Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens durch Staatskasse bei Einstellung wegen Eintritt der Verfolgungsverjährung

Durch das Amtsgericht Hannover (AG Hannover, Beschluss vom 19.7.2023 – 265 OWi 7752 Js 60989/23 (520/23)) wurde entschieden, dass bei einer Einstellung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses aufgrund des Eintritts der Verfolgungsverjährung die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich von der Landeskasse zu erstatten sind.

Der Betroffene wurde beschuldigt, als verantwortlicher Aufsichtspflichtiger bei Brückenbauarbeiten fahrlässig Unfallverhütungsvorschriften verletzt zu haben. Die Verjährungsfrist betrug in diesem Fall zwei Jahre. Das Verfahren wurde eingestellt, weil die Verfolgungsverjährung bereits vor der Übergabe des Verfahrens an das Amtsgericht Hannover eingetreten war.

Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen beruhte auf § 467 Abs. 1 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO) i.V.m. § 46 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Es wurde festgestellt, dass aufgrund des bisherigen Verfahrensverlaufs nicht prognostiziert werden konnte, dass der Betroffene ohne das Vorliegen des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit verurteilt worden wäre. Daher wurde entschieden, dass die Kosten und Auslagen von der Staatskasse getragen werden sollten.

Aus den Entscheidungsgründen:

Beschluss

In der Bußgeldsache gegen

[…]

Verteidiger: Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden

wegen sonstiger Ordnungswidrigkeit

wird das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses gem. § 206 a StPO i.V.m. § 46 OWiG eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:
Mit den Bußgeldbescheiden wird dem Betroffenen vorgeworfen, als verantwortlicher Aufsichtspflichtiger (Polier) bei der Durchführung von Brückenbauarbeiten jeweils fahrlässig Unfallverhütungsvorschriften verletzt zu haben, indem insbesondere die erforderlichen Absturzeinrichtungen nicht vorhanden waren, wodurch Mitarbeiter einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt wurden.
Die beiden miteinander verbundenen Verfahren sind einzustellen, weil die Tatvorwürfe verjährt sind. Die Verfolgungsverjährung ist bereits vor Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Hannover eingetreten und es liegt somit ein in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrenshindernis vor.
Die Verjährungsfrist beträgt, da lediglich Fahrlässigkeit vorgeworfen wird und Vorsatz hier nicht in Betracht kommt, in beiden Fällen zwei Jahre: § 209 Abs. 3 SGB VII sieht eine Bußgeldandrohung von bis zu 10.000,00 Euro bei Vorsatz vor. Nach § 17 Abs. 2 OWiG beträgt die Bußgeldandrohung bei Fahrlässigkeit nur 5.000,00 Euro. Nach § 31 Abs. 2 Ziff. 2 OWiG beträgt die Verjährungsfrist somit zwei Jahre.
Tatzeit ist der 20.08.2020 bzw. der 02.07.2020. Die Verjährung ist zunächst durch das Anhörungsschreiben vom 07.12.2020 bzw. 15.12.2020 und sodann durch den Erlass der Bußgeldbescheide am jeweils 21.05.2021 unterbrochen worden, so dass die Verjährung bis zum Ablauf des 20.05.2023 unterbrochen war.
Eine erneute rechtzeitige Unterbrechung der Verjährungsfrist vor diesem Zeitpunkt ist nicht eingetreten.
Die Akten sind durch die Verwaltungsbehörde erst am 27.04.2023 – ohne Hinweis auf den drohenden Ablauf der Verjährungsfrist – an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden, wo sie am 28.04.2023 eingegangen sind.
Nach Eintragungsverfügung der Staatsanwaltschaft am 17.05.2023 sind die Akten nach dem Eingangsstempel erst am 15.06.2023 bei dem Amtsgericht Hannover eingegangen (Unterbrechung der Verjährung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG).
Die Verjährung ist damit nicht rechtzeitig innerhalb von zwei Jahren erneut unterbrochen worden.
Die Kosten- und auch die Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Für eine abweichende Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StPO war kein Raum. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO können zwar bereits dann erfüllt sein, wenn bei dem bei Feststellung des Verfahrenshindernisses gegebenen Verfahrensstand ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Durchführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen (BGH, 5. November 1999, StB 1/99, NStZ 2000, 330; OLG Frankfurt, 17. April 2002, 2 Ws 16/02, NStZ-RR 2002, 246; OLG Hamm, 26. Oktober 2000, 5 Ws 216/00, VRS 100, 52 (2001) und OLG Köln, 30. Oktober 1990, 2 Ws 528/90, NJW 1991, 506; OLG Hamm, Beschluss vom 07. April 2010 – 2 Ws 60/10 –, jurisOLG Rostock, Beschluss vom 15. Januar 2013 – I Ws 342/12 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Oktober 2000 – 5 Ws 216/00 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 02. Dezember 2011 – 1 Ws 82/11 –, juris). Der Gegenmeinung, wonach eine Versagung der Auslagenerstattung nur in Betracht kommt, wenn bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit eine Verurteilung erfolgt wäre (vgl. KG NJW 1994, 600; StraFO 2005, 483; OLG Düsseldorf OLGSt Nr. 9 = NStZ-RR 1997, 288), ist nicht zu folgen, weil eine solche Auslegung den Anwendungsbereich der Vorschrift wegen der mit Blick auf die Unschuldsvermutung erforderlichen Schuldspruchreife auf Fälle beschränkt, in denen ein Verfahrenshindernis erst in der Hauptverhandlung nach dem letzten Wort eines Angeklagten zu Tage tritt (BGH NStZ 2000, 330, 331; OLG Hamm VRS 100, 52, 54). Bei Einstellungen vor vollständiger Durchführung der Hauptverhandlung wäre demnach ein Absehen von der Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse von vornherein ausgeschlossen. Für die praktische Anwendung der Norm bliebe, ohne dass dies dem Wortlaut des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO zu entnehmen wäre, nur ein äußerst begrenzter Raum (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 286, 287). Für ein Anknüpfen bei der Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO an die bei Feststellung des Verfahrenshindernisses gegebene Verdachtslage spricht zudem der Umstand, dass auch im Rahmen der bei Ermessenseinstellungen nach § 467 Abs. 4 StPO zu treffenden Auslagenentscheidungen maßgeblich auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt wird (vgl. Meyer – Goßner, a.a.O., § 467, Rdnr. 19 m.w.N). Die Unschuldsvermutung schließt nicht aus, in einer das Strafverfahren beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können darum auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden. Allerdings muss dabei aus der Begründung deutlich hervorgehen, dass es sich nicht um eine gerichtliche Schuldfeststellung oder -zuweisung handelt, sondern nur um die Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage (BVerfG NStZ 1992, 289, 290; BGH NStZ 2000, 330, 331).
Vorliegend kann aber aufgrund des bisherigen Verfahrensgangs nicht die Prognose getroffen werden, dass der Betroffene ohne das Vorliegen des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit verurteilt worden wäre. Zwar lag das Verfahrenshindernis bei Erlass des Bußgeldbescheides – und auch bei der Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft – noch nicht vor und anhand der Akten- und Beweislage lässt sich ein Tatverdacht bejahen. Gleichwohl kann nach Aktenlage nicht hinreichend sicher von einer Verurteilungswahrscheinlichkeit ausgegangen werden, denn der Betroffene hat sich darauf berufen, dass zum Zeitpunkt der Kontrollen keine Mitarbeiter des durch ihn vertretenen Unternehmens, sondern lediglich Subunternehmer auf den betroffenen Abschnitten der Baustellen eingesetzt waren. Die Frage, ob sich dies mit den durch die Aufsichtsbeamten der BG Bau getroffenen Feststellungen vereinbaren lässt, wäre nur im Rahmen einer Beweisaufnahme zu klären. Eine Beweiserhebung im Rahmen des Verfahrens über die Kosten verbietet sich jedoch (vg. Etwa LG Düsseldorf, Beschluss vom 31. August 2009 – 61 Qs 76/09 –, juris).“

AG Hannover, Beschluss vom 19.7.2023 – 265 OWi 7752 Js 60989/23 (520/23)