Anscheinsbeweis auf Parkplätzen: Haftung allein des rückwärts Ausparkenden

Das Landgericht Görlitz (Az. 1 O 408/24) hat die beklagte Haftpflichtversicherung zur Zahlung restlichen Schadensersatzes, zur Freistellung von Gutachter- und Anwaltskosten sowie zur Übernahme weiterer unfallbedingter Kosten verurteilt. Grundlage der Haftung waren §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG, da der Unfall bei Betrieb des versicherten Fahrzeugs entstand und kein Haftungsausschluss nach § 7 Abs. 2 StVG vorlag.

Im Rahmen der Haftungsverteilung stellte das Gericht nach Beweisaufnahme fest, dass der Unfall allein durch die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs verursacht wurde. Der Zeuge, Fahrer des klägerischen Transporters, habe mit Schrittgeschwindigkeit und Warnblinklicht auf dem Zufahrtsweg rückwärtsfahrend die Parktasche nahezu vollständig passiert, als das Beklagtenfahrzeug unvermittelt rückwärts ausparkte und gegen den vorderen rechten Kotflügel des Klägers stieß. Die Fahrerin habe ihre Schuld sowohl gegenüber dem Zeugen als auch der Polizei eingeräumt. Das Schadensbild bestätigte diesen Hergang.

Rechtlich maßgeblich war der Anscheinsbeweis: Wer rückwärts aus einer Parklücke in den fließenden Verkehr einfährt, unterliegt einer gesteigerten Sorgfaltspflicht (§ 9 Abs. 5 StVO) und muss eine Gefährdung anderer ausschließen. Ein typischer Geschehensablauf spricht dafür, dass ein Zusammenstoß in dieser Situation auf unzureichende Rückschau oder mangelnde Vorsicht des Ausparkenden zurückzuführen ist. Der Anscheinsbeweis kann nur entkräftet werden, wenn konkrete Tatsachen einen atypischen Ablauf belegen. Dies gelang der Beklagten nicht. Ihr Einwand, auch der Kläger habe beim Rückwärtsfahren gegen Sorgfaltspflichten verstoßen, scheiterte daran, dass die Pflichten eines bereits im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeugs – auch rückwärtsfahrend – geringer wiegen und keine Anhaltspunkte für eine unfallursächliche Pflichtverletzung des Klägers bestanden. Das Schadensbild und die Zeugenaussage belegten vielmehr, dass der Klägerfahrer äußerste Vorsicht walten ließ.

Mangels Mitverursachung trat die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs zurück (§ 17 Abs. 3 StVG). Der Beklagteneinwand zur Schadenshöhe (Verweis auf günstigere Werkstatt) wurde wegen Unzumutbarkeit der Entfernung und fehlender Qualitätsdarlegung verworfen. Weitere Einwendungen zur Folierung, Schadensminderungspflicht und Vorhaltekosten blieben ebenfalls ohne Erfolg. Das Gericht bejahte auch die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltskosten und der geltend gemachten Zinsen.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richter […] als Einzelrichter

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2025 am 30.07.2025

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.560,96 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € seit dem 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 6.10.2024 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von offenen Forderungen in Höhe von 334,15 € aus der Rechnung Nr. 6202195439 vom 19.9.2024 freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 237,10 € freizustellen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 28.08.2024, gegen 10:15 Uhr in Görlitz, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

5. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert bleibt auf 5.360,62 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.

Der Kläger ist Eigentümer des Transporters vom Typ Ford Transit 350 mit dem amtlichen Kennzeichen […]. Die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung des am Unfall beteiligten Pkws vom Typ Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen […], der zum Unfallzeitpunkt von Frau […] Li[…] geführt wurde.

Am 28. August 2024 ereignete sich gegen 10:15 Uhr ein Verkehrsunfall auf dem Parkplatz an der Zittauer Straße, hinter Hausnummer 144 in Görlitz, an dem die beiden vorgenannten Fahrzeuge beteiligt waren.

Der Zeuge […] La[…] fuhr dabei mit dem Fahrzeug des Klägers mit Schrittgeschwindigkeit rückwärts auf dem Zufahrtsweg des Parkplatzes am senkrecht zum Zufahrtsweg in einer Parktasche geparkten Fahrzeug der Schädigerin vorbei. Kurz bevor das Fahrzeug des Klägers das Fahrzeug der Beklagtenseite vollständig passiert hatte fuhr das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärts aus der Parktasche heraus und stieß gegen den vorderen rechten Kotflügel des Fahrzeugs des Klägers.

Die Klage wurde am 17.12.2024 bei Gericht eingereicht. Am 11.01.2025 wurde die Klage der Beklagten zugestellt, wodurch Rechtshängigkeit eintrat.

Nach Rechtshängigkeit, am 30. Januar 2025, leistete die Beklagte eine Zahlung in Höhe von insgesamt 1.985,87 € an den Kläger. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus 1.639,22 € für den Fahrzeugschaden, 12,50 € als Unkostenpauschale und 334,15 € für Sachverständigenkosten.

Der Kläger hat daraufhin die Klageanträge zu Ziffern 1 und 2 in Höhe der erhaltenen Zahlungen für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Teilerledigungserklärung angeschlossen.

Der Kläger behauptet der Unfall sei für den Zeugen La[…] unvermeidbar gewesen. Darüber hinaus seien die eingeforderten Kosten notwendig für die Reparatur gewesen. Für den Feststellungsantrag bestehe ein Feststellungsinteresse, da die Vorhaltekosten durch die Reparatur berechnet werden.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.560,96 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € seit dem 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 6.10.2024 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von offenen Forderungen in Höhe von 334,15 € aus der Rechnung Nr. 6202195439 vom 19.9.2024 freizustellen.

3. die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 237,10 € freizustellen.

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 28.08.2024, gegen 10:15 Uhr in Görlitz, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen

Sie behauptet der Zeuge La[…] habe den begonnenen Ausparkvorgang des Mercedes nicht bemerkt und habe deswegen seine erhöhten Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren missachtet. Sie ist ferner der Ansicht, dass sich der Kläger im Rahmen der Schadensminderungspflicht auf einen qualifizierten, nicht markengebundenen Karosserie- und Lackiererfachbetrieb in seiner Nähe verweisen lassen müsse, der die Reparatur kostengünstiger anbiete.

Das Gericht hat im Rahmen der Hauptverhandlung am 09.07.2025 Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen […] La[…] und Inaugenscheinnahme der beigezogenen Akte […] der Polizeidirektion Görlitz. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.07.2025 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Die Klage ist in Höhe von 1.639,22 € für den Fahrzeugschaden, 12,50 € für die Unkostenpauschale und 334,15 € für die Gutachterkosten erledigt. Die Klage wurde übereinstimmend in der Höhe für erledigt erklärt.

II. Die Klageforderung ist begründet.

Die Haftung der Beklagten ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG in Verbindung mit § 1 PflVG.

Danach kann ein Geschädigter einen Anspruch gegen den Versicherer eines unfallbeteiligten Fahrzeuges geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung nach § 1 PflVG handelt, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG.

Gemäß § 1 PflVG ist der Halter eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers mit regelmäßigem Standort im Inland verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten, wenn das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen (§ 1 StVG) verwendet wird.

Bei der hiesigen Beklagten handelt es sich indes unstreitig um die Haftpflichtversicherung des Fahrzeuges der […] Li[…].

Durch den Unfall ist der Kläger unstreitig mit der Beschädigung seines Fahrzeuges in den durch § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsgütern verletzt worden.

Der Unfall ist auch unstreitig bei Betrieb eines Fahrzeuges – namentlich eines Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen […], der zum Unfallzeitpunkt von Frau […] Li[…] geführt wurde – entstanden. Insoweit hat sich auch unstreitig die Betriebsgefahr des Fahrzeuges realisiert.

Ein Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG wurde nicht geltend gemacht und ist aus den dargelegten Tatsachen auch nicht ersichtlich.

Im Rahmen der konkreten Haftungsverteilung wird von einem derart überwiegenden Verschulden des beklagten Fahrzeuges auszugehen sein, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges hinter dieser zurücktritt, § 17 Abs. 1 StVG.

a) Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Unfall, wie vom Kläger vorgetragen, allein durch ein Verschulden der Fahrerin des beklagten Fahrzeugs verursacht wurde.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen […] La[…] und die Inaugenscheinnahme der beigezogene Akte 14297/24/138211 der Polizeidirektion Görlitz, insbesondere der dort enthaltenen Lichtbilder.

Der Zeuge […] La[…] hat in seiner am 09.07.2025 erfolgten Vernehmung den vom Kläger geschilderten Unfallhergang glaubhaft und widerspruchsfrei bestätigt. Er gab an, dass er mit Schrittgeschwindigkeit rückwärts mit dem klägerischen Fahrzeug unter Nutzung des Warnblinklichts fuhr, um zum Getränkemarkt zu gelangen, als das beklagte Fahrzeug plötzlich aus der Parktasche rückwärtig ausparkte und mit der Vorderseite des klägerischen Fahrzeuges kollidierte. Zu dem Zeitpunkt sei er bereits zu zwei Drittel an dem anderen Fahrzeug vorbei gewesen. Anschließend habe Frau Li[…] ihre Schuld ihm und der Polizei gegenüber eingestanden. Auf Frage des Gerichts ergänzte der Zeuge, dass er die Spiegel beim Rückwärtsfahren beobachtete und auch die Sensoren nicht angeschlagen haben. Das andere Fahrzeug habe auch nicht geblinkt. Weiterhin bestätigte er auf Frage des Beklagtenvertreters, dass die Darstellung auf B 1 akkurat sei und die Kollision ungefähr auf Höhe der Blumenkübel stattgefunden habe. Er habe sich „bereits in Antizipation eines Ausparkvorgangs sehr weit außen aufgehalten, um einen Unfall zu vermeiden.“

Die Aussage des Zeugen war präzise, detailliert und in sich schlüssig. Er konnte den Ablauf des Geschehens klar darstellen und machte keine Angaben, die auf eine Schönfärberei zugunsten des Klägers hindeuteten. Seine Schilderung, dass das Klägerfahrzeug die Parktasche des Beklagtenfahrzeugs bereits zu zwei Dritteln passiert hatte, als der Zusammenstoß erfolgte, ist plausibel und wird durch das Schadensbild gestützt. Die Behauptungen der Beklagtenseite, die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs habe bereits mit dem Ausparkvorgang begonnen, bevor der Kläger-Transporter um die Ecke fuhr, und der Klägerfahrer habe diesen begonnenen Ausparkvorgang nicht rechtzeitig erkannt, werden durch die glaubhafte Zeugenaussage und das eindeutige Schadensbild an der Fahrzeugfront des klägerischen Fahrzeuges widerlegt und sind als unzutreffend zu qualifizieren. Die Aussage des Zeugen, er habe die Spiegel beobachtet und seine Sensoren hätten nicht angeschlagen, sowie dass das andere Fahrzeug nicht geblinkt habe, untermauert seine Sorgfalt und die Unerwartetheit des Kollisionsgeschehens.

Die vom Gericht in Augenschein genommenen Lichtbilder 1 und 2 aus der polizeilichen Ermittlungsakte […], die die Fahrzeugstellungen nach der Kollision dokumentieren sollen, stehen der klägerischen Darstellung nicht entgegen. Zwar mag die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs nach der Kollision ein Stück vorwärts gefahren sein, um den Schaden zu begutachten, wie von der Beklagten vorgetragen. Diese nachträgliche Bewegung ändert jedoch nichts am primären Unfallhergang. Die Ausgangsstellung der Fahrzeuge vor der Kollision, wie vom Zeugen La[…] geschildert und durch seine Aussage bestätigt, dass die Darstellung […] akkurat sei und die Kollision auf Höhe der Blumenkübel stattfand, wird durch diese Lichtbilder nicht widerlegt.

Die Aussage der Unfallverursacherin, Frau […] Li[…], gegenüber dem Zeugen La[…] und auch der Polizei, sie habe sein Fahrzeug schlicht übersehen und es sei ihre Schuld gewesen, ist ein starkes Indiz für die Missachtung ihrer Rückschaupflicht gemäß § 9 Abs. 5 StVO. Ein Anscheinsbeweis spricht grundsätzlich gegen denjenigen, der aus dem ruhenden Verkehr, insbesondere aus einer Parklücke, in den fließenden Verkehr einfährt oder rückwärts ausparkt. Von ihm wird eine erhöhte Sorgfaltspflicht verlangt, um jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Die Beklagtenfahrerin hatte beim Rückwärtsfahren die Pflicht, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Hierzu gehört insbesondere die sorgfältige Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs durch Rückspiegel oder direkte Sicht sowie die nötige Vorsicht beim Anfahren. Der Transporter des Klägers bewegte sich langsam in Schrittgeschwindigkeit auf dem Zufahrtsweg und querte hinter dem Fahrzeug der Schädigerin, wobei er die Parktasche bereits nahezu vollständig passiert hatte.
Aufgrund dieser langsamen Bewegung und der Größe des klägerischen Transporters war dieser über einen längeren Zeitraum hinweg gut sichtbar. Die Aussage der Schädigerin, das Fahrzeug nicht gesehen zu haben, verdeutlicht somit, dass sie entweder nicht oder nicht ausreichend in die relevanten Sichtbereiche geschaut hat.

Die Beklagte wendet ein, dass auch der Fahrer des klägerischen Transporters den bereits begonnenen Ausparkvorgang des Mercedes nicht rechtzeitig erkannt habe und daher der Anscheinsbeweis für ungenügende Sorgfalt bei der Rückwärtsfahrt auch zu Lasten des Klägers streite. Dies greift im vorliegenden Fall nicht durch. Die Pflichten desjenigen, der rückwärts aus einer Parklücke ausfährt und dabei in den fließenden Verkehr gerät, sind deutlich höher als die Pflichten desjenigen, der bereits im fließenden Verkehr – auch rückwärts – fährt. Der Anscheinsbeweis gegen den Ausparkenden aus einer Parklücke wird nur dann erschüttert, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der andere Verkehrsteilnehmer seine Sorgfaltspflicht in einem Maße verletzt hat, das den typischen Geschehensablauf einer Kollision beim Ausparken widerlegt. Solche Anhaltspunkte hat die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Insbesondere das vom Kläger dargelegte und durch das Gutachten gestützte Schadensbild sowie die Zeugenaussage sprechen dafür, dass der Klägerfahrer mit Schrittgeschwindigkeit fuhr und keine unfallursächliche Sorgfaltspflichtverletzung begangen hat. Der Zeuge La[…] hat ausdrücklich angegeben, dass er sich „sehr weit außen aufgehalten“ habe, „um einen Unfall zu vermeiden“, was seine besondere Vorsicht unterstreicht.

Das vorgelegte Sachverständigengutachten […] vom 19. September 2024 […] und die darin enthaltenen Abbildungen des Schadensbildes (Abbildung 2) stützen den vom Kläger vorgetragenen Unfallhergang. Der Sachverständige […] hat in seinem Gutachten den Schaden als „starken Anstoß von vorn rechts auf die rechte vordere Fahrzeugseite“ beschrieben, wobei Kotflügel, Beifahrertür und Radlauf eingedrückt, der Stoßfänger verschrammt und die Radhausschale gebrochen seien. Der „erhebliche Deformationsgrad des vorderen rechten Kotflügels“ deutet auf eine erhebliche kinetische Energie beim Aufprall hin, was die vom Kläger geschilderte „erhebliche Beschleunigung“ des Beklagtenfahrzeugs plausibel macht. Die „kurzen, parallel verlaufenden Kratzspuren in Fahrtrichtung“ in einem begrenzten Bereich am Klägerfahrzeug sind ein weiteres Indiz dafür, dass das Klägerfahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision maximal mit Schrittgeschwindigkeit fuhr oder nahezu stand. Dies bestätigt die Aussage des Zeugen La[…] und widerlegt etwaige Behauptungen einer Mitschuld des Klägers aufgrund überhöhter Geschwindigkeit oder einer unvorsichtigen Rückwärtsfahrt. Handlungsalternativen des Zeugen La[…], die zu einer Vermeidung des Unfalls geführt hätten, sind insgesamt nicht ersichtlich.

Aufgrund dieser umfassenden Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs den Unfall allein verschuldet hat und für den Kläger der Unfall unvermeidbar war. Eine Haftung aus Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist ausgeschlossen, da der Unfall für den Kläger auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt nicht abwendbar war.

b) Auch sind die vom Kläger noch geltend gemachten Schadenspositionen sind der Höhe nach gerechtfertigt. Der noch offene Restbetrag des Fahrzeugschadens in Höhe von 2.548,46 € und die restlichen Gutachterkosten in Höhe von 334,15 € (Freistellungsanspruch) sind dem Grunde und der Höhe nach als erstattungsfähig anzusehen.

(1) Die Beklagte bestreitet den Fahrzeugschaden der Höhe nach, soweit er 3.278,44 € netto übersteigt, und verweist auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einem Eurogarant-zertifizierten Fachbetrieb. Ein solcher Verweis kann unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB grundsätzlich zulässig sein, wenn der Schädiger darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und keine Unzumutbarkeit für den Geschädigten vorliegt.

Hierzu ist festzustellen, dass die Beweislast für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht, zu dem auch die Verweisung auf eine günstigere Werkstatt gehört, beim Schädiger liegt. Zwar ist es zutreffend, dass der Bundesgerichtshof die Verweisung auf qualifizierte freie Fachwerkstätten für zulässig erachtet, wenn deren Qualitätsstandard dem einer markengebundenen Werkstatt entspricht, die Beklagte hat jedoch nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass die im Sachverständigengutachten des Klägers angesetzten Stundenverrechnungssätze überhöht sind und dass die von ihr genannte Referenzwerkstatt die Reparatur zu den von ihr genannten geringeren Sätzen durchführen würde, ohne Qualitätsverluste zu erleiden. Das pauschale Bestreiten der Ortsüblichkeit der im Gutachten ausgewiesenen Stundenverrechnungssätze durch die Beklagte ist unbeachtlich, da keine konkreten Vergleichsdaten oder eine substantiierte Darlegung der Unwirtschaftlichkeit der im Gutachten angesetzten Sätze vorgelegt wurden.

Darüber hinaus hat der Kläger substantiiert dargelegt, dass die Verweisung auf den von der Beklagten benannten Referenzbetrieb unzumutbar ist. Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass die Entfernung zwischen dem Unternehmenssitz des Klägers […] und dem Referenzbetrieb […] 27,6 km beträgt. Nach ständiger Rechtsprechung, wie vom Kläger zutreffend zitiert (z.B. OLG München, Endurteil vom 21.09.2022 – 10 U 5397/21e), wird eine mühelose Erreichbarkeit grundsätzlich nur dann angenommen, wenn die Werkstatt nicht
mehr als 20 km vom Wohn- oder Geschäftsort des Geschädigten entfernt ist. Die Überschreitung dieser Grenze um mehrere Kilometer macht den Verweis auf den Referenzbetrieb für den Kläger unzumutbar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung eines angebotenen Hol- und Bringservices, da der Faktor der Entfernung für die generelle Erreichbarkeit entscheidend ist.
Zudem hat der Kläger mit Nichtwissen bestritten, dass der genannte Betrieb dem Qualitätsstandard einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und die von der Beklagten genannten Stundenverrechnungssätze zutreffen, wofür die Beklagte ebenfalls beweisbelastet ist und keinen hinreichenden Beweis erbracht hat.

Auch der Einwand der Beklagten bezüglich der Neufolierung ist nicht durchgreifend. Die Beklagte hat die Erforderlichkeit der vollständigen Folierung der rechten Fahrzeugseite pauschal bestritten, indem sie auf Vorschäden verwies und angab, nur die Beifahrertür sei unfallbedingt beschädigt. Dies widerspricht dem […] vorgelegten Schadengutachten, das eindeutig feststellt, dass neben der Beifahrertür auch der Kotflügel und der Radlauf eingedrückt und der Stoßfänger verschrammt wurden. Gemäß § 287 ZPO ist davon auszugehen, dass die in einem Schadengutachten aufgeführten Reparaturarbeiten tatsächlich erforderlich sind. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schadensbehebung reicht grundsätzlich nicht aus. Vielmehr obliegt es der Beklagtenseite, substantiiert darzulegen, aus welchen konkreten Gründen die im Gutachten genannten Arbeiten für die Folierung des Fahrzeugs des Klägers nicht erforderlich sein sollen. Der pauschale Einwand der Beklagten bleibt daher unbeachtlich.

(2) Die restliche Unkostenpauschale ist ebenfalls wie bereits ausgeführt der Höhe nach voll erstattungsfähig.

(3) Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB durch den Kläger ist nicht ersichtlich. Die Beweislast für einen solchen Verstoß liegt nach ständiger Rechtsprechung beim Schädiger, hier also bei der Beklagten. Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die einen Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht belegen würden.

Ein Geschädigter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Schadensbehebung einen Kredit aufzunehmen. Es obliegt dem Schädiger, die durch ihn verursachte Schadensbeseitigung zu finanzieren. Auch kann vom Geschädigten nicht verlangt werden, eine etwaige Vollkaskoversicherung zur Vorfinanzierung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen. Der Kläger hat somit alle zumutbaren Schritte unternommen, um den Schaden zu begrenzen, und ist nicht verpflichtet, die Schadensregulierung vorzufinanzieren.

(4) Auch der Feststellungsantrag hinsichtlich der weiteren Kosten des Klägers ist zulässig und begründet. Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs eine Standzeit von vier Tagen erforderlich ist, was sich aus dem vorgelegten Sachverständigengutachten […] vom 19. September 2024 […] ergibt.

Die Beklagte bestreitet die Geltendmachung von Vorhaltekosten mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu gewerblich genutzten Fahrzeugen, wonach dem vorübergehenden Entzug der Gebrauchsmöglichkeit als solchem kein eigenständiger Vermögenswert zukomme und der Kläger nach Gutachten abrechnen wolle, weshalb keine Umsatzsteuer anfalle. Dieser Einwand greift jedoch nicht durch.

Zum einen hat der Kläger klargestellt, dass er keine Umsatzsteuer als potenziellen weiteren Schaden geltend gemacht hat, sodass die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten ins Leere laufen.

Zum anderen bezieht sich die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2018, VII ZR 285/17) auf die abstrakte Geltendmachung eines Nutzungsausfallschadens bei gewerblich genutzten Fahrzeugen. Der Kläger macht hier jedoch keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung geltend, sondern konkrete Vorhaltekosten für die – sich noch bestimmende – tatsächlich erforderliche Reparaturdauer. Diese Vorhaltekosten stellen einen konkreten Vermögensschaden dar, der dem Kläger infolge des unfallbedingten Ausfalls des Fahrzeugs entstehen werden. Sie umfassen Positionen wie Kapitalbindungskosten, Wertverlust, Fixkosten, Wartungspauschalen und Standkosten, die unabhängig
von einer konkreten Nutzung oder Gewinnerzielung während der Reparaturdauer anfallen. Die vom Kläger dargelegten Kostenkomponenten sind daher nachvollziehbar und als typische Positionen für die Vorhaltung eines gewerblich genutzten Fahrzeugs anzusehen. Diese Kosten sind kausal auf den Unfall zurückzuführen und daher vom Schädiger zu ersetzen. Die Erstattungsfähigkeit von Vorhaltekosten bei gewerblich genutzten Fahrzeugen ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BGHZ 70, 199 (201); OLG Koblenz NZV 2015, 552; AG Pirna, Urteil vom 14.11.2013 – 13 C 848/11; Sanden/Völtz, Kfz-Sachschadensrecht, 8. Auflage, Rn. 226 ff, 231).

(5) Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Freistellung von den nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten für die Einschaltung seiner Rechtsanwälte zu. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall ist nach der Rechtsprechung, die keinen „einfach gelagerten Verkehrsunfall“ annimmt, grundsätzlich als notwendig im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB anzusehen.

Die Höhe der geltend gemachten Kosten in Höhe von 237,10 € entspricht einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zuzüglich einer Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, abzüglich der Anrechnung der 0,65-fachen Geschäftsgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG in Verbindung mit § 15a RVG. Die Berechnung des Klägers ist korrekt und schlüssig. Der umfassende Auftrag an die Prozessbevollmächtigten des Klägers, wie im Schriftsatz detailliert dargelegt, rechtfertigt die Annahme der Regelgebühr. Da der Kläger diese Kosten bislang nicht an seine Prozessbevollmächtigten gezahlt hat, besteht ein Anspruch auf Freistellung gegenüber der Beklagten.

(6) Die geltend gemachten Zinsansprüche sind ebenfalls begründet.

Der Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 ergibt sich aus § 849 BGB, da die Entziehung der Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs infolge der Beschädigung einen Vermögensnachteil darstellt, für den ab dem Folgetag des Unfalls Zinsen zu zahlen sind.

Die Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € für die Zeit vom 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 resultieren aus dem Schuldnerverzug der Beklagten gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat die Beklagte mit Schreiben vom 09.09.2024 und 25.09.2024 zur Zahlung aufgefordert und eine Frist bis zum 02.10.2024 gesetzt. Mit den weiteren Mahnungen vom 04.10.2024, 14.11.2024 und 29.11.2024 ist der Verzug der Beklagten jedenfalls am 06.10.2024 eingetreten.

Soweit weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 31.12.2024 eingefordert werden, bezieht sich der Anspruch auf den nach der Teilleistung der Beklagten verbleibenden Restbetrag der Hauptforderung. Die Beklagte befand sich bereits im Verzug, sodass die Zinspflicht auf dem reduzierten Betrag fortbesteht.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 91a Abs. 1 ZPO für den erledigten Teil. Gemäß § 91a Abs. 1 ZPO ist daher über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Da die Beklagte die Leistung erst nach Rechtshängigkeit der Klage erbracht hat und die Klage bis zur Zahlung in diesem Umfang zulässig und begründet war, fallen die Kosten dieses Teils des Rechtsstreits der Beklagten zur Last.

IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 709 ZPO.

V. Die Streitwertentscheidung begründet sich auf § 3 ZPO und berücksichtigt das verfolgte wirtschaftliche Interesse der Klage.“

LG Görlitz, Urteil vom 30.7.2025 – 1 O 408/24

Anwendbares Recht bei Verkehrsunfällen im Ausland zwischen zwei deutschen Fahrzeughaltern

Kommt es zu einem Verkehrsunfall im Ausland, stellt sich regelmäßig die Frage, welches nationale Recht auf die Schadensregulierung Anwendung findet. Nach der allgemeinen Regel des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II-Verordnung“) gilt grundsätzlich das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt. Für Verkehrsunfälle bedeutet dies, dass in der Regel das Verkehrs- und Haftungsrecht des Unfallorts maßgeblich ist. Ereignet sich der Unfall beispielsweise in Italien, so findet italienisches Recht Anwendung, auch wenn bspw. deutsche Staatsangehörige beteiligt sind.

Hiervon gibt es jedoch eine bedeutsame Ausnahme, die insbesondere bei Verkehrsunfällen im Ausland zwischen zwei Fahrzeugen aus demselben Land relevant wird. Nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-Verordnung ist nämlich dann, wenn der Geschädigte und der Schädiger zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben, das Recht dieses Staates anzuwenden. Wörtlich heißt es:

Haben der Geschädigte und die Person, deren Haftung in Frage kommt, zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so unterliegt das auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht dem Recht dieses Staates.

Im Ergebnis bedeutet dies: Kommt es beispielsweise in Frankreich oder Österreich zu einem Unfall zwischen zwei Fahrzeughaltern, die beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben – etwa Urlauber oder Geschäftsreisende – so richtet sich die zivilrechtliche Haftungsfrage nicht nach französischem oder österreichischem Recht, sondern nach deutschem Recht. Die Schadenersatzansprüche werden dann nach deutschem Recht, insbesondere nach den §§ 7 ff. StVG sowie §§ 823, 249 ff. BGB reguliert.

Gleichwohl sind die im Unfallstaat geltenden Verkehrsregeln nicht bedeutungslos. Diese bleiben für die tatsächliche Beurteilung des Unfallhergangs und des Verhaltens der Beteiligten relevant. Wer etwa gegen die örtliche Vorfahrtsregelung verstößt oder ein dort geltendes Überholverbot missachtet, kann sich hierdurch ein Mitverschulden zurechnen lassen, auch wenn die Haftungsfrage an sich nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Die Verkehrsregeln des Unfallorts konkretisieren also die im Rahmen der Haftungsprüfung zu beachtenden Sorgfaltspflichten.

In der Praxis bedeutet dies für deutsche Beteiligte eine gewisse rechtliche Sicherheit: Trotz eines Auslandsunfalls findet das vertraute deutsche Schadensersatzrecht Anwendung. Dennoch kann die Regulierung des Schadens im Einzelfall aufwändig bleiben, da Beweismittel oft im Ausland gesichert werden müssen, Unfallprotokolle in fremder Sprache vorliegen und möglicherweise auch ausländische Zeugen involviert sind. Es empfiehlt sich daher, frühzeitig anwaltlichen Rat einzuholen, um eine reibungslose und rechtssichere Abwicklung sicherzustellen.

Schadensersatzansprüche bei Fahrzeugbrand: Restwert, Gutachterkosten und Nutzungsausfall im Fokus

In dem vorliegenden Fall entschied das Amtsgericht Dresden (Urteil vom 16. Januar 2025 – 103 C 2114/24) über restliche Schadensersatzansprüche des Klägers, dessen ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug durch einen Brand des benachbarten, bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs beschädigt wurde.

Restwert des beschädigten Fahrzeugs: Der Kläger ließ ein Gutachten erstellen, das einen Restwert von 0 € für sein ausgebranntes Fahrzeug auswies. Daraufhin veranlasste er die Entsorgung des Fahrzeugs. Erst nach dieser Maßnahme legte die Beklagte ein Restwertangebot von 160 € vor. Das Gericht stellte klar, dass der Geschädigte auf die Angaben des Sachverständigen vertrauen darf und nicht verpflichtet ist, alternative Restwertangebote des Schädigers abzuwarten. Daher war die Kürzung des Schadensersatzes um 160 € durch die Beklagte unzulässig.

Sachverständigenkosten: Die Beklagte hatte die Sachverständigenkosten nur teilweise beglichen und argumentierte, das Honorar sei überhöht. Das Gericht betonte jedoch, dass der Geschädigte in der Regel nicht über die Fachkenntnis verfügt, um die Angemessenheit der Gutachterkosten zu beurteilen. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Werkstattrisiko entschied das Gericht, dass der Schädiger auch für möglicherweise überhöhte Sachverständigenkosten haftet, sofern den Geschädigten kein Auswahlverschulden trifft. Somit wurde die Beklagte zur Freistellung des Klägers von den restlichen Sachverständigenkosten verpflichtet.

Nutzungsausfallentschädigung: Der Kläger machte eine Nutzungsausfallentschädigung für 20 Tage à 59 € geltend, insgesamt 1.180 €. Die Beklagte hatte bereits 826 € gezahlt. Das Gericht erkannte den Anspruch des Klägers auf die volle Nutzungsausfallentschädigung an, da der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs eine fühlbare Beeinträchtigung darstellt und der Geschädigte Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls hat, unabhängig davon, ob er tatsächlich einen Mietwagen anmietet oder nicht.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.1.2022 – 10 S 64/21; LG Görlitz, Hinweisbeschluss vom 17.11.2025 – 2 S 80/24; AG Weißwasser, Urteil vom 13.3.2025 – 3 C 175/24; AG Dresden, Urteil vom 16.1.2025 – 103 C 2114/24; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10.9.2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.6.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Dresden durch

Richterin […]

ohne mündliche Verhandlung gemäß § 128 II S. 1 ZPO, Beschluss vom 02.12.24, am
16.01.2025

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 514,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus 160,- EUR für die Zeit vom 27.01.2024 bis zum 10.02.2024 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz aus 514,- EUR seit dem 11.02.2024 zu zahlen;
  2. den Kläger gegenüber dem Kfz-Sachverständigenbüro […] von restlichen Forderungen in Höhe von 670,44 € […] freizustellen Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus der Rechnung […];
  3. dem Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 80,44 EUR freizustellen.
  4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 1.184,44 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Brandvorfall am 26.01.2024 gegen 09.20 Uhr […] in Dresden.

Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt Eigentümer des Pkw Skoda Superb […], die Beklagte Haftpflichtversicherung des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeug Pkw Typ Smart […], zum Unfallzeitpunkt dort haftpflichtversichert.

Das Fahrzeug des Klägers stand ordnungsgemäß geparkt neben dem zum Zeitpunkt des Brandvorfalls bei der Beklagten versicherten Fahrzeug. Das Beklagtenfahrzeug geriet aufgrund eines technischen Mangels in Brand, wodurch das Feuer u. a. auf das danebenstehende Fahrzeug des Klägers übergriff und nahezu vollständig ausbrannte.

Der Kläger beauftragte das Kfz-Sachverständigenbüro […]. Das Gutachten ging dem Kläger am 31.01.2024 zu und wies einen Restwert in Höhe von 0,- EUR aus. Daraufhin beauftragte der Kläger am 01.02.2024 das Unternehmen […] mit der Bergung und Entsorgung des Fahrzeuges. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2024 legte die Beklagte dem Kläger ein Restwertangebot in Höhe von 160,- EUR vor.

Ausweislich des Gutachtens des Kfz-Sachverständigenbüro […] vom 31.01.2024 entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden. Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeuges errechnete der Sachverständige mit 16.500,- EUR. Am 08. März 2024 kaufte der Kläger sich ein Ersatzfahrzeug zu einem Kaufpreis von 24.980,- EUR.

Auf den Fahrzeugschaden in Höhe von 16.500,- EUR bezahlte die Beklagtenseite 16.340,- EUR, auf die Sachverständigenkosten in Höhe von 1.098,96 EUR bezahlte die Beklagtenseite 428,52 EUR, auf die geltend gemachte Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 1.180,- EUR 20 Tage à 59,- EUR bezahlte die Beklagtenseite 826,- EUR.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kürzung in Höhe von 160,- EUR, Restwertangebot beklagtenseits, sei nicht rechtens, weil das nach der Entsorgung zugegangene Restwertangebot der Beklagtenseite unbeachtlich sei. Der Kläger habe nicht damit rechnen müssen, dass die Beklagte ein Restwertangebot in Höhe von 160,- EUR für das vollständig ausgebrannte Fahrzeug unterbreite, nachdem das Gutachten des Kfz-Sachverständigenbüros einen Restwert des Fahrzeuges von 0,- EUR ausgewiesen habe. Auf die Richtigkeit des eingeholten Sachverständigengutachtens hätte der Kläger grundsätzlich vertrauen dürfen. Auch sei der Kläger bezüglich der Sachverständigenkosten, die beklagtenseits noch nicht bezahlt wurden, in Höhe von 670,44 EUR freizustellen. Der Geschädigte, der in der Regel kein Fachwissen habe, um den Schaden und die dafür anfallenden Kosten zu beurteilen, seien von der Beklagtenseite zu tragen, weil das Kostenrisiko hierfür alleine beim Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung liege. Dies entspreche der Rechtsprechung des BGH. Hinzu komme, dass die Grundsätze des Werkstattrisikos auf die Kosten von Kfz-Sachverständigen vom BGH übertragen worden seien. Das besage, dass überhöhte Kosten, die durch unsachgemäße oder unwirtschaftliche Arbeitsweise einer Werkstatt entstünden, vom Versicherer des Unfall[ver]ursachers zu tragen seien, wenn dem Geschädigten kein Verschulden zur Last gelegt werden könne. Dies sei auf die Kosten von Sachverständigen zu übertragen. Die Gutachterkosten seien auch nicht überhöht und mit dem Kläger am 29. Januar 2024 und dem Sachverständigen so getroffen worden. Unzutreffend sei die Auffassung der Beklagtenseite, dass dem Kläger eine Nutzungsausfallentschädigung lediglich für die vom Sachverständigen als erforderlich bezeichnete Zeit für die Wiederbeschaffung eines Ersatzfahrzeuges verlangen könne. Dieser Anspruch bestehe für die gesamte erforderliche Ausfallzeit und umfasse nicht nur die notwendige Wiederbeschaffungsdauer, sondern auch die Zeit für die Schadensfeststellung und ggf. eine angemessene Überleg[ung]szeit, so habe auch der BGH entschieden.

Der Kläger beantragt,

Die Beklagte wird verurteilt,
a)
an den Kläger 514 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 160 € für die Zeit vom 27.1.2024 bis zum 10.2.2024 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 514 € seit dem 11.2.2024 zu zahlen;

b)
den Kläger gegenüber dem Kfz-Sachverständigenbüro […] von restlichen Forderungen in Höhe von 670,44 € […] freizustellen;

c)
den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht restlichen außergerichtlichen Kosten in Höhe von 80,44 € freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus der Rechnung […].

Sie ist der Auffassung, die Sachverständigenkosten seien überhöht und nicht zu erstatten, weil nicht erforderlich.

Der Sachverständige sei kein Mitglied im BVSK. Erforderlich sei die Höhe des Stundensatzes dem JVEG entsprechend. Aufgrund nicht bekannter und anhand des Gutachtens nicht erkennbarer Qualifikationsmerkmale des Sachverständigen sei eine Berechnung des Honorars auf Basis der BVSK-Tabelle nicht heranzuziehen, weil diese sich nur an Mitglieder des BVSK richte, die eine entsprechende Qualität oder/und Qualifizierung aufwiesen. Zudem sei die BVSK-Honorarbefragung mangelhaft und als Schätzungsgrundlage nicht geeignet.

Zusammenfassend sei festzuhalten:
■ Für den Sachverständigen besteht bereits mit Blick auf sein Honorar der Anreiz den eigenen Spielraum bei der Ermittlung der Schadenhöhe zu nutzen.
■ Alleine die Wahl der Reparaturfirma kann zu signifikant unterschiedlich hohem Grundhonorar führen. Für den Sachverständigen ist der Aufwand immer der Gleiche.
■ Die BVSK-Umfrage ist methodisch unkorrekt, weil nicht validiert. Zudem ist das Grundhonorar zu den jeweils letzten Umfragen (betrachtet wurden die Umfragen aus 2015, 2018, 2020) zwischen 6% und 8% gestiegen (bezogen auf eine Schadenhöhe von 3.500 EUR). Durch die Bezugnahme an der Schadenhöhe ist eine Preissteigerung doppelt berücksichtigt, da auch die Reparaturkosten gestiegen sind.
■ Der Umfragezweck war allen Teilnehmern bekannt, somit war mit der Teilnahme eine bewusste Einflussnahme auf die künftige Höhe des Grundhonorars gegeben.
■ Die Umfrage des BVSK erfolgte nur unter den eigenen Mitgliedern. Nur ca. 70 % der BVSK-Mitglieder haben an der Umfrage teilgenommen. Das Umfrageergebnis ist daher nicht repräsentativ.
■ Der weitaus größere Teil der Sachverständigen ist nicht im BVSK organisiert und erfüllen die hohen Voraussetzungen an Aufnahme und Mitgliedschaft nicht. Die BVSK-Honorartabelle wird daher von diesen Sachverständigen gerne angenommen, da sie mehr als auskömmlich ist.

Zu den Nebenkosten gelte Folgendes:

Die Beklagtenseite h[a]be sich zu Recht hinsichtlich der Nebenkosten am JVEG orientiert. Die Schreibkosten seien durch das Grundhonorar bereits abgegolten Im Rahmen der Schadenminderungspflicht sei die Geschädigtenseite gehalten, einen Sachverständigen im örtlichen Umkreis zu beauftragen.

Ein weiterer Fahrzeugschaden in Höhe von 160,- EUR stehe der Klägerseite nicht zu, weil dieser mit Abrechnung des Fahrzeugschadens unter dem 16.02.2024 ein Restwertangebot über 160,- EUR erhalten habe.

Eine weitere Nutzungsausfallentschädigung stehe dem Kläger nicht zu. Er habe für 14 Tage eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 826,- EUR erhalten unter Zugrundelegung eines Tagessatzes in Höhe von 59,- EUR. Weiteres stehe ihm nicht zu, weil direkt nach dem Ereignis dem Kläger klar gewesen sei, dass ein Totalschaden vorliege und es nicht ersichtlich sei, warum dem Kläger über 14 Tage hinaus eine Nutzungsausfallentschädigung zustehe. Der Sachverständige sei von einer Wiederbeschaffungsdauer von 12 bis 14 Tagen ausgegangen, jedoch müsse dem Kläger bereits vor Erhalt des Sachverständigengutachtens klar gewesen sein, dass sein völlig ausgebranntes Auto einen Totalschaden erlitten habe, weswegen eine Nutzungsausfallentschädigung für 14 Tage hier völlig ausreichend sei.

Die geltend gemachten weiteren Rechtsanwaltskosten stünden der Klägerseite nicht zu, weil die Einwendungen gegen die Hauptforderung auch auf die in diesem Zusammenhang verfolgten Rechtsanwaltsgebühren durchgriffen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung weiterer 160,- EUR, abgezogener Restwert, sowie eine restliche Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 354,- EUR.

Des Weiteren hat der Kläger Anspruch auf Freistellung der Sachverständigenkosten in Höhe von 670,44 EUR und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 80,44 EUR gemäß § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 7 Abs. 1 StVG, 115 VVG.

Unstreitig stand das Fahrzeug des Klägers neben dem zum Zeitpunkt des Brandvorfalls bei der Beklagten versicherten Fahrzeug abgeparkt. Das Fahrzeug der Beklagtenseite geriet in Brand und griff auf das klägerische Fahrzeug über.

Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten 160,- EUR.

Soweit die Beklagtenseite der Auffassung ist, der Kläger müsse sich ihr Restwertangebot in Höhe von 160,- EUR anrechnen lassen, vermag das Gericht diese Auffassung nicht zu teilen. Dem Kläger ging das Gutachten am 31.01.2024 zu, bereits am 01.02.2024 beauftragte der Kläger eine Firma mit der Bergung des Fahrzeuges. Der Kläger durfte, wie die Klägerseite zu Recht ausführt, auf das Gutachten vertrauen, welches von einem Restwert von 0,- EUR ausging. Damit ist das beklagtenseits gemachte Restwertangebot vom 16.02.2024 unbeachtlich.

Der Kläger hat Anspruch auf Nutzungsausfall für 20 Tage à 59,- EUR in Höhe von 1.180,- EUR abzüglich bereits bezahlter 826,- EUR mithin in Höhe von 354,- EUR. Der Nutzungswille ist durch die Anschaffung eines neuen Fahrzeuges belegt […]. Die geltend gemachte Höhe ist unstreitig.

Der vom Sachverständigen zugrunde gelegten Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen sind, wie klägerseits zu Recht ausgeführt wird, sind die Überleg[ung]szeit, der Zeitraum für die Schadensfeststellung einschließlich der Erstellung des Gutachtens hinzu zu rechnen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerseite gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen hätte, liegen nicht vor. Der Brandvorfall ereignete sich am 26.01.2024, am 31.01.2024 ging dem Kläger das Gutachten zu. Am 01.02.2024 beauftragte er eine Firma mit der Bergung des Fahrzeuges, am 08.03.2024 schloss der Kläger eine Kaufvertrag über ein neues Auto.

Der Kläger hat des Weiteren Anspruch auf Freistellung der Sachverständigenkosten in Höhe von 670,44 EUR. Zu Recht geht die Klägerseite davon aus, dass die Beklagtenseite das Risiko, dass das Gutachten kostenmäßig überhöht sei, trägt. Aus diesem Grunde war die Klägerseite Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche zu verurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass die geltend gemachten Sachverständigenkosten überhöht sind, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite ist die BVSK Honorartabelle im vorliegenden Fall zugrunde zu legen. Unerheblich ist, ob der Sachverständige Mitglied ist oder nicht. Die BVSK Honorartabelle ist eine anerkannte Schätzungsgrundlage in Rechtsprechung und Literatur. Aufgrund der Einwendungen der Beklagtenseite schätzt das Gericht die Höhe der Sachverständigenkosten auf Grundlage der BVSK Honorarbefragung 2022, wobei der HB V Korridor bezogen auf den Bruttowiederbeschaffungswert in Höhe von 16.500 EUR zugrunde gelegt wird, damit beträgt das Grundhonorar im Mittelwert 1.457 EUR. Dieser Betrag liegt bereits über dem Rechnungsbetrag. Dem hinzu zurechnen sind die Nebenkosten für 10 Stück Lichtbilder zu 2,- EUR, anteilige Fahrtkosten für 65 km zu 0,70 EUR, Schreibkosten zu 12,- EUR, auch hier wird geringer abgerechnet. Für 9 Seiten zu 2 EUR hätten 18 EUR abgerechnet werden können und Porto- und Telefonpauschale zu 9,- EUR. Diese entsprechen der Honorartabelle. Die Erforderlichkeit der Nebenkosten wurde ebenfalls auf Grundlage der BVSK Honorartabelle geschätzt, weswegen die Einwendungen diesbezüglich von der Schätzung mit umfasst sind und die Schätzung der Erforderlichkeit gemäß § 249 BGB begründet.

Damit steht fest, dass die Sachverständigenkosten nicht überhöht geltend gemacht werden, sondern das Gegenteil der Fall

Der Ausspruch über die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten beruht auf §§ 280, 286 BGB.

Der Zinsausspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.“

AG Dresden, Urteil vom 16. Januar 2025 – 103 C 2114/24

Blinken reicht nicht: Gericht stellt volle Haftung des Abbiegenden fest

Das Landgericht Görlitz Außenkammer Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23) hat in einem Urteil klargestellt, dass ein abbiegender, wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer die volle Haftung für einen Unfall trägt, selbst wenn der vorfahrtsberechtigte Fahrer den Blinker gesetzt hat. Im zugrunde liegenden Fall fuhr der Kläger auf einer Vorfahrtsstraße und signalisierte durch (unbewusstes) Blinken ein Abbiegen, setzte dieses jedoch nicht um. Die Unfallgegnerin, die abbiegen wollte, vertraute auf das Blinken und verursachte einen Unfall. Das Gericht stellte fest, dass das Setzen des Blinkers allein nicht ausreichend ist, um dem Wartepflichtigen das Vertrauen auf eine sichere Abbiegeaktion zu gewähren. Entscheidend ist, dass der Vorfahrtsberechtigte eindeutig abbiegt oder abbremst, um eine entsprechende Vertrauensgrundlage zu schaffen. Der Wartepflichtige bleibt in der Verantwortung, die Vorfahrt zu beachten und darf nicht allein auf den Blinker vertrauen.

Dieses Urteil verdeutlicht, dass das Blinken nur ein Indiz für das Abbiegen ist und keine verbindliche Zusicherung darstellt. Der Wartepflichtige muss weiterhin sicherstellen, dass der Vorfahrtsberechtigte tatsächlich abbiegt, bevor er selbst abbiegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richter am Landgericht […] als Einzelrichter

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19.06.2024 am 24.07.2024

für Recht erkannt:

1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Görlitz – Außenkammern Bautzen – vom 02.11.2023 – Az. 6 O 65/23 – bleibt aufrechterhalten.

2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.

[…]

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 09.12.2022 gegen 9:45 Uhr in Anspruch.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Kia Venga […] in Bautzen die Stieberstraße Richtung Dr.-Peter-Jordan-Straße. Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs Ford Kuga […] befuhr die Goethestraße und wollte nach rechts in die Stieberstraße einbiegen. Beide Fahrzeuge kollidierten im Einmündungsbereich. Die Stieberstraße ist mit dem Verkehrsschild: „Vorfahrtsstraße“ ausgestattet. An der Einmündung der Goethestraße zur Stieberstraße steht das Verkehrsschild „Vorfahrt gewähren“.

Der Kläger behauptet, er sei auf der vorfahrtsberechtigten Straße gefahren. Soweit er aufgrund vorher abknickenden Vorfahrt seinen Blinker noch angehabt hätte, hätte dies die Fahrerin des Ford Kuga erkannt, aber nicht auf die Abbiegeabsicht vertrauen dürfen, da er keine Geschwindigkeitsverzögerung vorgenommen habe.

[…]

Die Beklagte behauptet, die Fahrerin des Ford Kuga habe sich mit dem von ihr gesteuerten
Fahrzeug der Kreuzung Goethestraße/ Stieberstraße genähert und sei bis zur Sichtlinie vorgefahren. In diesem Moment sei von links der Kläger mit seinem Fahrzeug mit eingeschaltetem rechten Fahrtrichtungsanzeiger gekommen. In der Erwartung, der Kläger würde in die Goethestraße einbiegen, sei die Fahrerin des Ford Kuga vorgefahren, um rechts abzubiegen. Völlig überraschend habe das klägerische Fahrzeug den Abbiegevorgang plötzlich abgebrochen, um dann geradeaus weiterzufahren.

Hinsichtlich des weitergehenden Vortrags der Parteien wird auf sämtliche wechselseitig eingereichte Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

[…]

Auf der Grundlage der klägerischen Anträge ist in der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023 ein Versäumnisurteil ergangen, gegen das die Beklagtenseite Einspruch eingelegt hatte.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist erfolglos und die Klage begründet. Das Versäumnisurteil war aufrecht zu erhalten.

[…]

Das Versäumnisurteil war aufrechtzuerhalten und die Klage abzuweisen, da der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe hat (§§ 7, 8, 17 StVG, 249 BGB 115 VVG).

Der Kläger befuhr die bevorrechtigte Straße. Das Vorfahrtsrecht des Klägers hat die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs missachtet. Sie konnte sich dabei nicht auf ein vertrauensbildendes Verhalten der Klägerseite berufen.

Da sich beide Fahrzeugführer nicht ideal verhalten haben, so dass der Unfall für beide Seiten nicht unvermeidbar war, sind die gegenseitigen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen.

Die Abwägung der beidseitigen Verursachungsbeiträge ergibt, dass die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs den Unfall allein verursacht hat und eine mögliche Betriebsgefahr des vorfahrtsberechtigten durch die Vorfahrtsverletzung zurücktritt.

Der Wartepflichtige hat die Vorfahrt des Berechtigten zu gewähren. Er muss sich entsprechend verhalten, so dass für den Vorfahrtsberechtigten klar ist, dass er die Vorfahrt beachten werde (§ 8 Abs. 2 StVO). Der Wartepflichtige darf nur dann in die Vorfahrtstraße einfahren, wenn er übersehen kann, dass er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Den Wartepflichtigen trifft insoweit eine gesteigerte Sorgfalt, die bedingt, dass er auch mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen muss und somit regelmäßig nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf (OLG Dresden, Beschluss vom 24. April 2014 – 7 U 1501/13 –, Rn. 7, m.w.N., juris)

Der Wartepflichtige darf nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt (OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2014 – 7 U 1876/13 –, Rn. 3, juris). Erforderlich ist, dass neben dem Blinken zumindest ein weiteres deutliches Anzeichen dafür gegeben ist, dass der Vorfahrtberechtigte tatsächlich vor dem Wartepflichtigen abbiegt.

Ein solches deutliches weiteres Anzeichen, dass der Kläger vor der Beklagtenseite abbiegen wird, ist nicht ersichtlich. Dies folgt auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, die ein weiteres Anzeichen für einen bevorstehenden Abbiegevorgang nicht behauptet. Die Mitteilung, dass der Abbiegevorgang abgebrochen ist, ist hierfür keine ausreichende Behauptung. Das Gericht sah sich nach der Einlassung des Klägers daher nicht gehalten, eine weitere Beweisaufnahme durchzuführen, da sie lediglich ein Ausforschungsbeweis zugunsten der Beklagtenseite darstellen würde. Eine solche Beweisführung ist unzulässig.

Dieses Ergebnis geht zu Lasten der Klägerseite, da der Wartepflichtige den Anschein der schuldhaften Vorfahrtsverletzung gegen sich hat (vgl. Hentschel/König/Dauer, Rn.: 68 zu § 8 StVO). Wie oben ausgeführt, konnte die Beklagtenseite diesen Anschein durch ihren Vortrag nicht erschüttern.

Über den Hilfsantrag hatte das Gericht nicht zu befinden, da eine Haftung der Beklagtenseite in voller Höhe festgestellt worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last, da sie im Prozess unterliegt. Die Kosten des Rechtsstreits fallen insgesamt der Beklagtenseite zur Last, unabhängig davon, ob sie zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit oder erst nach Rechtshängigkeit gezahlt hat.

In beiden Fällen hat sie die Kosten des Rechtsstreits nach den obigen Erwägungen zu tragen. Es macht insofern auch kein Unterschied, ob die Klage zurückgenommen ist oder für erledigt erklärt hat, da durch das Versäumnisurteil keine Kostenreduzierung durch die Klagerücknahme bzw. eine Erledigungserklärung stattgefunden hätte (§§ 91, 269 Abs. 3, S. 3 ZPO).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 u. 3 ZPO).

Die Wertfestsetzung des Streitgegenstandes ergibt sich aus der Höhe der jeweiligen Klageforderung (§§ 48 Abs. 1, 39 GKG, 3, 4 ZPO).“

LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23

BGH stärkt Geschädigte: Werkstattrisiko auf Sachverständigenkosten übertragen

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. März 2024 (Az. VI ZR 280/22) befasst sich mit der Übertragung der Grundsätze des Werkstattrisikos auf die Kosten von Kfz-Sachverständigen. Der VI. Zivilsenat hat entschieden, dass die Grundsätze, die für überhöhte Reparaturkosten in Werkstätten gelten, auch auf die Kostenansätze von Sachverständigen anwendbar sind, sofern kein Verschulden des Geschädigten vorliegt.

Das Werkstattrisiko besagt, dass überhöhte Kosten, die durch unsachgemäße oder unwirtschaftliche Arbeitsweise einer Werkstatt entstehen, vom Versicherer des Unfallverursachers zu tragen sind, wenn dem Geschädigten kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Diese Grundsätze wurden nun auf die Kosten von Sachverständigen übertragen.

Auch überhöhte Sachverständigenkosten müssen vom Versicherer getragen werden, sofern der Geschädigte kein Verschulden trifft. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Rechnung bereits vollständig bezahlt wurde oder nicht. Der Versicherer kann jedoch eventuelle Regressansprüche gegen den Sachverständigen vom Geschädigten abtreten lassen.

Das Urteil des BGH vom 12. März 2024 stärkt somit die Position der Geschädigten und trägt zur Rechtssicherheit bei, indem es klare Regeln für die Erstattung von Sachverständigenkosten aufstellt. Diese Regelung schützt die Geschädigten vor unberechtigten finanziellen Belastungen durch überhöhte Sachverständigenrechnungen und stellt sicher, dass der Versicherer des Unfallverursachers die Kosten im Verhältnis zum Geschädigten tragen muss. Gleichzeitig wird durch die Abtretung von Regressansprüchen eine Möglichkeit geschaffen, überhöhte Forderungen direkt beim Sachverständigen geltend zu machen. Diese Entscheidung ist besonders wichtig, da Geschädigte die tatsächlichen Kosten und deren Angemessenheit oft nicht ohne weiteres beurteilen können. Insgesamt stellt das Urteil einen wichtigen Beitrag zur Klärung der Haftungsfragen im Zusammenhang mit überhöhten Sachverständigenkosten dar und berücksichtigt sowohl den Schutz der Geschädigten als auch die Interessen der Versicherer.

Falls jedoch der Sachverständige aus abgetretenem Recht des Geschädigten seine Kosten geltend macht, ist eine vollständige Überprüfung der Kostenrechnung möglich.

Kreuzungsräumer: Rechtliche Bewertung von Kreuzungsunfällen: Die Rolle echter und unechter Nachzügler


In dem vom Landgericht Görlitz Außenkammern Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22) entschiedenen Fall ging es um die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall, bei dem die Unterscheidung zwischen einem „echten Nachzügler“ und einem „unechten Nachzügler“ zentral war. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass die Beklagtenseite als unechter Nachzügler agierte und somit nicht berechtigt war, in den Kreuzungsbereich einzufahren.

Ein echter Nachzügler ist ein Fahrzeugführer, der sich bereits im Kreuzungskern befindet, wenn die Ampel für den Querverkehr auf Grün schaltet. Diese Fahrer dürfen den Kreuzungsbereich vorrangig verlassen, um den Verkehrsfluss nicht zu stören. Im Gegensatz dazu befindet sich ein unechter Nachzügler außerhalb des Kreuzungskerns, wenn die Ampel umschaltet. Ein solcher Fahrer muss warten und hat kein Vorrangrecht.

Die Beklagte handelte fahrlässig, indem sie bei Rotlicht in die Kreuzung einfuhr, während die Ampel für die Klägerseite auf Grün geschaltet war. Diese Handlung führte zur Feststellung ihrer Haftung für den entstandenen Schaden. Das Gericht wies damit die Ansprüche der Klägerseite zu, indem es auf die Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten hinwies und entsprechend Schadenersatzforderungen zugunsten der Klägerin entschied.

Urteile zur Haftungsverteilung bei Unfällen mit echten und unechten Nachzüglern im Kreuzungsbereich.

Volle Haftung des unechten Nachzüglers:
 OLG Koblenz, Urteil vom 8.9.1997 – 12 U 1355/96; LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22; AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Haftungsverteilung bei echten Nachzüglern:
OLG Hamm, Urteil vom 26.8.2016 – 7 U 22/16

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch Richter am Landgericht […] als Einzelrichter im schriftlichen Verfahren am 30.04.2024

für Recht erkannt:

I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. an die Klägerin 725 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% aus für die Zeit vom 12.3.2022 bis zum 29.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 30.3.2022 zu zahlen,
2. die Klägerin gegenüber der Reparaturwerkstatt […] von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 3.238,60 € aus der Reparaturkostenrechnung […] freizustellen,
3. die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € aus der Rechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen,
4. an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 6.466,29 Euro auf die erstatteten Reparaturkosten der Reparaturwerkstatt Autohaus […] aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 zu zahlen,
5. an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 1.091,23 Euro auf die erstatteten Sachverständigenkosten des Kfz-Sachverständigenbüros […] aus der Rechnung […] vom 16.3.2022 zu zahlen,
6. die Klägerin gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 550,85 € freizustellen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Geldbetrages.

Streitwert: 12.241,07 EUR.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.

Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin des unfallbeteiligten PKW Kia. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten PKW Fiat.

Am 11.03.2022 gegen 11.25 Uhr kam es auf der Kreuzung Zeppelinstraße/Wilthener-Straße/B96 (Siemensstraße) in Bautzen zu dem Zusammenstoß der benannten Fahrzeuge.

Die Klägerin mit dem PKW Kia kam von der Siemensstraße (B96) und fuhr in Richtung Zeppelinstraße. Sie hielt zunächst an der in ihrer Fahrtrichtung auf „rot“ geschalteten Ampelanlage an. Als diese auf „grün“ umschaltete, fuhr sie weiter geradeaus.

Die Zeugin H[…] führte den PKW Fiat. Sie befuhr die Wilthener Straße stadtauswärts. An der benannten Kreuzung hielt sie bei Lichtzeichenanlage rot zunächst an. Bei grün fuhr sie zunächst über die Haltelinie, wobei zwischen den Parteien umstritten ist, ob und wie weit sie danach in den Kreuzungsbereich einfuhr. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes der Fahrzeuge war die Lichtzeichenanlage, die die Zeugin H[…] überquert hatte, bereits wieder auf rot gestellt.

Die Klägerin trägt vor, sie habe den PKW Fiat wahrgenommen, als dieser auf der Wilthener Straße auf der Fußgängerfurt stand. Danach habe sie den PKW Fiat erst wieder wahrgenommen, als es auf der Kreuzung zur Kollision kam, indem der PKW Fiat in die hintere linke Seite des PKW Kia gefahren sei.

Der Vollkaskoversicherer der Klägerin regulierte die klägerischen Schäden am Fahrzeug im Umfange von 6.466,29 €. Das Fahrzeug der Klägerin wurde begutachtet und inzwischen repariert in der Werkstatt Authohaus […].

Das klägerische Fahrzeug erlitt einen merkantilen Minderwert von 700 €. Die Gutachterkosten belaufen sich auf 1.091,23 €.

Die Klägerin trägt vor, die Kosten für die fachgerechte Reparatur beliefen sich auf 9.704,89 € brutto.

Unstreitig sind Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € angefallen.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt,

a.
an die Klägerin 725 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% aus für die Zeit vom 12.3.2022 bis zum 29.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 30.3.2022 zu zahlen.

b.
die Klägerin gegenüber der Reparaturwerkstatt Autohaus […] von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 3.238,60 € aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen.

c.
die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von Mietwagenkosten in Höhe von 719,95 € aus der Rechnung […] vom 28.3.2022 freizustellen.

d.
an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 6.466,29 Euro auf die erstatteten Reparaturkosten der Reparaturwerkstatt Autohaus […] aus der Reparaturkostenrechnung […] vom 28.3.2022 zu zahlen.

e.
an die Vollkaskoversicherung der Klägerin […] einen Betrag in Höhe von 1.091,23 Euro auf die erstatteten Sachverständigenkosten des Kfz-Sachverständigenbüros […] aus der Rechnung […] vom 16.3.2022 zu zahlen.

f.
die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 550,85 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklage trägt vor, die Zeugin H[…] sei mit dem PKW Fiat bis in die Kreuzungsmitte gefahren, habe dort angehalten, um den Gegenverkehr durchzulassen. Dies habe eine ganze Weile gedauert. Dann sei die Klägerin mit ihrem Fahrzeug in den PKW Fiat hineingefahren.

Als echter Nachzügler habe der PKW Fiat Vorrang gehabt vor dem Fahrzeug der Klägerin, um die Kreuzung ordnungsgemäß räumen zu können. Die Beklagte haftete deshalb nicht für die Schäden der Klägerin.

Der Fahrzeugschaden der Klägerin belaufe sich auf – lediglich – 9.138,74 €. Wegen der Einwendungen im Einzelnen wird [die] Akte verwiesen.

Der Haftpflichtversicherer der Klägerin regulierte seinerseits vorgerichtlich die Schäden an dem PKW Fiat in Höhe von 1/3.

Die Halterin und Eigentümerin des PKW Fiat führte bei dem Amtsgericht Bautzen mit umgekehrten Vorzeichen einen Schadensersatzprozess gegen die hiesige Klägerin und deren Haftpflichtversicherer (Az.: 21 C 279/22). In dem amtsgerichtlichen Verfahren wurden die Unfallbeteiligten und Zeugen vernommen sowie ein unfallanalytisches Gutachten eingeholt. Die Verfahrensakte des Amtsgerichts wurde beigezogen. Nach Abschluss des amtsgerichtlichen Verfahrens erklärten sich die Verfahrensbeteiligten im vorliegenden landgerichtlichen Verfahren mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akte nebst schriftlichem Gutachten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat Anspruch auf materiellen Schadensersatz gegen die Beklagte wie tenoriert (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG, § 115 VVG).

Im Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht Bautzen, mit deren Verwertung sich die Parteien im hiesigen Verfahren (stillschweigend) einverstanden erklärt haben, ist festzustellen, dass die Zeugin H[…], die den PKW Fiat führte, in die Kreuzung einfuhr, obgleich für ihre Fahrtrichtung die Lichtzeichenanlage auf rot geschaltet war und die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün geschaltet war (§ 37 Abs. 2 StVO). Angesichts der unstreitig langen Wartezeit der Zeugin H[…], nachdem sie die Lichtzeichenanlage passierte (als diese noch für sie grün zeigte), um zunächst ihren Gegenverkehr durchzulassen, musste die Zeugin H[…] damit rechnen, dass inzwischen ihre Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben war und für sie die Lichtzeichenanlage wieder auf rot umgeschaltet hat. Hätte die Zeugin H[…] die erforderliche, äußerste Sorgfalt in dieser Verkehrssituation walten lassen, hätte sie erkannt, dass sie weiter hätte stehen bleiben müssen, um den bevorrechtigten Querverkehr durchzulassen. Die Zeugin H[…] trifft ein ganz überwiegendes Verschulden an dem Verkehrsunfall. Dadurch hat sich die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges so deutlich erhöht, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges dahinter völlig zurück tritt. Das hat zur Folge, dass die Beklagte für den gesamten unfallbedingten Schaden der Klägerin haftet.

Ein Mitverschulden der Klägerin, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges wiederum erhöht hätte, sodass auf Seiten der Klägerin ein Mithaftungsbeitrag verbliebe, konnte die Beklagte nicht nachweisen. Sie konnte insbesondere nicht nachweisen, dass die Zeugin H[…] mit dem PKW Fiat sich bereits im Kernbereich der Kreuzung befunden hätte, als die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün umschaltete, sodass die Zeugin H[…] als sogenannte echte Nachzüglerin gegenüber der Klägerin bevorrechtigt gewesen wäre, um die Kreuzung zu räumen.

Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Überlegungen:

Unstreitig ist es zunächst, dass die Klägerin in die Kreuzung einfuhr, als die Lichtzeichenanlage für sie auf grün umgesprungen war.

Mit dem unfallanalytischen Gutachten ist festzustellen, dass die Schilderung der Klägerin technisch nachvollziehbar ist, dass die Zeugin H[…] mit dem PKW Fiat zunächst auf der Fußgängerfurt, die die Wilthener Straße quert, stand und anschließend in den PKW Kia der Klägerin hineinfuhr und zwar in die linke Seite mit dem Schwergewicht auf dem hinteren Fahrzeugteil, als sie ihrerseits die Kreuzung geradeaus überquerte in Richtung Zeppelinstraße.
Mit dem Sachverständigen ist diese Unfallschilderung plausibel und aus technischer Sicht nachvollziehbar. Der Sachverständige konnte sicher feststellen, dass die Zeugin H[…] (entgegen deren Aussage) mit dem Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht stand, sondern dass sich dieses ebenfalls in Bewegung befand zum Zeitpunkt der Kollision. Dies ist zu begründen mit der Charakteristik der Beschädigungen an beiden Fahrzeugen, sowie der daraus ableitbaren Kollisionspositionen der beiden Fahrzeuge zueinander und der weiterhin herzustellenden Beziehung zu dem dokumentierten Splitterfeld auf der Kreuzung. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Mit dem Gutachten ist festzustellen, dass demgegenüber die Aussage der Zeugin H[…], sie habe auf der Mitte der Kreuzung gestanden (die genaue Position, die die Zeugin H[…] angab, ist ersichtlich aus Abbildung 24 des Gutachtens) unzutreffend ist. Vielmehr ist festzustellen, dass die Zeugin H[…] fahrend an dem Unfall beteiligt war.

Ausreichende Anknüpfungstatsachen dafür, mit Hilfe eines unfallanalytischen Gutachtens sicher festzustellen, wo die Zeugin H[…] begann, in die Kreuzung einzufahren bis zur Unfallstelle, liegen nicht vor. Damit kann die Beklagte auch nicht nachweisen, dass sich der PKW Fiat bereits im Kernbereich der Kreuzung befunden hätte, als die Lichtzeichenanlage für die Klägerin auf grün umschaltete und diese ihrerseits in die Kreuzung einfuhr.

Die geltend gemachten materiellen Schäden sind zwischen den Parteien unstreitig mit Ausnahme der erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten.

Die erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten werden geschätzt auf 9.704,89 €, wie von der Klägerin geltend gemacht (§ 287 Abs.1 ZPO).

Die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten für die Reparatur bei der Autohaus […] sind nur geringfügig höher als die aus dem Privatgutachten des Sachverständigen […] ausgewiesenen Reparaturkosten. Das Werkstattrisiko trägt der Schädiger.

Das heißt, wenn im Ergebnis der tatsächlich durchgeführten Reparatur die Reparaturkosten etwas höher ausfallen als sachverständig eingeschätzt, so ist das ein Umstand, den nicht der Geschädigte, sondern der Schädiger zu tagen hat. Der Kläger hat es auch nicht in der Hand, ob die Werkstatt zum Beispiel einzelne Fahrzeugteile zur Lackierung ausbaut oder ob die Werkstatt diese Wiederherstellung der Fahrzeugfarbe, des Fahrzeuglacks im eingebauten Zustand der Bauteile vornimmt. Gleiches gilt für die Frage, ob eine Werkstatt einen besonderen Desinfektionsaufwand vornimmt oder nicht und in welchem Umfange.
Die in solchem Zusammenhang entstehenden Preisunterschiede von Werkstatt zu Werkstatt liegen im Risikobereich des Schädigers. Im Übrigen wäre die Beweisaufnahme durch Einholung eines weiteren Schadensgutachtens unverhältnismäßig angesichts einer Differenz in der Schadensvorstellung zwischen den Parteien von lediglich rund 550,00 €.

III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO, § 48 Abs.1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.“

LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22

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Rechtsprechung zum Werkstattrisiko: BGH stärkt Rechte der Unfallgeschädigten

In einer Reihe von Entscheidungen zum sogenannten Werkstattrisiko hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Unfallverursacher grundsätzlich die gesamte Werkstattrechnung nach einem Verkehrsunfall erstatten müssen, auch wenn diese möglicherweise überhöht ist. Der BGH führte hierzu aus, dass der Geschädigte, der in der Regel kein Fachwissen hat, um den Schaden und die dafür anfallenden Kosten zu beurteilen, die gesamten Reparaturkosten von der Versicherung des Unfallverursachers erstattet bekommen kann. Dies gilt selbst dann, wenn Teile der Reparatur möglicherweise nicht durchgeführt wurden, aber auf der Rechnung stehen.

Insoweit verbleibt der Versicherung des Unfallverursachers die Möglichkeit selbst von der Reparaturwerkstatt die Kosten für überhöhte oder nicht erforderliche oder erfolgte Reparaturmaßnahmen zurückzufordern.

Allerdings soll dies nicht zu einer Bereicherung des Geschädigten führen. Daher darf er, falls er die Rechnung noch nicht bezahlt hat, nur Zahlung direkt an die Werkstatt, nicht aber an sich selbst verlangen.

  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 38/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 239/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 253/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 266/22
  • BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 51/23

Differenzierung zwischen echtem und unechtem Nachzügler bei einem Verkehrsunfall auf einer Kreuzung

In den Entscheidungsgründen des Urteils des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22) wird der Begriff des „echten Nachzüglers“ und des „unechten Nachzüglers“ im Kontext eines Kreuzungsbereichs erläutert. Diese Begriffe sind relevant für die Frage, welche Verkehrsteilnehmer in einer Kreuzung Vorrang haben, insbesondere wenn die Lichtzeichenanlage (Ampel) ihre Phase wechselt.

Ein echter Nachzügler ist ein Fahrer, der sich bereits im eigentlichen Kreuzungskern befindet, wenn der Querverkehr durch die Lichtzeichenanlage freie Fahrt erhält. In solchen Fällen wäre der Verkehrsfluss erheblich gestört, wenn dem echten Nachzügler nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu räumen. Der echte Nachzügler hat also das Recht, den Kreuzungsbereich vor dem Querverkehr zu verlassen.

Im Gegensatz dazu ist ein unechter Nachzügler ein Fahrer, der sich außerhalb des eigentlichen Kreuzungskerns befindet, wenn der Querverkehr grünes Licht erhält. In diesem Fall hat der unechte Nachzügler keine Vorfahrt und ist gegenüber dem Querverkehr wartepflichtig.

Der Unterschied liegt also primär in der Position des Fahrzeugs im Moment des Phasenwechsels der Ampel. Ein echter Nachzügler, der sich bereits im Kreuzungskern befindet, hat das Recht, die Kreuzung vor dem Querverkehr zu räumen. Ein unechter Nachzügler hingegen, der sich außerhalb des Kreuzungskerns befindet, muss dem Querverkehr Vorrang gewähren.

Diese Unterscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die Haftungsfrage im Falle eines Unfalls. In der vorliegenden Entscheidung konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass sie ein echter Nachzügler war, und hat daher ihre Vorfahrtsrechte verwirkt, was zu einer weit überwiegenden Haftung für den Unfall führte.

Urteile zur Haftungsverteilung bei Unfällen mit echten und unechten Nachzüglern im Kreuzungsbereich.

Volle Haftung des unechten Nachzüglers:
 OLG Koblenz, Urteil vom 8.9.1997 – 12 U 1355/96; LG Görlitz, Urteil vom 30.4.2024 – 5 O 193/22; AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Haftungsverteilung bei echten Nachzüglern:
OLG Hamm, Urteil vom 26.8.2016 – 7 U 22/16

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

gegen

1. […]

– Beklagte –

2. […] versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 28.09.2023 eingereicht werden konnten, am 19.10.2023

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 4.807,19 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 11.03.2022 gegen 11:25 Uhr in Bautzen, Kreuzung Zeppelinstraße/ Wilthener Straße geltend.

Unfallbeteiligt waren der PKW-Kia Ceed […] und der PKW-Fiat Panda […]. Die Klägerin, welche ein Hauskrankenpflege betreibt, war zum Unfallzeitpunkt Halterin und Eigentümerin des PKW-Fiat, der von der Zeugin H[…] gefahren wurde. Die Beklagte zu 1) war Fahrerin des PKW-Kia, welcher bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Die Zeugin H[…] befuhr zum Unfallzeltpunkt mit dem klägerischen Fahrzeug die Wilthener Straße in stadtauswärtiger Fahrtrichtung. An der Kreuzung wollte sie nach links in die Zeppelinstraße abbiegen. Die Beklagte zu 1) befuhr mit dem Beklagtenfahrzeug die Siemensstraße in Fahrtrichtung Zeppelinstraße und musste zunächst an der dortigen roten Ampel halten. Bei Grünlicht fuhr sie in den Kreuzungsbereich ein, wo es zur Kollision und Beschädigung beider Fahrzeuge kam.

Die Beklagte zu 2 hat die Schäden der Klägerin zu 1/3 ausgehend von einer Verursachungsquote von 2/3 zu Lasten der Klägerin ausgeglichen. Den restlichen Schaden macht die Klägerin mit der vorliegenden Klage geltend.

Sie behauptet, die Zeugin H[…] sie bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren, habe aber dort verkehrsbedingt anhalten müssen, um dem Gegenverkehr den Vorrang einzuräumen. Die Beklagte zu 1 sei ebenfalls bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren, aber ohne auf die sich noch im Kreuzungsbereich befindliche Zeugin H[…] zu achten, wodurch es zur Kollision gekommen sei.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 4.807,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.05.2022 zu zahlen;
sowie die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 439,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.05.2022 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Zeugin H[…] sei der Beklagten schon an der Ampel aufgefallen, weil sie ohne ersichtlichen Grund zum Teil innerhalb der Fußgängerfurt auf der Fahrspur der Klägerin gestanden hätte. Weitere Fahrzeuge hätten nicht davor gestanden. Während die Beklagte zu 1 bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren sei, sei die Zeugin H[…] bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren, wodurch es zum Unfall gekommen sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H[…], L[…] und G[…] sowie durch Einholung eines schriftlichen verkehrsanalytischen Sachverständigengutachtens […]. […]

Das Gericht hat im Einverständnis mit den Parteien gemäß des Beschlusses vom 05.09.2023 […] im schriftlichen Verfahren […] entschieden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG oder einer anderen Anspruchsgrundlage.

1.
Die grundsätzliche Haftung der Parteien hinsichtlich des Verkehrsunfalls ergibt sich für die Klägerin aus der Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG, für die Beklagte zu 1) aus der Fahrerhaftung gem. §§ 18, 7 StVG und für die Beklagte zu 2) aus § 115 VVG. Der Unfall ereignete sich beim Betrieb der Fahrzeuge.

2.
Der Unfall stellte für beide Beteiligten kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. StVG dar. Unabwendbar gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist nur ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt – nämlich durch ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den persönlichen Maßstab hinaus – nicht abgewendet werden kann (vgl. BGH NZV 2005, 305). Dies erfordert die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrmomente einschließlich erheblicher fremder Fehler (vgl. OLG Gelle Urteil vom 28.03.2012 – 14 U 156/11). Weder die Zeugin H[…] als Fahrerin des Klägerfahrzeuges, noch die Beklagte zu 1 als Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges haben sich vorliegend wie ein sog. „Idealfahrer“ verhalten. Sie hätten nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Schneider, denen sich das Gericht nach Inaugenscheinnahme der Lichtbilder von der Unfallkreuzung anschließt, das jeweils andere Fahrzeug vor der Kollision sehen können und hätten vorausschauend handeln müssen.

3.
Steht somit die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Neben der Verursachung ist auch der Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten beider Schadensverteilung zu berücksichtigen. Bei der Abwägung der für den Unfall ursächlichen Umstände können nur die zugestandenen oder nachgewiesenen Tatsachen berücksichtigt werden (vgl. BGH Urteil vom 27.06.2000 – VI ZR 126/99 m.w.N.). Nimmt der Verursachungsanteil oder das Verschulden einer Partei ein derart hohes Maß an, dass dahinter die Mitursächlichkeit der anderen Partei nicht Ins Gewicht fällt, so hat diese den Schaden alleine zu tragen.
Andernfalls ist die Haftung im Rahmen einer umfassenden Abwägung anhand der jeweiligen Beiträge nach § 17 Abs. 1, 2 StVG aufzuteilen.

4.
Die vorzunehmende Abwägung ergibt vorliegend, dass die Klägerin keinen weiteren Schadenersatz verlangen kann. Dies begründet sich damit, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Verkehrsunfall in schuldhafter Weise zumindest weit überwiegend selbst verursacht hat.

Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind.

Der Klägerin ist der Nachweis, dass die Fahrerin ihres Autos als sog. echte Nachzüglerin den Kreuzungsbereich vorrangig vor dem Querverkehr und damit auch vor dem Beklagtenfahrzeug verlassen durfte, nicht gelungen. Als sog. echte Nachzügler werden diejenigen Fahrer bezeichnet, die sich bereits im eigentlichen Kreuzungskern befinden, wenn der Querverkehr durch die Lichtzeichenanlage freie Fahrt erhält, und die dort im Kreuzungsbereich in aller Regel den Verkehrsfluss erheblich stören würden, wenn ihnen nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu räumen (BGH Urteil vom 11.05.1971 -VI ZR 11/70; OLG Koblenz Urteil vom 08.09.1997 – 12 U 1355/96; OLG Hamm Urteil vom 26.08.2016 – 1-7 U 22/16). Unter dem Begriff des Kreuzungskerns ist die von den Fluchtlinien der Fahrbahnränder eingegrenzte Fläche zu verstehen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 11 StVO Rn. 2).

Als außerhalb des Kreuzungskerns befindliche sog. unechte Nachzüglerin war die Fahrerin des Klägerfahrzeugs gegenüber dem Querverkehr und damit auch gegenüber der Beklagten zu 1 wartepflichtig. Sie musste auch bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt damit rechnen, dass die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr zwischenzeitlich auf Grünlicht geschaltet hat (vgl. OLG Düsseldorf NVZ 1997,481; OLG Hamm Urteil vom 26.08.2016 – i-7 U 22/16 jeweils m. w. N.). Insoweit ist der [Fahrerin des Klägerfahrzeugs] ein schuldhafter Verstoß gegen die ihr gem. gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegende Sorgfaltspflicht vorzuwerfen, da sie dennoch in die Kreuzung einfuhr und ihre Wartepflicht missachtete.

Der Sachverständige hat in seinem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten, dem das Gericht nach eigener Prüfung vollumfänglich folgt, ausgeführt, dass die Behauptung der Klägerseite, die Zeugin H[…] habe zum Unfallzeitpunkt gestanden, technisch nicht nachvollziehbar ist und sich der von der Zeugin H[…] in der mündlichen Verhandlung geschilderte Kollisionsposition nicht mit den örtlichen Gegebenheiten in Einklang bringen lässt, hingegen aber die Darstellung der Beklagten, sie sei bei grün eingefahren, während die Zeugin H[…] bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei und gegen die hintere Fahrzeugseite des Beklagtenautos unter verschiedenen Szenarien technisch darstellbar ist.

Soweit die Beklagte zu 1) im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung sowie die Zeugin L[…] als Beifahrerin im Beklagtenfahrzeug im Rahmen ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 24.11,2022 angegeben haben, die Beklagte zu 1 sei bei grün in den Kreuzungsbereich eingefahren, ist das Gericht aufgrund der übereinstimmenden Angaben aller Seiten davon überzeugt. Auch hält es das Gericht aufgrund der Plausibiltätsbetrachtung des Sachverständigen für sehr wahrscheinlich, dass die Zeugin H[…] noch nicht in den Kreuzungskernbereich eingefahren war, als die Ampel für die Beklagte zu 1 auf grün schaltete. Wo genau und warum die Zeugin gehalten hatte, war nicht aufzuklären und kann für die Entscheidung letztlich offen bleiben, weil – wie zuvor beschrieben – die Klägerin jedenfalls den Nachweis, dass die Zeugin H[…] in der Kreuzung gestanden hatte und vor der Beklagten zu 1 vorrangige Kreuzungsräumerin gewesen war, nicht führen konnte. Die gegenteilige Aussage der Zeugin H[…] war technisch, wie vom Sachverständigen anhand der feststehenden Rahmenbedingungen nachvollziehbar dargestellt, technisch nicht plausibel.

Der Zeuge G[…] kam als Polizeibeamter erst nach dem Unfall, als die Unfallfahrzeuge bereits die Kreuzung geräumt hatten, zum Unfallort und konnte daher aus eigener Wahrnehmung zum Unfallhergang nichts sagen. Dennoch konnten seine Beschreibungen als Polizeibeamter dem Sachverständigen Anhaltspunkte liefern.

Die Zeugin H[…] musste angesichts der gegebenen Umstände bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als sie in den Kreuzungskern fuhr, auch damit rechnen, dass die Schaltung der Lichtzeichenanlagen bereits gewechselt hatte und der Querverkehr Grünlicht bekommen hatte. Sie hätte zudem nach den Ausführungen des Sachverständigen, die das Gericht anhand der mit den Parteien in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der beigezogenen Ermittlungsakte das in den Kreuzungsbereich einfahrende Fahrzeug der Beklagten zu 1 sehen können, wie eben auch die Beklagte zu 1 das von der Zeugin H[…] geführte Fahrzeug hätte sehen können, dass ihr zunächst nach ihrer eigenen Angabe aufgrund der ungewöhnlichen Haltepostion im Fußgängerbereich der Kreuzung aufgefallen war. Der Zeugin H[…] fällt daher ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StVO zur Last. Der Beklagten zu 1 ist dagegen kein Verstoß gegen § 11 Abs. 3 StVO, wohl aber ein leichter Verstoß gegen § 1 Abs.2 StVO anzulasten. Es lässt sich auch nicht erkennen, dass die Beklagte zu 1 trotz erkennbaren Vorfahrtverstoßes der Zeugin H[…] sich ihren Vorrang hatte erzwingen wollen.

Vielmehr durfte sie darauf vertrauen, dass sich die Zeugin H[…] verkehrsgerecht verhalten und bis zur nächsten Grünphase stehen bleiben würde. Allerdings wäre es ihr bei gehöriger Aufmerksamkeit möglich gewesen das klägerische Fahrzeug vor dem Zusammenstoß zu erkennen und, wenn auch vielleicht nicht den Unfall zu vermeiden, so aber dessen Folgen zu mindern.

7.
Bei Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß §§ 17 Abs. 1, 2 StVG ergibt sich vorliegend keine Haftung der Beklagten, die eine Quote von 1/3, nach der der Unfallschaden der Klägerin bereits reguliert ist, übersteigen würde.

Auf Seiten der Beklagten war lediglich die Betriebsgefahr, eventuell um einen leichten Verstoß gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 1 Abs.2 StVO ihres Fahrzeuges erhöht, zu berücksichtigen. Dem steht der schuldhafte Verkehrsverstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs gegen §§ 37, 1 Abs. 2 StVO gegenüber.

Die Beklagte zu 1 durfte darauf vertrauen, dass sie gefahrlos bei grüner Lichtzeichenanlage die Kreuzung passieren kann und auch die Fahrerin des Klägerfahrzeugs das Vorrecht des Querverkehrs infolge des zwischenzeitlichen Phasenwechsels beachten wird. Nach dem sog. Vertrauensgrundsatz darf ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten, solange er sich selbst derart verhält. So muss ein Kraftfahrer, für den durch grünes Licht der Verkehr freigegeben ist gem. § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StVO, grundsätzlich nicht damit rechnen, dass andere Fahrzeuge unerlaubter Weise von der Seite her in die Kreuzung einfahren (BGH Urteil vom 11.05.1971 -VI ZR 11/70). Er darf sich in der Regel vielmehr darauf verlassen, dass er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr abgeschirmt ist (vgl. OLG Düsseldorf NVZ 1997, 481).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 19.10.2023 – 21 C 279/22

Beitragsbild: fiktives, mit DALL·E 3 erstelltes Bild

100%ige Haftung eines Ausparkenden bei einem Parkplatzunfall, der mit seinem Fahrzeug gegen ein den Ausparkvorgang Wartenden stößt.

Das Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22) betrifft einen Verkehrsunfall auf einem Parkplatz. Die Klägerin und die Beklagte parkten ihre Fahrzeuge in Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen. Die Klägerin fuhr rückwärts aus ihrer Parkbucht aus und blieb dann stehen, als sie bemerkte, dass die Beklagte ebenfalls rückwärts aus ihrer Parkbucht ausfuhr. Trotz des Hupens der Klägerin fuhr die Beklagte weiter rückwärts und stieß gegen das Fahrzeug der Klägerin.

Das Gericht entschied, dass die Beklagte 100% der Haftung für den Unfall trägt. Es wurde festgestellt, dass die Beklagte gegen § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat, da sie rückwärts fuhr und dabei das Fahrzeug der Klägerin beschädigte. Das Gericht stellte fest, dass es technisch möglich gewesen wäre, für die Beklagte aus ihrer Parkbucht auszuparken und den Parkplatz zu verlassen, ohne das Fahrzeug der Klägerin zu treffen.

Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass der Unfall für sie unvermeidbar war. Allerdings wurde festgestellt, dass sie zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und versucht hatte, durch Hupen die Beklagte zu warnen. Das Gericht entschied, dass die Klägerin den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern konnte.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

gegen

[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigter:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

im schriftlichen Verfahren, in welchem Schriftsätze bis zum 30.06.2023 eingereicht werden konnten, am 21.07.2023

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] freizustellen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 3.182,12 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 09.11.2021 auf dem Parkplatz […] in Bautzen ereignete.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw, Typ FIAT Tipo […] den Parkplatz. Die Zeugin J[…] M[…] befuhr mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW, Typ Hyundai i20 […] den Parkplatz.

Die Parteien parkten zunächst jeweils in den Parkbuchten, die rechtwinklig zueinander lagen.

Die Klägerin fuhr sodann rückwärts aus ihrer Parkbucht aus. Im Folgenden kam es zur Kollision des klägerischen Fahrzeugs und des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…], die ebenfalls rückwärts aus der Parklücke ausgefahren war. Das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug und das klägerische Fahrzeug kollidierten am Kotflügel des Fahrzeugs der Klägerin und am Heck des Fahrzeugs der Zeugin J[…] M[…].

Am Fahrzeug der Klägerin entstand folgender Sachschaden:

1. Am Pkw der Klägerin entstanden entsprechend dem […] vorgelegten Gutachten vom 07.01.2022 und dem […] vorgelegten Nachtragsgutachten vom 07.03.2022 des Kfz-Sachverständigenbüros […] Beschädigungen an der linken Fahrzeugfront.

Der vordere linke Kotflügel weist eine starke Ausknickung auf. Die linke Stoßfängerwange wurde beschädigt. Der linke Scheinwerfer ist gebrochen. Am Stoßfänger wurden Halterungen abgerissen. Gegenüber den angrenzenden Fahrzeugteilen, Motorhaube, Kotflügel rechts wurden Farbtonunterschiede auffällig, sodass eine Beilackierung des rechten vorderen Kotflügels und der Motorhaube durchgeführt wurde. Die Kosten für die Reparatur des Fahrzeugs betragen ausweislich der Reparaturkostenrechnung […] der Reparaturwerkstatt […] 4.775,93 Euro brutto.

2. Ausweislich dem Gutachten des Kfz-Sachverständigenbüros […] vom 07.01.2022 entstand durch die Beschädigung eine Wertminderung in Höhe von 400,00 Euro.

Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeugs beträgt 18.700,00 Euro und wird somit durch die Höhe des Schadensumfangs nicht erreicht.

3. Die Gutachterkosten betragen gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros Kfz-Sachverständigenbüro […] vom 07.01.2022 und gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] des Sachverständigenbüros […] vom 07.03.2022 insgesamt 836,09 Euro brutto.

4. Die Klägerin macht ferner restliche Mietwagenkosten gemäß der […] vorgelegten Rechnung […] der Reparaturwerkstatt […] vom 14.03.2022 geltend. Die Klägerin musste für die Dauer der Reparatur ein Ersatzfahrzeug mieten, da die Fahrt zur Arbeitsstätte, berufliche Fahrten sowie private Fahrten einen PKW erfordern.

5. Ferner beansprucht die Klägerin eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro für Telefonate, Porto und Fahrtkosten.

Die Klägerin mahnte die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten zur Zahlung der Schadensersatzansprüche an und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 17.01.2022. Die Zahlung wurde erneut durch anwaltlichen Schriftsatz am 22.03.2022 angemahnt.

Die Beklagte regulierte den Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %.

Im Ergebnis wird unter Berücksichtigung der Zahlung der Beklagten für den Schaden am Fahrzeug ein verbleibender Betrag:

  • in Höhe von 2.387,96 Euro für die Reparaturkosten
  • in Höhe von 200,00 Euro für die Wertminderung
  • in Höhe von 418,04 Euro für die Schadensgutachten
  • in Höhe von 163,62 Euro für die Mietwagenkosten und
  • in Höhe von 12,50 Euro die restliche Unkostenpauschale für Telefonate, Porto und Fahrtkosten

geltend gemacht.

Die Klägerin behauptet, sie habe am Unfallort aus der Parklücke rückwärts ausgeparkt und habe mit ihrem Fahrzeug gestanden. Bevor die Klägerin mit ihrem Fahrzeug zum Ausgang des Parkplatzes fahren konnte, erkannte sie, dass die Zeugin J[…] M[…] mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug auszuparken begann. Zur Vermeidung einer Gefahrensituation will die Klägerin mit ihrem Fahrzeug stehengeblieben sein, um den Ausparkvorgang des Unfallgegners stehend abzuwarten. Aus der Sicht der Klägerin bestand für die Zeugin J[…] M[…] grundsätzlich ausreichend Platz für den Ausparkvorgang. Die Klägerin behauptet, als das Fahrzeug der Unfallgegnerin rückwärts auf das Fahrzeug der Klägerin dicht zu fuhr und augenscheinlich nicht das hinter ihr stehende Fahrzeug der Klägerin wahrnahm, will die Klägerin versucht haben durch durchgehendes Hupen die Zeugin J[…] M[…] zu warnen. Ungeachtet dessen soll diese die Rückwärtsfahrt fortgesetzt haben und sei gegen den Kotflügel des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen. Die Klägerin habe den Unfall trotz Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht verhindern können.

Die Klägerin meint, die Zeugin J[…] M[…] habe den Unfall allein verschuldet. Insbesondere spreche ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Fahrzeugführerin des Fahrzeugs der Beklagtenseite. Für die Klägerin sei der Unfall unvermeidbar gewesen und hätte auch durch die Anwendung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abgewendet werden können, sodass eine Haftung der Klägerin ausgeschlossen sei.

Aufgrund des Zeitablaufs nahm die Klägerin die Vollkaskoversicherung […] zur Zwischenfinanzierung des restlichen Schadens in Anspruch, die unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts der Klägerin am 09.11.2022 eine Gesamtzahlung in Höhe von 3.006,00 Euro, mithin 2.387,96 Euro auf die Reparaturkosten, 200,00 Euro auf die Wertminderung und 418,04 Euro auf die Sachverständigenkosten an die Klägerin leistete. In der Folge ist die Erstattungsforderung der Klägerin in Höhe von 3.006,00 Euro durch den gesetzlichen Forderungsübergang auf die Vollkaskoversicherung übergegangen. Mit Schriftsatz vom 14.11.2022 hat sie ihre Klageanträge […] umgestellt.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 400 Euro für die Zeit vom 10.11.2021 bis zum 15.3.2022 so\wie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 412,50 Euro seit dem 16.3.2022 bis zum 28.3.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 212,50 Euro seit dem 29.3.2022 bis zum 9.11.2022 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 12,50 Euro seit dem 10.11.2022 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an das Versicherungsunternehmen […] einen Betrag in Höhe von 3.006,00 Euro zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin gegenüber dem Autohaus […] von restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro […] vom 14.03.2022 freizustellen.

Die Beklagte behauptet, der Verkehrsunfall ereignete sich, als die Klägerin mit dem Pkw rückwärts aus ihrer Parkposition auf dem Parkplatz […] in Bautzen ausparkte und da bei gegen den Pkw der Zeugin J[…] M[…] stieß. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden habe. Zudem bestreitet die Beklagte, dass die Zeugin J[…] M[…] ausreichend Platz zum Ausparken gehabt habe.

Die Beklagte bestreitet den geltend gemachten Zinsschaden, soweit die Klägerin begehrt, von geltend gemachten Beträgen freigestellt zu werden, dürfe der Freistellungsanspruch nicht verzinst werden, da es sich hierbei nicht um eine Geldschuld handelt.

Der Verkehrsunfall sei für die Klägerin nicht unvermeidbar gewesen. Es dürfte auch kein Anscheinsbeweis gegen die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs sprechen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin J[…] M[…] und durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Für das Ergebnis der Zeugenvernehmung und der Anhörung der Klägerin wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2022 und auf das Sachverständigengutachten vom 13.04.2023 verwiesen. Insoweit wird auch im Übrigen wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Urteil ergeht mit dem Einverständnis der Parteien ohne Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, § 128 Abs. 2 ZPO.

I.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die Klägerin auch prozessführungsbefugt, soweit Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen der Zahlung ihrer Vollkaskoversicherung im November 2022 auf diese gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangen sind. Dies folgt aus § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Veräußerung oder Abtretung eines Rechts auf den Prozess keinen Einfluss hat. Die Norm gibt dem Zedenten nicht nur bei der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge, sondern auch dem vorliegenden gesetzlichen Forderungsübergang die Möglichkeit, Rechte des Zessionärs in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. Zöller/Greger, ZPO. 33. Aufl. 2020, § 265 ZPO Rn. 5).

II.

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin und die [Vollkasko] haben nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG, §§ 249 ff. BGB aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen die Beklagte in Höhe von 12,50 Euro durch Zahlung an die Klägerin, auf Freistellung der Mietwagenkosten in Höhe von 136,62 Euro und in Höhe von 3.006,00 Euro durch Zahlung an die [Vollkaskoversicherung].

1.

Die [Vollkaskoversicherung] ist hinsichtlich des Klageantrags zu 2 nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG aktivlegitimiert. Zudem ist das Fahrzeug der Klägerin beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, dessen Versicherer die Beklagte im Unfallzeitpunkt war, beschädigt worden, § 7 Abs. 1 StVG.

Der Anwendung des § 7 StVG steht nicht entgegen, dass sich der Unfall auf einem Parkplatz ereignete. Denn öffentlicher Verkehr ist auch bei – wie hier vorliegend – öffentlichen und allgemein zugänglichen Parkplätzen zu bejahen (MüKoStVR/Engel, 1. Aufl. 2017, StVG § 7 Rn. 10).

2.

Die Ersatzpflicht der Beklagten entfällt nicht nach § 7 Abs. 2 StVG. Der Unfall beruhte nicht auf höherer Gewalt.

3.

In welchem Umfang die Parteien als die am Unfall beteiligten Fahrzeughalter und Versicherer

der Fahrzeugführerin einander Ersatz leisten müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, § 17 Abs. 1,2 StVG.

a)

Der Ausgleich ist nicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG ausgeschlossen. Der Zusammenstoß zwischen dem PKW der Klägerin und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug war für keinen Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis.

Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der

Halter als auch der Fahrer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falls gebotenen Sorgfalt beachtet hat. Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn der Führer des Fahrzeugs die je nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG). Hierzu gehört ein sachgemäßes und geistesgegenwärtiges Handeln über dem Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 13.12.1990 – III ZR 14/90, BGHZ 113, 163). Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit

des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben, wobei es nicht allein darauf ankommt, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt In eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH Urteil vom 17.03.1992 – VI ZR 62/91, NJW 1992,1684; Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, NJW 2006, 896).

bb)

Keine der Parteien hat darzulegen und zu beweisen vermocht, dass auch ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr nicht hätte abwenden können oder jedenfalls einen weniger schweren Unfall verursacht hätte. Ein über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus sachgemäß und geistesgegenwärtig handelnder Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten hätte den Unfall ebenso abwenden können, wie ein ebenso handelnder Fahrer des PKW der Klägerin. Zwar hat der Sachverständige nach Analyse der Spuren und Schäden bestätigt, dass das Fahrzeug der Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Flanke der Frontpartie des stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Des Weiteren stellte der Sachverständige jedoch fest, dass es der Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges technisch möglich gewesen wäre, ohne Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin aus der Parklücke herauszufahren und den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen. Der Verkehrsunfall war für die Zeugin J[…] M[…] vermeidbar, da es für sie aus technischer Sicht möglich gewesen wäre, mit dem Fahrzeug rückwärts aus der Parkbucht auszuparken, ohne mit dem Fahrzeug der Klägerin zu kollidieren und anschließend den Parkplatz vorwärtsfahrend zu verlassen.

Für den Nachweis der Unvermeidbarkeit des klägerischen Fahrzeugs reicht allein der erwiesene Umstand, dass der Pkw der Klägerin vor der Kollision ausweislich des unfallanalytischen Sachverständigengutachten zum Stillstand gekommen war und sie mit Hupen auf sich Aufmerksam machte, allerdings nicht aus, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein „Idealfahrer“ anstelle der Klägerin das Beklagten-Fahrzeug rechtzeitig unfallvermeidend hätte erkennen können (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 06.06.2019 – 4 U 89/18; NJW-RR2019, 1435).

b)

Unter Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG tritt die Haftung des Fahrzeugs der Klägerin aus der Betriebsgefahrvollständig hinter der Haftung des Fahrzeugs der Beklagtenseite zurück, sodass die Beklagtenseite die alleinige Haftung trifft.

Da keine Seite die Unvermeidbarkeit des Unfalls belegen kann, ist nach den jeweiligen Verursachungsanteil abzuwägen, § 17 Abs. 2 StVG. Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1,2 StVG ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Ver-schulden (BGH Urteil vom 13.12.2016 -VI ZR 32/16). Bei der gebotenen Abwägung dürfen unstreitige, zugestandene oder erwiesene Tatsachen zugrunde gelegt werden, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Im Rahmen der Feststellung der Verursachungsbeiträge muss jeder Seite das Mitverschulden der Gegenseite beweisen.

aa)

Die Fahrzeugführerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs hat gegen § 1 Abs. 1 i. V.

m. § 9 Abs. 5 StVO verstoßen.

Wegen der besonderen Sorgfaltspflicht spricht gegen den Rückwärtsfahrer der Beweis des ersten Anscheins (OLG München N2V 2014, 416; KG NJW-RR 2010, 1116; LG Hagen ZfS 1992, 44). Zwar ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt sie aber über § 1

StVO. Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärts fährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Mitverschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen (BGH, Urt. v. 11. 10.2016 – VI ZR 66/16 = r+s 2017, 93, beck-online; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 27. Aufl. 2022, StVO § 9 Rn. 69). Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat. Denn gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein Fahrer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Ausweislich der Feststellungen im Sachverständigengutachten konnte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts den Beweis führen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision mit ihrem Fahrzeug gestanden hatte und das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärtsfahrend gegen die linke Frontpartie stehenden Fahrzeugs der Klägerin gestoßen ist. Hierdurch hat die Zeugin J[…] M[…] gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen und den Verkehrsunfall verschuldet.

Zudem kommen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung. Das Gericht schließt sich den oben stehenden Ausführungen an. Danach greift zulasten der Beklagtenseite ein Anscheinsbeweis aufgrund der erfolgten Kollision während eines rückwärtigen Fahrvorgangs. Die Feststellungen des Sachverständigen bestätigen, dass sich ein für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises typische Lebenssachverhalt ereignete. Denn es steht nach der Beweisaufnahme fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, die Zeugin J[…] M[…], als Rückwärtsfahrende, zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand. Es gelang der Beklagtenseite nicht, diese zu erschüttern. Zudem wäre das Fahrzeug für die Zeugin J[…] M[…] optisch sowie die Gefahrensituation durch das Hupen auch akustisch erkennbar und der Unfall für diese vermeidbar gewesen. Die Klägerin hatte noch den Versuch unternommen, die Aufmerksamkeit der Zeugin J[…] M[…] zu erreichen und den Unfall zu vermeiden. Dies deckt sich mit den Feststellungen des Sachverständigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand und der Aussagen aus der Zeugenbefragung, in der die

Zeugin J[…] M[…] angab, dass die Klägerin durchgehend hupte.

Die Ausführungen des Sachverständigen Schlütter sind für das Gericht plausibel. Als von der Ingenieurkammer Sachsen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Kraftfahrzeugschäden und -bewertung ist der Sachverständige Schlütter für die Begutachtung kompetent. Seine Ausführungen sind logisch, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei.

Die Beklagte ist nach § 115 Abs. 1 Satz 2, 4 VVG einstandspflichtig.

bb)

Eine Mithaftung der Klägerin ergibt sich hier nicht aus § 1 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO, weil ihr kein wesentliches verkehrswidriges Verhalten zur Last zulegen ist.

Ein Anscheinsbeweis greift nicht zulasten der Klägerin, da diese zum Zeitpunkt der Kollision bereits stand. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass sich die Klägerin mit ihrem Fahrzeug verkehrsgerecht verhalten hat. Der Sachverständige stellte fest, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hat. Schlüssig ist nach den Feststellungen des Sachverständigen auch, dass die Klägerin zur Vermeidung einer Kollision durch Hupen versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen. Nach Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Zeugin J[…] M[…] das Fahrzeug der Klägerin während des Rückwärtsfahrens übersehen hat.

cc)

Vor diesem Hintergrund und des im Übrigen geringen Verursachungsbeitrag der Klägerin an dem Unfallgeschehen haftet die Beklagtenseite zu 100%. Der Unfall war zwar weder für die Zeugin J[…] M[…] noch für die Klägerin unvermeidbar. Der Verursachungsbeitrag der Klägerin ist allerdings als so gering zu bewerten, dass er wegen des überwiegenden Mitverschuldens der Zeugin J[…] M[…] bei der gemäß § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung vollständig zurückzutritt. So liegen die Grenze zwischen dem Verhalten eines Idealfahrers und des tatsächlichen Verhaltens der Klägerin so nah beieinander, dass hinsichtlich der Verursachungsbeiträge keine Quotelung zulasten der Klägerin erfolgt.

Das Klägerfahrzeug stand ausweislich des oben stehenden Ergebnisses der Beweiswürdigung zum Zeitpunkt der Kollision. Zuvor hat sie den Ausparkvorgang zwar bei eingeschränkten Sichtverhältnisses begonnen, kam allerdings noch vor der Kollision für die Zeugin J[…] M[…]

bei gehöriger Rückschau erkennbar und rechtzeitig zum Stehen, sodass die Zeugin J[…] M[…] die Kollision hätte vermeiden können. Diesbezüglich wird auf die obenstehende Beweiswürdigung Bezug genommen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision stand. Zum anderen hatte die Zeugin J[…] M[…] die Möglichkeit, das eigene Fahrzeug vor der Kollision rechtzeitig anzuhalten, zumal die Klägerin mit dem Hupen noch ein Warnsignal abgegeben hat. Außerdem ist auf Parkplätzen stets mit aus Parklücken fahrenden Fahrzeugen zu rechnen, sodass der Zeugin J[…] M[…] im besonderen Maße eine Sorgfaltspflicht dahingehend oblag, das eigene Fahrzeug jederzeit anhalten zu können und auf ausparkende Fahrzeuge entsprechend reagieren zu können.

4.

Durch die Kollision entstand ein ersatzfähiger Schaden im Sinne von §§ 249 ff. BGB. Mit Ausnahme der beantragten Zinsen für den Freisteilungsanspruch ist der Schaden der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Unter Berücksichtigung der, der Beklagtenseite anzurechnenden Verursachungsquote von 100 %, ergibt sich der noch zu ersetzende Betrag wie folgt:

a) Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der restlichen Unkostenpauschale in Höhe von 12,50 Euro, da es sich hierbei um einen ersatzfähigen Schaden im Sinne von gemäß § 249 BGB handelt (BGH, Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11; NJW 2011,2871).

b) Die Klägerin hat gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls einen Anspruch auf Freistellung in Bezug auf die aufgewendeten Mietwagenkosten in Höhe von 163,62 Euro gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 257 Satz 1 BGB. Der Anspruch der Klägerin ist auf Freistellung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Autohaus […]. Aus der Rechnung vom 14.03.2022 mit der Rechnungsnummer 920277 und nicht auf Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin gerichtet, weil der Klägerin mangels vermögensmindernder Zahlung kein Schaden entstanden ist.

c) Ferner kann die Klägerin in Folge der Zwischenfinanzierung auf die restlichen Reparaturkosten in Höhe von 2.387,96 Euro, der restlichen Wertminderung in Höhe von 200,00 Euro und auf die restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 418,04 Euro – insgesamt also 3.006,00 Euro an die [Vollkaskoversicherung] verlangen.

Auf Grund der Regulierung der Ersatzansprüche ist die [Vollkaskoversicherung] gemäß § 86 VVG Anspruchsinhaberin geworden.

5.

Der Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 1 und Abs. 3, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 analog, 291 BGB. Die Hauptforderung ist antragsgemäß zu verzinsen.

Die Fälligkeit tritt in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung ein, wenn wegen

einer Verletzung einer Person oder wegen einer Beschädigung einer Sache nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Ersatz zu leisten ist (BGH, Beschluss vom 18.11.2008 – VI ZB 22/08; NJW 2009, 910). Ist die Voraussetzung der Fälligkeit des Schadenersatzanspruchs gegeben und liegt eine Mahnung vor, sind die gesetzlichen Verzugszinsen bereits vor Ablauf der dreimonatigen Bearbeitungsfrist und aufgrund der BGB-Verzugsregelung zu zahlen (OLG Rostock, Beschluss vom 9.1.2001 -1 W 338/98; MDR 2001,935).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1,2 ZPO.

V.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG.“

AG Bautzen, Urteil vom 21.7.2023 – 20 C 173/22

Zum Werkstattrisiko des Schädigers nach einem Verkehrsunfall

Durch das Amtsgericht Leipzig (AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23) wurde entschieden, dass die Beklagte die gesamten Reparaturkosten zu erstatten hat. Die Begründung dafür basiert auf mehreren rechtlichen Grundsätzen und Bestimmungen des deutschen Rechts.

Die Haftung der Beklagten für den durch den Unfall entstandenen Schaden zwischen den Parteien war im vorliegenden Fall unstrittig. Dies bedeutet, dass die Beklagte grundsätzlich verpflichtet ist, den durch den Unfall verursachten Schaden zu ersetzen.

Die entscheidende Frage in diesem Fall war jedoch, in welchem Umfang die Beklagte für die Reparaturkosten aufkommen muss. Hierbei spielt § 249 Abs. 2 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine zentrale Rolle. Nach dieser Vorschrift kann der Geschädigte, wenn eine Sache beschädigt wurde, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte.

In diesem Zusammenhang hat das Gericht festgestellt, dass die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten durfte, da sie keine besseren Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hatte. Insbesondere hat das Gericht berücksichtigt, dass der Geschädigte bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Das sogenannte Werkstattrisiko geht daher zu Lasten des Schädigers.

Darüber hinaus hat das Gericht festgestellt, dass der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel ziehen konnte. Der Bericht ließ nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen und konnte daher nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung haben.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Leipzig […]

im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO am 30.06.2023

für Recht erkannt:

1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 1.096,90 € bis zum 3.2.2023 und auf 856,90 € ab dem 4.2.2023 festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche anlässlich eines Verkehrsunfalls geltend.

Am 28.6.2022 ereignete sich auf der L321 in Meine ein Verkehrsunfall. An diesem waren das Fahrzeug der Klägerin […] und das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug […] beteiligt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach für den entstandenen Schaden ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin hat den oben genannten Pkw bei der Reparaturwerkstatt […] reparieren lassen, diese hat dafür eine Rechnung über 19.103,40 € netto erstellt. Die Beklagte hat vorgerichtlich in Bezug auf die geltend gemachten Reparaturkosten einen Betrag i.H.v. insgesamt 18.006,50 € netto bezahlt. Grundlage war der von der Beklagten eingeholte Prüfbericht […] vom 30.08.2022, welcher eine Neuberechnung vorgenommen hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechnung vom 16.08.2022 […] und den Prüfbericht vom 30.08.2022 […] Bezug genommen. Nach Klageeinreichung am 17.1.2023 und vor Zustellung der Klage zahlte die Beklagte auf die Reparaturkosten am 3.2.2023 einen weiteren Betrag i.H.v. 240,00 €.

Die Klägerin behauptet, ihr sei durch den Unfall ein Reparaturschaden in Höhe von insgesamt 19.103,40 € netto entstanden. Dieser Betrag sei für eine sach- und fachgerechte Instandsetzung des klägerischen Fahrzeugs erforderlich gewesen.

Die Klägerseite beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 856,90 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.096,90 € seit dem 22.7.2022 bis zum 3.2.2023, sowie weitere Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 856,90 € zu zahlen.

Die Beklagtenseite beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, Reparaturkosten seien allenfalls i.H.v. 17.766,50 € netto erforderlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erklärt.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1.)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Form von Reparaturkosten aus dem Verkehrsunfall vom 28.6.2022 i.H.v. 856,90 € netto gemäß §§7Abs. 1,17Abs. 1 StVG.823Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG.

a)
Die Haftung der Beklagten nach einer Haftungsquote von 100 % für die der Klägerin bei dem Unfall vom 28.6.2022 entstandenen Schäden dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

b)
Der Höhe nach hat die Beklagte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Kläger auch die weiteren Reparaturkosten i.H.v. 856,90 € netto zu erstatten.

Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Verursacht also von mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt; denn nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (statt vieler: BGH, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 9, zitiert nach juris).

Allerdings sind unter dem Blickpunkt, dass der Schädiger grundsätzlich für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen hat, an die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt nämlich darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, Rn. 9, zitiert nach juris). Es ist insbesondere Rücksicht auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Diese „subjektbezogene Schadensbetrachtung“ kann sich sowohl zugunsten des Geschädigten als auch zugunsten des Schädigers auswirken (BGH, Urteil vom29.10.2019 – VI ZR 45/19, Rn. 10, zitiert nach juris).

Gerade im Fall der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73, Rn. 10, zitiert nach juris). Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 10, jeweils zitiert nach juris).

Dem Geschädigten sind in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen sind, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 12, zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, BeckRS 1995, 01930; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 11, zitiert nach juris). Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Würde nämlich der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, Vl ZR 42/73, Rn. 10; LG Köln, Urteil vom Seite 507.05.2014, 9 S 314/13, Rn. 12, jeweils zitiert nach juris).

Die Zuweisung des Prognoserisikos bewirkt, dass die für die Schadensschätzung maßgeblichen Feststellungen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Einschätzung der Wiederherstellungskosten erfolgt, der konkrete Schadensersatz sich aber nach den tatsächlichen Kosten richtet (vgl. OLG Zweibrücken, Beschiuss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, zitiert nach juris). Ersatzfähig sind danach auch die Kosten, die ex ante als erforderlich erschienen, ex post jedoch erfolglos oder in Wirklichkeit nicht erforderlich waren (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16).

Dies gilt nur dann nicht, wenn den Geschädigten ein Auswahlverschulden bezüglich des von ihm beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt trifft (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VI ZR 314/90, Rn. 15; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015,14 U 63/15, Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.06.2018, 5 U 85/17, Rn. 16, jeweils zitiert nach juris). Der Unfallgeschädigte darf darauf vertrauen, dass die Werkstatt nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht erbracht wurden oder Reparaturen vornimmt, die nicht erforderlich waren (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2015, 14 U 63/15, Rn. 11, zitiert nach juris).

c)
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind vorliegend auch die weiteren Reparaturkosten in Höhe von 856,90 € netto als erforderlich i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen, auch wenn die Reparaturkosten – wie von der Beklagten behauptet – zur Behebung des Unfallschadens nicht notwendig gewesen sein sollten. Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten für erforderlich halten dürfen.

(1)
Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bezüglich der mit den Reparaturarbeiten beauftragten Reparaturwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Einen Vortrag hierzu hat die Beklagte nicht gehalten.

(2)
Auch vermag der von der Beklagten vorgelegte Prüfbericht die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten aus der Sicht der Klägerin nicht in Zweifel zu ziehen. Der von der Beklagten vorgelegte Bericht […] lässt nicht einmal die Qualifikation seines Erstellers erkennen, sodass er nach Auffassung des Gerichts keine Relevanz für die Regulierung hat. Weshalb der namenlose Verfasser in der Lage sein soll, die Kosten für durchgeführte Reparaturarbeiten anzuzweifeln, ohne das Auto gesehen zu haben, wird mit keinem Wort erläutert.

2.)
Die Klägerin hat gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 BGB gegen die Beklagte ferner einen Anspruch auf Ersatz von Zinsen in gesetzlicher Höhe.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Leipzig, Urteil vom 30.6.2023 – 117 C 1924/23