, vermochte das Gericht allerdings nicht festzustellen. Es hat daher bei der Abwägung nach §17 StVG eine Mithaftungsquote des Beklagten zu 1) i.H.v. 20 %angenommen.

Der Höhe nach kann derKläger von den geltend gemachten veranschlagten Reparaturkosten i.H.v. 1.651,20 € und der Unkostenpauschale von 25,00 € 20 %, also 335,24 € von den Beklagten verlangen. Dabei hat der Gutachter festgestellt, dass die vom Kläger verlangten Reparaturkosten angemessen und ortsüblich sind und insbesondere den Wiederbeschaffungswert nicht um 130 % überschreiten.

Der Höhe nach kann der Beklagte 80 % der Reparaturkosten von 3.616,48 €, des klägerseits nicht angegriffenen Nutzungsausfalls von 387,00 € und der Unkostenpauschale von 25,00 € verlangen. Dies ergibt 3.222,78 €. Abzüglich vorgerichtlich gezahlter 1.808,24 € kann der Beklagte zu 1) noch 1.414,54 €verlangen. Ferner kann er – ebenfalls unter Berücksichtigung vorgerichtlicher Zahlungen – die Freistellung von den Gutachterkosten i.H.v. noch 184,03 € verlangen ( 80 % von 613,45€ abzgl. 306,73€).

Verzugszinsen können die Parteien nach § 286 [BGB] verlangen. Die vorgerichtlichen, nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten kann der Kläger von den Beklagten ebenfalls nach § 286 BGB verlangen, da Rechtsverfolgungskosten zum Verzugsschaden gehören.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 100 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 713, 709 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 18.12.2013 – 20 C 1011/12

Haftungsverteilung bei Unfall auf Parkplatz

Nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz (LG Görlitz, Urteil vom 17.12.2011 – 2 S 4/11) reicht es bei einem Unfall zwischen zwei ausparkenden Fahrzeugen für eine Verschiebung der anteiligen Haftung nicht aus, wenn ein Fahrzeug nur wenige Sekunden vor dem Anstoß des anderen Fahrzeugs zum Stillstand kam und den anderen Fahrzeugführer nicht durch ein Schallzeichen warnt.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

„Die Klägerin hatte ihr Fahrzeug zunächst in einer Parktasche auf dem Parkplatz des Einkaufsmarktes geparkt. In einer schräg gegenüberliegenden, durch eine Fahrgasse getrennten Parktasche stand der Beklagte Ziffer 1 mit seinem Fahrzeug, das bei der Beklagten Ziffer 2 haftpflichtversichert ist. Die Fahrzeuge der Parteien kollidierten beim Rückwärtsausparken.

[…]

Der statthaften und auch im Übrigen zulässigen Berufung der Klägerin bleibt in der Sache der Erfolg versagt.

Zu Recht hat das Amtsgericht einen über den zuerkannten Anspruch hinausgehenden Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten verneint.

[…]

Mit Recht ist das Erstgericht – ohne dazu explizit in den Urteilsgründen auszuführen – zu nächst davon ausgegangen, dass beide Parteien grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§7, 17 StVG i. V m. § 115 VVG einzustehen haben.

Der Nachweis der Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls ist der Klägerin nicht gelungen.

Ein unabwendbares Ereignis setzt voraus, dass der Unfall auch bei Einhaltung der äußersten möglichen Sorgfalt durch einen Idealfahrer nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne des § 276 BGB hinaus (vgl. z. B. BGHZ 117, 337; BGHZ 113, 164).

Dass die Klägerin indes derart sorgfältig gehandelt hätte, ist nicht erwiesen. Wer in einem haltenden Fahrzeug bemerkt, dass er ein rangierendes Fahrzeug gefährdet (oder dieses ihn), aber kein Warnzeichen gibt, macht sich in der Regel mitschuldig (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Rn. 8 zu § 16 StVO). Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Klägerin, wenn sie denn solange gestanden hätte, dass dies für die Schadensverursachungsquote relevant gewesen wäre, jedenfalls die Pflicht gehabt hätte, den Fahrer des herannahenden Fahrzeuges durch Hupen auf die gefährliche Situation aufmerksam zu machen. Gehupt hat die Klägerin selbst aber unstreitig nicht.

Steht mithin die Haftung beider Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß §§ 17, 18 Abs. 3 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Wenn, wie hier, beide Fahrer identische Sorgfaltspflichten – hier entsprechend § 9 Abs. 5 StVO – erfüllen müssen, begründet ein beiderseitiger Verstoß gegen diese Sorgfaltspflichten grundsätzlich eine Haftungsquote von 50 %.

Eine höhere Haftungsquote der Beklagten hätte die Klägerin nur für den Fall durchsetzen können, dass es ihr gelungen wäre, zu beweisen, dass ihr Fahrzeug bereits längere Zeit gestanden hat. Dieser Beweis ist ihr nicht gelungen.

Die Angaben der Klägerin selbst zu der Frage, wie lange ihr PKW gestanden hat, bevor es zur Kollision kam, waren ungenau. Sie meinte, es seien „Sekunden“ gewesen.

Auch die Zeugin S[…] gab an, dass die Klägerin „nur Sekunden“ gestanden hätte, bevor es zum Zusammenstoß kam.

Diese Angaben genügen nicht, um zu belegen, dass die Gefährdung, die die Klägerin durch ihr eigenes Rück[w]ä[…]rtsfahren gesetzt hat, durch längeres Anhalten neutralisiert worden wäre.

Vielmehr geht auch das Berufungsgericht davon aus, dass es sich allenfalls um einen sehr kurzen Zeitraum gehandelt haben kann, in dem das klägerische Fahrzeug vollständig zum Stillstand gekommen war. Jedenfalls war der Zeitraum so kurz, dass die Klägerin selbst offen sichtlich nicht zum Hupen gekommen ist, um den Beklagten Z[i]ffer 1 zu warnen.

Die Beklagten sind daher der Klägerin lediglich zum hälftigen Schadensersatz verpflichtet.“

LG Görlitz, Urteil vom 17.12.2011 – 2 S 4/11

Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall, bei dem der Abbiegende kurzzeitig zuvor den Fahrtrichtungsanzeiger setzte und wieder ausschaltet

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2011 – 20 C 407/11) trifft den Wartepflichtigen bei einem Verkehrsunfall die überwiegende Haftung, wenn der vermeintlich Abbiegende nur den Fahrtrichtungsanzeiger setzte und wieder ausschaltet.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

„Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf weiteren Schadensersatz in zuerkannter Höhe nach §§ 7,17 StVG, 823, 249 BGB, 115 VVG.

Nach den genannten Vorschriften ist für die Haftung dem Grunde nach auf die Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der am Unfall beteiligten Kraftfahrer und ihrer Fahrzeuge abzustellen. Die Abwägung aller unfallrelevanten Verschuldens- und Verursachungsanteile führt im vorliegenden Streitfall dazu, dass der Kläger 1/3, die Beklagten 2/3 der Unfallfolgen zu tragen haben.

Dabei hat das Gericht durch die Beweisaufnahme folgenden Sachverhalt festgestellt:

Am Unfalltag, dem […].08.2011, fuhr die Zeugin T[…] mit dem Pkw des Klägers auf dem G[…]ring. In Annäherung an die von rechts kommende Einmündung der F[…]straße sah die Zeugin T[…] hinter der Einmündung auf dem G[…]ring eine Baustelle und dachte zunächst, dass ein Vorbeifahren an dieser Baustelle nicht möglich sei, weshalb sie mindestens zweimal den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigte. Den rechten Fahrtrichtungsanzeiger schaltete die danach wieder aus, weil sie dann sah, dass vor ihr auf dem G[…]ring fahrende Fahrzeuge die Baustelle passieren konnten. Die Beklagte zu 1), die mit ihrem Pkw Renault an der Einmündung der F[…]straße zum G[…]ring angehalten hatte, sah zunächst nach links in Richtung des herannahenden Pkw Audi. Sie sah dabei den rechten Fahrtrichtungsanzeiger zweimal blinken. Außerdem sah sie, dass die Zeugin T[…] die Fahrt verlangsamte. Danach blickte die Beklagte zu 1) nach rechts. Ohne sich nochmals nach links zu vergewissern, fuhr sie danach in den G[…]ring ein. Zwischenzeitlich hatte die Zeugin T[…] ihre Abbiegeabsicht aufgegeben, so dass es zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge kam. Dieser festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den Angaben der Beklagten zu 1) und der Zeugin V[…]. Die Zeugin V[…] hat angegeben, dass die Zeugin Laura T[…] mindestens zweimal den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und die Fahrt verlangsamt hat. Die Beklagte zu 1) hat angegeben, dass die Zeugin T[…] den rechten Fahrtrichtungsanzeiger viermal hat blinken lassen. Im Gegensatz zur Angabe der Zeugin T[…] geht das Gericht davon aus, dass die Zeugin T[…] die Fahrt verlangsamt hat und mindestens zweimal rechts geblinkt hat. Die Beklagte zu 1) hat ferner bestätigt, dass sie sich vor dem Einfahren in den G[…]ring nicht nochmals nach links orientiert hat.

Die sich aufgrund dieser Sachverhaltsfeststellung ergebende Rechtsfrage, ob sich der Wartepflichtige auf ein Blinkzeichen des Pkw auf der vorrangigen Straße verlassen kann, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Pkw-Fahrer auf der Vorfahrtsstraße, der den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt, für den Wartepflichtigen einen Vertrauenstatbestand schafft, auf den sich der Wartepflichtige auch verlassen kann. Demgegenüber folgt das erkennende Gericht der Gegenmeinung (OLG Dresden, Versicherungsrecht 1995, S. 234, OLG Hamm, NZV2003, S. 414), nach der sich der Wartepflichtige allein auf den betätigten Fahrtrichtungsanzeigers des Pkw auf der vorrangingen Straße nicht verlassen darf; vielmehr muss der Wartepflichtige solange mit dem Einfahren in die Vorfahrtsstraße warten, bis er erkennen kann, dass der Pkw auf der vorrangigen Straße entsprechend dem gesetzten Fahrtrichtungsanzeiger auch wirklich abbiegen wird.

Tut der Wartepflichtige dies nicht, vertraut er also allein auf den gesetzten Fahrtrichtungsanzeiger, dann trifft ihn die überwiegende Haftung. Diese ist regelmäßig mit zwei Dritteln zu bemessen. So verhält es sich auch im Streitfall. Die Beklagte zu 1) hat sich allein auf den Fahrtrichtungsanzeiger der Zeugin T[…] verlassen. Sie hat dann nach rechts gesehen. Als aus dieser Richtung kein Verkehr mehr kam, ist sie dann losgefahren und in die vorrangige Straße eingefahren, ohne sich durch einen Blick nach links zu vergewissern, ob die Zeugin T[…] wirklich nach rechts in die F[…]straße einbiegt. Die Beklagte zu 1) trifft daher das überwiegende Verschulden. Aber auch die Zeugin T[…] hat durch das Betätigen des rechten Fahrtrichtungsanzeigers zum Unfall beigetragen. Ihre Mithaftung ist entsprechend den genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte mit einem Drittel zu bewerten.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2011 – 20 C 407/11

Keine Wertminderung für ein mehr als fünf Jahre altes Fahrzeug

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Dresden (AG Dresden, Urteil vom 22.7.2011 – 112 C 2416/11) hat der Geschädigte beim Verkehrsunfall grundsätzlich keinen Anspruch auf Erstattung einer Wertminderung, wenn sein Fahrzeug älter als fünf Jahre ist.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

„Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger kann nicht gem. §§ 7 Abs. 1 StVG, 249 Abs. 1 und Abs. 2, 251 BGB, 115 Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1 WG, 1 PflVersG von der Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalles vom […].[…].2010 weiteren Schadenersatz beanspruchen.

Zu Gunsten des Klägers greift der Haftungstatbestand aus § 7 Abs. 1 StVG ein, da im Sinne dieser Vorschrift „bei dem Betrieb“ des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw […] eine Sache des Klägers, nämlich sein Pkw […], beschädigt wurde.

Der Fahrer oder die Fahrerin des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges haben den Unfall auch allein zu vertreten, sodass kein Haftungsausschluss nach § 17 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 StVG in Betracht kommt. Das steht zwischen den Parteien außer Streit.

Jedoch kommen weitere Schadenersatzansprüche des Klägers nach den §§249 Abs. 1 und Abs. 2, 251 BGB nicht in Betracht, da dieser hier nur noch als Hauptforderung eine merkantile Wertminderung begehrt, die aber angesichts des Alters des Klägerwagens ausgeschlossen ist. Der Klägerwagen war im Zeitpunkt des Unfalles vom […].[…].2010 unstreitig mehr als fünf Jahre alt. Bei einem derartigen Fahrzeugalter ist eine merkantile Wertminderung in der Regel ausgeschlossen (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 68. Auflage 2008, Rn 14 zu § 251 BGB m.w.N.).

Zwar ist die vorgenannte Altergrenze keine starres Limit. Auch bei Fahrzeugen, die älter als fünf Jahre sind, kann ausnahmsweise eine merkantile Wertminderung in Betracht kommen, und zwar dann, wenn das Alter durch außergewöhliche den Fahrzeugwert positiv beeinflussende verkehrswesentliche Eigenschaften kompensiert wird (vgl. Palandt-Grüneberg, a.a.O.).

Ist beispielsweise die genannte Altersgrenze von 5 Jahren nur geringfügig überschritten, kann eine Fahrleistung, die für fünfjährige Fahrzeuge als unterdurchschnittlich anzusehen ist, oder auch eine außergewöhnliche Verbesserungsinvest[i]tion – wie etwa ein neuer Motor- zu einer solchen Kompensation führen.

Im Falle des Klägers und seines unfallbeteilten Pkw kann von einem solchen Kompensationseffekt aber nicht ausgegangen werden. Der klägerische Pkw Audi war am […].[…].2002 erstzugelassen worden und befand sich damit im Zeitpunkt des Unfalles schon im neunten Zulassungsjahr. Er hatte zur Unfallzeit außerdem bereits 82.808 km zurückgelegt, und befand sich, als er auf den Kläger zugelassen wurde, auch nicht mehr in erster Hand (vgl. insoweit Gutachten des Kfz-Sachverständigenzentrums […]) Es ist außerdem nicht ersichtlich, dass an dem Wagen außergewöhnliche Verbesserungsmaßnahmen durchgeführt worden sind.

Die Klage musste demnach insgesamt der Abweisung unterliegen.“

AG Dresden, Urteil vom 22.7.2011 – 112 C 2416/11