Nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz (LG Görlitz, Urteil vom 17.12.2011 – 2 S 4/11) reicht es bei einem Unfall zwischen zwei ausparkenden Fahrzeugen für eine Verschiebung der anteiligen Haftung nicht aus, wenn ein Fahrzeug nur wenige Sekunden vor dem Anstoß des anderen Fahrzeugs zum Stillstand kam und den anderen Fahrzeugführer nicht durch ein Schallzeichen warnt.
Auszug aus der Gerichtsentscheidung:
„Die Klägerin hatte ihr Fahrzeug zunächst in einer Parktasche auf dem Parkplatz des Einkaufsmarktes geparkt. In einer schräg gegenüberliegenden, durch eine Fahrgasse getrennten Parktasche stand der Beklagte Ziffer 1 mit seinem Fahrzeug, das bei der Beklagten Ziffer 2 haftpflichtversichert ist. Die Fahrzeuge der Parteien kollidierten beim Rückwärtsausparken.
[…]
Der statthaften und auch im Übrigen zulässigen Berufung der Klägerin bleibt in der Sache der Erfolg versagt.
Zu Recht hat das Amtsgericht einen über den zuerkannten Anspruch hinausgehenden Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten verneint.
[…]
Mit Recht ist das Erstgericht – ohne dazu explizit in den Urteilsgründen auszuführen – zu nächst davon ausgegangen, dass beide Parteien grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§7, 17 StVG i. V m. § 115 VVG einzustehen haben.
Der Nachweis der Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls ist der Klägerin nicht gelungen.
Ein unabwendbares Ereignis setzt voraus, dass der Unfall auch bei Einhaltung der äußersten möglichen Sorgfalt durch einen Idealfahrer nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne des § 276 BGB hinaus (vgl. z. B. BGHZ 117, 337; BGHZ 113, 164).
Dass die Klägerin indes derart sorgfältig gehandelt hätte, ist nicht erwiesen. Wer in einem haltenden Fahrzeug bemerkt, dass er ein rangierendes Fahrzeug gefährdet (oder dieses ihn), aber kein Warnzeichen gibt, macht sich in der Regel mitschuldig (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Rn. 8 zu § 16 StVO). Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Klägerin, wenn sie denn solange gestanden hätte, dass dies für die Schadensverursachungsquote relevant gewesen wäre, jedenfalls die Pflicht gehabt hätte, den Fahrer des herannahenden Fahrzeuges durch Hupen auf die gefährliche Situation aufmerksam zu machen. Gehupt hat die Klägerin selbst aber unstreitig nicht.
Steht mithin die Haftung beider Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß §§ 17, 18 Abs. 3 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Wenn, wie hier, beide Fahrer identische Sorgfaltspflichten – hier entsprechend § 9 Abs. 5 StVO – erfüllen müssen, begründet ein beiderseitiger Verstoß gegen diese Sorgfaltspflichten grundsätzlich eine Haftungsquote von 50 %.
Eine höhere Haftungsquote der Beklagten hätte die Klägerin nur für den Fall durchsetzen können, dass es ihr gelungen wäre, zu beweisen, dass ihr Fahrzeug bereits längere Zeit gestanden hat. Dieser Beweis ist ihr nicht gelungen.
Die Angaben der Klägerin selbst zu der Frage, wie lange ihr PKW gestanden hat, bevor es zur Kollision kam, waren ungenau. Sie meinte, es seien „Sekunden“ gewesen.
Auch die Zeugin S[…] gab an, dass die Klägerin „nur Sekunden“ gestanden hätte, bevor es zum Zusammenstoß kam.
Diese Angaben genügen nicht, um zu belegen, dass die Gefährdung, die die Klägerin durch ihr eigenes Rück[w]ä[…]rtsfahren gesetzt hat, durch längeres Anhalten neutralisiert worden wäre.
Vielmehr geht auch das Berufungsgericht davon aus, dass es sich allenfalls um einen sehr kurzen Zeitraum gehandelt haben kann, in dem das klägerische Fahrzeug vollständig zum Stillstand gekommen war. Jedenfalls war der Zeitraum so kurz, dass die Klägerin selbst offen sichtlich nicht zum Hupen gekommen ist, um den Beklagten Z[i]ffer 1 zu warnen.
Die Beklagten sind daher der Klägerin lediglich zum hälftigen Schadensersatz verpflichtet.“
LG Görlitz, Urteil vom 17.12.2011 – 2 S 4/11