Blinken reicht nicht: Gericht stellt volle Haftung des Abbiegenden fest

Das Landgericht Görlitz Außenkammer Bautzen (LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23) hat in einem Urteil klargestellt, dass ein abbiegender, wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer die volle Haftung für einen Unfall trägt, selbst wenn der vorfahrtsberechtigte Fahrer den Blinker gesetzt hat. Im zugrunde liegenden Fall fuhr der Kläger auf einer Vorfahrtsstraße und signalisierte durch (unbewusstes) Blinken ein Abbiegen, setzte dieses jedoch nicht um. Die Unfallgegnerin, die abbiegen wollte, vertraute auf das Blinken und verursachte einen Unfall. Das Gericht stellte fest, dass das Setzen des Blinkers allein nicht ausreichend ist, um dem Wartepflichtigen das Vertrauen auf eine sichere Abbiegeaktion zu gewähren. Entscheidend ist, dass der Vorfahrtsberechtigte eindeutig abbiegt oder abbremst, um eine entsprechende Vertrauensgrundlage zu schaffen. Der Wartepflichtige bleibt in der Verantwortung, die Vorfahrt zu beachten und darf nicht allein auf den Blinker vertrauen.

Dieses Urteil verdeutlicht, dass das Blinken nur ein Indiz für das Abbiegen ist und keine verbindliche Zusicherung darstellt. Der Wartepflichtige muss weiterhin sicherstellen, dass der Vorfahrtsberechtigte tatsächlich abbiegt, bevor er selbst abbiegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch

Richter am Landgericht […] als Einzelrichter

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19.06.2024 am 24.07.2024

für Recht erkannt:

1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Görlitz – Außenkammern Bautzen – vom 02.11.2023 – Az. 6 O 65/23 – bleibt aufrechterhalten.

2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.

[…]

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 09.12.2022 gegen 9:45 Uhr in Anspruch.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Kia Venga […] in Bautzen die Stieberstraße Richtung Dr.-Peter-Jordan-Straße. Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs Ford Kuga […] befuhr die Goethestraße und wollte nach rechts in die Stieberstraße einbiegen. Beide Fahrzeuge kollidierten im Einmündungsbereich. Die Stieberstraße ist mit dem Verkehrsschild: „Vorfahrtsstraße“ ausgestattet. An der Einmündung der Goethestraße zur Stieberstraße steht das Verkehrsschild „Vorfahrt gewähren“.

Der Kläger behauptet, er sei auf der vorfahrtsberechtigten Straße gefahren. Soweit er aufgrund vorher abknickenden Vorfahrt seinen Blinker noch angehabt hätte, hätte dies die Fahrerin des Ford Kuga erkannt, aber nicht auf die Abbiegeabsicht vertrauen dürfen, da er keine Geschwindigkeitsverzögerung vorgenommen habe.

[…]

Die Beklagte behauptet, die Fahrerin des Ford Kuga habe sich mit dem von ihr gesteuerten
Fahrzeug der Kreuzung Goethestraße/ Stieberstraße genähert und sei bis zur Sichtlinie vorgefahren. In diesem Moment sei von links der Kläger mit seinem Fahrzeug mit eingeschaltetem rechten Fahrtrichtungsanzeiger gekommen. In der Erwartung, der Kläger würde in die Goethestraße einbiegen, sei die Fahrerin des Ford Kuga vorgefahren, um rechts abzubiegen. Völlig überraschend habe das klägerische Fahrzeug den Abbiegevorgang plötzlich abgebrochen, um dann geradeaus weiterzufahren.

Hinsichtlich des weitergehenden Vortrags der Parteien wird auf sämtliche wechselseitig eingereichte Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

[…]

Auf der Grundlage der klägerischen Anträge ist in der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2023 ein Versäumnisurteil ergangen, gegen das die Beklagtenseite Einspruch eingelegt hatte.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist erfolglos und die Klage begründet. Das Versäumnisurteil war aufrecht zu erhalten.

[…]

Das Versäumnisurteil war aufrechtzuerhalten und die Klage abzuweisen, da der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in voller Höhe hat (§§ 7, 8, 17 StVG, 249 BGB 115 VVG).

Der Kläger befuhr die bevorrechtigte Straße. Das Vorfahrtsrecht des Klägers hat die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs missachtet. Sie konnte sich dabei nicht auf ein vertrauensbildendes Verhalten der Klägerseite berufen.

Da sich beide Fahrzeugführer nicht ideal verhalten haben, so dass der Unfall für beide Seiten nicht unvermeidbar war, sind die gegenseitigen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen.

Die Abwägung der beidseitigen Verursachungsbeiträge ergibt, dass die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs den Unfall allein verursacht hat und eine mögliche Betriebsgefahr des vorfahrtsberechtigten durch die Vorfahrtsverletzung zurücktritt.

Der Wartepflichtige hat die Vorfahrt des Berechtigten zu gewähren. Er muss sich entsprechend verhalten, so dass für den Vorfahrtsberechtigten klar ist, dass er die Vorfahrt beachten werde (§ 8 Abs. 2 StVO). Der Wartepflichtige darf nur dann in die Vorfahrtstraße einfahren, wenn er übersehen kann, dass er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Den Wartepflichtigen trifft insoweit eine gesteigerte Sorgfalt, die bedingt, dass er auch mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen muss und somit regelmäßig nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf (OLG Dresden, Beschluss vom 24. April 2014 – 7 U 1501/13 –, Rn. 7, m.w.N., juris)

Der Wartepflichtige darf nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt (OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2014 – 7 U 1876/13 –, Rn. 3, juris). Erforderlich ist, dass neben dem Blinken zumindest ein weiteres deutliches Anzeichen dafür gegeben ist, dass der Vorfahrtberechtigte tatsächlich vor dem Wartepflichtigen abbiegt.

Ein solches deutliches weiteres Anzeichen, dass der Kläger vor der Beklagtenseite abbiegen wird, ist nicht ersichtlich. Dies folgt auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, die ein weiteres Anzeichen für einen bevorstehenden Abbiegevorgang nicht behauptet. Die Mitteilung, dass der Abbiegevorgang abgebrochen ist, ist hierfür keine ausreichende Behauptung. Das Gericht sah sich nach der Einlassung des Klägers daher nicht gehalten, eine weitere Beweisaufnahme durchzuführen, da sie lediglich ein Ausforschungsbeweis zugunsten der Beklagtenseite darstellen würde. Eine solche Beweisführung ist unzulässig.

Dieses Ergebnis geht zu Lasten der Klägerseite, da der Wartepflichtige den Anschein der schuldhaften Vorfahrtsverletzung gegen sich hat (vgl. Hentschel/König/Dauer, Rn.: 68 zu § 8 StVO). Wie oben ausgeführt, konnte die Beklagtenseite diesen Anschein durch ihren Vortrag nicht erschüttern.

Über den Hilfsantrag hatte das Gericht nicht zu befinden, da eine Haftung der Beklagtenseite in voller Höhe festgestellt worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last, da sie im Prozess unterliegt. Die Kosten des Rechtsstreits fallen insgesamt der Beklagtenseite zur Last, unabhängig davon, ob sie zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit oder erst nach Rechtshängigkeit gezahlt hat.

In beiden Fällen hat sie die Kosten des Rechtsstreits nach den obigen Erwägungen zu tragen. Es macht insofern auch kein Unterschied, ob die Klage zurückgenommen ist oder für erledigt erklärt hat, da durch das Versäumnisurteil keine Kostenreduzierung durch die Klagerücknahme bzw. eine Erledigungserklärung stattgefunden hätte (§§ 91, 269 Abs. 3, S. 3 ZPO).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 u. 3 ZPO).

Die Wertfestsetzung des Streitgegenstandes ergibt sich aus der Höhe der jeweiligen Klageforderung (§§ 48 Abs. 1, 39 GKG, 3, 4 ZPO).“

LG Görlitz, Urteil vom 24. Juli 2024 – 6 O 65/23

Anscheinsbeweis bei Vorfahrtsverletzung und Nutzungsausfallentschädigung bei fiktiver Abrechnung

Nach dem Urteil des Amtsgerichts Bautzen (AG Bautzen, Urteil vom 2.11.2022 – 22 C 141/22) spricht ein Anscheinsbeweis gegen einen Unfallbeteiligten, der einen Vorfahrtsverstoß begeht. Zudem kann ein Geschädigter im Rahmen einer fiktiven Abrechnung des Wiederbeschaffungsaufwandes eine Nutzungsausfallentschädigung verlangen. Im Weiteren spricht für den fahrzeugführenden Besitzer eine Eigentumsvermutung. Dies gilt umso mehr, wenn die Haftpflichtversicherung des Schädigers ohne Einwendungen gegen die Eigentümerstellung außergerichtlich Zahlungen geleistet wurden.

Aus den Entscheidungsgründen:

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

[…]

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Frings & Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden, Gz.: […]

gegen

[…] Versicherung […]

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
[…]

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Bautzen […]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2022 am 02.11.2022

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.005,16 € nebst Zinsen in
Höhe von 4 % aus 2.381,49 € für die Zeit vom 26.1.2022 bis zum 9.2.2022,
weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
nach § 247 BGB aus 2.609,49 € seit dem 10.2.2022 bis zum 23.3.2022 sowie
weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
nach § 247 BGB aus 1.005,16 € seit dem 24.3.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 263,31 € aus der Rechnung […] freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 25.01.2022, gegen 15:15 Uhr in Schirgiswalde-Kirschau, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 85 % und der Kläger 15%.
6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf 1.559,08 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis.

Der Kläger befuhr am 25.01.2022 gegen 15:15 Uhr, aus Richtung Bautzen kommend, in Schirgiswalde-Kirschau die Bautzener Straße, eine im Bereich der in Fahrtrichtung des Klägers rechts einmündenden Wilthener Straße nach links abbiegende Hauptstraße. Der Kläger fuhr mit dem Pkw Skoda Octavia […] den Kreuzungsbereich, als es zum Zusammenstoß mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Golf […] welches von der Zeugin K[…] geführt wurde, kam. Infolge des Zusammenstoßes beider Fahrzeuge entstand an dem vom Kläger geführten Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von 7.985,91 € (netto). Der Wiederbeschaffungswert eines gleichwertigen Fahrzeuges beträgt 4.380,49 € (netto), der Restwert 1.999,00 € (brutto). Für ein vom Kläger eingeholtes vorgerichtliches Sachverständigengutachten fielen Kosten in Höhe von 789,92 € an, die der Kläger noch nicht beglichen hat. Vorgerichtlich leistete die Beklagte an den Kläger 2.130,94 € wobei jeweils 2/3 des Wiederbeschaffungsaufwandes sowie der Gutachterkosten und 16,67 € für eine Unkostenpauschale gezahlt wurden. In dem vorgerichtlichen Sachverständigengutachten wird eine Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen angesetzt. Der Kläger ließ ca. 1 Woche nachdem Unfall den Blechschaden an dem Pkw Skoda notdürftig reparieren und erhielt daraufhin für das Fahrzeug vom TÜV die Zulassung zur Teilnahme am Straßenverkehr. Seitdem nutzt der Kläger sein Fahrzeug wieder.

Mit Schriftsatz vom 31.01.2022 machte der Kläger gegenüber der Beklagten seine restlichen Schadensersatzforderungen unter Fristsetzung bis zum 07.02.2022 geltend.

Der Kläger behauptet, er sei Eigentümer des von ihm zum Unfallzeitpunkt geführten Fahrzeuges. Er habe bereits vor der Kreuzung in Fahrtrichtung links geblinkt. Für die Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen stehe dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung Nutzungsausfallentschädigung in Flöhe von 29,00 € pro Tag zu.


Der Kläger beantragt,

1. an den Kläger 1208,16 € nebst Zinsen in Höhe von 4% aus 2381,49 € für die Zeit vom 26.1.2022 bis zum 9.2.2022, weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach §247 BGB aus 2812,49 € seit dem 10.2.2022 bis zum 23.3.2022 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach §247 BGB aus 1208,16 € seit dem 24.3.2022 zu zahlen,

2. den Kläger gegenüber dem Sachverständigenbüro […] von Forderungen in Höhe von 263,31 € […] freizustellen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist die weiteren Kosten des Klägers zu tragen, die sich aufgrund des Verkehrsunfalls am 25.01.2022, gegen 15:15 Uhr in Schirgiswalde-Kirschau, insbesondere der Schadensbehebung ergeben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte habe in der Anfahrt an die spätere Unfallstelle nach rechts geblinkt sowie seine Fahrgeschwindigkeit verringert und damit angezeigt, dass er in die Wilthener Straße habe abbiegen wollen. Dem Beklagten fehle der Nutzungswille, da er bisher kein Ersatzfahrzeug angeschafft habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben zum Unfallhergang durch Einvernahme der Zeuginnen K[…] und L[…]. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2022 verwiesen. Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere auch ein Feststellungsinteresse des Klägers beinhaltende, Klage ist überwiegend begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls vom 25.01.2022, den die Zeugin K[…] allein verursacht hat, weiteren Schadenersatz in Höhe von 1.005,16 € gemäß §§ 7 Abs. 1.9, 18 Abs. 1 StVG, § 1 PflVG, §§ 823 Abs. 1, 249 BGB beanspruchen.

1. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Gemäß § 1006 Abs. 1 BGB streitet die Eigentumsvermutung des Besitzers für den das Fahrzeug zum Unfallfahrzeug führenden Kläger. Die Beklagte hat nämlich vorgerichtlich bereits erhebliche Zahlungen an den Kläger geleistet und damit seine Anspruchsberechtigung und die dem zugrundeliegende Eigentümerstellung anerkannt. Die Beklagte hat im Prozess die Eigentümerstellung lediglich mit Nichtwissen bestritten, was in Anbetracht des vorgerichtlichen Verhaltens der Beklagten nicht ausreichend war. Substantiierte Einwände gegen die Eigentümerstellung des Klägers hat die Beklagte nicht vorgebracht.

2. Die Beklagte haftet für den von der Zeugin K[…] verursachten Unfall allein. Für den Kläger war das Unfallereignis zwar kein unabwendbares Ereignis, jedoch tritt die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges hinter das erhebliche verschulden der Zeugin K[…] zurück. Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der gegen die Beklagte sprechende Anscheinsbeweis eines Vorfahrtsverstoßes der Zeugin K[…] nicht erschüttert wurde. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Beklagte hätte nachweisen können, dass der Kläger vor dem Einfahren des Kreuzungsbereiches seine Fahrtrichtungsanzeiger nach rechts gesetzt und damit die Absicht, nach rechts Abbiegen zu wollen, angedeutet hätte. Diesen gegen den Vorfahrtspflichtigen sprechenden Anscheinsbeweis eines Vorfahrtsverstoßes gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 StVO hat die Beklagte nicht erschüttern können, denn das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass die Zeugin K[…] eine entsprechende Wahrnehmung gemacht hat. Zwar hat sie dies in Ihrer Vernehmung so angegeben. Allerdings haben sowohl der Kläger in seiner Anhörung, als auch die Unfallzeugin L[…] in Ihrer Vernehmung Gegenteiliges vorgebracht, nämlich dass der Fahrtrichtungsanzeiger des klägerischen Fahrzeuges nach links gesetzt war. Bei der Zeugin L[…] handelt es sich um eine unbeteiligte Unfallzeugin, die glaubhaft ihre Wahrnehmung geschildert hat. Dieser Aussage folgt das Gericht. Der gegenteiligen Aussage der Zeugin K[…] vermag das Gericht dagegen nicht zu folgen. Die Zeugin hat ein eigenes Interesse einer ihr günstigen Darstellung des Unfallgeschehens. Sie hat zudem ausgesagt, dass die Zeugin L[…] bereits an der Unfallstelle angegeben habe, dass der Kläger nach links geblinkt hat. Diesen Widerspruch hat die Aussage der Zeugin K[…] nicht aufzuklären vermocht. Vielmehr spricht dies für die Konstanz der Angabe der Zeugin K[…].

3. Dies führt dazu, dass die Beklagte einen restlichen Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 793,83 € sowie die restliche Unkostenpauschale in Höhe von 8,33 € zu erstatten hat. Daneben hat sie den Kläger von vorgerichtlichen Sachverständigen Kosten in Höhe von weiteren 263,31 € freizustellen.

Nutzungsausfallentschädigung hat die Beklagte allerdings nur in Höhe von 203,00 € zu erstatten. Dies folgt daraus, dass der Kläger eigenen Angaben nach das Fahrzeug eine Woche nach dem Unfall wieder in einen verkehrstüchtigen Zustand versetzt hat und das Fahrzeug seitdem Nutzen kann. Die Überlegens- und Anschaffungsfrist für ein Ersatzfahrzeug war spätestens zum Zeitpunkt der Notreparatur abgelaufen. Für die spätere Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges kann der Kläger das Unfallfahrzeug nutzen. Insofern fehlt es an einer Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit, die über die Dauer von einer Woche hinaus geht. Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf 29,00 € pro Tag.

4. Der Feststellungsantrag ist begründet. Der Kläger hat insofern vorgetragen, dass er eine Ersatzbeschaffung beabsichtigt, für die er wird Mehrwertsteuer aufwenden müssen. Diese ist als Unfallschaden nach § 249 Abs. 2 BGB zu ersetzen, jedoch erst mit ihrem Anfall.

5. Die zugesprochenen Zinsen schuldet die Beklagte gemäß §§ 849, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Spätestens am 10.02.2022 befand sich die Beklagte in Verzug.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.“

AG Bautzen, Urteil vom 2.11.2022 – 22 C 141/22