Sachverständigenhonorare im Fokus: Warum Gerichte BVSK und HUK als Maßstab akzeptieren

Das Landgericht legt in seinem Hinweisbeschluss seiner Kammer eine klare und in der Rechtsprechung gut verankerte Linie zur Frage zugrunde, wie die Vergütung eines Kfz-Sachverständigen im Haftpflichtschadenfall zu schätzen ist. Die Kammer bestätigt ausdrücklich, dass sowohl die BVSK-Gesamtschau als auch das Honorartableau der HUK-Coburg als geeignete Orientierungsgrößen herangezogen werden dürfen. Diese Würdigung knüpft an eine gefestigte obergerichtliche Praxis an und fügt sich systematisch in die Grundsätze des § 287 ZPO ein. Entscheidend ist, dass das Gericht die Schadenshöhe nach freier Überzeugung schätzen darf, solange die Heranziehung solcher Tabellen sachlich gerechtfertigt ist. Genau darauf stellt der Hinweisbeschluss ab – und macht damit zugleich deutlich, weshalb die Gegenargumente der Versicherung nicht durchgreifen.
Die Kammer verweist auf die statistische Grundlage der herangezogenen Tabellen. Sowohl die BVSK-Erhebungen als auch das HUK-Honorartableau beruhen auf großen Datenmengen und spiegeln typische Marktpreise wider. Das Gericht verweist folgerichtig auf das „Gesetz der großen Zahl“, das typisierende Durchschnittswerte besonders belastbar macht. Diese Typisierung ist rechtlich zulässig und notwendig, weil der Schadensersatz nach § 249 BGB gerade nicht auf einer minutengenauen Abrechnung des Gutachteraufwands beruht, sondern auf dem objektiv erforderlichen Betrag. Die Rechtsprechung des OLG Dresden, des LG Hamburg und des Bundesgerichtshofs – insbesondere zur entsprechenden Anwendbarkeit des JVEG auf private Sachverständige – stützt diesen Ansatz. Eine konkret-individuelle Betrachtung des von einem bestimmten Sachverständigen aufgewendeten Zeitaufwands ist weder praktikabel noch rechtlich geboten.
Die Kammer untermauert dieses Verständnis mit einem weiteren zentralen Argument: Höhere Reparaturkosten korrelieren erfahrungsgemäß mit komplexeren und umfangreicheren Schadensbildern, was wiederum typischerweise einen höheren Begutachtungsaufwand auslöst. Dass Sachverständige diesen Mehraufwand über eine pauschalierte, nach Schadenshöhe abgestufte Honorierung abbilden, entspricht ökonomischer Realität und wird von der Rechtsprechung als zulässig anerkannt. Selbst wenn der konkrete zeitliche Arbeitsaufwand im Einzelfall davon abweicht, bleibt die Pauschalierung rechtens, solange das Gutachten verwertbar ist – ein Gedanke, den der BGH im Urteil VI ZR 50/15 ausdrücklich hervorgehoben hat.
Bemerkenswert ist zudem die klare Zurückweisung der Argumentation, Bildverarbeitung sei keine „Schreibarbeit“ und daher nicht über die pauschalen Nebenkosten abrechenbar. Die Kammer ordnet diese Tätigkeit überzeugend als elektronischen Schreibvorgang ein, der regelmäßig mit Formatierungen und Anpassungen verbunden ist. Der Versuch, eine künstliche Trennlinie zwischen Bildverarbeitung und Schreibleistung zu ziehen, wird damit als lebensfremd und rechtlich unbeachtlich qualifiziert.
Insgesamt bestätigt der Hinweisbeschluss die in der Rechtsprechung dominierende Linie: Versicherer können weder die Orientierung an der BVSK-Gesamtschau noch die ergänzende Heranziehung des HUK-Tableaus wirksam in Zweifel ziehen, solange das Gericht die Tabellen als sachgerechte Schätzgrundlage einordnet. Für die Praxis bedeutet dies Rechtssicherheit. Sachverständige dürfen weiterhin auf die etablierten Honorartabellen zurückgreifen, Geschädigte können sich auf die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten verlassen, und Gerichte haben eine tragfähige Grundlage für ihre Schätzung nach § 287 ZPO. Gerade in der täglichen Regulierungspraxis, in der Streit über Sachverständigenhonorare nach wie vor häufig ist, setzt die Entscheidung ein deutliches Signal für Kontinuität und Verlässlichkeit.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.1.2022 – 10 S 64/21; LG Görlitz, Hinweisbeschluss vom 17.11.2025 – 2 S 80/24; AG Weißwasser, Urteil vom 13.3.2025 – 3 C 175/24; AG Dresden, Urteil vom 16.1.2025 – 103 C 2114/24; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10.9.2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.6.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Auszug aus dem Hinweisbeschluss:

„In dem Rechtsstreit

[…] Kfz-Sachverständigenbüros […]

– Kläger und Berufungsbeklagter –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherungs-[…]

– Beklagte und Berufungsklägerin –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Forderung

erlässt die 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz […]

am 17.11.2025

nachfolgenden Beschluss:

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
Bautzen vom 3. Juli 2024 – 23 C 134/24 – durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen
(§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

I.

Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 ZPO). Die amtsgerichtliche Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung,
noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Ent-
scheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. […]

2. […] Zu Recht ist die Beklagte zum Schadensersatz in vollem Umfang verurteilt worden. Das Amtsgericht hat ausweislich der Entscheidungsgründe die Schadenshöhe in freier Überzeugung durch Schätzung ermittelt und dabei – wie der Kläger – die BVSK-Gesamtschau und das Honorartableau der HUK als Orientierung herangezogen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine Orientierung an solchen Pauschalwerten durchaus anerkannt (Oberlandesgericht [OLG] Dresden, Urteil vom 19.02.2014 – 7 U 111/12 – juris RdNr. 13; Landgericht [LG] Hamburg, Urteil vom 09.04.2015 – 323 S 45/14 – juris RdNr. 26; zur entsprechenden Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes [JVEG] Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 26.04.2016 – VI ZR 50/15 – juris RdNr. 18). Eine Pauschalierung in Form der Typisierung ist auch dann zulässig, wenn bei der Berechnung von Arbeitsaufwänden nicht konkrete Zeitaufwände berücksichtigt werden, sondern an andere, abweichende Umstände angeknüpft wird, selbst wenn dies zu nicht leistungsäquivalenten Ergebnissen führt (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.08.2011 – 1 BvL 10/11 – RdNrn. 20ff, juris).

Die beiden zur Orientierung herangezogenen Werttabellen stehen dazu nicht in Widerspruch und konnten vom Amtsgericht zur Schätzung herangezogen werden. Denn es entspricht der Lebenserfahrung, dass höhere Schadenssummen/Reparaturkosten typisierend bei größeren und damit typisierend großflächigeren Schäden entstehen (beispielsweise Stoßstangenkratzer vs. Hecktotalschaden); mit komplexeren und großflächigeren Schadensbildern steigt aber auch der Aufwand der Begutachtung. Dies gilt umso mehr, als dass die beiden Werttabellen auf großen Datenmengen beruhen und deshalb nach dem Gesetz der Großen Zahl besonders aussagekräftig sind. Dass es dabei nicht auf die durch Ausbildung und Zertifikate, ja vielleicht sogar durch die Mitgliedschaft in einem Berufsverband nachgewiesene konkrete Sachkunde des Gutachters ankommt (solange das Gutachten nicht völlig unverwertbar ist – was hier nicht im Raume steht) wird letztendlich auch durch das bereits zitierte Urteil des BGH vom 26.04.2026 – VI ZR 50/15 – mit dem Hinweis auf die entsprechende Anwendung des JVEG gestützt.

3. Soweit gerügt wird, dass die Verarbeitung von Lichtbildern keine Schreibarbeiten seien und diese bereits gesondert abgerechnet seien, geht auch dies ins Leere. Denn das Einfügen von Lichtbildern ist typischerweise mit deren Formatierung und Anpassung und damit mit einen (elektronischen) Schreibvorgang verbunden; sie ist auch nicht mit der Herstellung der Bilder, die gesondert in Rechnung gestellt werden können, zu verwechseln.

II.

Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO); die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO); eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).

Die Kammer regt vor dem Hintergrund des Vorstehenden die Rücknahme der Berufung an.“

LG Görlitz, Hinweisbeschluss vom 17.11.2025 – 2 S 80/24

Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung des § 111a StPO – Zur Rechtsprechung des LG Görlitz

Das Landgericht Görlitz hatte über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Bautzen zu entscheiden, mit dem der Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO abgelehnt worden war. Gegenstand des Verfahrens war der Vorwurf, die Angeschuldigte habe sich nach einem von ihr verursachten Parkunfall unerlaubt vom Unfallort entfernt. Während die aufnehmenden Polizeibeamten den Fremdschaden zunächst auf etwa 500 Euro schätzten, ergab ein später von der Geschädigten in Auftrag gegebenes Gutachten Reparaturkosten in Höhe von 3.892,91 Euro brutto sowie eine Wertminderung von 150 Euro.

Die Staatsanwaltschaft beantragte im Anschluss den Erlass eines Strafbefehls und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO. Das Amtsgericht Bautzen lehnte den Antrag ab, da die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solchen Eingriff nicht vorlägen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg.

Das Landgericht führte aus, dass eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO nur dann zulässig sei, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass im späteren Urteil die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB endgültig entzogen werden wird. Hierfür sei ein dringender Tatverdacht sowie ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass das Gericht die Angeschuldigte als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ansehen werde. Eine solche Prognose sei vorliegend nicht gerechtfertigt.

Zwar räume die Angeschuldigte ein, den Unfall verursacht zu haben, sie habe jedoch angegeben, an beiden Fahrzeugen keinen Schaden erkannt zu haben. Die von der Kammer zugrunde gelegte Wertgrenze des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB, die bei einem bedeutenden Fremdschaden bei etwa 2.000 Euro liege, sei nach dem Akteninhalt nicht eindeutig überschritten worden. Zwar wiesen die Lichtbilder Beschädigungen in Form von Lackabplatzungen und einen Bruch an der Stoßfängerabdeckung des geschädigten Fahrzeugs auf, doch habe eine Schadenshöhe von über 2.000 Euro für die Angeschuldigte erkennbar nicht vorgelegen, zumal auch die Polizeibeamten selbst den Schaden nur auf 500 Euro geschätzt hätten.

Darüber hinaus spreche auch das Verhalten der Angeschuldigten gegen die Annahme einer charakterlichen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Diese habe den Unfall noch am selben Vormittag – etwa drei Stunden nach dem Vorfall – telefonisch bei der Polizei gemeldet. Eine derartige Nachholung der Feststellungen könne geeignet sein, die gesetzliche Vermutung der Ungeeignetheit nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zu widerlegen, selbst wenn sie nicht mehr völlig „unverzüglich“ im Sinne des § 142 Abs. 2 StGB erfolgt sei. Der Umstand, dass der Unfall zwischenzeitlich bereits von einem Zeugen gemeldet worden war, ändere hieran nichts.

Das Landgericht sah daher weder die Voraussetzungen des § 111a StPO noch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptverfahren als gegeben an und wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft als unbegründet zurück.

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In dem Strafverfahren […]

wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort

ergeht am 02.09.2025
durch das Landgericht Görlitz – Strafkammer als Beschwerdekammer –

nachfolgende Entscheidung:

1.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bautzen – Strafrichter – vom 11.08.2025, mit dem die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt wurde, wird als unbegründet verworfen.

2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeschuldigten darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – wirft der Angeschuldigten vor, sich am 15.04.2025 in Bautzen nach einem Unfall beim Ausparken unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben. Die mit der Unfallaufnahme befassten Polizeibeamten schätzten den am Fahrzeug der Geschädigten entstandenen Fremdschaden auf 500 € […] und fertigten Lichtbilder […].

Ein von der Geschädigten zur Vorlage bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung in Auftrag gegebenes Gutachten weist Reparaturkosten von 3.892,91 € brutto sowie eine Wertminderung von 150 € aus.

Am 25.07.2025 beantragte die Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – beim Amtsgericht Bautzen – Strafrichter – den Erlass eines Strafbefehls sowie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO.

Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft lehnte das Amtsgericht Bautzen – Strafrichter – mit
Beschluss vom 11.08.2025 den Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ab.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Görlitz – Zweigstelle Bautzen – mit ihrer sofortigen Beschwerde.

Auf den Akteninhalt wird Bezug genommen.

Die gemäß § 304 StPO zulässige einfache Beschwerde hat keinen Erfolg. Die angegriffene
Entscheidung ist rechtmäßig ergangen.

1.

Nach § 111a StPO kann der Richter der Angeschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird. Das erfordert dringenden Tatverdacht im Sinne des § 69 Abs. 1 S. 1 StGB und einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht die Angeschuidigte für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten und ihr daher die Fahrerlaubnis entziehen wird. In den Fällen des § 69 Abs. 2 StGB bedarf das keiner Prüfung, so
fern sich nicht wichtige Gegengründe aufdrängen (vgl. zum Ganzen Schäfer/Fresemann/Hinrichs, Die Praxis des Strafverfahrens, 7. Aufl., Rn. 737 ff.). Stets gilt es, wie auch bei jedem anderen hoheitlichen Eingriff, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.

2.

a) Die Kammer kann offenlassen, ob dringender Tatverdacht gegen die Angeschuldigte in Hinblick auf die Unfallflucht besteht. Sie räumt zwar ein. den Unfall verursacht haben, will jedoch an beiden Fahrzeugen keinen Schaden erkannt haben.

b) Hinsichtlich der Wertgrenze im Sinne in § 69 Abs. 2 Nummer 3 StGB, die die Kammer mit 2.000 € bemisst (vgl. LG Görlitz vom 26.4.2021 – 3 Qs 79/21), bestehen nach Aktenlage keine dringenden Gründe für die Annahme, dass das Gericht der Angeschuldigten die Fahrerlaubnis entziehen wird. Erforderlich wäre, dass die Angeschuldigte wusste oder zumindest billigend in Kauf nahm, dass beim Unfall ein Fremdschaden in mindestens der vorgenannten Höhe entstanden ist.

Den Bildern in der Ermittlungsakte lässt sich am Fahrzeug der Geschädigten eine Beschädigung der hinteren Stoßfängerabdeckung in Form von Lackabplatzungen entnehmen. Auf den Bildern lässt sich außerdem der von den Polizeibeamten festgestellte Bruch der Stoßfängerabdeckung erahnen.

Nach Auffassung der Kammer war jedoch eine Schadenshöhe von 2.000 € oder mehr für die Angeschuldigte nicht erkennbar, zumal die Polizeibeamten auch nur von einem sichtbaren Schaden in Höhe von 500 € ausgingen.

c) Ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht die Angeschuldigte für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten wird, besteht auch deshalb nicht, weil die Angeschuldigte den gegen 7:30 Uhr geschehenen Unfall um 10:35 Uhr telefonisch bei der Polizei meldete.

Denn selbst wenn ein Regelfall nach § 69 Abs. 2 Nummer 3 StGB voriiegt, kann die sich daraus ergebende Vermutung für die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen widerlegt werden. Die Widerlegung der Indizwirkung kommt insbesondere in Fällen alsbaldiger, wenn auch nicht mehr ganz „unverzüglicher“ Nachholung der Feststellungen i.S.d. § 142 Abs. 2 StGB in Betracht (LG Zweibrücken, Beschluss vom 11.03.2003 – Qs 31/03, Nachmeidung am Folgetag).

Für die Widerlegung der Regelvermutung ist es unerheblich, dass ein Zeuge den Unfall gesehen und bei der Polizei gemeldet hatte, wodurch die Unfallbeteiligung des Fahrzeugs der Angeschuldigten zum Zeitpunkt ihres Anrufs bei der Polizei bereits bekannt war. Diese Umstände haben keinen Einfluss darauf, ob die Angeschuldigte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist oder nicht.

Ill.

Mangels sonstigen Kostenschuldners fallen die Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen der Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.“

LG Görliz, Beschluss vom 2.9.2025 – 3 Qs 173/25

Grobe Fahrlässigkeit bei der Gläubigerbenennung als Versagungsgrund der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO

Der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 4. August 2025 (Az.: 560 IN 1297/21) betrifft die Versagung der Restschuldbefreiung eines Insolvenzschuldners in einem Insolvenzverfahren. Der Antrag eines Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung wurde vom Gericht als zulässig und begründet erachtet.

Der Schuldner hatte im Rahmen seines Insolvenzantrags eine Forderung in Höhe von 3.037,49 € aus einem Getränkelieferungs- und Mietvertrag nicht angegeben, obwohl ihm diese aufgrund mehrfacher Rechnungsstellungen und persönlicher Mahnungen durch den Außendienst der Gläubigerin bekannt war. Der Gläubiger wurde infolgedessen zunächst von der Teilnahme am Insolvenzverfahren ausgeschlossen und erfuhr erst durch eine spätere Klageerhebung vom laufenden Verfahren. Auf dieser Grundlage stellte er einen Antrag nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO, der die Restschuldbefreiung bei vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen oder unvollständigen Angaben in den Verzeichnissen nach § 305 InsO ausschließt.

Das Gericht sah sowohl objektiv als auch subjektiv eine grobe Fahrlässigkeit als gegeben an. Es betonte, dass der Schuldner verpflichtet sei, alle ihm bekannten Gläubiger korrekt anzugeben, insbesondere wenn er – wie hier – mehrfach auf die bestehende Forderung hingewiesen wurde. Die Übergabe von Unterlagen an einen Steuerberater entlaste ihn nicht, da er für die Richtigkeit der Angaben persönlich verantwortlich bleibt. Die Forderung sei weder geringfügig noch handle es sich um ein gewöhnliches Vergessen angesichts der Intensität der Kontaktaufnahme seitens der Gläubigerin.

Die Entscheidung des Amtsgerichts ist dogmatisch überzeugend und steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs. Das Gericht stellt zutreffend klar, dass § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO keine tatsächliche Schädigung der Gläubiger voraussetzt, sondern bereits die abstrakte Gefährdung ihrer Beteiligung am Verfahren genügt. Auch wird überzeugend herausgearbeitet, dass der Schuldner die Verantwortung für die Vollständigkeit seiner Angaben nicht auf Dritte (z. B. Steuerberater) delegieren kann.

Ferner wurde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen, indem die Kammer ausdrücklich erwogen hat, ob es sich um eine lediglich geringfügige Pflichtverletzung handelt – dies aber verneinte, da eine Forderung von über 3.000 € bei 29 Gläubigern und einer Gesamtverschuldung von rund 197.000 € nicht als unerheblich zu werten sei.

Die Entscheidung zeigt exemplarisch, dass Insolvenzschuldner bei der Antragstellung größte Sorgfalt walten lassen müssen. Das Insolvenzverfahren gewährt mit der Restschuldbefreiung einen erheblichen Vorteil – dem steht die Pflicht zur vollständigen Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber. Wird diese verletzt, ist die Sanktion der Versagung rechtlich nicht nur zulässig, sondern zur Sicherung der Verfahrensintegrität geboten.

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen d.

[…]

– Schuldner –

Verfahrensbevollmächtigte: […]

[…]

– Tabellengläubiger und Versagungsantragsteller –

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

[…]

– Insolvenzverwalter-

ergeht am 04.08.2025 nachfolgende Entscheidung:

1.
Der Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung wird zurückgewiesen. Die Restschuldbefreiung wird versagt.

2.
Die Kosten des Versagungsantragsverfahrens werden dem Schuldner auferlegt.

3.
Der Gegenstandswert beträgt 3.037,49 Euro.

I.

Der Schuldner hat unter dem 22. Juli 2021. bei Gericht eingegangen am 23. Juli 2021, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt und einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt.

Der Schuldner hatte in seinen Antragsunterlagen eine Forderung des Gläubigers […] in Höhe von 3.037,49 Euro aus einem Getränkelieferungs- und Mietvertrag nicht angegeben.

Die Forderung hatte folgenden Lebenssachverhalt zum Hintergrund: Der Schuldner hatte mit der Gläubigerin einen Vertrag über die Lieferung von Getränken sowie die Vermietung von Inventar abgeschlossen. Die entsprechenden Leistungen im Zeitraum vom 8. Juni 2018 bis zum 4. September 2019 in insgesamt sieben Einzelrechnungen dem Schuldner in Rechnung gestellt. Die Rechnungen sind nicht beglichen worden.
Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss vom 30. September 2021 das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt […] als Insolvenzverwalter bestellt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der Schuldner die Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung nach §§ 290, 297 InsO und 298 InsO nicht vorliegen.

In Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Gläubiger mit Schriftsatz vom 20. März 2023 wegen der offenen Forderung Klage vor dem Amtsgericht Witten erhoben. Erst daraufhin erfuhr er von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Unter dem 23. Mai 2023 hat der Antragsteller beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Der Antrag wurde zunächst zurückgestellt, da die Abtretungsfrist nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO noch nicht abgelaufen war.

Die zuständige Rechtspflegerin hat unter dem 5. Februar 2025 die Anhörung über die Entscheidung zur Restschuldbefreiung durchgeführt und die Frist zur Stellung von Anträgen auf Versagung der Restschuldbefreiung auf den 7. März 2025 festgesetzt.

Der Antragsteller hält nunmehr an seinem Antrag fest,
dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.

Er macht geltend, dass der Schuldner entgegen § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe.

Der Schuldner hat mit Schriftsatz vom 10. April 2025 beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

Er wendet ein, dass er nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Er habe die Geschäftsunterlagen seinem Steuerberater übergeben und die Forderung nicht mehr im Gedächtnis gehabt.

Die Parteien und der Insolvenzvenvalter hatten Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme, auch zu den Hinweisen des Insolvenzgerichts vom 10. April 2025, 30. April 2025 und 10. Juni 2025.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags wird auf die Schriftsätze der Antragstellerin und des Schuldners sowie die gerichtlichen Verfügungen Bezug genommen.

II.

Die Restschuldbefreiung ist dem Schuldner gemäß § 300 Abs.3 InsO i.V.m. § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO zu versagen, weil dieser In den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen seines Vermögens und seines Einkommens, seiner Gläubiger und der gegen ihn gerichteten Forderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat.

1.
Der Antrag des Gläubigers vom 23. Mai 2023 ist zulässig.

Der Antragsteller ist ausweislich der Insolvenztabelle […] Tabellengläubiger mit einem angemeldeten und unter dem 16. Mai 2024 durch die Rechtspflegerin festgestellten Betrag von 3.037,49 Euro.

Der Antrag ist auch rechtzeitig gestellt, da er bereits vor dem Ablauf der dreijährigen Abtretungsfrist nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO gestellt wurde.

Der Versagungsgrund der unvollständigen Angaben in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen nach § 300 Abs. 3 InsO i.V.m. § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO wurde durch die Antragsteilerin gemäß § 290 Abs. 2 InsO glaubhaft gemacht, ist im Übrigen aber auch unstreitig.

2.
Der Antrag ist auch begründet.

a)
Die Angaben des Schuldners in seinem Antrag waren unvollständig. Der Schuldner verstößt gegen seine Pflicht, ein richtiges und voltständiges Verzeichnis über sein Vermögen und sein Einkommen vorzulegen, wenn er im Vermögensverzeichnis einen Gläubiger nicht aufführt (BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 – IX ZB 63/08, NZI 2009, S. 562; Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl. 2019, §290 Rz. 103).

Die Forderung des Tabellengläubigers war nicht im den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen aufgeführt.

b)
Der Schuldner hat auch mindestens grob fahrlässig gehandelt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte (BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 – IX ZB 63/08, NZI 2009, S. 562, 563; FK-lnsO/Ahrens, 10. Aufl. 2023, § 290 Rz. 204).

Hier hat der Schuldner angegeben, er habe sich auf die Angaben seines Steuerberaters verlassen und die Forderung nicht im Gedächtnis gehabt. Damit hat der Schuldner nicht in ausreichender Weise glaubhaft gemacht, nicht grob fahrlässig gehandelt zu haben.

Bei einer groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung (BGH, Beschluss vom 27. September 2007 – IX ZB 243/06, NZI 2007, S. 733, 734; BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – IX ZB 212/08, NZI 2009, S. 395; Uhlenbruck/Sternal, a.a.O., § 290 Rz. 105). Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige unbeachtet bleibt, was jedem bei den gegebenen Umständen hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1983 – III ZR 252/82, BGHZ 89, S. 153, 161; BGH, Urteil vom 11. Mai 1953 – IV ZR 170/52, BGH, Urteil vom 11. Mai 1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, S. 14. 16; Uhlenbruck/Sternal, InsO, Aufl. 2019, § 290 Rz. 105). Davon ist vorliegend nach der Gesamtwürdigung aller Umstände sowohl objektiv als auch subjektiv auszugehen.

aa)
Es handelt sich objektiv um einen besonders schweren Sorgfaltspflichtverstoß.

(1)
Der Schuldner ist angehalten, die Aufstellung der Forderungen besonders sorgfältig und gewissenhaft vorzunehmen. Dadurch soll er Schuldner angehalten werden, vollständige und richtige Angaben seines Vermögens und seiner Verbindlichkeiten vorzulegen, die dem Gericht und den Gläubigern einen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichen (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2004 – IX ZB 174/03, NZI 2004, S. 633, 634; MüKo-lnsO/Stephan, 4. Aufl. 2020, § 290 Rz. 92). Die Erfüllung dieser Verpflichtungen ist eine der wesentlichen Gegenleistungen des Schuldners für die Rechtsnachteile, die für seine Gläubiger mit der Restschuldbefreiung verbunden sind. Auf diese Pflichten wird er auch in den Antragsformularen besonders und ausdrücklich hingewiesen. Die besondere Wichtigkeit dieser Pflicht wird dem Schuldner auch dadurch deutlich gemacht, dass er gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Vollständigkeit und Richtigkeit des Verzeichnisses ausdrücklich versichern muss. Damit ist grundsätzlich von einem objektiv besonders schweren Pflichtverstoß auszugehen.

(2)
Es ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass ausnahmsweise kein besonders schwerer Pflichtverstoß vorliegt. Bei der Nichtangabe eines Gläubigers im Gläubigerverzeichnis kommt es für die Feststellung von grober Fahrlässigkeit im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO auch auf die Höhe der Forderung, deren Anteil an der Gesamtverschuldung, die Anzahl der Gläubiger und den Zeitpunkt des letzten Vollstreckungsversuches bzw. Korrespondenz an (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 4. Februar 2002 – 2 W 5/02, ZVI 2002, S. 29, 31; FK-lnsO/Ahrens, a.a.O., § 290 Rz. 24; Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl. 2019, § 290 Rz. 105). Die hier dargelegten Umstände lassen den groben Sorgfaltspflichtverstoß vorliegend nicht entfallen.

(a)
Dem groben Sorgfaltspflichtverstoß steht nicht entgegen, dass in der instanzlichen Rechtsprechung in Einzelfällen anerkannt ist, dass eine unterlassene Geltendmachung von Forderungen über einen längeren Zeitraum die Annahme grober Fahrlässigkeit hindern kann (vgl. z.B. AG Dortmund, Beschluss vom 21. Februar 2006 – 258 IK 97/04, ZVI 2006, S. 128; AG Göttingen, Beschluss vom 5. August 2005 – 74 IN 162/04, ZInsO 2005, S. 1001, 1002; Uhlenbruck/Sternal, a.a.O., § 290 Rz. 108).

Ein solcher Fall liegt allerdings nicht vor. Soweit die Rechtsprechung annimmt, dass bestimmte Forderungen dem Schuldner entfallen sein können, trägt sie dem Umstand Rechnung, dass gerade Schuldner in Verbraucherinsolvenzverfahren häufig geschäftlich unerfahren sind und den Überblick über ihre Finanzen verlieren (so ausdrücklich Uhlenbruck/Sternal, a.a.O., § 290 Rz. 106; Nerlich/Römermann, InsO, 46. Lieferung 2022, § 290 Rz. 93; Braun, InsO, 9. Aufl. 2022, § 29 Rz. 36). Wie bereits dargestellt handelt es sich vorliegend jedoch nicht um eine gewöhnliche Forderung eines typischen Gläubigers, die nach allgemeiner Lebenserfahrung in Vergessenheit geraten kann. Insgesamt hat die Gläubigerin sieben Einzeirechnungen persönlich zu Hände des Schuldners gerichtet und überdies den Außendienstmitarbeiter […] vor Ort gemahnt.

(b)
Ebenso wenig steht dem besonders schweren Sorgfaltspflichtverstoß entgegen, dass die streitgegenständliche Forderung in einer Höhe von etwa 3070 Euro nur einen sehr kleinen Bruchteil der gesamten angegebenen Forderungen ausmacht, die sich ausweislich der Angaben im Eröffnungsantrag etwa 196.850 Euro belaufen. Es Ist zwar anerkannt, dass dies in Einzelfällen gegen eine grobe Fahrlässigkeit sprechen kann (vgl. zu ähnlichen Konstellationen etwa LG Berlin, Beschluss vom 5. Oktober 2004 – 86 T 603/04, VuR 2005, S. 108; AG Göttingen, Beschluss vom 23. Mai 2007 – 74 IK 411/06, ZVI 2007, S. 330; MüKo-lnsO/Stephan, 4. Aufl. 2020, § 290 Rz. 96). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Selbst bei verhältnismäßig geringen Forderungen ist von grober Fahrlässigkeit auszugehen, wenn die Forderung dem Schuldner bereits aufgrund von Mahnschreiben, einer Titulierung oder aufgrund von Vollstreckungsversuchen bekannt sein müsste (vgl. z.B. LG Hildesheim, Beschluss vom 2. Februar 2004 – 7 T 3/04, ZVI 2004, S. 545; MüKo-lnsO/Stephan, a.a.O., § 290 Rz. 98). Der Gläubiger hat glaubhaft gemacht, dass dem Schuldner aufgrund der mehrfachen Rechnungsstellung und der persönlichen Erinnerung durch Herrn S[…] ihm die Forderung bekannt sein musste.

bb)
Es ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass dieser erhebliche objektive Sorgfaltspflichtverstoß dem Schuldner subjektiv nicht vonA/erfbar ist. Eine weitere Glaubhaftmachung des Gläubigers ist hier nicht erforderlich. Der Gläubiger kann nur vortragen, dass eine Forderung bestanden hat, die der Schuldner kannte. Es ist dann Sache des Schuldners darzulegen, warum das Verschweigen ausnahmsweise weder vorsätzlich noch fahrlässig ist (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2012 – IX ZB 259/11, ZInsO 2013, 8. 99; AG Göttingen, Beschluss vom 23. Dezember 2014 – 74 IK 83/14, ZVI 2015, S. 157; HambKomm-lnsG/Streck, a.a.O., § 290 Rz. 47). Dies hat der Schuldner nicht getan.

(1)
Der Schuldner kann sich insbesondere nicht dadurch entlasten, dass er darauf verweist, er habe die Unterlagen seinem Steuerberater übergeben. Es kann dahinstehen, ob der Steuerberater fehlerhaft gehandelt hat oder der Schuldner ihm nicht alle Unterlagen zur Verfügung gestellt hat.

Wenn der Schuldner die Antragsunterlagen durch einen Dritten erstellen lässt, muss er vor der Unterzeichnung die Richtigkeit aller Angaben prüfen, so dass ihm unrichtige Angaben als eigene zuzurechnen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 – IX ZB 167/09, NZI 2010, S. 655, 656; BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 – IX ZB 250/08, NZI 2011, S. 254, 255; LG Hamburg, Beschluss vom 10. Juli 2017 – 326 T 181/16, NZI 2017, S. 859; FK-lnso/Ahrens, a.aO., § 290 Rz. 206). Eine Ausnahme gilt allenfalls dann, wenn der Vertreter eigenmächtig handelte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 – IX ZB 250/08, NZI 2011, S. 254, 255). Dies ist jedoch nicht glaubhaft gemacht.

(2)
Ebenso wenig kann sich der Schuldner durch die Behauptung entlasten, er habe persönlich weder die Rechnungen erhalten noch den Außendienstmitarbeiter getroffen, da er in der Niederlassung nicht anwesend war. Der Schuldner muss Sorge dafür tragen, dass an ihn gerichtete Rechnungen ihn auch tatsächlich erreichen, um sich einen Überblick über seine finanzielle Situation zu verschaffen. Daher entlastet ihn das Verhalten von beauftragten Dritten nur dann, wenn dieser Dritte eigenmächtig handelt (siehe bereits unter 1). Eigenmächtige Handlungen sind jedoch nicht glaubhaft gemacht.

cc)
Andere Gründe, die dafür sprechen könnten, dass hier keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, sind nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere die Anzahl der angegebenen Gläubiger ist mit insgesamt 29 nicht derart unüberschaubar, dass der Schuldner einen Gläubiger in nicht vorwerfbarer Weise vergessen haben könnte. Dies gilt umso mehr, als dass der Schuldner mehrfach gemahnt und sein Betrieb mehrfach durch einen Außendienstmitarbeiter des Gläubigers aufgesucht wurde.

c)
Die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO setzt eine die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigende Wirkung der falschen oder unvollständigen Angaben nicht voraus. Es genügt, dass die falschen oder unvollständigen Angaben ihrer Art nach geeignet sind, die Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu gefährden (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2012 – IX ZB 259/11, ZInsO 2013, S. 99, 100; BGH, Beschluss vom 24. März 2011 – IX ZB 80/09, ZInsO 2011, S. 835; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 6. Aufl. 2022, § 290 Rz. 23).

Das ist immer dann der Fall, wenn der Gläubiger einer Insolvenzforderung nicht im Verzeichnis aufgeführt ist, weil dadurch seine Teilnahme am Verfahren in Frage gesteilt wird (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2012 – IX ZB 259/11, ZInsO 2013, S. 99, 100; HambKomm-lnsO/Streck, a.a.O., § 290 Rz. 46). So liegt der Fall hier. Der Gläubiger konnte zunächst am Insolvenzverfahren aufgrund der unterlassenen Angaben nicht teilnehmen.

d)
Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet nicht die Sanktion der Versagung der Restschuldbefreiung.

(1)
Zwar ist es anerkannt, dass ganz unwesentliche Verfehlungen nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen können (BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2004 – IX ZB 132/04, ZInsO 2005, S. 146; BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 – IX ZB 63/08, NZI 2009, S. 562, 563; Graf-Schlicker/Kexel, a.a.O., § 290 Rz. 23). Bei der unterlassenen Angabe eines Gläubigers mit einer Gesamtforderung in Höhe von 3.037,49 EUR bei einer Gesamtverschuldung von 196.850 Euro und 29 angegebenen Gläubigerin handelt es sich aber nicht um eine ganz geringfügige Verfehlung, zumal in der Rechtsprechung schon Forderungen in Höhe von etwa ein Prozent der Gesamtverbindlichkeiten als erheblich angesehen werden (LG Stuttgart, Beschluss vom 22. März 2002- 10 T 256/01, ZInsO 2002, S. 1097, 1098).

(2)
Im Übrigen sind die Folgen, die der Schuldner durch die Versagung der Restschuldbefreiung zu tragen hat, die gesetzliche Konsequenz unrichtiger Angaben im Eröffnungsverfahren und bereits deshalb nicht geeignet, die Verhältnismäßigkeit der Versagung in Zweifel zu ziehen.

Der Schuldner hat gemäß § 4 Abs. 1 InsO i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Versagungsverfahrens zu tragen.

Da sich die Gerichtsgebühren bei einem Versagungsantrag nicht nach dem Wert richten, ist der Gegenstandswert für die anwaltiiche Tätigkeit festzusetzen. Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes für etwaige Rechtsanwaltsgebühren im Versagungsverfahren ist gemäß § 33 Abs. 1, § 28 Abs. 3, § 23 Abs. 3 S. 2 RVG das wirtschaftliche Interesse des jeweiligen Auftraggebers zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 26. April 2011 – IX ZB 101/10, IBRRS 2011, S. 1849; AG Köln, Beschluss vom 13. Februar 2018 – 73 IN 113/08, ZInsO 2018, S. 1824). Mangels weitergehender Anhaltspunkte ist hier vom Wert der Forderung des Versagungsantragstellers auszugehen.“

AG Dresden, Beschluss vom 4.8.2025 – 560 IN 1297/21

Anscheinsbeweis auf Parkplätzen: Haftung allein des rückwärts Ausparkenden

Das Landgericht Görlitz (Az. 1 O 408/24) hat die beklagte Haftpflichtversicherung zur Zahlung restlichen Schadensersatzes, zur Freistellung von Gutachter- und Anwaltskosten sowie zur Übernahme weiterer unfallbedingter Kosten verurteilt. Grundlage der Haftung waren §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG, da der Unfall bei Betrieb des versicherten Fahrzeugs entstand und kein Haftungsausschluss nach § 7 Abs. 2 StVG vorlag.

Im Rahmen der Haftungsverteilung stellte das Gericht nach Beweisaufnahme fest, dass der Unfall allein durch die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs verursacht wurde. Der Zeuge, Fahrer des klägerischen Transporters, habe mit Schrittgeschwindigkeit und Warnblinklicht auf dem Zufahrtsweg rückwärtsfahrend die Parktasche nahezu vollständig passiert, als das Beklagtenfahrzeug unvermittelt rückwärts ausparkte und gegen den vorderen rechten Kotflügel des Klägers stieß. Die Fahrerin habe ihre Schuld sowohl gegenüber dem Zeugen als auch der Polizei eingeräumt. Das Schadensbild bestätigte diesen Hergang.

Rechtlich maßgeblich war der Anscheinsbeweis: Wer rückwärts aus einer Parklücke in den fließenden Verkehr einfährt, unterliegt einer gesteigerten Sorgfaltspflicht (§ 9 Abs. 5 StVO) und muss eine Gefährdung anderer ausschließen. Ein typischer Geschehensablauf spricht dafür, dass ein Zusammenstoß in dieser Situation auf unzureichende Rückschau oder mangelnde Vorsicht des Ausparkenden zurückzuführen ist. Der Anscheinsbeweis kann nur entkräftet werden, wenn konkrete Tatsachen einen atypischen Ablauf belegen. Dies gelang der Beklagten nicht. Ihr Einwand, auch der Kläger habe beim Rückwärtsfahren gegen Sorgfaltspflichten verstoßen, scheiterte daran, dass die Pflichten eines bereits im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeugs – auch rückwärtsfahrend – geringer wiegen und keine Anhaltspunkte für eine unfallursächliche Pflichtverletzung des Klägers bestanden. Das Schadensbild und die Zeugenaussage belegten vielmehr, dass der Klägerfahrer äußerste Vorsicht walten ließ.

Mangels Mitverursachung trat die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs zurück (§ 17 Abs. 3 StVG). Der Beklagteneinwand zur Schadenshöhe (Verweis auf günstigere Werkstatt) wurde wegen Unzumutbarkeit der Entfernung und fehlender Qualitätsdarlegung verworfen. Weitere Einwendungen zur Folierung, Schadensminderungspflicht und Vorhaltekosten blieben ebenfalls ohne Erfolg. Das Gericht bejahte auch die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltskosten und der geltend gemachten Zinsen.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richter […] als Einzelrichter

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2025 am 30.07.2025

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.560,96 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € seit dem 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 6.10.2024 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von offenen Forderungen in Höhe von 334,15 € aus der Rechnung Nr. 6202195439 vom 19.9.2024 freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 237,10 € freizustellen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 28.08.2024, gegen 10:15 Uhr in Görlitz, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

5. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert bleibt auf 5.360,62 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.

Der Kläger ist Eigentümer des Transporters vom Typ Ford Transit 350 mit dem amtlichen Kennzeichen […]. Die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung des am Unfall beteiligten Pkws vom Typ Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen […], der zum Unfallzeitpunkt von Frau […] Li[…] geführt wurde.

Am 28. August 2024 ereignete sich gegen 10:15 Uhr ein Verkehrsunfall auf dem Parkplatz an der Zittauer Straße, hinter Hausnummer 144 in Görlitz, an dem die beiden vorgenannten Fahrzeuge beteiligt waren.

Der Zeuge […] La[…] fuhr dabei mit dem Fahrzeug des Klägers mit Schrittgeschwindigkeit rückwärts auf dem Zufahrtsweg des Parkplatzes am senkrecht zum Zufahrtsweg in einer Parktasche geparkten Fahrzeug der Schädigerin vorbei. Kurz bevor das Fahrzeug des Klägers das Fahrzeug der Beklagtenseite vollständig passiert hatte fuhr das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärts aus der Parktasche heraus und stieß gegen den vorderen rechten Kotflügel des Fahrzeugs des Klägers.

Die Klage wurde am 17.12.2024 bei Gericht eingereicht. Am 11.01.2025 wurde die Klage der Beklagten zugestellt, wodurch Rechtshängigkeit eintrat.

Nach Rechtshängigkeit, am 30. Januar 2025, leistete die Beklagte eine Zahlung in Höhe von insgesamt 1.985,87 € an den Kläger. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus 1.639,22 € für den Fahrzeugschaden, 12,50 € als Unkostenpauschale und 334,15 € für Sachverständigenkosten.

Der Kläger hat daraufhin die Klageanträge zu Ziffern 1 und 2 in Höhe der erhaltenen Zahlungen für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Teilerledigungserklärung angeschlossen.

Der Kläger behauptet der Unfall sei für den Zeugen La[…] unvermeidbar gewesen. Darüber hinaus seien die eingeforderten Kosten notwendig für die Reparatur gewesen. Für den Feststellungsantrag bestehe ein Feststellungsinteresse, da die Vorhaltekosten durch die Reparatur berechnet werden.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.560,96 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € seit dem 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 6.10.2024 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von offenen Forderungen in Höhe von 334,15 € aus der Rechnung Nr. 6202195439 vom 19.9.2024 freizustellen.

3. die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 237,10 € freizustellen.

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 28.08.2024, gegen 10:15 Uhr in Görlitz, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen

Sie behauptet der Zeuge La[…] habe den begonnenen Ausparkvorgang des Mercedes nicht bemerkt und habe deswegen seine erhöhten Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren missachtet. Sie ist ferner der Ansicht, dass sich der Kläger im Rahmen der Schadensminderungspflicht auf einen qualifizierten, nicht markengebundenen Karosserie- und Lackiererfachbetrieb in seiner Nähe verweisen lassen müsse, der die Reparatur kostengünstiger anbiete.

Das Gericht hat im Rahmen der Hauptverhandlung am 09.07.2025 Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen […] La[…] und Inaugenscheinnahme der beigezogenen Akte […] der Polizeidirektion Görlitz. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.07.2025 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Die Klage ist in Höhe von 1.639,22 € für den Fahrzeugschaden, 12,50 € für die Unkostenpauschale und 334,15 € für die Gutachterkosten erledigt. Die Klage wurde übereinstimmend in der Höhe für erledigt erklärt.

II. Die Klageforderung ist begründet.

Die Haftung der Beklagten ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG in Verbindung mit § 1 PflVG.

Danach kann ein Geschädigter einen Anspruch gegen den Versicherer eines unfallbeteiligten Fahrzeuges geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung nach § 1 PflVG handelt, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG.

Gemäß § 1 PflVG ist der Halter eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers mit regelmäßigem Standort im Inland verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten, wenn das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen (§ 1 StVG) verwendet wird.

Bei der hiesigen Beklagten handelt es sich indes unstreitig um die Haftpflichtversicherung des Fahrzeuges der […] Li[…].

Durch den Unfall ist der Kläger unstreitig mit der Beschädigung seines Fahrzeuges in den durch § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsgütern verletzt worden.

Der Unfall ist auch unstreitig bei Betrieb eines Fahrzeuges – namentlich eines Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen […], der zum Unfallzeitpunkt von Frau […] Li[…] geführt wurde – entstanden. Insoweit hat sich auch unstreitig die Betriebsgefahr des Fahrzeuges realisiert.

Ein Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG wurde nicht geltend gemacht und ist aus den dargelegten Tatsachen auch nicht ersichtlich.

Im Rahmen der konkreten Haftungsverteilung wird von einem derart überwiegenden Verschulden des beklagten Fahrzeuges auszugehen sein, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges hinter dieser zurücktritt, § 17 Abs. 1 StVG.

a) Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Unfall, wie vom Kläger vorgetragen, allein durch ein Verschulden der Fahrerin des beklagten Fahrzeugs verursacht wurde.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen […] La[…] und die Inaugenscheinnahme der beigezogene Akte 14297/24/138211 der Polizeidirektion Görlitz, insbesondere der dort enthaltenen Lichtbilder.

Der Zeuge […] La[…] hat in seiner am 09.07.2025 erfolgten Vernehmung den vom Kläger geschilderten Unfallhergang glaubhaft und widerspruchsfrei bestätigt. Er gab an, dass er mit Schrittgeschwindigkeit rückwärts mit dem klägerischen Fahrzeug unter Nutzung des Warnblinklichts fuhr, um zum Getränkemarkt zu gelangen, als das beklagte Fahrzeug plötzlich aus der Parktasche rückwärtig ausparkte und mit der Vorderseite des klägerischen Fahrzeuges kollidierte. Zu dem Zeitpunkt sei er bereits zu zwei Drittel an dem anderen Fahrzeug vorbei gewesen. Anschließend habe Frau Li[…] ihre Schuld ihm und der Polizei gegenüber eingestanden. Auf Frage des Gerichts ergänzte der Zeuge, dass er die Spiegel beim Rückwärtsfahren beobachtete und auch die Sensoren nicht angeschlagen haben. Das andere Fahrzeug habe auch nicht geblinkt. Weiterhin bestätigte er auf Frage des Beklagtenvertreters, dass die Darstellung auf B 1 akkurat sei und die Kollision ungefähr auf Höhe der Blumenkübel stattgefunden habe. Er habe sich „bereits in Antizipation eines Ausparkvorgangs sehr weit außen aufgehalten, um einen Unfall zu vermeiden.“

Die Aussage des Zeugen war präzise, detailliert und in sich schlüssig. Er konnte den Ablauf des Geschehens klar darstellen und machte keine Angaben, die auf eine Schönfärberei zugunsten des Klägers hindeuteten. Seine Schilderung, dass das Klägerfahrzeug die Parktasche des Beklagtenfahrzeugs bereits zu zwei Dritteln passiert hatte, als der Zusammenstoß erfolgte, ist plausibel und wird durch das Schadensbild gestützt. Die Behauptungen der Beklagtenseite, die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs habe bereits mit dem Ausparkvorgang begonnen, bevor der Kläger-Transporter um die Ecke fuhr, und der Klägerfahrer habe diesen begonnenen Ausparkvorgang nicht rechtzeitig erkannt, werden durch die glaubhafte Zeugenaussage und das eindeutige Schadensbild an der Fahrzeugfront des klägerischen Fahrzeuges widerlegt und sind als unzutreffend zu qualifizieren. Die Aussage des Zeugen, er habe die Spiegel beobachtet und seine Sensoren hätten nicht angeschlagen, sowie dass das andere Fahrzeug nicht geblinkt habe, untermauert seine Sorgfalt und die Unerwartetheit des Kollisionsgeschehens.

Die vom Gericht in Augenschein genommenen Lichtbilder 1 und 2 aus der polizeilichen Ermittlungsakte […], die die Fahrzeugstellungen nach der Kollision dokumentieren sollen, stehen der klägerischen Darstellung nicht entgegen. Zwar mag die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs nach der Kollision ein Stück vorwärts gefahren sein, um den Schaden zu begutachten, wie von der Beklagten vorgetragen. Diese nachträgliche Bewegung ändert jedoch nichts am primären Unfallhergang. Die Ausgangsstellung der Fahrzeuge vor der Kollision, wie vom Zeugen La[…] geschildert und durch seine Aussage bestätigt, dass die Darstellung […] akkurat sei und die Kollision auf Höhe der Blumenkübel stattfand, wird durch diese Lichtbilder nicht widerlegt.

Die Aussage der Unfallverursacherin, Frau […] Li[…], gegenüber dem Zeugen La[…] und auch der Polizei, sie habe sein Fahrzeug schlicht übersehen und es sei ihre Schuld gewesen, ist ein starkes Indiz für die Missachtung ihrer Rückschaupflicht gemäß § 9 Abs. 5 StVO. Ein Anscheinsbeweis spricht grundsätzlich gegen denjenigen, der aus dem ruhenden Verkehr, insbesondere aus einer Parklücke, in den fließenden Verkehr einfährt oder rückwärts ausparkt. Von ihm wird eine erhöhte Sorgfaltspflicht verlangt, um jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Die Beklagtenfahrerin hatte beim Rückwärtsfahren die Pflicht, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Hierzu gehört insbesondere die sorgfältige Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs durch Rückspiegel oder direkte Sicht sowie die nötige Vorsicht beim Anfahren. Der Transporter des Klägers bewegte sich langsam in Schrittgeschwindigkeit auf dem Zufahrtsweg und querte hinter dem Fahrzeug der Schädigerin, wobei er die Parktasche bereits nahezu vollständig passiert hatte.
Aufgrund dieser langsamen Bewegung und der Größe des klägerischen Transporters war dieser über einen längeren Zeitraum hinweg gut sichtbar. Die Aussage der Schädigerin, das Fahrzeug nicht gesehen zu haben, verdeutlicht somit, dass sie entweder nicht oder nicht ausreichend in die relevanten Sichtbereiche geschaut hat.

Die Beklagte wendet ein, dass auch der Fahrer des klägerischen Transporters den bereits begonnenen Ausparkvorgang des Mercedes nicht rechtzeitig erkannt habe und daher der Anscheinsbeweis für ungenügende Sorgfalt bei der Rückwärtsfahrt auch zu Lasten des Klägers streite. Dies greift im vorliegenden Fall nicht durch. Die Pflichten desjenigen, der rückwärts aus einer Parklücke ausfährt und dabei in den fließenden Verkehr gerät, sind deutlich höher als die Pflichten desjenigen, der bereits im fließenden Verkehr – auch rückwärts – fährt. Der Anscheinsbeweis gegen den Ausparkenden aus einer Parklücke wird nur dann erschüttert, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der andere Verkehrsteilnehmer seine Sorgfaltspflicht in einem Maße verletzt hat, das den typischen Geschehensablauf einer Kollision beim Ausparken widerlegt. Solche Anhaltspunkte hat die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Insbesondere das vom Kläger dargelegte und durch das Gutachten gestützte Schadensbild sowie die Zeugenaussage sprechen dafür, dass der Klägerfahrer mit Schrittgeschwindigkeit fuhr und keine unfallursächliche Sorgfaltspflichtverletzung begangen hat. Der Zeuge La[…] hat ausdrücklich angegeben, dass er sich „sehr weit außen aufgehalten“ habe, „um einen Unfall zu vermeiden“, was seine besondere Vorsicht unterstreicht.

Das vorgelegte Sachverständigengutachten […] vom 19. September 2024 […] und die darin enthaltenen Abbildungen des Schadensbildes (Abbildung 2) stützen den vom Kläger vorgetragenen Unfallhergang. Der Sachverständige […] hat in seinem Gutachten den Schaden als „starken Anstoß von vorn rechts auf die rechte vordere Fahrzeugseite“ beschrieben, wobei Kotflügel, Beifahrertür und Radlauf eingedrückt, der Stoßfänger verschrammt und die Radhausschale gebrochen seien. Der „erhebliche Deformationsgrad des vorderen rechten Kotflügels“ deutet auf eine erhebliche kinetische Energie beim Aufprall hin, was die vom Kläger geschilderte „erhebliche Beschleunigung“ des Beklagtenfahrzeugs plausibel macht. Die „kurzen, parallel verlaufenden Kratzspuren in Fahrtrichtung“ in einem begrenzten Bereich am Klägerfahrzeug sind ein weiteres Indiz dafür, dass das Klägerfahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision maximal mit Schrittgeschwindigkeit fuhr oder nahezu stand. Dies bestätigt die Aussage des Zeugen La[…] und widerlegt etwaige Behauptungen einer Mitschuld des Klägers aufgrund überhöhter Geschwindigkeit oder einer unvorsichtigen Rückwärtsfahrt. Handlungsalternativen des Zeugen La[…], die zu einer Vermeidung des Unfalls geführt hätten, sind insgesamt nicht ersichtlich.

Aufgrund dieser umfassenden Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs den Unfall allein verschuldet hat und für den Kläger der Unfall unvermeidbar war. Eine Haftung aus Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist ausgeschlossen, da der Unfall für den Kläger auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt nicht abwendbar war.

b) Auch sind die vom Kläger noch geltend gemachten Schadenspositionen sind der Höhe nach gerechtfertigt. Der noch offene Restbetrag des Fahrzeugschadens in Höhe von 2.548,46 € und die restlichen Gutachterkosten in Höhe von 334,15 € (Freistellungsanspruch) sind dem Grunde und der Höhe nach als erstattungsfähig anzusehen.

(1) Die Beklagte bestreitet den Fahrzeugschaden der Höhe nach, soweit er 3.278,44 € netto übersteigt, und verweist auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einem Eurogarant-zertifizierten Fachbetrieb. Ein solcher Verweis kann unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB grundsätzlich zulässig sein, wenn der Schädiger darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und keine Unzumutbarkeit für den Geschädigten vorliegt.

Hierzu ist festzustellen, dass die Beweislast für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht, zu dem auch die Verweisung auf eine günstigere Werkstatt gehört, beim Schädiger liegt. Zwar ist es zutreffend, dass der Bundesgerichtshof die Verweisung auf qualifizierte freie Fachwerkstätten für zulässig erachtet, wenn deren Qualitätsstandard dem einer markengebundenen Werkstatt entspricht, die Beklagte hat jedoch nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass die im Sachverständigengutachten des Klägers angesetzten Stundenverrechnungssätze überhöht sind und dass die von ihr genannte Referenzwerkstatt die Reparatur zu den von ihr genannten geringeren Sätzen durchführen würde, ohne Qualitätsverluste zu erleiden. Das pauschale Bestreiten der Ortsüblichkeit der im Gutachten ausgewiesenen Stundenverrechnungssätze durch die Beklagte ist unbeachtlich, da keine konkreten Vergleichsdaten oder eine substantiierte Darlegung der Unwirtschaftlichkeit der im Gutachten angesetzten Sätze vorgelegt wurden.

Darüber hinaus hat der Kläger substantiiert dargelegt, dass die Verweisung auf den von der Beklagten benannten Referenzbetrieb unzumutbar ist. Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass die Entfernung zwischen dem Unternehmenssitz des Klägers […] und dem Referenzbetrieb […] 27,6 km beträgt. Nach ständiger Rechtsprechung, wie vom Kläger zutreffend zitiert (z.B. OLG München, Endurteil vom 21.09.2022 – 10 U 5397/21e), wird eine mühelose Erreichbarkeit grundsätzlich nur dann angenommen, wenn die Werkstatt nicht
mehr als 20 km vom Wohn- oder Geschäftsort des Geschädigten entfernt ist. Die Überschreitung dieser Grenze um mehrere Kilometer macht den Verweis auf den Referenzbetrieb für den Kläger unzumutbar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung eines angebotenen Hol- und Bringservices, da der Faktor der Entfernung für die generelle Erreichbarkeit entscheidend ist.
Zudem hat der Kläger mit Nichtwissen bestritten, dass der genannte Betrieb dem Qualitätsstandard einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und die von der Beklagten genannten Stundenverrechnungssätze zutreffen, wofür die Beklagte ebenfalls beweisbelastet ist und keinen hinreichenden Beweis erbracht hat.

Auch der Einwand der Beklagten bezüglich der Neufolierung ist nicht durchgreifend. Die Beklagte hat die Erforderlichkeit der vollständigen Folierung der rechten Fahrzeugseite pauschal bestritten, indem sie auf Vorschäden verwies und angab, nur die Beifahrertür sei unfallbedingt beschädigt. Dies widerspricht dem […] vorgelegten Schadengutachten, das eindeutig feststellt, dass neben der Beifahrertür auch der Kotflügel und der Radlauf eingedrückt und der Stoßfänger verschrammt wurden. Gemäß § 287 ZPO ist davon auszugehen, dass die in einem Schadengutachten aufgeführten Reparaturarbeiten tatsächlich erforderlich sind. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schadensbehebung reicht grundsätzlich nicht aus. Vielmehr obliegt es der Beklagtenseite, substantiiert darzulegen, aus welchen konkreten Gründen die im Gutachten genannten Arbeiten für die Folierung des Fahrzeugs des Klägers nicht erforderlich sein sollen. Der pauschale Einwand der Beklagten bleibt daher unbeachtlich.

(2) Die restliche Unkostenpauschale ist ebenfalls wie bereits ausgeführt der Höhe nach voll erstattungsfähig.

(3) Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB durch den Kläger ist nicht ersichtlich. Die Beweislast für einen solchen Verstoß liegt nach ständiger Rechtsprechung beim Schädiger, hier also bei der Beklagten. Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die einen Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht belegen würden.

Ein Geschädigter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Schadensbehebung einen Kredit aufzunehmen. Es obliegt dem Schädiger, die durch ihn verursachte Schadensbeseitigung zu finanzieren. Auch kann vom Geschädigten nicht verlangt werden, eine etwaige Vollkaskoversicherung zur Vorfinanzierung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen. Der Kläger hat somit alle zumutbaren Schritte unternommen, um den Schaden zu begrenzen, und ist nicht verpflichtet, die Schadensregulierung vorzufinanzieren.

(4) Auch der Feststellungsantrag hinsichtlich der weiteren Kosten des Klägers ist zulässig und begründet. Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs eine Standzeit von vier Tagen erforderlich ist, was sich aus dem vorgelegten Sachverständigengutachten […] vom 19. September 2024 […] ergibt.

Die Beklagte bestreitet die Geltendmachung von Vorhaltekosten mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu gewerblich genutzten Fahrzeugen, wonach dem vorübergehenden Entzug der Gebrauchsmöglichkeit als solchem kein eigenständiger Vermögenswert zukomme und der Kläger nach Gutachten abrechnen wolle, weshalb keine Umsatzsteuer anfalle. Dieser Einwand greift jedoch nicht durch.

Zum einen hat der Kläger klargestellt, dass er keine Umsatzsteuer als potenziellen weiteren Schaden geltend gemacht hat, sodass die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten ins Leere laufen.

Zum anderen bezieht sich die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2018, VII ZR 285/17) auf die abstrakte Geltendmachung eines Nutzungsausfallschadens bei gewerblich genutzten Fahrzeugen. Der Kläger macht hier jedoch keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung geltend, sondern konkrete Vorhaltekosten für die – sich noch bestimmende – tatsächlich erforderliche Reparaturdauer. Diese Vorhaltekosten stellen einen konkreten Vermögensschaden dar, der dem Kläger infolge des unfallbedingten Ausfalls des Fahrzeugs entstehen werden. Sie umfassen Positionen wie Kapitalbindungskosten, Wertverlust, Fixkosten, Wartungspauschalen und Standkosten, die unabhängig
von einer konkreten Nutzung oder Gewinnerzielung während der Reparaturdauer anfallen. Die vom Kläger dargelegten Kostenkomponenten sind daher nachvollziehbar und als typische Positionen für die Vorhaltung eines gewerblich genutzten Fahrzeugs anzusehen. Diese Kosten sind kausal auf den Unfall zurückzuführen und daher vom Schädiger zu ersetzen. Die Erstattungsfähigkeit von Vorhaltekosten bei gewerblich genutzten Fahrzeugen ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BGHZ 70, 199 (201); OLG Koblenz NZV 2015, 552; AG Pirna, Urteil vom 14.11.2013 – 13 C 848/11; Sanden/Völtz, Kfz-Sachschadensrecht, 8. Auflage, Rn. 226 ff, 231).

(5) Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Freistellung von den nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten für die Einschaltung seiner Rechtsanwälte zu. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall ist nach der Rechtsprechung, die keinen „einfach gelagerten Verkehrsunfall“ annimmt, grundsätzlich als notwendig im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB anzusehen.

Die Höhe der geltend gemachten Kosten in Höhe von 237,10 € entspricht einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zuzüglich einer Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, abzüglich der Anrechnung der 0,65-fachen Geschäftsgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG in Verbindung mit § 15a RVG. Die Berechnung des Klägers ist korrekt und schlüssig. Der umfassende Auftrag an die Prozessbevollmächtigten des Klägers, wie im Schriftsatz detailliert dargelegt, rechtfertigt die Annahme der Regelgebühr. Da der Kläger diese Kosten bislang nicht an seine Prozessbevollmächtigten gezahlt hat, besteht ein Anspruch auf Freistellung gegenüber der Beklagten.

(6) Die geltend gemachten Zinsansprüche sind ebenfalls begründet.

Der Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 ergibt sich aus § 849 BGB, da die Entziehung der Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs infolge der Beschädigung einen Vermögensnachteil darstellt, für den ab dem Folgetag des Unfalls Zinsen zu zahlen sind.

Die Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € für die Zeit vom 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 resultieren aus dem Schuldnerverzug der Beklagten gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat die Beklagte mit Schreiben vom 09.09.2024 und 25.09.2024 zur Zahlung aufgefordert und eine Frist bis zum 02.10.2024 gesetzt. Mit den weiteren Mahnungen vom 04.10.2024, 14.11.2024 und 29.11.2024 ist der Verzug der Beklagten jedenfalls am 06.10.2024 eingetreten.

Soweit weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 31.12.2024 eingefordert werden, bezieht sich der Anspruch auf den nach der Teilleistung der Beklagten verbleibenden Restbetrag der Hauptforderung. Die Beklagte befand sich bereits im Verzug, sodass die Zinspflicht auf dem reduzierten Betrag fortbesteht.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 91a Abs. 1 ZPO für den erledigten Teil. Gemäß § 91a Abs. 1 ZPO ist daher über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Da die Beklagte die Leistung erst nach Rechtshängigkeit der Klage erbracht hat und die Klage bis zur Zahlung in diesem Umfang zulässig und begründet war, fallen die Kosten dieses Teils des Rechtsstreits der Beklagten zur Last.

IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 709 ZPO.

V. Die Streitwertentscheidung begründet sich auf § 3 ZPO und berücksichtigt das verfolgte wirtschaftliche Interesse der Klage.“

LG Görlitz, Urteil vom 30.7.2025 – 1 O 408/24

Die Rückgabe der Mietbürgschaft im Gewerberaummietrecht – Zur dogmatischen Einordnung des Rückforderungsanspruchs nach Wegfall des Sicherungszwecks

Das Landgericht Görlitz (Außenkammer Bautzen) hat mit Endurteil vom 27. Juni 2025 im Verfahren 5 O 549/23 über Restansprüche aus einem beendeten Gewerbemietverhältnis entschieden. Die Klägerin, eine Gastronomiegesellschaft, begehrte von der Beklagten, der ehemaligen Vermieterin, die Rückzahlung eines Betriebskostenguthabens aus dem Jahr 2020 sowie die Herausgabe einer Mietbürgschaft. Die Beklagte verweigerte dies unter Verweis auf Gegenforderungen wegen behaupteter Schäden an den Mieträumen sowie Nachforderungen aus früheren Nebenkostenabrechnungen.

Das Gericht bestätigte ein zuvor ergangenes Versäumnisurteil im Wesentlichen und stellte fest, dass der Zahlungsanspruch in Höhe von 1.439,11 € durch eine wirksame Aufrechnung der Beklagten mit einer titulierten Gegenforderung aus einem früheren Verfahren (§§ 387 ff. BGB) in der Hauptsache erledigt sei. Hinsichtlich der weiteren Klageanträge – Rückgabe der Bürgschaftsurkunde und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten – wies das Gericht die Einwendungen der Beklagten zurück.

Rechtsdogmatisch stützte sich das Gericht beim Herausgabeanspruch der Bürgschaftsurkunde auf § 371 BGB in Verbindung mit einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB), wonach dem Mieter nach Wegfall des Sicherungszwecks ein eigener Rückgabeanspruch zusteht. Der Rückforderungsanspruch sei nicht durch etwaige Gegenrechte ausgeschlossen, da weder ein Zurückbehaltungsrecht noch aufrechenbare Gegenansprüche der Beklagten bestünden. Die von der Beklagten geltend gemachten Mängel – etwa fehlende Sockelleisten, ein nicht vorhandenes Waschbecken oder unsachgemäße Reinigung – seien entweder nicht substantiiert vorgetragen, verjährt, irrelevant aufgrund fehlender Fristsetzung (§§ 280, 281 BGB) oder mangels konkreter Beweisangebote nicht entscheidungserheblich. Zudem seien etwaige Verwaltungskosten aus der Betriebskostenabrechnung 2019 nicht umlagefähig gewesen, da der Mietvertrag eine derartige Umlage nicht vorsah.

Hinsichtlich der Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten bejahte das Gericht einen Verzug der Beklagten (§§ 286, 288 BGB). Eine Aufrechnung der Beklagten mit ihrem titulierten Zahlungsanspruch aus dem Vorprozess gegen diesen Freistellungsanspruch sei mangels Gleichartigkeit im Sinne des § 387 BGB nicht möglich, da es sich bei der Freistellung um eine Handlungspflicht, nicht um eine Geldschuld handele.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, Gz.: […]

gegen

[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigter:
[…]

wegen Forderung/Herausgabe

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Vorsitzenden Richter am Landgericht […] als Einzelrichter

am 27.06.2025

für Recht erkannt:

1.
Das Versäumnisurteil des LG Görlitz -Außenkammer Bautzen- vom 11.10.2024 wird unter der Maßgabe aufrecht erhalten, dass Buchstabe 1 a) in der Hauptsache erledigt ist.

2.
Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.Die Vollstreckung aus dem vorliegenden Urteil und die Fortsetzung der Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 6000 € zulässig.

Beschluss:

Der Streitwert bleibt auf 5.360,62 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Mit der Klage werden Restforderungen aus einem beendeten Mietverhältnis geltend gemacht. Die Klägerin war Mieterin eines von der Beklagten vermieteten Gewerbeobjekts.
Das Mietverhältnis endete im August 2021; die Räume wurden am 13.8.2021 an die Beklagte übergeben. Streitgegenständlich im vorliegenden Verfahren ist das Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung und die Rückgabe der Mietbürgschaft.

Der Rechtsvorgänger der Klägerin und die Beklagte schlossen den Mietvertrag im Jahr 1994; vertragsgemäß wurde auf Grund Nachtrages vom27.2.1998 eine Mietbürgschaft der Kreissparkasse Bautzen übergeben. Mit Vertrag vom 3.1.2011/24.5.2012 wurde das Mietverhältnis mit Wirkung zum 1.1.2011 auf die Klägerin übertragen. Wegen der hierfür relevanten Dokumente wird auf die Anlagen […] verwiesen.

Aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2020 stand zugunsten der Klägerin ein Betrag von 1878,78 € als Guthaben offen; […]. Dagegen schuldete die Klägerin unstreitig für das Jahr 2021 noch eine Nachzahlung auf die Nebenkosten i.H.v. jedenfalls 439,67 €; diesen Betrag hat die Klägerin mit dem Guthaben für 2020 verrechnet, sodass für das Jahr 2020 noch 1439,11 € zur Zahlung offenstehen.

Für das Jahr 2019 hatte die Beklagte einen Nachzahlungsbetrag i.H.v. 472,05 € berechnet auf der Grundlage nachträglich in Ansatz gebrachter Verwaltungskosten über 585,36 €. Die Klägerin hält die Berechnung der Verwaltungskosten für nicht berechtigt und verweist auf die Regelungen des Mietvertrages.

Die Beklagte wurde mehrfach – durch die Klägerin direkt und zuletzt anwaltlich – aufgefordert sowohl die Mietbürgschaft herauszugeben, als auch das streitgegenständliche Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung für 2020 auszuzahlen; E-Mail Schreiben vom 19.1.2023 und vom 21.6.2023, […]. Zuletzt wurde die Beklagte anwaltlich gemahnt mit Anwaltsschreiben vom 27.11.2023.

Bei Rückgabe der Gewerberäume wurde durch die beauftragte Hausverwaltung ein Abnahmeprotokoll gefertigt; die Berechtigung der darin erhobenen Beanstandungen sind zwischen den Parteien streitig; wegen der Feststellungen wird auf das Abnahmeprotokoll, […] verwiesen.

Unstreitig hat die Beklagte gegenüber der Klägerin bis zum Zeitpunkt der Einspruchsbegründung im Prozess Ansprüche wegen mangelhafter Rückgabe der Mietsache nicht geltend gemacht.

Allerdings wurde die Klägerin mit Urteil des Landgerichts Görlitz – Einzelrichterin – vom 24.9.2021 (Az: 5 O 19/20) rechtskräftig verurteilt, einen Betrag von 6.971,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 6.11.2019 an die Beklagte zu zahlen. Dieser Betrag war bei Einleitung des vorliegenden Klageverfahrens unbezahlt und wurde durch die Klägerin erst am 7.5.2025 beglichen, nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 9.4.2025 die aus dem genannten Urteil resultierende Forderung gegen die bezifferten Forderungen der vorliegenden Klage zur Aufrechnung gestellt und wegen der Rückgabe der Bürgschaft ein Zurückbehaltungsrecht eingewandt hatte.

Die Klägerin macht zu den gerügten Mängel und Schäden im Einzelnen geltend:

Ein Waschbecken sei im Büro nicht vorhanden gewesen; jedenfalls habe ein derartiges Becken nach Ablauf der über 20-jährigen Mietzeit keinen Wert mehr gehabt. Sockelleisten in den Räumlichkeiten seien bei Übergabe der Mietsache nicht vorhanden gewesen; nach Ablauf der Mietzeit hätten derartige Sockelleisten keinen Wert mehr gehabt. Richtig sei, dass eine Lüftungsöffnung in einer Toilette mit einer Holzplatte verschlossen war und Deckenplatten beschädigt gewesen seien. Dies habe seine Ursache in einer Mangelhaftigkeit der Mieträume gehabt, nämlich Durchfeuchtungen und Schädlingsbefall, was der Beklagten auch bekannt sei.

Eine nicht besenrein Übergabe der Mieträume sei zu bestreiten; jedenfalls sei der Klägerin – was unstreitig ist – eine Frist zur Vornahme etwa noch erforderlicher Reinigungsarbeiten nicht gesetzt worden.

Wegen der Gegenansprüche der Beklagten beruft sich die Klägerin auf die Einrede der Verjährung, hilfsweise auf Verwirkung.

Nachdem die Beklagte im 1. Termin zur mündlichen Verhandlung säumig war, hat der Einzelrichter ein Versäumnisurteil mit nachfolgendem Urteilstenor Ziff 1 erlassen:

I. Die Beklagte wird verurteilt,

a. an die Klägerin 1.439,11 € nebst für den Zeitraum bis zum 13. Dezember 2023 ausgerechnete Zinsen in Höhe von 265,40 € sowie weiterer Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 1.439,11 € seit dem 14. Dezember 2023 zu zahlen.
b. an die Kreissparkasse Bautzen die Bürgschaftsurkunde der Kreissparkasse Bautzen vom 21. April 1998 […] über den Betrag in Höhe von 7.669,80 DM im Original herauszugeben.
c. die Klägerin gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 273,50 € freizustellen.

Hiergegen hat die Beklagte form und fristgerecht Einspruch eingelegt.

Die Klägerin betrieb die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 11.10.2024, woraufhin die Beklagte die Forderung unter Buchstabe a) im Oktober 2024 beglich. Mit Anwaltsschriftsatz vom 20.05.2025 erklärte die Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich Buchstabe a) für erledigt.

Die Beklagte hat sich der teilweisen Erledigungserklärung nicht angeschlossen.

Die Klägerin beantragt,
das Versäumnisurteil des LG Görlitz -Außenkammer Bautzen- vom 11.10.2024 unter der Maßgabe aufrecht zu erhalten, dass Buchstabe a) in der Hauptsache erledigt ist.

Die Beklagte beantragt,
das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet die Mieträume seien in schlechtem Zustand zurückgegeben wurden; es seien diverse Mängel vorhanden gewesen deren Beseitigung einen Aufwand von insgesamt 4150 € erfordere.

Die Lüftung in der Toilette sei mit einer Holzplatte verschlossen gewesen (unstreitig); die Räume seien nicht besenrein übergeben worden. Im Verkaufsraum seien Sockelleisten beschädigt gewesen oder ganz fehlend. Im Büro habe ein Waschbecken gefehlt. Die Decken in den Toiletten seien schadhaft.

Um diese Mängel und Schäden zu beseitigen seien Kosten von 4150 € erforderlich wie folgt:

Die erforderliche Reinigung koste 500 €. Das Herstellen der Lüftung kostet 1000 €. Der Ersatz der Sockelleisten sei mit 1400 € zu veranschlagen. Die Montage eines Waschbeckens koste 600 €. Der Ersatz beschädigter Deckenplatten sei mit 250 € zu veranschlagen.

Darüber hinaus beruft sich die Beklagte auf einen in der Betriebskostenabrechnung für 2019 ausgewiesene Nachzahlungsbetrag von 472,05 €.

Mit diesen Ansprüchen erklärt die Beklagte gegen den Zahlungsanspruch der Klägerin die Aufrechnung wie und macht gegen den Anspruch auf Freigabe der Bürgschaft ein Zurückbehaltungsrecht geltend.

Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, deren Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 11.4.2025 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Einspruch der Beklagten ist in der Sache nicht begründet. In dem Umfang, in welchem Versäumnisurteil erging, ist die Klage wegen der Rückgabe der Bürgschaft und der geforderten Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten zulässig und begründet; wegen der ursprünglich eingeklagten Nebenkostenforderung ist die Hauptsache zwar nicht durch die Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, wohl aber durch die seitens der Beklagten erklärte Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Urteil im Vorverfahren erledigt, worauf auf die insoweit zulässige Klageänderung die Feststellung der Erledigung auszusprechen war. Gegen die begründeten Forderungen auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten und Rückgabe der Bürgschaft stehen der Beklagten keine Gegenrechte, insbesondere keine aufrechenbaren Ansprüche und auch kein Zurückbehaltungsrecht zu.

Im Einzelnen:

Nach Beendigung des Mietverhältnisses hat die Beklagte die ihr überlassene Mietbürgschaft an die Bürgin zurückzugeben; die Klägerin als Hauptschuldnerin kann dies klageweise einfordern. Dies ergibt die Auslegung des Vertrages zur Stellung einer Mietsicherheit. Bei Wegfall des Sicherungszwecks steht, wenn sich nicht aus den jeweiligen vertraglichen Vereinbarungen etwas anderes ergibt, der Anspruch auf Rückgabe der Bürgschaftsurkunde aus § 371 BGB dem Bürgen zu.

Dem Schuldner kann daneben ein eigener Herausgabeanspruch an den Bürgen zustehen, wenn er sich selbst gegenüber dem Gläubiger zur Sicherheitsleistung verpflichtet hatte und der Sicherungszweck weggefallen ist (BGH NJW 2015, 2961 Rn. 24 ff.; 2015, 1952 Rn. 49 ff.)
Gemäß § 16 des Nachtrags zum Mietvertrag wurde zwischen den Parteien eine Mietkaution vereinbart, für die durch Herrn […] M[…] an die Beklagte die Bürgschaftsurkunde übergeben wurde.
Eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung hinsichtlich der Rückgabe der Bürgschaftsurkunde wurde durch die Parteien nicht geregelt. Der Herausgabeanspruch der Klägerin ergibt sich jedoch aus der Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB).

Der Zweck der Sicherungsvereinbarung und die Interessenlage der Parteien erfordern es, dass der Gläubiger die erhaltenen Rechte und Vorteile aus einer geleisteten Sicherheit nach Wegfall des Sicherungszweckes nicht mehr behalten darf. In diesem Sinne können und müssen auch Rechte aus einer Bürgschaft zurückgegeben werden (BGH, NJW 2009, 218). Denknotwendig muss ein solches Herausgabeverlangen an den Bürge auch durch den Schuldner geltend gemacht werden können. Hierhingehend besteht auch ein erhebliches Interesse des Schuldners, der sich andernfalls fortwährend Ansprüchen der Bank und der Gefahr der Inanspruchnahme der Bürgschaft ausgesetzt sieht.

Gegen den Anspruch auf Rückgabe der Mietsicherheit stehen der Beklagten keine Gegenrechte, insbesondere kein Zurückbehaltungsrecht zu.Der Beklagten stehen keine Rechte mehr aus dem Urteil im vorangegangenen Verfahren zu, nachdem die Beklagte gegen die ursprüngliche Klageforderung zu Ziff. 1 Buchst. a die Aufrechnung erklärt und die Klägerin im Übrigen den (vollen) ursprünglich geschuldeten Betrag aus dem streitgegenständlichen Urteil an die Beklagte gezahlt hat. Die Beklagte kann auch aus vermeintlichen Ansprüchen wegen Schäden an der zurückgegebenen Mietsache sowie einer nicht ordnungsgemäßen Reinigung der Mietsache keine Rechte herleiten. Dabei kann dahinstehen, ob die im Falle ihres Bestehens verjährten Ansprüche wegen der Regelung des § 215 BGB der Klageforderung noch entgegengehalten werden können. Denn die Beklagte hat das Bestehen von Gegenansprüchen bereits nicht schlüssig dargelegt. Wegen der unstreitig vorhandenen Schäden an der Decke des Mietobjektes, wie auch wegen mit einer Holzplatte verschlossenen Lüftung ist die Erklärung der Klägerin, wonach hierfür eine Schädlingsbefall und Durchfeuchtungen im Mietobjekt, die bauseits bedingt sind, verantwortlich waren, unwidersprochen geblieben.Wegen Schäden, die aus der eigenen Sphäre stammen, kann sich die Beklagte nicht an die Klägerin halten. Wegen der schadhaften und/oder nicht mehr vorhandenen Sockelleisten ist die Klägerin einen Vortrag schuldig geblieben, ob diese bereits zu Beginn des Mietobjektes im Objekt vorhanden waren. Die Klägerin hat dies zulässig bestritten; die Beklagte hätte in diesem Punkt näheren Vortrag halten müssen. Darüber hinaus ist offenkundig, dass Sockelleisten nach einem über 20 Jahre währenden Mietverhältnis weitgehend abgenutzt und damit wertlos sind; Sachvortrag der vorliegend etwas anderes nahelegen könnte, hat die Beklagte nicht gehalten. Wegen des fehlenden Waschbeckens ist anzumerken: Das Abnahmeprotokoll enthält ein Foto, auf welchem ein Anschluss zu sehen ist darunter ist vermerkt: Fehlendes Waschbecken oder Spüle? Die Beklagte bleibt hier jeden Vortrag schuldig, was konkret bei Übergabe der Mieträumlichkeiten an den ursprünglichen Mieter eingebaut gewesen sein soll. Die Klägerin hat hierzu angegeben, nach ihrer Kenntnis sei weder ein Waschbecken noch eine Spüle angebracht gewesen.Dazu hat sich die Beklagte nicht weiter erklärt.

Wegen der behaupteten unzureichenden Reinigung der Mieträumlichkeiten vor Übergabe fehlt jedenfalls die erforderliche Fristsetzung an die Klägerin zur Nachholung dieser Arbeiten. Bei der Verpflichtung zur „besenreinen“ Übergabe handelt es sich um eine Leistungspflicht des Mieters. Kommt der Mieter dieser Verpflichtung nicht nach, muss der Vermieter ihm hierzu unter Fristsetzung Gelegenheit geben, dies nachzuholen, bevor ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden kann (§§ 280, 281 BGB). Einen Sachverhalt, unter dem die Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich war, reklamiert die Beklagte nicht für sich.

Es besteht auch kein Anspruch der Beklagten aus der Nebenkostenabrechnung für 2019. Die Klägerin hat hierzu Stellung nehmend belegt, dass die geltend gemachte Forderung aus Verwaltungskosten resultiert, welche der Klägerin zu Unrecht in Rechnung gestellt worden sind. In dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Mietvertrag war nicht vorgesehen, dass Verwaltungskosten auf den Mieter umgelegt werden können. Die mit der Bezugnahme auf die Anl. 3 zur § 27 der 2. Berechnungsverordnung erfassten einzelnen Betriebskosten umfassen nicht die mit der Verwaltung des Mietobjekts verbundenen Kosten.

Der Klägerin steht auch der geltend gemachte Anspruch auf Freistellung von den ihr entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten aus dem Gesichtspunkt des Verzuges zu; §§ 286, 288 BGB. Die Beklagte befand sich sowohl mit der Rückgabe der Bürgschaft, wie mit der Bezahlung der Nachzahlungen aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2020 in Verzug. Weder dem Eintritt, noch der Fortdauer des Verzuges stand es entgegen, dass die Klägerin aus dem im Jahr 2021 rechtskräftig gewordenen Urteil im Vorverfahren ihrerseits verpflichtet war, an die Beklagte 6.971,60 € nebst Zinsen zu zahlen. Hierzu hätte sich die Beklagte nach Erhalt der verzugsauslösenden Mahnungen auf das ihr zustehende Zurückbehaltungsrecht berufen müssen, was nicht geschehen, jedenfalls nicht vorgetragen ist.

Die durch die Klägerseite korrekt berechneten Anwaltskosten waren auch „erforderlich“ zur Rechtsverfolgung. Dem steht es nicht entgegen, dass die Klägerin mit der Forderung aus der Nebenkostenabrechnung 2020 gegen die Ansprüche der Beklagten aus dem vorgenannten Urteil hätte aufrechnen können.Vielmehr war es bei der hier bestehenden durchaus komplexen Abwicklungssituation berechtigt wegen der bestehenden Forderungen auf Zahlung sowie Rückgabe der Bürgschaft anwaltlichen Rat einzuholen, nachdem die Beklagte auf Mahnungen nicht reagiert hatte. Die Beklagte hat gegen den Anspruch der Klägerin auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht wirksam aufrechnen können.Denn die sich insoweit gegenüberstehenden Ansprüche : Derjenige der Klägerin auf Freistellung und derjenige der Beklagten auf Zahlung (aus dem Urteil des Jahres 2021) sind nicht gleichartig im Sinne von § 387 BGB .Der Anspruch auf Freistellung ist auf Vornahme einer (vertretbaren) Handlung gerichtet, der Anspruch der Beklagten demgegenüber auf Zahlung. In einem solchen Fall ist eine Aufrechnung nicht möglich. Nachdem, wie oben ausgeführt, Gegenansprüche der Beklagte nicht (mehr) bestehen, ist auch die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes hier nicht (mehr) möglich.

Der im Wege der zulässigen Klageänderung (§§ 263, 264 Nr 3 ZPO) gestellte Antrag festzustellen, dass die Hauptsache wegen der Nebenkostenforderung 2020 erledigt ist, ist zulässig und begründet.

Es liegt zunächst wegen des geltend gemachten Anspruchs ein erledigendes Ereignis vor.
Zwar konnte die Zahlung der Beklagten zur Abwendung der Zwangsvollstreckung die Hauptsache zum Zeitpunkt der Zahlung nicht erledigen:Wird aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil, vollstreckt, tritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Erfüllung im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB – und damit auch keine Erledigung – ein. Dasselbe gilt für Leistungen, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel erbracht werden. Die Leistung erfolgt in beiden Fällen unter dem Vorbehalt des Rechtskrafteintritts, sofern der Schuldner nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt (BGH, Urteil vom 19. November 2014 – VIII ZR 191/13 – juris). Vorliegend ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen, dass die Beklagte zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erbrachte Zahlungen ausdrücklich unbedingt erbracht habe.Die Zahlung stand daher unter dem Vorbehalt der Rechtskraft des Ausspruchs zu Ziff. 1 Buchst. a des Versäumnisurteils und diese war weder zum Zeitpunkt der Zahlung, noch zum Zeitpunkt der Aufrechnung der Beklagten mit der Forderung aus dem vorangegangenen Urteil eingetreten.

Die Beklagte hat aber mit Schriftsatz vom 9.4.2025 wirksam und unbedingt die Aufrechnung mit ihrer Forderung aus dem früheren Urteil erklärt und so die streitgegenständliche Forderung zum Erlöschen gebracht. Durch diese Aufrechnungserklärung ist ein erledigendes Ereignis eingetreten. Erklärt der Beklagte im Rechtsstreit die Aufrechnung mit einer bereits vor Rechtshängigkeit der Klage fälligen Gegenanspruch, so kommt es für die Beurteilung des Zeitpunktes der Erledigungserklärung nicht auf das Entstehen oder die Fälligkeit des Gegenanspruchs, sondern auf den Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung an; BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 – IX ZR 268/02, juris. Bis zur Erklärung der Aufrechnung war die auf die Nebenkostenabrechnung 2020 gestützte Klage auch zulässig und begründet. Dem Feststellungsantrag war daher stattzugeben.

Gemäß § 97 ZPO fallen der Beklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits (die im
Einspruchsverfahren entstanden sind) zur Last. Im Übrigen ergibt sich die Kostenfolge bereits aus dem aufrechtzuerhaltenden Versäumnisurteil.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO.

Wegen der Streitwertfestsetzung hatte es bei der Festsetzung im Versäumnisurteil zu verbleiben; §§ 48 GKG, 3 ZPO. Die von der Beklagten im Einspruchsverfahren geltend gemachten Gegenansprüche erhöhen den Streitwert nicht, da sie nicht bloß hilfsweise der Forderungen der Klägerin entgegengehalten wurden.“

LG Görlitz, Endurteil vom 27. Juni 2025 – 5 O 549/23

Verhältnismäßigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28. Mai 2025 betrifft eine Klage gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung durch eine Polizeibehörde. Die erkennungsdienstliche Behandlung, zu der u.a. die Anfertigung von Lichtbildern, Fingerabdrücken und Personenbeschreibungen gehört, war aufgrund von Verdachtsmomenten im Zusammenhang mit mehreren Brandstiftungen angeordnet worden. Dem Kläger wurde vorgeworfen einen Waldbrand gelegt zu haben, unter falschem Namen die Feuerwehr gerufen und sich am Löscheinsatz beteiligt zu haben. Weitere Brandstiftungen in der Region standen im Raum.

Der Kläger hatte zuvor Widerspruch gegen die Maßnahme eingelegt und argumentiert, die Anordnung sei unverhältnismäßig, da keine konkreten Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung vorlägen. Zudem sei die erkennungsdienstliche Behandlung bei Minderjährigen ein besonders schwerwiegender Eingriff. Insbesondere seien Fingerabdrücke und Fotos für die Aufklärung von Brandstiftungen in ländlichen Gebieten wenig geeignet.

Das Verwaltungsgericht entschied zugunsten des Klägers und hob den Bescheid der Polizeidirektion sowie den Widerspruchsbescheid auf. Es begründete dies damit, dass die gesetzlich erforderliche Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung (§ 81b Abs. 1 StPO) nicht gegeben sei. Zwar war ein Ermittlungsverfahren anhängig, jedoch seien die Verdachtsmomente und der Vorwurf der Wiederholungsgefahr rechtsfehlerhaft bewertet worden. Die tatsächlichen Umstände, insbesondere die glaubhaften Angaben des Klägers zu seinem Verhalten an den jeweiligen Tagen, ließen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine künftige Tatbeteiligung schließen.

Das Gericht stellte klar, dass die erkennungsdienstlichen Maßnahmen nur dann gerechtfertigt sind, wenn sie zur Aufklärung künftiger Straftaten geeignet und notwendig sind. Die vorgelegten Beweise und Aussagen reichten nicht aus, um dies zu bejahen. Die angeführten Brandstiftungen blieben unzureichend konkretisiert, und Zweifel an der Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen sowie zeitlichen Abläufen wurden berücksichtigt. Das Gericht sah keinen ausreichenden Tatverdacht, der eine solche invasive Maßnahme rechtfertigen würde.

Zusammenfassend stellt das Urteil klar, dass die präventiv-polizeiliche Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung strengen Voraussetzungen unterliegt und im vorliegenden Fall diese nicht erfüllt waren. Die Entscheidung schützt die Rechte des Klägers vor unverhältnismäßigen Eingriffen und fordert eine sorgfältige Abwägung der Umstände im Einzelfall. Gleichzeitig weist es auf die Bedeutung der tatsächlichen Beweislage und den Maßstab hin, der bei der Prognose einer Wiederholungsgefahr anzulegen ist.

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

„IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Verwaltungsrechtssache

des […]

– Kläger –

prozessbevollmächtigt:
Rechtsanwälte Frings & Höhne
Obergraben 7/9, 01097 Dresden

gegen

den Freistaat Sachsen
[…]

– Beklagter –

wegen

erkennungsdienstlicher Behandlung

hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Dresden durch […] als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2025

am 28. Mai 2025

für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten […] in Gestalt des Widerspruchsbescheids […] wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren war notwendig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung seiner erkennungsdienstlichen Behandlung.

Der […] Kläger wurde […] von der Polizei[…] des Beklagten aufgefordert, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO zu unterziehen. Von ihm sollten ein Fünfseitenbild, ein Ganzkörperbild, ein Lichtbild, eine Personenbeschreibung, ein Spezialbild sowie Zehnfinger- und Handflächenabdrücke angefertigt werden. Zur Begründung gab die Polizei[…] an, dass gegen den Kläger mehrere Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Brandstiftung gemäß § 306 StGB anhängig seien. Dem Kläger werde zur Last gelegt, […] in einem Waldstück […] einen Waldbrand gelegt zu haben. In der Folge soll er unter Vortäuschung eines anderen Namens die Feuerwehr gerufen und dann selbst am Löschangriff der Feuerwehr teilgenommen haben. Weiter stehe der Kläger im Verdacht, für Brandstiftungen […] in einem Waldgebiet bei M[…], […] an den Fischteichen bei M[…] und […] in einem Waldstück zwischen D[…] und U[…] verantwortlich zu sein. Nach Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist inzwischen gegen ihn Anklage erhoben worden.

Hiergegen hat der Kläger, damals noch durch seine Eltern vertreten, mit anwaltlichem Schreiben […] Widerspruch erhoben. Er hat geltend gemacht, dass die Anordnung unverhältnismäßig sei. Bislang seien keine konkreten Anhaltspunkte für seine Tatbeteiligung an den Brandstiftungen ersichtlich. Dem stehe der Umstand, dass er den Brand […] unter Angabe eines falschen Namens gemeldet habe, nicht entgegen. Er sei damals irrig davon ausgegangen, die Kosten für einen Feuerwehreinsatz tragen zu müssen, wenn er den Brand melde. Seine erkennungsdienstliche Behandlung sei nicht notwendig. Er sei nicht vorbestraft. Aus der Anordnung werde nicht ersichtlich, weshalb in den jeweiligen Einzelfällen eine erkennungsdienstliche Behandlung notwendig sei. Aus ihr werde nicht deutlich, inwiefern die geplanten Maßnahmen zur Förderung künftiger Ermittlungsverfahren dienlich seien. Die vorgeworfenen Taten beträfen Brände in abgelegenen Naturgebieten. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit Fingerabdrücke oder Fotos für etwaige Ermittlung relevant sein könnten.

Mit Widerspruchsbescheid […] wies der Beklagte den Widerspruch zurück, legte ihm die Verfahrenskosten auf und setzte eine Gebühr i.H.v. 40,00 € fest. Der Kläger sei im Zeitpunkt der Anordnung seiner erkennungsdienstlichen Behandlung Beschuldigter in einem Strafverfahren gewesen. Ihm werde zur Last gelegt, verschiedene Brandstiftungen begangen zu haben. Es handele sich jeweils um schwerwiegende Straftaten und die Verletzung bedeutender Rechtsgüter mit erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das Verfahren werde gegenwärtig vor der Staatsanwaltschaft […] geführt.

Anlass für die Anordnung sei, dass dem Kläger zur Last gelegt werde, […] unter Verwendung eines falschen Namens den Notruf gewählt und einen Brand gemeldet zu haben. Danach habe er sich umgehend zum Feuerwehrgerätehaus begeben und am Löscheinsatz teilgenommen. Gegen ihn bestehe der Verdacht einer Brandstiftung. Er stehe im Verdacht weiterer Brandstiftungen, begangen zu haben, nämlich:

– […] in einem Waldgebiet bei M[…],

– […] an den Fischteichen bei M[…] und

– […] in einem Waldstück zwischen D[…] und U[…].

Am […] sei er unmittelbar vor Bekanntwerden eines Schilfbrandes im Teichgebiet bei M[…] mit seinem E-Roller in der Ortslage M[…] gesehen worden.

Am […] sei gegen 22:30 Uhr ein Waldflächenbrand bei M[…] gemeldet worden. Durch einen Zeugen sei der Kläger zuerst gegen 22:00 Uhr in der Ortslage M[…] mit seinem E-Roller gesehen worden, sodann gegen 22:20 Uhr auf dem Rückweg erneut.

Im Rahmen der Bekämpfung eines Waldbodenbrandes am […] sei der Kläger am Gerätehaus der Feuerwehr erschienen; er sei jedoch nicht eingesetzt worden. Dennoch sei er mit seinem Kleinkraftrad zur Brandstelle gefahren.

Die Annahme einer Wiederholungsgefahr bestätige sich aufgrund seiner persönlichen Motivation. Der Kläger sei als Brandmelder und Zeuge zu einer Brandstiftung am […] im Teichgebiet bei D[…] in Erscheinung getreten. Er habe dort angeblich einen Fahrradfahrer gesehen. Er selbst sei mit dem Moped unterwegs gewesen. Der Kläger sei seit Beginn des Jahres 2023 Mitglied der aktiven Abteilung der Freiwilligen Feuerwehr U[…]. In Anbetracht des Umstands, dass der Kläger innerhalb von 18 Monaten bei fünf Bränden, zum Teil als Brandmelder und -entdecker in Erscheinung getreten sei und als Mitglied der Feuerwehr teilweise bei der Brandbekämpfung eingesetzt bzw. teilweise eingesetzt werden wollte und darüber hinaus am […] seinen tatsächlichen Namen verleugnet habe, bestehe der begründete Verdacht, dass der Kläger auch weiterhin mit Brandstiftungsdelikten in Verbindung gebracht werde, derer er verdächtigt sei. Es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er auch künftig insoweit in Erscheinung treten werde. Seine erkennungsdienstliche Behandlung sei erforderlich, weil sie geeignet sei, künftige Ermittlungen – für ihn überführend oder entlastend – zu fördern. Die zu fertigenden Lichtbilder, die Personenbeschreibung sowie die Zehnfinger- und die Handflächenabdrücke seien geeignet, zur Aufklärung möglicherweise vom Kläger zu erwartender Straftaten beizutragen.

Der Kläger hat […] Klage erhoben. Er bezieht sich auf sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass Fingerabdrücke und Handflächenabdrücke zur Aufklärung von Brandstiftungen in der freien Natur voraussichtlich nicht geeignet sein. Gleiches gelte auch für Lichtbilder, da bislang durch Zeugen keine Personen an den Brandorten beobachtet worden seien und sich die Brandstiftungen in dünn besiedelten, ländlichen Gebieten ereignet hätten, wo sich die Bewohner ohnehin kennen. Zu berücksichtigen sei auch, dass erkennungsdienstliche Maßnahmen bei einem Minderjährigen einen weitaus größeren Eingriff darstellten, als bei erwachsenen Personen.

Soweit im Widerspruchsbescheid ausgeführt werde, der Kläger sei am […] bei dem Schilfbrand im Teichgebiet bei M[…] in der Ortslage M[…] gesichtet worden, sei dies haltlos. Er sei an diesem Tag nicht mit seinem Roller, sondern mit einem Kleinkraftrad unterwegs gewesen und zwar konkret bei seiner Praktikumsstelle, der Teichwirtschaft G[…].

Soweit der Kläger am […] in der Ortslage M[…] mehrfach mit seinem Roller gesichtet worden sein soll, treffe dies nicht zu, da der Roller zu dieser Zeit bis zur Reparatur im August defekt und damit nicht einsatzbereit gewesen sei. Die Ortslage M[…] befinde sich darüber hinaus abseits der Fahrtstrecke zwischen dem Wohnort des Klägers und dem späteren Brandort. Es sei auch höchst zweifelhaft, ob ein Zeuge den Kläger zur Nachtzeit im ländlichen Raum aus einiger Entfernung oder die noch weiter entfernte Brandstelle erkannt haben soll.

Dass der Kläger am […] nicht eingesetzt worden sei habe darauf beruht, dass das Einsatzfahrzeug bei seinem Eintreffen bereits vollständig besetzt gewesen sei. Der Kläger sei durch den Einsatzleiter aufgefordert worden, zur Unterstützung bei den Ermittlungen des konkreten Brandorts mit seinem Kleinkraftrad über einen anderen für das Einsatzfahrzeug ungeeigneten Weg zu fahren. Bis zur Alarmmeldung habe sich der Kläger mit seinem Vater bei seinen Großeltern befunden. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass der Kläger mehrfach Brände gemeldet habe. Diese hätten sich in der räumlichen Nähe der Wohnung bzw. des Praktikums- und Ausbildungsorts befunden, sodass eine Entdeckung durch ihn nicht ungewöhnlich sei. Als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr sei er zudem für diese Themen sensibilisiert.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten […] in Gestalt des Widerspruchsbescheids […] aufzuheben und die Zuziehung des Bevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen

und bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet nach Übertragung des Rechtsstreits auf den Berichterstatter durch Beschluss vom 8. April 2025 gemäß § 6 Abs. 1 VwGO als Einzelrichter.

Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die angeordnete präventiv-polizeilich erkennungsdienstliche Behandlung ist § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.

Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Anordnung ist erforderlich aber auch ausreichend, dass – wie hier – im Zeitpunkt der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ein Ermittlungsverfahren anhängig war. Maßgeblich ist somit, ob im Zeitpunkt der Anordnung die Ausgangsbehörde ein strafprozessuales Ermittlungsverfahren gegen den Betroffen als Tatverdächtigen geführt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 –, juris Rn. 14; SächsOVG, Urt. v. 20. April 2016 – 3 A 187/15 –, juris Rn. 17 f.; Beschl. v. 22. Februar 2022 – 6 A 870/20 –, juris Rn. 7).

Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle einer streitigen, noch nicht vollzogenen Anordnung zur erkennungsdienstlichen Behandlung für präventiv-polizeiliche Zwecke kommt es für die Beurteilung der Notwendigkeit der Maßnahme auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an (BVerwG, Urt. v. 19. Oktober 1982 – 1 C 29.79 –, juris Rn. 31; SächsOVG, Urt. v. 13. März 2023 – 6 A 284.20 –, juris Rn. 21), weil die Vollziehung der Anordnung noch bevorsteht.

Nach § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO dürfen die dort aufgeführten Maßnahmen nur angeordnet und vorgenommen und die dabei gewonnenen Daten nur gespeichert werden, wenn sie für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig sind. Diese Datenerhebung und -speicherung dient der Strafverfolgungsvorsorge, indem sie der (Kriminal-)Polizei sächliche Hilfsmittel für die Erforschung und Aufklärung künftiger Straftaten zur Verfügung stellt. Die Notwendigkeit i.S.d. § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO ist gegeben, wenn angesichts aller Umstände des Einzelfalls tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, der Beschuldigte könne künftig als Verdächtiger einer Straftat in Betracht kommen, deren Aufklärung die erkennungsdienstlichen Unterlagen den Kläger überführend oder entlastend fördern können. Zu den Umständen, die bei dieser Prognoseentscheidung zu berücksichtigen sind, gehören das Ermittlungsergebnis des strafprozessualen Anlassverfahrens sowie Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten im Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit sowie der Zeitraum, während dessen er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist (BVerwG, Beschl. v. 25. März 2019 – 6 B 163.18, 6 PKH 10.18 –, juris Rn. 10; SächsOVG, Urt. v. 13. März 2023 a.a.O.).

Gemessen an diesem Maßstab ist die Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht notwendig.

Die gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen Brandstiftungsdelikten bieten nach Art und Schwere der Vorwürfe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, der Kläger werde voraussichtlich künftig in den Kreis potentieller Beteiligter an einer aufzuklärenden Straftat einbezogen werden können. Dem steht zwar nicht entgegen, dass der Kläger bisher nicht – im Sinn einer Verurteilung aufgrund Strafbefehls oder Gerichtsurteils – einschlägig in Erscheinung getreten ist. Allerdings erweist sich die vom Beklagten vorgenommene Prognose einer Wiederholungsgefahr im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als rechtsfehlerhaft.

In Bezug auf die dem Kläger zur Last gelegte Anlasstat, einer Brandstiftung am […] in einem Waldstück am L[…] Weg in der Ortslage M[…] und unweit seines Wohnorts, hat er eingeräumt, die Feuerwehr unter Angabe eines falschen Namens gerufen zu haben. Nicht streitig ist auch, dass der Kläger an dem daraufhin folgenden Löschangriff der Feuerwehr teilgenommen hat. Es ist darüber hinaus auch schwer nachvollziehbar, dass der damals 17-jährige Kläger geglaubt haben will, für die Kosten der Alarmierung der Feuerwehr haften zu müssen. Ihm muss auch aufgrund seiner Tätigkeit in der Jugendabteilung der Freiwilligen Feuerwehr U[…] sowie später – ab einem Alter von 16 Jahren, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat – in der dortigen aktiven Abteilung eingeleuchtet haben, dass eine Haftung für Feuerwehrkosten in der hier vorliegenden Konstellation nur dann in Betracht kommt, wenn vorsätzlich ein falscher Alarm ausgelöst worden ist. Hiervon abgesehen steht mit Blick auf den Brand am L[…] Weg am […] allerdings lediglich fest, dass es unweit des Wohnorts des Klägers gebrannt und er an dem dort erfolgten Feuerwehreinsatz teilgenommen hat. Es liegen darüber hinaus, soweit bekannt, keine Hinweise dafür vor, dass der Kläger als Verursacher des Brandes in Betracht zu ziehen ist. Allein der Umstand, dass er sich nach der von ihm veranlassten Brandmeldung unmittelbar zum Feuerwehrhaus begeben hat, um am Löscheinsatz teilzunehmen, sagt nichts über eine Verantwortlichkeit des Klägers für die Brandentstehung auf. Wäre der Brand durch ihn unter Angabe seines richtigen Namens oder aber durch eine oder mehrere andere Personen gemeldet worden, hätte er sich höchstwahrscheinlich auch – gegebenenfalls nach einer entsprechenden Alarmierung – zum Hilfseinsatz gemeldet.

In Bezug auf die dem Kläger zur Last gelegte Brandstiftung am […] dürfte es sich um einen Brand von Schilf in einem Teichgebiet bei M[…] handeln. Während im angefochtenen Ausgangsbescheid davon die Rede ist, es habe sich um eine Brandstiftung in einem Waldgebiet bei M[…] gehandelt, ist im Widerspruchsbescheid von einem Schiffsbrand die Rede. Von diesen unterschiedlichen Abgaben abgesehen wird jedenfalls wegen des Vorfalls am […] eine mögliche Täterschaft des Klägers daraus hergeleitet, dass er unmittelbar vor Bekanntwerden des Brandes in der Ortslage M[…] mit seinem E-Roller gesehen worden sein soll. Weder dem Ausgangsbescheid, dem Widerspruchsbescheid noch der Klageerwiderung ist allerdings zu entnehmen, zu welcher Uhrzeit dies der Fall gewesen sein soll. Der Kläger hat hierzu geltend gemacht, an diesem Tag mit einem Moped unterwegs gewesen zu sein. Er sei bei seiner Praktikumsstelle in dem Teichwirtschaftsbetrieb gewesen. Der Kläger hat dies in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dahin konkretisiert, dass es an jenem Tage in dem Betrieb einen Dammbruch gegeben habe und dort bis zum Abend versucht worden sei, den Dammbruch mit Sandsäcken zu reparieren. Hieran habe er sich beteiligt. Der Brand soll jedoch an jenem Tag bereits am späten Nachmittag bzw. am frühen Abend festgestellt worden sein. Diese Umstände, die gegebenenfalls in dem Strafverfahren noch weiter aufzuklären sein werden, sind jedenfalls nach derzeitiger Erkenntnis nicht geeignet, eine erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers zu rechtfertigen. Es liegen allein aufgrund der soeben wiedergegebenen Angaben zu dem Geschehen am […] keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor, die die Annahme rechtfertigten, der Kläger könne künftig als Verdächtiger einer Straftat in Betracht kommen.

Soweit dem Kläger eine Brandstiftung am […] zur Last gelegt wird heißt es im Ausgangsbescheid, dass es sich um einen Brand an den Fischteichen bei M[…] gehandelt haben soll, während im Widerspruchsbescheid ein Waldflächenbrand angegeben ist. Auch hier kann dem Vortrag des Beklagten in der Klageerwiderung keine weitere Konkretisierung entnommen werden. Hierauf kommt es allerdings auch nicht an, zumal sich in südlicher Richtung der Ortslage M[…] ein Teichgebiet sowie ein Waldgebiet anschließen. Denn tragend für die Annahme einer Täterschaft des Klägers ist, dass ein Anwohner den Kläger nachts zweimal mit seinen E-Roller von seinem Haus oder Garten aus in der Ortslage M[…] gesehen haben will. Dies soll um 22.00 Uhr und dann nochmals um 22.20 Uhr der Fall gewesen sein. Der Zeuge will den Kläger auf der E[…] gesehen haben, und zwar in einem Bereich, in dem diese in ost-westlicher Richtung verläuft. Die E[…] verläuft darüber hinaus auch in nord-südlicher Richtung. In diesem Bereich befindet sich auch das Wohnhaus des Klägers und seiner Eltern. Es ist insoweit zum einen zweifelhaft, ob ein Zeuge den Kläger zweimal zur Nachtzeit hat erkennen können. Zum anderen ist zweifelhaft, ob dem Kläger eine Brandstiftung südwestlich der Ortslage M[…] zur Last gelegt werden kann, weil er im nord-westlichen Teil der Ortslage zweimal auf einem E-Roller unterwegs gewesen sein soll. Zwar ist dies nicht ausgeschlossen, weil das Gebiet südwestlich der Ortslage M[…] auch über einen Feld- oder Wirtschaftsweg erreicht werden kann, der an einem Landwirtschaftsbetrieb im östlichen Bereich von M[…] in südwestlicher Richtung verläuft. Dieser Weg trifft anschließend auf die von M[…] in Richtung L[…] verlaufende E[…] bzw. den L[…] Weg. Auf diesem Weg kann auch das Teichgebiet bzw. Waldgebiet südlich bzw. südwestlich von M[…] erreicht werden. Allerdings hat der Kläger angegeben, an jenem Tag und insbesondere zu den genannten Zeiten zu Hause gewesen zu sein und dort geschlafen zu haben. Ferner hat er angegeben, dass sein Roller zu dieser Zeit defekt und […] in Reparatur gewesen ist. Zudem ist zweifelhaft, ob der Kläger, hätte er tatsächlich in dem genannten Bereich einen Brand gelegt, bei der Annahme, dass er den Weg von seinem Haus zu und von dem Brandort über den oben beschriebenen Feld- oder Wirtschaftsweg genommen hat, dies in einer mit 20 Minuten bemessenen Zeit hätte tun können. Daher liegen auch wegen des Geschehens am […] keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor, die die Annahme rechtfertigten, der Kläger könne künftig als Verdächtiger einer Straftat in Betracht kommen.

Wegen des Brandes am […] in einem Waldstück zwischen D[…] und U[…] hat der Kläger plausibel angegeben, dass er zum Feuerwehrhaus nach U[…] gefahren ist, nachdem er alarmiert worden war; er habe sich im Zeitpunkt der Alarmierung mit seinem Vater bei seinen Großeltern in U[…] aufgehalten. Beim Eintreffen am Feuerwehrhaus habe ihn der Einsatzleiter angewiesen, mit seinem Moped zum mutmaßlichen Brandort zu fahren, um bei der Erkundung zu helfen, wo sich dieser Brandort genau befinde. Für das bereits vollständig besetzte Feuerwehrfahrzeug sei der Weg über die Straße des Friedens in U[…] in Richtung D[…] wenig geeignet gewesen; das Feuerwehrfahrzeug habe den mutmaßlichen Brandort über die Ortslage D[…] angefahren. Auch insoweit liegen angesichts der nachvollziehbaren und in sich stimmigen Angaben des Klägers keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor, die die Annahme rechtfertigten, er könne künftig als Verdächtiger einer Straftat in Betracht kommen.

Insgesamt sind die Möglichkeiten, dem Kläger eine täterschaftliche Beteiligung an den ihm zur Last gelegten Brandstiftungen nach der Erkenntnislage des Gerichts eher als übersichtlich einzustufen. Es sprechen ungeachtet des Umstands der gegen den Kläger erhobenen Anklage erhebliche Gründe dafür, dass der Nachweis einer Täterschaft des Klägers nicht wird geführt werden können. Zwar spricht angesichts der Häufung von Bränden, die nach Lage der Dinge wohl auf Brandstiftungen zurückzuführen sind, vieles dafür, dass Ursache hierfür jeweils Brandstiftungen gewesen sind. Allerdings reichen die hier bekannten Umstände nicht aus, um von einem ausreichenden Tatverdacht in Bezug auf den Kläger ausgehen zu können. Etwaige noch gegen ihn bestehende Verdachtsmomente rechtfertigen seine präventiv-polizeiliche erkennungsdienstliche Behandlung nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 1 Sächs-VwVfZG i.V.m. § 80 Abs.- 2 VwVfG notwendig.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.“

VG Dresden, Urteil vom 28.5.2025 – 6 K 2323/23

Anwendbares Recht bei Verkehrsunfällen im Ausland zwischen zwei deutschen Fahrzeughaltern

Kommt es zu einem Verkehrsunfall im Ausland, stellt sich regelmäßig die Frage, welches nationale Recht auf die Schadensregulierung Anwendung findet. Nach der allgemeinen Regel des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II-Verordnung“) gilt grundsätzlich das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt. Für Verkehrsunfälle bedeutet dies, dass in der Regel das Verkehrs- und Haftungsrecht des Unfallorts maßgeblich ist. Ereignet sich der Unfall beispielsweise in Italien, so findet italienisches Recht Anwendung, auch wenn bspw. deutsche Staatsangehörige beteiligt sind.

Hiervon gibt es jedoch eine bedeutsame Ausnahme, die insbesondere bei Verkehrsunfällen im Ausland zwischen zwei Fahrzeugen aus demselben Land relevant wird. Nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-Verordnung ist nämlich dann, wenn der Geschädigte und der Schädiger zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben, das Recht dieses Staates anzuwenden. Wörtlich heißt es:

Haben der Geschädigte und die Person, deren Haftung in Frage kommt, zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so unterliegt das auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht dem Recht dieses Staates.

Im Ergebnis bedeutet dies: Kommt es beispielsweise in Frankreich oder Österreich zu einem Unfall zwischen zwei Fahrzeughaltern, die beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben – etwa Urlauber oder Geschäftsreisende – so richtet sich die zivilrechtliche Haftungsfrage nicht nach französischem oder österreichischem Recht, sondern nach deutschem Recht. Die Schadenersatzansprüche werden dann nach deutschem Recht, insbesondere nach den §§ 7 ff. StVG sowie §§ 823, 249 ff. BGB reguliert.

Gleichwohl sind die im Unfallstaat geltenden Verkehrsregeln nicht bedeutungslos. Diese bleiben für die tatsächliche Beurteilung des Unfallhergangs und des Verhaltens der Beteiligten relevant. Wer etwa gegen die örtliche Vorfahrtsregelung verstößt oder ein dort geltendes Überholverbot missachtet, kann sich hierdurch ein Mitverschulden zurechnen lassen, auch wenn die Haftungsfrage an sich nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Die Verkehrsregeln des Unfallorts konkretisieren also die im Rahmen der Haftungsprüfung zu beachtenden Sorgfaltspflichten.

In der Praxis bedeutet dies für deutsche Beteiligte eine gewisse rechtliche Sicherheit: Trotz eines Auslandsunfalls findet das vertraute deutsche Schadensersatzrecht Anwendung. Dennoch kann die Regulierung des Schadens im Einzelfall aufwändig bleiben, da Beweismittel oft im Ausland gesichert werden müssen, Unfallprotokolle in fremder Sprache vorliegen und möglicherweise auch ausländische Zeugen involviert sind. Es empfiehlt sich daher, frühzeitig anwaltlichen Rat einzuholen, um eine reibungslose und rechtssichere Abwicklung sicherzustellen.

BVSK 2022 als Maßstab für die Erforderlichkeit des Sachverständigenhonorars

Das Urteil des Amtsgerichts Weißwasser vom 13.03.2025 (Az. 3 C 175/24) betrifft eine restliche Vergütungsforderung aus abgetretenem Recht durch ein Kfz-Sachverständigenbüro gegen eine Haftpflichtversicherung. Der Kläger, ein Kfz-Sachverständiger, machte eine restliche Vergütung für ein Schadensgutachten geltend. Die Beklagte, Haftpflichtversicherer der Unfallgegnerin, hatte nur einen Teil der Gutachterkosten erstattet. Das Gericht gab der Klage in vollem Umfang statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte vom Schädiger den „erforderlichen“ Herstellungsaufwand ersetzt verlangen. Dies umfasst auch die Kosten für ein Sachverständigengutachten, sofern diese im Rahmen des wirtschaftlich Erforderlichen liegen. Der Maßstab ist dabei die Sicht eines vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten.

Das Gericht führte in seiner Entscheidung aus, dass keine Preiskontrolle durchzuführen sei, sondern eine tatrichterliche Schätzung nach § 287 ZPO. Als Schätzgrundlage wurde die BVSK-Honorarbefragung 2022 herangezogen, die als marktgerechter Indikator für ortsübliche Honorare gewertet wurde. Die Einwendungen der Beklagten gegen diese Schätzgrundlage wurden mangels konkreter Gegendarstellung verworfen.

Das vom Kläger abgerechnete Grundhonorar lag im Mittelwert des sogenannten Korridors der Honorarbefragung für die zugrunde liegende Schadenshöhe und wurde als angemessen angesehen.

Auch die abgerechneten Nebenkosten (Fahrtkosten, Fotos, Schreib- und Kommunikationspauschalen) entsprachen den Richtwerten des BVSK und wurden ebenfalls für erforderlich und somit erstattungsfähig gehalten.

Das Urteil folgt der ständigen Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Verkehrsunfällen. Es setzt sich dezidiert mit dem Spannungsfeld zwischen Honorarvereinbarung, Erforderlichkeitsmaßstab und der Bindung an marktübliche Werte auseinander und betont die Eigenständigkeit der tatrichterlichen Schätzung. Die Argumente der Versicherung – insbesondere zur (angeblich) besseren Eignung der zeitabhängigen Vergütung nach JVEG – wurden unter Hinweis auf die fehlende Übertragbarkeit auf Privatgutachter zurückgewiesen.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.1.2022 – 10 S 64/21; LG Görlitz, Hinweisbeschluss vom 17.11.2025 – 2 S 80/24; AG Weißwasser, Urteil vom 13.3.2025 – 3 C 175/24; AG Dresden, Urteil vom 16.1.2025 – 103 C 2114/24; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10.9.2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.6.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…] Kfz-Sachverständigenbüro […]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Restliche Vergütungsforderung Sachverständigenkosten

hat das Amtsgericht Weißwasser

durch Richter […]

ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495 a ZPO am 13.03.2025

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 511,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 29.6.2024 zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 77,20 € freizustellen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 511,70 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe

(ohne Tatbestand gem. § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO)

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Der Kläger hat Anspruch auf weiteren Schadensersatz aus abgetretenem Recht aus der Gutachterrechnung vom 04.04.2024 in Höhe von 511,70 € aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2; 18 Abs. 1 StVG; 249, 398, 823 Abs. 1 BGB; 115 Abs. 1 VVG sowie auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten von 77,20 € sowie Verzugszinsen gem. §§ 286 Abs. 2 Ziffer 3, 288 Abs. 1 und 4 BGB haben.

1.

Die Beklagte hat keinen Erfolg, soweit sie die Höhe und die Erforderlichkeit des geltend gemachten restlichen Schadensersatzes angreift.

Gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte grundsätzlich vom Schädiger den erforderlichen Herstellungsaufwand erstattet verlangen. Dabei ist der Geschädigte in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er kann jedoch vom Schädiger als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen (vgl. u.a. BGH NJW 2014, 1947).

Dies gilt auch für Kosten für die Beauftragung eines Sachverständigen zur Schadensermittlung nach einem Verkehrsunfall. Ein Geschädigter darf einen Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenshöhe an seinem durch den Unfall beschädigten PKW beauftragen und von dem Unfallverursacher bzw. dessen Versicherung
nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen
Sachverständigenkosten verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 11.02.2014, Aktenzeichen: VI ZR 225/13, zitiert nach Juris). Der Geschädigte kann dann nur Ersatz der für die Erstattung des Gutachtens tatsächlich erforderlichen Kosten verlangen, deren Höhe der Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu bemessen hat (vgl. hierzu insgesamt: BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 61/17 –, Rn. 17, Juris m.w.N).

Unabhängig von der zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen getroffenen Vereinbarungen zur Höhe der Vergütung ist für die Erstattungsfähigkeit allein maßgeblich, ob sich die Kosten für die Erstellung des Schadensgutachtens im Bereich des Erforderlichen halten. Liegen die vom Sachverständigen berechneten Preise erheblich über den üblichen Preisen, so sind diese jedenfalls nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (vgl. BGH NJW 2014, 3151). Der Kläger hat vorliegend dargelegt, dass das von ihm abgerechnete Honorar bzw. die berechneten Positionen angemessen und ortsüblich waren.

Der erforderliche Aufwand ist im Wege tatrichterlicher Schätzung gem. § 287 ZPO zu ermitteln. Das Gericht ist bei der Schätzung der Schadenshöhe besonders freigestellt. Zwar sind die Gerichte im Rahmen der schadensrechtlichen Beurteilung nicht zur Preiskontrolle befugt (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2007, VI ZR 67/06); das Gericht kann jedoch nach § 287 Abs. 2 ZPO im Rahmen der Erforderlichkeitsschätzung die Honorarhöhe prüfen. Bei der Bemessung der Schadenshöhe hat der Tatrichter dann allerdings zu beachten, dass der
Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO tragfähige Anknüpfungspunkte zugrunde liegen müssen (BGH, Urteil vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13 –, Rn. 17, Juris)

a) Das Gericht sieht die Tabelle der Honorarbefragung des Berufsverbandes (BVSK 2022) als geeignete und tragfähige Grundlage an, um den Betrag zu schätzen, der schadensrechtlich notwendig ist, wenn der Geschädigte die Höhe des Fahrzeugschadens durch einen Sachverständigen ermitteln lassen will. Bei der Tabelle der Honorarbefragung des Berufsverbandes (BVSK 2022) handelt es sich um eine Umfrage des größten
Zusammenschlusses der freiberuflichen qualifizierten Kfz-Sachverständigen in Deutschland, so dass die wiedergegebenen Preise nach Einschätzung des Gerichts auch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage widerspiegeln. Der Umstand, dass die Honorarumfrage nur unter Mitgliedern des BVSK durchgeführt worden ist, spricht nicht dagegen, die dort ermittelten Honorare als nicht ortsüblich einzustufen. Es handelt sich immerhin um den größten Zusammenschluss freiberuflich tätiger Kfz-Sachverständiger in Deutschland. Dies spricht nach Auffassung des Gerichts gerade für die Ortsüblichkeit. Die Heranziehung der o.g. Schätzgrundlage der BVSK-Honorarbefragung 2022 muss nur dann unterbleiben, wenn derjenige, der diese als unangemessen angreift, konkret darlegt und beweist, dass die Honorarbefragung die Abrechnungspraxis im Bezirk des eingeschalteten Sachverständigen nicht zutreffend wiedergibt (vgl. Urteil des OLG München vom 26.02.2016, X U 579/15, zitiert nach Juris). Dies ist durch die Beklagte nicht erfolgt.

Das Gericht kann nicht erkennen, dass das Honarar vorliegend auf Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden. Allein die Behauptung, die zeitorientierte Bemessung des Grundhonorars sei sachgerecht, reicht hierfür nicht aus. Der BGH mag eine Abrechnung nach Stunden bei Kfz-Sachverständigen für zulässig gehalten haben; er hält aber auch – wie das Gericht – eine Abrechnung entsprechend der BVSK-Honorarbefragung für zulässig. Auch der Umstand, dass Gerichtssachverständige ihr Honorar zeitbemessen nach dem JVEG abrechnen, reicht nicht aus, die Tabelle der Honorarbefragung des Berufsverbandes (BVSK 2022) als Schätzgrundlage anzugreifen. Nach dem BGH ist die Übertragung der Grundsätze des JVEG für die Vergütung gerichtlicher Sachverständiger auf Privatgutachter nicht angebracht. Der Anwendungsbereich des JVEG ist auf die in § 1 JVEG genannten Verfahren beschränkt (BGH, Urteil vom 23. Januar 2007 – VI ZR 67/06 –, Rn. 21, Juris).

b) Vorliegend hält sich die vom Kläger in Rechnung gestellte Sachverständigenvergütung im Rahmen der Honorarbefragung des BVSK 2022 und ist nicht überhöht. Der Kläger hat nach Auffassung des Gerichtes auch in zulässiger Weise sein Honorar an der Höhe des Fahrzeugschadens ausgerichtet. Die Frage, ob nach einem Verkehrsunfall ein in Relation zur Schadenshöhe berechnetes Sachverständigenhonorar als erforderlicher Herstellungsaufwand im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB verlangt werden kann, wird von einer Vielzahl von Gerichten und auch vom BGH bejaht (BGH, Urteil vom 23. Januar 2007 – VI ZR 67/06 –, Rn. 15, Juris).

Bei Zugrundelegung der BVSK-Honorarbefragung 2022 ergibt sich ein mittlerer Wert des sog. HB V – Korridors (623,00 bis 693,00 €) bei einem ermittelten Fahrzeugschaden von 3.875,82 € als Grundhonorar ein Nettobetrag von 658,00 €, so dass das vom Kläger angesetzte Grundhonorar von 625,00 € nicht überhöht ist.

Auch die vom BVSK in der Honorarbefragung 2022 angesetzten Nebenkosten (ohne Mehrwertsteuer) sind nach dem oben Gesagten als angemessen und somit erstattungsfähig für die Erstellung eines ordnungsgemäßen Gutachtens anzusehen. Die vom Kläger geltend gemachten Nebenkosten liegen im Rahmen dieser Beträge und sind somit nicht überhöht. Der Kläger macht Fahrtkosten (0,70 € pro Kilometer) und Kosten für die Lichtbilder (2,00 € pro Bild) in derselben Höhe geltend, wie sie durch den BVSK in der Honorarbefragung 2022 angesetzt werden. Wieviele Bilder der Gutachter für die Dokumentation des Schadens und für die Kalkulation der Reparaturkosten als erforderlich ansieht, muss diesem überlassen bleiben. Mit der Schreibkostenpauschale von 12,00 € liegt die streitgegenständliche Rechnung unter den nach der Honorarbefragung 2022 angesetzten Kosten für ein 15 seitiges Gutachten (zu 1,80 € pro Seite). Gleiches gilt für die Pauschale für Porto/Telefon.

Die Höhe der Gutachterkosten, die von der Klägerseite angesetzt worden sind, sind somit erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 BGB.

2.

Der Kläger hat auch Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 77,20 € aus Verzug gem. §§ 286 Abs. 2 Ziffer 3, 288 Abs. 4 BGB. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 08.05.2024 dem Geschädigten gegenüber die Zahlung weiterer Gutachterkosten endgültig abgelehnt, so dass sie sich ab diesem Zeitpunkt in Verzug befand und die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten des Klägers als Verzugsschaden geltend gemacht werden können.

Der Kläger hat auch Anspruch auf Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe auf die streitgegenständlichen Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 2 Ziffer 3, 288 Abs. 1 BGB in gesetzlicher Höhe.

Der Klage war insgesamt stattzugeben.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziff. 11, 711, 713 ZPO.

Eine Berufung gem. § 511 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO wird nicht zugelassen.“

AG Weißwasser, Urteil vom 13. März 2025 – 3 C 175/24

Freistellungs- oder Zahlungsanspruch? Versicherung muss Geschädigten vollständig von Sachverständigenkosten freistellen

Das Amtsgericht Dresden entschied mit Urteil vom 18. März 2025 zugunsten des Klägers gegen die beklagte Versicherung in einem Schadensersatzprozess im Zusammenhang mit einem Fahrzeugbrand. Der Kläger machte Ansprüche auf Freistellung von restlichen Sachverständigenkosten sowie außergerichtlichen Anwaltskosten geltend, nachdem sein Alfa Romeo Giulia durch einen brennenden Smart beschädigt wurde. Die Beklagte war als Haftpflichtversicherung des verursachenden Fahrzeugs grundsätzlich zur Regulierung des Schadens verpflichtet, bestritt jedoch die Höhe der Sachverständigenkosten und verweigerte deren vollständige Erstattung.

Das Gericht folgte der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere dem Urteil vom 12. März 2024 (VI ZR 280/22), welches die sogenannte Werkstattrisiko-Rechtsprechung auf Sachverständigenkosten überträgt. Demnach trägt die Haftpflichtversicherung des Schädigers grundsätzlich das Risiko, dass die vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen möglicherweise höhere Kosten in Rechnung stellen, als es aus Sicht der Versicherung angemessen erscheint. Eine Kürzung dieser Kosten kommt nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte hätte erkennen müssen, dass die Gebühren des Sachverständigen erheblich über dem üblichen Marktpreis liegen. Da die Beklagte keine substantiierten Einwendungen dazu erhob, dass der Kläger eine solche Überhöhung hätte erkennen können, entschied das Gericht, dass der Kläger von der Verbindlichkeit gegenüber dem Sachverständigenbüro freizustellen ist. Zudem hatte der Kläger seine möglichen Regressansprüche gegenüber dem Sachverständigen an die Beklagte abgetreten, wodurch die Versicherung in eigener Verantwortung gegen etwaige überhöhte Forderungen des Sachverständigen vorgehen konnte.

Im Weiteren wurde durch das Gericht entschieden, dass es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unerheblich ist, ob ein Geschädigter Freistellung von einer Verbindlichkeit oder Zahlung an den Forderungssteller begehrt. Maßgeblich ist, dass er durch den Schädiger wirtschaftlich so gestellt wird, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten. Nach § 249 Abs. 1 BGB besteht ein Anspruch auf Naturalrestitution, was sowohl die Zahlung der Schadenssumme als auch die Übernahme einer Verbindlichkeit umfassen kann. Zwar kann der Geschädigte zunächst nur Freistellung verlangen, doch wenn sich der Schädiger oder seine Versicherung ernsthaft weigert, die Kosten zu übernehmen, kann sich der Freistellungsanspruch gemäß § 250 Satz 2 BGB auch in einen Zahlungsanspruch umwandeln. Da die Beklagte die vollständige Regulierung der Sachverständigenkosten verweigerte, hatte der Kläger daher das Recht, Freistellung von der Verbindlichkeit zu fordern.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Dresden

durch Richterin […]

im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO am 18.03.2025

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber

a. dem Kfz-Sachverständigenbüro […] Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus der Rechnung vom 13.02.2024 […] von restlichen Forderungen in Höhe von 985,80 € aus der Rechnung […] vom 13.2.2024 freizustellen.

b. den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der restlichen außergerichtlichen Kosten in Höhe von 80,45 € freizustellen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 991,80 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger beanspruchten restlichen Schadenersatz aufgrund eines Fahrzeugbrandes vom 26.1.2024 gegen 19:20 Uhr beim Brandort […] in Dresden.

Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt Eigentümer des Pkws Alfa Romeo Giulia mit dem amtlichen Kennzeichen […] und der Fzg.Ident.Nr. […].

Die Beklagte ist die am Brandtag bestehende Haftpflichtversicherung des brandauslösenden Pkws Smart mit dem amtlichen Kennzeichen […], durch welches der klägerische Pkw beschädigt wurde.

Mit der Klage beansprucht der Kläger folgende Sachschäden:

a. Die Gutachterkosten gemäß der als Anlage K 4 vorgelegten Rechnung […] des Kfz-Sachverständigenbüros […] vom 13.2.2024: 1.420,15 €.

Die Beklagte hat hierauf 6 € und weitere 428,35 € gezahlt. Der Kläger beansprucht die Zahlung weiterer 991,80 €.

Darüber hinaus beansprucht der Kläger die Erstattung weiterer außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert i.H.v. 13.954,15 € unter Zugrundelegung einer 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich einer Auslagenpauschale i.H.v. 20 € sowie 19 % Umsatzsteuer hieraus in Höhe von gesamt 1134,55 €, worauf die Beklagte 1.054,10 € gezahlt hat, somit weitere 80,45 €.

Der Kläger hat die Abtretung etwaiger Ansprüche des Klägers bezüglich der Vergütungsforderung aus der Rechnung 13.02.2024 […] gegenüber dem Kfz-Sachverständigenbüro […] an die Beklagte erklärt.

Der Kläger ist der Auffassung,

das nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. März 2024 (Az. VI ZR 280/22) die Sachverständigenkosten von der Beklagten vollumfänglich an den Sachverständigen zu erstatten seien, da diese das „Werkstattrisiko“ zu tragen habe. Es würde rechtlich keinen Unterschied machen, ob der Geschädigte Freistellung oder Zahlung verlangen würde, da beide Varianten darauf abzielen würden, den Geschädigten durch eine Zahlung des Schädigers bzw. dessen Haftpflichtversicherung an den Sachverständigen wirtschaftlich so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte.

Der Kläger bei hat zuletzt beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber

a. dem Kfz-Sachverständigenbüro […] Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus der Rechnung vom 13.02.2024 […] von restlichen Forderungen in Höhe von 991,80 € aus der Rechnung […] vom 13.2.2024 freizustellen.

b. den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der restlichen außergerichtlichen Kosten in Höhe von 80,45 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt:

Klageabweisung

Die Beklagte ist der Auffassung,

dass die Sachverständigenkosten überhöht und nicht zu erstatten seien.

Die geltend gemachten Sachverständigenkosten von 1.420,15 € seien nicht erforderlich. Erforderlich und ortsüblich seien allenfalls 434,35 € .

Nach der Rechtsprechung des BGHs vom März 2024 könne sich der Geschädigte nur dann auf das Sachverständigenrisiko berufen, wenn er Zahlung der noch offenen Reparaturkosten an den Sachverständigen verlangt. Die beantragte Freistellung von Sachverständigenkosten würde nach dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht genügen.

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Kläger beansprucht die Freistellung von der Verbindlichkeit der Sachverständigenkosten.

Der Antrag des Klägers ist in dem zuletzt gestellten Antrag im vollen Umfang gemäss der § 7 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 115 VVG begründet.

1.
Auch soweit der Kläger nicht Zahlung an den Sachverständigen sondern Freistellung von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Sachverständigen beansprucht, ist sein Anspruch entsprechend der Rechtsprechung des BGHs zum Werkstattrisiko in vollem Umfang begründet. Eine weitergehende Überprüfung der Angemessenheit und Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten erübrigt sich daher, da die Beklagte das Sachverständigenrisiko zu tragen hat, der Kläger ausdrücklich die Abtretung eventueller Regressansprüche gegenüber dem Sachverständigen erklärt hat und substantiierte Einwendungen in Hinblick auf die Verletzung der Schadensminderungspflicht des Klägers – Z.B. bei der Auswahl des Sachverständigen oder in Bezug auf die Erkennbarkeit eine Überhöhung der Sachverständigenkosten – durch die Beklagte nicht erhoben wurden.

2.
Der Einwand der Beklagten ist nicht begründet, sofern sie der Auffassung ist, das bei einem Freistellungsantrag die Rechtsprechung des BGHs in Bezug auf das Sachverständigenrisiko nicht übertragbar sei.

Auch in dem Fall des Freistellungsantrags ist “für die schadensrechtliche Betrachtung (§ 249 BGB) des Verhältnisses zwischen Geschädigtem und Schädiger die werkvertragliche Beziehung (§§ 631 ff. BGB) zwischen Geschädigtem und Sachverständigem maßgeblich. Denn der Geschädigte, der in Wahrnehmung seiner Ersetzungsbefugnis (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) berechtigter Weise ein Schadensgutachten bei einem Sachverständigen in Auftrag gibt, muss vom Schädiger die Freistellung von der ihm hieraus gegenüber dem Sachverständigen entstehenden Verbindlichkeit verlangen können, soweit dessen Vergütungsanspruch nicht auch für den Geschädigten erkennbar überhöht war.“ (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2022 – VI ZR 324/21 –, Rn. 12, juris)

Nach der Rechtssprechung des BGHs kann der Geschädigte, sofern er Zahlung geleistet hat, Zahlung an sich selbst beanspruchen und – sofern er sich auf das Werkstattrisiko beruft Zug um Zug gegen Abtretung eventueller Ansprüche gegen den Sachverständigen.

Sofern der Geschädigte die Rechnung nicht beglichen hat, kann er – will er das Werkstattrisiko bzw. hier das Sachverständigenrisiko nicht selbst tragen – die Zahlung der Sachverständigenkosten allerdings nicht an sich, sondern nur an den Sachverständigen verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (dieses Risiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen, BGH, Urteil vom 12. März 2024 – VI ZR 280/22 –, Rn. 16 – 18, juris.

Grundsätzlich gilt, dass der Geschädigte vor Bezahlung lediglich Freistellung (§ 257 BGB) verlangen kann, welcher sich jedoch nach § 250 Abs.2 BGB zu einen Zahlungsanspruch umwandelt, „wenn sich der Schädiger oder seine Haftpflichtversicherung ernsthaft weigert, Schadensersatz zu leisten (BGH NJW 2004, 1868; NJW-RR 2011, 910 jew. m. w. N.), was auch in einem entsprechenden prozessualen Verhalten (z.B. einem Klageabweisungsantrag) liegen kann (BGH NJW-RR 2011, 910) und der Geschädigte sich nicht auf einen Freistellungsanspruch nach § 257 BGB verweisen lassen muss (BGH NJW 1970, 1122 mit weiteren Nachweisen…), weil sich dieser gem. § 250 S. 2 BGB in einen Zahlungsanspruch verwandelt hat (BGH a.a.O.; LG Hamburg a.a.O.; AG München, Urt. vom 03.04.2009 -343 C 15534/08 [juris, dort Rz. 28]; AG Karlsruhe NZV 2005, 326 = SP 2005, 144 = zfs 2005, 309 = AGS 2005, 253 = JurBüro 2005, 194; AG Kaiserslautern DV 2014, 238 ff.),“ (OLG München, Beschluss vom 12. März 2015 – 10 U 579/15 –, Rn. 39, juris).

Zahlungsanspruch und Freistellungsanspruch betreffen daher den gleichen Anspruch des Geschädigten der auf der werkvertragliche Beziehung (§§ 631 ff. BGB) zwischen Geschädigtem und Sachverständigem beruht, wobei sich der ursprüngliche Herstellungsanspruch – Befreiung von einer Verbindlichkeit – nach § 250 Satz 2 BGB in einen Zahlungsanspruch an sich selbst umwandelt.

Damit entspricht der Anspruch auf Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Sachverständigen dem Grunde nach dem Anspruch auf Zahlung an den Sachverständigen und sind die gleichen von dem BGH entwickelten Grundsätze zur Regulierung des Folgeschadens in Form der Sachverständigenkosten heranzuziehen, wenn sich der Geschädigte auf das Werkstattrisiko beruft.

3.
Der Anspruch des Klägers ist jedoch der Höhe nach zu kürzen.

Die Sachverständigenkosten betragen 1420,15 €. Die Beklagte hat hierauf 6 € und weitere 428,35 € gezahlt. Der Kläger hat daher lediglich i.H.v. 985,80 € einen Anspruch auf Befreiung von den Sachverständigenkosten.

4.
Der Anspruch auf Erstattung weiterer außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten nach §§ 280, 286, 249 BGB folgt aus dem erhöhten Gebührenwert und ist des Weiteren nicht von der Beklagten substantiiert angegriffen worden.

5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, der Ausspruch bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

AG Dresden, Urteil vom 18. März 2025 – 114 C 3511/24

Pfändungsschutz in der Zwangsvollstreckung: Amtsgericht Bautzen präzisiert Freibeträge gemäß sozialrechtlichen Maßstäben

Die Entscheidung des Amtsgerichts Bautzen (Beschluss vom 27.02.2025 – 2 M 919/24) befasst sich mit der Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 Abs. 1 ZPO sowie einem Antrag auf Erhöhung des Pfändungsfreibetrages nach § 850f Abs. 2 ZPO. Ausgangspunkt war ein durch das Amtsgericht Bautzen zuvor erlassener Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der durch den Schuldner mit der Erinnerung angegriffen wurde.

Der Schuldner machte geltend, dass die zugrundeliegende Forderung nicht auf einer vorsätzlich unerlaubten Handlung beruhe und ihm bei der festgesetzten Pfändungshöhe die Finanzierung seines notwendigen Lebensunterhalts nicht möglich sei. Zur Begründung legte er detailliert Kosten für Fahrzeug, Miete, Telefon, Darlehen sowie Verpflegungspauschalen vor und begehrte, den unpfändbaren Betrag auf mindestens 1.450 Euro anzuheben.

Das Gericht stellte zunächst fest, dass es an die Feststellung im vollstreckbaren Titel, wonach die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung resultiere, gebunden ist. Eine neuerliche materielle Prüfung sei dem Vollstreckungsgericht insofern verwehrt.

In Bezug auf den Antrag nach § 850f Abs. 2 ZPO sah das Gericht teilweise Anlass zur Abhilfe. Es stellte fest, dass dem Schuldner nach sozialrechtlichen Maßstäben mindestens der Regelsatz nach § 28 SGB XII (Bürgergeld) zzgl. angemessener Wohnkosten zustehe. Das Gericht orientierte sich dabei konkret an der entsprechenden Richtlinie des Landkreises Bautzen zur Ermittlung der Wohnkosten. Weiterhin gewährte es dem Schuldner einen zusätzlichen Erwerbsbonus von 50 % des Regelsatzes, der ausdrücklich als ausreichend auch zur Deckung beruflicher Fahrtkosten angesehen wurde. Insgesamt wurde damit der monatliche Pfändungsfreibetrag auf 1.187,94 Euro erhöht.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

ln der Zwangsvollstreckungssache

[…]

– Gläubiger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…]

– Schuldner –

[… (Arbeitgeber des Schuldners)]

– Drittschuldner –

wegen Forderungspfändung

ergeht am 27.02.2025 nachfolgende Entscheidung:

  1. Auf die Erinnerung des Schuldners wird der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Bautzen – Vollstreckungsgericht – vom 02.07.2024 dahingehend abgeändert, dass der monatliche Pfändungsfreibetrag auf 1.187,94 Euro festgesetzt wird.
  2. Im Übrigen werden Antrag und die Erinnerung des Schuldners gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zurückgewiesen.
  3. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Schuldner 96% und der Gläubiger 4%.

Gründe

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung aus einem Versäumnisurteil des Landgerichts Görlitz vom 08.04.2024. Das Amtsgericht Bautzen – Vollstreckungsgericht – hat am 02.07.2024 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Schuldner mit Schreiben vom 15.07.2024, mit welchem er „Widerspruch“ gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss einlegte.

Die zuständige Rechtspflegerin hat das Schreiben des Schuldners als Erinnerung gegen den erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ausgelegt.

In der Sache trägt der Schuldner vor, dass die zu vollstreckende Forderung nicht aus einer unerlaubten Handlung herrühre und er bei einer Pfändung seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Mit Schreiben vom 01.08.2024 schlüsselte der Schuldner Kosten für Fahrzeug, Miete, Telefon, Darlehen und Verpflegungspauschale in Höhe von insgesamt 1.719,00 Euro auf und gab an, dass unter einem Betrag von 1.450,00 Euro ein Bestreiten seines Lebensunterhaltes und Erhalt seines Arbeitsplatzes nicht möglich sei.

Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung mit Beschluss vom 09.01.2024 nicht abgeholfen. Die Sache wurde der Vollstreckungsrichterin zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Erinnerung ist teilweise begründet.

1.
Die Erinnerung ist zulässig.

Das Schreiben des Schuldners wird als die gegen den erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss statthafte Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 Abs. 1 ZPO ausgelegt. Zugleich wird hierin ein Antrag nach § 850f Abs. 2 ZPO gesehen.

2.
Das Begehren des Schuldners ist zum Teil begründet.

Zutreffend ist die Rechtspflegerin davon ausgegangen, dass im Vollstreckungsverfahren die Frage, ob eine unerlaubte Handlung vorliegt, nicht erneut geprüft wird. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Görlitz vom 08.04.2024 enthält im Tenor zu 2. die Feststellung, dass die Forderung aus einer durch den Beklagten vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht. Hieran ist das Vollstreckungsgericht gebunden.

Anlass, den Freibetrag heraufzusetzen wie es der Schuldner sieht das Gericht nur im Hinblick auf die Unterkunftskosten. Gem. § 850f Abs. 2 ZPO ist dem Schuldner so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Dem Schuldner sind jedenfalls die Regelsätze nach § 28 SGB XII zu belassen. Für die Berechnung von Wohnkosten kann die Richtlinie des Landkreises Bautzen zu Leistungen für Unterkunft und Heizung herangezogen werden, wie es die Rechtspflegerin zutreffend getan hat. Allerdings gilt nach dem aktuellsten Stand 04/2024 für einen 1-Personen Haushalt ein Richtwert von 286,20 Euro Bruttokaltmiete. Demnach ergibt sich folgende Berechnung:

  • Bürgergeld SGB II: 563,00 EUR
  • Erwerbsbonus: 281,50 EUR (50% des Regelsatzes)
  • Kosten der Unterkunft: 286,20 EUR (Richtlinie LK BZ Stand 04/24)
  • Heizkostenpauschale: 57,24 EUR (20% Unterkunftsk.)
    Summe: 1.187,94 EUR

Eine weitere Heraufsetzung ist nicht angezeigt. Hierzu fehlt es an Nachweisen bzw. sind Kosten mit der Gewährung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums abgegolten. Etwaige berufliche Fahrtkosten sind mit dem zusätzlichen Erwerbsbonus abgegolten, der vorliegend mit 50% des Regelsatzes und damit im obersten Bereich angesetzt wurde.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, wobei das Gericht vorrangig auf die Erhöhung des Freibetrages abstellt. Insoweit ergibt sich ein Obsiegen für den Schuldner in Höhe von 10,26 Euro gegenüber der beantragten Erhöhung von mindestens 272,32 Euro (1.450 Euro Freibetrag) und damit gerundet die ausgesprochene Kostenquote.“

AG Bautzen, Beschluss vom 27.02.2025 – 2 M 919/24