Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung trotz Mietwagen

Im Urteil des Amtsgerichts Bautzen vom 27.9.2024 (Az. 20 C 523/23) setzt sich das Gericht ausführlich mit der Ersatzfähigkeit restlicher Reparaturkosten auseinander. Die rechtlichen Ausführungen stützen sich maßgeblich auf § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sowie auf die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze zum Werkstattrisiko und zur Ersetzungsbefugnis des Geschädigten.

Nach der Entscheidung des Gerichts sind die Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig begrenzt, insbesondere sobald er das Fahrzeug zur Reparatur in die Hände von Fachleuten gibt. Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach es dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widerspräche, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis mit Mehraufwendungen belastet bliebe, die seinem Einfluss entzogen sind (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90). Das Werkstattrisiko trägt daher der Schädiger.

Der Geschädigte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die im Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und Materialien zur Schadensbeseitigung erforderlich sind. Er darf demgemäß einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren, ohne für mögliche Überzahlungen oder unnötige Arbeiten verantwortlich gemacht zu werden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, Az. 9 U 168/94). Ein Auswahlverschulden des Geschädigten ist nur dann anzunehmen, wenn er erkennbare Mängel oder Unzulänglichkeiten der Werkstatt hätte bemerken müssen, was hier nicht der Fall war.

Hinsichtlich der Lackierkosten argumentiert das Gericht, dass es nicht erforderlich ist, die Rechnungen von Nachunternehmern wie der Lackiererei vorzulegen oder detaillierte Auskünfte über deren Preise zu geben. Der Geschädigte erfüllt seine Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich durch die Vorlage der Rechnung des beauftragten Unternehmens. Ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten besteht insoweit nicht, da dem Geschädigten kein Auswahlverschulden zur Last fällt (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73).

Bezüglich der Kosten für Schutzmaßnahmen wegen des Coronavirus erkennt das Gericht diese Kosten als voll erstattungsfähig an, da sie notwendige Wiederherstellungskosten im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB darstellen. Es zieht einen Vergleich zu den in der Rechtsprechung anerkannten Kosten für die Reinigung eines Fahrzeugs nach Reparaturarbeiten. Wenn durch die Reparatur notwendigerweise eine Verschmutzung des Fahrzeugs eintritt, sind die Reinigungskosten erstattungsfähig. Analog dazu sind auch die Desinfektionskosten erstattungsfähig, da die Reparatur eine Berührung vieler Fahrzeugteile durch das Werkstattpersonal erfordert und somit ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht.

Das Gericht differenziert zudem zwischen Allgemeinkosten, die als Aufwendungen im Rahmen des Arbeitsschutzes von der Werkstatt zu tragen wären, und den hier in Rede stehenden Kosten, die dem Schutz des Kunden dienen. Die Desinfektion vor Übergabe an den Kunden ist eine spezifische Maßnahme zum Schutz des Geschädigten und daher nicht als Allgemeinkosten zu qualifizieren.

Unter Einbeziehung des Werkstattrisikos argumentiert das Gericht ferner, dass der Schädiger diese Kosten selbst dann zu tragen hätte, wenn sie vom Geschädigten nicht bezahlt worden wären. Dies unterstreicht die Verantwortung des Schädigers für alle in der Werkstattsphäre entstehenden Mehrkosten, solange den Geschädigten kein Mitverschulden trifft.

In dem Urteil setzt sich das Gericht auch mit der Frage auseinander, ob der Kläger trotz Anmietung eines Ersatzfahrzeugs eine Nutzungsausfallentschädigung geltend machen kann.

Zunächst stellt das Gericht fest, dass der Kläger einen Nutzungswillen hatte und eine reparaturbedingte Ausfallzeit von sechs Tagen bestand. Dies ist entscheidend, da ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung voraussetzt, dass der Geschädigte sein Fahrzeug hätte nutzen wollen und können, wenn es nicht beschädigt worden wäre.

Nach der Entscheidung des Gerichts hat der Kläger grundsätzlich die Wahl, ob er die tatsächlichen Kosten für ein Ersatzfahrzeug (Mietwagenkosten) oder eine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung geltend macht.

Dabei ist es nach der Auffassung der Gerichts unerheblich, ob der Kläger während des Nutzungsausfalls tatsächlich einen Mietwagen angemietet hat oder nicht. Mit der Nutzungsausfallentschädigung wird der Verlust der Gebrauchsvorteile kompensiert, die aus der ständigen Verfügbarkeit des Fahrzeugs resultieren. Es kommt nicht darauf an, ob und wie der Geschädigte den Nutzungsausfall tatsächlich überbrückt hat. Entscheidend ist der Nutzungswille und die Möglichkeit der Nutzung, die durch das schädigende Ereignis beeinträchtigt wurden.

Das Gericht setzt sich mit der Argumentation der Beklagten auseinander, die behaupten, ein Anspruch auf Nutzungsausfall bestehe nicht, weil dem Kläger während der Reparaturdauer ein Mietwagen zur Verfügung stand. Das Gericht weist diese Ansicht zurück und führt aus, dass der Geschädigte nicht schlechter stehen darf, nur weil er zunächst Mietwagenkosten geltend gemacht hat. Die Wahlfreiheit des Geschädigten würde sonst unangemessen eingeschränkt.

Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 290/11) führt das Gericht aus, dass es dem Geschädigten nicht verwehrt ist, von seinem ursprünglichen Verlangen nach Ersatz der Mietwagenkosten abzurücken und stattdessen eine Nutzungsausfallentschädigung zu beanspruchen.

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

gegen

1. […]

– Beklagter –

2. […] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen durch

Richterin am Amtsgericht […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 03.09.2024 am 27.09.2024

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.165,37 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 10.12.2022 zu zahlen.
  2. Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 86,63 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 08.12.2023 zu zahlen.
  3. Die Beklagten tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits.
  4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 1.165,37 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 11.10.2022 in Großpostwitz ereignet hat.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Fahrer des Fahrzeuges der Beklagten den Unfall allein verschuldet und dem Kläger gegenüber für die Folgen des Unfallereignisses zu 100 % einzustehen hat. Streit besteht zwischen den Parteien lediglich darüber, ob der Kläger restliche Reparaturkosten sowie weitere Nutzungsausfallentschädigung verlangen kann.

Bei dem Unfall wurde das Fahrzeug des Klägers beschädigt. Der Gesamtschaden beträgt 6.890,52 Euro. Der Kläger beziffert seinen Schaden im Einzelnen wie folgt:

  • Reparaturkosten: 5.038,50 Euro
  • Unkostenpauschale: 30,00 Euro
  • Kosten Sachverständigengutachten: 850,02 Euro
  • Merkantiler Minderwert: 500,00 Euro
  • Nutzungsausfall: 472,00 Euro.

Die Nutzungsausfallentschädigung beansprucht der Kläger für den Zeitraum der Schadensfeststellung und Notreparatur vom 11.10.2022 und 12.10.2022 sowie dem Zeitraum der bereits durchgeführten Reparatur vom 27.02.2023 bis zum 04.03.2023 (8 Tage á 59,00 Euro/ Gruppe E) insgesamt in Höhe von 472,00 Euro.

Mit Schreiben vom 24.11.2022 wurden die Beklagten durch die Bevollmächtigten des Klägers unter Fristsetzung zum 09.12.2022 zur Zahlung des Schadens aufgefordert.

Die Beklagte zu 2) regulierte einen Teil der Forderung und zahlte die Unkostenpauschale, die Wertminderung und die Sachverständigenkosten vollständig. Am 22.03.2023 zahlte die Beklagte zu 2) einen weiteren Betrag in Höhe von insgesamt 4.345,13 Euro, der die Kosten der Notreparatur in Höhe von 220,07 Euro und weitere Reparaturkosten in Höhe von 3.827,06 Euro umfasst. Auf den Nutzungsausfall/Mietwagen wurde ein Betrag in Höhe von 298,00 Euro gezahlt.

Noch offen sind damit Reparaturkosten in Höhe von 991,37 Euro und Nutzungsausfall in Höhe von 174,00 Euro.

Der Kläger beansprucht zudem vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 86,63 Euro.

Der Kläger meint, sämtliche in der Reparaturrechnung aufgeführten Positionen seien erforderlich und angemessen. Im Übrigen würden vorliegend die Grundsätze des Werkstattrisikos greifen.

Der Kläger behauptet weiter, Anspruch auf Nutzungsausfall für den Reparaturzeitraum zu haben, da ihm unfallbedingt das Fahrzeug nicht zur Verfügung stand. Er habe nach dem Verkehrsunfall für die Dauer der Reparatur seines Fahrzeuges keinen Ersatzwagen angemietet, sodass er grundsätzlich für die Dauer des Nutzungsausfalls eine Nutzungsentschädigung verlangen könne. Ihm stehe daher im Zeitraum 17.01.2021 bis 23.03.2021 (8 Tage á 59,00 Euro/ Gruppe E) eine Nutzungsausfallentschädigung insgesamt in Höhe von 472,00 Euro zu. Abzüglich bereits gezahlter 298,00 Euro verbleibe hinsichtlich der Nutzungsausfallentschädigung ein Restbetrag in Höhe von 174,00 Euro, der von den Beklagten als Gesamtschuldner zu ersetzen seien.

Der Kläger beantragt,

  1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.165,37 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz p.a. seit dem 10.12.2022 zu zahlen.
  2. Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 86,63 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Reparaturkosten seien überhöht. Deshalb seien Abzüge wie folgt gerechtfertigt. Das Ersatzteil Rückleuchte mit der Positionsnummer 9820555080 sei mehrfach aufgeführt. Für die Reparatur würde dieses Ersatzteil jedoch nur einmal benötigt, sodass ein Abzug von 159,93 Euro vorgenommen wird.

Die Lackierkosten in Höhe von 2.099,40 Euro seien als Pauschalbetrag angegeben und würden vom Gutachten abweichen. Da aus dieser Pauschale nicht zweifelsfrei erkennbar sei, welche Lackierungen tatsächlich durchgeführt wurden, habe die Beklagte zu 2) lediglich einen Vorschuss auf Basis der Lackierkalkulation gezahlt, sodass ein Betrag in Höhe von 858,08 Euro offen ist.

Die Beklagte zu 2) zog die Desinfektionskosten in Höhe von 45,00 Euro ab, da diese Aufwendungen bereits in den Gemeinkosten enthalten seien.

Die Beklagten meinen, die Grundsätze Werkstattrisikos seien dann nicht anzuwenden, wenn die Reparaturrechnung vom Gutachten abweiche und die Rechnung auch nicht prüfbar ist.

Eine weitere Nutzungsausfallentschädigung stehe dem Kläger nicht zu. Die Beklagten behaupten, für den Zeitraum der Reparatur habe der Kläger über die Autovermietung ein Fahrzeug angemietet. In der Rechnung […] seien Mietwagenkosten für 6 Tage in Höhe von 336,18 Euro netto enthalten. Für die reparaturbedingte Ausfallzeit habe dem Kläger somit einen Mietwagen zur Verfügung gestanden, sodass es schon an den Voraussetzungen fehle, eine Nutzungsausfallentschädigung zu gewähren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akte und auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 03.09.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung restlichen Schadensersatz in Höhe von insgesamt 1.165,37 Euro gemäß §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.

1.1
Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 100 % ist unstreitig.

1.2
Der Kläger kann Ersatz weiterer Reparaturkosten in Höhe von 991,37 Euro brutto verlangen.

a)
Die geltend gemachten restlichen Reparaturkosten stellen dem Grunde als auch der Höhe nach den erforderlichen Aufwand zur Wiederherstellung des ursprünglichen Fahrzeugzustandes dar.

Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendung der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.

Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers. Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigte Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90, Juris). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, Az. 9 U 168/94, Juris). Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden des Klägers ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendungen sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier, gleichartige Aufwendungen sich bereits aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergeben (Amtsgericht Coburg, Urteil vom 27.11.2018,Az. 14 C 1819/18, Juris m.w.N.).

b)
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind im vorliegenden Fall die vollständigen Kosten der Reparatur ersatzfähig. Mangels besserer Erkenntnis – und Einflussmöglichkeiten hat der Kläger die Reparaturkosten für erforderlich halten dürfen.

c)

Darüber hinaus dringen die Beklagten mit ihren Einwendungen nicht durch.

aa)

Soweit die Beklagten einwenden, dass das Ersatzteil Rückleuchte mit der Positionsnummer 9820555080 sei mehrfach aufgeführt sei und dass für die Reparatur dieses Ersatzteil jedoch nur einmal benötigt werden würde, sodass ein Abzug von 159,93 Euro vorgenommen wird, dringt die Beklagte damit nicht durch. Denn hinsichtlich der Rückleuchte erfolgte ausweislich der […] vorgelegten Schreiben des Klägers Gutschriften seitens der Autohaus H[…], sodass diese Position nebst Arbeitsleistung nicht doppelt geltend gemacht wird.

bb)
Die Beklagten dringen auch hinsichtlich der Einwendungen zu den Lackierkosten nicht durch. Sofern die Beklagten meinen, anhand des pauschalen Rechnungsbetrags zu den Lackierkosten könne nicht geprüft werden, welche Lackierungen tatsächlich durchgeführt wurden sodass lediglich einen Vorschuss auf Basis der Lackierkalkulation zu zahlen ist, verkennt die Beklagte, dass es nicht erforderlich ist die Rechnung oder die Auskunft über die Preise des eingeschalteten Nachunternehmens – wie hier der Lackiererei – vorzulegen. Mangels Anspruchs auf Vorlage der Fremdleistungsrechnung läuft auch das insoweit geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht ins Leere. Der Geschädigte genügt grundsätzlich seiner Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrags, indem er die Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung beauftragten Unternehmens vorlegt. Der Geschädigte muss nicht das Werkstatt- oder Prognoserisiko tragen, solange dem Geschädigten kein Auswahlverschulden trifft (BGH, 29.10.1974, VI ZR 42/73, juris; LG Bremen, Urteil vom 22.12.2021 – 4 S 187/21; BGH, Urteil vom 16. Januar 2024 – VI ZR 38/22 –, juris).

cc)
Die Kosten für Schutzmaßnahmen wegen des Coronavirus sind nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vollumfänglich erstattungsfähig, da es sich auch hierbei um erforderliche Wiederherstellungskosten handelt. Wenngleich die Beklagte bestritten hat, dass die beauftragte Werkstatt die Corona-Schutzmaßnahmen bei der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs tatsächlich durchgeführt hat, steht dies zur Überzeugung des Gerichts fest. Aus der vom Kläger vorgelegten schriftlichen Reparaturrechnung ergeben sich explizit, dass das Fahrzeug laut des Gutachtens der TÜV SÜD Auto Service vom 08.11.2022 instand gesetzt wurde. In diesem wiederum finden sich u.a. die Rechnungsposten „Fahrzeugdesinfektion“ und „Desinfektionsmaterial“, weshalb das einfache Bestreiten der Beklagten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unbeachtlich ist.

Bei den Desinfektionskosten, die vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger angefallen sind, handelt es sich um nach § 249 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche Kosten zur Wiederherstellung des Zustands, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts sind bezüglich der Erstattungsfähigkeit von Mehrkosten für Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie dieselben Grundsätze anzuwenden, wie bei der Frage nach der Erstattungsfähigkeit von reparaturbedingten Kosten für die Reinigung eines Fahrzeugs. Wird ein Fahrzeug bei den erforderlichen Reparaturmaßnahmen verschmutzt, so ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Kosten der Reinigung einen erstattungsfähigen Schaden darstellen. Nichts Anderes kann gelten, wenn es wie hier, um Kosten für die Desinfektion eines Fahrzeugs aufgrund der Corona-Pandemie geht, die in der von der Kläger vorgelegten Reparaturrechnung sogar ausdrücklich unter dem Posten „Desinfektion vor Übergabe an den Kunden“ aufgeführt sind. Es ist zu nämlich zu berücksichtigen, dass die Durchführung einer Reparatur an einem Fahrzeug zwangsnotwendig die Berührung vieler Teile durch das Werkstattpersonal mit sich bringt und angesichts dessen eine Übertragung des neuartigen Corona-Virus nicht von vornherein auszuschließen ist. Der Kläger, der sein Fahrzeug für die Durchführung der Reparaturarbeiten in „fremde Hände“ gegeben hat, kann aufgrund der Corona-Pandemie im Rahmen der Naturalrestitution deshalb auch erwarten, dass ihm ein desinfiziertes Fahrzeug zurückgegeben wird. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich insoweit nicht um Allgemeinkosten, die als Aufwendungen im Rahmen des Arbeitsschutzes von der Werkstatt zu tragen sind, weil jedenfalls die nach Abschluss sämtlicher Reparaturarbeiten erfolgte Desinfektion des Fahrzeugs nicht dem Schutz des Werkstattpersonals, sondern vielmehr dem alleinigen Schutz der Kläger dient.

Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Beklagten auf Schädigerseite das sog. „Werkstattrisiko“ selbst dann zu tragen hätten, wenn die hier streitigen Rechnungsposten nicht vom Kläger gezahlt worden wären. Unter Berücksichtigung des Werkstattrisikos können die „tatsächlichen“ Reparaturkosten nämlich selbst dann zur Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwands herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise – im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind. Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten sind bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. In Ansehung dieser Maßstäbe stellen die angefallenen Desinfektionskosten „erforderliche“ Kosten der Wiederherstellung dar. Vorliegend ist nämlich zu berücksichtigen, dass in dem von der Klägerin vorgelegten Schadensgutachten entsprechende Posten für Corona-Schutzmaßnahmen aufgeführt sind. Die Klägerin durfte sich deshalb auf die „Richtigkeit“ des Gutachtens verlassen, so dass es nicht darauf ankommt, ob es sich insoweit um Allgemeinkosten handelt, die der Klägerin von der Werkstatt möglicherweise auf unberechtigte Weise in Rechnung gestellt worden
sind.

Die Höhe des Anspruchs ergibt sich aus der vorgelegten Reparaturkostenrechnung der Autohaus H[…] vom 10.03.2023 […], die die Instandsetzung des Fahrzeugs laut Gutachten ausweist. Das Gutachten wiederum weist die geltend gemachten Desinfektionskosten in Höhe von 37,50 Euro sowie Kosten für Desinfektionsmittel in Höhe von 7,50 Euro aus.

1.3
Der Kläger kann Ersatz weiteren Nutzungsausfallschadens in Höhe von 174,00 Euro brutto gemäß § 249 Abs. 2 BGB verlangen.

aa.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger einen Nutzungswillen hatte und dass eine reparaturbedingte Ausfallzeit von 6 Tagen bestand.

bb.
Der Kläger kann gemäß § 249 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Reparaturkosten beanspruchen. Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage der Geschädigten machen würde. Sofern der Geschädigte die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann, ist er nach dem Begriff des Schadens und dem Zweck des Schadensersatzes wie auch aus § 254 BGB gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen.

(1)
Das Gericht ist der Auffassung, dass der Kläger grundsätzlich die Wahl besitzt, ob er als Schaden einen (fiktiv berechneten) Nutzungsausfallschaden oder die Kosten für das Anmieten eines Ersatzfahrzeugs geltend macht.

Wenn sich der Kläger, wie vorliegend, für die Beanspruchung des Nutzungsausfallschadens entscheidet, ist unerheblich, ob und wie der Kläger den ihm entstandenen Schaden tatsächlich kompensiert hat, also ob er während des Nutzungsausfalls einen Mietwagen angemietet hat, zu Fuß gegangen ist, oder sich einen PKW von Freunden geliehen hat.

Mit dem Nutzungsausfallschaden wird der Verlust von Gebrauchsvorteilen kompensiert, die sich aus der ständigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs ergeben. Diese Vermögenseinbuße kann sowohl konkret auf der Grundlage angefallener Kosten für ein Ersatzfahrzeug als auch abstrakt als Nutzungsausfallentschädigung auf der Grundlage der üblicherweise genutzten Tabellen berechnet werden. Im letzteren Fall muss der Geschädigte nicht vortragen, dass ihn der Nutzungsausfall etwas gekostet hat. Erforderlich ist nur, dass ein Nutzungswille bestand und sich die zeitweise Unbenutzbarkeit des Fahrzeugs ausgewirkt hat (vgl. AG Schwelm, Urteil vom 10.12.2020 – 25 C 104/20, BeckRS 2020, 45815).

Somit war der Kläger unter Berücksichtigung dieser Grundsätze berechtigt, zwischen einer
Nutzungsausfallentschädigung und der Berechnung des Nutzungsausfallschadens über die Geltendmachung von Mietwagenkosten zu wählen.

Der Argumentation der Beklagtenseite, dass ein Anspruch auf Nutzungsersatz nicht besteht, weil dem Kläger während der Reparaturdauer ein Mietwagen zur Verfügung stand, kann das Gericht nicht folgen. Denn dies würde dazu führen, dass der Geschädigte, der zunächst die tatsächlichen Kosten für den Ersatz geltend macht, schlechter stehen würde, als derjenige, der von Anfang an von seinem Wahlrecht zwischen tatsächlicher Kosten und fiktiver Nutzungsersatzpauschale Gebrauch macht.
Ausdrücklich verlangt der Kläger nunmehr nicht mehr den Ersatz von Mietwagenkosten, sondern anstelle des Ersatzes von Mietwagenkosten eine Nutzungsausfallentschädigung. Dieses Wahlrecht ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht dadurch erloschen, dass er ursprünglich gegenüber der Beklagten den Ersatz der Mietwagenkosten verlangte und teilweise – hier in Höhe von 180,00 Euro (6 Tage á 30,00 Euro) – erstattet bekam (vgl. AG Schwelm, Urteil vom 10.12.2020 – 25 C 104/20, BeckRS 2020, 45815).

Nach der Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 290/11, ist eine Abkehr von dem ursprünglichen Verlangen nicht verwehrt. Denn dem Urteil des BGH liegt ein der hiesigen Konstellation vergleichbarer Fall zugrunde. Auch in dieser Konstellation hatte die dortige Klägerin zunächst ihre entstandenen Mietwagenkosten unter Vorlage einer Mietwagenrechnung geltend gemacht und erst, als sich ergab, dass ihr Mietwagenkosten nicht zustünden, ihre Forderung auf eine Nutzungsausfallentschädigung geändert. Dies war ihr, so der BGH, auch nicht verwehrt (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 290/11, NJW 2013, 1149).

Anders kann auch die vorliegende Sachlage nicht beurteilt werden. Es ist zwar richtig, dass hier anders, als im Fall, den der BGH zu entscheiden hatte, der Kläger einen Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten besitzen würde. Es macht jedoch nach Auffassung des Gerichts keinen Unterschied, ob man zunächst Mietwagenkosten geltend macht, auf die man keinen Anspruch besitzt, oder ob man zunächst Mietwagenkosten geltend macht, auf die man zumindest anteilig einen Anspruch hätte (vgl. AG Schwelm, Urteil vom 10.12.2020 – 25 C 104/20, BeckRS 2020, 45815). Das Wahlrecht des Geschädigten findet seine Schranke in dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Er soll zwar vollen Ersatz verlangen können, darf sich jedoch an dem Schadensfall nicht verdienen (BGH, Urt. v. 18.10.2011 − VI ZR 17/11, juris). Die Leistung auf die Mietwagenrechnung ist der dem Geschädigten tatsächlich entstandene Kostenaufwand. Vor dem Hintergrund der Indizwirkung der bezahlten Rechnung stellt dieser Betrag grundsätzlich auch den gemäß § 249 BGB erforderlichen Kostenaufwand dar, sodass die pauschalierte Nutzungsausfallentschädigung auf die Höhe der tatsächlich angefallenen Mietwagenkosten zu begrenzen ist.

(2)
Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 174,00 Euro. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der Ausfalldauer von 6 Tagen und der im Sachverständigengutachten angegebenen Nutzungsausfallentschädigung von 59,00 Euro pro Tag, abzüglich des von der Beklagten zu 2) bereits regulierten Betrages in Höhe von 180,00 Euro auf die Mietwagenkosten (6 Tage á 30,00 Euro).

Insoweit wahrt der Kläger auch das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Denn die von ihm beglichenen Mietwagenkosten belaufen sich auf 400,05 Euro. Die Kosten für den pauschalierten Nutzungsausfall belaufen sich insgesamt auf 354,00 Euro (6 Tage á 59,00 Euro), wobei das Gericht davon ausgeht, dass für das vorliegende Fahrzeug eine Entschädigung von 59,00 Euro pro Tag im Sinne von § 287 ZPO angemessen ist. Da die Beklagte zu 2) einen Teil bereits reguliert hat (180,00 Euro) verbleiben die geltend gemachten 174,00 Euro.

2.
Der Kläger hat gegen die Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls einen Anspruch auf Erstattung außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 86,63 Euro.

[…]

3. Der Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Zinsanspruch bezüglich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf 91 Abs. 1 ZPO.

III.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

IV.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 39 GKG. Der Gebührenstreitwert entspricht dem wirtschaftlichen Interesse, das des Klägers in der Hauptsache verfolgt.“

AG Bautzen, Urteil vom 27.9.2024 – 20 C 523/23

Angemessenheit von Sachverständigenkosten bei Verkehrsunfällen: Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung durch das AG Bautzen

Das Urteil des Amtsgerichts (AG) Bautzen befasst sich mit der Angemessenheit der Sachverständigenkosten bei Verkehrsunfällen, insbesondere in Bezug auf die Erstattungsfähigkeit gegenüber der Versicherung. Es wurde festgestellt, dass der Geschädigte Anspruch auf Erstattung der Kosten für einen Sachverständigen hat, solange diese als „erforderlich“ im Sinne von § 249 BGB anzusehen sind. Die Angemessenheit wird dabei häufig anhand des Honorartableaus des Bundesverbands der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen (BVSK) bewertet, was dem Laien eine Orientierung bieten soll.

Das AG Bautzen hat in diesem Urteil die bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten maßgeblich von der Marktkonformität und der regionalen Üblichkeit der berechneten Beträge abhängt. Damit wird den Geschädigten ein rechtlicher Rahmen zur Verfügung gestellt, der sie vor unverhältnismäßigen Kosten schützt, während den Sachverständigen eine gewisse Flexibilität in der Preisgestaltung eingeräumt wird, solange diese im ortsüblichen Rahmen bleiben.

Die Versicherung des Unfallgegners kann dabei nicht pauschal geringere Beträge geltend machen, indem sie auf günstigere, möglicherweise abweichende Preisvorgaben verweist. Ein wesentliches Argument des Urteils ist, dass dem Geschädigten in der akuten Schadenssituation nicht zuzumuten ist, eine aufwendige Kostenprüfung vorzunehmen. Er kann grundsätzlich davon ausgehen, dass die beauftragten Sachverständigenleistungen angemessen sind, sofern keine besonderen Umstände für eine übermäßige Überschreitung des Üblichen sprechen.

Bemerkenswert ist auch, dass das Gericht klarstellt, dass die Abrechnung nach Pauschalhonoraren anstelle einer detaillierten Zeitaufwandsberechnung gerechtfertigt ist, da diese Pauschalisierung zu einer gewissen Standardisierung und Transparenz der Kosten führt. Für den Geschädigten ist dies von Vorteil, da er als Laie oft nicht in der Lage ist, die erforderliche Detailtiefe bei der Bewertung des tatsächlichen Aufwands eines Sachverständigen nachzuvollziehen.

Dieses Urteil stärkt die Position der Geschädigten, indem es ihnen die Unsicherheit bei der Beurteilung der Sachverständigenkosten nimmt und die Versicherungen verpflichtet, marktübliche Honorare zu akzeptieren, solange diese nicht offensichtlich unverhältnismäßig sind. Auch die Zession der Forderung (Abtretung des Anspruchs auf Erstattung der Kosten) wird in diesem Zusammenhang als zulässig bestätigt, was es dem Sachverständigen ermöglicht, den Schadensersatz direkt gegen den Versicherer geltend zu machen, ohne den Geschädigten zusätzlich zu belasten.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10. September 2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.06.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]Kfz-Sachverständigenbüro[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Vergütungsforderung

hat das Amtsgericht Bautzen durch

Richter am Amtsgericht […]

ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495 a ZPO am 11.10.2024

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 336,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 28.4.2024 zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 44,59 € freizustellen.
  3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 340,24 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger ist Kfz-Sachverständiger . Er begehrt aus abgetretenem Recht die Zahlung restlicher Sachverständigenvergütung für das von ihm zu einem Verkehrsunfall vom 17.02.2024 in 02625 Bautzen gefertigte Schadensgutachten in Höhe der Klageforderung.

Die 100 %-ige Einstandspflicht der Beklagten für alle unfallbedingten Schäden ist unstreitig. Streitig sind vorliegend allein die Positionen Grundvergütung und die Anzahl von abgerechneten Schreibseiten des Gutachtens .

Der Geschädigte beauftragte den Kläger nach dem Unfall mit der Erstellung eines Schadensgutachtens . Dieses wies eine Schadenshöhe iHv. 4.513,06 € netto ( = 5370,55 € brutto ) aus […].

In einer Erklärung vom 19.02.2024, überschrieben mit Auftrag / Abtretung / Zahlungsanweisung, unterschrieben vom Geschädigten, ist auszugsweise folgendes geregelt: […]

….“ Hiermit trete ich meinen Schadensersatzanspruch zur Erstattung der Sachverständigenkosten unwiderruflich und vorrangig an das Sachverständigenbüro ab. Dies gilt sowohl für den Brutto- als auch für den Nettoendbetrag der Rechnung, je nach meiner Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Ich weise den haftpflichtigen Versicherer an, die Sachverständigenkosten direkt an das Sachverständigenbüro zu überweisen. Das Sachverständigenbüro ist ermächtigt, diese Abtretung gegenüber den Anspruchsgegnern offenzulegen und die abgetretenen Ansprüche in eigenem Namen geltend zu machen. Diese Abtretung berührt nicht die vertraglichen Ansprüche des Sachverständigenbüros gegen mich. Sollte der haftpflichtige Versicherer keine oder nur eine Teilzahlung leisten, behält sich das Sachverständigenbüro das Recht vor, die Ansprüche gegen mich geltend zu
machen, wenn und soweit der regulierungspflichtige Versicherer keine Zahlung oder lediglich eine Teilzahlung leistet. Bei Inanspruchnahme meinerseits erfolgt Zug um Zug eine Rückabtretung der noch offenen Forderung.“

Der Kläger fertigte das Gutachten und stellte hierfür insgesamt 858,11 € brutto in Rechnung, bestehend aus den Schadenspositionen Grundhonorar (655,00 € netto) sowie als Nebenkosten die Positionen Lichtbilder (11 Stück zu je 2,00 € = 22,00 € netto) , Fahrtkosten 33 km zu je 0,70 € = 23,10 € netto) , Schreibkosten pauschal (12,00 € netto) Porto- und Telefonpauschale 9,00 € netto) zzgl. 19 % USt auf diese Positionen iHv insgesamt 137,01 €. […]

Die Beklagte zahlte hierauf 517,67 € brutto […]. Grundlage für die Kürzungen sind ein von der Beklagten veranlasster Prüfbericht von Logicheck. Dieser verortete – abweichend von der Rechnung des Sachverständigen – das Grundhonorar bei insgesamt 371,91 € netto (anstelle 655,00 € netto); ferner bei den Schreibseiten 9,00 € netto (anstelle 12,00 €).

Der Kläger geht davon aus , dass die abgerechnete Vergütung angemessen , orts- und marktüblich ist , sich insbesondere an dem Honorartableau der HUK sowie der BVSK Honorarbefragung – wie mit dem Beklagten vereinbart […] – orientiert .

Der Kläger beantragt

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 340,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 28.4.2024 zu zahlen.

II. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 44,59 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Sie geht davon aus , dass alle berechtigten Ansprüche erfüllt sind . Die abgerechneten 858,11 € sind – wie sich aus dem eingeholten Prüfbericht von Logicheck ergebe – weder erforderlich noch ortsüblich […]. Eine wirksame Preisvereinbarung sei nicht zustandegekommen. Das Grundhonorar sei nach tatsächlichem Zeitaufwand zu ermitteln , insbesondere sei die Abrechnung nach Schadenshöhe nicht interessengerecht, auch gerichtlich bestelllte Sachverständige rechnen nach Zeitaufwand ab . Hinsichtlich der Schreibkosten seien lediglich die technischen Erläuterungen, d.h. ohne automatisiert gezogene Textbausteine und Fotoseiten zu erstatten, d.h. 10 Seiten zu je 0,90 € (= 9,00 € netto).

Zum Sach- und Streitstand wird im übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen und Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und in der Sache zum weit überwiegenden Teil begründet.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz der noch unbeglichenen Kosten des Schadensgutachtens in Höhe von 337,24 € zu, §§ 7, 18 StVG, 115 (1) Nr. 1 VVG,
398, 249 (2) BGB iVm. § 287 ZPO. Im übrigen war sie (bzgl. Schreibkosten iHv weiteren
3,00 €) abzuweisen.

1. Der Kläger ist aktivlegitimiert aufgrund der vom Zedenten mit eigenhändiger Unterschrift erteilten Abtretungserklärung […].

2. Die geschuldete Wiederherstellung des ohne das Unfallereignis bestehenden Zustands umfasst die Erstellung eines Schadensgutachtens . Ein Geschädigter ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen frei in der Wahl seiner Mittel und berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (BGH, zuletzt Urteil vom 12.03.2024, VI ZR 280/22 ).

Ob der Herstellungsaufwand erforderlich iSd. § 249 (2) S.1 BGB ist, bemisst sich nach der
gängigen Rechtsprechung zur subjektbezogenen Schadensbetrachtung danach, ob im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle das beanspruchte Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist, und wenn ja, diese objektive Überhöhung für den geschädigten Laien erkennbar sein musste. Ferner ist der in Rechnung gestellte Betrag nur dann erforderlich, wenn und soweit er sich aus zutreffenden Anknüpfungstatsachen ableiten lässt .

Mit der neueren Rspr. des BGH (Urteil vom 12.03.2024, VI ZR 280/22) sind die entwickelten Grundsätze zum Werkstattrisiko auch auf möglicherweise überhöhte Kostenansätze eines
Sachverständigen zu übertragen. Hat sich der Sachverständige – so wie hier der Kläger – die Schadenersatzforderung des Geschädigten in Höhe der Honorarforderung abtreten lassen,
kann sich der Zessionar nicht auf das Sachverständigenrisiko berufen. Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger, der aus abgetretenem Recht des Unfallgeschädigten die restlichen Sachverständigenkosten einklagt , darzulegen und ggfls. zu beweisen , dass die abgerechneten Kosten objektiv erforderlich waren und nicht über das Erforderliche iSd. § 249 (2) BGB hinausgehen. Die Bemessung der als erforderlich anzusehenden Kosten als solches obliegt dabei dem Tatrichter gemäß § 287 ZPO (BGH, aaO), wobei die Art der Schätzgrundlage nicht vorgegeben ist (vgl. BGH ,Urteil vom 18.12.2012 , VI ZR 316 / 11).

Bei Anlegen dieses Maßstabs – deutliche Überhöhung auf objektiver Ebene sowie Erkennbarkeit dieser deutlichen Überhöhung auf subjektiver Ebene – bestehen gegen das abgerechnete Grundhonorar iHv. 655,00 € netto (= 791,35 € brutto) – unabhängig von der Frage einer Parteivereinbarung zur Vergütung, handschriftlich unterschrieben vom Geschädigten am 19.02.2024 […] – keine Bedenken .

Im Rahmen der Prüfung der erforderlichen Gutachterkosten orientiert sich das erkennende Gericht (weiterhin) in einer Gesamtschau der BVSK-Honorarbefragung mit dem Honorartableau der HUK-Coburg, mithin mehrerer im Rahmen des § 287 ZPO anerkannten Orientierungswerte und Maßstäbe. Gegen eine Orientierung am Zeitaufwand, wie ihn die Beklagte begehrt, spricht vor allem, dass der erforderliche Zeitaufwand von einem fachunkundigen Laien in der Regel nicht festzustellen oder sinnvoll einzuschätzen ist wie auch , dass eine Ableitung aus der Schadenshöhe für einen Laien höhere Transparenz und Nachvollziehbarkeit bietet, vgl. die unterschriebene Anlage […].
Das abgerechnete Grundhonorar liegt vorliegend sowohl nach dem Honorartableau der HUK wie auch der BVSK-Befragung 2022 HB IV unter dem in Rechnung gestellten Grundhonorar iHv. 791,35 € brutto. Ausgehend von dem gutachterlich festgestellten Reparaturschaden iHv. 4.513,06€ netto wäre nach dem Honorartableau der HUK-Coburg ein Honorar brutto incl. Nebenkosten iHv. 910,95 € brutto gerechtfertigt, nach der BVSK-Honorarbefragung 2022 HB IV ein Grundhonorar iHv. 704 € netto (= 837,76 € brutto).

Der vorgelegte Prüfbericht ist nicht geeignet, die Angemessenheit in Frage zu stellen, da die Bewertung per Ferndiagnose und ohne hinreichend tatsächliche Anknüpfungspunkte zum Zeitaufwand erfolgt.

Ob eine andere Berechnungsgrundlage möglich oder, wie die Beklagte meint, nach zeitlichem Aufwand vorzuziehen ist, kann dahinstehen, als es zu Vortrag der Erkennbarkeit einer objektiv deutlich erkennbaren Überhöhung – diese mal unterstellt – auf subjektiver Ebene bei dem Geschädigten fehlt und eine solche allenfalls bei einem krassen, sich geradezu aufdrängenden Missverhältnis angenommen werden könnte.

3. Schreibkosten sind in Höhe 9,00 € netto als angemessen anzusehen, § 287 ZPO. Dies
entspricht im Ausgangspunkt § 12 (1) S. 2 Nr. 3 JVEG, der hierfür als Orientierungshilfe heranzuziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2016, VI ZR 50/15). Danach darf ein Sachverständiger 0,90 € pro Seite bis zum 1.000 Anschlag abrechnen, danach 1,50 €.
Vorliegend umfasst das Gutachten 22 Seiten, 3 Seiten bestehen aus dem Abdruck der mit
dem System Audatax eingestellten Reparaturkostenkalkulation, weitere 6 Seiten aus Lichtbildern, beides ohne eigene Schreibleistung; im übrigen werden zudem eine Vielzahl von Textbausteinen verwendet und die genannte Anzahl von 1000 Anschlägen pro Seite bei weitem nicht erreicht. Ausgehend hiervon ist die Erstattung von 10 Seiten zu je 0,90 € sachgerecht.

Vor diesem Hintergrund war die Klage hinsichtlich darüber hinausgehender Schreibkosten
(3,00 € netto = 3,57 € brutto) abzuweisen.

II.

Die zugesprochenen Rechtsverfolgungskosten und Zinsen ergeben sich aus den §§ 280, 286 (1), 288, 823 (1), 249 BGB.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 (1) Nr. 1 , 708 Nr. 11 , 713
ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24

Angemessenheit von Sachverständigenkosten bei Verkehrsunfällen: Rechtliche Klarstellungen durch das AG Zittau

Das Urteil des Amtsgerichts Zittau, Zweigstelle Löbau, vom 10. September 2024 (8 C 149/24), behandelt die Vergütungsforderung eines Kfz-Sachverständigen gegenüber einer Versicherungsgesellschaft im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall.

Der Kläger hatte demnach einen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gemäß §§ 115 VVG und 249 BGB. In Fällen eines Verkehrsunfalls umfasst der erstattungsfähige Schaden auch die Kosten der Schadensermittlung durch einen Sachverständigen. Ein wesentlicher Punkt des Urteils ist die Auslegung des „Erforderlichkeitsbegriffs“. Der Geschädigte muss bei der Auswahl eines Sachverständigen nicht nach den preisgünstigsten Angeboten suchen. Es genügt, dass ein verständiger und wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten das Gutachten als zweckmäßig und notwendig erachten durfte. Die Entscheidung stellt klar, dass der Geschädigte nicht zugunsten der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers sparen muss. Dies ist ein häufiger Streitpunkt in Schadensersatzprozessen, bei dem Versicherungen oft argumentieren, dass die Kosten zu hoch seien und die günstigsten Sachverständigen gewählt werden müssten.

Die richterliche Schätzung der erforderlichen Kosten erfolgte gemäß § 287 ZPO. Hierbei orientierte sich das Gericht an der Honorarbefragung des BVSK (Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen), was in der Rechtsprechung – auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs – als geeignete Schätzungsgrundlage gilt. Das geforderte Honorar des Sachverständigen wurde in diesem Rahmen nicht beanstandet.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10. September 2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.06.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Auszug aus der Gerichtsentscheidung:

„IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]Kfz-Sachverständigenbüro[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…]versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Vergütungsforderung

hat das Amtsgericht Zittau durch

Richter am Amtsgericht […]

ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495 a ZPO am 10.09.2024

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 393,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Pro-
    zentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 17.4.2024 zu
    zahlen.
  2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte
    Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 44,59 € freizustellen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  4. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 394,20 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gem. § 313 a I 1 ZPO abgesehen, da ein
Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt € 600,00 nicht (§ 511 II 1 ZPO).
Die Berufung wird nicht zugelassen (§ 511 II 2 ZPO), da die Rechtssache weder grund-
sätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer ein-
heitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert ( § 511 IV
1ZPO).

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Bezahlung der weiteren Sachverständigenkosten gemäß §§ 115 VVG, 249 BGB.

Der bei einem Verkehrsunfall erstattungsfähige Schaden umfasst gemäß § 249 BGB auch die erforderlichen Kosten der Schadensermittlung durch einen Sachverständigen. Erforderlich sind die Aufwendungen für die Einholung eines Sachverständigengutachtens, die ein verständiger und wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Dabei hat der Geschädigte nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot grundsätzlich den im Rahmen des ihm Zumutbaren wirtschaftlichen Weg der Schadensbehebung zu wählen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Geschädigte bei der Beauftragung des Sachverständigen zuvor eine Marktforschung betreiben müsste, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen zu finden; kurz: der Geschädigte muss nicht zu Gunsten der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers sparen.

Der Geschädigte kann für die Gutachtenerstellung die tatsächlich erforderlichen Kosten ersetzt verlangen, deren Höhe der Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu bemessen hat.

Im Rahmen der richterlichen Schätzung gemäß § 287 ZPO kann der Tatrichter nach überwiegender Rechtsprechung, inzwischen auch des BGH, der sich das erkennende Gericht anschließt, die Honorarbefragung der BVSK – hier 2022 – als geeignete Schätzungsgrundlage heranziehen.
Das geltend gemachte Honorar des Sachverständigen ist danach nicht zu beanstanden.
Es wird insoweit auf die zutreffende Berechnung der Klägerseite […] verwiesen.

Der Anspruch auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 280 Abs. 1, Abs, 2, 286 BGB. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 II 3, 288 I BGB.

II.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91; 269 Abs. 3 S. 3, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.“

AG Zittau, Zweigstelle Löbau, Urteil vom 10. September 2024 – 8 C 149/24

Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten: BVSK-Honorartabelle unabhängig von Verbandszugehörigkeit

Das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 25.06.2024 (Az. 121 C 573/24) behandelt einen Rechtsstreit zwischen einem Ingenieurbüro und einer Haftpflichtversicherung zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Die Klägerin hatte die Ansprüche des Geschädigten aus abgetretenem Recht geltend gemacht.

Das Gericht hat entschieden, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten hat. Die Entscheidung stützt sich dabei auf § 7 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 VVG und den Regelungen des BGB.

Wesentlich in der Entscheidung ist die Frage der Angemessenheit und Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten. Das Gericht hat anerkannt, dass der Geschädigte grundsätzlich das Recht hat, die Kosten für die Beauftragung eines Sachverständigen ersetzt zu bekommen, jedoch unterliegt dieser Anspruch dem sogenannten Wirtschaftlichkeitsgebot. Das bedeutet, dass die Kosten in einem vernünftigen Verhältnis zur Schadenshöhe stehen müssen und der Geschädigte nicht automatisch jeden Preis ersetzt verlangen kann, den der Sachverständige in Rechnung stellt.

Ein zentraler Punkt war die Bewertung der einzelnen Kostenpositionen, wie z.B. Grundhonorar, Fahrtkosten, Fotokosten und Schreibkosten. Das Gericht hat hier die BVSK-Honorartabelle 2022 als Schätzgrundlage herangezogen und festgestellt, dass die in Rechnung gestellten Beträge größtenteils angemessen waren, mit Ausnahme der Fahrtkosten, die teilweise als überhöht angesehen wurden.

Besonders bemerkenswert ist die Entscheidung des Gerichts, dass eine Mitgliedschaft im BVSK (Berufsverband der Sachverständigen) nicht Voraussetzung für die Heranziehung der BVSK-Honorartabelle als Schätzgrundlage ist. Das Gericht hat die Verwendung dieser Tabelle als repräsentativ und geeignet bewertet, um die Angemessenheit der Sachverständigenhonorare zu bestimmen.

Das Gericht betrachtet die BVSK-Honorartabelle als einen bundesweit anerkannten und repräsentativen Querschnitt der üblichen Honorare von Sachverständigen. Diese Honorartabelle wird vom Berufsverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen (BVSK) erstellt und basiert auf umfangreichen Umfragen unter Sachverständigen in Deutschland. Dadurch erlangt sie nach Auffassung des Gerichts eine hohe Aussagekraft für die Bestimmung angemessener Vergütungen in der Praxis.

Eine zentrale Argumentation des Gerichts ist, dass es nicht erforderlich ist, dass der beauftragte Sachverständige Mitglied im BVSK ist, um die BVSK-Honorartabelle als Schätzgrundlage heranziehen zu können. Diese Entscheidung beruht auf der Überlegung, dass die Tabelle selbst unabhängig von der Mitgliedschaft repräsentative Werte liefert, die den gängigen Marktbedingungen entsprechen. Wäre die Heranziehung der Tabelle auf BVSK-Mitglieder beschränkt, würde dies einen unzulässigen Druck auf Sachverständige ausüben, dem Verband beizutreten, was das Gericht als unsachgerecht ansieht.

Das Gericht argumentiert weiter, dass eine Differenzierung nach Mitgliedern und Nichtmitgliedern des BVSK zur Erhöhung der Einkommensmöglichkeiten von Sachverständigen durch eine erzwungene Mitgliedschaft führen könnte. Dies wäre nicht nur sachlich unangemessen, sondern würde auch dem Grundsatz der freien Berufsausübung widersprechen. Das Gericht stellt daher klar, dass es die BVSK-Honorartabelle auch dann als Schätzgrundlage nutzen kann, wenn der Sachverständige nicht Mitglied im BVSK ist.

Im Rahmen des § 287 ZPO hat das Gericht einen weiten Ermessensspielraum bei der Schätzung von Schadensersatzbeträgen. Es ist nicht verpflichtet, alle möglichen Schätzgrundlagen heranzuziehen, sondern kann sich auf solche stützen, die es als angemessen und praktisch durchführbar erachtet. Die BVSK-Honorartabelle erfüllt diese Anforderungen, da sie auf breiter Datenerhebung basiert und für die gängige Praxis repräsentativ ist.

Das Gericht weist zudem darauf hin, dass eine Differenzierung nach der Qualität einzelner Sachverständiger nicht erforderlich ist, da dies den Sinn und Zweck der Schätzmöglichkeit nach § 287 ZPO untergraben würde. Die Honorartabelle stellt eine durchschnittliche Vergütung dar, die typischerweise für Sachverständigenleistungen in diesem Bereich erwartet wird. Damit wird vermieden, dass im Einzelfall aufwendig geprüft werden muss, ob ein bestimmter Sachverständiger besonders qualifiziert oder erfahren ist.

Das Gericht setzt die BVSK-Honorartabelle auch in den Kontext anderer denkbarer Schätzgrundlagen und stellt fest, dass diese Tabelle eine zuverlässige und praxisnahe Grundlage bietet, die den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) entspricht. Der BGH hat in verschiedenen Urteilen betont, dass die Ermittlung der erforderlichen Kosten durch eine solche Honorartabelle zulässig ist, solange sie auf einer repräsentativen Datenerhebung basiert und die durchschnittlichen Marktbedingungen widerspiegelt.

Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die BVSK-Honorartabelle eine geeignete Grundlage für die Schätzung der erforderlichen Sachverständigenkosten ist. Diese Entscheidung ermöglicht es, die Kostenfrage in Verkehrsunfallsachen auf eine einheitliche und nachvollziehbare Weise zu klären, ohne dass es zu einer übermäßigen Belastung der Gerichte durch individuelle Prüfungen kommt.

In dem Urteil des Amtsgerichts Braunschweig wird zudem ausführlich auf die Erstattungsfähigkeit von Nebenkosten im Rahmen der Sachverständigenhonorare eingegangen. Das Gericht befasst sich dabei mit mehreren Arten von Nebenkosten, darunter Fotokosten, Schreibkosten, Fahrtkosten und eine Pauschale für Porto und Telefon. Die Argumentation des Gerichts stützt sich dabei auf verschiedene rechtliche und praktische Überlegungen.

Das Gericht stellt zunächst fest, dass es allgemein üblich ist, dass Sachverständige neben ihrem Grundhonorar auch Nebenkosten geltend machen. Diese Nebenkosten sind als Auslagen für bestimmte Aufwendungen im Rahmen der Sachverständigentätigkeit zu verstehen und werden üblicherweise zusätzlich zum eigentlichen Entgelt für die Hauptleistung (die Erstellung des Gutachtens) in Rechnung gestellt. Das Gericht führt hierzu aus, dass es gerichtsbekannt sei, dass Sachverständige in der Regel Nebenkosten für verschiedene Posten wie Fahrten, das Anfertigen von Lichtbildern und das Erstellen von schriftlichen Gutachten gesondert abrechnen.

Im Hinblick auf die Fotokosten erkennt das Gericht eine Erstattungsfähigkeit an, da diese Kosten als notwendige Auslage für die Begutachtung des Fahrzeugs anzusehen sind. Im vorliegenden Fall wurden Kosten in Höhe von 2,00 Euro pro Foto für insgesamt 7 Fotos geltend gemacht. Das Gericht sieht diese Kosten als angemessen an. Daher wurden die Fotokosten in voller Höhe als erstattungsfähig anerkannt.

Die Schreibkosten wurden im Urteil ebenfalls als erstattungsfähig bewertet. Das Gericht führt aus, dass die abgerechneten Schreibkosten in Höhe von 10,80 Euro nicht überhöht seien. Es wurde ein Betrag von 1,80 Euro pro Seite für das schriftliche Gutachten abgerechnet, was insgesamt 6 Seiten umfasst. Das Gericht bezieht sich hierbei auf die BVSK-Honorarvereinbarung 2022, die auch eine Orientierung an den Regelungen des JVEG (Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz) ermöglicht.

Das Gericht argumentiert, dass es sich bei den Schreibkosten um eine Pauschale handelt und es daher unerheblich sei, ob jede Seite des Gutachtens tatsächlich umfangreichen schriftlichen Inhalt aufweist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Pauschale als marktüblich und angemessen anzusehen ist. Die Bemessung der Schreibkosten anhand einer Pauschale vereinfacht die Abrechnung und stellt sicher, dass die Kosten im üblichen Rahmen bleiben.

Die Fahrtkosten wurden differenziert betrachtet. Das Gericht erkennt an, dass Fahrtkosten grundsätzlich erstattungsfähig sind, legt jedoch Wert darauf, dass die Höhe der geltend gemachten Kosten angemessen ist. Im vorliegenden Fall wurden Fahrtkosten in Höhe von 0,99 Euro pro Kilometer geltend gemacht, was das Gericht als überhöht ansieht. Stattdessen hält das Gericht einen Kilometersatz von 0,70 Euro für angemessen, basierend auf verschiedenen Autokostentabellen und einer Marktanalyse, die im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz durchgeführt wurde.

Das Gericht verweist zudem darauf, dass der Geschädigte in der Lage sein muss, überhöhte Fahrtkosten zu erkennen und diese zu hinterfragen. Der Bundesgerichtshof hat in früheren Entscheidungen klargestellt, dass ein Kilometersatz von 0,70 Euro angemessen erscheinen kann, während der gesetzliche Satz nach dem JVEG von 0,30 Euro als unrealistisch niedrig bewertet wird.

Die Pauschale für Porto und Telefon in Höhe von 15,00 Euro netto wurde vom Gericht ebenfalls als erstattungsfähig anerkannt. Diese Pauschale entspricht der BVSK-Honorarvereinbarung 2022 und wurde seitens der Beklagten nicht substantiiert angegriffen. Das Gericht bewertet diese Pauschale als marktüblich und angemessen, da Sachverständige typischerweise solche Kommunikations- und Versandkosten als Teil ihrer Nebenkosten abrechnen.

Insgesamt sieht das Gericht die geltend gemachten Nebenkosten, mit Ausnahme eines Teils der Fahrtkosten, als angemessen und erstattungsfähig an. Die Entscheidung basiert auf der Praxis der freien Berufsausübung und den Prinzipien des Zivilrechts, insbesondere dem Wirtschaftlichkeitsgebot, das in Schadenersatzprozessen eine zentrale Rolle spielt. Das Gericht betont, dass der Geschädigte bei der Beauftragung eines Sachverständigen nicht zu einer umfassenden Marktforschung verpflichtet ist, um den günstigsten Anbieter zu finden.

Durch die Verwendung von Pauschalen und allgemein anerkannten Honorartabellen wird die Abrechnung der Nebenkosten vereinfacht und standardisiert, was sowohl den Gerichten als auch den Parteien eine verlässliche Grundlage bietet, um die Angemessenheit der Kosten zu beurteilen. Die Entscheidung des Gerichts zeigt, dass Nebenkosten grundsätzlich erstattungsfähig sind, solange sie sich im Rahmen des Üblichen bewegen und durch marktübliche Pauschalen oder Honorartabellen gedeckt sind.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10. September 2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.06.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Sachverständigenkosten in Höhe der BVSK-Honorarbefragung und Honorartabelle der HUK-Coburg bei Schadengutachten nach Verkehrsunfällen sind angemessen

Das Urteil des Amtsgerichts Bautzen vom 3. Juli 2024 (23 C 134/24) befasst sich mit der Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger, ein Kfz-Sachverständiger, forderte von der beklagten Versicherung restliche Sachverständigenkosten, die diese aufgrund eines Prüfberichts von ControlExpert als überhöht ablehnte. Das Gericht entschied zugunsten des Klägers und bestätigte, dass die in Rechnung gestellten Kosten, die sich an der BVSK-Honorarbefragung und der Honorartabelle der HUK-Coburg orientierten, angemessen und erstattungsfähig sind.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10. September 2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.06.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Auszug aus der Gerichtsantscheidung:

IM NAMEN DES VOLKES
ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Forderung

hat das Amtsgericht Bautzen durch

Richter am Amtsgericht […] im schriftlichen Verfahren nach § 128 (2) ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 26.06.2024

am 03.07.2024

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 651,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 20.3.2024 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte
Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 77,20 € freizustellen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 651,64 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall , der sich am 22.12.2023 in Großdubrau zugetragen hat .

Die 100 %-ige Einstandspflicht der Beklagten als Kfz-Haftpflichtversicherer für alle unfallbedingten Schäden ist unstreitig . Gegenstand dieses Rechtsstreits ist allein die Schadensposition restliche Sachverständigenkosten in Höhe der Klageforderung.

In einer Erklärung der Geschädigten , überschrieben mit Abtretung / Auftrag / Zahlungsanweisung vom 27.12.2023 ist – auszugsweise – folgendes geregelt:

„Aus Anlass des oben beschriebenen Schadenfalles beauftrage ich das oben genannte Kfz-Sachverständigenbüro, ein Gutachten zur Schadenhöhe zu erstellen. Das Sachverständigenbüro berechnet sein Honorar in Anlehnung an die Schadenhöhe gemäß Honorartabelle des BVSK und der HUK-Coburg zzgl. erforderlicher Nebenkosten.

Das Kfz-Sachverständigenbüro ist berechtigt, diese Abtretung den Anspruchsgegnern offen zu legen und den erfüllungshalber abgetretenen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gegenüber den Anspruchsgegnern im eigenen Namen geltend zu machen. Durch diese Abtretung werden die Ansprüche des Kfz-Sachverständigenbüros aus dem Sachverständigenvertrag gegen mich nicht berührt. Es kann die Ansprüche gegen mich geltend machen, wenn und soweit der regulierungspflichtige Versicherer keine Zahlung oder lediglich eine Teilzahlung leistet. Eine Inanspruchnahme meinerseits erfolgt nur Zug um Zug gegen Rückabtretung der noch offenen Forderung. Aus Anlass des oben beschriebenen Schadenfalles beauftrage ich das oben genannte Kfz-Sachverständigenbüro, ein Gutachten zur Schadenhöhe zu erstellen. Das Sachverständigenbüro berechnet sein Honorar in Anlehnung an die Schadenhöhe gemäß Honorartabelle des BVSK und der HUK-Coburg zzgl. erforderlicher Nebenkosten.“

Die Geschädigte beauftragte nach dem Unfall den Kläger mit der Erstellung eines Schadensgutachtens. Dieser fertigte das Schadensgutachten und stellte der Geschädigten hierfür mit Rechnung vom 28.12.2023 insgesamt 978,89 € brutto in Rechnung, bestehend aus den Positionen Schadensgutachten (735,00 € netto) sowie als Nebenkosten die Positionen Lichtbilder ( 12 Stück zu je 2,00 € = 24,00 € netto), Fahrtkosten (48 km zu je 0,70 € = 33,60 € netto), Schreibkostenpauschale 21,00 € netto , sowie Porto & Telefon pauschal 9,00 € netto zzgl. 19% USt auf diese Positionen iHv. insgesamt 156,29 € . […].

Die Beklagte zahlte hierauf bislang 327,25 € […].

Grundlage hierfür ist ein von der Beklagten veranlasster Prüfbericht von ControlExpert . Dieser veranschlagte – abweichend von der Rechnung des Sachverständigen – das Grundhonorar bei 205,00 € netto (anstelle 735,00 € netto) , Fahrkosten bei 28,00 € netto (anstelle 33,60 € netto) sowie Schreibkosten pauschal bei 9,00 € netto (anstelle 21,00 € netto).

Der Kläger geht davon aus , dass die abgerechnete Vergütung angemessen , orts- und marktüblich ist , insbesondere weil vom Honorartableau der HUK-Coburg sowie der Honorarbefragung des BVSK 2022 gedeckt . Die von Beklagtenseite vorgelegte Rspr. zur Abtretung sei nicht einschlägig . Nach der regionalen Rspr. sind Sachverständigenkosten, die sich an der aktuellen BVSK-Honorarbefragung und dem Honorartableau der HUK-Coburg orientieren, zu erstatten . Die Orientierung am JVEG beziehe sich nur auf gerichtlich bestellte Sachverständige und werde so von der Rspr. nicht gedeckt . Eine Abrechnung nach Zeitaufwand als ortsübliche Praxis wie auch der Vortrag zur DEKRA AG als marktbeherrschende Organisation werde bestritten. Bei den Schreibkosten setze die Beklagte sich in Widerspruch, als sie zwar die Pauschale iHv 21,00 € als übersetzt ansieht, bei den vorgelegten Beispielrechnungen der DEKRA AG indessen eine Ausfertigungspauschale iHv 50,00 € netto unbeanstandet lässt. Die Fahrtkosten seien erforderlich, da nicht der Sachverständige mit der kürzesten Anfahrtsstrecke auszuwählen sei, zumal die Anfahrtstrecke einfach 24 km betrage .

Der Kläger beantragt

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 651,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB hieraus seit dem 20.3.2024 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 77,20 € freizustellen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Die Aktivlegitimation wird bestritten, die Abtretungserklärung enthalte zudem einen Verstoß gegen das Transparenzgebot . Die begehrten Sachverständigenkosten seien nicht erforderlich , da überhöht: erforderlich seien ausweislich des eingeholten Prüfberichts der ControlExpert […] lediglich die bereits gezahlten 327,25 € . Das Grundhonorar sei nach Zeitaufwand und in Anlehnung an § 9 (4) S.1 JVEG zu berechnen und abzurechnen , wie es die DEKRA AG als größte Sachverständigenorganisation mache. Der Zeitaufwand und nicht die Schadenshöhe sei die maßgebliche Bemessungsgrundlage . Bei der Frage der Ortsüblichkeit sei auf die Anzahl der erstellten Gutachten und nicht auf die Anzahl der tätigen Sachverständigen abzustellen.

Zum Sach- und Streitstand wird im übrigen auf die gewechselten Schriftstücke nebst Anlagen verwiesen und Bezug genommen .

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und ist in der Sache begründet .

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz der noch offenen Kosten des
Sachverständigengutachtens vom 28.12.2023 aus den §§ 7 , 18 StVG , 115 (1) Nr.1 VVG, 398, 249 (2) BGB iVm. § 287 ZPO zu .

1. Der Kläger ist aktivlegitimiert aufgrund der von der Zedentin mit eigenhändiger Unterschrift erteilten Abtretungserklärung vom 27.12.2023 . Die zur Abtretung getroffenen Regelungen verstoßen nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 (1) S.2 BGB, insbesondere ist diese hinreichend bestimmt : Sie enthält Name und Anschrift der Geschädigten sowie der Unfallgegnerin, die Kennzeichennummer der Unfallgegnerin, ferner die namentliche Nennung der Beklagten als zuständigen Haftpflichtversicherer mit Schadensnummer. Inhaltlich ist klar und unmissverständlich geregelt , dass das Sachverständigenbüro berechtigt ist , den abgetretenen Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen wie auch, unter welchen Voraussetzungen die Geschädigte gleichwohl in Anspruch genommen werden kann. Das erkennende Gericht teilt zudem die Auffassung des Klägervertreters, dass die von Klägerseite angeführten höchstrichterlichen Entscheidungen in der Sache nicht einschlägig sind.

Die geschuldete Wiederherstellung des ohne den Schadensfall bestehenden Zustands beinhaltet nach einem Verkehrsunfall die Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Ein Geschädigter ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei und berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Gutachtens zu beauftragen (BGH, Urteil vom 24.10.2017, VI ZR 61/17).

Ob der Herstellungsaufwand erforderlich iSd. 249 (2) S.1 BGB ist, bemisst sich nach der
gängigen Rechtsprechung zur subjektbezogenen Schadensbetrachtung im Ergebnis danach, ob im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle das beanspruchte Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und, wenn ja, diese deutliche Überhöhung für den geschädigten Laien erkennbar sein musste. Ferner ist zu beachten , dass der in Rechnung gestellte Betrag nur dann erforderlich ist , wenn und soweit er sich aus den vereinbarten, zutreffenden Anknüpfungstatsachen ableiten lässt (BGH, Urteil vom 24.10.2017, VI ZR 61/17).

Der erforderliche Herstellungsaufwand ist anhand des Gutachtenauftrags , der von der Zedentin nicht beglichenen Rechnung sowie dem Parteivortrag zum Aufwand des Sachverständigen zu bestimmen, § 287 ZPO.

Ausgehend hiervon ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts im Rahmen der sog. Plausibilitätskontrolle das beanspruchte Honorar Ausgangspunkt für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwands iSd. § 249 (2) S.1 BGB, wenn und soweit dieses Honorar objektiv nicht deutlich überhöht ist und dies dem Geschädigten subjektiv erkennbar sein musste . Eine Erkennbarkeit auf subjektiver Ebene ( subjektive Schadensbetrachtung ) kann dabei im Ergebnis nur bei auffällig krassem Missverhältnis von Preis/ Leistung angenommen werden .

Bei Anlegen dieses Maßstabs – deutliche Überhöhung auf objektiver Ebene sowie Erkennbarkeit dieser deutlichen Überhöhung auf subjektiver Ebene – bestehen gegen das abgerechnete Grundhonorar (735,00 € netto) keine Bedenken :

Im Rahmen der Prüfung der Höhe der erforderlichen Gutachterkosten orientiert sich das erkennende Gericht (weiterhin) in einer Gesamtschau der BVSK – Honorarbefragung mit dem Honorartableau der HUK-Coburg, mithin mehrerer im Rahmen des § 287 ZPO von der
höchstrichterlichen Rspr. anerkannten Orientierungswerten und Maßstäben. Gegen eine Orientierung am Zeitaufwand spricht vor allem , dass der erforderliche Zeitaufwand von einem fachunkundigen Geschädigten in der Regel nicht festzustellen ist wie auch, dass eine Ableitung aus der Schadenshöhe für einen Laien höhere Transparenz und Nachvollziehbarkeit biete. Der abgerechnete Grundhonorar iHv. 735,00 € netto bewegt sich vorliegend sowohl im Korridor der Honorartabelle des BVSK 2022 wie auch dem Honorartableau der HUK-Coburg.

Der vorgelegte Prüfbericht der ControlExpert ist nicht geeignet , die Angemessenheit in Frage zu stellen, da die Bewertung per Ferndiagnose und ohne hinreichend tragfähige Anknüpfungstatsachen zum geschätzten Zeitaufwand und damit willkürlich erfolgt; die Anlehnung des Stundensatzes an die Regelungen des JVEG ist nicht angezeigt, da diese sich nur auf gerichtlich bestellte Sachverständige bezieht .

Ob eine andere Berechnungsgrundlage möglich oder wie die Beklagte meint , vorzuziehen ist, kann dahinstehen, als es zu Vortrag der Erkennbarkeit einer objektiv deutlichen Überhöhung – diese mal unterstellt – auf subjektiver Ebene bei der Geschädigten fehlt .

3. Dem Kläger steht ferner ein Anspruch auf Ersatz der abgerechneten Nebenkosten zu .

Anknüpfend an 2. steht einem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich entstandenen Nebenkosten zu, wenn und soweit diese nicht deutlich überhöht und der Geschädigten erkennbar sein mussten. Hierzu ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Orientierung anhand der Vorgaben des JVEG im Rahmen des § 287 ZPO anerkannt (BGH vom 26.04.2024, VI ZR 50/15). Hieran orientiert sich auch das hiesige Gericht . Die abgerechneten Nebenkosten entsprechen im Ergebnis den aus Sicht eines durchschnittlichen Unfallbeteiligten erwartbaren Sätzen. Danach ergibt sich zu den beanstandeten Positionen folgendes:

a) Schreibkosten iHv. 21,00 € netto sind als angemessen anzusehen. Nach § 12 (1) Nr. 3
JVEG darf ein Sachverständiger 0,90 € pro Seite bis zum 1.000 Anschlag abrechnen, danach 1,50 € /Seite. (vgl. LG Bremen, Urteil vom 02.09.2016 – 3 S 289/15) . Vorliegend umfasst das Gutachten 22 Seiten . Hieran im Rahmen des § 287 ZPO orientierend sind die abgerechneten Gutachterkosten erstattungsfähig.

b) Die abgerechneten Fahrtkosten sind ebenfalls in der begehrten Höhe von 33,60 € (= 48
Fahrkilometer x 0,70 €) zu erstatten. Eine Fahrtkostenpauschale von 0,70 € netto wird der
Honorarbefragung zugrunde gelegt, ist von der Rspr. so anerkannt – und wird im übrigen von Beklagtenseite der Höhe nach nicht beanstandet -.

Soweit die Beklagte meint, es sei ein Sachverständiger mit kürzerer Anfahrtstrecke auszuwählen und deshalb eine Kürzung um 5,60 € netto – was bei einer Kilometerpauschale von 0,70 € einer Fahrstrecke von 8 km entspricht – vorzunehmen, trifft dies aus Sicht des hiesigen Gerichts bereits im Ausgangspunkt so nicht zu: es gilt der Grundsatz der freien Sachverständigenwahl. Eine Anfahrtstrecke von 24 Fahrkilometern einfach bewegt sich aus Sicht des hiesigen Gerichts jedenfalls im ländlichen Bereich im üblicherweise hinzunehmenden Rahmen; der vorgenommene Abzug von 8 Fahrkilometern erscheint zudem willkürlich. In diesem Kontext möge zudem bedacht werden , dass Unfalltag der 22.12.2023 war: allgemein bekannt ein Freitag vor den Weihnachtsfeiertagen, wegen der ideal anschließenden möglichen Brückentage das Finden eines Gutachters möglicherweise erschwert gewesen sein kann.

II.

Der Anspruch auf Freistellung von den zugesprochenen vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten sowie auf Zinsen ergibt sich aus den 280 (1) , 286 (1) , 288 (1) BGB.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 , 708 Nr. 11 , 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24

BGH stärkt Geschädigte: Werkstattrisiko auf Sachverständigenkosten übertragen

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. März 2024 (Az. VI ZR 280/22) befasst sich mit der Übertragung der Grundsätze des Werkstattrisikos auf die Kosten von Kfz-Sachverständigen. Der VI. Zivilsenat hat entschieden, dass die Grundsätze, die für überhöhte Reparaturkosten in Werkstätten gelten, auch auf die Kostenansätze von Sachverständigen anwendbar sind, sofern kein Verschulden des Geschädigten vorliegt.

Das Werkstattrisiko besagt, dass überhöhte Kosten, die durch unsachgemäße oder unwirtschaftliche Arbeitsweise einer Werkstatt entstehen, vom Versicherer des Unfallverursachers zu tragen sind, wenn dem Geschädigten kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Diese Grundsätze wurden nun auf die Kosten von Sachverständigen übertragen.

Auch überhöhte Sachverständigenkosten müssen vom Versicherer getragen werden, sofern der Geschädigte kein Verschulden trifft. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Rechnung bereits vollständig bezahlt wurde oder nicht. Der Versicherer kann jedoch eventuelle Regressansprüche gegen den Sachverständigen vom Geschädigten abtreten lassen.

Das Urteil des BGH vom 12. März 2024 stärkt somit die Position der Geschädigten und trägt zur Rechtssicherheit bei, indem es klare Regeln für die Erstattung von Sachverständigenkosten aufstellt. Diese Regelung schützt die Geschädigten vor unberechtigten finanziellen Belastungen durch überhöhte Sachverständigenrechnungen und stellt sicher, dass der Versicherer des Unfallverursachers die Kosten im Verhältnis zum Geschädigten tragen muss. Gleichzeitig wird durch die Abtretung von Regressansprüchen eine Möglichkeit geschaffen, überhöhte Forderungen direkt beim Sachverständigen geltend zu machen. Diese Entscheidung ist besonders wichtig, da Geschädigte die tatsächlichen Kosten und deren Angemessenheit oft nicht ohne weiteres beurteilen können. Insgesamt stellt das Urteil einen wichtigen Beitrag zur Klärung der Haftungsfragen im Zusammenhang mit überhöhten Sachverständigenkosten dar und berücksichtigt sowohl den Schutz der Geschädigten als auch die Interessen der Versicherer.

Falls jedoch der Sachverständige aus abgetretenem Recht des Geschädigten seine Kosten geltend macht, ist eine vollständige Überprüfung der Kostenrechnung möglich.

BGH-Urteil: BVSK-Honorarbefragung als Schätzgrundlage für Sachverständigenkosten bestätigt

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 11.02.2014 (VI ZR 225/13) behandelt die Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Das zentrale Thema dieses Urteils ist die Frage, welche Kosten als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gelten und somit vom Schädiger bzw. dessen Versicherung zu tragen sind.

Das Urteil bestätigt, dass der Kläger berechtigt war, einen Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenshöhe zu beauftragen und die dafür angefallenen Kosten von der Beklagten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erstattet zu bekommen. Diese Kosten müssen objektiv erforderlich sein, was bedeutet, dass ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten sie als notwendig ansehen würde.

Der BGH betont, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, vorab eine umfassende Marktanalyse durchzuführen, um den günstigsten Sachverständigen zu finden. Vielmehr darf er den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen beauftragen. Das bedeutet, dass er nicht gezwungen ist, den billigsten Anbieter zu wählen, sondern einen Anbieter, der ihm angemessen erscheint und dessen Kosten im üblichen Rahmen liegen.

Die tatsächliche Rechnungshöhe des Sachverständigen dient als Indiz für die Erforderlichkeit der Kosten. Der BGH stellt klar, dass es für die Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO entscheidend ist, dass die Kosten im Rahmen des wirtschaftlich vernünftigen Herstellungsaufwands liegen und den individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten entsprechen. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit der Kosten durch die Beklagte reicht daher nicht aus, um die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu verwerfen.

Das Gericht erläutert weiter, dass der Geschädigte keine Recherche nach einem günstigeren Sachverständigen anstellen muss, sofern die Kosten im Rahmen der üblichen Honorare liegen. Dies schließt die Nutzung der BVSK-Honorarbefragung als Schätzgrundlage ein, da diese repräsentative Durchschnittswerte für marktübliche Honorare bietet. Nur wenn die Honorarsätze deutlich über den branchenüblichen Preisen liegen, ist der Geschädigte gehalten, einen günstigeren Sachverständigen zu beauftragen. Dies stellt sicher, dass die Kosten für den Schaden in einem angemessenen und wirtschaftlich vernünftigen Rahmen bleiben.

Zusammenfassend stärkte der BGH mit diesem Urteil die Rechte der Geschädigten, indem er festlegte, dass die Beauftragung eines Gutachters und die dabei entstehenden Kosten grundsätzlich erstattungsfähig sind, solange sie nicht von vornherein als überhöht erkennbar sind. Dies bedeutet, dass der Geschädigte nicht übermäßig sparsam agieren muss, sondern die Kosten, die in seiner Lage vernünftig erscheinen, geltend machen kann.

Urteile zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten nach Honorarbefragung des BVSK:
BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21; AG Bautzen, Urteil vom 11.10.2024 – 23 C 348/24; AG Zittau, Urteil vom 10. September 2024 – 8 C 149/24; AG Bautzen, Urteil vom 3.7.2024 – 23 C 134/24; AG Braunschweig, Urteil vom 25.06.2024 – 121 C 573/24; AG Bautzen, Urteil vom 21.2.2024 – 23 C 518/23; AG Görlitz, Urteil vom 13.11.2023 – 9 C 159/23; AG Pirna, Urteil vom 1.9.2023 – 13 C 300/23; AG Bautzen, Urteil vom 8.2.2023 – 21 C 359/22

Keine volle Anrechnung der Geschäftsgebühr bei Streitigkeiten über deren Höhe

Die Entscheidung des Amtsgerichts Leipzig vom 6. Juni 2024 (Az. 117 C 1924/23) betrifft einen Streit um die Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren. Die Klägerin hatte gegen den ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung eingelegt, da die Geschäftsgebühr ihrer Ansicht nach nicht vollständig angerechnet werden durfte. Das Gericht folgte der Argumentation der Klägerin und berücksichtigte verschiedene Entscheidungen anderer Gerichte sowie Kommentarliteratur.

Gemäß § 15a II RVG und Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG erfolgt die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nur, wenn die Gebühr bereits gezahlt wurde oder der Gegner zur Zahlung verurteilt wurde. In diesem Fall war es strittig, ob die Geschäftsgebühr korrekt angerechnet wurde. Das Gericht entschied, dass bei streitigen Anrechnungen die materielle Rechtsfrage im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu beachten sei. Stattdessen müsste der Beklagte die Erfüllung im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage geltend machen und beweisen.

Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren setzt voraus, dass die Geschäftsgebühr im Erkenntnisverfahren tituliert wurde oder vom Kostenschuldner außergerichtlich erstattet wurde und dies unstreitig ist. Der Grund dafür ist, dass der Kostenfestsetzungsbeamte keine materielle Prüfung der vorgerichtlichen Tätigkeit und der dabei angefallenen Gebühren vornehmen kann. Ohne Titel oder unstreitige Erstattung würde dies zu einer unzulässigen Überprüfung der materiell-rechtlichen Einwendung führen, was im Kostenfestsetzungsverfahren nicht vorgesehen ist​.

KG Berlin, Beschluss vom 17.07.2007 – 1 W 256/05; AG Leipzig, Beschluss vom 6.6.2024 – 117 C 1924/23; AG Bautzen, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3.1.2024 – 20 C 173/22

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

[…]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung[…]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

ergeht am 06.06.2024

nachfolgende Entscheidung:

Der Erinnerung des Klägervertreters vom 09.11.2023 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 01.11.2023 wird abgeholfen und der Kostenfestsetzungsbeschluss wie folgt abgeändert:
Die von der Beklagtenpartei an die Klagepartei aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Endurteils des Amtsgerichts Leipzig vom 30.06.2023 zu erstattenden Kosten werden einschließlich Gerichtskosten in Höhe von 234,00 EUR festgesetzt auf 509,75 EUR (in Worten: fünfhundertneun 75/100 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 05.07.2023.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

Die Erinnerung rechtfertigt eine abweichende Entscheidung.

Mit Schriftsatz vom 09.11.2023 legte die Klagepartei Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 01.11.2023 ein mit der Begründung, dass keine vollständige Anrechnung einer Geschäftsgebühr hätte erfolgen dürfen. Beantragt wird die Festsetzung eines weiteren Betrages in Höhe von 67,60 €. Die Klagepartei verwies hierzu auf die Entscheidung des LG Würzburg vom 31.03.2022, 14 O 2373/20 sowie auf die Entscheidung des AG Bautzen, Beschluss vom 03.01.2024, 20 C 173/22 und auf die Entscheidung des Kammergerichts Berlin, Beschluss vom 17.07.20207, 1 W 256/05.

Gem. § 15 a II RVG und den Anrechnungsvorschriften gem. Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG erfolgt die Anrechnung auf die Verfahrensgebühr dann, wenn der erstattungspflichtige Gegner die Geschäftsgebühr bereits gezahlt hat oder er im Hauptsachetitel zur Zahlung der Geschäftsgebühr verurteilt wird.

Die Parteien streiten über die korrekte Anrechnung der Geschäftsgebühr. […]
Gemäß Gerold/Schmidt-RVG-Kommentar, 26. Auflage, zu § 15 a, Rn. 23 heißt es dazu: „Ist aber im Kostenfestsetzungsverfahren streitig, ob die Verfahrensgebühr wegen Bezahlung der Geschäftsgebühr zu reduzieren ist, so handelt es sich um eine materiellrechtliche Einwendung im Kostenfestsetzungsverfahren, die, wenn sie streitig ist, nicht zu beachten ist. Der Beklagte kann die Erfüllung dann nur noch im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage geltend machen und beweisen.“
Aus diesem Grund war der Erinnerung abzuhelfen und entsprechend dem Erinnerungsschreiben vom 09.11.2023 ein Betrag in Höhe von insgesamt 509,75 € festzusetzen.“

AG Leipzig, Beschluss vom 6.6.2024 – 117 C 1924/23

Wirtschaftlichkeitsgebot bei Schadensersatz: BGH urteilt zur Eigenreparatur in Werkstätten

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. Mai 2023 (Az. VI ZR 274/22) befasst sich mit der Frage, ob ein Geschädigter, der einen Reparaturbetrieb führt, im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung nach einem Verkehrsunfall Anspruch auf Ersatz der Kosten einer Fremdreparatur einschließlich des Gewinnanteils hat.

Grundsätzlich hat ein Geschädigter gemäß § 249 Abs. 1 BGB Anspruch darauf, den Zustand wiederhergestellt zu bekommen, der vor dem schädigenden Ereignis bestand. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann er anstelle der Wiederherstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Dies gilt auch für die Reparaturkosten, selbst wenn der Geschädigte das Fahrzeug selbst repariert oder nicht repariert. Der BGH hat entschieden, dass in solchen Fällen der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Kosten einer markengebundenen Fachwerkstatt hat, selbst wenn er die Reparatur günstiger in Eigenregie durchführen könnte.

In diesem Fall hatte die Klägerin jedoch keinen Erfolg mit ihrer Revision, da sie nicht nachweisen konnte, dass ihr Reparaturbetrieb ausgelastet war und sie deshalb die Reparatur nicht selbst durchführen konnte. Der BGH betonte, dass der Geschädigte seine betriebliche Auslastung konkret darlegen muss, um den Anspruch auf die höheren Kosten einer Fremdreparatur zu rechtfertigen. Andernfalls könnte der Geschädigte nicht mehr verlangen, als was wirtschaftlich vernünftig wäre, um zu verhindern, dass er am Schadensfall „verdient“.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der BGH die Prinzipien der subjektbezogenen Schadensbetrachtung und der Schadensminderungspflicht bestätigt hat. Dies bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensabrechnung sowohl die Besonderheiten seiner individuellen Situation als auch wirtschaftliche Vernunft berücksichtigen muss. Der Schädiger trägt die Beweislast dafür, dass eine günstigere Reparaturmöglichkeit in der eigenen Werkstatt des Geschädigten besteht, während der Geschädigte seine betriebliche Auslastungssituation darlegen muss.

Vergütungsumfang eines lediglich für einen Termin der Haftbefehlsverkündung bestellten Pflichtverteidigers

Der Kammerbeschluss des Landgerichts Neuruppin vom 25. März 2024 (Az. 11 Qs 9/24) befasst sich mit der Vergütung eines Pflichtverteidigers, der nur für den Termin der Haftbefehlsverkündung bestellt wurde. Das Gericht entschied, dass trotz der zeitlichen Begrenzung der Bestellung, der Pflichtverteidiger Anspruch auf die volle Vergütung hat, einschließlich der Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr. Dies begründet sich dadurch, dass auch eine zeitlich limitierte Bestellung eine inhaltlich und gebührentechnisch vollumfängliche Bestellung darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Beschluss

ln dem Strafverfahren gegen

[…]
Pflichtverteidiger (und Beschwerdeführer):
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne,
Wallstraße 15, 02625 Bautzen,

weiterer Beteiligter (und Beschwerdegegner):
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Neuruppin
[…]

wegen Computerbetruges

hier: Pflichtverteidigervergütung,

hat das Landgericht Neuruppin – 1. große Strafkammer als Beschwerdekammer in Kostensachen – […] am 25. März 2024 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts Stephan M. Höhne (im Folgenden: Beschwerdeführer) wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 15.12.2023 (Az. 84 Ds 50/20) aufgehoben. Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 03.11.2022 (Az. 84 Ds 50/20) abgeändert und der Tenor zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung (Gebühren und Auslagen) wird auf 685,44 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird der Vergütungsfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers vom 17.08.2023 als unbegründet zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht wird zugelassen.

Beschwerdewert: 491,47 Euro

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Neuruppin – Strafrichter – erließ im vorliegenden Strafverfahren am 29.09.2022 gegen den Angeklagten wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO […]. Der Angeklagte wurde am 16.08.2023 aufgrund dieses Haftbefehls festgenommen […] und dem Amtsgericht Bautzen am selben Tag nach § 115a Abs. 1 StPO zur Verkündung vorgeführt […].
Dort beantragte der Angeklagte – in Anwesenheit des bereits erschienenen Beschwerdeführers – nach der Vernehmung zu seinen Personalien ausdrücklich die Bestellung eines Pflichtverteidigers, woraufhin der Richter zu Protokoll folgenden Beschluss fasste […]:
Dem Beschuldigten wird RA Höhne, Bautzen, für den heutigen Termin der Haftbefehlsverkündung als Pflichtverteidiger beigeordnet, weil der Beschuldigte die Beiordnung beantragt hat.

Im weiteren Terminsverlauf erklärte der Beschwerdeführer für den Angeklagten, dass zum Sachverhalt keine Angaben gemacht würden und auch keine Anträge gestellt würden, zudem äußerte sich der Beschwerdeführer für den Angeklagten zu der Frage, ob dieser die Ladung zum Hauptverhandlungstermin überhaupt erhalten habe. Nach einer weitergehenden Erklärung des Angeklagten selbst zu seinen persönlichen Verhältnissen hielt der Richter telefonisch Rücksprache mit der zuständigen richterlichen Dezernentin beim Amtsgericht Neuruppin und setzte sodann – zwar im Einvernehmen mit der zuständigen Richterin, jedoch gleichwohl unter offenkundiger Überschreitung seiner Entscheidungszuständigkeit nach § 115a Abs. 2 StPO – durch zu Protokoll genommenen Beschluss den Haftbefehl außer Vollzug.

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 17.08.2023 beim Amtsgericht Neuruppin die Festsetzung seiner Vergütung wie folgt beantragt […]:

– Grundgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4101 VV RVG) 216,00 Euro
– Verfahrensgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4107 VV RVG) 177,00 Euro
– Terminsgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4103 VV RVG) 183,00 Euro
– Auslagenpauschale (Nr. 7002 W RVG) 20,00 Euro
Zwischensumme: 596,00 Euro
– 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 113,24 Euro
Gesamtsumme: 709.24 Euro

Mit Beschluss vom 03.11.2023 […] hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts lediglich die geltend gemachte Terminsgebühr in Höhe von 183,00 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer von 34,77 Euro – mithin insgesamt 217,77 Euro – zu Gunsten des Beschwerdeführers festgesetzt und seinen Vergütungsantrag im Übrigen zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 09.11.2023 […] hat der Beschwerdeführer gegen diesen Beschluss Erinnerung eingelegt, welcher die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 28.11.2023 […] nicht abgeholfen hat. Die Strafrichterin hat die Erinnerung des Beschwerdeführers sodann mit Beschluss vom 15.12.2023 […] als unzulässig zurückgewiesen, allerdings ausweislich der Beschlussbegründung tatsächlich doch eine Sachentscheidung getroffen und darin anstelle der von der Rechtspflegerin festgesetzten Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG eine Einzeltätigkeitsgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG als entstanden angenommen, dies allerdings ohne diese mit 220,00 Euro (netto) bzw. 261,80 Euro (brutto) über dem bislang zugesprochenen Betrag liegende Vergütung nunmehr zu Gunsten des Beschwerdeführers festzusetzen. Gegen diesen ihm lediglich formlos übersandten und nach seinen Angaben erst am 05.01.2024 zugegangenen Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 05.01.2024 Beschwerde eingelegt […], mit welcher er seinen ursprünglichen Vergütungsantrag in voller Höhe weiterverfolgt. Die Strafrichterin hat dieser Beschwerde mit Verfügung vom 12.01.2024 […] nicht abgeholfen. Mit Stellungnahmeverfügung vom 23.01.2024 […] hat der Beschwerdegegner ausgeführt, dass er lediglich eine Einzeltätigkeitsgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG als festsetzungsfähig ansehe.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Gegen den richterlichen Beschluss vom 15.12.2023 über die Erinnerung vom 09.11.2023 ist die nunmehr namens des Beschwerdeführers eingelegte Beschwerde vom 05.01.2024 gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG als befristete Beschwerde statthaft. Der Beschwerdewert liegt über 200,00 Euro und auch die zweiwöchige Frist aus § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG seit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung ist eingehalten. Zuständig ist dabei die Kammer, nachdem der geschäftsplanmäßig zuständige Einzelrichter ihr das Verfahren gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG zur Entscheidung übertragen hat.

In der Sache ist die befristete Beschwerde auch überwiegend begründet, denn das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Unrecht eine Festsetzung der durch den Beschwerdeführer geltend gemachten Gebühren abgelehnt.

Ausgangspunkt der Prüfung der einem Pflichtverteidiger aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütung ist dabei stets die gerichtliche Bestellungsentscheidung. Enthält bereits der Bestellungsbeschluss als Grundentscheidung Einschränkungen der Pflichtverteidigerbestellung in zeitlicher, inhaltlicher oder gebührentechnischer Hinsicht, so obliegt es dem bestellten Pflichtverteidiger – so diese Einschränkungen als rechtswidrig und ihn selbst beschwerend ansieht – bereits die Bestellungsentscheidung selbst aus eigenem Recht mit dem in § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO eröffneten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anzufechten. Eine inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit von in die Bestellungsentscheidung aufgenommenen Beschränkungen erst im Vergütungsfestsetzungsverfahren scheidet hingegen aus.

Entgegen dem Dafürhalten des Amtsgerichts und des Beschwerdegegners ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall aus der im Bestellungsbeschluss vom 16.08.2023 vorgenommenen Beschränkung der Bestellung „für den heutigen Termin der Haftbefehlsverkündung“ gerade nicht, dass dem Beschwerdeführer für seine Tätigkeit lediglich die für den Termin angefallene Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG bzw. eine Einzeltätigkeitsgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG zustünde. So stellt eine allein in zeitlicher Hinsicht limitierte Pflichtverteidigerbestellung gleichwohl eine inhaltlich und gebührentechnisch vollumfängliche – wenn auch eben auf einen bestimmten Tätigkeitszeitraum beschränkte – Bestellung dar, weshalb auch der lediglich für einen bestimmten – sei es noch so kurzen – Zeitraum gerichtlich – sprich durch hoheitlichen Akt – bestellte Verteidiger vorbehaltlich des Hinzutretens besonderer Umstände sowohl berufsrechtlich als auch zivilrechtlich gegenüber seinem Mandanten zu einer umfassenden Führung der Verteidigung verpflichtet ist und daher die für die Einarbeitung in das Verfahren anfallende Grundgebühr, die für das jeweilige Verfahrensstadium vorgesehene Verfahrensgebühr sowie – falls in den Bestellungszeitraum wie hier eine Terminsteilnahme fällt – die entsprechende Terminsgebühr beanspruchen kann.

Die Kammer verkennt dabei nun keinesfalls, dass sich hierdurch häufig – und so auch hier – nicht unerhebliche Kosten für die Landeskasse bzw. letztendlich für den zumeist verfahrenskostenpflichtigen Angeklagten ergeben, und zugleich grundsätzlich ein legitimes Bedürfnis aller Verfahrensbeteiligten besteht, diese Mehrkosten so gut es geht zu vermeiden bzw. gering zu halten. Gerade die vorliegende Konstellation ist jedoch durch den Gesetzgeber im Rahmen der zum 13.12.2019 in Kraft getretenen Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung bereits erkannt und einer abschließenden Lösung zugeführt worden. So stellt nach dieser Neuregelung im Grundsatz auch eine gerichtliche Vorführung aufgrund eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO einen Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO dar, dies allerdings nach Maßgabe des § 141 Abs. 2 Satz 2 StPO mit der Einschränkung, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers in diesem Fall nur dann erfolgt, wenn der Angeklagte dies nach Belehrung – nicht zuletzt über die Kostenfolgen – ausdrücklich verlangt. Vorliegend hat der Angeklagte zu Beginn des Termins nun genau einen solchen Antrag gestellt mit der Konsequenz, dass ihm der hierfür nach § 142 Abs. 2 Nr. 3 StPO zuständige verkündende Richter materiell-rechtlich sogar ohne zeitliche Beschränkung einen Pflichtverteidiger hätte bestellen müssen und eine spätere Aufhebung der Bestellung nach § 143 Abs. 2 Satz 3 StPO – ebenso wie die hierfür erforderliche Außervollzugsetzung des Haftbefehls selbst – dem Amtsgericht Neuruppin oblegen hätte. Dass nun also aufgrund der hier erfolgten Pflichtverteidigerbestellung – ungeachtet der aus Sicht der Kammer ohnehin rechtsfehlerhaften zeitlichen Begrenzung der Bestellung – für den Beschwerdeführer die volle Verteidigervergütung in Gestalt von Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr anfällt und hierfür zunächst die Landeskasse und später gegebenenfalls der Angeklagte einzustehen haben, unterlag mithin nach der eindeutigen gesetzgeberischen Regelungskonzeption ganz bewusst der Disposition durch den Angeklagten und entspricht im Ergebnis exakt dem, was der Gesetzgeber als Folge einer Antragstellung des Angeklagten vorhergesehen und hingenommen hat.
Da dem Angeklagten vor der Bestellung des Beschwerdeführers sodann auch noch kein anderer Pflichtverteidiger bestellt war, lag auch von vornherein kein Fall einer bloßen „Terminsvertretung“ vor, bei welcher auch nach dem Dafürhalten der Kammer in Fällen der konsensualen Bestellung eines Pflichtverteidigers für einen bestimmten Termin – hier einen auswärtigen Hafttermin – anstelle des regulären Pflichtverteidigers eine Beschränkung des Vergütungsanspruchs des „Terminsvertreters“ auf die für den wahrgenommenen Termin anfallende Terminsgebühr in Betracht kommt (siehe hierzu den Beschluss der Kammer vom 25.03.2024 – Az. 11 Qs 76/23 – sowie den Beschluss der 2. großen Strafkammer vom 04.09.2023 – Az. 22 KLs 10/22 -).

Mit Blick auf die in der Bestellungsentscheidung ausdrückliche getätigte Bestellung des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger – sprich als Verteidiger – scheidet es schließlich entgegen dem Dafürhalten des Beschwerdegegners auch aus, dem Beschwerdeführer anstelle der vollen Verteidigervergütung in Gestalt von Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr lediglich eine Einzeltätigkeitsgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG zuzusprechen. Die von diesem Gebührentatbestand abgedeckte bloße Beistandsleistung stellt – begrifflich ebenso wie in der Sache – etwas kategorial völlig anderes als eine Verteidigung dar. für welche sich die anfallenden Gebühren im Erkenntnisverfahren nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nach Abschnitt 1 des Teils 4 der Anlage 1 zum RVG richten. So erschöpft sich eine Beistandsleistung für einen Beschuldigten durch einen Rechtsanwalt in einem Termin darin, dem Beschuldigten im Hinblick auf die unmittelbaren Verhaltenserfordernisse im Termin beratend zur Seite zu stehen und auf die Wahrung der prozessualen Rechte des Beschuldigten im Terminsablauf zu achten, und ist nicht nur in zeitlicher, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht auf den Termin begrenzt. Die Verteidigung hingegen weist – auch wenn sie nach Maßgabe einer gerichtlichen Bestellungsentscheidung wie hier zeitlich nur in einem einzelnen Termin erfolgt – inhaltlich regelmäßig über den Termin hinaus, da sie auf Basis einer Vorbereitung auf den Verfahrensgegenstand in der Sache und einer hieraus entwickelten Verteidigungsstrategie zu erfolgen und auf die Erreichung der mit dem Angeklagten abgesprochenen Verteidigungsziele hinzuwirken hat. Dementsprechend hat der Beschwerdeführer im hier in Rede stehenden Termin auch ganz typisches Verteidigerhandeln an den Tag gelegt, indem er erklärt hat, inwieweit der Angeklagte Angaben zur Sache bzw. zur Person tätigen wird und dass keine Anträge gestellt werden, insbesondere aber indem er argumentativ mittels eines Hinweises auf einen angeblich nicht erfolgten Ladungszugang die tatbestandlichen Grundlagen des Haftbefehls in Zweifel zu ziehen und hierdurch eine dem Angeklagten günstige richterliche Haftentscheidung herbeizuführen gesucht hat.

Da schließlich die für einen Pflichtverteidiger als gerichtlich bestellten Rechtsanwalt anfallenden Gebühren ihrer Höhe nach jeweils gesetzlich fixiert sind, kann der Beschwerdeführer seine Vergütung insoweit unabhängig von seinem tatsächlich vor, in, am Rande und im Nachgang des Termins betriebenen Verteidigungsaufwand – und damit im Ergebnis wie von ihm beantragt – beanspruchen. Dies gilt hingegen nicht für die von ihm geltend gemachte Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, nachdem der Beschwerdeführer nach Aktenlage ausschließlich in dem Termin vor dem Amtsgericht Bautzen für den Angeklagten aufgetreten ist und er außerhalb dieses Termins erfolgte Kommunikation mit dem Angeklagten oder Dritten nicht behauptet hat. Die dem Beschwerdeführer zustehende Vergütung berechnet sich nach alledem wie folgt:

– Grundgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4101 VV RVG) 216,00 Euro
– Verfahrensgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4107 VV RVG) 177,00 Euro
– Terminsgebühr (mit Zuschlag) (Nr. 4103 VV RVG) 183,00 Euro
Zwischensumme: 576,00 Euro
– 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 109,44 Euro
Gesamtsumme: 685,44 Euro

Die Gebührenfreiheit dieses Beschwerdeverfahrens sowie die Nichterstattung von Kosten ergeben sich aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG.

Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. 33 Abs. 6 Satz 1 RVG die weitere Beschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht zuzulassen, da die zur Entscheidung stehende Frage grundsätzliche Bedeutung hat. Die vorliegend entscheidungserhebliche Rechtsfrage, welche Gebühren ein ausweislich des jeweiligen Bestellungsbeschlusses ausdrücklich nur für einen bestimmten Tag bzw. einen bestimmten Termin bestellter Pflichtverteidiger beanspruchen kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten (siehe etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.02.2023 – 2 Ws 13/23 – m.w.N.), wobei die zu diesem Themenkreis im weiteren Sinne zuletzt veröffentlichte Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts – soweit ersichtlich – aus dem Jahr 2009 stammt (OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.08.2009 – 2 Ws 111/09 -) und mithin auf die Zeit vor den zum 13.12.2019 in Kraft getretenen umfangreichen Änderungen des Rechts der Pflichtverteidigung datiert.“

LG Neuruppin, Kammerbeschluss vom 25. März 2024 – 11 Qs 9/24