Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens durch Staatskasse bei Einstellung wegen Eintritt der Verfolgungsverjährung

Durch das Amtsgericht Hannover (AG Hannover, Beschluss vom 19.7.2023 – 265 OWi 7752 Js 60989/23 (520/23)) wurde entschieden, dass bei einer Einstellung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses aufgrund des Eintritts der Verfolgungsverjährung die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich von der Landeskasse zu erstatten sind.

Der Betroffene wurde beschuldigt, als verantwortlicher Aufsichtspflichtiger bei Brückenbauarbeiten fahrlässig Unfallverhütungsvorschriften verletzt zu haben. Die Verjährungsfrist betrug in diesem Fall zwei Jahre. Das Verfahren wurde eingestellt, weil die Verfolgungsverjährung bereits vor der Übergabe des Verfahrens an das Amtsgericht Hannover eingetreten war.

Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen beruhte auf § 467 Abs. 1 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO) i.V.m. § 46 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Es wurde festgestellt, dass aufgrund des bisherigen Verfahrensverlaufs nicht prognostiziert werden konnte, dass der Betroffene ohne das Vorliegen des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit verurteilt worden wäre. Daher wurde entschieden, dass die Kosten und Auslagen von der Staatskasse getragen werden sollten.

Aus den Entscheidungsgründen:

Beschluss

In der Bußgeldsache gegen

[…]

Verteidiger: Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Obergraben 7/9, 01097 Dresden

wegen sonstiger Ordnungswidrigkeit

wird das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses gem. § 206 a StPO i.V.m. § 46 OWiG eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:
Mit den Bußgeldbescheiden wird dem Betroffenen vorgeworfen, als verantwortlicher Aufsichtspflichtiger (Polier) bei der Durchführung von Brückenbauarbeiten jeweils fahrlässig Unfallverhütungsvorschriften verletzt zu haben, indem insbesondere die erforderlichen Absturzeinrichtungen nicht vorhanden waren, wodurch Mitarbeiter einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt wurden.
Die beiden miteinander verbundenen Verfahren sind einzustellen, weil die Tatvorwürfe verjährt sind. Die Verfolgungsverjährung ist bereits vor Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Hannover eingetreten und es liegt somit ein in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrenshindernis vor.
Die Verjährungsfrist beträgt, da lediglich Fahrlässigkeit vorgeworfen wird und Vorsatz hier nicht in Betracht kommt, in beiden Fällen zwei Jahre: § 209 Abs. 3 SGB VII sieht eine Bußgeldandrohung von bis zu 10.000,00 Euro bei Vorsatz vor. Nach § 17 Abs. 2 OWiG beträgt die Bußgeldandrohung bei Fahrlässigkeit nur 5.000,00 Euro. Nach § 31 Abs. 2 Ziff. 2 OWiG beträgt die Verjährungsfrist somit zwei Jahre.
Tatzeit ist der 20.08.2020 bzw. der 02.07.2020. Die Verjährung ist zunächst durch das Anhörungsschreiben vom 07.12.2020 bzw. 15.12.2020 und sodann durch den Erlass der Bußgeldbescheide am jeweils 21.05.2021 unterbrochen worden, so dass die Verjährung bis zum Ablauf des 20.05.2023 unterbrochen war.
Eine erneute rechtzeitige Unterbrechung der Verjährungsfrist vor diesem Zeitpunkt ist nicht eingetreten.
Die Akten sind durch die Verwaltungsbehörde erst am 27.04.2023 – ohne Hinweis auf den drohenden Ablauf der Verjährungsfrist – an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden, wo sie am 28.04.2023 eingegangen sind.
Nach Eintragungsverfügung der Staatsanwaltschaft am 17.05.2023 sind die Akten nach dem Eingangsstempel erst am 15.06.2023 bei dem Amtsgericht Hannover eingegangen (Unterbrechung der Verjährung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG).
Die Verjährung ist damit nicht rechtzeitig innerhalb von zwei Jahren erneut unterbrochen worden.
Die Kosten- und auch die Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Für eine abweichende Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StPO war kein Raum. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO können zwar bereits dann erfüllt sein, wenn bei dem bei Feststellung des Verfahrenshindernisses gegebenen Verfahrensstand ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Durchführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen (BGH, 5. November 1999, StB 1/99, NStZ 2000, 330; OLG Frankfurt, 17. April 2002, 2 Ws 16/02, NStZ-RR 2002, 246; OLG Hamm, 26. Oktober 2000, 5 Ws 216/00, VRS 100, 52 (2001) und OLG Köln, 30. Oktober 1990, 2 Ws 528/90, NJW 1991, 506; OLG Hamm, Beschluss vom 07. April 2010 – 2 Ws 60/10 –, jurisOLG Rostock, Beschluss vom 15. Januar 2013 – I Ws 342/12 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Oktober 2000 – 5 Ws 216/00 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 02. Dezember 2011 – 1 Ws 82/11 –, juris). Der Gegenmeinung, wonach eine Versagung der Auslagenerstattung nur in Betracht kommt, wenn bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit eine Verurteilung erfolgt wäre (vgl. KG NJW 1994, 600; StraFO 2005, 483; OLG Düsseldorf OLGSt Nr. 9 = NStZ-RR 1997, 288), ist nicht zu folgen, weil eine solche Auslegung den Anwendungsbereich der Vorschrift wegen der mit Blick auf die Unschuldsvermutung erforderlichen Schuldspruchreife auf Fälle beschränkt, in denen ein Verfahrenshindernis erst in der Hauptverhandlung nach dem letzten Wort eines Angeklagten zu Tage tritt (BGH NStZ 2000, 330, 331; OLG Hamm VRS 100, 52, 54). Bei Einstellungen vor vollständiger Durchführung der Hauptverhandlung wäre demnach ein Absehen von der Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse von vornherein ausgeschlossen. Für die praktische Anwendung der Norm bliebe, ohne dass dies dem Wortlaut des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO zu entnehmen wäre, nur ein äußerst begrenzter Raum (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 286, 287). Für ein Anknüpfen bei der Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO an die bei Feststellung des Verfahrenshindernisses gegebene Verdachtslage spricht zudem der Umstand, dass auch im Rahmen der bei Ermessenseinstellungen nach § 467 Abs. 4 StPO zu treffenden Auslagenentscheidungen maßgeblich auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt wird (vgl. Meyer – Goßner, a.a.O., § 467, Rdnr. 19 m.w.N). Die Unschuldsvermutung schließt nicht aus, in einer das Strafverfahren beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können darum auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden. Allerdings muss dabei aus der Begründung deutlich hervorgehen, dass es sich nicht um eine gerichtliche Schuldfeststellung oder -zuweisung handelt, sondern nur um die Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage (BVerfG NStZ 1992, 289, 290; BGH NStZ 2000, 330, 331).
Vorliegend kann aber aufgrund des bisherigen Verfahrensgangs nicht die Prognose getroffen werden, dass der Betroffene ohne das Vorliegen des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit verurteilt worden wäre. Zwar lag das Verfahrenshindernis bei Erlass des Bußgeldbescheides – und auch bei der Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft – noch nicht vor und anhand der Akten- und Beweislage lässt sich ein Tatverdacht bejahen. Gleichwohl kann nach Aktenlage nicht hinreichend sicher von einer Verurteilungswahrscheinlichkeit ausgegangen werden, denn der Betroffene hat sich darauf berufen, dass zum Zeitpunkt der Kontrollen keine Mitarbeiter des durch ihn vertretenen Unternehmens, sondern lediglich Subunternehmer auf den betroffenen Abschnitten der Baustellen eingesetzt waren. Die Frage, ob sich dies mit den durch die Aufsichtsbeamten der BG Bau getroffenen Feststellungen vereinbaren lässt, wäre nur im Rahmen einer Beweisaufnahme zu klären. Eine Beweiserhebung im Rahmen des Verfahrens über die Kosten verbietet sich jedoch (vg. Etwa LG Düsseldorf, Beschluss vom 31. August 2009 – 61 Qs 76/09 –, juris).“

AG Hannover, Beschluss vom 19.7.2023 – 265 OWi 7752 Js 60989/23 (520/23)

Bei Zustellung eines Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO, welches noch keine Entscheidungsgründe enthält, können die Entscheidungsgründe durch das Gericht nicht nachgeholt werden

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden (OLG Dresden, Beschluss vom 29.6.2016 – OLG 23 Ss 398/16 (B)) können bei einer Zustellung eines Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO, welches noch keine Entscheidungsgründe enthält, die Entscheidungsgründe durch das Gericht nicht nachgeholt werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

gegen[…]

Verteidiger:
Rechtsanwalt Stephan M. Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der Bußgeldsenat – der Einzelrichter – des Oberlandesgerichts Dresden am 29.06.2016

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 23. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgerichts Zittau zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Urteil vom 23. Februar 2016 hat das Amtsgericht Zittau den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 160,00 € verurteilt sowie ein Fahrverbot gegen Ihn für die Dauer von einem Monat verhängt.

Hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit der Verfahrens- sowie der Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Das angefochtene Urteil war auf die Sachrüge aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Zittau zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Stellungnahme vom 22. Juni 2016 hierzu wie folgt ausgeführt:

„Das Amtsgericht Zittau hat den Betroffenen am 23. Februar 2016 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h zu einer Geldbuße von 160,00 EUR verurteilt. Gleichzeitig verhängte das Amtsgericht gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat und ordnete an, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten nach Ein tritt der Rechtskraft.

Mit Verfügung vom selben Tag übersandte der erkennende Richter die Akten an die Staatsanwaltschaft Görlitz zur Zustellung gemäß § 41 StPO. Aus dem zu diesem Zeitpunkt in den Akten befindlichen und vom Richter unterzeichneten Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich der vollständige Urteilstenor des am 23. Februar 2016 verkündeten Urteils.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Zittau legte der Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 24. Februar 2016, eingegangen beim Amtsgericht Zittau am selben Tag, Rechtsbeschwerde ein.

Am 17. März 2016 brachte das Amtsgericht ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten und verfügte zugleich dessen Zustellung an den Betroffenen sowie dessen Verteidiger. […] Der Verteidiger des Betroffenen begründete die Rechtsbeschwerde […]. Der Betroffene rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – vorläufigen – Erfolg, weil das der Staatsanwaltschaft gemäß richterlicher Verfügung vom 23. Februar 2016 zugestellte Urteil entgegen § 71 OWiG i. V. m. § 267 StPO keine Gründe aufgewiesen hat und damit dem Rechtsbeschwerdegericht eine materiell-rechtliche Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt ist. Eine Ergänzung durch die am 17. März 2016 zu den Akten gebrachten schriftlichen Urteilsgründe war vorliegend unzulässig. 

1.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge hin zu prüfen, ob nach der am 23. Februar 2016 erfolgten Zustellung eines Urteils ohne Gründe an die Staatsanwaltschaft die Fertigung der am 17. März 2016 und damit innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe zulässig war – ohne dass es einer entsprechenden Verfahrensrüge bedarf –, weil von der Klärung dieser Frage abhängt, welcher Urteilstext auf die Sachrüge hin vom Rechtsbeschwerdegericht auf materiell-rechtliche Fehler überprüft werden soll (OLG Bamberg, ZfS 2006, 592; OLG Köln, VRS 63, 460; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2004, 121; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Mai 2016 – 23 Ss 223/16 [B]). 

2.

Im Bußgeldverfahren ist, wie auch im Strafverfahren, unabhängig von der Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO die nachträgliche Ergänzung eines nicht mit Gründen versehenen, also abgekürzten Urteils bzw. die nachträgliche Fertigung schriftlicher Urteilsgründe grundsätzlich unzulässig, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist; dieser Grundsatz gilt nur dann nicht, wenn das Gesetz entsprechende Ausnahmen zulässt (vgl. BGHSt 43, 23; BayObLG ZfS 2004, 382; OLG Bamberg a.aO.; OLG Brandenburg, a.a.O.).

Für das Bußgeldverfahren regelt § 77 b OWiG, unter welchen Voraussetzungen eine schriftliche Begründung des Urteils nachträglich zu den Akten gebracht werden kann. 

3.

Im vorliegenden Fall hat auf Veranlassung des Tatrichters ein nicht mit Gründen versehenes, also abgekürztes Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen, ohne dass die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG gegeben waren.

a)

Mit der in der Verfügung vom 23. Februar 2016 getroffenen Anordnung der Übersendung der Akten mit Hauptverhandlungsprotokoll und unterzeichnetem Urteilsformular an die Staatsanwaltschaft zur Zustellung gemäß § 41 StPO hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe eines Urteils In eben dieser, nicht mit Gründen versehenen Fassung entschieden (vgl. OLG Gelle, VRS 75, 461; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 212; OLG Brandenburg, a.aO.; OLG Bamberg, a.a.O.). Damit hat ein schriftliches Urteil ohne Gründe den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen hin in Erscheinung getreten. Da der Tatrichter das Hauptverhandlungsprotokoll mit dem unterzeichneten Urteil der Staatsanwaltschaft in der Urschrift ausdrücklich unter Berufung auf § 41 StPO und somit für den Empfänger eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.; BGHSt 58, 243). 

b)

Die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG für ein Absehen von Urteilsgründen waren bereits deswegen nicht gegeben, weil nicht alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet hatten, die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde für den Betroffenen noch nicht abgelaufen und ein Verzicht des Betroffenen gemäß § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG auch nicht entbehrlich war. Eine entsprechende Anwendung des § 77b OWiG kommt nach Sinn, Zweck und Regelungsgehalt dieser Norm vorliegend nicht zur Anwendung (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15. Januar 2009 – 3 Ss OWi 1610/08, 3 Ss OWi 1610/2008-, juris).

4.

Da somit die am 17. März 2016 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe unbeachtlich sind, das – maßgebliche – der Staatsanwaltschaft am 23. Februar 2016 zugegangene Urteil aber keine Gründe enthält, somit dem Rechtsbeschwerdegericht keine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler ermöglicht, unterliegt es allein deswegen der Aufhebung.“ 

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Bei Mitteilung des toleranzbereinigten Messwertes ist es jedenfalls tunlich, auch die Höhe des konkret berücksichtigten Toleranzwertes mitzuteilen.

Ein standardisiertes Messverfahren liegt nicht mehr vor, wenn bei Aufbau oder Bedienung gegen die Bedienungsanleitung oder Vorschriften der Bauartzulassung durch die PTB verstoßen wird. Sollte daher das Verbindungskabel zwischen Rechner und Bedieneinheit die mit der Gerätezulassung vorgeschriebene Länge von maximal drei Metern überschritten haben, so läge ein standardisiertes Messverfahren nicht mehr vor. Dies allein führt jedoch grundsätzlich nicht zu einem Verwertungsverbot des Messergebnisses. Vielmehr ist das dem Verfahren zugrundeliegende Messergebnis gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen zu überprüfen. Im Übrigen hat das Amtsgericht zutreffend auf eine Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 zu möglichen Auswirkungen der Kabellänge Bezug genommen. Insoweit ist obergerichtlich geklärt, dass es vor diesem Hintergrund nicht rechtsfehlerhaft ist, wenn das Amtsgericht sich aufgrund der Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 die Überzeugung davon verschafft, dass bei der hier Im Raum stehenden geringfügigen Überschreitung der Kabellänge kein Einfluss auf das Messergebnis zu erwarten ist (vgl. insoweit OLG Celle, Beschluss vom 21. April 2016, 2 Ss OWi 82/16).“

OLG Dresden, Beschluss vom 29.6.2016 – OLG 23 Ss 398/16 (B)

Keine Ahndung von Verstößen gegen § 2 Abs. 2 Nr. 10 SächsNSG

Durch das Amtsgericht Bautzen (AG Bautzen, Beschluss vom 25.1.2009 – 43 OWi 250 Js 319/09) wurde entschieden, dass eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 Nr. 10 SächsNSG in Form einer Duldung von Rauchern in einem gesonderten Nebenraum in einer Spielhalle aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt, da die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 10 SächsNSG verfassungswidrig ist. Das Gericht stellte fest, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes und der Berufsfreiheit nicht erfüllt sind, da Spielhallenbetreiber gegenüber Gaststättenbetreibern ungleich behandelt werden. Dies erfordert eine gesetzliche Neuregelung, die die Möglichkeit schafft, abgetrennte Raucherbereiche auch in Spielhallen einzurichten.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Vom Vorwurf des Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 Nr. 10 SächsNSG ist der Betroffene aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in seinem Beschluss vom 20. November 2008 (Az: Vf. 63-IV-08 (HS)) die hier in Rede stehende Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 10 des Sächsischen Nichtraucherschutzgesetzes mit der Verfassung des Freistaates Sachsen als nicht vereinbar angesehen, soweit in Bezug auf Spielhallen die Möglichkeit ausgeschlossen ist, abgetrennte, als Rauchräume gekennzeichnete Nebenräume einzurichten. Die unterschiedliche Behandlung der Spielhallenbetreiber gegenüber den Betreibern von Gaststätten verletze den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und genüge daher den Anforderungen des Art 28 Abs. 1 in Verb. mit Art 19 Abs. 1 Sächsverf nicht (vgl. auch BVerfG, Urt. V. 30.07.2008; 1 BVR 3262/07, BVR 402/08, BVR 906/08 für den Fall der Diskotheken).

Unmittelbare Folge der Unvereinbarkeitsfeststellung ist, dass Verstöße gegen § 2 Abs. 1 Nr. 10 SächsNSG nicht geahndet werden dürfen (vgl. BVerfG, Urteil vom 28.01.1992, 1 BvR 1025/82 für den Fall des Frauen-Nachtarbeitsverbots). Im Blick auf den Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz ist der Gesetzgeber vielmehr zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung verpflichtet.

Dass der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen bis zu einer Entscheidung durch den Gesetzgeber die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 10 SächsNSG wegen des mit dem Sächsischen Nichtrauchergesetz verfolgten Gemeinwohl weiter für anwendbar erklärt hat (Beschl. v. 20.11.2008, a.a.0., Bl. 16), ändert hieran nichts. Denn er hat gleichzeitig im Wege der Vollstreckungsanordnung im Hinblick auf die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ausgesprochen, dass der Ausnahmetatbestand des § 3 Nr. 3 SächsNSG bis zu einer gesetzlichen Neuregelung entsprechend auch für Spielhallen gilt.

Der Betroffene war daher mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG freizusprechen.“

AG Bautzen, Beschluss vom 25.1.2009 – 43 OWi 250 Js 319/09

Siehe auch: VGH Sachsen, Beschluss vom 20.11.08 – 63-IV-08 (HS)