Das Landgericht Görlitz (Az. 1 O 408/24) hat die beklagte Haftpflichtversicherung zur Zahlung restlichen Schadensersatzes, zur Freistellung von Gutachter- und Anwaltskosten sowie zur Übernahme weiterer unfallbedingter Kosten verurteilt. Grundlage der Haftung waren §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG, da der Unfall bei Betrieb des versicherten Fahrzeugs entstand und kein Haftungsausschluss nach § 7 Abs. 2 StVG vorlag.
Im Rahmen der Haftungsverteilung stellte das Gericht nach Beweisaufnahme fest, dass der Unfall allein durch die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs verursacht wurde. Der Zeuge, Fahrer des klägerischen Transporters, habe mit Schrittgeschwindigkeit und Warnblinklicht auf dem Zufahrtsweg rückwärtsfahrend die Parktasche nahezu vollständig passiert, als das Beklagtenfahrzeug unvermittelt rückwärts ausparkte und gegen den vorderen rechten Kotflügel des Klägers stieß. Die Fahrerin habe ihre Schuld sowohl gegenüber dem Zeugen als auch der Polizei eingeräumt. Das Schadensbild bestätigte diesen Hergang.
Rechtlich maßgeblich war der Anscheinsbeweis: Wer rückwärts aus einer Parklücke in den fließenden Verkehr einfährt, unterliegt einer gesteigerten Sorgfaltspflicht (§ 9 Abs. 5 StVO) und muss eine Gefährdung anderer ausschließen. Ein typischer Geschehensablauf spricht dafür, dass ein Zusammenstoß in dieser Situation auf unzureichende Rückschau oder mangelnde Vorsicht des Ausparkenden zurückzuführen ist. Der Anscheinsbeweis kann nur entkräftet werden, wenn konkrete Tatsachen einen atypischen Ablauf belegen. Dies gelang der Beklagten nicht. Ihr Einwand, auch der Kläger habe beim Rückwärtsfahren gegen Sorgfaltspflichten verstoßen, scheiterte daran, dass die Pflichten eines bereits im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeugs – auch rückwärtsfahrend – geringer wiegen und keine Anhaltspunkte für eine unfallursächliche Pflichtverletzung des Klägers bestanden. Das Schadensbild und die Zeugenaussage belegten vielmehr, dass der Klägerfahrer äußerste Vorsicht walten ließ.
Mangels Mitverursachung trat die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs zurück (§ 17 Abs. 3 StVG). Der Beklagteneinwand zur Schadenshöhe (Verweis auf günstigere Werkstatt) wurde wegen Unzumutbarkeit der Entfernung und fehlender Qualitätsdarlegung verworfen. Weitere Einwendungen zur Folierung, Schadensminderungspflicht und Vorhaltekosten blieben ebenfalls ohne Erfolg. Das Gericht bejahte auch die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltskosten und der geltend gemachten Zinsen.
Auszug aus der Gerichtsentscheidung:
„IM NAMEN DES VOLKES
ENDURTEIL
In dem Rechtsstreit
[…]
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]
gegen
[…] Versicherung […]
– Beklagte –
Prozessbevollmächtigte:
[…]
wegen Schadensersatz
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch
Richter […] als Einzelrichter
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2025 am 30.07.2025
für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.560,96 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € seit dem 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 6.10.2024 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von offenen Forderungen in Höhe von 334,15 € aus der Rechnung Nr. 6202195439 vom 19.9.2024 freizustellen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 237,10 € freizustellen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 28.08.2024, gegen 10:15 Uhr in Görlitz, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.
5. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert bleibt auf 5.360,62 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.
Der Kläger ist Eigentümer des Transporters vom Typ Ford Transit 350 mit dem amtlichen Kennzeichen […]. Die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung des am Unfall beteiligten Pkws vom Typ Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen […], der zum Unfallzeitpunkt von Frau […] Li[…] geführt wurde.
Am 28. August 2024 ereignete sich gegen 10:15 Uhr ein Verkehrsunfall auf dem Parkplatz an der Zittauer Straße, hinter Hausnummer 144 in Görlitz, an dem die beiden vorgenannten Fahrzeuge beteiligt waren.
Der Zeuge […] La[…] fuhr dabei mit dem Fahrzeug des Klägers mit Schrittgeschwindigkeit rückwärts auf dem Zufahrtsweg des Parkplatzes am senkrecht zum Zufahrtsweg in einer Parktasche geparkten Fahrzeug der Schädigerin vorbei. Kurz bevor das Fahrzeug des Klägers das Fahrzeug der Beklagtenseite vollständig passiert hatte fuhr das Fahrzeug der Beklagtenseite rückwärts aus der Parktasche heraus und stieß gegen den vorderen rechten Kotflügel des Fahrzeugs des Klägers.
Die Klage wurde am 17.12.2024 bei Gericht eingereicht. Am 11.01.2025 wurde die Klage der Beklagten zugestellt, wodurch Rechtshängigkeit eintrat.
Nach Rechtshängigkeit, am 30. Januar 2025, leistete die Beklagte eine Zahlung in Höhe von insgesamt 1.985,87 € an den Kläger. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus 1.639,22 € für den Fahrzeugschaden, 12,50 € als Unkostenpauschale und 334,15 € für Sachverständigenkosten.
Der Kläger hat daraufhin die Klageanträge zu Ziffern 1 und 2 in Höhe der erhaltenen Zahlungen für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Teilerledigungserklärung angeschlossen.
Der Kläger behauptet der Unfall sei für den Zeugen La[…] unvermeidbar gewesen. Darüber hinaus seien die eingeforderten Kosten notwendig für die Reparatur gewesen. Für den Feststellungsantrag bestehe ein Feststellungsinteresse, da die Vorhaltekosten durch die Reparatur berechnet werden.
Der Kläger beantragt zuletzt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.560,96 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € seit dem 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 und weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 6.10.2024 zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von offenen Forderungen in Höhe von 334,15 € aus der Rechnung Nr. 6202195439 vom 19.9.2024 freizustellen.
3. die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber der Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden von der Forderung der nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten in Höhe von 237,10 € freizustellen.
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 28.08.2024, gegen 10:15 Uhr in Görlitz, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.
Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen
Sie behauptet der Zeuge La[…] habe den begonnenen Ausparkvorgang des Mercedes nicht bemerkt und habe deswegen seine erhöhten Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren missachtet. Sie ist ferner der Ansicht, dass sich der Kläger im Rahmen der Schadensminderungspflicht auf einen qualifizierten, nicht markengebundenen Karosserie- und Lackiererfachbetrieb in seiner Nähe verweisen lassen müsse, der die Reparatur kostengünstiger anbiete.
Das Gericht hat im Rahmen der Hauptverhandlung am 09.07.2025 Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen […] La[…] und Inaugenscheinnahme der beigezogenen Akte […] der Polizeidirektion Görlitz. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.07.2025 verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I. Die Klage ist in Höhe von 1.639,22 € für den Fahrzeugschaden, 12,50 € für die Unkostenpauschale und 334,15 € für die Gutachterkosten erledigt. Die Klage wurde übereinstimmend in der Höhe für erledigt erklärt.
II. Die Klageforderung ist begründet.
Die Haftung der Beklagten ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG in Verbindung mit § 1 PflVG.
Danach kann ein Geschädigter einen Anspruch gegen den Versicherer eines unfallbeteiligten Fahrzeuges geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung nach § 1 PflVG handelt, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG.
Gemäß § 1 PflVG ist der Halter eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers mit regelmäßigem Standort im Inland verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten, wenn das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen (§ 1 StVG) verwendet wird.
Bei der hiesigen Beklagten handelt es sich indes unstreitig um die Haftpflichtversicherung des Fahrzeuges der […] Li[…].
Durch den Unfall ist der Kläger unstreitig mit der Beschädigung seines Fahrzeuges in den durch § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsgütern verletzt worden.
Der Unfall ist auch unstreitig bei Betrieb eines Fahrzeuges – namentlich eines Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen […], der zum Unfallzeitpunkt von Frau […] Li[…] geführt wurde – entstanden. Insoweit hat sich auch unstreitig die Betriebsgefahr des Fahrzeuges realisiert.
Ein Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG wurde nicht geltend gemacht und ist aus den dargelegten Tatsachen auch nicht ersichtlich.
Im Rahmen der konkreten Haftungsverteilung wird von einem derart überwiegenden Verschulden des beklagten Fahrzeuges auszugehen sein, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges hinter dieser zurücktritt, § 17 Abs. 1 StVG.
a) Das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Unfall, wie vom Kläger vorgetragen, allein durch ein Verschulden der Fahrerin des beklagten Fahrzeugs verursacht wurde.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen […] La[…] und die Inaugenscheinnahme der beigezogene Akte 14297/24/138211 der Polizeidirektion Görlitz, insbesondere der dort enthaltenen Lichtbilder.
Der Zeuge […] La[…] hat in seiner am 09.07.2025 erfolgten Vernehmung den vom Kläger geschilderten Unfallhergang glaubhaft und widerspruchsfrei bestätigt. Er gab an, dass er mit Schrittgeschwindigkeit rückwärts mit dem klägerischen Fahrzeug unter Nutzung des Warnblinklichts fuhr, um zum Getränkemarkt zu gelangen, als das beklagte Fahrzeug plötzlich aus der Parktasche rückwärtig ausparkte und mit der Vorderseite des klägerischen Fahrzeuges kollidierte. Zu dem Zeitpunkt sei er bereits zu zwei Drittel an dem anderen Fahrzeug vorbei gewesen. Anschließend habe Frau Li[…] ihre Schuld ihm und der Polizei gegenüber eingestanden. Auf Frage des Gerichts ergänzte der Zeuge, dass er die Spiegel beim Rückwärtsfahren beobachtete und auch die Sensoren nicht angeschlagen haben. Das andere Fahrzeug habe auch nicht geblinkt. Weiterhin bestätigte er auf Frage des Beklagtenvertreters, dass die Darstellung auf B 1 akkurat sei und die Kollision ungefähr auf Höhe der Blumenkübel stattgefunden habe. Er habe sich „bereits in Antizipation eines Ausparkvorgangs sehr weit außen aufgehalten, um einen Unfall zu vermeiden.“
Die Aussage des Zeugen war präzise, detailliert und in sich schlüssig. Er konnte den Ablauf des Geschehens klar darstellen und machte keine Angaben, die auf eine Schönfärberei zugunsten des Klägers hindeuteten. Seine Schilderung, dass das Klägerfahrzeug die Parktasche des Beklagtenfahrzeugs bereits zu zwei Dritteln passiert hatte, als der Zusammenstoß erfolgte, ist plausibel und wird durch das Schadensbild gestützt. Die Behauptungen der Beklagtenseite, die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs habe bereits mit dem Ausparkvorgang begonnen, bevor der Kläger-Transporter um die Ecke fuhr, und der Klägerfahrer habe diesen begonnenen Ausparkvorgang nicht rechtzeitig erkannt, werden durch die glaubhafte Zeugenaussage und das eindeutige Schadensbild an der Fahrzeugfront des klägerischen Fahrzeuges widerlegt und sind als unzutreffend zu qualifizieren. Die Aussage des Zeugen, er habe die Spiegel beobachtet und seine Sensoren hätten nicht angeschlagen, sowie dass das andere Fahrzeug nicht geblinkt habe, untermauert seine Sorgfalt und die Unerwartetheit des Kollisionsgeschehens.
Die vom Gericht in Augenschein genommenen Lichtbilder 1 und 2 aus der polizeilichen Ermittlungsakte […], die die Fahrzeugstellungen nach der Kollision dokumentieren sollen, stehen der klägerischen Darstellung nicht entgegen. Zwar mag die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs nach der Kollision ein Stück vorwärts gefahren sein, um den Schaden zu begutachten, wie von der Beklagten vorgetragen. Diese nachträgliche Bewegung ändert jedoch nichts am primären Unfallhergang. Die Ausgangsstellung der Fahrzeuge vor der Kollision, wie vom Zeugen La[…] geschildert und durch seine Aussage bestätigt, dass die Darstellung […] akkurat sei und die Kollision auf Höhe der Blumenkübel stattfand, wird durch diese Lichtbilder nicht widerlegt.
Die Aussage der Unfallverursacherin, Frau […] Li[…], gegenüber dem Zeugen La[…] und auch der Polizei, sie habe sein Fahrzeug schlicht übersehen und es sei ihre Schuld gewesen, ist ein starkes Indiz für die Missachtung ihrer Rückschaupflicht gemäß § 9 Abs. 5 StVO. Ein Anscheinsbeweis spricht grundsätzlich gegen denjenigen, der aus dem ruhenden Verkehr, insbesondere aus einer Parklücke, in den fließenden Verkehr einfährt oder rückwärts ausparkt. Von ihm wird eine erhöhte Sorgfaltspflicht verlangt, um jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Die Beklagtenfahrerin hatte beim Rückwärtsfahren die Pflicht, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Hierzu gehört insbesondere die sorgfältige Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs durch Rückspiegel oder direkte Sicht sowie die nötige Vorsicht beim Anfahren. Der Transporter des Klägers bewegte sich langsam in Schrittgeschwindigkeit auf dem Zufahrtsweg und querte hinter dem Fahrzeug der Schädigerin, wobei er die Parktasche bereits nahezu vollständig passiert hatte.
Aufgrund dieser langsamen Bewegung und der Größe des klägerischen Transporters war dieser über einen längeren Zeitraum hinweg gut sichtbar. Die Aussage der Schädigerin, das Fahrzeug nicht gesehen zu haben, verdeutlicht somit, dass sie entweder nicht oder nicht ausreichend in die relevanten Sichtbereiche geschaut hat.
Die Beklagte wendet ein, dass auch der Fahrer des klägerischen Transporters den bereits begonnenen Ausparkvorgang des Mercedes nicht rechtzeitig erkannt habe und daher der Anscheinsbeweis für ungenügende Sorgfalt bei der Rückwärtsfahrt auch zu Lasten des Klägers streite. Dies greift im vorliegenden Fall nicht durch. Die Pflichten desjenigen, der rückwärts aus einer Parklücke ausfährt und dabei in den fließenden Verkehr gerät, sind deutlich höher als die Pflichten desjenigen, der bereits im fließenden Verkehr – auch rückwärts – fährt. Der Anscheinsbeweis gegen den Ausparkenden aus einer Parklücke wird nur dann erschüttert, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der andere Verkehrsteilnehmer seine Sorgfaltspflicht in einem Maße verletzt hat, das den typischen Geschehensablauf einer Kollision beim Ausparken widerlegt. Solche Anhaltspunkte hat die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Insbesondere das vom Kläger dargelegte und durch das Gutachten gestützte Schadensbild sowie die Zeugenaussage sprechen dafür, dass der Klägerfahrer mit Schrittgeschwindigkeit fuhr und keine unfallursächliche Sorgfaltspflichtverletzung begangen hat. Der Zeuge La[…] hat ausdrücklich angegeben, dass er sich „sehr weit außen aufgehalten“ habe, „um einen Unfall zu vermeiden“, was seine besondere Vorsicht unterstreicht.
Das vorgelegte Sachverständigengutachten […] vom 19. September 2024 […] und die darin enthaltenen Abbildungen des Schadensbildes (Abbildung 2) stützen den vom Kläger vorgetragenen Unfallhergang. Der Sachverständige […] hat in seinem Gutachten den Schaden als „starken Anstoß von vorn rechts auf die rechte vordere Fahrzeugseite“ beschrieben, wobei Kotflügel, Beifahrertür und Radlauf eingedrückt, der Stoßfänger verschrammt und die Radhausschale gebrochen seien. Der „erhebliche Deformationsgrad des vorderen rechten Kotflügels“ deutet auf eine erhebliche kinetische Energie beim Aufprall hin, was die vom Kläger geschilderte „erhebliche Beschleunigung“ des Beklagtenfahrzeugs plausibel macht. Die „kurzen, parallel verlaufenden Kratzspuren in Fahrtrichtung“ in einem begrenzten Bereich am Klägerfahrzeug sind ein weiteres Indiz dafür, dass das Klägerfahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision maximal mit Schrittgeschwindigkeit fuhr oder nahezu stand. Dies bestätigt die Aussage des Zeugen La[…] und widerlegt etwaige Behauptungen einer Mitschuld des Klägers aufgrund überhöhter Geschwindigkeit oder einer unvorsichtigen Rückwärtsfahrt. Handlungsalternativen des Zeugen La[…], die zu einer Vermeidung des Unfalls geführt hätten, sind insgesamt nicht ersichtlich.
Aufgrund dieser umfassenden Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs den Unfall allein verschuldet hat und für den Kläger der Unfall unvermeidbar war. Eine Haftung aus Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist ausgeschlossen, da der Unfall für den Kläger auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt nicht abwendbar war.
b) Auch sind die vom Kläger noch geltend gemachten Schadenspositionen sind der Höhe nach gerechtfertigt. Der noch offene Restbetrag des Fahrzeugschadens in Höhe von 2.548,46 € und die restlichen Gutachterkosten in Höhe von 334,15 € (Freistellungsanspruch) sind dem Grunde und der Höhe nach als erstattungsfähig anzusehen.
(1) Die Beklagte bestreitet den Fahrzeugschaden der Höhe nach, soweit er 3.278,44 € netto übersteigt, und verweist auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einem Eurogarant-zertifizierten Fachbetrieb. Ein solcher Verweis kann unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB grundsätzlich zulässig sein, wenn der Schädiger darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und keine Unzumutbarkeit für den Geschädigten vorliegt.
Hierzu ist festzustellen, dass die Beweislast für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht, zu dem auch die Verweisung auf eine günstigere Werkstatt gehört, beim Schädiger liegt. Zwar ist es zutreffend, dass der Bundesgerichtshof die Verweisung auf qualifizierte freie Fachwerkstätten für zulässig erachtet, wenn deren Qualitätsstandard dem einer markengebundenen Werkstatt entspricht, die Beklagte hat jedoch nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass die im Sachverständigengutachten des Klägers angesetzten Stundenverrechnungssätze überhöht sind und dass die von ihr genannte Referenzwerkstatt die Reparatur zu den von ihr genannten geringeren Sätzen durchführen würde, ohne Qualitätsverluste zu erleiden. Das pauschale Bestreiten der Ortsüblichkeit der im Gutachten ausgewiesenen Stundenverrechnungssätze durch die Beklagte ist unbeachtlich, da keine konkreten Vergleichsdaten oder eine substantiierte Darlegung der Unwirtschaftlichkeit der im Gutachten angesetzten Sätze vorgelegt wurden.
Darüber hinaus hat der Kläger substantiiert dargelegt, dass die Verweisung auf den von der Beklagten benannten Referenzbetrieb unzumutbar ist. Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass die Entfernung zwischen dem Unternehmenssitz des Klägers […] und dem Referenzbetrieb […] 27,6 km beträgt. Nach ständiger Rechtsprechung, wie vom Kläger zutreffend zitiert (z.B. OLG München, Endurteil vom 21.09.2022 – 10 U 5397/21e), wird eine mühelose Erreichbarkeit grundsätzlich nur dann angenommen, wenn die Werkstatt nicht
mehr als 20 km vom Wohn- oder Geschäftsort des Geschädigten entfernt ist. Die Überschreitung dieser Grenze um mehrere Kilometer macht den Verweis auf den Referenzbetrieb für den Kläger unzumutbar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung eines angebotenen Hol- und Bringservices, da der Faktor der Entfernung für die generelle Erreichbarkeit entscheidend ist.
Zudem hat der Kläger mit Nichtwissen bestritten, dass der genannte Betrieb dem Qualitätsstandard einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und die von der Beklagten genannten Stundenverrechnungssätze zutreffen, wofür die Beklagte ebenfalls beweisbelastet ist und keinen hinreichenden Beweis erbracht hat.
Auch der Einwand der Beklagten bezüglich der Neufolierung ist nicht durchgreifend. Die Beklagte hat die Erforderlichkeit der vollständigen Folierung der rechten Fahrzeugseite pauschal bestritten, indem sie auf Vorschäden verwies und angab, nur die Beifahrertür sei unfallbedingt beschädigt. Dies widerspricht dem […] vorgelegten Schadengutachten, das eindeutig feststellt, dass neben der Beifahrertür auch der Kotflügel und der Radlauf eingedrückt und der Stoßfänger verschrammt wurden. Gemäß § 287 ZPO ist davon auszugehen, dass die in einem Schadengutachten aufgeführten Reparaturarbeiten tatsächlich erforderlich sind. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schadensbehebung reicht grundsätzlich nicht aus. Vielmehr obliegt es der Beklagtenseite, substantiiert darzulegen, aus welchen konkreten Gründen die im Gutachten genannten Arbeiten für die Folierung des Fahrzeugs des Klägers nicht erforderlich sein sollen. Der pauschale Einwand der Beklagten bleibt daher unbeachtlich.
(2) Die restliche Unkostenpauschale ist ebenfalls wie bereits ausgeführt der Höhe nach voll erstattungsfähig.
(3) Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB durch den Kläger ist nicht ersichtlich. Die Beweislast für einen solchen Verstoß liegt nach ständiger Rechtsprechung beim Schädiger, hier also bei der Beklagten. Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die einen Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht belegen würden.
Ein Geschädigter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Schadensbehebung einen Kredit aufzunehmen. Es obliegt dem Schädiger, die durch ihn verursachte Schadensbeseitigung zu finanzieren. Auch kann vom Geschädigten nicht verlangt werden, eine etwaige Vollkaskoversicherung zur Vorfinanzierung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen. Der Kläger hat somit alle zumutbaren Schritte unternommen, um den Schaden zu begrenzen, und ist nicht verpflichtet, die Schadensregulierung vorzufinanzieren.
(4) Auch der Feststellungsantrag hinsichtlich der weiteren Kosten des Klägers ist zulässig und begründet. Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs eine Standzeit von vier Tagen erforderlich ist, was sich aus dem vorgelegten Sachverständigengutachten […] vom 19. September 2024 […] ergibt.
Die Beklagte bestreitet die Geltendmachung von Vorhaltekosten mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu gewerblich genutzten Fahrzeugen, wonach dem vorübergehenden Entzug der Gebrauchsmöglichkeit als solchem kein eigenständiger Vermögenswert zukomme und der Kläger nach Gutachten abrechnen wolle, weshalb keine Umsatzsteuer anfalle. Dieser Einwand greift jedoch nicht durch.
Zum einen hat der Kläger klargestellt, dass er keine Umsatzsteuer als potenziellen weiteren Schaden geltend gemacht hat, sodass die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten ins Leere laufen.
Zum anderen bezieht sich die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2018, VII ZR 285/17) auf die abstrakte Geltendmachung eines Nutzungsausfallschadens bei gewerblich genutzten Fahrzeugen. Der Kläger macht hier jedoch keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung geltend, sondern konkrete Vorhaltekosten für die – sich noch bestimmende – tatsächlich erforderliche Reparaturdauer. Diese Vorhaltekosten stellen einen konkreten Vermögensschaden dar, der dem Kläger infolge des unfallbedingten Ausfalls des Fahrzeugs entstehen werden. Sie umfassen Positionen wie Kapitalbindungskosten, Wertverlust, Fixkosten, Wartungspauschalen und Standkosten, die unabhängig
von einer konkreten Nutzung oder Gewinnerzielung während der Reparaturdauer anfallen. Die vom Kläger dargelegten Kostenkomponenten sind daher nachvollziehbar und als typische Positionen für die Vorhaltung eines gewerblich genutzten Fahrzeugs anzusehen. Diese Kosten sind kausal auf den Unfall zurückzuführen und daher vom Schädiger zu ersetzen. Die Erstattungsfähigkeit von Vorhaltekosten bei gewerblich genutzten Fahrzeugen ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BGHZ 70, 199 (201); OLG Koblenz NZV 2015, 552; AG Pirna, Urteil vom 14.11.2013 – 13 C 848/11; Sanden/Völtz, Kfz-Sachschadensrecht, 8. Auflage, Rn. 226 ff, 231).
(5) Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Freistellung von den nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten für die Einschaltung seiner Rechtsanwälte zu. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall ist nach der Rechtsprechung, die keinen „einfach gelagerten Verkehrsunfall“ annimmt, grundsätzlich als notwendig im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB anzusehen.
Die Höhe der geltend gemachten Kosten in Höhe von 237,10 € entspricht einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zuzüglich einer Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, abzüglich der Anrechnung der 0,65-fachen Geschäftsgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG in Verbindung mit § 15a RVG. Die Berechnung des Klägers ist korrekt und schlüssig. Der umfassende Auftrag an die Prozessbevollmächtigten des Klägers, wie im Schriftsatz detailliert dargelegt, rechtfertigt die Annahme der Regelgebühr. Da der Kläger diese Kosten bislang nicht an seine Prozessbevollmächtigten gezahlt hat, besteht ein Anspruch auf Freistellung gegenüber der Beklagten.
(6) Die geltend gemachten Zinsansprüche sind ebenfalls begründet.
Der Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4% aus 4.187,68 € für die Zeit vom 29.8.2024 bis zum 5.10.2024 ergibt sich aus § 849 BGB, da die Entziehung der Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs infolge der Beschädigung einen Vermögensnachteil darstellt, für den ab dem Folgetag des Unfalls Zinsen zu zahlen sind.
Die Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 4.880,98 € für die Zeit vom 6.10.2024 bis zum 30.12.2024 resultieren aus dem Schuldnerverzug der Beklagten gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat die Beklagte mit Schreiben vom 09.09.2024 und 25.09.2024 zur Zahlung aufgefordert und eine Frist bis zum 02.10.2024 gesetzt. Mit den weiteren Mahnungen vom 04.10.2024, 14.11.2024 und 29.11.2024 ist der Verzug der Beklagten jedenfalls am 06.10.2024 eingetreten.
Soweit weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 2.560,96 € seit dem 31.12.2024 eingefordert werden, bezieht sich der Anspruch auf den nach der Teilleistung der Beklagten verbleibenden Restbetrag der Hauptforderung. Die Beklagte befand sich bereits im Verzug, sodass die Zinspflicht auf dem reduzierten Betrag fortbesteht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 91a Abs. 1 ZPO für den erledigten Teil. Gemäß § 91a Abs. 1 ZPO ist daher über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Da die Beklagte die Leistung erst nach Rechtshängigkeit der Klage erbracht hat und die Klage bis zur Zahlung in diesem Umfang zulässig und begründet war, fallen die Kosten dieses Teils des Rechtsstreits der Beklagten zur Last.
IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 709 ZPO.
V. Die Streitwertentscheidung begründet sich auf § 3 ZPO und berücksichtigt das verfolgte wirtschaftliche Interesse der Klage.“
LG Görlitz, Urteil vom 30.7.2025 – 1 O 408/24