Im Urteil des Amtsgerichts Bautzen vom 27.9.2024 (Az. 20 C 523/23) setzt sich das Gericht ausführlich mit der Ersatzfähigkeit restlicher Reparaturkosten auseinander. Die rechtlichen Ausführungen stützen sich maßgeblich auf § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sowie auf die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze zum Werkstattrisiko und zur Ersetzungsbefugnis des Geschädigten.
Nach der Entscheidung des Gerichts sind die Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig begrenzt, insbesondere sobald er das Fahrzeug zur Reparatur in die Hände von Fachleuten gibt. Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach es dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widerspräche, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis mit Mehraufwendungen belastet bliebe, die seinem Einfluss entzogen sind (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90). Das Werkstattrisiko trägt daher der Schädiger.
Der Geschädigte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die im Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und Materialien zur Schadensbeseitigung erforderlich sind. Er darf demgemäß einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren, ohne für mögliche Überzahlungen oder unnötige Arbeiten verantwortlich gemacht zu werden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, Az. 9 U 168/94). Ein Auswahlverschulden des Geschädigten ist nur dann anzunehmen, wenn er erkennbare Mängel oder Unzulänglichkeiten der Werkstatt hätte bemerken müssen, was hier nicht der Fall war.
Hinsichtlich der Lackierkosten argumentiert das Gericht, dass es nicht erforderlich ist, die Rechnungen von Nachunternehmern wie der Lackiererei vorzulegen oder detaillierte Auskünfte über deren Preise zu geben. Der Geschädigte erfüllt seine Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich durch die Vorlage der Rechnung des beauftragten Unternehmens. Ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten besteht insoweit nicht, da dem Geschädigten kein Auswahlverschulden zur Last fällt (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73).
Bezüglich der Kosten für Schutzmaßnahmen wegen des Coronavirus erkennt das Gericht diese Kosten als voll erstattungsfähig an, da sie notwendige Wiederherstellungskosten im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB darstellen. Es zieht einen Vergleich zu den in der Rechtsprechung anerkannten Kosten für die Reinigung eines Fahrzeugs nach Reparaturarbeiten. Wenn durch die Reparatur notwendigerweise eine Verschmutzung des Fahrzeugs eintritt, sind die Reinigungskosten erstattungsfähig. Analog dazu sind auch die Desinfektionskosten erstattungsfähig, da die Reparatur eine Berührung vieler Fahrzeugteile durch das Werkstattpersonal erfordert und somit ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht.
Das Gericht differenziert zudem zwischen Allgemeinkosten, die als Aufwendungen im Rahmen des Arbeitsschutzes von der Werkstatt zu tragen wären, und den hier in Rede stehenden Kosten, die dem Schutz des Kunden dienen. Die Desinfektion vor Übergabe an den Kunden ist eine spezifische Maßnahme zum Schutz des Geschädigten und daher nicht als Allgemeinkosten zu qualifizieren.
Unter Einbeziehung des Werkstattrisikos argumentiert das Gericht ferner, dass der Schädiger diese Kosten selbst dann zu tragen hätte, wenn sie vom Geschädigten nicht bezahlt worden wären. Dies unterstreicht die Verantwortung des Schädigers für alle in der Werkstattsphäre entstehenden Mehrkosten, solange den Geschädigten kein Mitverschulden trifft.
In dem Urteil setzt sich das Gericht auch mit der Frage auseinander, ob der Kläger trotz Anmietung eines Ersatzfahrzeugs eine Nutzungsausfallentschädigung geltend machen kann.
Zunächst stellt das Gericht fest, dass der Kläger einen Nutzungswillen hatte und eine reparaturbedingte Ausfallzeit von sechs Tagen bestand. Dies ist entscheidend, da ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung voraussetzt, dass der Geschädigte sein Fahrzeug hätte nutzen wollen und können, wenn es nicht beschädigt worden wäre.
Nach der Entscheidung des Gerichts hat der Kläger grundsätzlich die Wahl, ob er die tatsächlichen Kosten für ein Ersatzfahrzeug (Mietwagenkosten) oder eine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung geltend macht.
Dabei ist es nach der Auffassung der Gerichts unerheblich, ob der Kläger während des Nutzungsausfalls tatsächlich einen Mietwagen angemietet hat oder nicht. Mit der Nutzungsausfallentschädigung wird der Verlust der Gebrauchsvorteile kompensiert, die aus der ständigen Verfügbarkeit des Fahrzeugs resultieren. Es kommt nicht darauf an, ob und wie der Geschädigte den Nutzungsausfall tatsächlich überbrückt hat. Entscheidend ist der Nutzungswille und die Möglichkeit der Nutzung, die durch das schädigende Ereignis beeinträchtigt wurden.
Das Gericht setzt sich mit der Argumentation der Beklagten auseinander, die behaupten, ein Anspruch auf Nutzungsausfall bestehe nicht, weil dem Kläger während der Reparaturdauer ein Mietwagen zur Verfügung stand. Das Gericht weist diese Ansicht zurück und führt aus, dass der Geschädigte nicht schlechter stehen darf, nur weil er zunächst Mietwagenkosten geltend gemacht hat. Die Wahlfreiheit des Geschädigten würde sonst unangemessen eingeschränkt.
Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 290/11) führt das Gericht aus, dass es dem Geschädigten nicht verwehrt ist, von seinem ursprünglichen Verlangen nach Ersatz der Mietwagenkosten abzurücken und stattdessen eine Nutzungsausfallentschädigung zu beanspruchen.
Auszug aus der Gerichtsentscheidung:
„IM NAMEN DES VOLKES
ENDURTEIL
In dem Rechtsstreit
[…]
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte:
[…]
gegen
1. […]
– Beklagter –
2. […] Versicherung […]
– Beklagte –
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
[…]
wegen Schadensersatz
hat das Amtsgericht Bautzen durch
Richterin am Amtsgericht […]
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 03.09.2024 am 27.09.2024
für Recht erkannt:
- Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.165,37 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 10.12.2022 zu zahlen.
- Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 86,63 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 08.12.2023 zu zahlen.
- Die Beklagten tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 1.165,37 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 11.10.2022 in Großpostwitz ereignet hat.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Fahrer des Fahrzeuges der Beklagten den Unfall allein verschuldet und dem Kläger gegenüber für die Folgen des Unfallereignisses zu 100 % einzustehen hat. Streit besteht zwischen den Parteien lediglich darüber, ob der Kläger restliche Reparaturkosten sowie weitere Nutzungsausfallentschädigung verlangen kann.
Bei dem Unfall wurde das Fahrzeug des Klägers beschädigt. Der Gesamtschaden beträgt 6.890,52 Euro. Der Kläger beziffert seinen Schaden im Einzelnen wie folgt:
- Reparaturkosten: 5.038,50 Euro
- Unkostenpauschale: 30,00 Euro
- Kosten Sachverständigengutachten: 850,02 Euro
- Merkantiler Minderwert: 500,00 Euro
- Nutzungsausfall: 472,00 Euro.
Die Nutzungsausfallentschädigung beansprucht der Kläger für den Zeitraum der Schadensfeststellung und Notreparatur vom 11.10.2022 und 12.10.2022 sowie dem Zeitraum der bereits durchgeführten Reparatur vom 27.02.2023 bis zum 04.03.2023 (8 Tage á 59,00 Euro/ Gruppe E) insgesamt in Höhe von 472,00 Euro.
Mit Schreiben vom 24.11.2022 wurden die Beklagten durch die Bevollmächtigten des Klägers unter Fristsetzung zum 09.12.2022 zur Zahlung des Schadens aufgefordert.
Die Beklagte zu 2) regulierte einen Teil der Forderung und zahlte die Unkostenpauschale, die Wertminderung und die Sachverständigenkosten vollständig. Am 22.03.2023 zahlte die Beklagte zu 2) einen weiteren Betrag in Höhe von insgesamt 4.345,13 Euro, der die Kosten der Notreparatur in Höhe von 220,07 Euro und weitere Reparaturkosten in Höhe von 3.827,06 Euro umfasst. Auf den Nutzungsausfall/Mietwagen wurde ein Betrag in Höhe von 298,00 Euro gezahlt.
Noch offen sind damit Reparaturkosten in Höhe von 991,37 Euro und Nutzungsausfall in Höhe von 174,00 Euro.
Der Kläger beansprucht zudem vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 86,63 Euro.
Der Kläger meint, sämtliche in der Reparaturrechnung aufgeführten Positionen seien erforderlich und angemessen. Im Übrigen würden vorliegend die Grundsätze des Werkstattrisikos greifen.
Der Kläger behauptet weiter, Anspruch auf Nutzungsausfall für den Reparaturzeitraum zu haben, da ihm unfallbedingt das Fahrzeug nicht zur Verfügung stand. Er habe nach dem Verkehrsunfall für die Dauer der Reparatur seines Fahrzeuges keinen Ersatzwagen angemietet, sodass er grundsätzlich für die Dauer des Nutzungsausfalls eine Nutzungsentschädigung verlangen könne. Ihm stehe daher im Zeitraum 17.01.2021 bis 23.03.2021 (8 Tage á 59,00 Euro/ Gruppe E) eine Nutzungsausfallentschädigung insgesamt in Höhe von 472,00 Euro zu. Abzüglich bereits gezahlter 298,00 Euro verbleibe hinsichtlich der Nutzungsausfallentschädigung ein Restbetrag in Höhe von 174,00 Euro, der von den Beklagten als Gesamtschuldner zu ersetzen seien.
Der Kläger beantragt,
- Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.165,37 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz p.a. seit dem 10.12.2022 zu zahlen.
- Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 86,63 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Reparaturkosten seien überhöht. Deshalb seien Abzüge wie folgt gerechtfertigt. Das Ersatzteil Rückleuchte mit der Positionsnummer 9820555080 sei mehrfach aufgeführt. Für die Reparatur würde dieses Ersatzteil jedoch nur einmal benötigt, sodass ein Abzug von 159,93 Euro vorgenommen wird.
Die Lackierkosten in Höhe von 2.099,40 Euro seien als Pauschalbetrag angegeben und würden vom Gutachten abweichen. Da aus dieser Pauschale nicht zweifelsfrei erkennbar sei, welche Lackierungen tatsächlich durchgeführt wurden, habe die Beklagte zu 2) lediglich einen Vorschuss auf Basis der Lackierkalkulation gezahlt, sodass ein Betrag in Höhe von 858,08 Euro offen ist.
Die Beklagte zu 2) zog die Desinfektionskosten in Höhe von 45,00 Euro ab, da diese Aufwendungen bereits in den Gemeinkosten enthalten seien.
Die Beklagten meinen, die Grundsätze Werkstattrisikos seien dann nicht anzuwenden, wenn die Reparaturrechnung vom Gutachten abweiche und die Rechnung auch nicht prüfbar ist.
Eine weitere Nutzungsausfallentschädigung stehe dem Kläger nicht zu. Die Beklagten behaupten, für den Zeitraum der Reparatur habe der Kläger über die Autovermietung ein Fahrzeug angemietet. In der Rechnung […] seien Mietwagenkosten für 6 Tage in Höhe von 336,18 Euro netto enthalten. Für die reparaturbedingte Ausfallzeit habe dem Kläger somit einen Mietwagen zur Verfügung gestanden, sodass es schon an den Voraussetzungen fehle, eine Nutzungsausfallentschädigung zu gewähren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akte und auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 03.09.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist begründet.
1.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung restlichen Schadensersatz in Höhe von insgesamt 1.165,37 Euro gemäß §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.
1.1
Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 100 % ist unstreitig.
1.2
Der Kläger kann Ersatz weiterer Reparaturkosten in Höhe von 991,37 Euro brutto verlangen.
a)
Die geltend gemachten restlichen Reparaturkosten stellen dem Grunde als auch der Höhe nach den erforderlichen Aufwand zur Wiederherstellung des ursprünglichen Fahrzeugzustandes dar.
Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendung der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.
Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers. Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigte Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90, Juris). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, Az. 9 U 168/94, Juris). Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden des Klägers ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendungen sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier, gleichartige Aufwendungen sich bereits aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergeben (Amtsgericht Coburg, Urteil vom 27.11.2018,Az. 14 C 1819/18, Juris m.w.N.).
b)
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind im vorliegenden Fall die vollständigen Kosten der Reparatur ersatzfähig. Mangels besserer Erkenntnis – und Einflussmöglichkeiten hat der Kläger die Reparaturkosten für erforderlich halten dürfen.
c)
Darüber hinaus dringen die Beklagten mit ihren Einwendungen nicht durch.
aa)
Soweit die Beklagten einwenden, dass das Ersatzteil Rückleuchte mit der Positionsnummer 9820555080 sei mehrfach aufgeführt sei und dass für die Reparatur dieses Ersatzteil jedoch nur einmal benötigt werden würde, sodass ein Abzug von 159,93 Euro vorgenommen wird, dringt die Beklagte damit nicht durch. Denn hinsichtlich der Rückleuchte erfolgte ausweislich der […] vorgelegten Schreiben des Klägers Gutschriften seitens der Autohaus H[…], sodass diese Position nebst Arbeitsleistung nicht doppelt geltend gemacht wird.
bb)
Die Beklagten dringen auch hinsichtlich der Einwendungen zu den Lackierkosten nicht durch. Sofern die Beklagten meinen, anhand des pauschalen Rechnungsbetrags zu den Lackierkosten könne nicht geprüft werden, welche Lackierungen tatsächlich durchgeführt wurden sodass lediglich einen Vorschuss auf Basis der Lackierkalkulation zu zahlen ist, verkennt die Beklagte, dass es nicht erforderlich ist die Rechnung oder die Auskunft über die Preise des eingeschalteten Nachunternehmens – wie hier der Lackiererei – vorzulegen. Mangels Anspruchs auf Vorlage der Fremdleistungsrechnung läuft auch das insoweit geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht ins Leere. Der Geschädigte genügt grundsätzlich seiner Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrags, indem er die Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung beauftragten Unternehmens vorlegt. Der Geschädigte muss nicht das Werkstatt- oder Prognoserisiko tragen, solange dem Geschädigten kein Auswahlverschulden trifft (BGH, 29.10.1974, VI ZR 42/73, juris; LG Bremen, Urteil vom 22.12.2021 – 4 S 187/21; BGH, Urteil vom 16. Januar 2024 – VI ZR 38/22 –, juris).
cc)
Die Kosten für Schutzmaßnahmen wegen des Coronavirus sind nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vollumfänglich erstattungsfähig, da es sich auch hierbei um erforderliche Wiederherstellungskosten handelt. Wenngleich die Beklagte bestritten hat, dass die beauftragte Werkstatt die Corona-Schutzmaßnahmen bei der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs tatsächlich durchgeführt hat, steht dies zur Überzeugung des Gerichts fest. Aus der vom Kläger vorgelegten schriftlichen Reparaturrechnung ergeben sich explizit, dass das Fahrzeug laut des Gutachtens der TÜV SÜD Auto Service vom 08.11.2022 instand gesetzt wurde. In diesem wiederum finden sich u.a. die Rechnungsposten „Fahrzeugdesinfektion“ und „Desinfektionsmaterial“, weshalb das einfache Bestreiten der Beklagten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unbeachtlich ist.
Bei den Desinfektionskosten, die vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger angefallen sind, handelt es sich um nach § 249 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche Kosten zur Wiederherstellung des Zustands, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts sind bezüglich der Erstattungsfähigkeit von Mehrkosten für Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie dieselben Grundsätze anzuwenden, wie bei der Frage nach der Erstattungsfähigkeit von reparaturbedingten Kosten für die Reinigung eines Fahrzeugs. Wird ein Fahrzeug bei den erforderlichen Reparaturmaßnahmen verschmutzt, so ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Kosten der Reinigung einen erstattungsfähigen Schaden darstellen. Nichts Anderes kann gelten, wenn es wie hier, um Kosten für die Desinfektion eines Fahrzeugs aufgrund der Corona-Pandemie geht, die in der von der Kläger vorgelegten Reparaturrechnung sogar ausdrücklich unter dem Posten „Desinfektion vor Übergabe an den Kunden“ aufgeführt sind. Es ist zu nämlich zu berücksichtigen, dass die Durchführung einer Reparatur an einem Fahrzeug zwangsnotwendig die Berührung vieler Teile durch das Werkstattpersonal mit sich bringt und angesichts dessen eine Übertragung des neuartigen Corona-Virus nicht von vornherein auszuschließen ist. Der Kläger, der sein Fahrzeug für die Durchführung der Reparaturarbeiten in „fremde Hände“ gegeben hat, kann aufgrund der Corona-Pandemie im Rahmen der Naturalrestitution deshalb auch erwarten, dass ihm ein desinfiziertes Fahrzeug zurückgegeben wird. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich insoweit nicht um Allgemeinkosten, die als Aufwendungen im Rahmen des Arbeitsschutzes von der Werkstatt zu tragen sind, weil jedenfalls die nach Abschluss sämtlicher Reparaturarbeiten erfolgte Desinfektion des Fahrzeugs nicht dem Schutz des Werkstattpersonals, sondern vielmehr dem alleinigen Schutz der Kläger dient.
Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Beklagten auf Schädigerseite das sog. „Werkstattrisiko“ selbst dann zu tragen hätten, wenn die hier streitigen Rechnungsposten nicht vom Kläger gezahlt worden wären. Unter Berücksichtigung des Werkstattrisikos können die „tatsächlichen“ Reparaturkosten nämlich selbst dann zur Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwands herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise – im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind. Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten sind bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. In Ansehung dieser Maßstäbe stellen die angefallenen Desinfektionskosten „erforderliche“ Kosten der Wiederherstellung dar. Vorliegend ist nämlich zu berücksichtigen, dass in dem von der Klägerin vorgelegten Schadensgutachten entsprechende Posten für Corona-Schutzmaßnahmen aufgeführt sind. Die Klägerin durfte sich deshalb auf die „Richtigkeit“ des Gutachtens verlassen, so dass es nicht darauf ankommt, ob es sich insoweit um Allgemeinkosten handelt, die der Klägerin von der Werkstatt möglicherweise auf unberechtigte Weise in Rechnung gestellt worden
sind.
Die Höhe des Anspruchs ergibt sich aus der vorgelegten Reparaturkostenrechnung der Autohaus H[…] vom 10.03.2023 […], die die Instandsetzung des Fahrzeugs laut Gutachten ausweist. Das Gutachten wiederum weist die geltend gemachten Desinfektionskosten in Höhe von 37,50 Euro sowie Kosten für Desinfektionsmittel in Höhe von 7,50 Euro aus.
1.3
Der Kläger kann Ersatz weiteren Nutzungsausfallschadens in Höhe von 174,00 Euro brutto gemäß § 249 Abs. 2 BGB verlangen.
aa.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger einen Nutzungswillen hatte und dass eine reparaturbedingte Ausfallzeit von 6 Tagen bestand.
bb.
Der Kläger kann gemäß § 249 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Reparaturkosten beanspruchen. Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage der Geschädigten machen würde. Sofern der Geschädigte die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann, ist er nach dem Begriff des Schadens und dem Zweck des Schadensersatzes wie auch aus § 254 BGB gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen.
(1)
Das Gericht ist der Auffassung, dass der Kläger grundsätzlich die Wahl besitzt, ob er als Schaden einen (fiktiv berechneten) Nutzungsausfallschaden oder die Kosten für das Anmieten eines Ersatzfahrzeugs geltend macht.
Wenn sich der Kläger, wie vorliegend, für die Beanspruchung des Nutzungsausfallschadens entscheidet, ist unerheblich, ob und wie der Kläger den ihm entstandenen Schaden tatsächlich kompensiert hat, also ob er während des Nutzungsausfalls einen Mietwagen angemietet hat, zu Fuß gegangen ist, oder sich einen PKW von Freunden geliehen hat.
Mit dem Nutzungsausfallschaden wird der Verlust von Gebrauchsvorteilen kompensiert, die sich aus der ständigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs ergeben. Diese Vermögenseinbuße kann sowohl konkret auf der Grundlage angefallener Kosten für ein Ersatzfahrzeug als auch abstrakt als Nutzungsausfallentschädigung auf der Grundlage der üblicherweise genutzten Tabellen berechnet werden. Im letzteren Fall muss der Geschädigte nicht vortragen, dass ihn der Nutzungsausfall etwas gekostet hat. Erforderlich ist nur, dass ein Nutzungswille bestand und sich die zeitweise Unbenutzbarkeit des Fahrzeugs ausgewirkt hat (vgl. AG Schwelm, Urteil vom 10.12.2020 – 25 C 104/20, BeckRS 2020, 45815).
Somit war der Kläger unter Berücksichtigung dieser Grundsätze berechtigt, zwischen einer
Nutzungsausfallentschädigung und der Berechnung des Nutzungsausfallschadens über die Geltendmachung von Mietwagenkosten zu wählen.
Der Argumentation der Beklagtenseite, dass ein Anspruch auf Nutzungsersatz nicht besteht, weil dem Kläger während der Reparaturdauer ein Mietwagen zur Verfügung stand, kann das Gericht nicht folgen. Denn dies würde dazu führen, dass der Geschädigte, der zunächst die tatsächlichen Kosten für den Ersatz geltend macht, schlechter stehen würde, als derjenige, der von Anfang an von seinem Wahlrecht zwischen tatsächlicher Kosten und fiktiver Nutzungsersatzpauschale Gebrauch macht.
Ausdrücklich verlangt der Kläger nunmehr nicht mehr den Ersatz von Mietwagenkosten, sondern anstelle des Ersatzes von Mietwagenkosten eine Nutzungsausfallentschädigung. Dieses Wahlrecht ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht dadurch erloschen, dass er ursprünglich gegenüber der Beklagten den Ersatz der Mietwagenkosten verlangte und teilweise – hier in Höhe von 180,00 Euro (6 Tage á 30,00 Euro) – erstattet bekam (vgl. AG Schwelm, Urteil vom 10.12.2020 – 25 C 104/20, BeckRS 2020, 45815).
Nach der Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 290/11, ist eine Abkehr von dem ursprünglichen Verlangen nicht verwehrt. Denn dem Urteil des BGH liegt ein der hiesigen Konstellation vergleichbarer Fall zugrunde. Auch in dieser Konstellation hatte die dortige Klägerin zunächst ihre entstandenen Mietwagenkosten unter Vorlage einer Mietwagenrechnung geltend gemacht und erst, als sich ergab, dass ihr Mietwagenkosten nicht zustünden, ihre Forderung auf eine Nutzungsausfallentschädigung geändert. Dies war ihr, so der BGH, auch nicht verwehrt (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 290/11, NJW 2013, 1149).
Anders kann auch die vorliegende Sachlage nicht beurteilt werden. Es ist zwar richtig, dass hier anders, als im Fall, den der BGH zu entscheiden hatte, der Kläger einen Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten besitzen würde. Es macht jedoch nach Auffassung des Gerichts keinen Unterschied, ob man zunächst Mietwagenkosten geltend macht, auf die man keinen Anspruch besitzt, oder ob man zunächst Mietwagenkosten geltend macht, auf die man zumindest anteilig einen Anspruch hätte (vgl. AG Schwelm, Urteil vom 10.12.2020 – 25 C 104/20, BeckRS 2020, 45815). Das Wahlrecht des Geschädigten findet seine Schranke in dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Er soll zwar vollen Ersatz verlangen können, darf sich jedoch an dem Schadensfall nicht verdienen (BGH, Urt. v. 18.10.2011 − VI ZR 17/11, juris). Die Leistung auf die Mietwagenrechnung ist der dem Geschädigten tatsächlich entstandene Kostenaufwand. Vor dem Hintergrund der Indizwirkung der bezahlten Rechnung stellt dieser Betrag grundsätzlich auch den gemäß § 249 BGB erforderlichen Kostenaufwand dar, sodass die pauschalierte Nutzungsausfallentschädigung auf die Höhe der tatsächlich angefallenen Mietwagenkosten zu begrenzen ist.
(2)
Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 174,00 Euro. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der Ausfalldauer von 6 Tagen und der im Sachverständigengutachten angegebenen Nutzungsausfallentschädigung von 59,00 Euro pro Tag, abzüglich des von der Beklagten zu 2) bereits regulierten Betrages in Höhe von 180,00 Euro auf die Mietwagenkosten (6 Tage á 30,00 Euro).
Insoweit wahrt der Kläger auch das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Denn die von ihm beglichenen Mietwagenkosten belaufen sich auf 400,05 Euro. Die Kosten für den pauschalierten Nutzungsausfall belaufen sich insgesamt auf 354,00 Euro (6 Tage á 59,00 Euro), wobei das Gericht davon ausgeht, dass für das vorliegende Fahrzeug eine Entschädigung von 59,00 Euro pro Tag im Sinne von § 287 ZPO angemessen ist. Da die Beklagte zu 2) einen Teil bereits reguliert hat (180,00 Euro) verbleiben die geltend gemachten 174,00 Euro.
2.
Der Kläger hat gegen die Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls einen Anspruch auf Erstattung außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 86,63 Euro.
[…]
3. Der Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Zinsanspruch bezüglich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf 91 Abs. 1 ZPO.
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
IV.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 39 GKG. Der Gebührenstreitwert entspricht dem wirtschaftlichen Interesse, das des Klägers in der Hauptsache verfolgt.“
AG Bautzen, Urteil vom 27.9.2024 – 20 C 523/23