Zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Anfechtung der Annahme der Erbschaft bei Vorliegen einer Überschuldung des Nachlasses

Durch das Amtsgericht Lichtenberg (AG Lichtenberg, Urteil vom 18.11.2019 – 13 C 267/18) wurde über die Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Anfechtung der Annahme der Erbschaft bei Vorliegen einer Überschuldung des Nachlasses entschieden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit

Pflegeheim […] gGmbH, […]

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Frings & Höhne, Wallstraße 15, 02625 Bautzen, […]

gegen

L[…] G[…]

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte […]

hat das Amtsgericht Lichtenberg durch die Richterin am Amtsgericht […] im schriftlichen Verfahren, nach Schriftsatznachlass bis zum 28.10.2019 für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird, als Gesamtschuldner mit Frau […] N[…] verurteilt, an die Klägerin 2.322,71 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 2.785,28 € vom 23.11.2017 bis 28.11.2017 und aus 2.322,71 € seit dem 29.11.2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist eine gemeinnützige GmbH, welche mehrere Pflegeeinrichtungen betreibt.

Der Beklagte war zusammen mit seiner Schwester, der gesondert verfolgten Frau […] N[…], Vorsorgebevollmächtigter seiner Mutter, Frau B[…] G[…]. Die Aufgaben aus der Vollmacht nahm Frau N[…] wahr, welche die für Frau G[…] eingehenden Gelder verwaltete. Durch Vertrag für vollstationäre Pflegeeinrichtungen zwischen der Klägerin und Frau G[…], vertreten durch Frau N[…], bewohnte Frau G[…] die Einrichtung der Klägerin S[…]/Haus 1 und 2 in der Zeit vom 14.03.2014 bis zu ihrem Tod am 22.11.2016.

Vertraglich war die monatliche Abrechnung des Leistungsentgeltes durch die Klägerin vereinbart, welches am ersten des Monats im Voraus fällig sein sollte. Die Heimkosten wurden über die Altersrente der Frau G[…] beglichen sowie durch Leistungen nach SGB XII des Landratsamtes Bautzen, Sozialamt, wobei der Beklagte anfänglich monatliche Zuzahlungen zu erbringen hatte. Das Sozialamt leistete direkt an die Klägerin, während der zu zahlende Anteil aus der Rente der Frau G[…] nach Abrechnungen an Frau N[…], von dieser als Bevollmächtigte der Frau G[…] zu leisten war.

Für den Zeitraum 14.03.2014 bis 22.11.2016 rechnete die Klägerin über ihre Leistungen gegenüber Frau N[…] insgesamt in Höhe von 32.235,48 € ab.

Der Beklagte trug die, den Zuschuss des Sozialamtes übersteigenden Bestattungskosten für Frau G[…].

Bis zum 22.11.2017 gingen Zahlungen in Höhe von 27.414,74 € ein, weshalb ein Betrag von 4.820,74 € laut Aufstellung der Klägerin unbezahlt war. Diesen ließ die Klägerin mehrfach, auch durch ihre Prozessbevollmächtigten gegenüber Frau N[…] anmahnen.

Mit Schreiben vom 09.11.2017 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin diesen Betrag vom Beklagten als Erben der Frau G[…] an und sandte nach Anforderung vom 13.11.2017 die entsprechenden Belege zu. Mit Schreiben vom 22.11.2017 ließ der Beklagte anzeigen, die Erbschaftsannahme nach Frau G[…] anzufechten.

Bis zum 29.11.2017 leistete Frau N[…] an die Klägerin 2.498,03€ (Gesamtzahlung: 29.912,77 €), weshalb 2.322,71 € laut Aufstellung der Klägerin unbezahlt sind. Frau N[…] hat diese Forderung anerkannt und ist durch ein anderes Gericht entsprechend verurteilt worden.

Am 05.12.2017 ging beim zuständigen Nachlassgericht Anfechtungserklärung des Beklagten und seiner Familie bezüglich des Nachlasses von Frau G[…] ein, begründet mit einem Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft des Nachlasses, dessen Überschuldung.

Die Klägerin fordert die ausstehende Zahlung aus dem Pflegevertrag der Erblasserin in Höhe von 2.322,71 € vom Beklagten als deren Miterbe. Die Klägerin hält die Erbschaftsanfechtung für unwirksam, da verfristet. Der Beklagte habe Kenntnis von den Verbindlichkeiten der Erblasserin haben müssen, dies schon in Ausführung der ihm erteilten Vorsorgevollmacht.

Die Klägerin beantragt,

1. Der Beklagte wird verurteilt, als Gesamtschuldner mit der gesondert verurteilten Frau […] N[…] an die Klägerin 2.322,71 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.820,74 € für die Zeit vom 15.02.2017 bis 29.11.2017 und aus 2.322,71 € seitdem 30.11.2017 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, als Gesamtschuldner mit der gesondert verurteilten Frau […] N[…] an die Klägerin die nicht festsetzbaren, außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 492,54 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, nicht für Nachlassverbindlichkeiten seiner Mutter zu haften. Da sich allein seine Schwester Frau N[…] um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert habe, sei er in die Angelegenheiten nicht involviert gewesen und habe von Außenständen nichts gewusst. Vielmehr durfte davon ausgehen, dass Frau N[…] die entsprechenden Kosten begleicht. Er habe daher erst durch Schreiben der Klägerin vom 09.11.2017 von der

Überschuldung des Nachlasses erfahren und konnte die Erbschaftsannahme noch rechtzeitig anfechten.

Frau N[…] sei erst mit Schreiben vom 24.01.2017 über die konkreten Rückstände in Kenntnis gesetzt worden. Ihm sei natürlich klar gewesen, dass im Fall des Todes der Mutter keine Erbschaft vorhanden ist. Von einer Überschuldung des Nachlasses musste er jedoch nicht ausgehen. Für Nachforschungen sei kein Anlass gewesen. Frau N[…] habe ihm noch zu Lebzeiten der Erblasserin Anfang des Jah2016 mündlich und beiläufig berichtet, dass es Streitigkeiten mit der Klägerin gebe, wegen teils fehlerhafter Abrechnung. Diese Probleme habe Frau N[…] aber lösen wollen. Von konkreten Rückständen sei ihm nie berichtet worden.

Wegen des sonstigen Parteienvortrages wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Behauptung des Beklagten, er habe vor dem Schreiben der Klägerin vom 09.11.2017 von den offenen Forderungen der Klägerin und somit von der Überschuldung des Nachlasses seiner Mutter keine Kenntnis gehabt, durch Zeugnis der Frau […] N[…]. Wegen der Einzelheiten des Beweisthemas wird auf den Beschluss vom 08.04.2019 verwiesen. Frau N[…] hat als Schwester des Beklagten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 02.09.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig. Insbesondere handelt es sich nicht um eine unzulässige Saldoklage, da die Klägerin für den Zeitraum vom 01.03.2014 (Rechnung vom 07.04.2014) bis zum 30.11.2016 (Rechnung vom 07.12.2016) die gesamte, von ihr noch beanspruchte Forderung für den streitigen Zeitraum einklagt (vgl. BGH, 09.01.2013, VIII ZR 94/12, NJW 2013, 1367f und juris). Dieser einheitliche Gesamtanspruch ist hinreichend bestimmt. Die einzelnen Rechnungen sind eingereicht. Die Höhe der Klageforderung ergibt sich aus der Anlage K7, dort die Differenz von 32.235,48 € und den Zahlungen von 29.912,77 €.

Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat an die Klägerin 2.322,71 € zahlen für die von dieser erbrachten Pflegeleistungen für seine Mutter, Frau B[…] G[…] für die Zeit vom 14.03.2014 bis 22.11.2016. Die Klägerin hat durch die Einreichung der Rechnungen sowie die Darstellung der Zahlungen dargelegt, dass dieser Betrag unbezahlt ist. Weitere Zahlungen als die zugestandenen, hat der Beklagte nicht behauptet. Der Beklagte haftet für diesen offenen Betrag aus dem Pflegevertrag seiner Mutter als deren Erbe (§§ 535, 611 Abs. 1, 1922 Abs. 1, 1924, 1943 BGB).

Mangels Ausschlagung der Erbschaft ist der Beklagte Erbe seiner Mutter geworden (§ 1943 BGB). Der Beklagte konnte nicht nachweisen, dass er den Anfall der Erbschaft wirksam angefochten hat und somit nicht Erbe geworden ist (§§ 1957, 1942, 1943 BGB). Voraussetzung der Wirksamkeit der Anfechtung der Annahme der Erbschaft ist, dass binnen sechs Wochen ab Kenntnis eines Anfechtungsgrundes die Anfechtung erfolgt (§ 1954 BGB). Dem Beklagten oblag als Anfechtender diese Voraussetzungen nachzuweisen, demnach, dass er nach dem Tod der Erblasserin am 22.11.2016 bis zum Schreiben der Klägerin vom 09.11.2017 von den Forderungen der Klägerin gegen die Erblasserin und damit der Überschuldung des Nachlasses keine Kenntnis hatte. Diesen Beweis konnte der Beklagte nicht führen, insbesondere da die von Ihm benannte Zeugin Frau N[…] zu einer Zeugenaussage unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nicht bereit war. Seine Unkenntnis ergab sich auch nicht aus anderen Umständen. Anfechtung wegen Irrtums über die Werthaltigkeit als Eigenschaft der Erbschaft setzt voraus, dass der Beklagte die wirklichen Umstände nicht kannte und nicht erkennen konnte, er somit ohne vorwerfbares Handeln die Wirklichkeit falsch einschätze.

Dies ist nicht dargetan. Der Beklagte hat zunächst die Erbschaft angenommen. Welche Vorstellungen er sich dabei über die Werthaltigkeit der Erbschaft gemacht und wie er diese ermittelt hat, wurde konkret nicht vorgetragen.

Der Beklagte behauptete lediglich, dass er nicht mit einem positiven Erbe gerechnet habe. Die Annahme einer Erbschaft und deren Abwicklung bedingt, dass man sich mit dem Erbe befasst, wie Ausräumen des Zimmers, Abwicklung der Angelegenheiten des Erblasers, wie Zahlung der Abschlussrechnung der Klägerin, Kontoauflösung, Beerdigung u.a.. Wenn der Beklagte sich dabei vertreten lässt, muss er sich dies zurechnen lassen (§ 166 Abs. 1 BGB). Der Beklagte wusste, dass die Erblasserin zur Tragung ihrer Lebenshaltungskosten auf staatliche Hilfe angewiesen war, die Beerdigungskosten wurden vom Sozialamt bezuschusst und von ihm getragen, d.h. es war kein Erbe vorhanden. Eine solche knappe finanzielle Situation der Erblasserin zwingt zu der Annahme, dass Kosten von dieser nicht getragen werden konnten, somit nach deren Tod Außenstände möglich sind. Danach hat der Beklagte sich aber nicht erkundigt. Seine Falscheinschätzung der Eigenschaft des Erbes beruht daher nicht auf einem Irrtum, sondern schlicht auf der Unterlassung der Ermittlung der tatsächlichen Gegebenheiten.

Auf fehlerhaftes Verhalten der Frau N[…] kann sich der Beklagte nicht berufen, da er neben dieser als Gesamtschuldner haftet (§§ 421 Satz 2 BGB). Eine Ausgleichspflicht besteht nur zwischen den Gesamtschuldnern (§ 426 BGB).

Verzugszinsen schuldet der Beklagte ab dem 23.11.2017. Der Beklagte kam durch seine endgültige und ernsthafte Zahlungsverweigerung in Verzug (§ 286 Abs. 2 Ziffer 3 BGB), die in seinem Schreiben vom 22.11.2017 in der Ankündigung der Anfechtung der Erbschaftsannahme zum Ausdruck kam. Früherer Verzug war nicht ersichtlich. Mahnungen gegenüber Frau N[…] setzten den Beklagten nicht in Verzug (§ 425 Abs. 2 BGB). Zinsen werden bis zum 28.11.2017 nur auf einen Betrag von 2.785,28 € geschuldet. Am 23.11.2017 ging eine Zahlung von 2.035,46 € bei der Klägerin ein, die den Rückstand von 4.820,74 € entsprechend reduzierte und insofern den Verzug beendete (§§ 362 Abs. 1,422 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Nach Zahlung weiterer 162,57 € und 300,00 € am 29.11.2017 werden Zinsen auf 2.322,71 € ab dem 29.11.2017 geschuldet.

Wegen der weiteren Zinsforderung war die Klage unbegründet und abzuweisen.

Die Klage ist unbegründet und abzuweisen, sofern die Klägerin Ersatz vorprozessualer Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 492,54 € verlangt. Der Verzug des Beklagten hat diese Kosten nicht kausal verursacht, da am 22.11.2017 die Beauftragung der Klägervertretung bereits erfolgte und damit die Kosten angefallen waren. Verzug der Frau N[…] ist dem Beklagten nicht zuzurechnen (§ 425 Abs. 2 BGB). Der Beklagte schuldet diese Kosten auch nicht wegen Pflichtverletzung aus dem Pflegevertrag (§ 280 Abs. 1 BGB), weil er in diesen weder als Vertragspartner noch als Vertreter einbezogen war.

Die Parteien haben die Kosten des Rechtsstreits gemäß ihrem Anteil am Obsiegen und Unterliegen zu tragen. Die Zuvielforderung der Klägerin war verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten veranlasst (§ 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO).

Die weitere prozessuale Nebenentscheidung folgt aus § 709 ZPO.“

AG Lichtenberg, Urteil vom 18.11.2019 – 13 C 267/18